Von der gezielten Tötung zur selektiven Massenvernichtung

Nanowaffen können letztlich auch zu einer neuen Art von Massenvernichtungswaffe werden.58 Nanomaschinen könnten programmiert werden, Menschen unterschiedslos zu töten, oder sie könnten sich absichtlich oder versehentlich unkontrolliert vermehren und dabei die ganze Welt zerstören und in eine ›graue Masse‹ (›gray goo‹) verwandeln. Es ist aber ebenfalls denkbar, dass Nanowaffen darauf programmiert werden könnten, nur bestimmte Personengruppen anzugreifen. Regierungen haben in der Vergangenheit immer wieder die eigene Bevölkerung angegriffen und versucht, bestimmte Teile der Bevölkerung selektiv zu eliminieren. Auch heute gibt es radikale politische Ideologien und Utopien wie zum Beispiel den Transhumanismus und Öko-Faschismus, die eine massive Reduzierung der Weltbevölkerung befürworten. Solche Ideologien sind in Teilen der politischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Eliten der Welt durchaus en vogue. So argumentierte Präsident Obamas Wissenschaftsberater John Holdren in einer 1977 veröffentlichten pseudowissenschaftlichen Abhandlung für massive Bevölkerungskontrolle und Eugenik.59

Nanotechnologie in Kombination mit Überwachungstechnik (Datenbanken und Sensoren), biometrischer Identifikation und Robotik macht den selektiven Völkermord sehr viel einfacher als jemals zuvor in der Menschheitsgeschichte. Autonome Waffensysteme, die sich derzeit in Entwicklung befinden, werden in der Lage sein, ihre Ziele nach bestimmten Parametern selbst auszuwählen und anzugreifen, ohne dass ein menschliches Eingreifen nötig ist. Autonome Waffensysteme könnten programmiert werden, Personen, die durch Namen, biometrische Kennzeichen, oder implantierte Identifikationschips von einem autonomen Waffensystem identifiziert werden und auf einer Todesliste stehen, systematisch zu töten. Autonome Waffensysteme sind zu einem bestimmten Grad bereits Realität – so können Raketen- und Luftverteidigungssysteme vollautomatisch Ziele identifizieren und angreifen. Es gibt auch bereits Marschflugkörper und andere intelligente Waffen, die, nachdem sie abgefeuert wurden, in einem Zielgebiet selbstständig Ziele finden, identifizieren und angreifen können. Natürlich sind selbstlernende Terminatoren mit menschenähnlicher Intelligenz wahrscheinlich nur in ferner Zukunft realisierbar. Aber dumme autonome Waffensysteme, die lediglich auf positiv identifizierte Ziele Feuer eröffnen, können definitiv von vielen modernen Streitkräften mittelfristig entwickelt werden. Dann fehlt nur noch eine Regierung, die verantwortungslos genug ist, solche Waffen einzusetzen.60

Genetische Biowaffen sind eine andere Art von Waffen, die sich für eine selektive Massentötung eignen. Biologische Waffen, besonders solche, die auf ansteckenden Krankheiten basieren, gelten als schwer oder unkontrollierbare Waffen, da sie Angreifer und Verteidiger gleichermaßen beeinträchtigen können. Durch Entzifferung des menschlichen Genoms und Techniken der genetischen Manipulation von Mikroorganismen könnte es möglich sein, Biowaffen gezielt gegen bestimmte Bevölkerungen oder Bevölkerungsgruppen zu richten. Es ist bekannt, dass das Apartheidsregime in Südafrika außer an biologischen Attentatswaffen auch an rassenspezifischen Biowaffen gearbeitet hat, die die Unfruchtbarkeit von allen Schwarzafrikanern bewirken sollten.61 Obwohl die Südafrikaner daran scheiterten, könnten wissenschaftliche Fortschritte in der Biotechnologie mittelfristig zur erfolgreichen Entwicklung ethnischer Biowaffen führen. Ein Hindernis auf dem Weg dahin ist die Tatsache, dass alle Menschen ein zu 99,9 Prozent identisches Genom haben und die genetischen Unterschiede innerhalb einer Ethnie größer sein könnten als zwischen verschiedenen Ethnien. Dennoch wäre es möglich, ein bestimmtes Gen zu identifizieren, das kaum in einer Bevölkerungsgruppe, aber häufig in einer bestimmten anderen Bevölkerungsgruppe vorkommt. Ein Bericht des Sunshine Projects schätzt, dass ein Gen, das in einer Bevölkerungsgruppe fast nicht und zu mehr als 20 Prozent in einer anderen vorkommt, zu einer militärisch effektiven genetischen Biowaffe führen könnte und dass für Biowaffenentwickler etwa 15.000 zur genetischen Zielauswahl geeignete genetische Sequenzen existieren, die in der beabsichtigten Zielgruppe Unfruchtbarkeit, Krankheit oder Tod auslösen könnten.62 Diese Gefahr wird von Regierungen durchaus ernst genommen. Im Mai 2007 verbot die russische Regierung den Export von menschlichem Gewebematerial mit der Begründung, dass das genetische Material benutzt werden könnte, um die russische Bevölkerung mit ethnischen Biowaffen anzugreifen, sei es, um sie unfruchtbar zu machen, oder sie zu töten.63

Verdeckte Operationen

Verdeckte Geheimdienstoperationen sind nach den Worten des Iran-Kontra-Verschwörers Oliver North ihrer Natur nach eine Lüge, da es notwendig sei, jede Verbindung der Aktivitäten mit der USA abstreiten zu können, um den Feind zu täuschen (was im Englischen als ›plausible deniability‹ bezeichnet wird). Die Nation, die die Operation durchführt, kann plausibel abstreiten, diese autorisiert zu haben oder daran beteiligt zu sein.2 Das wiederum setzt voraus, dass die Agenten des Staates unentdeckt bleiben oder im Fall von Gefangennahme oder Tötung nicht mit dem verantwortlichen Staat in Verbindung gebracht werden können. In der Praxis ist das sehr schwierig, auch wenn von Geheimdiensten sehr umfassende Vorkehrungen getroffen werden wie die Verwendung falscher Ausweispapiere anderer Nationen, von Legenden (erfundenen Biographien) sowie von Scheinfirmen und Strohmännern, die die Verbindung von Agenten und Regierung verschleiern sollen. Trotzdem kommt es vor, dass gelegentlich Agenten enttarnt und verhaftet werden, was dann schwerwiegende diplomatische Konsequenzen haben kann.

Die von Geheimdiensten praktizierten Tötungsmethoden weisen ein breites Spektrum auf und reichen von Vergiftung, Autobomben, anderen Sprengsätzen, Briefbomben, Erschießung aus nächster Nähe bis hin zu ausgefeilten Intrigen, durch die die Gegenseite manipuliert wird, die eigenen Leute selbst zu beseitigen.3 Gezielte Tötungen sind aus operativer Sicht überaus schwierig in der Planung und Ausführung: 1) Die Zielpersonen sind oft schwer aufzufinden und/oder gut beschützt; 2) die Zielpersonen sollen getötet werden, ohne dabei Unschuldige zu gefährden; und 3) müssen die Attentäter erfolgreich und unentdeckt entkommen können. Geheimdienstoperationen zur gezielten Tötung von Terroristen und anderen gefährlichen Individuen sind daher politisch riskant und methodisch sowie moralisch kaum vom politischen Attentat abzugrenzen. Die bekanntesten Beispiele stammen aus der Zeit des Kalten Kriegs, als die CIA und andere Geheimdienste außenpolitische Ziele durch die Eliminierung von politischen Führern zu erreichen suchten.4 Seit den 1960er Jahren ist der Mossad dafür bekannt, die Feinde Israels überaus professionell im Ausland zu ›liquidieren‹ – auch wenn zuweilen Fehler unterlaufen wie zuletzt bei der Tötung des Hamasführers und mutmaßlichen Waffenschmugglers Mahmud Al Mabhu 2010 durch Mossad-Agenten in Dubai.5

Veränderung der Politik/Strategie des Gegners

Ein gezielter Angriff auf einen Führer oder eine Führungselite des Gegners kann dessen Verhalten beeinflussen. Ein erfolgreicher Angriff kann zum Beispiel zu einer Warnung für etwaige Nachfolger des getöteten Führers werden, und selbst ein fehlgeschlagener Angriff kann einen Führer davon abschrecken, die bisherige Politik/Strategie weiterzuverfolgen. So bewegte der gezielte Angriff auf Gaddafi 1986 ihn dazu, seine Unterstützung des Terrorismus erheblich zurückzuschrauben.36 Jedoch können fehlgeschlagene Versuche einer gezielten Tötung von Führern überaus kontraproduktiv sein: Sie alarmieren die Zielpersonen, was weitere Attentatsversuche noch schwieriger macht; sie ermutigen die überlebenden Führer, noch aggressiver vorzugehen; schließlich können mehrere überlebte Attentate einem Führer eine Aura der Unbesiegbarkeit verleihen. Selbst erfolgreiche Attentate auf Führer bringen manchmal nicht die gewünschten Wirkungen hervor. Es ist oft unberechenbar, wer einen getöteten Führer ersetzen wird und wie sich das Verhalten der neuen Führung von der des Vorgängers unterscheidet. Die Gefahr bei erfolgreichen Angriffen auf Führer besteht darin, dass Nachfolger noch kompromissloser und gefährlicher sind als diejenigen, die sie ersetzen. So hat Israels Strategie der gezielten Tötung der Hamasführung nur eine neue Generation von Führern hervorgebracht, die noch radikaler ist und nur noch auf militärische Konfrontation mit Israel setzt.37 Die getöteten Führer können auch leicht zu Märtyrern stilisiert werden, die deren Gefolgschaft über den Tod hinaus zum Widerstand motivieren. Das Märtyrertum eines populären Führers kann zu einem großen Propagandasieg für den Gegner werden, ganz besonders wenn es sich um einen religiösen Führer handelt, dessen erklärtes Ziel es ist, einen Märtyrertod zu sterben.38 Gezielte Tötungen tendieren dazu, die Wut, Motivation und Entschlossenheit der betroffenen Gruppierung und ihrer Sympathisanten zu erhöhen. Für Terror- und Widerstandsorganisationen ist die Motivation der eigenen Gefolgsleute in strategischer Hinsicht von größerer Bedeutung als die Fähigkeit zu Angriffen und Gewalttaten: Nach Henry Kissinger siegt der Guerilla, indem er nicht verliert.

Es gibt aber auch das Argument, dass gezielte Tötungen von Führern den Gegner ganz erheblich unter Druck setzen und dadurch die Führung des Gegners veranlassen können, eine friedliche Lösung zu suchen. Vielleicht erscheint es als unnütz und sinnlos, mit Terrororganisationen, Kriminellen oder wahnsinnigen Diktatoren über Frieden zu verhandeln. In der Tat wurden aber viele bewaffnete Konflikte mit sogenannten Terroristen durch Verhandlung gelöst, etwa der Apartheidkonflikt in Südafrika oder der Nordirlandkonflikt. Eine aggressive militärische Strategie in Form von gezielten Tötungen kann theoretisch mit gleichzeitiger Verhandlung einhergehen und den Erfolg von Verhandlungen wahrscheinlicher machen. Die Tötung eines entschlossenen Führers, der die treibende Kraft des Widerstands ist, kann zu einem Friedensschluss führen. So konnte die Tötung des angolischen UNITA-Führers Jonas Savimbis einen langjährigen Konflikt beenden. Nur sechs Wochen nach Savimbis Tod und dem Tod seines Nachfolgers war UNITA bereit, Frieden zu schließen.39 Jedoch kann eine Strategie gezielter Tötungen auch ausgesprochen kontraproduktiv sein, wenn es darum geht, einen Frieden zu erzwingen, und sie kann »Friedensverhandlungen über den zugrunde liegenden Konflikt verkomplizieren.«40 Dies umschreibt das fundamentale Problem eher ungenau: Die gezielte Tötung von Führern beseitigt in der Regel gerade jene Personen, die in der Lage wären, über Frieden zu verhandeln oder Frieden zu schließen. Angriffe auf Führungspersonen werden oft nur deren Entschlossenheit stärken weiter zu kämpfen, da offensichtlich keine Gnade vom Gegner zu erwarten ist. Die Verfolgung einer militärischen Lösung in Form von gezielten Tötungen erweckt den Eindruck, dass Friedensverhandlungen unwichtig oder zweitrangig sind, was oft eine friedliche Lösung unnötig hinauszögert oder ganz verbaut. Israel und Hamas sind weniger denn je bereit, miteinander zu verhandeln, und nach einem Jahr intensivierter gezielter Tötungen haben sich auch die Hoffnungen der Karzai-Regierung auf eine Verhandlungslösung mit den Taliban mehr oder weniger zerschlagen.41 »[D]ie Geschichte [hat] gezeigt […], dass der Abgang eines Führers nicht notwendigerweise den Wechsel in der Politik und im Verhalten des Feindes herbeiführt, den der Angreifer beabsichtigt. Was noch schlimmer ist, ein schlecht ausgedachter Angriff auf Führer kann unbeabsichtigte Konsequenzen haben, die den Interessen des Angreifers zuwiderlaufen.«42

Urbane Kriegsführung

Militärstrategen rechnen damit, dass über die nächsten Jahrzehnte viele, wenn nicht die allermeisten bewaffneten Konflikte, in Städten und Siedlungsgebieten ausgetragen werden und Militäroperationen daher zunehmend in Städten stattfinden.19 Für diese Annahme gibt es zunächst einmal demographische Gründe: die verstärkte Abwanderung der Bevölkerung aus ländlichen Gebieten in die Städte, sowie die Globalisierung, die internationale Migrationsbewegungen von Arbeitskräften in die wachsende Zahl globaler Megastädte verstärkt. Große Teile der Weltbevölkerung konzentrieren sich in wachsendem Maße auf schwer regierbare Megastädte mit mehr als zehn Millionen Einwohnern wie Bangkok, Kairo, Jakarta, Karachi, London, Los Angeles, Manila, Mexiko City, Moskau, Mumbai, New York, Peking, São Paulo, Seoul und Tokio. Die Verstädterung ist ein langfristiger Trend, der sich in letzten Jahren etwas verlangsamt hat, aber dennoch ungebrochen anhält. Die Vereinten Nationen haben ermittelt, dass seit 2008 etwa die Hälfte der Menschheit in Städten lebt und dass bis 2030 etwa fünf Milliarden Menschen Stadtbewohner sein werden.20 Abgesehen von diesem offensichtlichen demographischen Trend ist es auch die sich verändernde Natur des Krieges, die Militäroperationen in Städten wahrscheinlich macht. Militärinterventionen westlicher Staaten oder Staatengemeinschaften sind nun in erster Linie ›Peacekeeping‹-Operationen oder aber Einsätze mit dem Ziel der Aufstands-, Terrorismus- und Verbrechensbekämpfung, bei denen der Schutz der Zivilbevölkerung von großer Wichtigkeit ist.

Es gibt gute Gründe, warum Städte von den neuen Kriegführenden als wesentliches Operationsgebiet bevorzugt werden. In Städten konzentrieren sich politische Macht, wirtschaftlicher Reichtum und Menschen. Sie bieten zudem gute Infrastruktur und Ressourcen: Terroristen und Aufständische können sich in Städten leichter in der Zivilbevölkerung verbergen; die Logistik ist wegen der vorhandenen Infrastruktur einfacher; Städte bieten billige und schnelle Kommunikationsmöglichkeiten und eine hohe Mobilität; und in Städten finden sich die lohnendsten Angriffsziele. Die neuen Feinde sind nicht mehr die Partisanenkämpfer vergangener Zeiten, die in ländlichen Räumen operieren und die Städte meiden, da sie, wie Fidel Castro sagte, die Friedhöfe der Revolutionäre seien. Im Gegenteil: Die hochentwickelten Sensoren und Präzisionswaffen lassen Guerillas kaum eine andere Wahl, als von ländlichen Gebieten in die Städte zu flüchten und es damit dem Gegner schwerer zu machen, sie aufzuspüren.21 Die Hilflosigkeit der 1993 in Mogadischu eingeschlossenen amerikanischen Soldaten und der überstürzte amerikanische Rückzug aus Somalia zeigen, dass selbst hervorragend ausgerüstete und technisch überlegene Streitkräfte in komplexen Umgebungen wie den Groß- und Megastädten der Dritten Welt sehr verwundbar sind. Moderne Streitkräfte befinden sich innerhalb von Städten oft im Nachteil, da es aus Rücksicht auf die Zivilbevölkerung nicht möglich ist, auf überlegene Feuerkraft zu setzen oder aus sicherer Entfernung zu kämpfen. Städte können nicht aus der Luft eingenommen und kontrolliert werden. Städtekrieg ist historisch gesehen in erster Linie Häuserkampf. Infanteristen müssen mühsam Haus für Haus nach gegnerischen Kräften durchsuchen und befreien, was äußerst zeitaufwändig und gefährlich ist. Angriffe können überraschend und von allen Seiten erfolgen, und der Gegner kann sich sehr schnell zurückziehen und entkommen.

Technische Überlegenheit, wie sie in dem Konzept der Revolution in Militärangelegenheiten (RMA) angestrebt wird, muss wegen der immensen Komplexität von Städten keineswegs einen entscheidenden Vorteil bedeuten.22 Städte bestehen aus unzähligen Straßen und mit Zivilisten gefüllten Gebäuden. Darüber hinaus gibt es in vielen Großstädten wie Moskau, Pjöngjang und Bagdad eine Unzahl von Tunneln und Untergrundverbindungen, die nirgendwo verzeichnet sind. Vor allem Luftangriffe zur Unterstützung von Bodentruppen sind aus einer Vielzahl von Gründen problematisch. Die große Nähe der Kämpfenden bedeutet eine erhöhte Gefahr von Kollateralschäden und ›friendly fire‹; die Navigation aus der Luft ist über Städten schwieriger; es besteht eine erhöhte Gefahr für die Flugzeuge durch Kleinwaffenfeuer usw.23 Darum ist der Städtekrieg auch stets überaus verlustreich und stellt eine ganz besondere Herausforderung für moderne Streitkräfte dar.

Die Kampfweise ist in Städten und gegen irreguläre Gegner eine völlig andere als gegen reguläre Streitkräfte auf einem mehr oder weniger geordneten großräumigen Gefechtsfeld, für das moderne Sensoren und Waffensysteme optimiert sind. Da es aber kaum die Option gibt, Militäroperationen in Städten einfach zu vermeiden, haben westliche Streitkräfte über das letzte Jahrzehnt eine Vielzahl von speziellen Ausbildungseinrichtungen aufgebaut, in denen Soldaten für die Militärische Operation in Urbanem Terrain (MOUT) speziell geschult werden.24 Vor allem die amerikanischen Streitkräfte haben sehr viel Geld in die Entwicklung neuer Technik gesteckt, die eine leichtere Kontrolle von dichten Siedlungsgebieten ermöglicht. Dazu gehören neuartige Überwachungssysteme, Robotik und exotische Waffen, die entweder nichttödlich sind oder die gezielte Tötung von Kombattanten inmitten von Zivilisten ermöglichen. Zum Beispiel hat DARPA ein Projekt unter dem Namen ›Combat Zones That See‹ (›sehende Kampfzonen‹) mit dem Ziel begonnen, ein urbanes Kontrollsystem für die vollständige visuelle Überwachung einer Stadtbevölkerung zu entwickeln, sodass es möglich ist, die Bewegungen eines Individuums innerhalb der Stadt ständig zu verfolgen und auch kollektive Bewegungsmuster in Städten zu analysieren.25 Der Einsatz einer Vielzahl von Robotern zur Aufklärung, Bombenentschärfung, Truppenversorgung und auch im Häuserkampf soll die Verluste für westliche Interventionsstreitkräfte gering halten. Kollateralschäden und Verluste in der Zivilbevölkerung in Städten können durch die gezielte Tötung von Terroristen und Aufständischen mit speziell für den Städtekampf entwickelten Präzisionswaffen minimiert werden.

Unkontrollierbare Eskalation

Gezielte Tötungen werden vor allem in sogenannten ›Konflikten geringerer Intensität‹ mit nichtstaatlichen Gegnern wie Terroristen, Guerillas und Verbrechenssyndikaten vorgenommen. Bei genauerer Betrachtung und im Hinblick auf die Anzahl von Todesopfern erscheint der Begriff ›Konflikt geringerer Intensität‹ als eine verharmlosende Charakterisierung dieser bewaffneten Konflikte. Gezielte Tötungen können leicht zu einer unkontrollierbaren Eskalation von Konflikten führen durch sich ausweitende geheime Kriege, die Eskalation zum offenen Staatenkrieg und die Gefahr eines endlosen ›Krieges gegen den Terror‹.

Armin Krishnan

Gezielte Tötung

Die Zukunft des Krieges





Matthes & Seitz Berlin 

Tarnkappendrohnen, Mikroraketen und Mikrodrohnen

Paradoxerweise ist die von staatlichen Sicherheitsapparaten vorangetriebene Überwachungstechnik selbst dafür verantwortlich, dass klassische Geheimdienstmorde aus nächster Nähe nicht mehr funktionieren, da die Attentäter notwendigerweise verräterische Spuren hinterlassen, wie etwa im Fall Mohammed Al-Mabhu, der 2010 vom Mossad ermordet wurde.78 Die CIA befürchtet sogar, wegen biometrischer Ausweise und technisch hochgerüsteten Grenzkontrollen nur noch eingeschränkt im Ausland operieren zu können, da die Geheimdienstleute ihre Identität nicht mehr einfach mit Hilfe von gefälschten Ausweispapieren wechseln können.79 Die Predator-Drohne stellt derzeit die beste Lösung für gezielte Tötungen dar, da sie zumindest das Entkommen der staatlichen Attentäter garantiert. Man kann daher mit Recht behaupten, dass die Predator-Drohne die Praxis der gezielten Tötung revolutioniert hat, da sie es ermöglicht, Individuen über Tausende von Kilometern mit hoher Präzision zu töten. Dennoch stellt der Predator trotz seiner beeindruckenden Leistungsmerkmale keineswegs eine optimale Lösung für gezielte Tötungen dar. Es ist zwar für den Predator-Piloten möglich, ein Individuum auf freiem Feld visuell zu identifizieren, aber es ist auch sehr leicht, dabei Fehler zu machen. Innerhalb von Städten ist die Auffindung, Identifikation und die Zielverfolgung von Individuen sehr viel schwieriger, und dies erfordert nach wie vor Agenten oder qualifizierte Beobachter am Boden, die die Zielperson identifizieren können und den Drohnenpiloten dieses Ziel über Funk zuweisen können. Die CIA verwendet daher in Afghanistan und Pakistan lokale Agenten und Söldner, um Ziele zu identifizieren und Predator-Angriffe zu planen.80 Ein weiteres Problem der Predator-Drohne ist, dass sie sehr langsam fliegt und von einem modernen Luftverteidigungssystem sehr leicht entdeckt und abgeschossen werden kann. Aus diesem Grund setzt das amerikanische Militär eine Tarnkappendrohne ein, deren Existenz 2010 öffentlich enthüllt wurde. Die RQ-170-Drohne, die auch unter dem Spitznamen ›das Biest von Kandahar‹ bekannt ist, kann vom Radar unentdeckt Ziele orten und möglicherweise mit neuartigen Energiewaffen angreifen. Die für gezielte Tötungen mit der Predator-Drohne verwendeten Hellfire-Raketen haben zudem einen zu großen Sprengkopf, der eigentlich für die Zerstörung von Panzern entwickelt wurde. Die Kollateralschäden bei jedem Angriff sind enorm, daher wurden bereits Mikroraketen mit einem sehr viel kleineren Sprengkopf entwickelt. Das nur 17 kg schwere Raketensystem mit dem Namen Scorpion wurde speziell für die Ausschaltung ›weicher‹ Ziele wie Individuen entwickelt.81 Für die gezielte Tötung von Terroristen in Gebäuden (oder eventuell abtrünnigen Diktatoren in Bunkern) ist jedoch ein anderer Ansatz nötig: Mikrodrohnen oder Kleinstroboter.

Strategiepapiere des amerikanischen Militärs haben herausgestellt, dass autonome Kleinstroboter sich sehr gut für gezielte Tötungsoperationen eignen.82 Schon seit einiger Zeit arbeitet das U.S.-Militär an sogenannten ›Micro Aerial Vehicles‹ (MAVs) oder Mikroflugkörpern, die von Soldaten ferngesteuert werden können und schließlich irgendwann in der Lage sein sollen, weitgehend autonom und in Schwärmen zu operieren. Die technischen Grundlagen dafür wurden bereits in den 1990er Jahren gelegt. Es war den Sandia-Nationallaboren 1996 gelungen, einen Kleinstroboter mit Namen MARV von einer Größe eines Kubikzolls zu bauen, der ausreichend Rechenfähigkeit, Sensorleistung und Energie hatte, um die eigene Umgebung autonom zu erkunden. Inzwischen verwendet das amerikanische Militär über 5.000 Mikroflugkörper von einer Größe von einem Meter Länge oder kleiner zur Aufklärung. Der nächste Schritt ist, die Größe der Mikrodrohnen weiter zu verringern und sie schließlich zu bewaffnen. Die amerikanische Luftwaffe begann 2008 ein Projekt mit dem Namen Anubis, das das Ziel hat, eine bewaffnete Mikrodrohne für die Ausschaltung von ›Hochwertzielen‹ zu entwickeln. Anubis soll verbesserte Sensoren zur Zielverfolgung haben und in der Lage sein, Individuen in ›komplexen Umgebungen‹ mit hoher Präzision und geringen Kollateralschäden zu töten.83 In Israel hat eine Expertengruppe die Entwicklung von ›bionischen Wespen‹ vorgeschlagen, um Terroristen zu finden und unschädlich zu machen, da es »unsinnig ist, ein 100 Millionen U.S.-Dollar teures Flugzeug einem Selbstmordattentäter hinterherzuschicken«.84 Mikrodrohnen könnten eine Giftnadel oder eine kleinere Menge Sprengstoff als Waffenladung haben. Es ist wahrscheinlich, dass die Mikrodrohnen in der Zukunft imstande sein werden, eine bestimmte Zielperson zu verfolgen, mit Hilfe eines biometrischen Erkennungssystems die Zielperson eindeutig zu identifizieren und mit einem Gift zu töten, das die Todesursache als natürlich erscheinen lässt.

Abgesehen von der Entwicklung vollständig mechanischer Mikrodrohnen gibt es die Möglichkeit, Lebewesen auszurüsten und entsprechend zu programmieren oder fernzusteuern. DARPA, arbeitet seit einiger Zeit an einem Forschungsprojekt zur Entwicklung von ›cyborgisierten‹ Insekten, die mit Hilfe eines im Nervensystem implantierten Mikrochips ferngesteuert werden können.85 Forscher an der Cornell Universität entwickelten sogar Sender für die Cyborg-Insekten, die ihre Energie durch radioaktive Isotope beziehen.86 Insekten haben zwar nur eine geringe Lebensdauer, aber sie sind außerordentlich billig in der ›Herstellung‹ und besitzen außerdem eine Bewegungsfähigkeit, die in der klassischen Robotik auf lange Sicht unerreicht bleiben wird.87 Diese robotisierten Insekten könnten verschiedene Nutzladungen tragen, wie zum Beispiel Mikrokameras oder mikroskopische Portionen von chemischen und biologischen Waffen. Mit anderen Worten, die Cyborg-Insekten könnten zu einer neuen Art von Biowaffen werden, die Personen gezielt oder auch ungezielt töten könnten.88 Eine Studie der Luftwaffenuniversität in Montgomery in Alabama erörtert die Möglichkeit der Ausbringung genetischer Waffen durch Mikrodrohnen, was biologische Waffen, die als Massenvernichtungswaffen angesehen werden, zu diskriminierenden Präzisionswaffen machen könnte.89

Max. Geschwindigkeit Max. Flugdauer Spannweite Bewaffnung
MQ-1 Predator B 135 km/h 40 h 14,8 m 2 x Hellfire
MQ-9 Reaper 370 km/h 40 h 20,1 m 14 x Hellfire bzw. 4 x H. u. 2 x GBU-12 LGBs
MQ-8B Firescout 200 km/h 8 h 8,4 m (Rotor) 2 x Lenkraketen
Autonomous Rotorcraft Sniper System (ARSS) 216 km/h 9 h (Rotor) Präzisionsgewehr Kal. 0.338
Switchblade ? 20-40 min < 0,5 m Sprengsatz

Spezialkräfte

Spezialkräfte sind militärische Einheiten, die für besondere Zwecke rekrutiert, ausgebildet und ausgerüstet werden und sich damit ganz erheblich von den regulären Streitkräften unterscheiden. Eine Hauptaufgabe von Spezialkräften ist die unkonventionelle oder irreguläre Kriegsführung, die vornehmlich in der Ausbildung und Zusammenarbeit mit Partisanen besteht oder umgekehrt in der Ausbildung und Zusammenarbeit mit Regierungstruppen und Milizen für den Kampf gegen Partisanen (Aufstandsbekämpfung).26 Die Geschichte der Spezialkräfte reicht zurück bis zum Zweiten Weltkrieg und den Kommandos der britischen Special Operations Executive (SOE) und des amerikanischen Office of Strategic Services (OSS), die in besetzten Gebieten Partisanen unterstützten oder dort strategische Ziele angriffen. In einigen bekannten Fällen haben alliierte Spezialkräfte versucht hochrangige Nazis und deutsche Offiziere zu töten.27 Während die irreguläre Kriegsführung im Zweiten Weltkrieg nur ein Nebenschauplatz war, bekam sie im beginnenden Kalten Krieg im Kampf gegen die Ausbreitung des Kommunismus und um Einfluss und Kontrolle von Ost-/Südeuropa sowie der Dritten Welt, einen äußerst hohen Stellenwert in der westlichen Geostrategie. Dies führte zur Entwicklung bzw. Weiterentwicklung der psychologischen Kriegsführung und der Aufstandsbekämpfungsdoktrin. In die Kategorie Spezialkräfte fallen allgemein Kommandoeinheiten, die hinter feindlichen Linien operieren können, Sondereinheiten für psychologische Kriegsführung sowie besondere Unterstützungseinheiten wie speziell ausgerüstete Fluggeschwader. Spezialkräfte werden typischerweise in Konflikten geringerer Intensität zur Aufstands- und Terrorismusbekämpfung eingesetzt und sind darum oft spezialisiert auf das Aufspüren, die Gefangennahme, das Verhören oder die gezielte Tötung von Aufständischen und Terroristen.

Krieg ohne Ende?

Kritiker des Drohnenkriegs haben häufig darauf hingewiesen, dass Drohnen es technisch hochentwickelten Staaten sehr leicht machen, weltweit Militärschläge gegen staatliche und nichtstaatliche Akteure durchzuführen. Dies könnte eine Zunahme von Kriegen oder zumindest Zunahme kriegsähnlicher Handlungen bedeuten. Auch wenn diese Militärschläge sehr begrenzt sind und nur geringen Schaden verursachen, so könnte eine Technologie wie die der bewaffneten Drohnen es bestimmten Staaten ermöglichen, sehr viel häufiger begrenzte Militärschläge durchzuführen, was insgesamt mehr Schaden verursachen könnte als seltenere konventionelle Angriffe bzw. Interventionen. Dies wäre ebenfalls als eine Eskalation militärischer Gewalt anzusehen. Es ist jedoch schwer zu entscheiden, ob zahlreichere begrenzte bzw. verdeckte Operationen dabei helfen, größere Probleme zu vermeiden oder ob sie nicht eher schaden.42 Es komme allein darauf an, ob Interventionen moralisch »gerecht« seien, und nicht darauf, ob sie »zu leicht« durchzuführen seien. Über die Gerechtigkeit einer Intervention müsse daher von Fall zu Fall entschieden werden – das generelle Argument, Drohnen würden Gewaltanwendung zu sehr erleichtern, sei darum falsch.43 Die argumentative Strategie, einer Diskussion über allgemeine Auswirkungen der neuen Waffentechnik durch eine moralische Betrachtung des Einzelfalls auszuweichen, ist aber nur eine Variation des alten Arguments, dass Waffen nur Mittel zum Zweck sind und es letztlich nur auf die Gerechtigkeit des Zwecks an sich ankommt (»Waffen töten keine Menschen, sondern Menschen töten Menschen«). Es ist aber eine empirische Tatsache, dass die USA, die bislang einer der wenigen Staaten mit bewaffneten Drohnen sind, seit 2002 weltweit Hunderte von begrenzten Militäraktionen durchgeführt haben, wobei bei den meisten dieser Aktionen Drohnen zum Einsatz kamen.44 Der Militärexperte Peter W. Singer von der Brookings Institution wies darauf hin, dass die Drohnenangriffe der USA in Pakistan nach traditionellen Definitionen als Krieg bezeichnet werden können und dass bereits mehr Luftangriffe mit Drohnen in Pakistan durchgeführt wurden als 1999 Luftangriffe während des Kosovo-Kriegs.45 Traditionelle Mittel militärischer Gewaltanwendung dagegen, insbesondere Besatzungstruppen, sind dank der revolutionären Drohnentechnik von geringerer Bedeutung. Drohnen und hochpräzise Marschflugkörper ermöglichen eine konstante und nachhaltige Intervention in Drittweltstaaten, um begrenzte militärische Ziele wie die gezielte Tötung von Terroristen, Guerillas und anderen gefährlichen Individuen aus sicherer Entfernung zu erreichen, ohne die Notwendigkeit, eine größere Zahl von Bodentruppen im Ausland zu stationieren. So hat Präsident Obama im Oktober 2011 den fast vollständigen Rückzug amerikanischer Truppen aus dem Irak bis 2012 angekündigt, was der Welt signalisierte, dass der Irakkrieg nun zu Ende ginge. Allerdings ist zu vermuten, dass amerikanische Drohnen weiterhin Terroristen im Irak jagen werden und es so vielleicht nie zu einem definitiven Ende des Irakkrieges kommt.46 Die Weltöffentlichkeit wird aber niemals mit Sicherheit wissen, ob weiterhin amerikanische Drohnenangriffe im Irak stattfinden.47 Es ist somit zu befürchten, dass der ›Krieg gegen den Terror‹ sich endlos fortsetzt, da er hauptsächlich im Geheimen geführt wird. Möglicherweise steuern wir auf eine alptraumhafte Zukunft eines ›Terminator-Planets‹ zu, in der bewaffnete Drohnen rund um die Uhr weltweit auf Terroristenjagd sind, um jederzeit und überall zuschlagen zu können.48

Krieg als ein Attentatsduell

Die Mafia ist dafür bekannt, ›Kriege‹ gegen rivalisierende Banden in Form von Attentatsserien zu führen. Das angegriffene Verbrechenssyndikat vergilt schließlich Attentate auf eigene Mitglieder mit Attentaten auf die Mitglieder der gegnerischen Gruppe. Der klassische Mafiakrieg ist nichts anderes als ein Attentatsduell, bei dem sich zwei Organisationen bekriegen, indem sie aus Vergeltung bestimmte Mitglieder des Gegners ermorden, um damit den Zusammenbruch oder das Einlenken der anderen Organisation zu erzwingen. Moderne Kriege könnten in der Zukunft zu einer Art Mafiakrieg ausarten, in dem beide Seiten gezielte Tötungen bzw. Attentate als das wesentliche Mittel im Kampf gegeneinander verwenden. Es gibt mehrere Gründe, warum dies eine wahrscheinliche Zukunft des Krieges ist. Ein neuer Weltkrieg ist wegen der unglaublichen Zerstörungskraft atomarer sowie hochentwickelter konventioneller Waffen inzwischen kaum mehr vorstellbar. Zudem ist der Prozess der Kriminalisierung des Krieges so weit fortgeschritten, dass es selbst für die Supermacht USA schwierig ist, offen in anderen Staaten zu intervenieren. Das Ende des offenen Staatenkrieges ist aber nicht gleichbedeutend mit dem Ende kriegsähnlicher zwischenstaatlicher Konflikte. Was bleibt, sind verdeckte Interventionen, mit denen begrenzte politische Ziele verfolgt werden. Gezielte Tötungen eignen sich besser als andere Methoden – wie Terrorismus, Cyberkrieg oder wirtschaftliche Sabotage – für die verdeckte Kriegsführung, da zumindest theoretisch mit relativ geringeren Mitteln strategische Wirkungen erzielt werden können. Im Nanotechnologie-Zeitalter wird es immer einfacher werden, gefährliche Individuen im gegnerischen Lager abstreitbar auszuschalten, womöglich ohne Spuren zu hinterlassen, die auf eine Tötung hinweisen. Darüber hinaus zeichnet sich immer mehr ab, dass Regierungen vorrangig die eigene Bevölkerung als Bedrohung ansehen und militärische Operationen sich zunehmend gegen bestimmte Mitglieder der eigenen Zivilbevölkerung richten werden. Die Möglichkeit, in Zukunft weltweit und im Inland heimlich und abstreitbar vorgehen zu können, macht gezielte Tötungen als militärische und politische Strategie sehr viel brauchbarer als in der gegenwärtigen Praxis von Drohnenangriffen und Spezialkräfteoperationen in besetzten und auch neutralen Staaten.

Reduzierung terroristischer Aktivitäten und ihrer Gefährlichkeit

Es wird oft behauptet, dass die Tötung von gefährlichen Terroristen und besonders von Anführern Organisationen stört und deren Operationen beeinträchtigt. Gezielte Tötungen mögen zwar die Motivation der Organisation für Vergeltungsaktionen erhöhen, aber zugleich seien Terror- oder Guerillaorganisationen nach erfolgreichen gezielten Tötungen von Führern oder besonders fähigen Mitgliedern sehr viel weniger in der Lage dazu. »[I]m Gegensatz zum populären Mythos ist die Anzahl erfahrener Terroristen ziemlich beschränkt. Bombenbauer, Terroristenausbilder, Fälscher, Anwerber und Terrorführer sind knapp; sie brauchen viele Monate, wenn nicht Jahre, um genug Kompetenz zu entwickeln, um effektiv zu sein. Wenn diese Individuen verhaftet oder getötet werden, dann stört dies ihre Organisation. Diese Gruppen mögen immer noch in der Lage sein, Rekruten anzuziehen, aber da ihnen Erfahrung fehlt, stellen sie nicht dieselbe Bedrohung dar.«12 Die überlebenden Terroristen sind gezwungen, dem eigenen Schutz sehr viel mehr Aufmerksamkeit zu widmen, was Ressourcen bindet und die interne Kommunikation und Koordination erschwert.13 Dies widerspreche der Auffassung von Kritikern, dass gezielte Tötungen zu Vergeltungsakten bzw. verstärkten Terroranschlägen führen und damit zur Gewalteskalation beitragen.

Verschiedene Studien zur Effektivität gezielter Tötungen haben versucht, die unmittelbaren Auswirkungen von gezielten Tötungsoperationen auf das Verhalten und die Gefährlichkeit von Terrororganisationen durch objektiv beobachtbare Effekte zu messen. Dazu gehören die Anzahl von Terroranschlägen unmittelbar nach einer gezielten Tötung, die Anzahl der dadurch verursachten Todesopfer, sowie die Art der Anschläge. Avery Plaw hat die Korrelation von israelischen gezielten Tötungen in der zweiten Intifada zu palästinensischen Terroranschlägen und israelischen Todesopfern untersucht. Er kam zu dem Ergebnis, dass es keine konsistente Korrelation zwischen gezielten Tötungsoperationen und einer Erhöhung oder Verringerung von Terroranschlägen in den folgenden drei Monaten gibt.14 Allerdings gebe es mehr versuchte Terroranschläge als Vergeltung für gezielte Tötungen, was aber nicht als eine ›eskalierende Gewaltspirale‹ fehlgedeutet werden sollte.15 Diese Analyse ist kompatibel mit den Ergebnissen einer Studie zu gezielten Tötungen in Afghanistan von der ETH Zürich. Demnach gibt es Überschneidungen von Terrorismusbekämpfung und Aufstandsbekämpfung, da auch Guerillagruppen zuweilen Terroranschläge verüben. Vier Fallstudien zeigen, dass es unmittelbar nach einer gezielten Tötung zwar eine Zunahme von Gewalt gab, die Taliban aber gleichzeitig gezwungen waren, weniger effektive Mittel für Vergeltungsanschläge zu wählen.16 Die effektivste Angriffsart für die Taliban seien Selbstmordattentate, und weniger effektiv seien improvisierte Bomben und schließlich Angriffe mit Handwaffen und Raketenwerfern. Unmittelbar nach einer gezielten Tötung gebe es eine Verringerung von Selbstmordattentaten und eine Erhöhung von Angriffen mit improvisierten Bomben und Handwaffen bzw. Raketenwerfern, die im Schnitt weniger Opfer fordern. Die Folge von gezielten Tötungen ist demnach, dass sie Terrororganisationen zwingen, Angriffsmethoden zu wählen, die ineffektiver und riskanter sind, und Ziele anzugreifen, die weniger schwierig zu erreichen sind. Dies bedeutet auch, dass eine größere Anzahl von Vergeltungsaktionen fehlschlägt und sich vor allem gegen ›weiche‹ Ziele richtet, die weniger Planung erfordern.

Diese und andere empirische Studien erwecken den Eindruck, dass gezielte Tötungen zumindest auf operativer Ebene effektiv sind. Doch ist Vorsicht geboten. Der Politologe Avi Kober hat darauf hingewiesen, dass es für die zweite Intifada keinen kausalen Zusammenhang zwischen gezielten Tötungen und einer Verringerung palästinensischer Gewalt gebe. Andere Maßnahmen wie der Bau eines Sicherheitszaunes in der Westbank hätten womöglich eine sehr viel größere Rolle gespielt.17 In Afghanistan hat die seit Mitte 2010 stark ausgeweitete Taktik der gezielten Tötung von Talibanmitgliedern anscheinend zu einer Gewalteskalation geführt, vor allem gegen afghanische Zivilisten. Die UN-Mission in Afghanistan hat ermittelt, dass die sechs Monate von Januar 2011 bis Juni 2011 die blutigsten seit Beginn des Krieges in 2001 waren. Die Anzahl getöteter Zivilisten sei gegenüber dem Vorjahr um 15 Prozent gestiegen, was vor allem an der Zunahme von Terroranschlägen der Taliban läge.18 Das Magazin Wired berichtete, dass die Reaktion der Taliban auf die NATO-Kampagne der gezielten Tötungen ein Ausbau des eigenen Attentatsprogramms war. Dies führte zu einer Zunahme von Attentaten auf NATO-Personal um 588 Prozent in der Provinz Helmand seit 2009.19 Diese Statistik weist zumindest nicht gerade auf einen durchschlagenden Erfolg der neuen NATO-Strategie der gezielten Tötungen in Afghanistan hin.

Israelische gezielte Tötungen in der Zweiten Intifada (2000-2006)
Vgl. Ami Pedhazur (2009), The Israeli Secret Services & the Struggle Against Terrorism, New York: Columbia University Press, S. 122; B’Tselem
Jahr Gezielte Tötungen erfolgreiche Selbstmord-Bombenanschläge getötete Palästinenser getötete israelische Zivilisten getötete israelische Sicherheitskräfte
2000 10 4 272 18 18
2001 43 36 450 65 22
2002 46 61 990 87 101
2003 46 26 573 25 39
2004 42 15 819 15 87
2005 25 7 190 17 8
2006 31 4 657 7 4
Amerikanische Drohnenangriffe in Pakistan (2004-2011)
The Long War Journal (November 2011)*; PakistanBodyCount.org (November 2011)+
Jahr Drohnenangriffe geschätzte Todesopfer getötete al Quaida/Taliban Selbstmordanschläge Todesopfer Selbstmordanschläge
2004 1* - 1+ 0* - 5+ 0* 8+ 82+
2005 1* - 2+ 0* - 7+ 0* 4+ 83+
2006 3* - 3+ 142* - 203+ 122* 9+ 161+
2007 5* - 4+ 73* - 46+ 73* 57+ 842+
2008 35* - 36+ 317* - 368+ 286* 61+ 940+
2009 53* - 50+ 506* - 633+ 463* 90+ 1090+
2010 117* - 109+ 815* - 993+ 801* 58+ 1153+
2011 63* - 60+ 430* - 471+ 400* 39+ 606+

Private Sicherheitsfirmen als Dienstleister für gezielte Tötungen

Private Sicherheitsfirmen und Rüstungskonzerne spielen bereits heute eine kritische Rolle im Tötungsprogramm der USA. Nach den Anschlägen vom 11. September hat die Regierung Bush gezielte Tötungen von Terroristen weltweit autorisiert und sogar erwogen, gezielte Tötungen ganz an Privatfirmen auszulagern. Die CIA entwickelte daher 2004 den Plan, das Programm der gezielten Tötungen an die Firma Blackwater zu übergeben, der im Juli 2009 von dem derzeitigen CIA-Direktor Leon Panetta öffentlich bekanntgegeben wurde. Allerdings betonte Panetta, dass diese Pläne nicht umgesetzt wurden.20 Ebenfalls bekannt ist, dass Blackwater von der CIA beauftragt wurde, CIA-Personal für gezielte Tötungen auszubilden und Operationen dieser Art zu planen, da es der CIA an geeignetem Personal mangelte.21 Der Journalist und Blackwater-Experte Jeremy Scahill hat darauf hingewiesen, dass Xe/Blackwater sehr stark in Pakistan vertreten war und dort für die CIA und das amerikanische Vereinte Spezialkräftekommando (U.S. Joint Special Operations Command oder JSOC) verdeckte Operationen durchführte, ganz besonders in Verbindung mit dem CIA/JSOC-Drohnenprogramm in Pakistan. So soll Xe nicht nur die Predator-Drohnen auf dem geheimen Luftwaffenstützpunkt Shamsi in Baluchistan mit Raketen bestückt, sondern auch die Drohneneinsätze geplant und koordiniert haben. Darüber hinaus arbeitete Xe nach Scahill auch für eine pakistanische Sicherheitsfirma und soll in dieser Eigenschaft an Antiterroreinsätzen teilgenommen haben. Neben Xe ist auch noch eine Vielzahl anderer Sicherheits- und Rüstungsfirmen an den Drohnenangriffen beteiligt, so etwa der weltgrößte Rüstungskonzern Lockheed Martin, der nach den Worten des Enthüllungsjournalisten Tim Shorrock »Leute lokalisiert und Predator-Angriffe durchführt.«22

Regierungen sind anscheinend vor allem deshalb bereit, gezielte Tötungen an Privatfirmen auszulagern, da dies die Verbindung zur verantwortlichen Regierung verschleiert und die Operationen leichter abgeleugnet werden können. Falls ein privater Sicherheitsdienstleister im Zusammenhang mit einer gezielten Tötung verhaftet wird, kann die auftraggebende Regierung jegliches Wissen und jede Verantwortung abstreiten. Darum sollten nach Plänen der Bush-Regierung ausländische Xe-Agenten für gezielte Tötungseinsätze eingesetzt werden, um diese im Fall eines peinlichen Fehlschlags glaubwürdig abstreiten zu können.23 Viele Wissenschaftler sind sich einig, dass Privatfirmen nicht mit gezielten Tötungen beauftragt werden oder auch nur eine wesentliche Rolle bei solchen Operationen spielen sollten. Die demokratische Kontrolle und Aufsicht von privatisierten Attentaten können kaum gewährleistet werden, und die Gefahr eines Missbrauchs erhöht sich in diesem Fall ganz erheblich. Der frühere CIA-Agentenführer und Buchautor Ishmael Jones hat darauf hingewiesen, dass es für »CIA-Vertragspersonal keine Aufsicht und keine Rechenschaftspflicht gibt.«24 Scahill hat in einem Fernsehinterview sogar die Vermutung geäußert, dass führende Mitglieder der Obama-Regierung wegen der großen Geheimhaltung auf Seiten von JSOC und Xe nicht in wesentliche Aspekte des Drohnenprogramms eingeweiht sein könnten.25 Dies könnte bedeuten, dass Privatfirmen wie Xe weltweit Attentate auf Personen verüben können, die nicht von den höchsten Regierungsstellen autorisiert sind und die keinerlei oder nur geringerer Kontrollen und Aufsicht unterliegen. Es besteht eine sehr konkrete Gefahr, dass demokratische Regierungen das Instrument der gezielten Tötung missbrauchen könnten, wenn es wegen des Engagements von Privatfirmen keine klare Zurechenbarkeit und somit keine wirksame demokratische Kontrolle darüber gibt.

Operation ›Zorn Gottes‹

Der Mossad ist Israels Auslandsgeheimdienst und hat bereits in den 1950er Jahren Nazi-Kriegsverbrecher und andere Feinde Israels weltweit gejagt, entführt oder getötet, so etwa Adolf Eichmann, den der Mossad 1960 in Buenos Aires aufgespürt hat, um ihn nach Israel zu verschleppen und anzuklagen.6 Der Mossad hat sogar eine spezielle Einheit für solche Operationen, die unter dem Namen Kidon bekannt ist.7 Seit dem Anschlag auf die Münchner Olympiade 1972 setzt der Mossad gezielte Tötungen als Terrorismusbekämpfungsmaßnahme ein. Der palästinensischen Terrorgruppe Schwarzer September gelang damals ein spektakulärer und überaus erfolgreicher Überfall. Acht palästinensische Terroristen drangen in die Quartiere der israelischen Olympioniken ein und nahmen elf von ihnen als Geiseln, wobei zwei israelische Athleten sofort getötet wurden. Die bayerische Polizei unternahm auf dem Militärflughafen Fürstenfeldbruck einen dilettantischen Befreiungsversuch, bei dem alle Geiseln und fünf der Terroristen getötet wurden.8

Israels damalige Premierministerin Golda Meir beschloss nur wenige Tage nach dem Anschlag eine Vergeltungsaktion gegen die Führung von Schwarzer September. Meir unterzeichnete die Tötungsbefehle von etwa 20 bis 35 Terroristen, von denen man annahm, dass sie an dem Münchner Anschlag beteiligt waren.9 Mehrere Mossad-Teams wurden entsandt, um die Hauptverantwortlichen des Anschlags aufzuspüren und zu töten. Viele Details der Operation ›Zorn Gottes‹ sind noch immer geheim, da es zur Politik Israels gehört, sich generell nicht zu bestimmten gezielten Tötungen zu bekennen. Daher ist in manchen Fällen unklar, ob getötete Mitglieder palästinensischer Terrorgruppen tatsächlich Opfer von Mossad-Operationen wurden oder ob sie von rivalisierenden Gruppen oder gar von der eigenen Führung liquidiert wurden. In manchen Fällen steht eine Verwicklung des Mossad in die Attentate außer Frage. Die angewandten Methoden variierten und weisen auf den Einfallsreichtum der Mossad-Killer hin. Die Mossad-Teams erschossen einige ihrer Opfer aus dem Hinterhalt (Abdel Wael Zwaiter, Basil Al-Kubaissi), benutzten ferngezündete Sprengsätze, Autobomben und andere Sprengfallen (Mahmoud Hamshari, Mohammed Boudia, Ali Hassan Salameh) und sogar vergiftete Pralinen (Wadi Haddad). Einige besonders gut geschützte Mitglieder des Schwarzen Septembers und der PLO wurden von der israelischen Eliteeinheit Sayeret Matkal bei der Operation ›Jungbrunnen‹ erfolgreich in Beirut angegriffen.10 Nach einem unglücklichen Zwischenfall im norwegischen Lillehammer, bei dem ein Mossad-Team versehentlich einen marokkanischen Ober mit dem Planer des Münchner Anschlags Ali Hassan Salameh verwechselte und ihn 1973 auf offener Straße erschoss, kam es zeitweilig zu einem Stopp der Operation ›Zorn Gottes‹. Danach wurden die Mossad-Anschläge auf Schwarzer September, Fatah und die PLO sehr viel diskreter und geräuschloser durchgeführt.11 Terroristen mit Verbindung zum Münchener Anschlag starben gewaltsam auch noch zwanzig Jahre später in den frühen 1990er Jahren. So wurde zum Beispiel der PLO-Nachrichtendienstchef Atef Bseiso 1992 in Paris niedergeschossen.12

Obwohl Israels Reaktion auf den Terroranschlag auf die Münchner Olympiade weltweit als legitim angesehen wurde, so gibt es dennoch einige Kritik hinsichtlich der Tötung von bestimmten mutmaßlichen Terroristen, sowie den vom Mossad angewandten Methoden. Es ist zweifelhaft, ob das erste Opfer der Operation ›Zorn Gottes‹, der in Rom lebende Palästinenser Abdel Wael Zwaiter, der dort als Übersetzer für die libysche Botschaft arbeitete, eine Verbindung zu Schwarzer September oder zu dem Anschlag in München hatte.13