PIPER

DAS BANKETT FÜR TILLOTSON

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Neuauflage einer früheren Ausgabe

 

Beide Erzählungen wurden von Herberth E. Herlitschka übersetzt.

 

ISBN 978-3-492-97652-7

© Piper Verlag GmbH, München 2017

Die vorliegende Auswahl ist aus »Mortal Coil« (1922) entnommen, bei Chatto & Windus, London, erschienen. »The Tillotson Banquet«, »Green Tunnels«

© Mrs. Laura Huxley 1920, 1922

© der deutschsprachigen Ausgabe Piper Verlag GmbH, München 1985

Covergestaltung: zero-media.net, München

Covermotiv: FinePic®, München

Datenkonvertierung: abavo GmbH, Buchloe

 

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I

Der junge Spode war kein Snob; dazu war er zu gescheit, zu durch und durch anständig. Er war kein Snob; aber er fühlte sich doch sehr erfreut bei dem Gedanken, dass er ganz intim, nur zu zweit, mit Lord Badgery zu Abend essen werde. Es war ganz entschieden ein Ereignis in seinem Leben, ein Schritt vorwärts, so fühlte er, zu jenem endgültigen Erfolg, dem gesellschaftlichen, materiellen, literarischen, den zu erringen seine feste Absicht gewesen war, als er nach London kam. Die Eroberung und Gefangennahme Badgerys war eine fast unerlässliche strategische Maßregel auf diesem Feldzug.

Edmund, siebenundvierzigster Baron Badgery, war ein direkter Nachkomme jenes Edmunds mit dem Beinamen Le Blayreau und einem Dachs im Wappen, der im Gefolge Wilhelms des Eroberers auf englischem Boden landete. Von Wilhelm dem Roten baronisiert, waren die Badgery eine der wenigen altadeligen Familien, welche die Rosenkriege und alle die anderen Wechselfälle der englischen Geschichte überdauert hatten. Sie waren ein vernünftiges, zeugungsfreudiges Geschlecht. Kein Badgery hatte je in irgendeinem Krieg gekämpft. Kein Badgery hatte sich je in irgendeine Art von Politik eingelassen. Sie waren es zufrieden gewesen, zu leben und sich ruhig fortzupflanzen, in einem riesigen, von einem dreifachen Graben umgebenen, zinnenbekrönten normannischen Schloss, aus dem sie nur ausritten, um nach ihren Ländereien zu sehen und die fälligen Pachten einzutreiben. Im achtzehnten Jahrhundert, als das Leben verhältnismäßig sicher geworden war, begannen sich die Badgery in die zivilisierte Gesellschaft hinauszuwagen. Aus bäuerischen Landjunkern erblühten sie zu Grandseigneurs, Gönnern der Künste, »Virtuosi«. Ihr Landbesitz war sehr ausgedehnt, sie waren reich; und mit der zunehmenden Industrialisierung nahm auch ihr Reichtum zu. Dörfer auf ihrem Grund und Boden verwandelten sich in Fabrikstädte, unvermutete Kohle wurde unter ihren unfruchtbaren Bergheiden entdeckt. Um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts gehörten die Badgery bereits zu den reichsten englischen Adelsfamilien. Der siebenundvierzigste Baron verfügte über ein jährliches Einkommen von mindestens zweihunderttausend Pfund. Der großen Tradition der Badgery getreu, hatte er weder mit Politik noch mit Krieg etwas zu tun haben wollen. Er beschäftigte sich mit Bildersammeln; er nahm ein Interesse an Theateraufführungen; er war der Freund und Gönner von Schriftstellern, von Malern und Musikern, mit einem Wort eine Persönlichkeit von beträchtlicher Bedeutung in der besonderen Welt, in der Erfolg zu haben der junge Spode sich in den Kopf gesetzt hatte.

Spode hatte erst vor kurzer Zeit die Universität verlassen. Simon Gollamy, der Chefredakteur der Review of the World (der »besten aller möglichen Welten«), hatte ihn kennengelernt – er war stets auf dem Auslug nach jungen Talenten –, hatte Möglichkeiten in dem jungen Mann gewittert und ihn zum Kunstkritiker an seinem Blatt gemacht. Gollamy liebte es, sich mit jungen, belehrbaren Leuten zu umgeben. Schüler zu haben, schmeichelte seiner Eitelkeit, und er fand es überdies leichter, seine Zeitung mit gelehrigen Mitarbeitern zu leiten, als mit Männern, die vom Alter widerspenstig gemacht und hartgesotten waren. Spode hatte sich auf seinem neuen Posten nicht übel bewährt. Jedenfalls waren seine Artikel verständig genug gewesen, um das Interesse Lord Badgerys zu erregen. Letztlich verdankte er ihnen die Ehre, heute Abend im Eßzimmer von Badgery House zu sitzen.

Gestärkt durch mehrere Weinsorten und ein Glas alten Kognaks, fühlte sich Spode etwas zuversichtlicher und unbefangener, als er sich den ganzen Abend gefühlt hatte. Badgery war ein recht beunruhigender Gastgeber. Er besaß die bestürzende Gewohnheit, den Gegenstand jedes Gesprächs zu wechseln, das länger als zwei Minuten gedauert hatte. Spode war sich, zum Beispiel, entsetzlich belämmert vorgekommen, als sein Gastgeber ihn mitten in einer, wie er selbst sich stolz sagte, besonders feinsinnigen und aufklärenden Betrachtung über Barockkunst unterbrechend, einen unsteten Blick im Zimmer umhersandte und ihn plötzlich unvermittelt fragte, ob er Papageien möge. Er war errötet und hatte seinen Gastgeber argwöhnisch angesehen, denn er dachte, der wolle beleidigend werden. Aber nein; Badgerys käsiges, hannoveranisch fleischiges Gesicht trug einen Ausdruck völliger Harmlosigkeit. In seinen kleinen grünlichen Augen war keine Spur von Bosheit. Er wollte offenbar wirklich wissen, ob Spode Papageien mochte. Der junge Mann schluckte seine Gereiztheit herunter und antwortete bejahend. Badgery erzählte ihm hierauf eine gute Anekdote über Papageien. Spode wollte sie soeben mit einer besseren überbieten, als sein Gastgeber von Beethoven zu sprechen begann. Und so ging das Spiel weiter. Spode schnitt seine Konversation auf die Bedürfnisse seines Gastgebers zu. Im Verlauf von zehn Minuten machte er mehr oder minder witzige Epigramme auf Benvenuto Cellini, Königin Viktoria, Sport, Gott, Mallarmé und maurische Baukunst. Lord Badgery hielt ihn für den charmantesten jungen Mann, und dabei so intelligent!

»Wenn Sie wirklich genug Kaffee gehabt haben«, sagte er, sich erhebend, »wollen wir dann gehen und uns die Bilder ansehen?«

Spode sprang eifrig auf und wurde sich erst da bewusst, dass er just ein klein wenig zu viel getrunken hatte. Er würde vorsichtig sein, mit Bedacht sprechen und seine Füße behutsam einen vor den anderen setzen müssen.

»Dieses Haus ist einfach vollgestopft mit Bildern«, klagte Lord Badgery. »Ich ließ eine ganze Fuhre davon vorige Woche aufs Land hinausschaffen; aber es sind noch immer viel zu viele hier. Meine Ahnen wollten ihre Porträts unbedingt von Romney gemalt haben. So ein minderer Künstler, finden Sie nicht auch? Warum suchten sie sich nicht Gainsborough aus oder wenigstens Reynolds? Ich habe jetzt alle die Romneys in die Gesindestube hängen lassen. Es ist so ein Trost zu wissen, dass man sie nun unmöglich mehr zu Gesicht bekommen kann. Ich vermute, Sie wissen alles, was es über die alten Hethiter zu wissen gibt?«

»Hm, ja …« erwiderte der junge Mann mit geziemender Bescheidenheit.

»Dann sehen Sie sich das da an!« Er wies auf einen großen Kopf aus Stein, der in einem Glaswürfel auf einem Postament neben der Tür des Eßzimmers stand. »Es ist weder griechisch noch ägyptisch noch persisch noch sonst etwas; wenn’s also nicht althethitisch ist, weiß ich nicht, was es ist. Und das erinnert mich an diese Geschichte über Lord George Sanger, den Zirkuskönig …« Und ohne Spode Zeit zu lassen, das hethitische Kunstwerk zu besichtigen, führte er ihn die riesige Treppe hinauf und unterbrach seine Anekdote immer wieder, um ihm ein neues merkwürdiges oder schönes Objekt zu zeigen.

»Sie kennen doch gewiss die Pantomimen von Deburau?«, stieß Spode hervor, sobald das Geschichtchen zu Ende war. Es juckte ihn, sein bisschen Wissen von Deburau auszukramen. Badgery hatte ihm mit seinem lächerlichen Sager ein großartiges Stichwort dazu gegeben. »Ein hervorragender Mann, nicht? Er pflegte immer …«

»Dies ist meine Hauptgalerie«, sagte Lord Badgery und stieß den einen Flügel einer hohen Tür auf. »Ich muss mich entschuldigen für sie. Sie sieht wie eine Rollschuhbahn aus.« Er griff an den elektrischen Schaltern herum, und plötzlich wurde es Licht – und das Licht enthüllte eine riesige Galerie, die sich nach allen Regeln der Perspektive in der Ferne zu verlieren schien. »Ich darf wohl annehmen, Sie haben von meinem armen Vater gehört?«, fuhr Lord Badgery fort. »Ein bisschen verrückt, wissen Sie; so etwas wie ein genialer Mechaniker, bei dem eine Schraube los war. Er ließ eine Spielzeugeisenbahn in diesem Raum laufen. Hatte unendlich viel Spaß daran, seinen Zügen auf dem Fußboden nachzukriechen. Und alle diese Bilder waren in den Kellerräumen aufgestapelt. Ich kann Ihnen gar nicht beschreiben, wie sie aussahen, als ich sie entdeckte: Schwämme wuchsen aus den Botticellis. Also ich bin recht stolz auf diesen Poussin; er malte das Bild für Scarron.«