Hope you enjoyed reading this book! Other works from Otbebookpublishing Best sellers German Classics Sports Health Self Help Travel and Vacations Love and Romance Computer and Internet Inspiration and Religion How to Guides "OUTSIDE THE BOX" OUTSIDE THE BOX is an international e-book publisher. We specialize in producing and marketing ebooks for the digital bookshelves. Like us on                  www.otbebookpublishing.com

Der Zauberteppich

Der Zauberteppich

In der Hauptmoschee zu Meschhed Hossein, der berühmten schiitischen Pilgerstadt, ist unter der Gebetsnische ein Teppich zu sehen, dessen Geschichte man folgendermaßen erzählt:

Zu Ijâr, dem im ganzen Morgenland bekannten Teppichweber, kam Yussuf el Kürkdschi, der ebenso berühmte Musan'nif, um einen Teppich zu bestellen, der Eigentum seines Freundes Masah, des jungen Kutubi, werden sollte. Ijâr sprach:

»Ich habe eigentlich keine Zeit zu dieser Arbeit, jedoch weil du es bist, will ich sie übernehmen. Sie ist für Masak bestimmt, dem meine Achtung angehört; darum werde ich dir nicht etwas Gewöhnliches, sondern das Beste liefern, was ich liefern kann.«

Nach einiger Zeit kam Yussuf el Kürkdschi wieder, um die begonnene Arbeit zu betrachten. Als er dies getan hatte, sagte er:

»Ich bin unzufrieden mit dir, o Ijâr. Ich will ein Muster, das allen Leuten, besonders aber den Packträgern und Eselsjungen gefällt; du aber scheinst mich nicht verstanden zu haben.«

Da antwortete der Teppichweber:

»Du hast diese Arbeit für Masak, den Kutubi, bestimmt, der weder Lastträger noch Eselsjunge ist, und wenn du glaubst, daß meine Kunst um das Wohlgefallen der Verständnislosen zu buhlen habe, so irrst du dich. Laß mich machen, wie ich will; du wirst zufrieden sein!«

»Was ist es, was du willst?« fragte Yussuf.

»Einen Zauberteppich, der jeden Fuß, der ihn betritt, zum Pfad der Liebe lenkt. Ich webe ihn aus Fäden, die nie vergehen, sondern ewig währen.«

Diese Versicherung genügte dem Kürkdschi; er ging beruhigt fort. Aber als er nach einigen Tagen wiederkehrte, um die fortschreitende Arbeit in Augenschein zu nehmen, verfinsterte sich sein Angesicht, und er sprach:

»Ich sehe Gestalten, die mir nicht gefallen und auch keinem anderen gefallen werden! Und ich sehe den Untergrund gefüllt mit Sprüchen der Weisheit, der Liebe und Barmherzigkeit, die das Auge des Beschauers stören. Ich bitte dich, ja nicht in dieser Weise fortzufahren!«

Da schaute ihn der Weber ernst an, schüttelte verwundert seinen Kopf und erwiderte:

»Ich habe dich für einen Kenner meiner Kunst gehalten und geglaubt, daß du Vertrauen zu mir hegest. Sollte ich mich geirrt haben? Willst du ein Werk von mir, so störe sein Entstehen nicht, sondern warte mit deinem Urteil, bis es fertig ist. Kannst du das aber nicht, so gehe in den Basar, wo man mit Schmerzen auf die Käufer wartet und heute verschachert, was morgen schon zerrissen wird.«

Der Kürkdschi entfernte sich schweigend. Er war nicht mit Ijâr einverstanden, obgleich er ihm nichts entgegnen konnte. Aber als er zum drittenmal kam und seinen Blick auf den nun halbfertigen Teppich fallen ließ, rief er aus:

»Maschallah! Was sehen meine Augen! Du füllst trotz meines Wunsches den Untergrund noch immerfort mit unwillkommenen Worten, und die Gestalten, die auf ihm entstanden sind, werden das Mißfallen jedes wahren Gläubigen erregen! Kürze das Werk und füge schnell den Rand hinzu! Da ich es bestellt habe, werde ich es behalten, obgleich es mir nicht gefällt. Zwar wird der Teppich nun kürzer, als ich dachte, aber auf dem Basar sind genug andere zu haben, die ich für Masak, den Kutubi, hinzufügen kann, damit er befriedigt werden möge.«

Da erhob sich Ijâr von seiner Arbeit, lächelte wehmütig und sprach:

»So hast du also auch mir nur Ware des Basars zugemutet, und mich für einen Sohn gewöhnlichen Geschmacks gehalten! Wäre ich das, so säße ich bei den anderen auf der Ladenbank und müßte mich wie sie um die Käufer heiser schreien. Aber ich webe nach Gedanken, die nicht zu kürzen sind, und wenn ich fertig bin, so haben diese Gedanken eine Tat vollbracht. Gehe getrost hin und kaufe da, wo du nun kaufen willst! Du brauchst meine Arbeit nicht zu behalten und nicht zu bezahlen. Nicht mein Geschäft, sondern Allah sorgt für mich!«

Yussuf el Kürkdschi entfernte sich zögernd, begleitet von der Ahnung, daß er töricht gehandelt habe. Ijâr aber sandte den Teppich, als er ihn vollendet hatte, an El Akil, den weisesten der Kalifen.

Dieser ließ ihn vor seinem Thron ausbreiten, rief die Großen seines Reiches zusammen und sprach, als sie vor dem Teppich standen:

»Betet die heilige Fatha, und laßt euch dann auf dieses Gewebe nieder! Es wurde mir gesagt, daß es ein Teppich der Beratung sei. Ich will ihn prüfen.«

Da trat der Großwesir hervor und sagte:

»Wolltest du nicht die heilige Fahne des Propheten entfalten, um die Lehren des Islams auf den Spitzen unserer Schwerter hinaus in alle Welt zu tragen? Laß uns beraten, ob es der Wille Allahs ist!«

»Es sei euch gewährt«, antwortete der Kalif, »kniet auf den Rand des Teppichs, um zu beten!«

Sie gehorchten alle. Der Teppich war von grauer Farbe und nichts, kein Spruch, kein Bild auf ihm zu sehen. Aber kaum sprachen sie dem Vorbeter die ersten Worts der Fatha nach, so begann er sich zu beleben. Der Spiegel des Gewebes füllte sich mit Dunkel, auf dem, goldig glänzend, Spruch um Spruch in der Reihenfolge erschien, in der vom Ijâr gewebt worden war. Die grüne, wehende Fahne des Propheten wuchs hervor, und um sie scharten sich alle die Gestalten, die Yussuf el Kürkdschi nicht gefallen hatten: heulende und tanzende Derwische, Softas, Ulemas, Missionare, stürzende Säulen, Tempelmänner. Das alles kam und stand deutlich vor den Augen der Betenden, bis sie die letzten Worte der Fatha sprachen:

»Und führe uns nicht den Weg der Irrenden!«

Kaum waren diese Worte gesprochen, so begannen sich die Gestalten zu verwandeln, und zwar waren es gerade so viel, wie es Beter gab, und jeder von diesen hatte sein eigenes Bild gerade vor sich stehen, ihm ähnlich, zum Erstaunen ähnlich, aber doch das Zerrbild seines eigenen Glaubens.

Da sprang der Vorbeter erschrocken auf und rief voller Entsetzen:

»Nein, nein, das bin ich nicht! O Allah, gib, daß ich ein anderer bin!«

Da stieg El Akil, der Kalif, von seinem Thron herab, stellte sich auf die Mitte des Teppichs und sprach:

»Ihr seid es alle, wie ihr euch hier seht. Es zeigt der Teppich euch die Züge eures Glaubens. Habt nun wohl acht, was jetzt geschehen wird!«

Sie sahen zu ihm auf, voller Erwartung, was nun geschehen werde. Sein Gesicht verwandelte sich; seine Gestalt wurde eine ändere; nicht mehr der Kalif, sondern Ijâr, der Weber, stand auf seinem Teppich. Er erhob gebieterisch seine Hand und sprach:

»Tretet zurück; ihr habt genug gesehen! Wenn dieser Teppich euch ein besseres Bild von eurem Glauben zeigt, dann ist es euch erlaubt, die Fahne des Propheten zu entfalten. Ihr seht jetzt meinen Geist, der hier bei seinem Werke lebt. Ich lege es in Allahs Tempel nieder. Geht hin, sooft ihr euch beraten wollt! Mein Geist wird doch euch stets die Wahrheit sagen!«

Kaum hatte er diese Worte gesprochen, so war er wieder verschwunden und mit ihm der Teppich vor ihren erstaunten Augen. Am anderen Tag aber verbreitete sich das Gerücht, daß in der Moschee zu Meschhed Hossein ein großer, grauer Teppich unter der Gebetsnische liege, den man von dort nicht entfernen könne. Er sei unsichtbar über Nacht gekommen, und niemand habe ihn gebracht; und alle Wächter der Moschee seien bereit, dies zu beschwören.

*

Das Hamaïl

Zwischen Bir Asud und Ain tajib schwebte hoch oben in der Luft einer jener Sakrfalken, die von den Beduinen gern zur Jagd abgerichtet werden.

Seinen scharfen Augen wurde es nicht schwer, zwei Reiterzüge zu erkennen, die in wohl stundenweiter Entfernung voneinander dem gleichen Ziel zuzustreben schienen.

Der im Osten sich südwärts bewegende Zug mochte eine Kafila, eine Handelskarawane sein. Sie bestand aus vielleicht zwanzig Packkamelen und zehn berittenen Hedschahn; acht der Reiter waren auf orientalische und zwei auf europäische Weise bewaffnet. Jene trugen außer ihren dünnschaftigen Flinten noch Lanzen, deren breite, scharfe Stahlspitzen im Licht der untergehenden Sonne glänzten; der Schech el dschemali, der Führer, war der dunkelste von ihnen und hatte fast negerartige, keineswegs vertrauenerweckende Gesichtszüge. Die beiden anderen hätte man für Europäer halten können, und wenn sie das nicht waren, so stammten sie gewiß wenigstens aus dem Gharb, einem der nordafrikanischen Gestadeländer.

Der Falke stieß hoch oben in der Luft einen lauten schrillen Schrei aus. Als der Führer ihn vernahm, glitt ein befriedigtes Lächeln über seine bisher unbewegten Wangen.

»Chabir – Führer, hast du den Vogel gehört?« rief ihm einer der beiden zu.

»N'am, Sihdi – ja, Herr«, antwortete er.

»Wäre der Falke zahm, so müßten Menschen in der Nähe sein. Ich halte ihn für einen wilden.«

»Hehk – so ist es«, antwortete der Führer kurz, indem es wie Schadenfreude um seine aufgeworfenen Lippen zuckte.

»Wann kommen wir zum Ruheplatz?«

»'an kharihb – bald.«

»Und werden wir dort sicher sein?«

»S'lon bilamahn – wie in Allahs Schoß!«

Der im Westen sich fast in gleicher Richtung bewegende Zug war jedenfalls eine Kafila et tayyara, eine fliegende Karawane. Sie bestand aus vierzehn wohlbewaffneten dunkelfarbigen Männern, die alle sehr gute Reitkamele ritten. Eins davon war ein kostbares graues Bischarihn-Hedschihn. Sein Reiter schien der Anführer zu sein. Er hatte die Kapuze seines weißen Haik zurückgeschlagen. Er war, wie seine Begleiter, ein Tedetu vom Stamm der Kra-an; doch zeigte sein kurzes wolliges Haar, daß Negerblut in seinen Adern floß, ein Umstand, dessen sich unter den Tibbu 1 niemand zu schämen pflegt.

Auch er hörte den Schrei des Falken.

»Ikh, ikh!« rief er, und auf diesen Befehl hielt sein Hedschihn an. Die anderen sammelten sich um ihn. »Hamdulillah – Allah sei Dank!« meinte er. »El Asward führt sie uns in die Hände. Es ist ihm gelungen, sie zu täuschen. Wenn wir uns nun gerade nach Osten wenden, werden wir ihre Darb 2 erreichen und lesen können. Ich werde den Sakr rufen.«

Er steckte einen Finger in den Mund und stieß einen durchdringenden Pfiff aus. Der Falke hörte ihn trotz der großen Entfernung und schwebte nach wenigen Augenblicken über den Reitern.

»Ta'ahl – komm her!« befahl der Reiter.

Der Vogel ließ sich gehorsam auf den hohen Knopf des Sattels nieder, wurde dort an einer Kette befestigt und erhielt eine lederne Haube aufgesetzt.

Dann bogen die Reiter in einem rechten Winkel von ihrer bisherigen Richtung ab und hielten langsam gerade nach Osten zu, der Anführer immer an der Spitze des Zuges.

Als sie ungefähr eine halbe Stunde geritten waren, hielt er an, deutete in die Ferne und sagte nur das eine Wort:

»Hunahk – dort!«

Aus der Richtung, die er zeigte, sah man Lanzenspitzen schimmern. Die vierzehn zogen sich vorsichtig hinter die Sanddünen, zwischen denen sie hielten, zurück, und setzten erst nach einer Weile ihren Ritt fort. Bald erreichten sie die Spur der anderen Karawane. Der Anführer ließ sein Tier niederknien und stieg ab, um die Fährte zu untersuchen.

»Dreißig Hawawihn 3«, sagte er. »Sie sind es, die wir verfolgen. Am Bir Fetna wird Allah sie in unsere Hände geben, und dann werden wir die Beute teilen und reicher sein als je zuvor. Laßt uns ihnen jetzt langsam nachreiten, damit El Aswad uns nicht so lange zu suchen hat!«

Es war klar: die vierzehn Reiter bildeten eine Gum, eine Raubkarawane, und El Aswad, der Führer der Handelskarawane, war ihr heimlicher Verbündeter. Er wollte diejenigen, die sich ihm anvertraut hatten, in die Hände der Wüstenräuber liefern. Er hatte sich nur zu diesem Zweck von den nichtsahnenden Reisenden als Chabir anwerben lassen. Daß die Räuber arabisch sprachen und nicht ihre Tedagamundart, war ein Zeichen, daß sie ihre unheimlichen Raubzüge weit über die Grenzen ihres Stammes hinaus zu unternehmen pflegten.

Während sie den Spuren folgten, erreichte die Sonne den Himmelsrand; aber den Reitern fiel es gar nicht ein, anzuhalten, um das Abendgebet zu sprechen. Es wurde sehr schnell dunkel; dann stieg das Kreuz des Südens auf, und beim Schein der Sterne wurde der Ritt fortgesetzt, bis die Kamele von selbst ihre Schritte beschleunigten; das deutete darauf hin, daß das Wasser der Oase in der Nähe sei. Der Anführer ließ halten. Seine Leute stiegen ab und lagerten sich im Sand. Da warteten sie mehrere Stunden lang, bis sich ganz in der Nähe das leise Bellen eines Fennek, eines Wüstenfüchschens, hören ließ. Der Anführer beantwortete es, und bald tauchte der Chabir der zweiten Karawane aus dem Dunkel auf. Jener empfing ihn mit den Worten:

»Seit einer Woche habe ich deine Stimme nicht vernommen, obgleich wir stets in deiner Nähe gewesen sind. Heute sind wir am Bir el amwat 4 angelangt, an dem wir schon viele den Tod haben trinken lassen. Nun werden wir endlich erfahren, wer die Herren deiner Kafila sind.«

»Es sind zwei reiche Tuggar 5 aus Tarabulos el Gharb 6, die Waffen, Seide und andere Kostbarkeiten nach Bornu bringen wollen. Sie sind begleitet von sieben Beni Riah; wir brauchen sie nicht zu töten, weil sie sich nicht verteidigen werden. Von Temissa habe ich sie über Wau gerade in die Wüste geführt und dir nach dem Duar 7 Nachricht geben lassen. Jetzt schlafen sie am Bir Fetna 8, und ich werde euch zu ihnen führen.«

»Welchen Namen tragen sie?«

»Der eine wird nur Abu el Hamaïl genannt, weil er zwei Korans am Hals hängen hat, und der andere heißt Halef Ben Dschubar.«

»Zwei Hamaïls 9? So war er zweimal in der Stadt des Propheten und ist ein sehr frommer Mann. Aber er wird heute sterben müssen, denn wir brauchen seine Sachen. Allah wird ihm das ewige Leben geben, und ich werde ihm einen Ihram 10 weihen, wenn ich selbst nach Mekka komme. Auch mein Vater zwar zweimal dort. Er hatte zwei Hamaïls. Eins davon hat er einem Mann geschenkt, der ihm das Leben rettete, als die Tuareg-Kel-Tinalkuhm ihn töten wollten. Allah danke es ihm im siebenten Himmel. Jetzt macht euch bereit, ihr Männer! El Aswad wird uns führen.«

Die Männer hatten nicht nur einmal einen Überfall ausgeführt. Sie wußten, was sie zu tun hatten. Sie entledigten sich ihrer weißen Haïks, durch deren schimmernde Farbe das Anschleichen erschwert gewesen wäre, und ließen auch die Schußwaffen zurück. Nur die breiten, scharfen dolchartigen Sekakihn nahmen sie mit sich. Dann folgten sie dem voranschreitenden Verbündeten nach der nahen Oase.

Da, wo der Brunnen aus der Erde quoll, war er von einem Gebüsch ägyptischer Akazien beschattet, daher sein Name Bir Fetna. Die Reisenden hatten sich von ihren Kamelpaketen eine Art Umwallung gebaut, innerhalb derer sie schliefen. Das von trockenem Kamelmist genährte Feuer war fast am Verlöschen. Alle schliefen nach dem anstrengenden Ritt fest. Sogar die Wache, die in einer Ecke kauerte, zwei Lanzen in der Hand, war vor Müdigkeit eingeschlummert.

Der eben hinter den beweglichen Sanddünen aufgehende Vollmond beleuchtete das Lager mit durchdringender südlicher Helle, vor der das Licht der Sterne verschwand. Er sollte den zwei Kaufleuten zum letztenmal leuchten.

Die Mitglieder der Raubkarawane legten sich zur Erde, von der ihre halbnackten, dunklen Leiber nicht zu unterscheiden waren, und schlichen sich unhörbar näher. Sie erreichten die Umwallung. Vorsichtig blickten sie darüber hinweg. Der Anführer wählte sich die Stelle, an der die beiden Kaufleute ruhten. Der eine lag schnarchend auf dem Rücken in seinen Haïk gehüllt, der andere auf der linken Seite und hielt selbst im Schlaf sein Gewehr fest in der Hand. Da bog sich der Anführer über die Umwallung und erhob seine Waffe zum tödlichen Stoß. Diesen Stoß erwarteten rundum seine Genossen, um dann unter fürchterlichem Geheul das übrige zu vollbringen.

Aber was war das? Der Tedetu hielt die Hand starr erhoben, stieß aber nicht zu. Sein Blick war auf ein Gepäckstück gerichtet, das zu Häupten des Kaufmanns lag. Auf diesem wohlverschnürten Pack befanden sich zwei Bücher – zwei Hamaïls, die der Schläfer vom Hals genommen hatte, um bequemer ruhen zu können. Sie lagen nebeneinander, und das zur rechten Hand war an der Schnittseite des Buches mit einem starken, metallenen Schloß versehen, dessen eigenartige Arbeit im hellen Mondenschein deutlich zu erkennen war.

»Essuwal'an ehsch – was gibt es denn?« fragte leise einer der beiden, die hinter dem Zögernden kauerten. Stoß zu!«

»Allah akbar – Gott ist groß!« antwortete er und ließ den Arm sinken. »Das ist das Hamaïl meines Vaters. Allah hat verhüten wollen, daß ich den Retter meines Vaters töte.«

»Waih! Willst du die große Beute fahren lassen? Ist er auch wirklich der Retter?«

»Ich werde es sogleich erfahren. Wenn er es ist, so wehe einem jeden von euch, der es wagen sollte, einem dieser Leute ein Haar zu krümmen oder ihnen das kleinste Stäubchen ihres Eigentums zu rauben!«

Dann rief er laut:

»Hadschi Omar Ben Kuwwad Ibn Hanssari!«

»Wer ruft mich?«

Im Nu sprang der Schläfer auf.

»Bist du der, den ich nannte?«

Erst jetzt sah der Kaufmann, daß sein Lager von fremden Gestalten umringt war. Er nahm schnell sein Gewehr empor, antwortete aber:

»Ich bin's, wer seid ihr?«

»Hast du dieses Hamaïl geschenkt erhalten?«

»Ja, von einem Scheik der Tibbu, namens Arun es Saleta.«

»Das war mein Vater. Ich bin Nowad Ben Arun es Saleta. Der Engel des Todes streckte bereits seine Hand nach dir aus und da – – – –«

»Allah kerihm – Gott ist gnädig!« rief der Kaufmann erschrocken.

»Ja. Allah ist gnädig. Er hat dich gerettet. Wir sind die Gum, und du befindest dich am Brunnen des Todes. Bereits schwebte mein Messer über dir, da erblickte ich das Hamaïl. Jetzt nun bist du bei uns so sicher wie unter den Zelten der Seligen, du, deine Begleiter und dein Eigentum. Und wir werden dich begleiten über die Berge und durch die jenseitige Hammada. Sag nur das Wort, das du zu sagen hast!«

Die Angreifer standen draußen vor der Umwallung und blickten finster auf die erschrockenen Glieder der Handelskarawane. Der Kaufmann erkannte die Gefahr, aus der ihn nur dieses Wort erretten konnte.

»Dakilah ia Scheik!« sagte er.

»Dakilah ia Scheik!« riefen auch alle seine Gefährten.

»Ja, ihr seid die Beschützten!« erklärte der Führer der Gum. »Ihr seid unsere Brüder. Das Hamaïl hat euch vom Tod errettet, und nun sagen wir euch den Gruß: Allah wa sahla wa marhaba – ihr sollt uns willkommen sein!«

*

  1. 1 Tibbu = Mehrzahl von Tedetu
  2. Spur
  3. Tiere
  4. Brunnen der Toten
  5. Kaufleute
  6. Tripolis
  7. Lager
  8. Brunnen der Akazien
  9. Hamaïl ist ein Koran, den man sich in Mekka kauft und dann zum Zeichen, daß man ein Hadschi ist, sichtbar am Hals trägt.
  10. Kleid der Mekka-Pilger; wird auch im übertragenen Sinn gebraucht.

Das Kurdenkreuz

1. Fatima Marryah

»Du bist verrückt, Effendi, zehnmal verrückt, hundertmal verrückt, und niemand kann dich heilen, wenn du bei deinem Vorsatz bleibst. Willst du mein Weib zur Witwe und meine Kinder zu Waisen machen? Sollen auch deine Weiber und Kinder in den Fluten der Tränen ersticken und in den Wassern der Trübsal ertrinken? Wenn du darauf bestehst, diesem Fluß des Unglücks noch weiter zu folgen, so werden wir in kurzer Zeit in den Magen der Geier, Schakale und Hyänen begraben sein.«

»Ich habe weder Frauen noch Kinder«, erklärte ich dem Sprecher. »Um mich würde also niemand trauern.«

»Allahi, Wallahi, Tallahi! Wenn dich niemand beweint, so ist das doch noch kein Grund, meine abgeschiedene Seele beweinen zu lassen! Du weißt, ich bin ein kühner Mann, aber zu diesen Kurden zu gehen, das heißt geradezu, sich in den Rachen des sicheren Todes zu stürzen.«

»So bleib zurück, Feigling!« rief mein kleiner, lieber Hadschi Halef Omar zornig. »Du bist ein Sohn der Angst und ein Enkel der Verzagtheit. Du nennst dich kühn, aber dein Herz wackelt dir vor Furcht im Leib, wenn wir Miene machen, einen Schritt vom breiten Weg abzuweichen. Du bist uns mitgegeben, uns zu schützen, und klapperst vor Entsetzen, wenn du eine fremde Flinte erblickst. Schäme dich! Komm, Sihdi, wir wollen weiterreiten und diesen Großvater der Furchtsamkeit hier stehenlassen!«

Ich war mit Halef in Kerkuk Gast des Müteßarrif gewesen, der uns sehr freundlich behandelte und bei unserer Abreise uns einen Kawassen aufnötigte. Ich hatte zwar keine Lust, mich mit einem solchen unnützen ›Beschützer‹ zu befassen, denn ich reise nicht so wie andere und wußte im voraus, daß ich die Aufgabe haben würde, der Beschützer unseres Beschützers zu sein. Aber der Müteßarrif erklärte, daß ich ohne einen Kawassen bei den Kurden verloren sei, und drängte mich so lange, bis ich ja sagte, nur um nicht undankbar zu erscheinen.

Was ich vorausgesehen hatte, trat ein: Kaßem, so hieß der Kawaß, entpuppte sich als furchtsamer Mensch, der dazu des Kurdischen kaum genügend mächtig war. Wären mir nicht die Sasa- und Kurmandschi-Mundarten geläufig gewesen, so hätten wir auf unseren weiteren Ritt verzichten müssen. Glücklicherweise besaß der Begleiter eine Eigenschaft, die mich mit dem erwähnten Fehler aussöhnte: er hatte ein gutes Herz und nahm die Vorwürfe, mit denen ihn mein Hadschi, der die Feigheit haßte, zuweilen überschüttete, so ruhig lächelnd hin, als seien sie nicht an ihn gerichtet.

Wir waren von Kerkuk aus nach Suleimanije gekommen, von da nach Rewandus geritten und wollten nun hinüber auf persisches Gebiet, um den Urmiasee zu erreichen. Unser Kawaß schlug uns vor, zu diesem Zweck den Sawi, den Hauptarm des Großen Sab, entlang zu reiten. Da es aber ein Umweg war, bestand ich darauf, dem kleineren Sidaka-Flüßchen zu folgen, das uns schneller über die Grenze führte. Kaßem aber weigerte sich, weil er die Khosnaf-Kurden fürchtete, die damals ihr Sommerlager an den Ufern des Sidaka aufgeschlagen hatten. Diese Kurden sind freilich als große Glaubenseiferer und Räuber verschrien. Da aber, alle nicht seßhaften Kurden das mehr oder weniger sind, so hielt ich meinen Vorsatz aufrecht und bekam deshalb von ihm die am Eingang verzeichnete Rede zu hören. Hadschi Halef stimmte mir, wie bereits erwähnt, bei, warf ihm seine Feigheit vor und lenkte sein Pferd nach rechts, in welcher Richtung der Sidaka floß. Ich tat das gleiche, und so mußte der Kawaß uns wohl oder übel folgen, aber nicht, ohne die Einwendung hören zu lassen:

»Ihr rennt ins Verderben, wenn ihr meiner Stimme nicht gehorcht. Ich kenne diese Khosnaf-Räuber. Sie leben sogar unter sich selbst in ewiger Blutrache. Sie zerfallen in die beiden Abteilungen Mir Mahmalli und Mir Yussufi, von denen die erste links, die zweite rechts vom Fluß weidet. Beide Stämme leben in beständiger Fehde miteinander. Sobald es sich aber darum handelt, an einem Fremden einen Raubmord zu begehen, halten sie zusammen. Kehrt um, kehrt um, denn ihnen gegenüber wird alle meine Macht zuschanden!«

»Sprich nicht von deiner Macht!« lächelte Halef. »Die Gewalt deines Müteßarrif erstreckt sich nicht auf die wilden Kurden. Sie fürchten selbst den Padischah nicht. Welche Macht willst du also besitzen? Dir leistet man ja nicht einmal in Kerkuk Gehorsam. Dein Wille ist gleich dem einer Mücke, die ich mit meinem Odem weit von mir blase.«

Ich duldete Kaßem als unnötiges Anhängsel und schwieg, wenn Halef sich mit ihm stritt. Darum war ich auch jetzt still. Der arme Teufel konnte ja nicht anders sein, als er eben war.

Wir hatten Rewandus am frühen Morgen verlassen, und jetzt war es schon Nachmittag. Indem wir dem Flüßchen aufwärts folgten, ritten wir nicht etwa auf einem gebahnten Weg. Es gab keinen solchen, unsere Pferde gingen vielmehr im klaren Geröll, das die Frühjahrsüberschwemmung an den beiden Ufern zurückgelassen hatte. An dieses Geröll stieß sofort der dichte Eichenwald, der hüben und drüben schroff in die Höhe stieg. Der Ritt war anstrengend für die Tiere, doch erweiterte sich später das Tal des Flusses. Seine Sohle trug saftiges Wiesengras, auf dem die Pferde weicher gingen. Zuweilen zog sich ein Gebüsch, durch das wir uns drängen mußten, vom Wald her bis an das Wasser hin.

Ich ritt mit Halef voran. Kaßem folgte eine Strecke hinterher. Er machte ein sehr besorgtes Gesicht. Da ich aber im Gras keine Spur von Menschen oder Weidevieh bemerkte, hielt ich eine Begegnung mit Kurden jetzt noch für ausgeschlossen. Ich irrte mich, denn ich zog den Umstand nicht in Betracht, daß die beiden Stämme, die hier getrennt zu beiden Seiten des Flusses lebten, in Fehde miteinander standen. Feindliche Stämme bringen jedenfalls eine größere Entfernung, als die Breite des kleinen Flüßchens betrug, zwischen sich. In der Folge sah ich freilich, daß die Mir Mahmalli und Mir Yussufi sich hüteten, ihre Herden in das Flußtal zu treiben. Sie hatten ihr Lager mitten im Wald aufgeschlagen und ihre Tiere auf Lichtungen untergebracht, wo sie leicht bewacht werden konnten.

Eben ritten wir wieder durch einen dichten Busch, als ich vor uns, doch in weiter Entfernung, um Hilfe rufen hörte. Es war eine weibliche Stimme. Ich nahm an, daß jemand sich in Gefahr befände und trieb meinen Rappen schnell vorwärts durch die Sträucher. Halef folgte mir auf dem Fuß. Kaßem aber, der das sah und den Hilferuf auch gehört hatte, zügelte sein Tier und rief uns ängstlich zu:

»Haltet an! Effendi, ich bitte dich inständig, hier im Gebüsch versteckt zu bleiben! Laß rufen, wer da rufen will! Wer sich in Gefahr begibt, den frißt sie auf mit Haut und Haar.«

Selbstverständlich achtete ich nicht auf diese Warnung und ritt weiter. Die Rufe wurden ängstlicher, sie kamen näher. Als ich den Rand des Gesträuchs erreichte, sah ich das diesseitige Ufer als einen langen schmalen Grasplan vor mir liegen, der rechts vom Fluß, links von der bewaldeten Höhe und vorn von einem ähnlichen Gebüsch, wie das hinter mir liegende, begrenzt wurde. Diese Ebene war vielleicht achthundert Schritte lang, und eine weibliche Gestalt kam darüber aus Leibeskräften gerannt, dabei immer um Hilfe rufend, als würde sie von einem feindlichen Wesen verfolgt. Und doch war, so weit mein Blick reichte, kein solches zu sehen.

Die Frau war aus den jenseitigen Büschen gekommen und hatte sich davon schon vielleicht hundertfünfzig Schritte entfernt. Die Angst hatte sie zunächst gerade vorwärts getrieben. Nun wendete sie sich dem Fluß zu, um ihn zwischen sich und die Gefahr, die hinter ihr lag, zu bringen. Da sah sie mich und Halef halten und lenkte rasch wieder in ihre vorherige Richtung ein, kam also auf uns zugerannt, Kaßem hatte sich doch bis an den Buschrand hinter uns her gewagt. Er rief lachend aus:

»Allah! Dieses Weib ist verrückt. Sie schreit um Hilfe und befindet sich doch nicht in Gefahr.«

Aber es zeigte sich schon im nächsten Augenblick, daß ihre Rufe nicht ohne Ursache waren, denn aus dem hinter ihr liegenden Gebüsch kam ein Hund geschossen, hinter ihm noch einer und wieder einer. Es waren riesige, grau gefärbte kurdische Windhunde von der Rasse, die von den Kurden Tasi genannt wird. Ein solcher Hund hat die Höhe eines Kalbes, besitzt zwar eine schlechte Nase, verliert aber eine Spur, einmal auf sie gehetzt, nicht wieder und ist darauf abgerichtet, dem Verfolgten die Gurgel zu zerreißen. Die Frau befand sich also in höchster Gefahr. Wurde sie von den Hunden erreicht, so war es um ihr Leben geschehen. Sie kamen in weiten Sätzen hinter ihr her. Ich mußte ihr helfen und jagte ihr entgegen.

»Halt ein, halt ein! Um Allahs willen, halt ein! Die Hunde reißen dich vom Pferd und zerfleischen dich!« schrie mir Kaßem nach.

Ich achtete nicht auf ihn, ritt vielmehr weiter, um die Entfernung zu verringern und einen sicheren Schuß zu haben. Dann hielt ich an und nahm den Stutzen vor. Als ich ihn anlegte, stand mein Rappe wie eine Mauer. Er wußte, daß ich schießen wollte, und daß er sich nicht bewegen dürfe. Drei schnell hintereinander folgende Schüsse, und die Hunde, die ich so schön von vorn aufs Blatt nehmen konnte, wälzten sich im Gras. Die Frau rannte dennoch weiter. Ich ritt ihr, von Halef gefolgt, entgegen und rief sie, als ich sie fast erreicht hatte, an:

»Bleib stehen! Du bist gerettet. Die Hunde sind tot!«

Ich hatte mich der Kurmandschi-Mundart bedient, die wohl die ihrige war, denn sie verstand mich, hielt im Laufen inne, blickte zurück und rief, als sie die Hunde liegen sah:

»Gheine Chodeh kes nehkahne – Gott ist allmächtig! Er hat mich gerettet. Ihm sei Lob und Dank gesagt!«

Ihr Atem flog so, daß sie diese Worte nur mit Unterbrechung hervorbrachte. Die beiden Hände auf die Brust legend, versuchte sie, sich zu beruhigen. Sie war vielleicht vierzig Jahre alt und Falten durchfurchten ihr Gesicht. Ihre ärmliche Bekleidung bestand nur aus einem langen, hemdartigen, blauleinenen Gewand. Auf dem Kopf trug sie ein altes Schleiertuch, das sich verschoben hatte, sonst wäre ihr Gesicht damit bedeckt gewesen.

»Hattest du die Hunde erzürnt, oder hat man sie auf dich gehetzt?« fragte ich.

»Gehetzt, gehetzt!« erwiderte sie, noch immer atemlos. »Ich sollte von ihnen zerrissen werden.«

»Wem gehörten sie?«

»Schir Seleki, dem Anführer der Mir Mahmalli, der Räuber, der Mörder, die keinen Menschen, nicht einmal ein armes Weib schonen.«

»Womit hattest du denn diesen Mann erzürnt?«

»Erzürnt? Er tötet, ohne zornig zu sein, denn der Mord ist ihm ein Vergnügen. Ich vermißte meine Ziege, meinen Liebling, von deren Milch wir leben, denn wir sind arm und haben nur das eine Tier. Ich suchte sie und kam zum Fluß. Ich sah sie jenseits und stieg ihr durch das Wasser nach. Eben wollte ich sie ergreifen, um sie zurückzuführen, da kam Schir Seleki, der Erbarmungslose, mit einer Schar Mir-Mahmalli-Krieger. Ich flehte ihn um Erbarmen an, denn wir liegen in Blutfehde mit seinem Stamm. Er aber hohnlachte meiner Bitte und stach meinen Liebling tot. Dann wurde darüber beraten, was mit mir geschehen sollte. Die Unmenschen wollten zwar ihre Waffen nicht mit dem Blut eines Weibes verunreinigen, aber sterben sollte ich dennoch. Sie beschlossen, mich von den Hunden hetzen und zerreißen zu lassen. Ich mußte vorwärts laufen bis an das nächste Gebüsch, so weit wollten sie mir Vorsprung geben. Ich lief bis zum Gesträuch, dann immer weiter, und schrie in meiner Todesangst zu Gott um Hilfe. Er hörte meinen Ruf und rettete mich durch dich, o Herr. Sein Name sei gelobt in Ewigkeit!«

»So sind die Mir-Mahmalli-Krieger wohl hinter dir her?«

»Sie kommen jedenfalls, um meine zerrissene Leiche – –«

Sie hielt inne. Infolge meiner Frage unwillkürlich zurückblickend, sah sie einen Trupp Reiter, der durch die vor uns liegenden Sträucher brach und bei unserem Anblick kurz halten blieb.

»Dort sind sie, dort!« schrie sie entsetzt auf. »Fort, sonst bist du verloren! Ich fliehe auch!«

Sie rannte spornstreichs zum Fluß, um sich ans jenseitige Ufer zu retten. Der Kawaß hielt noch immer weit hinter uns, er brüllte uns zu:

»Allah sei uns gnädig! Kommt zurück! Wir müssen fliehen – fliehen – fliehen!«

Die Kurden sahen die toten Hunde liegen und kamen, ein Wutgeschrei ausstoßend und die Waffen schwingend, auf uns zugesprengt. Es waren zwölf Mann. Mein kleiner Hadschi Halef nahm sein Doppelgewehr von der Schulter und fragte ruhig:

»Wir reißen doch nicht aus, Sihdi?«

»Nein! Rück weiter ab von mir, und schieß, wenn sie nicht haltenbleiben, aber nur auf die Pferde. Umzingeln lassen dürfen wir uns nicht!«

Ich schob drei neue für die abgeschossenen Patronen in den Stutzen und hielt ihn schußbereit. Zweihundert Schritt, hundertfünfzig, hundert waren die Mir Mahmalli von uns entfernt, da rief ich ihnen zu:

»Halt, nicht weiter! Wir schießen!«

Zwölf gegen zwei! Sie antworteten mit einem höhnischen Gelächter und ritten weiter. Sieben hatten, wie ich sah, Gewehre. Diese fürchtete ich nicht so wie die langen Lanzen, die die fünf anderen gegen uns eingelegt hielten.

»Die Pferde der zwei vordersten Lanzenreiter!« rief ich Halef zu. Er gehorchte, und ich gab drei Schüsse ab. Fünf Pferde stürzten, die Reiter flogen ab. Zwei oder drei der folgenden Pferde strauchelten über die gefallenen und stürzten auch, der Trupp kam dadurch ins Stocken. Die noch im Sattel Sitzenden blieben ungefähr dreißig Schritt vor uns halten, während die anderen sich aufrichteten und fluchend ihren Pferden nachsahen.

Der Anblick dieser Leute war keineswegs Vertrauen erweckend, doch konnte ihre Bewaffnung mich nicht in Angst versetzen. Die Lanzen waren jetzt unschädlich, und die mit Gewehren Ausgerüsteten hatten nur alte Steinschloßflinten, zwei von ihnen sogar uralte Luntengewehre. Was die Anzüge betraf, so prahlten diese in allen Farben: der Kurde liebt es, sich möglichst bunt zu kleiden. Einer von ihnen, der sich auch durch den Besitz einer Pistole auszeichnete, trug auf dem Kopf einen riesigen Turban.

Er war der Anführer, ritt einige Schritte vor und donnerte uns an:

»Allah verdamme euch! Habt ihr den Verstand verloren, daß ihr es wagt, im Bereich unseres Gebietes auf uns zu schießen? Wer seid ihr, Hundesöhne?«

»Wir sind Fremde«, erwiderte ich, sein letztes, beleidigendes Wort überhörend.

»Das versteht sich von selbst. Wäret ihr nicht fremd, würdet ihr euch gehütet haben, euch durch diese Feindseligkeit die Pforten des sicheren Verderbens zu öffnen. Eure Seelen gehören der Hölle. Fahr hinab durch unsere Kugeln!«

Er wollte sein Gewehr anlegen. Ich hielt den Lauf auf ihn gerichtet und gebot ihm schnell: »Nieder mit der Flinte, sonst jage ich dir den Tod ins Gehirn!«

»Schwätzer!« lachte er. »Eure Läufe sind doch abgeschossen!«

»Der meinige schießt immerfort. Paß auf!«

Ich gab rasch hintereinander drei, vier, fünf Schüsse auf sein Pferd ab. Es brach tot zusammen. Er stürzte nieder und verlor die Flinte.

»Allah, Allah!« brüllte er wütend, indem er sich aufrichtete. »Woher hast du dieses Gewehr? Hat es der Teufel für dich gemacht? Wie ist dein Name?«

»Ich bin ein Christ aus einem fernen Land und werde Kara Ben Nemsi Effendi genannt.«

»Ein Christenhund? Allah verfluche dich! Stirb von meiner Hand!«

Er raffte sein Gewehr auf, um es auf mich anzulegen, da fiel ihm einer der Lanzenreiter in den Arm und rief ihm hörbar ängstlich zu:

»Halt ein! Du tötest uns alle! Das Gewehr dieses Christen schießt hundert Kugeln hintereinander, ohne daß man es jemals zu laden braucht. Ich kenne ihn! Er schießt euch, bevor ihr zum Losdrücken kommt, alle über den Haufen.«

»Was – sagst du?« fragte der Anführer, indem er seine Flinte sinken ließ und den Sprecher mit offenem Mund anstarrte.

Dieser antwortete aber mit so leiser Stimme, daß ich ihn nicht verstehen konnte. Er sprach auf ihn und die anderen eifrig eine ganze Weile ein, wodurch Halef Zeit gewann, seine beiden Läufe wieder zu laden. Die Kurden hörten dem Sprecher mit sichtbarem Staunen zu und musterten mich mit Blicken, als sei ich das achte Weltwunder. Ich selbst war neugierig zu hören, wo dieser Mann mich kennengelernt hatte. Als seine Rede zu Ende war, wurde eine kurze, ebenso leise Beratung gehalten, und dann wendete sich der Anführer an mich:

»Chodih 11, bist du der Fremdling, der den Stamm der Haddedihn dadurch vom Untergang rettete, daß er drei Stämme ihrer Feinde in das Tal Deradsch lockte, wo sie sich ergeben mußten?«

»Der bin ich allerdings.«

»Und ist der kleine Mann, der sich bei dir befindet, vielleicht Hadschi Halef Omar, der alles mit dir erlebte?«

»Er ist es.«

»Da ihr diese beiden seid, so sind wir bereit, euch zu verzeihen, wenn du das tust, was wir von dir verlangen.«

»Sage, was du forderst.«

»Du bezahlst erstens die Pferde, die ihr uns getötet habt.«

»Wohl auch die Hunde?«

»Gewiß! Und zweitens schenkt ihr uns alle Waffen, die ihr bei euch tragt.«

»Und drittens?«

»Weiter nichts. Du siehst, daß wir sehr billig sind. Gehst du auf diese Bedingung ein, so bist du mein Mivan und Hemscher 12, und ihr könnt bei uns, solange es euch beliebt, ebenso sicher wohnen, als ob ihr zu unserem Stamm gehörtet.«

»Wenn ich mich aber weigere?«

»So werden wir euch als Feinde behandeln, und die Sonne dieses Tages wird die letzte sein, die euch ins Auge scheint. Ich rate dir, meinem billigen Verlangen nachzukommen.«

»Es ist mir noch nicht billig genug. Ich werde euch beweisen, daß ihr noch viel billiger sein könnt.«

»Glaube das nicht! Wer gab dir das Recht, meine Hunde zu töten?«

»Sollten sie nicht das Weib zerreißen?«

»Ja. Es herrscht Blutrache zwischen uns und ihrem Stamm. Sie ist außerdem eine verfluchte Schiitin, die sogar vom Heiland der Christen redet. Ihr Blut gehört den Hunden. Sie heißt Fatima Marryah 13 und wird im tiefsten Schlund der Verdammnis heulen.«

Also diese Frau war eine Schiitin! Die Sunniten hassen die Schiiten, ja sie behandeln sie mit noch größerer Verachtung als die ›Ungläubigen‹. Und vom Heiland redet sie? Sollte die Kunde vom Welterlöser auf irgendeine Weise in ihr Ohr oder gar in ihr Herz gedrungen sein? Dann konnte ich mich darüber, sie gerettet zu haben, doppelt freuen. Ich antwortete:

»Ich bin ein Christ. Fatima Marryah spricht von meinem Heiland, und darum fühle ich mich glücklich, deine Hunde erschossen zu haben. Hättest du sie nicht auf das arme Weib gehetzt, so lebten sie noch. Du bist also selbst schuld an deinem Verlust. Und auch die Pferde soll ich bezahlen? Habe ich euch nicht Halt geboten? Drohte ich euch nicht, sonst zu schießen? Ihr gehorchtet nicht, darum feuerten wir. Wer gab also die Veranlassung zum Tod eurer Pferde?«

»Du, nicht wir! Wer gibt dir denn das Recht zu schießen?«

»Ich selbst gebe es mir. Wenn ich angegriffen werde, verteidige ich mich. Dankt Allah, daß ich ein Christ bin! Wäre ich ein Muslim, so hätten wir nicht auf die Pferde, sondern auf euch geschossen. Und unsere Waffen wollt ihr haben? Damit ihr uns dann niedermachen könnt! Ich verschmähe es, der Gast und Freund eines Mannes zu sein, der wehrlose Frauen von seinen Hunden zerfleischen läßt. Schande und Verderben über dich!«

»Schweig!« brüllte er mir zu. »Sage noch ein einziges derartiges Wort, so fressen dich schon heute oder morgen die Würmer!«

»Es be the tescha-u-utim – ich bedaure dich. Deine Ohnmacht ist nicht imstande, deine Drohung auszuführen. Mein Gewehr hat drei Hunde und drei Pferde getroffen, dann erhielt auch dein Tier fünf Schüsse aus ihm. Hast du mich laden sehen? Soll ich noch zwölfmal losdrücken und euch alle durch die Köpfe schießen?«

»Du hast es dir vom Teufel machen lassen!« knurrte er in unterdrückter Wut. »Wer kann gegen den Teufel kämpfen! So willst du uns also nicht bezahlen?«

»Nein.«

»Und auch nicht mit uns gehen?«

»Fällt mir nicht ein!«

»Wohin reitet ihr?«

»Dahin, wohin es uns beliebt. Du brauchst es nicht zu wissen. Zunächst bleiben wir noch fünf Minuten hier. Unsere Sicherheit erfordert, daß ihr euch vor uns entfernt. Wer von euch nach diesen fünf Minuten nicht fort ist, bekommt eine Kugel von mir.«

»Wir müssen die toten Pferde fortschaffen, ihnen wenigstens das Reitzeug abnehmen.«

»Zu diesem Zweck könnt ihr später zurückkehren. Fort mit euch! Sieh hier mein Gewehr im Anschlag und zähle fünf Minuten! Dann geht es sicher los!«

Ich richtete den Lauf auf ihn, und Hadschi Halef folgte meinem Beispiel. Die Angst vor meinem Stutzen brachte die beabsichtigte Wirkung hervor. Die Kurden warfen mir zwar grimmige Blicke zu, wagten es aber doch nicht, zu widerstreben. Sie raunten sich leise Bemerkungen zu und trollten sich dann, die einen reitend, die anderen zu Fuß, von dannen. Als sie an dem Gebüsch, aus dem sie gekommen waren, anlangten, drehte sich der Anführer der Mir Mahmalli um, schwang drohend sein Gewehr und rief zurück: »Kuh' in ßore. Bavese ser marân – das Blut ist rot. Hüte dich vor Schlangen!«

Das war eine Unvorsichtigkeit von ihm, denn er verriet uns dadurch, daß er die Absicht hege, uns heimlich zu folgen, um sich an uns zu rächen. Wir wußten also, daß wir auf unserer Hut sein mußten. Zwar hatten wir nur einige Tiere erschossen, doch war es sicher, daß die Wirkung die gleiche sein würde.

*

2. Yussuf Ali

Hadschi Halef Omar ließ, als die Mir Mahmalli verschwunden waren, ein lustiges Lachen hören und sagte:

»Da sind sie hin, die zwölf Helden, die vor zwei Männern weichen! Müssen sie sich nicht dessen schämen, Sihdi, und alle ihre Kindeskinder in Zukunft auch? Wir aber sind nicht vor ihnen gewichen. Doch siegten wir nur durch die Angst vor deinem Gewehr. Wir wären schlimm daran gewesen, wenn der Krieger seinen Anführer nicht auf deinen Stutzen aufmerksam gemacht hätte.«

»Auch nicht schlimmer, nur hätte es wohl Menschenblut gekostet. Solange die Kurden offen vor uns standen, waren sie nicht zu fürchten. Nun aber werden sie uns wie ›Schlangen‹ nachschleichen, und das ist weit gefährlicher für uns.«

»Eher denke ich, daß sie uns auflauern, wenn wir jetzt weiterreiten. Es scheint, daß wir durch ihr Gebiet kommen werden.«

»Meinst du wirklich, daß ich imstande bin, den Weg auf dieser Seite fortzusetzen? Ich habe bisher angenommen, daß du mich besser kennst. Hier wohnen die Mir Mahmalli, drüben die Mir Yussufi, zu deren Stamm, wie es scheint, diese Fatima Marryah gehört. Da wir ihr einen solchen Dienst erwiesen haben, so steht mit Sicherheit zu erwarten, daß ihre Stammesgenossen uns freundlich aufnehmen und nötigenfalls gegen die Mahmalli beschützen werden. Wir gehen jetzt also über das Wasser.«

Indem ich das sagte, sah ich mich nach unserem Kawassen um. Er war nicht zu erblicken. Darum ritten wir zurück und fanden ihn nur dadurch, daß ich im Gras seine Spur suchte. Der Mensch hatte vor lauter Angst sein Pferd zwischen die Büsche geführt, dort angebunden und war dann tief in ein Dorndickicht gekrochen.

»Sind sie fort?« fragte Kaßem, als ich ihn an den Beinen hervorzog. »Du lebst, Effendi! So haben sie dich nicht ermordet?«

»Doch! Sie haben mich erschlagen.«

»Aber – aber, du stehst ja hier vor mir!«

»Das ist nur mein Geist, der dich Tag und Nacht verfolgen wird für die Kühnheit, mit der du uns beschützt hast.«

»Und mein Geist wird dir aufsitzen, alle Stunden zehn- oder zwölfmal, du Großvater und Urgroßvater der Furchtsamkeit«, stimmte Hadschi Halef ein. »Warum bist du zurückgeblieben? Warum hast du dich versteckt?«

»Nur aus Rücksicht für euch. Die Kurden hassen die Kawassen des Großherrn. Hätten sie mich bei euch gesehen, so wäret ihr gewiß nicht mit so heiler Haut davongekommen.«

»Und da gibt dein Müteßarrif dich uns zum Schutz mit. Allah verwandle ihn dafür in einen umgekehrten Igel, mit den Stacheln nach innen, damit sie seine inwendige Seele stechen und peinigen all ihr Leben lang! Welcher vernünftige Mensch tut denn, um einen Zweck zu erreichen, das gerade Gegenteil von dem, wodurch er ihn erreichen würde? Ich werde euch beide nach vollendeter Reise auf Bretter nageln lassen, um euch als Seltenheiten vorzuführen.«

Halef machte eine verächtliche Handbewegung und folgte mir, der ich mich zum Fluß wendete. Dieser war hier seicht, so daß die Kurdin leicht hatte hinüberwaten können. Sie war übrigens nicht mehr zu sehen.

Drüben angelangt, ritten wir am Ufer aufwärts, hüteten uns aber, uns nah am Wasser zu halten. Die Mir Mahmalli konnten sich drüben versteckt haben und auf uns schießen.

Wir ritten vielmehr am Rand der Talsohle, am Saum des Waldes unter den Bäumen, durch deren Stämme wir leidlich gedeckt waren.

Diese Vorsicht zeigte sich als gerechtfertigt, denn wir waren noch nicht weit gekommen, so fiel drüben aus den Büschen ein Schuß, doch ohne daß einer von uns getroffen wurde. Einige Augenblicke später hörte ich einen zweiten, er war hinter mir gefallen. Ich drehte mich schnell um und sah den Kawassen, der, um ruhiger zielen zu können, abgestiegen war, neben seinem Pferd stehen und die soeben abgeschossene Flinte senken. Jenseits des Flusses erhoben die Kurden ein wütendes Geschrei. Schnell, damit er meinen Worten zuvorkomme, rief er mir zu:

»Ich habe ihn erschossen, Effendi! Ich sah ihn zwischen den Sträuchern stehen und auf uns feuern. Da schickte ich ihm meine Kugel und sah ihn niederstürzen.«

»Welcher war es? Etwa der Anführer?«

»Nein, ein anderer. Siehst du nun, daß ich Mut besitze und ein tapferer Krieger bin?«

»Nein. Es ist keine Kunst, so aus dem Hinterhalt auf jemand zu schießen. Warum fragtest du mich nicht? Deine Voreiligkeit kann uns den größten Schaden bringen. Aus dem Geschrei der Mir Mahmalli ist zu erkennen, daß du getroffen hast. Dachtest du denn nicht an die Blutrache?«

»Blutrache? O Allah, das hatte ich vergessen! Meinst du, daß sie kommen, um sich zu rächen?«

»Sicher! Kein Volk hält so fest wie diese Kurden an der Blutrache. Wenn sie dir den Hals abschneiden, habe ich nichts dagegen!«

Ich meinte diese Worte nicht im Ernst, war aber doch erzürnt über Kaßem. Wir befanden uns schon in Gefahr, und sein unkluges Gebaren konnte sie nur vermehren, zumal der Fluß jetzt eine Krümmung machte und so nah an den Berghang trat, daß zwischen den beiden nur ein sehr schmaler, offener Grasstreifen blieb, dem wir eigentlich folgen mußten. Diese Stelle konnte verhängnisvoll für uns werden, weil wir darauf den Kugeln der in den Büschen jenseits steckenden Kurden frei ausgesetzt waren. Darum zog ich es vor, wenigstens eine Strecke weit unter dem Wald des Abhangs Deckung zu suchen. Wir waren also gezwungen, uns bergauf zu wenden, und mußten infolgedessen absteigen, da das Gelände felsig war und ziemlich steil anstieg. Unsere Pferde führend, kletterten wir empor und kamen zu meiner Verwunderung auf einen Pfad, der längs der Berglehne hinzuführen schien. Wir folgten ihm, ohne es für notwendig zu halten, uns auf eine feindselige Begegnung vorzubereiten, denn auf diesem Ufer wohnten die Mir Yussufi, von denen ich annahm, daß sie uns freundlich aufnehmen würden.

Hier konnten wir wieder in den Sattel steigen, waren aber noch nicht weit gekommen, so sahen wir uns zum Halten gezwungen. Wir befanden uns nämlich vor einem Felsen, der da, wo der Pfad aufhörte, ein Tor zu bilden schien. Man konnte auf keine Seite abweichen, denn links fiel das Gelände steil ab, und rechts stieg es so jäh an, daß es nicht zu begehen war. Die Öffnung aber, die ich Tor nannte, war mit einem starken Dorngeflecht verschlossen. Ich fragte mit lauter Stimme, ob jemand dahinter sei, worauf eine kräftige Baßstimme von innen antwortete:

»Es ist jemand da. Wer seid ihr?«

»Wir sind Fremde, die von Rewandus kommen.«

»Wohin wollt ihr?«

»Über die Grenze.«

»Wes Glaubens seid ihr? Sunniten oder Schiiten?«

»Ich bin ein Christ. Meine Begleiter aber sind sunnitische Muslimin. Könnten wir für die Nacht eure Gäste sein?«

»Ich werde öffnen. Bindet draußen eure Pferde an!«

Die Dornentür wurde entfernt, und es erschien ein Mann von so riesigen Körperformen, wie ich wohl noch nie einen gesehen hatte. Er war bedeutend höher und breiter als ich und trug auf seinem unbedeckten, sonst kahlgeschorenen Kopf nur ein langes, dünnes Temeli 14, das hinten bis auf den Rücken niederfiel. Seine sehr weite Hose war schwarz und rot gestreift und oben und unten mit einem Riemen zugebunden. Die nackten Füße hatten fast noch größere Abmessungen als die gewaltigen Hände. Um die Schultern hing ein Lederkragen, der in lange Streifen geschnitten war, so daß der rauh behaarte Oberkörper ebenso wie die nackten, auffallend muskelkräftigen Arme zu sehen waren. Er hielt ein Messer in der Hand, mit dem er wohl eben beschäftigt gewesen war. Er musterte uns finster und sagte dann:

»Kommt herein und wartet hier! Ich werde dem Malkoegund 15 eure Ankunft melden.«

Er verschwand im Hintergrund durch eine zweite Dornentür, die er von draußen wieder vorschob, und wir traten ein, die Pferde im Freien lassend. Wir befanden uns in einem unregelmäßig viereckigen Raum, der wohl zwanzig Menschen bequem fassen konnte, und dessen Wände mit ebensolchem Dorngeflecht bekleidet waren. Als Stühle oder Schemel lagen mehrere große Steine da. Wir setzten uns. Sonst war ringsum nichts zu sehen als ein Lanzenschaft, an dem der Kurde bei unserem Kommen geschnitzt zu haben schien.

Eigentlich hatte ich große Lust, die Örtlichkeit in altgewohnter Vorsicht zu untersuchen, doch hielt mich eben diese Vorsicht davon ab. Wir konnten Beobachter haben, und ich wollte sie nicht durch ein Zeichen des Mißtrauens gegen uns aufbringen. Eines aber tat ich, um auf alle Fälle gerüstet zu sein: ich füllte, um die abgeschossenen Kugeln zu ergänzen, die Kugelkammer meines Henrystutzens mit neuen Patronen.