Cover

ERINNERUNGEN AN INNSBRUCK

Band 3:

Gernot Zimmermann

Eine Million Kilometer durch Innsbruck

„Gewidmet meinen mehr als 200.000 Fahrgästen,
ohne die ich dieses Buch nie hätte schreiben können“

Vorwort

Am 1. Mai 1983 habe ich meine erste Taxi-Schicht angetreten und von der ersten Sekunde an war ich mit dem Droschkenkutscher-Virus infiziert. Bester Beweis – ich bin gleich 36 Stunden lang durchgefahren, also drei Schichten hintereinander.

Ich war über all die Jahre immer ein Taxler aus Leidenschaft und habe diesen Beruf mit großer Freude ausgeübt. Mehr als 17 Jahre lang bin ich hauptberuflich auf Innsbrucks Straßen unterwegs gewesen, danach noch sieben Jahre als Aushilfs-Fahrer. Vor allem an den umsatzstarken Wochenenden, aber auch bei jeder sonstigen Gelegenheit.

Der Titel meiner Erinnerungen an die Zeit als Taxifahrer lautet nicht zufällig „Eine Million Kilometer durch Innsbruck“, die riesig anmutende Zahl dürfte ziemlich gut hinkommen. Sehr schnell habe ich meinen Dienst auf reine Nachtschicht umgestellt, bin auch mal 14 Stunden lang gefahren und meistens sind pro Nacht 200 Kilometer zusammenkommen. Das hochgerechnet auf eine Sechs- bis Sieben-Tage-Woche ergibt dann bald einmal über 60.000 Kilometer durchschnittlich im Jahr. Und tja – mal der vielen Jahre gerechnet ist die Million dann keine reine Phantasiezahl mehr.

Spaßhalber habe ich mir auch über den Daumen ausgerechnet, wie viele Fahrgäste ich in meinen 24 Jahren als Taxler befördert habe. Dabei bin ich – bei höchst konservativer Kalkulation – auf über 200.000 Personen gekommen, wahrscheinlich waren es aber mehr. Denn ich bin im Durchschnitt von 15 Fahrten pro Tag und zwei Personen pro Fahrt ausgegangen, vielleicht ist das zu tief angesetzt.

In jedem Fall aber habe ich – zumindest statistisch gesehen – jeden Innsbrucker und jede Innsbruckerin mehr als einmal im Taxi gehabt.

Wenn man davon ausgeht, dass 99 Prozent aller Fahrgäste keine Probleme machen, dann bleiben, über die Jahre gerechnet, zumindest 2.000 „Problem-Fahrgäste“ übrig. Vielleicht ist aber auch diese Zahl zu tief angesetzt.

In meinen unzähligen Nachtschichten habe ich unfassbar viel erlebt und wenn ich mal im Freundes- und Bekanntenkreis einige Anekdoten aus meinem Taxler-Leben erzählt habe, musste ich immer zuerst vorsortieren: In Geschichten, die man erzählen kann, weil sie unterhaltsam, absurd, gefährlich, kurios, erotisch, traurig, lustig etc. sind und in Geschichten, die man nicht erzählen kann, weil sie schlicht und einfach niemand glauben würde. Und man will ja schließlich nicht als Schwafler dastehen.

Ich nenne ein Beispiel so einer unerzählbaren Story – und um mich nicht als „Wuchteldrucker“ verdächtig zu machen, habe ich eine Geschichte ausgesucht, die ich nicht selber erlebt habe, die aber absolut verbrieft ist: Ein Kollege fährt eines Nachts mit einem Fahrgast ins Mittelgebirge. Plötzlich zieht der Mann einen schweren Revolver und zielt auf den Kopf des Taxlers. Er werde ihn jetzt umbringen und dann lebenslänglich ins Gefängnis gehen, denn er habe einfach keine Lust mehr. Der Taxifahrer bettelt weinend und wortreich um sein Leben, erfindet dabei Ehefrau samt fünf Kindern und bietet dem Täter von der Geldtasche übers Handy bis zur Armbanduhr alles an, was sich an Wertgegenständen im Auto befindet. Daraufhin ändert der Mann seinen Plan und lässt sich in die Langstraße zur Pradler Wachstube chauffieren und geht mit dem Taxler als Geisel in die Polizeiinspektion hinein. Dort liefern sich Täter und Polizisten ein minutenlanges Schreiduell mit gezogenen Waffen, der arme Taxler mittendrin und auf den Knien, die ganze Zeit die 357er Magnum am Kopf. Der irre Fahrgast will offensichtlich erschossen werden – heute kennt man derartiges Verhalten als „Suicide by Cop“. Diesen „Gefallen“ machen die Beamten dem Geiselnehmer dann nicht, sie können ihn irgendwann überwältigen und festnehmen, der Taxifahrer bleibt zum Glück unverletzt. So – und jetzt erzähl diese Geschichte mal bei einem bunten Abend …

Tatsächlich werde ich auch im vorliegenden Buch einige meiner Erlebnisse als Taxler vorsichtshalber auslassen müssen, zu sehr würden sie nach reiner Fiktion klingen. Ich bin überzeugt, dass die allermeisten Taxifahrerinnen und Taxifahrer dieses „Problem“ gut kennen, manche Erlebnisse muss man einfach für sich behalten. Es sind aber, so hoffe ich doch sehr, noch genug interessante Storys übrig geblieben.

Vermutlich ist jede Rückschau auf das eigene Leben mit einigen Sentimentalitäten verbunden, das wird im vorliegenden Buch nicht anders sein. Aber ich werde mich bemühen nicht den Fehler zu machen, meine Jahre als Taxilenker zu verklären oder der „guten, alten Zeit“ über Gebühr nachzutrauern. Auch wenn die Zeit als „Desperado der Innsbrucker Nacht“ zur aufregendsten Zeit meines ganzen Lebens gehört.

Neben meinen persönlichen Erinnerungen möchte ich versuchen, einen Einblick in das Leben eines hauptberuflichen Taxifahrers zu geben und zu zeigen, warum dieser Job mit keinem anderen zu vergleichen ist.

Innsbruck, im Jänner 2018

Eine Million Kilometer durch Innsbruck

„Wie alles begann“

Dass ich Taxifahrer geworden bin, ist eigentlich einem reinen Zufall zu verdanken. Noch drei, vier Monate vor der Taxilenker-Prüfung hätte ich mir niemals vorstellen können, einmal Fahrgäste durch Innsbruck zu kutschieren. Zwar hatte ich schon den PKW-Führerschein, aber mangels eines eigenen Autos verfügte ich über keinerlei Fahrpraxis. Also war Taxifahren überhaupt keine berufliche Option für mich.

Ich hatte zu dieser Zeit – Ende 1982 – meine Lehre als Großhandelskaufmann längst abgeschlossen und war im „Kaufhaus Tyrol“ als Lagerist tätig. Grundsätzlich war das kein schlechter Job, ich war schon länger als ein Jahr dort angestellt und durfte auch schon einiges an Verantwortung übernehmen. Allerdings war die Bezahlung eher erbärmlich, denn 6000 Schilling netto waren 1982 ein gar kärgliches Salär, meine winzige Wohnung in der Höttinger Au kostete schon zwei Drittel meines Einkommens. Und dass ich den ganzen Tag lang ausschließlich bei künstlichem Licht arbeiten musste, machte mir zusätzlich zu schaffen. Richtig glücklich war ich also nicht.

Dann lernte ich Marietta kennen. Sie war etwas jünger als ich und ihre Eltern waren eingesessene Taxiunternehmer in Innsbruck. Marietta hatte schon den Taxi-Führerschein, mit Ausnahmegenehmigung, weil sie eigentlich zu jung dafür war. Und sie war Nacht für Nacht auf Innsbrucks Straßen unterwegs, eine Taxlerin aus Leidenschaft.

Ich lernte von Marietta, was „auflegen“ heißt (eine Fahrt aufnehmen), warum Taxler manchmal „blind stehen“ (Fahrgast kommt nicht) oder auf welchen Standplätzen man Gefahr läuft „abzubrennen“ (lange keinen Auftrag zu bekommen). Zum ersten Mal hörte ich Begriffe wie „Schießen“ (den Chef um eine Fahrt prellen), „Funksperre“ (kein Funkauftrag für gewisse Zeit bei Verfehlungen) oder „Glatteis“ (Radarkontrolle der Polizei).

Durch Mariettas spannende Erzählungen aus ihrem Berufsalltag entwickelte ich zunehmend mehr und mehr Interesse an diesem Job und meldete mich schließlich für

„Die Taxilenker-Prüfung“

beim Wirtschaftsförderungsinstitut (WIFI) an.

Vor der Prüfung galt es einen mehrstündigen Kurs zu absolvieren, bei dem man mit der Straßenverkehrsordnung, der Betriebsordnung, der Tarifordnung usw. vertraut gemacht wurde.

Der größte Stolperstein auf dem Weg zum Taxifahrer war seinerzeit zweifelsohne die Geographie-Prüfung und ich garantiere bei meiner Ehr’, dass diese Prüfung heute KEIN EINZIGER Taxilenker in Innsbruck mehr bestehen würde. Wirklich kein einziger. Denn heute würde gegen eine derartige Prüfung wohl erfolgreich Klage eingebracht werden, so etwas ließe sich heute niemand mehr bieten.

So wurde damals ganz selbstverständlich vorausgesetzt, dass man alle Straßennamen Innsbrucks zu kennen hat. Und das sind immerhin an die 650 verschiedene Straßen, Gassen, Plätze, Steige oder Wege, Vill und Igls gar nicht mitgerechnet. Dazu mussten einem sämtliche Umlandgemeinden ein Begriff sein – von Telfs bis Jenbach, vom Brenner bis Seefeld, natürlich auch die wichtigsten Ortschaften der Täler. Und in Absam, Hall, Wattens, Schwaz, Völs, Zirl usw. sollte man auch die zumindest wichtigsten Straßen kennen. Schließlich waren elektronische Routenplaner noch längst nicht erfunden, die Taxler hatten sich dementsprechend auszukennen, das wurde allgemein vorausgesetzt. Hätte mich damals jemand gefragt, was ein Navigationsgerät ist, ich hätte ohne zu zögern mit „Sextant“ geantwortet und „TomTom“ hätte ich für einen ziemlich dämlichen Doppelnamen gehalten.

Auf die Taxilenker-Prüfung hatte ich mich ernsthaft und akribisch vorbereitet – die Tarife kannte ich alle auswendig, die Paragraphen der Betriebsordnung ebenso und auch der theoretischen Verkehrsprüfung konnte ich entspannt entgegensehen. Blieb „nur“ noch die Sache mit der Geographie. Aber ich war in den letzten Tagen und Wochen mit dem Innsbrucker Stadtplan buchstäblich ins Bett gegangen und hätte man mich um drei Uhr morgens aus dem Schlaf gerissen und gefragt: „Sechste Querstraße rechts in der Erzherzog-Eugen-Straße in Fahrtrichtung Süden!“, meine Antwort wäre zweifelsohne und postwendend: „Mozartstraße!“ gewesen – ich war also bereit.

Durchgeführt wurde die Abfrage der Geographie-Kenntnisse von Herrn Ing. Heinz Flecker persönlich, er war so etwas wie der „Capo di tutti Capi“ des Innsbrucker Personenbeförderungsgewerbes. Lebenslanger Taxifahrer, Unternehmer mit mehreren Fahrzeugen, multipler Kammerfunktionär, Gründer und Chef der größten Innsbrucker „Funktaxigesellschaft 2 77 11“ und darüber hinaus vollkommen humorbefreit, wenn es um das Abfragen der Geographie-Kenntnisse von Taxilenker-Aspiranten ging.

Als Aufwärmübung fragte Herr Flecker gleich einmal zwanzig, dreißig Straßen ab – darunter so berühmte Innsbrucker Flaniermeilen wie Seidenweg, Pfeisweg, Amberggasse, Wolfsgrube, Blücherstraße oder den romantischen Galgenbühelweg. Auch wollte er von mir wissen, wo denn die Moltkestraße sei. Vor dieser Frage hatte mich Marietta bereits gewarnt, denn in der Moltkestraße wohnte Herr Flecker selber. So konnte ich locker mit „Von Saggen kommend auf die Pembauerstraße nach Süden in Richtung Langstraße, nach der Sillbrücke zweite Straße rechts, Zufahrt ist nur über die Lützowstraße möglich“ antworten. Dann noch schnell drei, vier Konsulate, sechs, sieben Kirchen, sowie die wichtigsten Polizei-Wachzimmer. Danach hat dann die eigentliche Prüfung begonnen und ich erinnere mich heute noch ganz genau an die Fragen:

1. Die Verbindung nördlich des Inns vom Gasthaus Kranebitten bis zur Dachpappenfabrik Dörr. Dabei galt es, nicht nur alle zu befahrenden Straßen aufzuzählen, sondern auch sämtliche Querstraßen entlang der Route, immer schön der Reihe nach links und rechts.

2. Frage: Vom Flughafen zur Endstation der Straßenbahnlinie 3, ebenfalls mit allen Querstraßen links und rechts – die Freiburger-Brücke war damals übrigens noch nicht gebaut, man fuhr noch durch die Museumstraße.

3. Frage: Fahrt nach München, nennen Sie drei verschiedene Routen mit Kilometerangabe und mit den wichtigsten Ortschaften.

4. Frage: Kleine Südtirol-Rundfahrt, dazu als Draufgabe gleich noch die große Südtirol-Rundfahrt, jeweils mit Kilometerangabe und den wichtigsten Ortschaften.

Und weil wir schon so nett beim Plaudern waren, durfte ich Herrn Flecker dann noch meine Kenntnisse über die Routenplanung einer Ausflugsfahrt zu den niederbayrischen Königsschlössern kundtun, außer Konkurrenz sozusagen. Beinahe unnötig hinzuzufügen, dass ich in meinem ganzen Leben nie einen Taxler kennengelernt habe, der jemals eine Tour zu den Königsschlössern aufgelegt hat oder gar eine Südtirol-Rundfahrt, weder die große noch die kleine. Bozen ja, München über die Autobahn auch ja – aber gleich eine ganze Rundfahrt?

Übrigens sind damals mit mir etwa 20 weitere Kandidaten zur Prüfung angetreten, zum Taxler geschafft haben es neben mir gerade mal noch zwei andere – das war aber ein völlig normaler Durchschnitt.

Mit dem Taxilenkerausweis in der Tasche heuerte ich augenblicklich bei Mariettas Eltern an und ausgerechnet am „Tag der Arbeit“, am Sonntag, den 1. Mai 1983, setzte ich mich zum ersten Mal in meinem Leben auf den Fahrersitz eines Taxis und feierte – standesgemäß an einem Feiertag –

„Meine Premiere als Taxifahrer“

Abb_1_Premiere.jpg

Der Wagen 26 war am Adolf-Pichler-Platz geparkt, die Autoschlüssel auf dem linken Vorderreifen hinterlegt und um 6 Uhr früh stieg ich ein. Die ersten zwanzig Minuten meiner Taxler-Karriere verbrachte ich damit, dass ich verzweifelt versuchte, die Arretierung der Handbremse zu lösen. Wagen 26 war ein Mercedes 240 Diesel, die Handbremse betätigte man bei diesem Modell mit einem Fußpedal und löste sie mit einem kleinen Hebel links vom Lenkrad. Wer soll denn so etwas wissen?

Aber schließlich brachte ich den schönen, dunkelblauen Wagen doch noch in Bewegung und steuerte – Tipp von Marietta – den Standplatz „Sonnpark“ in der Amraser Straße an, da könnte in der Früh was gehen. Tatsächlich wartete ich nur etwa zwanzig Minuten lang und wurde dann per Funk zu meinem allerersten Auftrag geschickt: „Wagen 26. In die Defreggerstraße 29 bitte.“

Die Fahrt ging dann zum Pradler Friedhof, dort hatte ich einige Minuten zu warten, danach chauffierte ich die ältere Dame wieder zurück in die Defreggerstraße. Super – gleich zwei Fahrten auf einmal (eigentlich nicht, denn im Taxijargon nennt sich das „Retour-Fuhre“, aber das konnte ich damals noch nicht wissen). Und es sollte gleich noch ein weiterer Auftrag dazu kommen, denn die Dame bestellte mich für den morgigen Tag vor, da möchte sie bitte in die Klinik gefahren werden.

Im Prinzip war ich von dieser allerersten Taxi-Fahrt an mit einem Virus infiziert, der mich viele Jahre lang nicht mehr losgelassen hat. Als Beweis mag gelten, dass ich an diesem 1. Mai 1983 einfach nicht genug kriegen konnte und gleich noch die Nachtschicht dranhängte. Und weil ich ja in der Defreggerstraße 29 vorbestellt war, bin ich der Einfachheit halber die darauffolgende Tagschicht auch noch gefahren.

Als ich den Wagen 26 dann am 2. Mai um 18 Uhr wieder am Adolf-Pichler-Platz abstellte, war ich 36 Stunden lang ohne nennenswerte Pausen durchgefahren und hatte an die 60 Mal aufgelegt. Mein erster Chef – der legendäre Alfred Wakolbinger – hat über meinen Arbeitsanfall nur den Kopf geschüttelt, über die mehr als 4.000 Schilling Umsatz hat er sich aber wahrscheinlich schon gefreut. Immerhin hat er mich sofort fix angestellt und ab diesem Moment war ich ein sogenannter Berufsfahrer, ein Profi-Taxler.

Jetzt war nur noch die Entscheidung zu treffen, ob ich zukünftig als

„Tag- oder Nachtfahrer“

tätig sein würde.

Abb_2_Tag_Nacht.jpg

Vorerst entschied ich mich für die Tagschicht, bei Tageslicht konnte ich wenigstens die Hausnummern lesen, für die Nacht fühlte ich mich noch nicht sicher genug, denn ein Profi war ich natürlich nur theoretisch. Ich musste noch verdammt viel lernen.

Wenn ich mich richtig erinnere, hat es 1983 in Innsbruck knapp 130 Taxis gegeben und die waren fast alle in der „Innsbrucker Funktaxi-Gesellschaft 2 77 11“ vereinigt. Einzelne Kollegen waren ohne Funk unterwegs und seit ein paar Jahren versuchte sich eine zweite Taxi-Funkgesellschaft unter der Telefonnummer „45 500“ zu etablieren. Weil diese Taxis giftgrüne Werbeaufkleber auf ihren Dachleuchten trugen, wurden sie schnell als „Frösche“ bezeichnet. Ein Name, der über Jahrzehnte hinweg Gültigkeit hatte.

Ich war ein „2 77 11er“ und der Wagen 81 war die ersten paar Monate über mein täglicher Arbeitsplatz. Bis ich den weißen Mercedes 220 D eines Vormittags im Bereich Amraser-See-Straße/Geyrstraße mittels Kaltverformung in einen Totalschaden verwandelt habe. Ich war rückwärts aus einer Einfahrt auf den Südring gefahren, hatte einen Mercedes 280 SE übersehen und der krachte mir mit gut 80 km/h seitlich ins Heck.

Diesem spektakulären Crash und meinen zahlreichen anderen Unfällen werde ich ein eigenes Kapitel widmen müssen, zu meiner ersten kapitalen „Breze“ sei noch schnell gesagt, dass zumindest alle Beteiligten unverletzt geblieben sind.

Ich meldete den Unfall damals natürlich sofort über Funk Herrn Wakolbinger, der an diesem Tag ebenfalls im Taxi unterwegs war. Sein mürrisches „Kommen S’ in die Maria-Theresien-Straße, ich wart auf Sie“ musste ich bedauerlicherweise mit „Das geht nicht, das Taxi hat leider kein Heck mehr und schaut aus wie ein großes L“ beantworten. Herr Wakolbinger hat mir diesen Unfall durchgehen lassen und einige andere auch noch. Doch davon wird, wie gesagt, später noch die Rede sein.

Lange bin ich aber nicht als Tagfahrer unterwegs gewesen, denn bald einmal lockte mich die Nacht. Einerseits mochte ich die Hitze des Tages nicht – damals hatte noch kaum ein Auto eine Klimaanlage – und andererseits störten mich zunehmend der starke Verkehr und der permanente Lärm. Ich hatte es satt, am Standplatz Westbahnhof beinahe in den Lautsprecher kriechen zu müssen, um die Funkaufträge zu verstehen, weil LKW und Busse einen Meter vor meiner Kühlerhaube mit einem 60er vorbeidonnerten. Und ich hatte es satt, dass ich zu Stoßzeiten vom Innrain in die Pradler Straße mehr als 20 Minuten lang im Stop-and-go-Verkehr unterwegs war. Dazu kommt natürlich noch das Tages-Publikum – eilige Geschäftsleute, Touristen am Weg zum Flughafen, ältere Personen mit ihren unvermeidlichen Krankengschichten oder gestresste Mütter mit drei kleinen Kindern und vier schweren Einkaufstaschen. Also alles nicht unbedingt das, was einen 21-Jährigen kirre macht.

Das war in der Nacht von Anfang an völlig anders – denn da sind die Geschäftsleute längst privat unterwegs, die Touristen abgeflogen, die ältere Generation ist meist schon im Bett und die Mütter mit den kleinen Kindern liegen erschöpft vom Tagwerk daheim auf der Couch.

Vom Innrain bis in die Pradler Straße brauchte ich nachts fünf Minuten, konnte mir dabei die kühle Nachtluft um die Nase wehen lassen und statt dem unerträglichen Verkehrslärm hörte ich im Morgengrauen die Vöglein zwitschern. Der Umstieg ist mir also nicht wirklich schwer gefallen.

In der Nacht war nicht nur das Publikum ein völlig anderes, es waren natürlich auch andere Kollegen unterwegs – die Schichten gewechselt haben damals nur wenige. Unter den Nacht-Taxlern und natürlich auch unter den Nacht-Taxlerinnen hat es unvergessene Typen gegeben, an viele davon erinnere ich mich bis heute. Zum Beispiel an den wohl besten und vor allem erfolgreichsten Taxifahrer, den Innsbruck je gesehen hat – den unvergleichlichen Heinz S. Bekannt war er unter seinem Spitznamen

„Der Geier-Heinz“

Gleich vorweg – die Bezeichnung „Geier“ hatte nichts mit dem Aussehen von Heinz zu tun. Er hatte keine Hakennase, keinen stechenden Blick und meines Wissens auch keine besondere Vorliebe für Aas. Der Name leitete sich von „geiern“ ab, damit bezeichnet der Taxler die Arbeitsweise eines Kollegen, der mit allen Mitteln versucht, an so viele Aufträge wie möglich zu kommen. Das klingt grundsätzlich nicht unvernünftig, aber man kann den Job auch weit gemütlicher angehen und die meisten Taxler tun das auch.

Geier sind also eher die Ausnahme im Geschäft, aber es hat sie immer wieder gegeben, ich war ja selber einer. Doch der „Geier-Heinz“ war absolut einzigartig, er war quasi die Mutter aller Geier und ich behaupte, dass er bis heute unerreicht ist.

Heinz war unüberhörbar Vorarlberger und er war alimentezahlender Vater von Zwillings-Mädchen. Diesbezüglich musste er sich im engeren Kollegenkreis einiges an Häme gefallen lassen, denn seine beiden Kinder entstammten einem One-Night-Stand. Also kombinierten wir Taxler messerscharf: „Ein Schuss, zwei Treffer!“

Der „Geier-Heinz“ war studierter Betriebswirt und er hat auch – ich glaub da war er damals der einzige Taxler in Innsbruck – einen Magistertitel getragen. Aber er war trotzdem ein sehr intelligenter Bursche, ich hab ihn von Beginn an sehr gemocht und noch mehr bewundert.

Der Heinz ist in meinen Anfangsjahren immer mit einem roten Audi 80 der Firma Eberl unterwegs gewesen – Wagennummer 04. Und wenn ich „immer“ sage, dann ist das wörtlich zu nehmen. Denn der „Geier-Heinz“ ist sieben Mal die Woche gefahren – in der Wintersaison stets 14 Stunden lang, manchmal noch mehr. Und in jeder einzelnen dieser zahllosen Stunden ist er immer voll auf Angriff gefahren, hat sich mit schnellen Funkfingern jeden möglichen Auftrag gekrallt, spezialisiert war er auf die sogenannten „Raumaufträge“. Die wurden von der Zentrale dann ausgegeben, wenn die betreffenden Standplätze nicht besetzt waren und wer sich am schnellsten meldete, bekam den Auftrag. Das hastige „04 übernimmt“ vom „Geier-Heinz“ hörte man mehrmals am Tag und es klingt mir heute noch in den Ohren.

Der Heinz war auch berühmt dafür, jeden noch so grindigen „Sonderauftrag“ zu übernehmen. „Sonderauftrag“ bedeutet, man befördert statt Fahrgästen Grillhühner, Bier, Rosen, Zigaretten usw. zu den jeweiligen Auftraggebern. „Sonderaufträge“ waren bei vielen Taxlern beliebt, denn die konnte man leicht „schwarz“ abwickeln, weil niemand auf das Einschalten des Taxameters bestand. Außerdem konnte man sich ein besseres Trinkgeld erhoffen, denn in der Nacht sitzt das Geld bekanntlich lockerer in der Tasche als am Tag.

Der Heinz hat dann seine Verdienstmöglichkeiten noch zusätzlich erweitert, indem er schon im Voraus und untertags stangenweise Zigaretten (die gängigsten Marken) und kistenweise Bier (ebenfalls die gängigsten Marken) einkaufte. So profitierte er von der Preisdifferenz, denn der Kunde akzeptierte natürlich spätnachts die oft weit überhöhten Tankstellenshop- bzw. Gasthauspreise.

Einmal hat er einem Kollegen am Standplatz eine feurige Chips-Spezialität aus Asien ins Fahrzeug gereicht. Heinz war ein Travel-Freak, verbrachte jedes Jahr einen langen Erholungsurlaub in Thailand und von seinem letzten Aufenthalt hatte er sich eine ganze Menge dieser exotischen Chips-Tüten eingepackt. „Und? Wie schmecken dir die Chips?“, fragte Heinz nach ein paar Minuten den Kollegen und dieser antwortete: „Etwas ungewohnt vielleicht, aber echt nicht schlecht.“ Daraufhin meinte Heinz trocken: „Macht drei Schilling. Danke.“ So war er, der Heinz – immer getreu dem Motto: Kleine Fischerl, gute Fischerl, Kleinvieh macht auch Mist.

Der „Geier-Heinz“ war mir zum Glück sehr gewogen, denn er hat mich in unzähligen Gesprächen tief in die Geheimnisse des erfolgreichen Taxifahrens eingeweiht. Er erzählte mir von seinen vielen Tricks, führte mich in seine umfangreichen Statistiken ein und zeigte mir die daraus resultierenden Wahrscheinlichkeitsberechnungen. Damit konnte er voraussagen, in welchem Monat an welchem Wochentag zu welcher Uhrzeit welcher Standplatz eigentlich einen Auftrag hergeben müsste. Ich bin dem „Geier-Heinz“ immer im vollsten Vertrauen „nachgefahren“, wie das im Taxi-Jargon genannt wird. Das bedeutet, sah ich ihn irgendwo stehen, dann hab ich mich sofort hinter seinem roten Audi angestellt. Hinterm Heinz ist man meistens sehr schnell weggekommen …

Er kannte natürlich sämtliche Ankunfts- und Abfahrtszeiten der Züge am Hauptbahnhof auswendig, ebenso alle Starts und Landungen am Flughafen. Er beschäftigte sich auch mit den Betriebszeiten der Busse und Straßenbahnen der Innsbrucker Verkehrsbetriebe und fuhr kurz nach Betriebsschluss immer wieder mal die Haltestellen ganzer Linien ab, um nach sinnlos wartenden IVB-Kunden Ausschau zu halten. Schon im November wusste er alle Termine der kommenden Ballsaison und er hatte die exakten Uhrzeiten sämtlicher Vorbestellungen von Dauerkunden im Kopf.

Wenn ich am Standplatz bei ihm im Auto saß und er einen Auftrag bekam, konnte er sehr oft voraussagen, wohin die Fahrt gehen wird. Das hörte sich dann in etwa so an: „Wagen 04, in die Riedgasse 19 bitte!“ „Riedgasse 19, danke!“ Heinz dachte nur einen Augenblick nach und sagte dann: „Ah, der mit der Halbglatze und dem Hund. Der fährt in die Glungezerstraße, höchstens vier Schilling Maut. Keine schlechte Fuhre, aber um die Zeit krieg ich im O-Dorf die nächsten eineinhalb Stunden keinen Funkauftrag und an einem normalen Dienstag nach 2 Uhr früh kriegst da höchstens einmal pro Woche einen Einsteiger. Shit, muss ich also danach wieder leer in die Stadt zurückfahren. Ciao!“

Ich hörte von Heinz auch zum ersten Mal den Begriff „Power-Napping“ und hab diese kurzen Erholungsschläfchen vom ersten Moment an praktiziert, das ist mir in endlos langen Schichten oft sehr hilfreich gewesen.

Der „Geier-Heinz“ hat mir sein Taxi-Wissen stets ohne jegliche Gegenleistung offenbart, von anderen Kollegen soll er dafür Geld verlangt haben, vor allem für Kopien seiner akribischen Statistiken. Aber das weiß ich nur vom Hörensagen.

Einmal, es wird Anfang 1984 gewesen sein, hab ich mich wieder einmal beim Standplatz Kongresshaus zum Heinz ins Auto gesetzt. Er war allerbester Laune und zeigte mir seine Aufzeichnungen vom vergangenen Dezember. Er war natürlich an allen 31 Tagen unterwegs gewesen, jeweils von 17 Uhr bis 9 Uhr oder bis sich halt die Ablöse gemeldet hat. Heinz hatte in diesem einen Monat an die 70.000 Schilling verdient und ich zweifelte nicht eine Sekunde daran, dafür kannte ich ihn inzwischen lange genug. „Das ist um einiges mehr, als ein österreichischer Minister netto im Monat verdient“, grinste er stolz und dann erzählte er mir noch von seinem Traum, einmal in einer Schicht einhundert Mal aufzulegen …

Ob er dieses Ziel jemals geschafft hat – ich weiß es nicht. Aber theoretisch wäre es wohl möglich gewesen, denn mein persönlicher Rekord liegt bei 77 Fuhren in 14 Stunden, aufgestellt am Faschings-Dienstag 1986. Aber das ist schon wieder eine andere Geschichte.

Neben dem „Geier-Heinz“ hat es in meiner Anfangszeit noch eine ganze Reihe von ganz speziellen Typen unter den Taxifahrern gegeben und ein paar dieser

„Innsbrucker Parade-Taxler“

möchte ich vor den Vorhang holen. Gut, gemmas an:

Schon allein durch sein Äußeres hat sich bei einem älteren Kollegen der Spitzname „Der Käp’tn“ ergeben. Denn er trug stets eine weiße Schiffskapitäns-Mütze und mit seinem silbergrauen Vollbart hat er ausgeschaut wie der Fischstäbchen-Mann aus der Iglo-Werbung. Viel hab ich nicht mit ihm zu tun gehabt, ich war noch ein Greenhorn, also uninteressant für einen Profi. Aber wenn er seinen Seemannsgarn über das Taxigeschäft ausgepackt hat, dann hab ich immer ganz genau zugehört und viel dabei gelernt.

Unvergessen ist mir auch Franz Müller geblieben, ein Unternehmer, der immer mit besonders hochwertigen Fahrzeugen unterwegs gewesen ist. Vielleicht hat er auch deshalb nie einen Fahrer beschäftigt: „Ganze Waggon-Ladungen an Aushilfsfahrern könnt’ ich kriegen, aber bei mir hat keiner eine Chance. Weil die Scheiß-Studenten machen dir nur das Auto kaputt, ich seh’ ja den ganzen Tag, was die aufführen.“ Da hatte „der Müller“, wie er genannt wurde, wohl nicht einmal so unrecht.

Einmal haben wir am Bahnhof – das war so ziemlich der einzige Standplatz in Innsbruck, den der Franz angefahren ist – Fußball gespielt. Wie es manchmal so kommt, hat sich der Ball in einem Baum verfangen und der Müller Franz ist raufgeklettert, um ihn runterzuholen. Das ist ihm auch wunderbar gelungen und beim Herunterkraxeln hat ihn schon ein Polizist erwartet, der ihn dann streng abgemahnt hat, Straftatbestand: Grober Unfug. Bezahlen hat er aber nichts müssen.

Eine Story vom Müller Franz habe ich noch und bei der habe ich mich königlich amüsiert, obwohl mir der Franz gleichzeitig auch leid getan hat. Er hatte nämlich die Angewohnheit, dass er nach jeder Fahrt seinen wunderschönen Mercedes putzte. Mit absoluter Hingabe, ich habe ihn hundertmal dabei beobachtet, wie er wieder einmal das ganze Fahrzeug mit einem Spezialtuch abgeledert hat. So auch an einem eisigkalten Wintertag, kein Wetter konnte der manischen Putzsucht von Franz Einhalt gebieten, alle Taxler haben darüber geschmunzelt. Der Franz ist also schwer mit der Autopflege beschäftigt und bekommt dann doch tatsächlich um 2 Uhr früh Einsteiger nach Zürich. Chapeau Müller – die drei Fahrgäste hatten sich extra seine große Limousine ausgesucht, weil sie sehr viel Gepäck dabei hatten. Mit einem breiten Grinsen und dem ersten Koffer in der Hand schritt Franz zur Tat und wollte das schwere Gepäckstück in den Kofferraum hieven. Doch leider – der war nicht und nicht aufzukriegen, das Ding ist schlicht und ergreifend zugefroren. Der Franz hat dann minutenlang und so heftig am Kofferraumdeckel gerissen, dass der schwere Mercedes beinahe schon aus seiner Federung gekommen ist – aber das Schloss blieb eisern zu. Da ist ihm dann leider nichts anderes übrig geblieben, als den Auftrag weiterzugeben und angefressen und enttäuscht nach Hause zu fahren.

Ebenfalls erwähnenswert ist der Max, dessen Namen man englisch ausspricht, also Mäx. Der Mäx war ein echtes Unikum, denn er war der erste Transvestit, den ich in meinem Leben kennengelernt habe. Er hat sich – wie man so schön sagt – echt nichts geschissen und ist mit seinen langen Haaren, den rot lackierten Fingernägeln, geschminkt und in Stöckelschuhen Taxi gefahren. Und das in den 1980er-Jahren! Noch dazu war der Mäx ein ausgesprochen männlicher Typ, mit eher kantigen, herben Gesichtszügen. Und so – als Mann und geschminkt wie eine babylonische Tempelhure – musst du dich erst einmal in die „Drei Musketiere“, ins „Cafe Olympia“, in den „Toten Hund“ oder ins „Reichenauerstüberl“ hinein trauen und deine Fahrgäste abholen. Der wird wohl einiges miterlebt haben.

Wie ich den Mäx dann ein wenig näher kennengelernt habe, wusste ich, dass er kein Transvestit ist, sondern eine Trans-Gender-Person. Kurze Zeit später hat er sich dann eh umoperieren lassen und sich von da an Maxine genannt, ebenfalls mit einem „Ä“. Unvergessen ein Spruch seines damaligen Unternehmers: „Also seit sich der Mäx zur Frau umoperieren hat lassen, kann er nimmer gescheit Autofahren und Einparken schon gar nicht.“ Ob Mäxine auch darüber gelacht hat? Wahrscheinlich schon, der Mäx war ein durchaus geerdeter Typ und als Mäxine wird sie kein anderer Mensch geworden sein.

Den Mäx hab ich meistens am Standplatz Panorama angetroffen und das war (und ist!) auch der absolute Lieblingsstandplatz vom „Prinz Eisenerz“. Wie der Name schon verrät, hat er die typische Prinz-Eisenerz-Frisur getragen, in Wirklichkeit hat er Bert Koch geheißen und heißt natürlich noch heute so. Auch die eigenwillige Frisur trägt er immer noch, ein bisserl grau ist er halt geworden, der Bertl.

Wir haben uns von der ersten Sekunde an ausgesprochen gut verstanden und sind schnell Freunde geworden. Bert hat – nomen est omen – in der Kochstraße gewohnt und in seiner winzigen Wohnung sind wir oft stundenlang zusammengesessen. Bertl Koch ist ein ausgesprochen kluger, ja intellektueller Mensch und ich bin ihm immer an seinen Lippen gehangen, wenn er über irgendein Thema doziert hat. Er war mit einem herrlichen Humor ausgestattet und wir haben unheimlich viel gelacht. Ich kann mich noch erinnern, wie er seinerzeit etwas über eine Million Schilling geerbt hat. In bar. Bertl hat sich damit drei Wunschträume erfüllt – ein paar Thonet-Stühle, eine Rolex-Uhr und beinahe 1.000 (!!) Bücher, für die er eine elendslange Liste angefertigt hatte. Na ja, was sollte ein Intellektueller wohl sonst mit einer Million machen …?

Natürlich habe ich auch einige ganz liebe Kolleginnen gehabt, vor allem natürlich die Marietta. Sie hat mich ja zum Taxeln gebracht und ihre Eltern Doris und Alfred waren meine ersten Chefs. Wir haben sehr viel auch privat unternommen und uns manchmal herrliche „Koch-Duelle“ geliefert, bei deren Ergebnis-Verkostung oft auch Doris und meine Tochter Nadja mit dabei waren. Marietta ist den Taxi-Virus nie in ihrem Leben los geworden und sitzt heute noch hinter dem Steuer. Ihre Erinnerungen müsste sie wohl „3.000.000 Kilometer durch Innsbruck“ nennen und ich wünsche mir für sie, dass noch viele hunderttausend Kilometer dazukommen.

Stadtbekannt als Taxifahrerin war auch die Marlies, sie war berühmt als die „Taxlerin mit Hut“. Denn ohne Kopfbedeckung ist die sympathische Oberländerin nie in ihr Taxi gestiegen und wenn sie einmal keinen Hut getragen hat, dann wenigstens ein keckes Barette. Wenn wir am Standplatz beim „Kaufhaus Tyrol“ Schmäh geführt haben, dann war ihr lautes Lachen bis tief in die Altstadt hinein zu hören – und wir haben verdammt oft etwas zu lachen gehabt. Als gute Freundin von Marietta habe ich Marlies auch privat näher kennengelernt und wenn ich einmal ein Taxi gebraucht habe, dann bin ich meistens mit ihr gefahren. Auch sie hat unfassbare Sachen im Taxi erlebt, ein paar davon habe ich eh in einem „ECHO“- Artikel veröffentlicht, bei dem es um Nacht-Taxifahrerinnen gegangen ist. Marlies hat mir erst vor ein paar Monaten ein SMS geschickt, dass sie mit dem Taxifahren Schluss gemacht hat. „Ich hab die Schnauze voll, ich halt die ganzen kranken Typen einfach nicht mehr aus.“ So oder ähnlich hat sie mir später am Telefon den Grund dafür genannt und ich freue mich für sie, dass es ihr jetzt besser geht.

Und welcher Parade-Taxler fällt mir noch ein? Ein paar hat es da natürlich schon noch gegeben, den Helli etwa, den „Bürgermeister von Hötting“, oder den Perus, einen hochklugen Perser, mit dem ich am Westbahnhof stundenlange Gespräche geführt und hunderte Becher Automaten-Kaffee getrunken habe.

Oder den guten, alten Salem, den ich immer mit „Salam alaikum Habibi“ am Funk begrüßte und der mir mit seinem starken ägyptischen Akzent antwortete: „Salam alaikum, Gerrrrnot!“ Einmal habe ich den Salem am Weg von Igls herunter rechts am Straßenrand stehen sehen. Es schneite, er war mit seinem BMW-Taxi ins Schleudern gekommen und traute sich keinen Meter mehr weiterzufahren: „Bitte Gerrrrnot, bring mein Taxi da weg, fahr mich nach Hause, ich zahl dir alles.“ Natürlich habe ich ihm für einen Ultra-Spezialpreis diesen Wunsch erfüllt und bei dieser Fahrt habe ich Salem gezeigt, wie man seine Heckschleuder quer in jede Kurve treiben kann und wie viel Spaß das Driften macht. Ich habe in dieser halben Stunde Vorführunterricht einige klangvolle, arabische Stoßgebete vom Beifahrersitz her vernommen, beim Aussteigen war der ansonsten so schön braune Salem dann blass wie ein Leintuch.

Tja, dann erinnere ich mich noch an den „Kaufmann“, der jeden Verstoß eines Taxlers gegen die Regeln sofort der Zentrale meldete und der mir damit mehrere Funksperren eingebrockt hat. So etwas vergisst man selbstverständlich auch nicht.

Natürlich vergess ich auch niemals den Toni W. und seinen Vater, den wir „Pepsch“ nannten. Mit dem Toni hab ich gemeinsam in der „2 77 11 Taxi-Fußballmannschaft“ gespielt, ich werde etwas später noch darauf zu sprechen kommen. Der Toni hat dann später sozusagen die Seiten gewechselt und war vermehrt in der halbseidenen Welt anzutreffen. Ich hab ihn schon lange nicht mehr gesehen und hoffe, dass es ihm gut geht.

An einen ganz speziellen Kollegen erinnere ich mich auch noch sehr gut, er hat entweder „Dollinger“ oder „Tollinger“ geheißen, auf jeden Fall aber Hans. Sein Erscheinungsbild war einigermaßen kurios, er war spindeldürr und hatte die Körperhaltung eines nahezu perfekten Fragezeichens.

Abb_3_Paradetaxler.jpg

In seiner großen Nase tummelten sich Polypen für ungefähr zehn weitere Personen, entsprechend gewöhnungsbedürftig war seine Aussprache. Ich hab mich mit dem Hans aber immer ganz gut unterhalten und ich werde nie seine Begeisterung vergessen, wie er mir erzählt hat: „Ich komme in Wien aus der U-Bahn heraus – stehe plötzlich in einer riesigen Menschenmenge und fünf Meter von mir entfernt fährt das Papamobil mit dem leibhaftigen Papst vorbei.“ Da haben seine Augen einen ganz verklärten Glanz bekommen und ich musste mir das Wunder seiner Papstsichtung immer wieder einmal anhören.

Irgendwann einmal habe ich es ja überhaupt nicht mehr geglaubt, denn da war der Hans D(T)ollinger auf einmal mit einem Rolls Royce unterwegs. Und mit was für einem! Einem weinroten Phantom, ca. Baujahr 1975 und rechtsgesteuert. Ein Wahnsinn! Hans ist mit dieser Luxuslimousine ins „Hochzeitsfahrzeug-Geschäft“ eingestiegen, man konnte also die Karosse samt ihm als Chauffeur buchen. Ob das der große Renner geworden ist? Ich weiß es nicht zu sagen.

Was ich aber noch weiß, einmal bin ich mit ein paar Freunden am Baggersee in der Rossau gelegen, als plötzlich der Hans vorbeispaziert ist. „Servas Hans“, begrüßte ich ihn, „du bist aber nicht zufällig mit deinem Rolls Royce unterwegs?“ Doch, war er – und ich habe mich sofort angezogen, um mich von ihm im Rolls in die Stadt fahren zu lassen. Das konnte ich mir einfach nicht entgehen lassen. Und wir haben gleich noch einen türkischen Bekannten von mir mitgenommen, der hat zum Wacker-Training müssen und für eine Fahrt in diesem Luxusauto hat er sein Fahrrad gerne stehen lassen. Das wird wohl so ziemlich das einzige Mal gewesen sein, dass ein Nachwuchskicker des FC Wacker Innsbruck im Rolls Royce zum Training gefahren worden ist. Für diese Dekadenz würde man ja sogar in Barcelona einen Rüffel kriegen …

Ich hab den Hans dann irgendwann aus den Augen verloren, er hat mit dem Taxeln aufgehört und privat hatten wir nichts miteinander zu tun.

In meiner Aufzählung der Innsbrucker „Parade-Taxler“ habe ich natürlich einige Kolleginnen und Kollegen hier nicht angeführt, das heißt aber noch lange nicht, dass ich sie vergessen habe. Im weiteren Verlauf dieses Buches werde ich mich ohnehin noch mit dem einen oder anderen speziellen Typen unter den Taxlern beschäftigen – kommen wir aber noch einmal kurz zurück zum „Geier-Heinz“.

Wenn es den Heinz S. nicht gegeben hätte, dann wäre mein schneller Aufstieg zu den Top-Verdienern unter den Innsbrucker Taxifahrern ganz sicher nicht möglich gewesen. Ich hätte mir erst mühsam das notwendige Rüstzeug zum richtig Geldverdienen aneignen müssen, hätte wohl viel Lehrgeld bezahlt und wäre oft mit wenig Umsatz zur Ablöse gefahren. Aber durch die vielen Tricks vom „Geier-Heinz“ habe ich von Beginn an sehr gut „Kohle gemacht“. Die 6.000 Schilling netto vom „Kaufhaus Tyrol“ erreichte ich immer schon lange vor Monatsmitte und weniger als 15.000 Schilling netto hab ich nie verdient, oft sogar bedeutend mehr.

Abb_4_Abrechnungsbuechel.jpg

Ich habe meine Aufzeichnungen für die Silvester-Nacht 1998/1999 gefunden. Die nackten Zahlen: Ich bin in dieser Nacht 376 Kilometer gefahren, habe 56-mal aufgelegt und dabei 7.513 Schilling Umsatz gemacht. Diese Einnahmen habe ich dann mit meinem Chef – nennen wir es – geteilt, er hat davon 2.268 Schilling abgekriegt, ich hab mich mit 5.245 beschieden. Immerhin sind das 69,81 Prozent vom Gesamtumsatz, ich habe immer ganz genau mitgeschrieben. Und darum weiß ich auch noch, dass ich im Dezember 1998 schöne 36.132 Schilling verdient habe, selbstverständlich netto. Es wär noch weit mehr drin gewesen, aber ich bin nur an 23 von 31 Tagen gefahren – wahrscheinlich war ich krank …

Einige Male noch habe ich mehr als 30.000 Schilling im Monat abgecasht, zweimal sogar über 40.000. Aber 70.000 Alpendollar netto wie der Heinz, davon war ich – obwohl ich mich stets zu den besseren Taxlern Innsbrucks zählte – meilenweit entfernt.

Das wirft natürlich die Frage auf, wie

„Das Einkommen eines Taxlers“

eigentlich berechnet wurde und aus welchen Komponenten es sich zusammengesetzt hat.

Zu meiner Zeit, also von 1983 bis in die frühen 2000er-Jahre hinein, gab es drei grundverschiedene Modelle der Taxler-Entlohnung:

1. Die Fixfahrer. Diese waren hauptsächlich am Tag unterwegs, bekamen am Monatsersten ein fixes Gehalt und lieferten dafür den gesamten Umsatz ab, außer dem Trinkgeld natürlich. So ein Monatslohn betrug zwischen 6.000 und 8.000 Schilling netto, dazu kamen dann noch diverse schwarz kassierte Fuhren und mit dem Trinkgeld konnte man mit gut 12.000 Schilling im Monat rechnen. Ich selbst war nur bei der Firma Wakolbinger mit Fixgehalt angestellt, danach hab ich zwischen den beiden folgenden Modellen hin und her gewechselt.

2. Die Prozentfahrer. Die haben sich mit ihren Chefs einen Prozentsatz vom Umsatz ausgemacht, ich hab meistens 45 Prozent kassiert, in Ausnahmefällen sogar 50. Der Prozentfahrer trachtet natürlich nach möglichst viel Umsatz, dementsprechend haben die „Geier“ unter den Kollegen fast nur dieses Modell gewählt. Ich bin bei vielen Unternehmen „auf Prozente“ gefahren, das hat sich bei meinen zahlreichen Arbeitsstunden am meisten für mich rentiert.

Natürlich hat es auch für den Prozentfahrer Möglichkeiten genug gegeben, das eine oder andere Mal den Taxameter nicht einzuschalten und den Fuhrlohn schwarz zu kassieren. Aber man durfte dabei nicht zu gierig werden, denn die Unternehmer erwarteten sich von ihren Fahrern einen bestimmten „Schnitt“, so nennt man das Verhältnis von Umsatz zu den gefahrenen Kilometern. Und hatte man zu oft einen „schlechten Schnitt“, konnte man sich bald eine neue Firma suchen. „Leben und leben lassen“ lautete der unausgesprochene Geheimcode zwischen Chef und Fahrer und ich habe mich eigentlich immer daran gehalten.

3. Der Kilometerfahrer. Im Prinzip „least“ sich der Kilometerfahrer jeden Tag das Taxi seines Chefs und bezahlt ihm dafür eine vorher vereinbarte Summe für jeden zurückgelegten Kilometer. Der Kilometerfahrer muss nichts „unter der Hand“ verdienen, er schaltet bei jeder Fahrt den Taxameter ein und freut sich über jede Minute Wartezeit, weil das Geld dafür zu hundert Prozent ihm gehört. Dafür hasst er es, wenn er aus weiter entfernten Stadtteilen wie O-Dorf oder Kranebitten leer ins Stadtzentrum zurückfahren muss. Auch Auswärtsfahrten mag der Kilometerfahrer gar nicht so gerne, denn die bedeuten in jedem Fall viele leere Kilometer bei der Rückfahrt.

Damit kommen wir noch zu einem ganz heiklen Thema, denn es gibt unter den Profi-Fahrern eine vielerprobte Möglichkeit, wie sich unnötige Leerkilometer vermeiden lassen. Ich werde darauf aber nicht näher eingehen, vor allem deshalb nicht, weil diese Methode ziemlich gefährlich und auch ziemlich illegal ist. Außerdem – ein paar „Profi-Mätzchen“ der Taxler sollen schon noch Betriebsgeheimnisse bleiben …