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KLAUS ROSE

DER TEUFEL SOLL DICH HOLEN

ISBN
Paperback978-3-7439-3905-9
Hardcover978-3-7439-3906-6
e-Book978-3-7439-3907-3

©2017 Klaus Rose

Umschlag, Illustration: Klaus Rose

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Ohne Zustimmung des Autors und des Verlages ist eine Verwertung unzulässig. Dies gilt für die Verbreitung, für die Übersetzung und die öffentliche Zugänglichmachung.

KLAUS ROSE

DER TEUFEL SOLL DICH HOLEN

Sara Sonntag ermittelt

Dreiländereck-Krimi

Personen, Umgebung und Handlung sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind Zufall, so auch Übereinstimmung mit vorhandenen Einrichtungen.

Das Buch:

Eine Behelfsunterkunft wurde abgefackelt. Monate später wird Günther Bauer erwürgt. Der Politiker und Makler hatte untaugliche Einrichtungsutensilien an Flüchtlingseinrichtungen verscherbelt, er war quasi ein Hans Dampf in allen Gassen. Sind dem Asylbewerber Hamadi die Sicherungen durchgebrannt? Ist der ein islamistischer Gefährder, gar ein Terrorist?

Tags drauf findet man Bauers frivole Verkaufskraft Lisa Färber tot im Wald. Sie hat Würgemale am Hals. Gibt es einen roten Faden zum Mord an ihrem Chef?

Die Kommissarin Sara Sonntag und der Kollege Felix Freitag ermitteln, allerdings ist deren Zusammenarbeit mit Reizpunkten übersät. Sara lebt nach dem Credo, wir schaffen das, und ihr Partner ist ein Zuwanderungsgegner, was prompt zur Fehlerkette führt.

Felix verhaftet den Syrer und stützt das auf die Aussage der Witwe. In Saras Maschinerie geraten ein Architekt und ein Baulöwe. Die planen ein Hotel auf dem Gelände der Brandruine. Ist Schmiergeld im Spiel? Und das Mordroulette erhöht seine Drehzahl, als die Kommissarin von Sexorgien prominenter Aachener in Bauers Maklerbüro erfährt. Das nimmt sie zum Anlass, die Teilnehmer in eine Falle zu locken. Sara agiert als Ersatzfrischfleisch für die Ermordete. Ab da hängt ihr Leben am seidenen Faden.

Der Autor:

Klaus Rose, Jahrgang 1946, kommt 1955 als Flüchtling nach Aachen. Nach dem Studium lebt er in München. Er kehrt nach Aachen zurück und engagiert sich in der Kommunalpolitik. Nach dem Renteneintritt verbringt er die Freizeit mit dem Schreiben seiner Kriminalromane.

Dem Schicksal ist die Welt ein Schachbrett nur, und wir sind die Steine in des Schicksals Faust.

George Bernhard Shaw

 

Für die Liebhaber eines guten Regionalkrimis.

1

Es ist windstill in Aachen. Die Luft steht, dazu ist es rekordverdächtig heiß. Bei Bewohnern sowie Touristen bilden sich Schweißperlen auf der Haut, denn deren Schweißdrüsen schieben Sonderschichten, und manches Kühlaggregat läuft auf Hochtouren. Der Herbst ist mit wolkenlosem Himmel und übernatürlicher Sonnenbestrahlung gesegnet. Das Freibad am Hangeweier würde aus allen Nähten platzen, wäre es nicht geschlossen. Die Hitzewelle ist ein gefundenes Fressen für Romantiker, die für das Phänomen gern den Begriff „Goldener Oktober“ anwenden. Wahrscheinlich entstand diese Umschreibung bei einer ähnlichen Wetterkonstellation.

Der Nachteil ist, dass die Feinstaubmessstelle vor dem Suermondt-Ludwig Museum heftig Alarm schlägt. Die als Notlösung angedachten grünen Umweltplaketten auf Windschutzscheiben, die das Fahren im Stadtzentrum drastisch einschränkt, können das Überschreiten der gesetzlich vorgeschriebenen Feinstaubobergrenze nicht verhindern. Entgegen den Erwartungen ist die Wirkung der Aufkleber Augenwischerei, denn wie in anderen Inenstädten wird auch die Aachens von dreckiger Luft beherrscht. Und die belastet den Organismus.

Tja, und was tun die Bosse der Stadt?

Rein gar nichts, da in den verantwortlichen Positionen profillose Verwaltungsbeamte sitzen. Und die halten das Aussperren des Autoverkehrs für abwegig, was sich in einer Verlautbarung der Presse folgendermaßen liest: „Die Beeinträchtigungen der Atemwege sind gering.“

Na bitte, da haben wir den Salat.

Nicht eine Sau beschäftigt sich mit der Gefahr für Leib und Leben. Klimawandel und Erderwärmung? Pah, der Zustand der Umwelt ist den Leuten piepegal, also geht das rege Treiben den handelsüblichen Gang, schließlich ist der Mensch ein Gewohnheitstier. Und wie an Nachmittagen üblich, dampft in den Fußgängerzonen der Asphalt und die Gehwegplatten stöhnen unter der Last der Einkäufer.

Oft geben Kränkelnde bei einer derartigen Bullenhitze die Löffel ab. Leider ist die Todesursache den Todesanzeigen nicht zu entnehmen. Aber sehr bald werden zwei gewaltsam herbeigeführte Todesfälle die Schreckensbilanz der Stadtchronik bereichern, und das Wissenswerte ist für Sensationsbesessene unter der Rubrik Gewalttaten in Aachen nachlesbar. Aber eins nach dem anderen, dazu kommen wir gleich. Es ist später Nachmittag. Die Schatten werden länger und das satte Blau des wolkenlosen Himmels verschönt das grandiose Altstadtpanorama der Kaiserstadt, bis die Sonne hinter der malerischen Silhouette des Aachener Doms versinkt. Das tut sie wie im Bilderbuch eines Märchens. An dem ausführlich beschriebenen Nachmittag beginnt das Unheil mit übertriebener Geilheit und extrem ausgeprägtem Lustempfinden. Diese Rezeptur liegt an der schwülen Luft und führt zu Sexualphantasien, Adrenalinausstößen und Schwellungen im Genitalbereich. Das tritt besonders krass bei einem Dreibeiner in Erscheinung, dem der Herrgott äußerliche Makel in die Wiege gelegt hat.

Nehmen wir als Beispiel den fettleibigen Makler Günther Bauer. Der ist alles andere als der Frauentyp à la Robert Redford. Er sollte an solchen Glutofentagen seine Hände in den Schoß legen und zufrieden auf sein Tagwerk blicken, denn der Immobilienhandel brummt, aber seine Gefühle sind in Aufruhr. Seine Ehe ist eine Farce, und ein Weibsbild von zweifelhaftem Format hatte er lange nicht mehr in den Klauen. Aber der Mann braucht die Rammelei mit einer Sahneschnitte ab und an. Sein Fortpflanzungsorgan sehnt sich nach Flittchen, die ihre saftige Fotze bereitwillig und mit Hingabe zur Verfügung stellen.

Wen wundert’s, dass Bauer seufzt: „Feierabend, Lisa. Bitte verriegele das Eingangsportal.“

„Ja, Chef“, antwortet das nur dürftig bekleidete Mädel, das viel Fleisch zeigt und sich Lisa Färber nennt. Ihre perfekten Rundungen aufreizend betonend, gleicht sie der Versuchung, süßer als Schokolade.

Lisa ist zweiundzwanzig Jahre jung. Und noch etwas ist das hübsche Ding, nämlich dreist und ordinär. Sie trägt hochhackige Schuhe, einen hautengen, viel zu kurzen Rock und eine weit ausgeschnittene Bluse. Beugt sie sich vor, dann purzeln ihre drallen Brüste aus dem Büs-tenhalter heraus. Mit ihrer gewagten Aufmachung treibt sie das Mannsvolk zur Weißglut.

Lässigen Schrittes geht Lisa zum Portal. Sie wirft sich mächtig in Pose. Per Knopfdruck schließt sie die Verriegelung, wie vom Chef angeordnet, dabei bestaunt der Makler die aufreizend mit dem Po wackelnde Verkaufskraft. Schmachtend sieht der Lustmolch mit dem inneren Auge die glattrasierte Scham Lisas vor sich. Er kennt die Muschi des Luders aus Sexgelagen, so macht ihn der Gedanke an die Leckerei begehrlich.

Bauers Maklerbüro ist Bestandteil eines barocken Altbaus der Jahrhundertwende. Dessen Spitzenlage im Bereich des Stadttheaters garantiert Rekordumsätze, denn geht’s ums Geldausgeben, unterscheidet sich Aachen in nichts von Düsseldorf und Köln. Hier stinkt es nach Reichtum. So sucht man nach Imbissbuden im Viertel der Hochfinanz vergebens.

In dieser Umgebung übersteigen die horrenden Ladenmieten die Finanzkraft der Fleischspieß-Barone, daher wetteifert eine Menge an Geldinstituten mit ebenso vielen Niederlassungen der Versicherungsbranche um den Leckerbissen unter den Altbauten. Auch edle Restaurants buhlen um die Gunst der Gutbetuchten. Ja, sogar ein Bio-Supermarkt hat sich im Imperium der Geldsäcke angesiedelt. Und der behauptet seinen Platz, weil er Zeichen setzt für den Luxus, den Selbstgefällige über alles lieben.

Nobel geht die Welt zugrunde. Das Motto passt wie die Faust aufs Auge zum Geschäftsgebaren der Inhaber Bauer und Lebewirt. Das Design der Büroausstattung hat System. Das Brimborium an Pomp blendet die Kundschaft und gehört zur Verkaufsstrategie. Moderne Sitzelemente und eine Bar mit Pfiff verschönern das Ambiente. Aber wozu der Schnickschnack beim Verkauf von Immobilien?

Sinn machen die imposanten Fotos von Luxusvillen und respektablen Geschäftshäusern, die an den Wänden hängen. Bei deren Anblick sitzt den Kunden das Geld locker, davon gehen die Geldhaie aus. Und tatsächlich wandert ein großer Batzen Knete hier über die Verkaufstische, doch hinter der Maske des Reichtums verbirgt sich auch etwas ganz anderes, und das ist das Unheil.

Das Innere des Büros liegt unter Sonnenbestrahlung. Bauer lässt die Verdunkelungsrollos runter, dabei entgeht ihm der junge Mann, der im Hauseingang auf der gegenüberliegenden Straßenseite steht. Der trägt ein dunkelblaues T-Shirt und verbirgt seine Beine unter ver-waschenen Jeans. Gierig saugt er an der Zigarette, dabei schaut er unruhig zu den Fenstern des Maklers hinüber. Er macht ein paar Schritte auf und ab, dann kehrt er zum Ausgangsstandort zurück. Auf wen wartet er? Was macht ihn dermaßen nervös?

Der Endvierziger Günther Bauer ist mit Lisa Färber allein im Büro, was nicht gut ist für die Kleine, denn in seinem Schritt knistert es gewaltig. Sein Kompagnon Lebewirt führt auswärtige Verkaufsgespräche und die Sekretärin Agnes Wunder hat sich krank gemeldet, so wittert der Makler die Chance, seinem Drang nach Sex freien Lauf zu lassen. Unflätig kratzt er sich zwischen den Beinen und sucht Körperkontakt, indem er um sie als Opfer herumschleicht. Er überschüttet sie mit anzüglichen Komplimenten über ihre Brüste und ihren prallen Arsch, womit er eine schwülstige Stimmung erzeugt und sich in seinem Unterbewusstsein verbotene Intimität breit macht.

Die Hauptbeleuchtung ist ausgeschaltet. An den Präsenttiertischen werfen die Arbeitslampen verwirrende Lichtkegel an die Raumdecke. Lisa schaltet die Tischleuchten aus, klemmt sich die Sommerjacke unter den Arm und will das Büro durch den Nebeneingang verlassen, doch gewandt wie eine Katze versperrt ihr Bauer den Weg und schnurrt: „Was? Du willst gehen? Doch nicht jetzt, wo’s gemütlich wird.“

Er nimmt der sich sträubenden Lisa die Jacke ab, wirft sie über eine Stuhllehne und versucht das junge Ding an sich zu drücken, aber Lisa entzieht sich seiner Umarmung.

„Hab dich nicht so“, herrscht der korpulente Chef seine Angestellte an. Seine Spanferkelaugen funkeln. „Sonst bist du nicht so zugeknöpft.“

Doch Lisa kontert: „Tja, du Pfennigfuchser, deine Freunde zahlen auch dementsprechend. Du weißt, was ich koste.“

„Ach ja?“

Der Makler zieht die Augenbrauen hoch, dabei murrt er: „Du und deine Erpressungsversuche, aber das macht man nicht mit einem Freund. Mädel, Mädel, du bist das Fass ohne Boden.“

Der Zurückgewiesene packt seine Verkaufskraft am Oberarm. „Nun komm und ziere dich nicht. Was ist gegen etwas Spaß außer der Reihe einzuwenden?“

„Du verstößt gegen die Abmachungen“, erwidert Lisa. Sie will den Lustmolch mit der Zurechtweisung abwimmeln. Und um das fragwürdige Argument zu unterstreichen, schiebt sie nach: „Zweihundertfünfzig Euro extra und du darfst mal lecken. Außerdem geht ohne die kleinen Lustbereiter gar nichts.“

Lisa formt einen Kreis mit Daumen und Zeigefinger und schaut Bauer triumphierend an. „Okay, okay“, lässt der nicht locker. „Manchmal bin ich ein Geizhals, aber ich bin dein Boss“, keucht die transpirierende Krämerseele. „Für mich machst du umsonst die Beine breit. Ist das klar? Du bist doch froh, wenn ich’s dir besorge.“

Die Situation spitzt sich zu. Dermaßen dreist und aufdringlich hat Lisa ihren Vorgesetzten noch nie erlebt. An der sich ausbeulenden Hose im Schwanzbereich merkt sie, dass sie aufpassen muß, denn der Finanzhai ist unbeherrscht. Was ist bloß in den geilen Sack gefahren? Bekommt er bei seiner Frau keine Schnitte?

Amüsant waren die Fickeinsätze bei den acht Sexualgelagen mit den schlüpfrigen Freunden der Chefs, denkt Lisa, gar keine Frage. Fünf schwerreiche Männer, alle prominente Saftärsche, dann Lisa und Freundin Tanja, dazu die Lustverstärker. Das passte. Und lukrativ war das die Beine breit machen. Zweihundertfünfzig Euro Liebeslohn bekamen Lisa und Tanja pro Mann. Oft war das ein Tausender pro Abend. Da meckert man nicht. Und das Gute ist, ihr Freund Peter ahnt nicht das Geringste.

Lisa liebt den armen Schlucker, der als Kellner arbeitet und abends im Dienst ist, so sehen sie sich erst spät in der Nacht. Und nebenher hält sie sich einen jungen Syrer als Fan, obwohl er eine unrealistische Zukunft ist, aber er erwärmt ihr Herz. Aus selbigem Kalkül will sie den heißblütigen Verehrer nicht aufgeben. Irgendwie hängt sie an Turan, denn der ist ehrlich und fleißig. Würde Turan was von Lisas Doppelmoral erfahren, wär’s aus und vorbei. Doch soweit will Lisa nicht denken. Im Moment hat das Geldmachen Vorrang. Und hat sie genug davon, dann will sie ein Lokal eröffnen. Das ist der Deal.

Wehmütig kehrt sie gedanklich zu den Beischlaforgien zurück. Mit Hilfe der Pillen blieb der Ekel aus. War sie high, hatte sie den einen oder anderen Fick genossen, dabei war der Landtagsheini eine Nummer für sich. Sie kannte seinen Spitznamen. „Schieb ihn rein“, nannten sie ihn, dabei lachten sie sich buckelig. Von den Anderen hatte Lisa die Namen längst herausbekommen, und sie schlägt Kapital daraus, dabei ist TOP SECRET in dem Gewerbe oberstes Gebot.

Aber jetzt ist die Situation anders. Mit dem aufdringlichen Bauer allein im Büro fühlt sich Lisa nicht wohl in ihrer Haut. Sie ist zwar gut gebaut, also kein Hungerhaken, aber der Dicke hat Kraft und ist behänd. Der lässt sich nicht abwimmeln. Bekommt er sie gepackt, dann Prost Mahlzeit.

Fluchtartig will Lisa die Tür erreichen, aber der Dickwanst hat es geahnt. Geistesgegenwärtig schneidet er ihr den Weg ab und blockiert den Ausgang ins Freie.

„Nun los“, grunzt Günther Bauer. „Zieh dich aus und leg dich mit dem Rücken auf den Schreibtisch. Ich mache es dir, wie du’s brauchst.“

Lisa denkt angestrengt nach. Habe ich den Bogen über-spannt? Was ist zu tun? Wie komme ich heil aus der Zwickmühle raus? Sie fühlt sich in einer Endlosschleife, aus der es kein Entrinnen gibt. Und um etwas Zeit zu gewinnen, sagt sie: „Gib mir zuerst eine Pille.“

„Quatsch“, dröhnt der Chef. „Momentan habe ich die Pillenkacke nicht im Büro.“

„Dann besorge welche.“

Günther Bauer glotzt irritiert, wobei er wahrscheinlich denkt: Warum lasse ich mir die Frechheiten bieten? Also besinnt er sich auf seine Macht.

„Du Luder nimmst dir zu viel raus“, dröhnt er. „Mach, was ich dir sage.“

Bedrohlich nähert sich der Dicke der zurückweichenden Lisa, dann stürzt er sich überfallartig auf sie, doch geistesgegenwärtig entzieht sie sich der Attacke.

Sie droht dem Grobian: „Wenn das deine Freunde erfahren, handelst du dir Ärger ein.“

Doch Bauer bleibt unbeeindruckt, er gerät sogar in Rage und brüllt: „Das ist mir scheißegal!“

Der Punkt ist erreicht, an dem es für Lisa ausweglos wird, denn Bauers Fratze ist vom Glanz eines begattungsreifen Gorillamännchens überzogen. Er greift der wild fuchtelnden Lisa mit der linken Hand an den Hals und drückt ihren sich wehrenden Körper resolut auf den Schreibtisch.

Das musste ja so kommen, denkt Lisa. Aber auf die gewaltsame Tour will ich keinen Sex. Der abstoßende Mann widert mich an. Bauer ist in der Stadt Karls des Großen bekannt für sein Nachstellen jeden Rockzipfels, die Hauptsache ist, die Frauen sind jung und unverbraucht. Soll ich um Hilfe schreien?

Nein, das ist nutzlos.

Die Mauern sind dick und die Fenster doppelverglast. Außerdem ist das Bürohaus leer. Von außen ist keine Unterstützung zu erwarten, schon gar nicht an einem Dienstag, der als ruhiger Geschäftstag gilt.

Bauer ist außer Rand und Band. Doch er hat alle Hände voll zu tun, da seine Verkaufskraft faucht und kratzt, wie eine nicht zu bändigende Furie. Als sich des Scheusals Visage der Lippen Lisas bemächtigen will, riecht sie den widerlichen Atem des Sexbesessenen.

Von dem angewidert mobilisiert Lisa ihre allerletzten Kraftreserven und rammt dem Saukerl instinktiv ihr rechtes Knie in den Unterleib, sodass der vor Schmerz aufstöhnt und sich sein Griff lockert. Aber reicht das zur Flucht?

Zwar hat Bauer die Kontrolle über seine Koordination verloren, dennoch fixiert er Lisa auf die Tischplatte, wo-bei er grunzt, dabei will er sich mit der rechten Hand seinen Hosengürtel abstreifen, was nur bedingt gelingt. Er bekommt seinen steifen Schwanz nicht aus der Hose in den Anschlag, stattdessen drückt er mit seiner linken Pranke Lisas Kehle allzu kräftig zu.

Lisa ist entsetzt. Aus Verzweiflung fängt sie an noch mehr zu zappeln.

Sie röchelt: „Bist du verrückt? Hör auf. Ich bekomme keine Luft.“

„Luft“, keucht sie.

„Hör auf. Luft... , Luft... .“

Ein letztes Zucken, dann ist es still. Die Zeit ist stehen geblieben. Nur das schwere Atmen des Immobilienmaklers ist zu vernehmen.

Es vergehen Sekunden, vielleicht Minuten, dann erst lässt Bauer von Lisa ab und schüttelt sich vor Verwunderung. Seine Augen starren die Tote entgeistert an, dabei flüstert er selbstverloren in den Raum: „Oh, oh, du dumme Göre. Was hast du Biest angerichtet? Du hast mich rasend gemacht.“

Und aus dem Albtraum erwacht, rattert im verhinderten Vergewaltiger ein Uhrwerk. Geht’s um die Lebensplanung, gleicht Bauer einer gut geölten Maschine. Im Nu weiß er, was zu tun ist. Nicht umsonst sagt man ihm eine saftige Portion Bauernschläue und Unverfrorenheit nach. In dreißig Minuten beginnt die Stadtratssitzung und er als finanzpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion hat anwesend zu sein. Mit seiner Teilnahme hätte er ein perfektes Alibi.

Das Dummchen beseitige ich nach der Ratssitzung, denkt Bauer rational. Von der Sitzung rase ich ins Büro, verfrachte Lisa in den Kofferraum, bringe sie in den Wald und verscharre sie. Dann kehre ich in den Schankraum des Ratskellers zurück. Niemand wird meine Abwesenheit bemerken. Die halbe Stunde macht den Kohl nicht fett. Meinen Kompagnon erwarte ich erst am nächsten Tag. Aber was passiert, macht der sich früher auf den Heimweg und fährt am Büro vorbei?

Und wenn schon, denkt er weiter. Den Kompagnon habe ich mit den Sexorgien in der Hand. Das ist ein Pfund, mit dem ich wuchern kann. Lebewirt ist feige und kuscht vor seiner dominanten Frau. Bauers Selbstschutzvorrichtung funktioniert perfekt. In der Rubrik Cleverness kann ihm niemand das Wasser reichen. Ich muss mich auffrischen, denkt er, ich darf keine Gefühlsregung zeigen. Entschlossen und kalt wie eine Hundeschnauze will ich wirken, das ist mein Markenzeichen.

Mit armschwingenden Gesten treibt sich Bauer zur Eile an. Er säubert im Waschraum die Anzughose. Dass sie zerknittert ist, fällt niemandem auf. Die Ratsbänke verdecken den Blick auf seinen Unterkörper. Mit Krawatte und Jackett sieht der Makler aus wie immer, wie aus dem Ei gepellt. Ihm merkt man die versuchte Vergewaltigung nicht an, schon gar nicht den Mord an der Untergebenen. Für den ist ihm eine lebenslange Haft sicher.

*

Ich schlafe sehr schlecht. Ich, die Hauptkommissarin Sara Sonntag. Auch in dieser Nacht wälze ich mich mit männermordenden Gedanken im Bett hin und her, und in mir brodelt es wie in einem Schnellkochtopf.

„Alle Männer sind Scheißkerle“, seufze ich, sinnbildlich für mein Chaos im Kopf. Mein Puls rast. Das Machopack ist zu nichts nütze und gehört in die Erdumlaufbahn geschossen. Besonders die Hallodris gehören zeugungsunfähig gemacht, schnipp, schnapp, allen voran das Paradeexemplar der Abteilung.

Ich bin total durch den Wind, als ich den pendelnden Lampenschirm an der Zimmerdecke beobachte, dabei schwirren mir zwei Fragen durch den völlig überfrachteten Kopf, hartnäckig wie ein Wespengeschwader. Die lauten: Soll ich abwarten? Und: Was wird aus mir und dem Macho?

Großer Gott, mit dem Brummschädel hätte ich mich besser in eine flauschige Decke gekuschelt, zum Beispiel aufs Sofa vor die Glotze. Eine ätzende Wiederholung hätte ich mir reinpfeifen können, einen Marathonlauf oder ähnlichen Stumpfsinn. Der macht müde. Ich brauche ausreichend Schlaf um frisch und ausgeruht für den Dienstantritt zu sein.

Aber das Abschalten schlägt fehl. Und bin ich dennoch weggedöst, träume ich wirres Zeug. Von Wolke zu Wolke flattern Engel in Brautkleidern. Mir stehen in Gedanken die Haare zu Berge. Ist das normal bei einer verkorksten Beziehungskiste?

Ich denke schon, denn ich, die 32-jährige und ungewöhnlich hübsche Sara Sonntag, bin unglücklich verliebt. Vor gut zwölf Monaten habe ich mich aufs spiegelglatte Parkett begeben, seither bin ich in den zwölf Jahre älteren Kollegen Felix Freitag verschossen. Der ist wie ich Hauptkommissar, noch dazu mein Partner, was an sich nicht sonderlich tragisch wäre, würde mein Herzallerliebster nicht eine Frau und zwei Kinder ernähren müssen.

Mein Telefon klingelt. Ich presse meinen Kopf tief ins Kissen, um den Ton zu überhören, doch es nützt nichts.

Wie spät ist es eigentlich?

Kurz aufgeblickt, erfahre ich es vom erleuchteten Zifferblatt der Wanduhr. Was? Kurz nach Mitternacht? Bei einem Anruf um die Zeit handelt es sich um Mord.

Widerwillig hangele ich mich aus dem Bett, hechte zur Sprechkonsole und drücke mir den Hörer ans Ohr, prompt nimmt ein knüppelharter Tag bereits in der Nacht seine Betriebstemperatur auf.

„Hauptkommissarin Sommer“, melde ich mich. „Aha. Es gibt einen Toten in der Maria-Theresia-Allee. Wahrscheinlich ermordet“, antworte ich der anrufenden Person. „Natürlich komme ich.“

Bärbeißig hülle ich mich in den Morgenmantel, gehe in die Küche, schmeiße die Kaffeemaschine an und will die Tageszeitung von der Haustür reinholen, doch bevor ich mich dazu aufraffe, trete ich auf die Bremse. Ja klar, das Wurstblatt ist noch in Druck. Stattdessen dusche ich hastig, dann kleide ich mich an und setze mich an den Küchentisch.

Auf dem Kalenderblatt lese ich: Reisende soll man nicht aufhalten, prompt läuten in mir die Alarmglocken, tangiert der Spruch meinen Herzenszustand. Und schon bin ich bei meiner Liaison mit dem Kollegen Felix Freitag, denn der ist mein Problem, und das gleicht der Größe eines Möbelwagens. Vielleicht bin ich nur eine beliebige Bettgeschichte für ihn?

Anfangs wollte ich die Affäre vermeiden, aber Pusteblume. Ich war einsam und mir wär’s peinlich gewesen, hätte ich die Männer des Präsidiums reihenweise vernascht. Aber ich suchte einen Mann, so war ich den Annäherungsversuchen des Schwerenöters widerstandslos ausgeliefert. Bei mir überreifen Pflaume musste er keine aufwändigen Verführungskünste anwenden, schon hatte er mich auf der Matratze. Und jetzt, wo’s der Kerl geschafft hat, stellt er mich als lieblos hin.

Doch was soll’s. Schnipse ich mit den Fingern, habe ich an jedem Finger drei Verehrer, allerdings fürchten viele Männer meine Selbstständigkeit. Die bevorzugen weiter das Heimchen am Herd. Tja, mit dem Schicksal komme ich schwerlich klar, doch das ist das Los mancher Frau, nicht nur einer Kommissarin.

Ich überfliege die Zeitungsseiten der Vortagsausgabe, dabei würge ich ein Brötchen mit Honig runter und schlürfe den heißen Kaffee. Das mache ich im Eiltempo, obwohl das ungesund ist. Beim Artikel über den IS bleibe ich hängen und fahre mir angewidert durch die Haare.

Bei den Morden der religiösen Fanatiker schlottern sogar einer Polizistin die Knie. Nach deren Wirkungstreffern in Paris ist nichts mehr, wie’s mal war. Wäre ich eine exzellente Autorin, könnte ich die Ängste in Worte fassen, doch ich schreibe Tatortprotokolle. Da stellt sich die Frage: Wie bringt man Terroristen von ihrem Irrweg ab? So wie’s die konservativen Spinner versuchen sicher nicht.

Pfui Teufel, sage ich denen. Die CSU-Schnarchnasen schüren mit ihrer Polemik zur Flüchtlingsproblematik den Hass und unterstützen damit die Arschlöcher der PEGIDA-Bewegung. Für die harsche Formulierung entschuldige ich mich nicht, denn was die bayrische Landesregierung treibt, das ist das Radikalisieren ihrer Anhängerschaft mit dümmlichen Fensterreden.

Doch jedem normal denkenden Menschen ist klar: Die Freiheit durch Obergrenzen einzuschränken, eventuell Zäune zu errichten, den Schießbefehl einführen und das Abschaffen des Schengen-Abkommens zu erwägen, das führt zur Aufgabe Europas.

Weshalb habe ich ein flaues Gefühl im Magen? Rührt es daher, dass ich mit meinen 32 Jahren alleinstehend bin? Liegt es am hochexplosiven Weltklima, und damit an meiner Furcht vor der Zukunft?

Beziehe ich mein Unwohlsein auf den Mordfall, zu dem ich gerufen wurde, dann liegt meine Verstimmung an der hohen Kriminalitätsrate der Stadt, denn Aachen bietet allerhand Scheußlichkeiten. Kürzlich wurde ein Asylantenheim abgefackelt und nun der Mord. Das Verbrecherpack fühlt sich pudelwohl im Dreiländereck. Ins benachbarte Ausland kann man herrlich abtauchen. Hinüber in die Niederlande und nach Belgien ist es nur der berühmte Katzensprung.

Das Honigbrötchen intus, werfe ich mich in eine Sommerjacke. Seit dem Anruf ist eine Viertelstunde vergangen. Ich bin bereit für alles, was kommt.

Als ich in meinem Fiat Panda sitze und mich auf den Weg mache, komme ich zügig voran, nebenher lausche ich einem Streitgespräch im Autoradio. Eine Moderatorin stellt die heikle Behauptung in den Raum: Vor Gott sind alle Menschen gleich. Ist die Aussage richtig oder falsch?

An der Glaubensfrage scheiden sich die Geister. Ein christlich angehauchter Teilnehmer bejaht die Frage mit „Halleluja“, worauf der Ungläubige die Feststellung kritisiert und zurückfragt: Wozu braucht man einen Gott, der Terroristen und Unschuldige in einen Topf wirft?

Er argumentiert: Gäbe es Gott, dann hätte er die seit Menschengedenken geführten Kriege im Namen der Religionen verhindert.

Damit verdient er meinen Applaus, säße ich nicht am Steuer. Außerdem ist das Thema im Moment nicht meine Baustelle.

Mit dem Ausschalten des Autoradios lenke ich meine Aufmerksamkeit auf den spärlichen Straßenverkehr. Die Straßen sind so gut wie frei. Die Innenstadt befindet sich im Tiefschlaf. Unerlaubt schnell rausche ich mit meiner Blechbüchse an der Normaluhr und dann am Haupt-bahnhof vorbei, dahinter biege ich in die Maria Theresia Allee ab.

Und den Tatort erreicht, ist der Straßenraum durch den Baumbestand stockfinster. Nur in wenigen Fenstern brennt Licht. Auch vorbeifahrende Autos werfen Lichtkegel auf die Fahrbahn, dennoch springen mir rotweiße Absperrbänder der Spurensicherung vor dem Vorgarten eines Altbaus ins Auge. Hinter denen stehen drei oder vier Schaulustige, wahrscheinlich die Nachbarn des Getöteten.

Ich bin jung und noch nicht cool und abgebrüht, daher bin ich mächtig aufgeregt. Die Todesursache kenne ich nicht, auch nicht den Zustand der Leiche. Welcher Anblick erwartet mich? Auf meinem Rücken hat sich ein Schweißfilm gebildet, denn ein Mord ist und bleibt ein Waterloo. Steht mir ein Fiasko am Tatort im noblen Südviertel Aachens bevor?

Die Allee ist zugeparkt, wie überall in Aachen herrscht Autoüberschuss. Ich mache kurzen Prozess und stelle den Panda verkehrswidrig ab, dann zücke ich einen Notizblock und sprinte zur angegebenen Hausnummer.

Mein lieber Schwan. Die Besitzer des Anwesens sterben nicht an Altersarmut, denn hinter der Hausnummer 36 verbirgt sich ein Protzobjekt. Der Jahrhundertwendebau wurde aufwendig saniert, er besitzt demnach einen respektablen Wert. Auf den englischen Rasen des Vorgartens hat man Buchsbaumbüsche gepflanzt. Das Ambiente dient den Besitzern als Aushängschild für Reichtum. Auf mich wirkt das Gemäuer lieblos.

Vor der offenstehenden Haustür steht eine den Kopf schüttelnde Frau mit kolossaler Oberweite. Ist sie die Witwe des Toten?

Die Frau wirkt unbeteiligt, irgendwie gleichgültig, jedenfalls verstehe ich unter total aufgelöst etwas anderes. Ich nicke kurz und eile an ihr vorbei, dabei sehe ich mich in der Scheibe der Haustür.

Oho. Mir gefallen meine hübschen Grübchen neben den Mundwinkeln und ich bin stolz auf meine lockige Mähne. Über die samtbraune Cordjacke habe ich mir einen bunten Schal gewickelt, dazu trage ich eine blaue Jeans und schwarze Halbschuhe im Turnschuhstil. Mir steht das legere Outfit rundherum gut.

Vorsichtig drücke ich die Haustür auf, dann stehe ich in einem unübersichtlichen Inferno. Und mittendrin, auf dem Fliesenflurboden, liegt der männliche Tote. Er ist von oben bis unten mit Blut besudelt und von Schlägen ins Gesicht entstellt. Die Fleischmasse war mal ein Gesicht. Aus der wabernden Masse starren kalte, weit aufgerissene, leblos erstarrte Augen hervor.

Der Anblick des Toten widert mich an. Mir ist übel. Mich abrupt abwendend würge ich die Kröte an Grauseligkeit herunter. Die Tat hat mich dem Kotzen nahegebracht. Durch die schlimm zugerichtete Leiche wird mir die widerwärtige Seite meines Berufs drastisch vor Augen geführt.

Por, ekelhaft. Wer ist zu solch einer Tat fähig?

Das Blutbad hat ein Durchgeknallter angerichtet, denke ich. Und dann das Drumherum. Mein Gott, welch ein Chaos. Neben dem Toten liegt ein Mantel, daneben ein paar Jacken, diverse Schals, ein Hut und eine Menge Kleinkram. Der wurde beim Kampf von der Garderobe gerissen. Und in dem Wust steht er, mein Kollege und Partner Felix Freitag, der Sonnyboy der Mordkommission. Der war, wie konnte es anders sein, bereits lange vor mir am Tatort eingetroffen.

Trotz der Wiedersehensfreude bin ich kreidebleich im Gesicht. Aber zweimal kurz durchgeschnauft und mich gestrafft, begrüße ich meinen Partner und die Leute der Spurensicherung mit einem kräftigen Händedruck.

Felix fragt mich: „Verfolgst du die Bemühungen um die Abschiebung nichtanerkannter Asylbewerber in sichere Herkunftsländer?“

„Ja, tue ich“, antworte ich wortkarg.

„Das sind Kriminelle und Vergewaltiger. Das ist doch richtig, oder?

„Bestimmt nicht alle“, verweigere ich mich seinem Argument. „Außerdem mag es dahingestellt sein, ob diese sogenannten sicheren Staaten auch sicher sind.“

Diese Antwort reicht ihm, trotz allem windet er sich wie die beutesuchende Schlange um einen Baumstamm, als er grummelt: „Nun zu dem Toten. Tja, wie sage ich’s dir?“

Mein Partner reibt sich nervös die Hände, dabei versucht er es mit einer belanglosen Anrede. „Dann pass auf, Sara.“

Warum ist Felix so fahrig? Dermaßen unsicher kenne ich ihn gar nicht. Sonst ist er forsch und geradeaus. Hat er schlecht geträumt? Eventuell von mir? Sind berechtigte Sorgen angebracht?

Schön wär’s ja. Das wäre genau das, was ich mir wünsche, aber der Schlawiner soll von mir träumen? Das ich nicht lache. Der Typ ist er nicht, da gebe ich mich kei-nen Illusionen hin. Wer weiß, von wem der träumt?

Felix zupft sich Flusen vom T-Shirt und zerrt es in die Länge, dann setzt er seine Anrede fort: „Bitte zieh keine voreiligen Schlüsse, denn der Tote ist ein Mann der Politik.“

Aha, daher weht der Wind, denke ich.

Vor Erstaunen haben sich meine Augen verdunkelt, als ich mit zittriger Stimme einwerfe: „Mein lieber Scholli, das kann ja heiter werden“, dabei verstärkt sich mein flaues Gefühl.

„Und noch was“, erweitert Felix seine Angaben. „Stell dir vor, der Tote hatte nach der gestrigen Ratssitzung eine handgreifliche Auseinandersetzung mit einem Asylanten.“

O je, jetzt kommt’s knüppeldick, denke ich.

Die Alarmstufe Rot blinkt in mir auf. Die Terror- und Flüchtlingspropaganda hat meine Instinkte versaut, und das, obwohl ich weder Politiker noch Asylbewerber im Freundeskreis habe. Diese Konstellation hat sich nie ergeben, was ich kaum bedaure, obwohl Politikprofis für den Werdegang nützlich sein können. Aber ich bin nicht karrieregeil. Ich nehme es, wie’s kommt.

Noch abwesend, streiche ich mir die ungezügelte Mähne hinter die Ohren und blubbere: „Wie heißt der Tote und worum ging’s? Herrgott noch mal, woher weißt du das schon wieder?“

Mein Kollege ist 45 Jahre, schlank und kräftig. Er ist der Frauentyp, wie ihn Illustrierte abbilden. Sein strohblondes Haar trägt er mit Stolz zur Schau. Das macht ihn zehn Jahre jünger. Aber leider ist er ein Hallodri. Er handelt nach dem Lustprinzip.

O je, ich verliebe mich andauernd in falsche Männer, daher ist mein Protest gegen mein Zweitfrauendasein Zeitverschwendung. Das heißt im Klartext: Ich habe mich mit der Klüngelbeziehung abzufinden. Aber kann ich das? Und vor allem will ich das?

Felix räuspert sich: „Der Ermordete heißt Günther Bauer. Und von dem Streit hat mir ein Freund berichtet. Mit dem war ich abends ein Bier trinken“, erklärt er mir im Tonfall einer Rechtfertigung.

Hol dich der Teufel, so ist es immer, denke ich. Ich bin wegen der Nichtberücksichtigung enttäuscht. Ein Freund dient als Entschuldigung. Ich könnte ihm eine latschen, stattdessen entgegne ich mit Sarkasmus in der Stimme: „War der Freund blond und hat lange Haare? Verflixt und zugenäht, wenn du’s gewollt hättest, dann hätten wir den Abend gemeinsam verbringen können.“

Mein Partner wird stutzig. Seine tiefblau schimmernden Pupillen zucken kurz. Doch mit einer wegwischenden Handbewegung murrt er trocken: „Lass das, Sara.“

Alles klar, mein Freund, grummelt es in meinen Denkströmen. Ich dränge mich nicht auf. Daher Schwamm drüber und Schluss mit dem Gejammer. Die Eifersüchtelei schadet meinem Aussehen, besonders meiner glatten Haut.

Ich berappele mich und denke wieder in Mordproportionen, schon klingt mein Tonfall beruflich. „Der Tote ist also Politiker. Und das vor der Tür ist seine Frau.“

„So ist es“, antwortet Felix. „Bauer ist finanzpolitischer Sprecher der CDU und sitzt im Aufsichtsrat der Alemannen. Dazu hat er ein Immobilienbüro. Das teilt er sich mit einem Kompagnon. Bauers Frau vor der Tür hat die Polizei gerufen.“

„Sagtest du Bauer?“

„Ja, Günther Bauer.“

„Ei der Daus, jetzt erinnere ich mich. Der wurde Frauen gegenüber oft unflätig. Er ist das Paradebeispiel für die mit Brettern vernagelte Männergesellschaft.“

„Soll das eine Spitze auf mich sein?“

Mein Partner hat tatsächlich versucht, das Beispiel zuzuordnen und auf sich zu beziehen, worauf ich triumphiere: „Oho. Du fühlst dich angesprochen. Such dir aus, ob du in diese Schablone passt.“

Felix schüttelt noch ungläubig den Kopf, als ich ihm erkläre, was ich über Bauer weiß: „Das Schwein hat mir in die Bluse gegrabscht und seine Lieblingsbeschäftigung ist das Erzählen dreckiger Frauenwitze. Dessen frivole Gangart lernte ich bei Benefiz-Galas zugunsten der Alemannen kennen.“

Und woraus besteht die Reaktion meines Partners?

Aus Freude, denn der jubelt: „Mensch, Sara, du bist Fußballfan? Dann lass uns zum Spiel gegen Viktoria Köln gehen.“

Na bitte, denke ich wohlgefällig. Mein Wunsch wurde vom Gott für Liebesangelegenheiten erhört. Mein Partner nimmt sich die Zeit für ein paar private Stunden, auch wenn’s nur ein Besuch im Stadion ist.

Zufrieden beende ich den gedanklichen Ausflug ins Fußballmilieu, als ich erwähne: „Welche Fakten haben wir bis jetzt?“

Felix reibt sich mit beiden Händen durchs Gesicht. Auch seine Nacht war zu kurz. Dann runzelt er die Stirn und erläutert: „Bauer wurde hinter der Eingangstür niedergeschlagen und dann erwürgt, aber wir wissen nicht, womit der Täter zugeschlagen hat. Vielleicht mit einer Eisensstange oder einem Totschläger? Vieles kommt in Frage. Aber eins ist sicher, der Mörder hat Bauers Blut auf den Klamotten.“

„Okay, das reicht erst mal. Damit können wir arbeiten“, zolle ich Felix Respekt für den Kurzbericht. „Warten wir auf die Ergebnisse der Trüffelschweine. Das in den blauen Dunst spekulieren liegt mir nicht. Kennst du Hintergründe für die Vorgänge im Stadtrat?“

Da ich keine Antwort bekomme, lege ich zwei Finger der rechten Hand an die Schläfe und konzentriere mich auf die überflogenen Zeitungsseiten. Was war in meinen Fokus geraten?

Doch es ist mein Kollege, der aus dem Nähkästchen plaudert: „Als Aufsichtsrat der Alemannen hatte Bauer alle Hände voll zu tun. Ihn machte man für den verpaßten Aufstieg mitverantwortlich.“

„Okay, das ist möglich“, bin ich seiner Meinung. „Aber jetzt fällt es mir ein. In dem Zeitungsartikel, den ich gelesen habe, ging’s um eine Flüchtlingsunterkunft, die abgefackelt wurde.“

Felix winkt gelangweilt ab: „Ach, die meinst du.“

„Ja, die meine ich“, fahre ich fort. „Um neuen Wohnraum für Asylbewerber hat Bauer mit einer Frau von den Grünen gestritten, bis weit unter die Gürtellinie.“

„Bravo“, raunt mein Partner. „Kaum geht’s gegen eine Frau, schon war der Drecksack dabei. Andererseits soll er sich für Asylanten eingesetzt haben.“

„Sein Flüchtlingsengagement war Schaumschlägerei. Ich vermute, es diente als Tarnung oder als Ablenkungsmanöver“, rücke die Unwissenheit meines Partners gerade. „Für Bauer waren die Flüchtlinge Mittel zum Zweck.“

Danach lege ich Felix den Zeigefinger auf den Mund und flüstere: „Psst, kein Wort darüber. Der Polizeipräsident gehört zu Bauers Freundeskreis.“

„Was soll’s“, quakt Felix und ignoriert die Warnung. „Der Wichtigtuer kann mich mal kreuzweise“, wird er sogar unverschämt. „Zumindest haben wir einen Anfangsverdacht, obwohl mir eine Frau als Täter unwahrscheinlich vorkommt.“

Ja, so mag ich meinen Kollegen, wodurch ich zur Liebe abschweife. Ich hätte den Tag lieber mit Felix im Bett verbracht. Allein seine Anwesenheit macht mich fickrig. Übrigens stehen meine Initialen für süß und saftig, die von Felix für frech und feurig. Er sieht aber auch toll aus und ist gut im Bett. Und das macht eine Trennung schwer, obwohl sie vernünftig wäre. Erfüllt das Chaos noch seinen Zweck? Wann hatte ich mit ihm die letzte stürmische Nacht?

Felix meldet sich zu Wort: „Warte mal“, sagt er. „Nach dem Gerede meines Freundes ging ein Syrer dem Bauer, nach dessen islamfeindlichen Äußerungen, an die Kehle. Das wäre eklig verlaufen, doch Bauer hat sich blitz-schnell vom Acker gemacht. Den Namen des Syrers weiß ich nicht.“

„Was?“ Ich staune. „Der Syrer ging Bauer an die Gurgel? Na, wenn das kein Motiv ist.“

„Das ist tatsächlich eins“, bestätigt mich Felix. Er hat seine Stirn in tiefe Falten gelegt. „Sicher steckt der Knatsch um das Abfackeln der Behausung für Flüchtlinge dahinter.“ Worauf ich rekapituliere: „Den Brandanschlag zu bearbeiten hat sich unser Chef unter den Nagel gerissen. Und was kommt bei dem raus? Nicht die Bohne.“

Und Felix fügt zu der Kowalski beleidigenden Tatsache an: „Natürlich nichts, denn Kowalski ist eine Niete. Welches Wunder hat aus ihm einen Oberkommissar gemacht?“

„Beziehungen“, zucke ich abfällig mit den Schultern. „Der hat seine Drähte.“

Mein Partner und ich, wir sind ein eingespieltes Team, aber ich bin der Star. Fehlende Erfahrung kompensiere ich mit Eifer und Entschlossenheit. Ich habe den siebten Sinn. Mein Handeln ist besonnen, die Kollegen sagen kopfgesteuert. Dabei bevorzuge ich die ausgefeilte Herangehensweise. Mit der setze ich meine Gegenspieler, in den meisten Fällen sind es die Täter, schnörkellos schachmatt. So liegt meine Aufklärungsrate bei einhundert Prozent, denn mir fällt manches in den Schoß.

Felix dagegen ist luschig. Er ist unbeherrscht und aufbrausend. Um richtig erfolgreich zu sein, hinterfragt er zu wenig. Er ist mehr der Bulldozer und verkörpert die geballte Kraft an Polizeigewalt. Im Einsatz rackert er wie ein Berserker. Er symbolisiert das Fass Sprengstoff, daher ist es phänomenal, wie er die Familie und mich unter den Hut bekommt.

Doch diese Aufteilung geht zu Lasten der Konzentration. Auch wie er sein Fremdgehen geheim hält ist sein Phänomen. Wie er das schafft ist nirgendwo verbrieft. Darin ist mein Partner abgebrüht. Nennt man dass Trennung der Gewaltenteilung?

Ich würde das nicht schaffen, denn ich bin darin anders gestrickt. Jedenfalls konzentriere ich mich wieder auf Mord oder Totschlag.

„Sag mal, Felix. Wie wichtig war Bauer für die Koalition?“

„Nun ja.“

Mein Kollege überlegt.

Nach einer Pause erläutert er: „Wie ein Pate zieht er im Finanzausschuss die Fäden. Vielleicht hat er Grund und Boden der abgebrannten Asylunterkunft unter der Hand vermauschelt. Und der neue Besitzer will eine teure Bebauung.“

„Geht das denn?“

Meine Frage kommt nicht von ungefähr, denn wie manch anderes ist die Kommunalpolitik nicht mein Steckenpferd. Sie ist zu trocken, um das Wort langweilig zu vermeiden. Doch jetzt rächt sich mein Desinteresse, weil ich mittendrin hänge, daher warte ich auf die notwendigen Erläuterungen meines Kollegen.

Und der antwortet knapp: „Bauer macht’s möglich.“

Ich horche auf und denke: Bauer war wohl der King im Politikkäfig. Was hat Bauer zu diesem kolossalen Ruf verholfen? Ist er wirklich ein Übertyp gewesen?

Allerdings erwidere ich lapidar: „Sieh an, Bauer der Schlaumeier.“

Nach der Denkpause frage ich: „Steckt auch der Bauunternehmer Domen mit in dem Schmutz? Der ist nicht nur Präsident der Alemannen.“

Und weil Felix nicht auf meine Vermutung reagiert, gehe ich in mich und verkrieche ich mich in mein nachdenkliches Inneres, bis die Reporterin der Aachener Lokalpresse hereinschneit.

Anja Sondermann ist eine attraktive Mitvierzigerin mit ungebändigter Haarpracht. Die Frau wittert Sensationen zehn Meilen gegen den Wind. Das ist ihr Job. Flink wie der Blitz ist sie die rasende Klatschspaltenreporterin der Region.

Unbehelligt sieht sich Anja den Toten samt Sachlage an. Dann schreitet sie herausfordernd zu uns rüber.

„Aha, der Herr Freitag mit der Dame Sonntag“, sagt sie spitzbübisch grinsend. „Immer noch ein Paar?“

Danach wird sie beruflich. „Na, was haben wir diesmal? Wurde Bauer erschlagen, oder gibt’s ein anderes Todesmerkmal?“

„Bauer wurde mit etwas Rundem niedergeschlagen und danach erwürgt“, antworte ich sachgemäß. „Sehen Sie die Rötung am Hals?“

„Ja… .“

„Das vorweg, alles weitere von unserer Pressestelle.“

Die Pressetante lacht.

„Na, na, warum so förmlich?“

Sie setzt ihre verschwörerische Maske auf und spekuliert: „Denkt dran, ich kann helfen. Zusammenarbeit ist angesagt. Die Artikel über Bauer stammen ausnahmslos aus meiner Feder. Versteht Ihr? Eine Hand wäscht die andere.“

„Liebe Frau Sondermann“, werde ich förmlich, dann mache ich klar Schiff. „Wir braten keine Extrawürste. Aber wie heißt der Asylant, der Bauer an die Kandare nahm?“

„Was? Das wisst ihr nicht?“

Anja wundert sich, was eine peinliche Stille zur Folge hat. Doch sie wäre keine Sensationsreporterin, wenn sie nicht versuchen würde, viele Leckerbissen für ihr Wurstblatt herauszuholen, also schachert sie: „Sage ich es euch, was bekomme ich dafür?“

„Aber Anja“, zische ich empört.

„In Zukunft bekomme ich alle brandheißen Infos aus eurem Stall vor der Konkurrenz auf den Tisch“, klatscht uns Anja um die Ohren. „Versprochen?“

„Na gut“, knurre ich. „Nenn uns den Namen, mache dein Tatortfoto und verdufte. Mehr bieten wir dir nicht an. Wir kriegen ihn sowieso raus.“

Anja grinst und richtet den Fotoapparat auf den Toten, sodass Felix kreischt: „Moment! Zuerst den Namen.“ Die Pressetante unterbricht das Knipsen.

„Der Typ heißt Hassan Hamadi, sagt sie. „Er ist aus der syrischen Großstadt HOMS geflohen und lebt mit anderen Flüchtlingen in einer Mansarde in der Viktoria Allee. Neben einem Büroaushilfsjob ist er in der Hilfe für Flüchtlinge aktiv. Reicht das?“

„Sehr gut, Anja“, lobe ich sie. „Ist an Hamadi sonst noch irgendetwas auffällig?“

Anja wägt mit den Händen ab.

„Ich will’s nicht beschwören“, sagt sie gedämpft, „aber radikalisiert könnte er sich haben. Er hängt als Dauergast in der Moschee herum.“

„Du meinst, er ist ein islamistischer Gefährder?“

Anja rollt mit den Augäpfeln. „Soweit würde ich nicht gehen. Jedenfalls sollte man ihn mal genauer unter die Lupe nehmen.“

„Danke, Anja. Wir geben den Ratschlag weiter.“

Doch Anja ist noch nicht fertig, denn sie holt gezielt zur nächsten Frage aus: „Was macht eigentlich der Brandanschlag? Was hat Oberkommissar Kowalski bei seinen Recherchen rausbekommen? Nichts. Oder?“

„Alle wundern sich über unseren Chef“, stehe ich Rede und Antwort. „Aber du fragst die Falschen. Uns hat er in seine Ermittlungen nicht eingeweiht.“

„Himmel Herrgott“, echoviert sich Anja.

„Woher kommt wohl der Brandstifter? Natürlich aus dem AfD-Umfeld oder der PEGIDA-Bewegung. Das ist jedem klar. Warum tut sich Kowalski so schwer?“ Tja, warum?

Diese Frage stelle ich mir als Polizistin tagtäglich, denn eine Festnahme halte ich für machbar. Jeder Anfänger bei der Kripo hätte längst Vollzug vermeldet.

Aber da Kowalski nicht zu Potte kommt, bestätige ich Anjas Einwurf: „Mit PEGIDA liegst du richtig. Doch trotz der Klarheit hat Kowalski nichts vorzuweisen. Das ist kein Ruhmesblatt für unseren Chef. Was soll ich sonst sagen?“

Anja lacht verächtlich und wechselt das Thema. „Bauer war kein Samariter“, erläutert sie. Er war zwar für das Einrichten der Notunterkünfte zuständig, aber womit tat er das? Mit wackeligen Betten und schäbigem Bettzeug. Rücksichtslos hat er den Kram an die Stadt zu überteuer-ten Preisen verhökert. Er hat sich an der sogenannten Hilfsbereitschaft bereichert. Wusstet ihr das?“

„So in etwa“, winde ich mich heraus.

„Da kann ich verstehen, dass Hamadi schlecht auf den Halunken zu sprechen war. Und der Gauner nannte es Hilfsbereitschaft.“

„Der verdiente sich eine goldene Nase“, rümpft Anja die ihrige. „Wisst ihr eigentlich, was beim Abfackeln in der Flüchtlingsunterkunft los war? Die nackte Angst ging um. Für mich trägt unser Freund Bauer, Gott sei ihm gnädig, die Mitschuld an dem Brandanschlag.“ Ich schaue Anja ernst an, worauf die mir zuzwinkert.

„So, das war’s“, sagt sie. „Bauers Schuld war übrigens spekulativ gemeint. Herrje, ich muss weg. Der Tote soll frisch in die Druckerpresse. Das erwarten die Leser.“

Und der Pressetante auf die Schulter geklopft und sie verabschiedet, mache ich mir Notizen, danach wende ich mich an die Spurensicherung.

„Sprecht mit Nachbarn, sucht Tatzeugen, sichert die Tatortspuren, besonders die vorm Haus“, instruiere ich die Meute. „Ich will jeden Fliegenschiss. Es wäre ja gelacht, hat der Mörder keine Fehler gemacht.“

„Und was jetzt, Sara?“

Felix klingt ratlos. „Was sagt dir dein Bauch?“

Trotz der warmen Witterung ist mir kalt. Ich ziehe den Reißverschluss meiner Jacke zu, dabei kräuselt sich meine Stirnpartie.

„Klar ist, es war eine Spontantat“, rekonstruiere ich, „außer man will uns hinter die Fichte führen. Reden wir mit Bauers Frau. Seine Alte haben wir glatt vergessen.“ Wir staksen hinaus, wo das Busenwunder mit einer Zigarette in der Hand auf und ab geht.

„Wollen sie einen Glimmstängel“, hält sie uns ihre Schachtel entgegen.

„Nein danke. Wir sind Nichtraucher“, erwidere ich für Felix gleich mit und mustere die Vollbusige. Danach stelle ich ihr die Frage: „Frau Bauer. Sind sie in der Lage, uns einige Fragen zu beantworten?“

„Selbstverständlich“, antwortet die. „Fragen Sie.“

Sie wirkt wie eine Gefriertruhe, eiskalt, emotionslos und kontrolliert, gar nicht wie die bis ins Mark erschütterte Frau.

Leidenschaftslos sagt sie über die Gräueltat: „Ich kann mir denken, wer das meinem Mann angetan hat.“

„Ach ja? Na dann raus damit“, fordert Felix. „Erleichtern sie uns die Arbeit.“

„Zuerst war’s ein Geschimpfe und dann das Gepoltere“, murmelt die Witwe. „Dann fuhr ein Mann mit einem Fahrrad davon. Die klappernden Geräusche habe ich gehört.“

„Für Sie war’s ein Mann. Warum keine Frau?“

„Natürlich ein Mann.“

„Woher wissen Sie das? Jedenfalls hat das Poltergeräusch ihr Mann verursacht, als er zu Boden ging“, stelle ich nüchtern fest und verschränke fröstelnd die Arme vor der Brust.

Mit der selbstbewussten Körperhaltung fahre ich fort: „Haben Sie den Radfahrer erkannt? Kommt Ihr Gatte oft sehr spät in der Nacht nachhause? Wo war er nach der Ratssitzung? Und wer war der Radfahrer?“

„Was weiß ich, wer der Radfahrer war?“

Es war eine spontane Antwort, und der lässt die genervte Frau schnarrende Laute folgen: „Vielleicht war’s ein heruntergekommener Flüchtling? Und wo ist mein Mann gewesen. Irgendein Luder hat er aufgetrieben.“

„So einfach sehen Sie das?“

Das sagte Felix naiv und ohne Hintergedanken, worauf er feststellt: „Aha, Ihre Ehe war im Eimer.“

„Was spielt das für eine Rolle? Mein Mann war ein Scharlatan“, knattert die kratzbürstige Witwe herunter. „Nennen Sie mir einen Mann, der was taugt.“

Meine Schadenfreude ist unübersehbar, als ich meinen Partner belustigt angrinse und das Gespräch beende, das den Syrer Hamadi in Bedrängnis gebracht hat.

„Vielen Dank, Frau Bauer“, verabschiede ich sie. „Brauchen sie Beistand?“

„Wozu?“