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Inhaltsverzeichnis

Vorwort - Vom Lebenswissen der Religiösen Kultur
1. Wer bin ich? - Seelische Erschöpfung und Sehnsucht nach Leben
1.1 Biblische Nüchternheit - Eine realistische Sicht auf mich selbst
1.2 Religiöse Erfahrung - Meine Verbindung zum Leben
1.3 Trost oder Leben? - Auf der Suche nach lebendiger Religion
1.4 Meine Religiosität – mein Leben - Sich religiös verstehen
Praxishinweis: In die Wüste gehen
2. Wo ist Gott? - Inspirations-Potentiale von Kirche und Theologie
2.1 Der Gott Jesu als Zumutung - Alltagswissen um das Heilige
2.2 Orte der Gotteserfahrung - Kirchen zwischen Mausoleum und Kraftort
2.3 Sakralität als Gottesersatz? - Konfessionelle Sackgassen und religions-kritische Theologie
2.4 Einübungen in die Wahrnehmung Gottes - Ein kleiner Grundkurs zur Mystik
Praxishinweis: Hören
3. Was ist der Sinn? - Die Religion und die Liebe
3.1 Der Sinn des Lebens ist das Leben - Die Vögel unter dem Himmel und die Logik der Liebe
3.2 Symbolisches Deutungswissen - Was Religion dem Menschen bieten kann (und was nicht)
3.3 Religiöse Sonderwelten? - Sinnvolle und absurde Religion
3.4 Sinnstiftung - Das Leben lieben
Praxishinweis: Pilgern
4. Wie kann ich leben? - Selbst verantwortete Religion
4.1 Leben – aber wie? - Umkehr, Reich Gottes und Lebensgenuss
4.2 Lebenswissen statt Anbetung - Schätze der religiösen Tradition
4.3 Religion in die eigen Hand nehmen – darf man das? - Religion für kommunikative Individualisten
4.4 Religion als Lebenskunst - Wege zu Gelassenheit und Heil
Praxishinweis: Askese üben
5. Meine unsakrale Religiosität - Traditionsgläubigkeit, religiöse Praxis und mystische Haltung
Literatur
Anmerkungen
Copyright

Literatur

Auerbach, Erich: Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur, Tübingen 102001.

Beaumont, Hunter: Auf die Seele schauen. Spirituelle Psychotherapie, München 32009.

Biser, Eugen: Theologie der Zukunft. Eugen Biser im Gespräch mit Richard Heinzmann, Darmstadt 22008.

Bonhoeffer, Dietrich: Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft, Hg. von E. Bethge, München 1952.

Eckhart, Meister: Werke. Texte und Übersetzungen Band I und II, hg. von N. Largier, Frankfurt/M. 1993.

Dávila, Nicolás Gómez: Das Leben ist die Guillotine der Wahrheiten. Ausgesuchte Sprengsätze, Frankfurt/M. 2007.

Drewermann, Eugen: Heilende Religion. Überwindung der Angst, hg. von J. Kunstmann, Freiburg 32009.

Drewermann, Eugen: Strukturen des Bösen. Band 1: Die jahwistische Urgeschichte in exegetischer Sicht, Paderborn 51984.

Ehrenberg, Alain: Das erschöpfte Selbst. Depression und Gesellschaft in der Gegenwart, Frankfurt/M. 2004 (1998).

Gerhardt, Volker: Individuum und Religion, in: B. Weyel / W. Gräb (Hg.): Religion in der modernen Lebenswelt. Erscheinungsformen und Reflexionsperspektiven, Göttingen 2006.

Gräb, Wilhelm: Religion und die Bildung ihrer Theorie. Reflexionsperspektiven, in: B. Weyel / W. Gräb (Hg.): Religion in der modernen Lebenswelt. Erscheinungsformen und Reflexionsperspektiven, Göttingen 2006.

Gräb, Wilhelm: Sinnfragen. Transformationen des Religiösen in der modernen Kultur, Gütersloh 2006.

Halbfas, Hubertus: Das Christentum. Erschlossen und kommentiert, Düsseldorf 2004.

Halbfas, Hubertus: Glaubensverlust. Warum sich das Christentum neu erfinden muss, Ostfildern 2011.

Han, Byung-Chul: Müdigkeitsgesellschaft, Berlin 72010.

James, William: Die Vielfalt religiöser Erfahrung. Eine Studie über die menschliche Natur, Frankfurt/M. 1997 (1901).

Jauß, Hans Robert: Ästhetische Erfahrung und literarische Hermeneutik, Frankfurt/M. 1991.

Josuttis, Manfred: Der Weg in das Leben. Eine Einführung in den Gottesdienst auf verhaltenswissenschaftlicher Grundlage, Gütersloh 21993.

Jung, Carl Gustav: Psychologie und Religion. Grundwerk Bd. 4, Olten 1984.

Kopp, Sheldon B.: Triffst du Buddha unterwegs... Psychotherapie und Selbsterfahrung, Frankfurt/M. 1978.

Kunstmann, Joachim: Rückkehr der Religion. Glaube, Gott und Kirche neu verstehen, Gütersloh 2010.

Kroeger, Matthias: Die Notwendigkeit der unakzeptablen Kirche. Eine Ermutigung zu distanzierter Christlichkeit, München 1997.

Kroeger, Matthias: Im religiösen Umbruch der Welt – Der fällige Ruck in den Köpfen der Kirche. Über Grundriss und Bausteine des religiösen Wandels im Herzen der Kirche, Stuttgart 22005.

Lichtenberg, Georg C.: Sudelbücher, Wiesbaden 22011 (1812 ff.).

Otto, Rudolf: Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen, München 1979 (1917).

Pfister, Oskar: Das Christentum und die Angst, Zürich 1944.

Quarch, Christoph: Flirten mit Gott. Warum Christsein Sinnlichkeit und Leidenschaft braucht. Ein Weckruf, München 2012.

Quarch, Christoph: Hin und weg. Verliebe dich ins Leben, Bielefeld 2011.

Rentsch, Thomas: Religion und Philosophie, in: W. Gräb / B. Weyel (Hg.): Religion in der modernen Lebenswelt. Erscheinungsformen und Reflexionsperspektiven, Göttingen 2006.

Reuter, Ingo: Der christliche Glaube im Spiegel der Popkultur, Leipzig 2012.

Roß, Jan: Die Verteidigung des Menschen. Warum Gott gebraucht wird, Berlin 2012.

Safranski, Rüdiger: Religiöse Sehnsucht – Sehnsucht nach Religion, in: W. Ruff (Hg.): Religiöses Erleben verstehen, Göttingen 2002.

Schellenbaum, Peter: Abschied von der Selbstzerstörung. Befreiung der Lebensenergie, München 31990.

Schellenbaum, Peter: Die Wunde der Ungeliebten. Blockierung und Verlebendigung der Liebe, München 21988.

Schleiermacher, Friedrich: Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, in: Werke. Auswahl in vier Bänden, hg. von O. Braun und J. Bauer, Band 4, Aalen 1981.

Schmid, Wilhelm: Philosophie der Lebenskunst. Eine Grundlegung, Frankfurt/M. 31999.

Schröder, Richard: Abschaffung der Religion? Wissenschaftlicher Fanatismus und die Folgen, Freiburg 2008.

Skårderud, Finn: Unruhe. Eine Reise in das Selbst, Hamburg 2000.

Spong, John Shelby: Was sich im Christentum ändern muss. Ein Bischof nimmt Stellung, Düsseldorf 2004.

Steffensky, Fulbert: Feier des Lebens. Spiritualität im Alltag, Stuttgart 31987.

Strasser, Peter: Die einfachen Dinge des Lebens, München 2009.

Tillich, Paul: Religiöse Reden, Berlin/New York 1987. Timm, Hermann: Zwischenfälle. Die religiöse Grundierung des All-Tags, Gütersloh 31986.

Winnicott, Donald W.: Reifungsprozesse und fördernde Umwelt, Gießen 2001.

Wolff, Hanna: Jesus der Mann. Die Gestalt Jesu in tiefenpsychologischer Sicht, Stuttgart 41979.

Anmerkungen

1

Rentsch: Religion und Philosophie, 315.

2

Kroeger: Die Notwendigkeit der unakzeptablen Kirche, 158.

3

Vgl. vom Verfasser: Rückkehr der Religion. Glaube, Gott und Kirche neu verstehen, Gütersloh 2010.

4

Skårderud: Unruhe, 295.

5

Schellenbaum: Abschied von der Selbstzerstörung, 14.

6

Winnicott: Reifungsprozesse, 60. Ebd. 67: »Im Extremfall existiert das Kind nur auf der Grundlage einer Kontinuität von Reaktionen auf Störungen.«

7

Bolz: Das Wissen der Religion, 56.

8

Ehrenberg: Das erschöpfte Selbst, 10.

9

Skårderud: Unruhe, 329.

10

Bolz: Das Wissen der Religion, 50.

11

Steffensky: Feier des Lebens, 26.

12

Kroeger: Im religiösen Umbruch der Welt, 58.

13

Unnachahmlich hat das Erich Auerbach formuliert: »Nur im Laufe eines schicksalsreichen Lebens differenzieren sich die Menschen zu voller Eigentlichkeit; und dies Personengeschichtliche bietet das Alte Testament als Formung der durch Gott zu exemplarischer Rolle Auserwählten. Schwer von ihrem Gewordensein, zuweilen bis zur Verwitterung gealtert, zeigen sie eine individuelle Ausprägung, die den homerischen Helden ganz fremd ist ... Sie sind die Träger des göttlichen Willens, und doch sind sie fehlbar, dem Unglück und der Erniedrigung unterworfen – und mitten im Unglück und in der Erniedrigung offenbart sich durch ihr Tun und Reden die Erhabenheit Gottes ... Erniedrigung und Erhöhung gehen viel tiefer und höher als bei Homer, und sie gehören grundsätzlich zusammen.« Nach Auerbach ist es dann vor allem die Passion Christi, in der dieses ebenso natürliche wie tragische Bild vom Menschen kulminiert und zum inspirierenden Vorbild für die gesamte Realistik der abendländischen Literatur wird. Auerbach: Mimesis, 20f.

14

Biser: Theologie der Zukunft, 39.

15

Dávila: Das Leben ist die Guillotine der Wahrheiten, 264.

16

Schleiermacher: Über die Religion, 254f.

17

James: Die Vielfalt religiöser Erfahrung, 473f.

18

Ebd. 98, 100, 149, 222, 242, 265, 269, 270, 394.

19

Otto: Das Heilige, 2.

20

Ebd., 13 und 42 (gekürzt).

21

Safranski: Religiöse Sehnsucht, 20.

22

Beaumont: Auf die Seele schauen, 80.

23

Schellenbaum: Die Wunde der Ungeliebten, 42.

24

Beispiele aus Schröder: Abschaffung der Religion?, 28, 44, 46.

25

Schellenbaum: Die Wunde der Ungeliebten, 106.

26

Ehrenberg: Das erschöpfte Selbst, 243. Kursivsetzung vom Vf.

27

Steffensky: Feier des Lebens, 117f.

28

Ausführlich entfaltet ist das in Kunstmann: Rückkehr der Religion.

29

Ehrenberg: Das erschöpfte Selbst, 9, 122.

30

Bonhoeffer: Widerstand und Ergebung, 242f.

31

Schellenbaum: Die Wunde der Ungeliebten, 179.

32

Vorwort des Sonderheftes »Nach Gott fragen. Über das Religiöse« des Merkur 53 (1999), 771.

33

Diese klassische, »theistische« Gottesvorstellung ist einer der Hauptgründe, warum das Christentum derzeit so viel Kredit verliert. Sie wird vom zeitgenössischen Bewusstsein als Naivität eingestuft, die der nüchternen Erfahrung widerspricht. »In der populären Kultur hat die Bezugnahme auf eine allmächtige Gottperson, die den Weltlauf in bester Weise steuert, nur in Gestalt des filmischen Märchens überleben können.« Ingo Reuter: Der christliche Glaube, 128.

34

Spong: Was sich im Christentum ändern muss, 154.

35

Josuttis: Der Weg in das Leben, 148.

36

Jung: Psychologie und Religion, 49.

37

Dass Jesus in einer Aktion der Leidenschaft die Händler aus dem Tempel wirft, ist dazu kein Widerspruch. Der Tempel darf und soll durchaus der Ort der Besinnung auf Gott sein, und jedenfalls ist er kein Ort für Geschäfte! Jesus demonstriert hier in einer prophetischen Zeichenhandlung, dass die Menschen ihr religiöses Verhalten an menschlichen Regeln ausrichten und nicht an der Wahrnehmung Gottes. Zumindest symbolisch sollte der Tempel der Hinweis darauf sein, dass alles an der Orientierung an Gott hängt: Religion, Moral und das eigene Leben.

38

Lichtenberg: Sudelbücher, 80.

39

Bolz: Das Wissen der Religion, 116.

40

Sehr ausführlich für genauer Interessierte dazu vom Verf.: Rückkehr der Religion.

41

Kroeger: Im religiösen Umbruch der Welt, 206.

42

Safranski: Religiöse Sehnsucht, 19.

43

Wolff: Jesus der Mann, 148. Ein wunderbares Buch, das erstaunliche und faszinierende neue Einsichten zur Gestalt Jesu aus tiefenpsychologischer Sicht heraus entwickelt.

44

Spong: Was sich im Christentum ändern muss, 225.

45

Timm: Zwischenfälle, 152.

46

Meister Eckhart, Band I, 87.

47

Spong: Was sich im Christentum ändern muss, 20.

48

Tillich: Religiöse Reden, 55f.

49

Meister Eckhart, Band II, 35.

50

Wie variabel und historisch relativ selbst die Trinitätsvorstellung ist, kann ein Hinweis C.G. Jungs zeigen. Jung assoziiert mit Dreiheit eine ungestillte seelische Dynamik, die immer zur Vollständigkeit der Ganzheit strebt. Ganzheit allerdings ist seelisch immer durch die Vierzahl, also durch eine »Quaternität« repräsentiert. Jung erklärt so die dauernden religiösen Bestrebungen, das trinitarische Gottesbild durch eine vierte heilige Person zu ergänzen, wie das immer wieder entweder durch die Vorstellung der Himmelsmutter und »Gottesgebärerin« Maria, aber auch durch den (ehemals ja zum himmlischen Hofstaat gehörigen) Teufel versucht wurde. Das ist eine ungewohnte, aber durchaus plausible Einschätzung.

51

Rilke: Das Stundenbuch I, Vom mönchischen Leben.

52

Meister Eckhart, Band I, 87.

53

EG Lied 165,8 »Gott ist gegenwärtig«.

54

Meister Eckhart, Band I, 71.

55

Ebd., 65 und 71.

56

Die Predigt wird im Anhang an den Traktat 1 überliefert. Meister Eckhart, Band II, 314ff.

57

Halbfas: Das Christentum, 333.

58

Gräb: Sinnfragen, 8.

59

Am Ende zeigt der Film, wie ein Nachbar zum Gegenspieler des Protagonisten wird, der ganz ähnlich empfindet und lebt wie der Junge mit der Kamera. Eingesponnen in ein absurdes Zwangsverhalten, das weder die Schönheit der Welt sieht, noch die Veränderung des Protagonisten aushalten kann, gibt es für diesen Nachbarn nur eine einzige konsequente Reaktion auf dessen neu gefundene Lebendigkeit: Er tötet ihn. Der Film macht hier eine deutliche Anspielung auf die Kreuzigung Jesu.

60

Roß: Die Verteidigung des Menschen, 21.

61

Spong: Was sich im Christentum ändern muss, 154.

62

Gräb: Sinnfragen, 116.

63

Schellenbaum: Die Wunde der Ungeliebten, 106.

64

Quarch: Flirten mit Gott, 30.

65

Ehrenberg: Das erschöpfte Selbst, 244.

66

Schleiermacher: Über die Religion, 281.

67

Lichtenberg: Sudelbücher, 168.

68

Das positivistische und naturalistische Denken, das allein die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse für richtig und wahr hält und das heute sehr verbreitet ist, ist demgegenüber ein Rückfall in vermeintlich objektive Wahrheiten, die es aber bei genauerem Hinsehen nirgendwo gibt.

69

Lichtenberg: Sudelbücher, 191.

70

Bolz: Das Wissen der Religion, 96.

71

Cox: Die Zukunft des Glaubens, 97.

72

Reuter: Der christliche Glaube, 98.

73

Timm: Zwischenfälle, 157.

74

Gerhardt: Individuum und Religion, 42.

75

Steffensky: Feier des Lebens, 59 und 61.

76

Schellenbaum: Abschied von der Selbstzerstörung, 144.

77

Gräb: Religion und die Bildung ihrer Theorie, 197.

78

Quarch: Hin und weg.

79

Han: Müdigkeitsgesellschaft.

80

Es gibt auch Aussagen Jesu über das Reich Gottes, die scheinbar in die Zukunft weisen und die unter Theologen die Spekulation darüber wach gehalten haben, ob Jesus ein »Apokalyptiker« gewesen sei (also jemand, der mit dem Einbruch des Weltendes und einer neuen, durch Gott geprägten Weltzeit gerechnet hat), oder ob er dazu aufforderte, auf das Reich Gottes zu warten. Solche Zukunftsansagen sind z.B. die Vaterunserbitte »Dein Reich komme« oder das Gleichnis vom Senfkorn, das auf das allmähliche Wachsen des Reiches Gottes verweist. Das aber wächst in der Sicht der Menschen. Das Reich Gottes ist längst Realität, so wie Gott Realität ist. Gott ist nicht »halb da«, und ganz erst irgendwann später! Was also wachsen soll, ist die Wahrnehmung der Menschen. Andere auf Zukunft deutende Hinweise wie etwa das »Wacht, denn der Herr kommt wie ein Dieb in der Nacht« (Mt 24, 42f.) sind spätere Einträge, die nicht von Jesus stammen. Hier steht auch: »Diese Generation wird das alles (gemeint ist: die Wiederkunft des Menschensohnes) erleben« (Mt 24, 34).

81

Reuter: Der christliche Glaube, 133.

82

Kopp: Triffst du Buddha unterwegs, 9.

83

Ebd., 14.

84

Jauß: Ästhetische Erfahrung und literarische Hermeneutik, 85.

85

Bolz: Das Wissen der Religion, 115.

86

Pfister: Das Christentum und die Angst, 424.

87

Genau heißt die Bemerkung: »Religiöse Gefühle ... laden ein zum stillen, hingegebenen Genuss.«

88

Strasser: Die einfachen Dinge des Lebens, 12f.

89

Ebd. 60.

90

Kopp: Triffst du Buddha unterwegs, 96f.

91

Beaumont: Auf die Seele schauen, 118.

92

Auf dieser grundlegenden Einsicht baut das religiöse Denken des theologisch weit unterschätzen Eugen Drewermann auf, entfaltet vor allem in: Strukturen des Bösen. Vgl. auch die Textausgabe zu Drewermann von J. Kunstmann (Hg.): Heilende Religion.

93

Jung: Psychologie und Religion, 106.

94

Spong: Was sich im Christentum ändern muss, 255.

95

Schleiermacher: Über die Religion, 283.

96

Ebd.

97

Ebd., 280f.

98

Steffensky: Feier des Lebens, 144.

99

Schmid: Philosophie der Lebenskunst, 85.

100

Ebd., 28; im Orig. mit Hervorhebung.

101

Goethe: Faust I.

102

Umfassend dazu J. Kunstmann: Rückkehr der Religion.

103

Strasser: Die einfachen Dinge des Lebens, 150 und 153.

104

Ebd., 122.

105

Spong: Was sich im Christentum ändern muss, 121.

1.1 Biblische Nüchternheit

Eine realistische Sicht auf mich selbst

Wer zum ersten Mal und unvorbereitet den Boden unserer modernen Zivilisation beträte, würde wohl ziemlich staunen müssen. Zum einen über den unglaublichen Reichtum. Man versuche nur einmal, auf einer befahrenen Bundesstraße grob zu schätzen, welchen Wert die Autos haben, die da innerhalb von 10 Minuten vorbeifahren. Die Summe ginge weit in die Millionen. Statistiken belegen, dass der Gewinn aus Aktiengeschäften inzwischen höher ist als alles Einkommen aller Menschen zusammengenommen; der Gewinn aus Finanzspekulationen aber liegt geschätzt noch einmal etwa beim Dreißigfachen dieser Summe. Noch nie gab es eine Zeit, in der Luxussättigung, schnelle Versorgung, technische und medizinische Sicherheit so selbstverständlich waren wie heute – zumindest für die allermeisten Menschen unserer Gesellschaft.

Noch ein Zweites müsste dem Besucher auffallen: Die Gesichter vieler Menschen sind matt und ausdruckslos. Gebückte und in sich gekehrte Körperhaltungen und eine fast vollständige Emotionslosigkeit sind die Regel. Besonders stark muss das in den Großstädten auffallen, im Gedränge der U-Bahnen zum Beispiel: Fast niemand redet, schon gar nicht laut, und schon gar niemand lacht. Und noch mehr wird das deutlich, wenn man es mit der spontanen Ausdrucksfreude und der menschlichen Herzlichkeit vergleicht, die in vielen armen Gesellschaften vorherrschen.

Vielleicht kommt Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, diese Beschreibung übertrieben vor; und vielleicht trifft sie auf Sie auch gar nicht zu. Allerdings gibt es seit einigen Jahren Hinweise auf eine seelische Erschöpfung der Menschen, die kaum noch zu übersehen sind. Das Thema Burnout nimmt inzwischen geradezu epidemische Ausmaße an, und es betrifft nicht mehr nur gestresste Manager, sondern auch Lehrer, Hausfrauen und Geistliche. Die Krankheit, die sich am schnellsten verbreitet, ist eine seelische: die Depression.

»Dem modernen Leben fehlt es sehr an Leben«4 – trotz, ja gerade angesichts seiner hohen Impulsdichte, seines hohen Tempos und seiner gesteigerten Erlebnis-Intensitäten. So hat es der finnische Psychoanalytiker und Kulturbeobachter Finn Skårderud einmal scharf formuliert. Die epidemisch anwachsenden seelischen Schwächeerscheinungen unserer Zivilisation  – Lustlosigkeit, innere Leere, Depression, Burnout und Demenz – zeigen das mit zunehmender Deutlichkeit.

»Wahrscheinlich fühlte sich das Individuum noch nie so fremd in seiner Welt wie heute.«5 Welch ein Satz! Man wird ihn dem erfahrenen Psychoanalytiker Peter Schellenbaum sicher nicht rundweg abstreiten wollen. Offenbar fehlen die Erfahrungen des Verbundenseins mit dem Leben. Es fehlt der fraglos gegebene Sinn und das Grundvertrauen in die Welt. Die Sehnsucht nach Sinn und Orientierung, nach Geborgenheit und Liebe ist mit Händen zu greifen.

Ganz offensichtlich erleben wir einen seelischen Klimawandel, der mit übergreifenden kulturellen und gesellschaftlichen Veränderungen zu tun hat, und dem sich der Einzelne gar nicht so leicht entziehen kann.

Die Hintergründe dieses seelischen Klimawandels lassen sich schnell skizzieren. Seit über 200 Jahren verbreiten sich in den modernen Gesellschaften die Grundwerte der Aufklärung: Freiheit von Abhängigkeiten jeder Art und die bewusste Übernahme der Verantwortung für das eigene Leben. Nicht mehr die Achtung vor alten Traditionen, vor der allgemeinen Sitte und vorgegebenen Autoritäten bilden die Grundlagen der Lebensorientierung, sondern das Ideal der Selbstverwirklichung. Dieses Ideal ist inzwischen so selbstverständlich geworden, dass kaum noch darüber geredet wird. Gemessen wird es an Authentizität und vor allem an Erfolg: Reichtum, Ansehen, selbstbewusstes Auftreten und Einfluss sind die Ziele der Selbstverwirklichung, außerdem ein möglichst erlebnisintensives Leben. Entsprechend ändern sich die grundlegenden Werte: An die Stelle der Achtung vor dem Gegebenen, der Ehrfurcht oder gar der Demut treten Leistungsbereitschaft, Dynamik und Anpassungsfähigkeit. Das Leben wird zum Projekt. Drehbuch, Regie, Hauptrolle und Produktion liegen in ein und derselben Hand: beim Ich.

Wir definieren uns nicht mehr durch das, was wir vorfinden, sondern durch das, was wir aus dem Leben machen: durch Erfolg. Damit sind Leistungen an die Stelle des gegenseitigen Respekts getreten. Darum ist es kein Wunder, dass die persönliche Selbstbehauptung immer mehr auf Kosten von Wertschätzung, von Hingabe und der Erfahrung und Pflege der Verbundenheit geht. Die moderne Zivilisation ersetzt die Erfahrung sinnvollen Lebens immer mehr durch Dienstleistungen und kalkulierbare Funktionen.

Eine solche Orientierung setzt eine Menge an Kräften und Ideen frei – sie schneidet aber auch von Ressourcen ab, die außerhalb der eigenen Reichweiten liegen. Der moderne Mensch will alles selber wissen, selber tun und selber verantworten, möglichst auch sein eigenes Schicksal. Er kann sich nichts schenken lassen. Deshalb gibt es immer weniger Liebe in seinem Leben. »Gnade« ist zum Fremdwort geworden. Das Leben ist gnaden-los, denn es lebt von der eigenen Planung und von Konkurrenz. Kein Wunder, dass die persönliche Entfaltung zunehmend in Erschöpfung übergeht. Kraft- und Lustlosigkeit, Langeweile, innere Leere, aber auch innere Unruhe sind inzwischen so weit verbreitet, dass sie schon fast den seelischen Normalzustand bezeichnen. Die vielen Möglichkeiten der Unterhaltung und Zerstreuung – vom Fernsehen über das Internet bis hin zu Events und Vergnügungsparks – wirken zunehmend narkotisierend. Man hat unsere Kultur bereits als »Betäubungskultur« bezeichnet. Das zunehmende Tempo, die vielen schnellen Veränderungen und die Flut der Bilder verstärken die seelische Apathie und das Gefühl innerer Leere.

Selbstdisziplin, Erfolgszwang und Hörigkeiten haben ein geradezu pathologisches Ausmaß erreicht. Die scheinbaren neuen Freiheiten erweisen sich bei genauerem Hinsehen als ungeheure Über-Anpassungen. Die weitgehende Gleichförmigkeit der individualisierten Individuen ist offensichtlich. Elektronische Signale, chemische Tabletten, Alkohol, vorstrukturierte Events und organisierte Freizeitabläufe füllen das klaffende Loch der großen Fragen und lassen keinen Platz mehr für Besinnung.

Donald W. Winnicott hat den tiefgründigen Satz gesagt: »Die Alternative zum Sein ist Reagieren.«6 Demonstriert hat er das an kleinen Kindern, denen das Grundvertrauen fehlt. Solche Kinder müssen sich permanent vor möglichen Gefahren absichern, und darum ist ihr Blick unruhig, ihr Wesen unkonzentriert. Von jedem kleinsten äußeren Impuls werden sie abgelenkt. Der Satz von Winnicott lässt sich auf unsere ganze Gegenwartskultur beziehen: Unser Leben ist durch die ständigen, konzentrierten Reaktionen auf technische Signale geprägt, während spontane Äußerungen der Lebensfreude und kreative Impulse kaum noch zugelassen werden.

Peter Strasser meint, der moderne Mensch ersetze die Liebe zum Leben zunehmend durch die Liebe zum Genuss. Er versuche, das Letzte aus allem herauspressen. Nur das selbstverwirklichte Leben, nur der gestylte Körper, nur die verwirklichten Ideale zählen – was aber eben auch heißt: Das ungestaltete, unbearbeitete Leben an sich gilt als gar nichts Besonderes mehr. Die Suche nach Selbstverwirklichung unterstellt das eigene Leben dem Erfolgsdiktat: Ich bin das, was ich aus mir mache. Das heißt aber auch: Solange ich nichts (Außergewöhnliches) aus mir mache, bin ich nichts. Das Leben wird zur Anstrengung, die in Lustlosigkeit umschlägt.

Dazu kommt, dass uns die hohe Impulsdichte des modernen Alltags immer unempfindlicher macht und immer mehr abstumpft. Die Ansprüche an Unterhaltung steigen in Bereiche, die sich oft nur noch durch starke Reize befriedigen lassen, also durch hohes Tempo, durch riskante Betätigungen und durch Perversitäten, auf die wir aber zunehmend apathisch reagieren. Diese »Dekadenz wird nicht als Not, sondern als lebenskluge Bequemlichkeit erfahren. Und man muss schon Philosophen oder Psychoanalytiker bemühen, um hier überhaupt ein Bewusstsein zu wecken, dass dieses Leben nicht lebt.«7

Alain Ehrenberg hat in seinem Buch »Das erschöpfte Selbst« die seelische Erschöpfung als die direkte Folge der Freiheit bezeichnet. Seiner Ansicht nach sind die Verfolgung von großen Lebenszielen, die Suche nach Intensität und das permanente Offenhalten und Nutzen möglichst vieler Optionen – die heute die normale Lebensorientierung bezeichnen – die besten Voraussetzungen für den Weg in die Depression. »Müde und leer, unruhig und heftig, kurz gesagt, neurotisch wiegen wir in unseren Körpern das Gewicht der Souveränität«.8

Die Erwartungen an das Leben sind hoch. Erwartungen können durchaus motivieren, das behaupten zumindest die meisten Coaches und Life Trainer. Nur bleibt das Leben ja fast immer hinter den Erwartungen zurück. Dann wird schnell das ganze Leben zur Enttäuschung, und dann können auch Luxus und uneingeschränkte Wahlfreiheiten keine innere Leere ausfüllen.

Wir haben uns von allen äußeren Zwängen befreit, nur – wozu? Immer deutlicher wird, dass Befreiung auch die Trennung von gewachsenen Verbindungen bedeutet, die einmal Lebenskraft und Geborgenheit gegeben haben. Sind wir dabei, die Verbindung zum Leben zu verlieren?

Wenn das Leben zum Projekt wird, wird es automatisch auch zur Stressquelle. Das kann dem Leben nicht gut bekommen. So ist das mit allen Orientierungen, die auf eine offene Zukunft verweisen: mit Lebenszielen, Lebensplänen oder »Visionen«, wie das im ökonomisierten Neudeutsch heißt. Ein Ziel zu haben bedeutet eben immer auch: Ich bin im Defizit, denn ich bin ja noch nicht da, wo ich einmal hin will. Ziele verlegen das Leben in eine ungewisse Zukunft. So entleert sich die Gegenwart.

Daher kann man die verbreitete Suche nach Selbstverwirklichung auch als Hinweis auf einen tief sitzenden Mangel verstehen. Sie ist auch die Folge einer seelischen Unzufriedenheit und eines Hungers nach Leben, der im Streben nach Anerkennung und Erfolg überwunden und stillgestellt werden soll. »Der Hunger entfernt Gefühle und ersetzt sie durch ein Projekt.«9

Dem Kult der Selbstverwirklichung kann man das Recht keineswegs absprechen. Er hat zu Möglichkeiten der Selbstgestaltung und der Erfahrung geführt, die niemand rückgängig machen soll. Niemand will mehr gehorchen müssen. Freiheit ist ein hohes Gut. Aber sie ist ambivalent, und das wird in unseren Tagen immer deutlicher. Gehorsam ist wesentlich einfacher und leichter einlösbar als ein eigener Selbstentwurf! Eine vorgegebene Pflicht kann man erfüllen und »abhaken«. Wer sein Tagespensum, das ihm aufgegeben ist, abgearbeitet hat, kann sich sozusagen zufrieden hinter den Ofen setzen. Aber wann ist man mit sich selbst fertig? Wann bin ich selbstverwirklicht genug? Sind die anderen nicht selbstverwirklichter als ich, vor allem die, die im Rampenlicht stehen? Es fällt ziemlich leicht, sich hier unzufrieden oder gar gescheitert zu fühlen.

Wer bin ich? Kann ich mich durch Erfolg, Reichtum, Selbstverwirklichung definieren? Entsteht da nicht eher das Gefühl: Ich stelle mich in eine Reihe mit sehr vielen anderen, die genau dasselbe (teure) Auto fahren, vielleicht ebenfalls ein Haus besitzen und dieselben Fernreisen machen? Ist das alles nicht nur die äußere Hülle meiner Person? Wenn das aber so ist – was macht mich dann einzigartig, was gibt mir wirkliche Bedeutung?

Wirklich unverwechselbar machen mich wohl am ehesten meine Gefühle und meine persönlichen Lebens-Erfahrungen – für die sich aber halt jemand interessieren müsste. Der Wunsch, gesehen zu werden, ist unter modernen Menschen groß. Vor allem viele Jugendliche träumen davon, einmal im Fernsehen entdeckt zu werden und »groß rauszukommen«, etwa bei einer Casting Show. Wenn aber alle mit ihren eigenen Projekten beschäftigt sind, bleibt wenig Zeit für das Interesse an anderen Menschen. Solches Interesse hat dann allenfalls noch der Therapeut.

Und noch etwas ist ausgesprochen schwierig bei der Suche nach Selbstverwirklichung. Wer sein Leben in die eigene Hand nimmt, wird ganz unvermeidlich auf negative Erfahrungen stoßen. Und je mehr sich ein Mensch mit sich selbst beschäftigt, desto größer dürfte auch seine Sensibilität für seelische Leiden sein. Was aber mache ich mit meinen Verletzungen, meinen Ohnmachtserfahrungen, mit meiner Sehnsucht nach Liebe? »Wer sich selbst sucht, findet sich – das ist seine Strafe.«10 Der Weg zu und mit sich selbst ist kein Erfolgsprojekt, sondern mühsam. Er braucht Begleiter, symbolische Deutungen und die Erfahrungen anderer. Selbstverwirklichung, die als Verwirklichung von Unabhängigkeit verstanden wird, ist eine Illusion. Das freilich ist eine Behauptung, die dem Ideal der modernen Autonomie vehement widerspricht.

Gesucht wäre also eine Lebenseinstellung, die nicht auf Erfolg und selbstmächtige Aktivität allein setzt, die den eigenen Körper und die Natur nicht nur als gestaltbare Rohmassen versteht, und die einen realistischen Umgang mit Negativität und Schmerz erlaubt. In der Tat: »Man kann sich gegen das Leben panzern und sichern, dann wird man von seinen Wundmalen verschont; aber man verschont sich damit auch vor dem Leben selbst. Die Hingabe an das Leben hat seinen Preis: die Narben, die Wundmale.«11

Eine generelle Tendenz könnte sein, eher auf das Selbst als auf das Ich zu setzen. Das hieße, mehr auf Wachstum, Reife und auf Erfahrungstiefe Wert zu legen als auf Erfolg. Das Selbst bezeichnet diejenigen Dimensionen eines Menschen, die weiter sind als das aktive und bewusst gestaltende Ich, und die sich eher aus seinen Verbindungen zur Welt her ergeben. Damit wäre dann eine naive Freiheit, die sich einfach nur nichts vorschreiben lassen will, in eine reifere Form der Freiheit überführt, die die Verantwortung für das Leben übernimmt. »Erst das Wissen um Interdependenz macht die Autonomie wahr.«12 Der Mensch wird am Du zum Menschen – was nicht nur andere Menschen meint, sondern alle Formen eines Gegenübers: also auch die Natur, die Kunst, die Kultur und die Religion.

Zuallererst ist der Einzelne natürlich an seine Mitmenschen verwiesen. Freilich sind die oft unberechenbar, und ihr Wohlwollen ist nicht zu kalkulieren. Außerdem hat unsere Kultur der Selbstverwirklichung ein Klima allgemeiner Konkurrenz etabliert, in dem ein verlässliches allgemeines Wohlwollen und eine selbstverständliche gegenseitige Wertschätzung immer mehr verloren gehen. Isolation und Mobbing sind die Folgen. Die anderen sind also zwar unverzichtbar für mein Leben, aber niemals verlässlich. Daher muss es noch etwas anderes und Größeres geben, worauf ich mein Leben bauen kann.

Das klügste Reservoir für die eigene Identitätsfindung ist seit jeher die Religion gewesen. Sie ist die einzige Dimension unserer Kultur, in der sich symbolische Deutungen des Menschen mit eingespielten Formen und Räumen der Kommunikation verbinden. Das unterscheidet sie von philosophischen und künstlerischen Deutungen. Das ist natürlich nur in einer Religion der Fall, die ihre Inspirationskraft nicht durch dogmatische und institutionelle Verkrustungen eingebüßt hat. Allerdings lassen sich auch in neurotischen Religionskulturen Traditionen und Deutungen aufspüren, die der eigenen Lebensorientierung zugeführt werden können.

Für die christliche Religion muss die inspirierende Deutung des Menschen oft regelrecht aus dogmatischen Trümmern hervorgeholt werden. Geht man mit der nötigen Unbefangenheit und Muße an die Religion heran, kann man freilich auch von einer Schatzsuche sprechen. Um zunächst nur ein gewichtiges Beispiel zu nennen: »Ecce homo«: Das Wort, das Pilatus zu dem verurteilten Jesus gesprochen haben soll, heißt eben nicht nur das, was die Frommen meistens darin gelesen haben: »Sieh an, das ist der Mensch«, der Christus, der eigentliche und ganz besondere Mensch also, weil er der von Gott gemeinte Mensch ist – sondern es kann und sollte viel nüchterner wiedergegeben werden mit: »Das also ist der Mensch« – diese leidende und auf Wohlwollen angewiesene Kreatur. Der geschundene Jesus kann mir zu einem realistischen Spiegel meiner selbst werden. So ist das mit dem Leben: Es gibt viel Schmerz, viel ungestillte Sehnsucht, und vieles bleibt unvollendet. Ohne Liebe kein Leben, aber die Liebe fehlt oft so sehr. Die komplizierten und oft kaum noch nachvollziehbaren Sühne- und Erlösungstheorien des dogmatischen Christentums können von dieser nüchternen Selbst-Einsicht eigentlich nur wegführen.

Dieser nüchterne Blick hat im Christentum durchaus seine eigene Tradition. Im Alten Testament werden immer wieder Menschen vor Augen geführt, die die größten Dummheiten und Bosheiten begehen, und doch zum Träger göttlichen Willens werden. Adam vergreift sich am Lebensbaum, Kain bringt aus Neid seinen Bruder um, Jakob betrügt seinen Vater und seinen Bruder, Mose ermordet einen ägyptischen Aufseher, der große König David lässt einen seiner treuesten Offiziere umbringen, um dessen Frau zu haben – und so geht das immer weiter. Das Leben des Jesus schließlich beginnt in einer Futterkrippe und endet in einer brutalen Passion, die das gesamte Abendland so sehr beschäftigt hat wie wenig anderes sonst. In diesen Gestalten können wir uns bis heute in realistischer Weise spiegeln.13

Die Bibel macht bereits auf ihren allerersten Seiten einen Vorschlag, um die Frage »Wer bin ich« zu beantworten: Du bist »Geschöpf«, lebst also nicht aus dir selbst, sondern bist von Gott her in eine wunderbare, harmonische Ordnung gestellt, die vom Verfasser von Gen 1 sehr poetisch mit den Tagen einer Woche dargestellt wird: Der Mensch erscheint am letzten Wochentag, bereits mit Blick aufs freie Wochenende, denn er ist nicht nur zum Arbeiten auf der Welt, sondern mindestens ebenso zum Feiern und Genießen. Im folgenden Kapitel (Gen 2) wird der Mensch sogar in die Mitte eines paradiesischen Gartens gestellt.

In den beiden Schöpfungserzählungen hat der Mensch eine herausgehobene Stellung. Demnach sind wir mit einer besonderen Würde begabt. Zugleich aber sind wir von Dummheit und Scheitern verfolgt, wie die Szene mit Eva, Adam und dem Apfel gleich hinzufügt. Diese Szene bringt in geradezu genialer Weise eine Grundverfassung des Menschen zum Ausdruck: Wir können oft nicht genug kriegen vor lauter Angst, irgendwo vielleicht zu kurz zu kommen. Vor allem aber ist es die Angst der Ungeborgenheit, der Unsicherheit und der möglichen Verlorenheit, die unsere rastlose Aktivität, unseren Arbeitseifer und unsere Erfindungsgaben motivieren, mit denen wir die Welt in die eigene Hand nehmen. Daher vergreifen wir uns fast zwangsläufig immer wieder am Leben selbst, das in der Erzählung im Lebensbaum in der Mitte des Gartens symbolisiert ist. So ist es einfach – ungestillte Sehnsucht macht aktiv, und Würde und Scheitern gehören im Leben zusammen. Eine weitere Erklärung gibt es dafür nicht.

Und noch ein weiterer sehr kluger Gedanke findet sich hier: Als Geschöpfe sind wir Gottes »Ebenbild« (Gen 1,26), stehen also in einer bleibenden Beziehung zum Grund des Lebens. Die ganze Bundesgeschichte Israels macht das immer wieder deutlich, und zwar auch in ihrem Versagen. Der Gedanke ließe sich so formulieren: Meine Identität ergibt sich aus dem Bezug auf ein Gegenüber. Ich bin auf Beziehung verwiesen.

Der Ebenbild-Gedanke unterstreicht im Übrigen noch einmal die Würde des Menschen: Gott und Ich, wir stehen uns gegenüber, wie Spiegelbilder. Ich erkenne, wer ich bin, in Gott – und Gott will in mir Realität werden. Damit ist dem Menschen die religiöse Autonomie zugesprochen. Er ist alles andere als »sündig« im moralisch abwertenden Sinne. Es geht also in der Religion keineswegs allein um das Heil der Seele, sondern zunächst einmal um die Frage nach dem wahren Ich. »Im Christentum geht es um einen Identitätsgewinn, der sich über alles erhebt, was in diesem Zusammenhang im neuzeitlichen Denken ans Licht gehoben worden ist.«14

Diese Geschichten, Szenen und Figuren sind ein Erbe der Religion, das sich der eigenen Aneignung und Identifikation anbietet. Sie sind längst ins Gedächtnis der Menschheit eingegangen. Sie gehören also niemandem, nicht der Kirche und nicht den Frommen. Sie gehören dem, der sich auf sie einlässt und sich möglicherweise mit ihnen identifiziert. Darauf wird dieses Buch immer wieder hinweisen: Es käme darauf an, sich mit diesen Geschichten zu beschäftigen und sie für sich selbst zu nutzen.

Bei diesen Geschichten gibt es nichts zu glauben und schon gar nichts, was sich in dogmatische Wahrheiten übersetzen ließe, die immer und zu allen Zeiten Recht haben könnten. Es geht stattdessen um eine Deutung des menschlichen Lebens, die aus Erfahrung schöpft. Sie präsentiert sich poetisch und bildhaft – so wie alle Deutungen das tun. Es sind Mythen, die eine Perspektive auf das Leben öffnen, in der eine tiefe Wahrheit steckt. Man könnte sie für moderne Menschen so zusammenfassen: Vernunft, Autonomie, Selbstverwirklichung und große Lebensziele sagen mir nicht, wer ich bin. Das sind schöne Dinge, die aber schnell an Grenzen stoßen können, und die recht unliebsame Nebenwirkungen haben. Wer ich bin, zeigt sich mir woanders: im Spiegel der Welt, auf deren Grund Gott ist.