Robert Menasse

Das Paradies der Ungeliebten

Ein Schauspiel

Suhrkamp

Personen:

PETER SCHMEICHEL, Führer der rechtspopulistischen Partei LdU

ACHMED, Schmeichels Haushälter

BRIAN LAUDRUP, Journalist, Herausgeber der Zeitschrift »Agora«

TORBEN FRANK, Laudrups Freund und Redakteur der »Agora«

CLAUS CHRISTIANSEN, Vizekanzler und Parteivorsitzender der Christlichsozialen

DR. PIA PIECHNIK, Büroleiterin von Vizekanzler Christiansen

FLEMMING POVLSEN, Kanzler und Parteivorsitzender der Sozialdemokraten

HANNI VILFORT, seine Sekretärin

HENRIK ANDERSEN, Berater des Kanzlers

KIM CHRISTOFTE, Laudrups Schwiegervater

LARS OLSEN, ehemaliger Schauspieler, Abgeordneter der Christlichsozialen

MØLLER NIELSSEN, Polizeipräsident

Ein alter Mann, eine Frau, zwei Kinder, Fotograf mit Assistenten, Polizisten, Passanten, Bettler, Volk

Das Stück spielt in »Dänemark«

Dauerregen

1. Szene

Peter Schmeichel, Achmed. Schmeichels Haus.

PETER SCHMEICHEL mit nacktem Oberkörper; nimmt eine Pistole von einem Tisch, wiegt sie in der Hand; ruft Achmed! Nimmt eine Patrone, betrachtet sie. Einführen! Und man ist schmerzfrei! Lädt die Pistole; zielt auf eine Scheibe; erblickt sich seitlich in einem großen Spiegel, beobachtet sich, wie er die Waffe langsam sinken läßt und wieder hebt, übt zwei, drei Varianten des Anlegens und Zielens, während er sich im Spiegel selbst beobachtet. Achmed! Anziehen!

ACHMED tritt auf Ohh! Sie sollten was nehmen oben, Monsieur. Geht zum Schrank, nimmt einen Gehörschutz aus einer Lade, setzt ihn Schmeichel auf. Sonst werden Sie taub. Hören nicht mehr Volkes Stimme. Wen wollen Sie jetzt treffen?

PETER SCHMEICHEL Vizekanzler Claus Christiansen! Schießt.

ACHMED Also konservativer Anzug, Krawatte.

PETER SCHMEICHEL Was?

ACHMED schreit. Konservativer Anzug. Krawatte.

PETER SCHMEICHEL Nein. Heute ist doch dieses Tennisturnier. Prominente spielen zugunsten der Hochwasseropfer. Keine Krawatte. Informell.

ACHMED untersucht die Zielscheibe. Lässig! Mitten ins Schwarze!

PETER SCHMEICHEL nimmt den Gehörschutz ab. Achmed, du kannst doch Dänisch!

ACHMED Dänisch, Französisch, Englisch und Muttersprache, Monsieur!

PETER SCHMEICHEL Eben! Was ist im Dänischen der Unterschied zwischen Wohltätigkeit, Benefiz und Charity?

ACHMED Kein Unterschied, ist nur nicht alles dänisch!

PETER SCHMEICHEL Der Unterschied ist: Charity sagen die Sozis. Die Christlichsozialen sagen Benefiz. Also was soll ich anziehen zu der Wohltätigkeitsveranstaltung?

ACHMED Lässig. – Tennis mit Vizekanzler. Spielen Sie mit ihm oder gegen ihn?

PETER SCHMEICHEL Mit ihm. Ich werde ein bißchen nachhelfen bei der Auslosung.

ACHMED Seit wann wollen Sie Zweiter werden? Vizekanzler Christiansen wird immer Zweiter. Geht zum Schrank, nimmt drei, vier Hosen auf Kleiderbügeln heraus, betrachtet sie, hängt sie wieder zurück.

PETER SCHMEICHEL Heute nicht. Das wird er jetzt lernen: Mit mir im Doppel ist er unschlagbar. Hebt die Waffe, schießt.

ACHMED geht mit einer Hose über dem Arm zur Zielscheibe. Ich sehe nicht mehr schwarz. Sie haben es weggeschossen. Bringt Schmeichel die Hose. Weiße Hose für weißen Sport, Monsieur. Lässig, und doch klassisch.

PETER SCHMEICHEL zieht seine Hose aus, zieht die weiße Hose an, betrachtet sich im Spiegel. Weißt du, was der Kanzler unlängst zu mir gesagt hat?

ACHMED Kanzler Lemming?

PETER SCHMEICHEL Achmed! Er heißt Flemming. Flemming Povlsen.

ACHMED Ja, Monsieur.

PETER SCHMEICHEL Notier das für meine nächste Rede. Die Sozis sind Lemminge, angeführt von Lemming Povlsen. Sehr gut. – Sagt er also zu mir: Früher habe ich auch so ein Waschbrett da vorn gehabt, aber dann habe ich es rausgenommen – es hat mich beim Sitzen gestört. – So ein Idiot!

ACHMED Ja, Monsieur.

PETER SCHMEICHEL Konnte sich kaum halten vor Lachen. Es fehlte nur noch, daß ihm die Hemdknöpfe aufgesprungen sind. Welches Hemd, Achmed?

ACHMED Idiot, Monsieur. Wird fett und sein Gesicht wird immer roter vom Rotwein, aber rote Fahne wird immer bleicher und blasser, bald ist sie so weiß wie die Fahne, wenn man sich ergibt.

PETER SCHMEICHEL lacht. Notier das, Achmed. Nein, nicht dieses Hemd, das ist doch viel zu förmlich. Lieber ein Polo-Shirt.

ACHMED Nein, Monsieur. Ist nicht förmlich. Hilft ihm ins Hemd. Nicht mit Schalkrawatte. Sehen Sie, jetzt der Seidenschal, so, Moment, so! Und drüber den Blazer mit dem Blockstreif. Holt den Blazer. Das Kanzler kommt auch? Hilft Schmeichel in den Blazer, richtet noch einmal die Schalkrawatte. Na?

PETER SCHMEICHEL Der Kanzler, Achmed, es heißt: Der Kanzler. Obwohl – Ja, er kommt auch.

ACHMED Tasche mit Tennissachen stelle ich ins Auto.

PETER SCHMEICHEL Ist gut. Betrachtet sich im Spiegel, nimmt dann die Waffe, legt an. So, Herr Vizekanzler, lieber Freund Christiansen! Wir haben ein Ziel, und ich werde es treffen. – Achmed!

ACHMED geht ab.

PETER SCHMEICHEL Achmed! Die Schuhe! Welche Schuhe!

ACHMED kommt zurück. Die Penny-Loafers? Setzt ihm den Gehörschutz wieder auf.

PETER SCHMEICHEL Nein! Du weißt, ich hasse sie. Die sind – für Kinder, die sind einfach nicht trittfest.

ACHMED Dann schlage ich vor die zweifarbigen Half-Brogues. Sind genagelt. Da können Sie gut treten, Monsieur! Ihre Gutgeh-Schuh!

PETER SCHMEICHEL zielt, schießt Achmed nimmt die Schuhe aus dem Schrank, stellt sie Schmeichel hin. Schmeichel betrachtet sich im Spiegel, posiert. Dann setzt er sich und zieht die Schuhe an.

ACHMED Wenn der Vizekanzler das Turnier mit Ihnen gewinnt, wird er Hände falten und sagen Danke – Lieber Gott! Grinsend ab.

PETER SCHMEICHEL nimmt den Gehörschutz ab. Was?

2. Szene

Brian Laudrup, Herausgeber der Zeitschrift »Agora«, sein Mitarbeiter Torben Frank. Laudrups Zimmer in der Redaktion. Ein Sandsack für Box-Training.

TORBEN FRANK Sie haben ihm die Hände zertrümmert.

BRIAN LAUDRUP Hände zertrümmert? Wem?

TORBEN FRANK Ich rede von Morten. Von unserem Kollegen Morten Bruun!

BRIAN LAUDRUP Morten? Die Hände gebrochen? Wie hat er sich –

TORBEN FRANK Er liegt auf der Intensivstation. Ich komm gerade von dort.

BRIAN LAUDRUP Was erzählst du da?

TORBEN FRANK Morten ist nicht vernehmungsfähig. Es ist ein Glück, daß er lebt. Oder ein Pech. Schlägt Laudrup die Hand auf die Stirn. Geht es jetzt langsam da hinein? Morten! Im Koma! Begreifst du? Koma – das Wort sagt dir etwas? Ja? So! Und jetzt vergiß dein Stretching nicht! Sonst bekommst du womöglich noch eine Muskelverkürzung. Will gehen.

BRIAN LAUDRUP He! Warte! Das ist doch –

TORBEN FRANK Ja. Weißt du, was Morten recherchiert hat? Gestern hat er mir noch aufs Handy gesagt: Titelgeschichte! Er will Cover und fünf Seiten, hat er gesagt! Und jetzt: Intensivstation.

BRIAN LAUDRUP Hör auf zu schreien!

TORBEN FRANK Ich habe Angst.

BRIAN LAUDRUP Ich auch. Ich. Auch. Okay? Wann ist das passiert?

TORBEN FRANK Gestern abend.

BRIAN LAUDRUP Gestern abend hatte ich ein Gespräch mit der Gewerkschaft, Öffentlichkeitsarbeit, mit diesem Jensen. Er hat unsere Zeitung – mit einem Schlag … Aber Morten –

TORBEN FRANK Ja. Aber was hat dieser Gewerkschafter damit zu tun?

BRIAN LAUDRUP Sie zahlen nicht mehr. Ende der Zeitschrift. Wir sind pleite.

TORBEN FRANK

BRIAN LAUDRUP Keine Finanzierung mehr. Weder direkt noch über Inserate. Pleite. Komm, wir fahren ins Spital. Ich muß Morten sofort sehen.

TORBEN FRANK Vergiß es. Wir können im Moment gar nicht zu ihm.

BRIAN LAUDRUP Koma? Scheiße! Schlägt mit der Rechten auf den Sandsack. Scheiße! Mit der Linken. Scheiße! Betrachtet seine Hände. Zertrümmert? Diese Schweine! Schlägt ein paarmal auf den Sandsack. Faschistische Schweine!

TORBEN FRANK Oder Rowdies. Das wird sich noch herausstellen.

BRIAN LAUDRUP Rowdies! Ja? Du weißt, daß Morten in der Schmeichel-Partei recherchiert hat? Und genau da wird er rein zufällig von unpolitischen Rowdies zusammengeschlagen, denen gerade langweilig war? Ja, das wird sich herausstellen – wie vor ein paar Wochen, als der jüdische Friedhof geschändet worden ist. Da hat sich auch herausgestellt: die Tat hatte keinen politischen Hintergrund. Sagt die Polizei.

TORBEN FRANK Es ist auf der Straße passiert. Morten kam aus einem Gasthaus. Wir wissen noch nicht, wen er dort getroffen hatte. Die Gewerkschaft. Was hat der Typ gesagt?

BRIAN LAUDRUP Die sagen ja nichts mehr. Die streichen nur noch. Wir haben doch von den Sozialdemokraten über die Gewerkschaft diese Basisfinanzierung bekommen. Und die haben sie jetzt gestrichen. In den letzten Jahren haben sie schon ihre Parteipresse eingestellt. Und wenn sie schon kein Propagandablatt haben, wollen sie auch kein Feigenblatt mehr. Diese geistig Nackten begreifen einfach nicht, wie dringend sie ein Feigenblatt brauchen. Sollen wir eingehen? Habe ich zu Jensen gesagt. Die neuen Rechtspopulisten in Europa. Ob ihm das bitte klar sei, was das bedeutet, habe ich zu Jensen gesagt. Die LdU, die Schmeichel-Partei, ob ihm die Gefahr bewußt sei, habe ich ihn gefragt. Gerade jetzt, wo Peter Schmeichel gelbe Gewerkschaften gründen will, jetzt, da er nach der Macht im Staat greift, gerade jetzt, im Kampf gegen den neuen Faschismus, können sie uns doch nicht auf den Misthaufen –

TORBEN FRANK Bitte, Laudrup! Die LdU ist populistisch, aber du darfst nicht überall Faschismus –

BRIAN LAUDRUP Darf ich nicht. Aha! Ich darf also nicht? Jetzt darf ich dies nicht, bald darf ich jenes nicht, dann – schlägt schreiend den Sandsack – gar nichts mehr, aber es ist kein Faschismus? Und Morten Bruun? Ins Koma geprügelt, ganz demokratisch oder was!

TORBEN FRANK Wir wissen noch nicht, wer es getan hat.

BRIAN LAUDRUP Vielleicht waren wir für die Sozialdemokraten nur ein Feigenblatt. Aber ein Feigenblatt verdeckt nicht nur etwas Nacktheit, es zeigt auch die Scham, die der Nackte empfindet. Und jetzt steht der Nackte saturiert da im Pelzmantel und sagt: Ist eigentlich wärmer als so ein Blatt! Macht einige wütende Schläge gegen den Sandsack. Aber der Schmeichel wird ihnen, uns allen das Fell über die Ohren ziehen – und dann?

TORBEN FRANK Wir müssen jetzt ruhig reden! Kannst du bitte damit aufhören?

BRIAN LAUDRUP Ich muß das machen! Sagt mein Therapeut. Wegen meiner Aggressionen. Seit ich dieses Ding da hängen habe, geht es mir wirklich besser. Eindeutig. Umarmt den Sandsack, läßt sich an ihm abrutschen, gleitet zu Boden.

3. Szene

Lars Olsen, zu Hause.

LARS OLSEN einige Blatt Papier in der Linken, einen Bleistift in der Rechten. Wer wollte nicht der bedankte Gott einer Schöpfung sein, die so erschöpft ist, daß sie nicht einmal mehr Verdacht schöpfen kann? Wohl nur einer, der allergisch gegen Weihrauch ist! Ja, die Menschen sind Bauchrednerpuppen, die sich freuen, wenn der Bauchredner ihnen ein »Nein!« in den Mund legt. Onanisten, Sadisten, Choristen, Puristen, Parasiten, Sodomiten, Transvestiten, Konvertiten, Querulanten, Dilettanten, Ignoranten, Ministranten – sag ihnen, daß sie zündeln sollen, und sie zünden dir den Weihrauch an. Mein Dänemark! Ich habe deine Sitten durchaus studiert wie eine fremde Sprache. Doch diesen Wortschatz will ich jetzt begraben. Faschisten? Doch nur ein Wort! Rechtsruck? Eine choreographische Anweisung auf der politischen Bühne – uuund reeechts Ruck! Linkszweidrei. Geht auf und ab, dabei in seinen Papieren blätternd. Rollenstudium! Wie in alten Zeiten. Jetzt endlich eine große, meine größte Rolle – die will perfekt einstudiert sein. Setzt sich, macht eine Unterstreichung. Regel eins für Fernsehinterviews: Beantworte nie eine Frage, sondern sage sofort, was du sagen willst! Die richtigen Fragen folgen dann automatisch! Setzt ein freundlich konzentriertes Gesicht auf, fingiert Zuhören, nickt zweimal. Ich habe mich vom Nationaltheater beurlauben lassen, um auf einer größeren Bühne eine Rolle zu spielen, auf der Bühne des Folketing, des Parlaments. Und von dort auf die größte Bühne des Landes: in die Regierung. Lächelt, senkt den Blick wieder auf die Papiere, macht eine Unterstreichung. Regel zwei: Wende dich der Person, die das Interview führt, konzentriert zu, sprich sie mit ihrem Namen an, damit schaffst du eine komplizenhafte Einigkeit mit dem Medium. Bei einem Kamerawechsel aber von der Totale zur Stirnkamera, schaue sofort in die Kamera, um deine zentrale Botschaft direkt an die Zuschauer zu richten! Beugt sich vor. Natürlich ist es beglückend, Frau Krogh, Kultur zu machen, aber noch reizvoller erscheint es mir heute, alles für die Kultur zu machen, Anwalt der Kultur zu sein, mit all meinen Erfahrungen als Kulturschaffender. Hebt den Kopf, neigt ihn etwas nach links, schiebt das Kinn vor. Mir geht es vor allem um die Erweiterung des Kulturbegriffs! – Nein! Das muß ich griffiger sagen, pointierter! – Ich habe Shakespeare gespielt. Den Coriolan. – Notiert.Macht eine Notiz.beugt sich vor, fingiert Zuhören, lächelt, nickt.Macht eine Notiz.Steht auf, nimmt ein fiktives Mikrophon in die Rechte, stößt die Linke in die Höhe.Ab. Nach dem Abgang noch einmal kurz zurück.Ab.