Tad Williams

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Band 2

Fluss aus
blauem Feuer

Aus dem Englischen übersetzt
von Hans-Ulrich Möhring

Klett-Cotta

Impressum

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Stadt der goldenen Schatten (Band 1)

Fluss aus blauem Feuer (Band 2)

Berg aus schwarzem Glas (Band 3)

Meer des silbernen Lichts (Band 4)

 

http://www.tadwilliams.de

 

 

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

Hobbit Presse

www.hobbitpresse.de

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Otherland 2. River of Blue Fire« im Verlag DAW Books, New York

© 1998 by Tad Williams

Für die deutsche Ausgabe

© 1999, 2016 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Cover: Birgit Gitschier, Augsburg; Illustration Max Meinzold, München

Datenkonvertierung: Dörlemann Satz, Lemförde

Printausgabe: ISBN 978-3-608-94962-9

E-Book: ISBN 978-3-608-10127-0

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Inhalt

Vorbemerkung des Autors

Was bisher geschah

Stadt der goldenen Schatten

Vorspann

Eins
Der geheime Fluss

Kapitel 1
Tiefe Wasser

Kapitel 2
Schminke

Kapitel 3
Der Stock

Kapitel 4
Sim-Salabim

Kapitel 5
Millionen auf dem Marsch

Kapitel 6
Ein Mann aus dem Totenreich

Kapitel 7
Begegnung mit dem Großvater

Kapitel 8
Im Kampf mit Ungeheuern

Kapitel 9
Der hohle Mann

Kapitel 10
Kleine Gespenster

Kapitel 11
Küchenleben

Kapitel 12
Im Zentrum des Labyrinths

Zwei
Stimmen im Dunkeln

Kapitel 13
Numerische Träume

Kapitel 14
Spiele im Schatten

Kapitel 15
Eine verspätete Weinaxfreude

Kapitel 16
Käufer und Schläfer

Kapitel 17
Im Werk

Kapitel 18
Die Schleier der Illusion

Kapitel 19
Ein Arbeitstag

Kapitel 20
Der unsichtbare Fluss

Kapitel 21
Im Gefrierfach

Drei
Götter und Genien

Kapitel 22
Kollaps

Kapitel 23
Am Rand von Bobs Ozean

Kapitel 24
Die schönste Straße der Welt

Kapitel 25
Rotes Land, schwarzes Land

Kapitel 26
In Erwartung der Traumzeit

Kapitel 27
Das geliebte Stachelschwein

Kapitel 28
Die Dunkelheit in den Leitungen

Vier
Klage

Kapitel 29
Imaginäre Gärten

Kapitel 30
Tod und Venedig

Kapitel 31
Die Stimme der Verlorenen

Kapitel 32
Die Feder der Wahrheit

Kapitel 33
Ein unfertiges Land

Ausblick

Dank









Dieses Buch ist meinem Vater Joseph

Hill Evans gewidmet, von Herzen.

 

Aber wie schon gesagt,

Vater liest keine Romane.

Er hat noch gar nicht gemerkt,

dass dieser Wälzer ihm gewidmet ist.

Das ist jetzt der zweite Band – mal sehen,

wie viele noch kommen müssen, bis er es mitkriegt.

Vorbemerkung des Autors

Der erste Band von OTHERLAND hat mir jede Menge Zuschriften beschert, per E-Mail wie auch ganz traditionell per Post mit Briefmarke. Die meisten sind zu meiner großen Freude außerordentlich freundlich und sehr positiv. Beschwerden wurden nur von einigen Lesern laut, die sich ärgerten, weil sie fanden, dass der Schluss des ersten Bandes einen zu sehr in der Luft hängen lässt.

Ich verstehe die Kritik und bitte um Entschuldigung. Jedoch dieses Buch zu schreiben ist insofern problematisch, als es eigentlich keine Fortsetzungsgeschichte ist – es ist ein einziger, sehr langer Roman, der von Rechts wegen zwischen zwei und nicht zwischen acht Buchdeckel gehört, nur dass 1. bis zur Fertigstellung des Ganzen meine Familie und meine Haustiere verhungert wären und dass man 2. Buchdeckel von solcher Größe aus einem Zirkuszelt herausschneiden müsste. Mit anderen Worten, ich muss eine schwierige Entscheidung treffen: Entweder ich beende die einzelnen Teile unvermittelter, als es manchen Lesern lieb ist, oder ich denke mir für jeden Band einen künstlichen Schluss aus, was meines Erachtens die Gesamtgestalt des Buches verändern und sich vielleicht sogar negativ auf den Zusammenhang der Handlung auswirken würde.

Mir bleibt daher nichts Anderes übrig, als meine wohlwollenden Leser um Nachsicht zu bitten. Ich sehe nach Möglichkeit zu, dass die Bände nicht mitten im Satz abbrechen – »Und da stellte sie fest, dass sie … ups, Ende« –, aber bitte bedenkt, dass ihr Teile eines größeren Werkes bekommt und dass man das diesen Teilen anmerken wird. Ich werde mich trotzdem bemühen, jeden einzelnen Band in sich so rund wie möglich zu machen.

Danke.

Was bisher geschah

Stadt der goldenen Schatten

Klatschnass im Schützengraben, nur dank seiner Kameraden Finch und Mullet vor Todesangst noch nicht völlig verrückt geworden, scheint sich Paul Jonas von den Tausenden anderer Infanteristen im Ersten Weltkrieg nicht zu unterscheiden. Doch als er sich unversehens auf einem leeren Schlachtfeld wiederfindet, allein bis auf einen in die Wolken wachsenden Baum, beschleicht ihn der Verdacht, er könnte doch verrückt sein. Als er den Baum emporklettert und oben ein Schloss in den Wolken, eine Frau mit Flügeln wie ein Vogel und ihren schrecklichen riesenhaften Wächter entdeckt, scheint sich der Verdacht zu bestätigen. Doch als er im Schützengraben wieder aufwacht, hält er eine Feder der Vogelfrau in der Hand.

In Südafrika in der Mitte des Einundzwanzigsten Jahrhunderts hat Irene »Renie« Sulaweyo ihre eigenen Probleme. Renie ist Dozentin für Virtualitätstechnik, und ihr neuester Student, ein junger Mann namens !Xabbu, gehört zum Wüstenvolk der Buschleute, denen die moderne Technik eigentlich zutiefst fremd ist. Zuhause übernimmt Renie die Mutterrolle für ihren kleinen Bruder Stephen, der begeistert die virtuellen Teile des weltweiten Kommunikationsnetzwerks – des »Netzes« – durchforscht, und verbringt ihre wenige freie Zeit damit, ihre Familie zusammenzuhalten. Ihr verwitweter Vater Long Joseph scheint sich nur dafür zu interessieren, wo er was zu trinken herbekommt.

Wie die meisten Kinder fühlt sich Stephen vom Verbotenen magisch angezogen, und obwohl Renie ihn schon einmal aus einem gruseligen virtuellen Nachtklub namens Mister J’s gerettet hat, schleicht er sich abermals dort ein. Bis Renie herausfindet, was er getan hat, liegt Stephen schon im Koma. Die Ärzte können es nicht erklären, aber Renie ist sich sicher, dass ihm irgendetwas online zugestoßen ist.

Der US-Amerikaner Orlando Gardiner ist nur wenig älter als Renies Bruder, aber er ist ein Meister in mehreren Netzdomänen und verbringt wegen einer schweren Krankheit, an der er leidet, die meiste Zeit in der Online-Identität von Thargor, einem Barbarenkrieger. Doch als Orlando mitten in einem seiner Abenteuer auf einmal das Bild einer goldenen Stadt erblickt, die alles übertrifft, was er jemals im Netz gesehen hat, vergisst er darüber alles ringsherum, so dass seine Thargorfigur getötet wird. Trotz dieses schmerzlichen Verlusts kann Orlando sich der Anziehung der goldenen Stadt nicht entziehen, und mit der Unterstützung seines Softwareagenten Beezle Bug und der widerwilligen Hilfe seines Online-Freundes Fredericks ist er entschlossen, die goldene Stadt aufzuspüren.

Auf einem Militärstützpunkt in den Vereinigten Staaten stattet unterdessen ein kleines Mädchen namens Christabel Sorensen ihrem Freund Herrn Sellars, einem sonderbaren, von Verbrennungen entstellten alten Mann, heimlich Besuche ab. Ihre Eltern haben ihr das verboten, aber sie hat den alten Mann und die Geschichten, die er erzählt, gern, und er erscheint ihr viel eher bedauernswert als furchterregend. Sie weiß nicht, dass er sehr ungewöhnliche Pläne mit ihr hat.

Je besser Renie den Buschmann !Xabbu kennen und seine freundliche Ausgeglichenheit wie auch seinen Außenseiterblick auf das moderne Leben schätzen lernt, desto mehr wird er ihr zum Vertrauten, als sie sich aufmacht herauszufinden, was mit ihrem Bruder geschehen ist. Sie und !Xabbu schmuggeln sich in Mister J’s ein. Die Art, wie sich die Gäste in dem Online-Nachtclub in allen möglichen virtuellen Widerwärtigkeiten suhlen, bestätigt zwar ihre schlimmsten Befürchtungen, aber zunächst sieht es nicht so aus, als hätte etwas ihren Bruder körperlich schädigen können – bis sie beide eine grauenhafte Begegnung mit der hinduistischen Todesgöttin Kali haben. !Xabbu erliegt Kalis raffinierter Hypnose, und auch Renie ist kurz davor, doch mit Hilfe einer geheimnisvollen Gestalt, deren simulierter Körper (»Sim«) eine gesichtslose weiße Leere ist, gelingt es ihr, sich selbst und !Xabbu aus Mister J’s zu befreien. Bevor sie offline geht, übergibt ihr die Gestalt noch Daten in Form eines goldenen Juwels.

Im Ersten Weltkrieg (oder was so aussieht) desertiert Paul Jonas unterdessen von seiner Einheit und versucht, durch das gefährliche Niemandsland zwischen den Linien in die Freiheit zu entkommen. Unter ständigem Regen und Granatenbeschuss taumelt und robbt er sich über Schlamm- und Leichenfelder, bis er sich irgendwann in einer gespenstischen Umgebung befindet, einer flachen, nebeligen Leere, die noch unheimlicher ist als sein Schlosstraum. Ein schimmerndes goldenes Licht taucht auf und zieht Paul an, doch bevor er in dieses Leuchten hineingehen kann, erscheinen seine beiden Freunde aus dem Schützengraben und verlangen von ihm, dass er mit ihnen zurückkehrt. Müde und verwirrt will er schon nachgeben, doch als sie näher kommen, erkennt er, dass Finch und Mullet überhaupt nicht mehr wie Menschen aussehen, und er flieht in das goldene Licht.

Der älteste und vielleicht reichste Mensch der Welt im Einundzwanzigsten Jahrhundert heißt Felix Jongleur. Rein physisch ist er so gut wie tot, und er verbringt seine Tage in einem selbst geschaffenen virtuellen Ägypten, wo er als Osiris, der Gott des Lebens und des Todes, alles beherrscht. Sein wichtigster Diener, sowohl in der virtuellen als auch in der realen Welt, ist ein Serienmörder, ein australischer Aboriginemischling, der sich selbst Dread nennt, das Grauen, und bei dem zu der Lust daran, Menschen zu jagen, noch eine erschreckende außersinnliche Fähigkeit zur Manipulation elektronischer Schaltkreise kommt, mit der er Sicherheitskameras ausschalten und sich überhaupt allen Nachstellungen entziehen kann. Jongleur hat Dread vor Jahren entdeckt, und er hat viel dafür getan, die Kräfte des jungen Mannes zu schulen, und ihn zu seinem hauptsächlichen Mordinstrument gemacht.

Jongleur/Osiris ist auch der Vorsitzende einer Gruppe, der einige der mächtigsten und reichsten Leute der Welt angehören, der Gralsbruderschaft. Diese Gruppe hat sich ein unvergleichliches virtuelles Universum errichtet, das Gralsprojekt, auch Otherland oder Anderland genannt. (Der letztere Name kommt von einem Wesen, das als der »Andere« bezeichnet wird und das im Gralsprojekt-Netzwerk eine zentrale Rolle spielt. Diese mächtige Kraft, ob künstliche Intelligenz oder eine noch rätselhaftere Erscheinung, ist weitgehend unter Jongleurs Kontrolle, zugleich aber das Einzige auf der Welt, wovor sich der alte Mann fürchtet.)

Es gibt innere Streitigkeiten in der Gralsbruderschaft, weil es so lange dauert, bis das geheimnisvolle Gralsprojekt endlich zur Vollendung gediehen ist. Alle Mitglieder haben Milliarden darin investiert und warten schon ein Jahrzehnt ihres Lebens oder noch länger darauf. Angeführt von dem US-Amerikaner Robert Wells, dem Präsidenten eines gigantischen Technologiekonzerns, rebellieren einige gegen Jongleurs Vorsitz und seine Politik der Geheimhaltung, zu der es auch gehört, keine Auskünfte über den Andern zu geben.

Jongleur unterdrückt eine Meuterei und befiehlt seinem Lakaien Dread, einen Schlag gegen ein Gralsmitglied in die Wege zu leiten, das bereits aus der Bruderschaft ausgetreten ist.

Nachdem sie mit knapper Not dem virtuellen Nightclub Mister J’s entrinnen konnten, sind Renie und ihr Student !Xabbu fester denn je davon überzeugt, dass zwischen dem Club und Stephens Koma ein Zusammenhang besteht. Doch als Renie das Datenobjekt untersucht, das die geheimnisvolle weiße Gestalt ihr mitgegeben hat, entfaltet es sich zu dem erstaunlich realistischen Bild einer goldenen Stadt. Renie und !Xabbu bitten Renies frühere Professorin Doktor Susan Van Bleeck um Hilfe, aber sie kann das Geheimnis der Stadt nicht lüften, ja nicht einmal mit Sicherheit sagen, ob es sich um einen real existierenden Ort handelt. Die Professorin beschließt, sich an eine Bekannte zu wenden, die möglicherweise helfen kann, eine Rechercheurin namens Martine Desroubins. Doch bevor Renie und die schwer aufspürbare Martine Kontakt aufnehmen können, wird Doktor Van Bleeck in ihrem Haus überfallen und furchtbar misshandelt und wird ihre gesamte Anlage zerstört. Renie begibt sich eilig ins Krankenhaus, doch Susan hat gerade noch Zeit, sie auf die Fährte eines Freundes zu setzen, bevor sie stirbt und eine zornige und entsetzte Renie zurücklässt.

Unterdessen hat Orlando Gardiner, der kranke Teenager in den USA, dermaßen besessen die Spur der goldenen Stadt aufgenommen, die er im Netz gesehen hat, dass sein Freund Fredericks anfängt, sich Sorgen um ihn zu machen. Orlando ist schon immer sehr eigen gewesen – Simulationen von Todeserfahrungen üben auf ihn eine Faszination aus, die Fredericks nicht verstehen kann –, aber jetzt scheint er völlig abzuheben. Als Orlando auch noch in den berühmten Häckerknoten TreeHouse eindringen will, bestätigen sich Fredericks’ schlimmste Befürchtungen.

TreeHouse ist der letzte anarchische Freiraum im Netz, ein Ort, wo keine Vorschriften den Leuten diktieren, was sie machen können oder wie sie aussehen müssen. Doch obwohl Orlando TreeHouse faszinierend findet und dort unerwartete Verbündete in der Bösen Bande findet, einer Gruppe von Häckerkindern, die im virtuellen Raum als Haufen winziger, geflügelter gelber Affen auftreten, erregen seine Versuche, die Herkunft der goldenen Stadt zu ergründen, Verdacht, und er und Fredericks müssen fliehen.

Mit Hilfe von Martine Desroubins sind Renie und !Xabbu derweil ebenfalls in TreeHouse gelandet, weil sie hinter einem alten pensionierten Häcker namens Singh her sind, Susan Van Bleecks Freund. Als sie ihn finden, erzählt er ihnen, er sei der letzte aus einer Gruppe spezieller Programmierer, die einst das Sicherheitssystem für ein geheimnisvolles Netzwerk mit dem Decknamen »Otherland« bauten, und seine Kollegen seien alle unter merkwürdigen Umständen ums Leben gekommen. Er sei der einzige Überlebende.

Renie, !Xabbu, Singh und Martine kommen zu dem Schluss, dass sie in das Otherlandsystem eindringen müssen, um herauszufinden, welches Geheimnis das Leben von Singhs Kollegen und von Kindern wie Renies Bruder wert ist.

Paul Jonas’ Flucht aus den Schützengräben des Ersten Weltkriegs hat nur dazu geführt, dass er jeden Bezug zu Raum und Zeit verloren hat. Weitgehend erinnerungslos irrt er durch eine Welt, in der eine weiße Königin und eine rote Königin sich gegenseitig bekriegen, und wird abermals von den Finch- und Mulletfiguren verfolgt. Mit Hilfe eines Jungen namens Gally und beraten von einem umstandskrämerischen, eiförmigen Bischof kann Paul ihnen entkommen, doch seine Verfolger ermorden Gallys Freunde, eine Schar Kinder. Ein riesiges Ungetüm, Jabberwock genannt, lenkt Pauls und Gallys Feinde ab, und die beiden springen in einen Fluss.

Als sie wieder an die Oberfläche kommen, sind sie in einer anderen Welt, einer sonderbaren, karikaturähnlichen Version des Mars, wo sich Ungeheuer und abenteuernde englische Gentlemen tummeln. Paul trifft die Vogelfrau aus seinem Schlosstraum wieder, die jetzt Vaala heißt, aber diesmal ist sie die Gefangene eines marsianischen Fürsten. Tatkräftig unterstützt von dem tollkühnen Hurley Brummond rettet Paul die Frau. Auch sie meint Paul zu kennen, weiß aber nicht, woher. Als die Finch- und Mulletfiguren wieder auftauchen, flieht sie. Bei dem Versuch, sie einzuholen, stürzen Paul und Gally mit einem gestohlenen fliegenden Schiff ab, in das sichere Verderben, wie es scheint. Nach einem seltsamen Traum, in dem er sich wieder in dem Wolkenschloss befindet und dort von Finch und Mullet in ihrer bislang bizarrsten Erscheinungsform unter Druck gesetzt wird, wacht Paul ohne Gally inmitten von Neandertalern in der Eiszeit auf.

In Südafrika werden Renie und ihre Gefährten unterdessen von Fremden bedroht und müssen die Flucht ergreifen. Mit Hilfe von Martine (die sie noch immer nur als Stimme kennen) finden Renie und !Xabbu, begleitet von Renies Vater und Doktor Van Bleecks Hausangestelltem Jeremiah, eine stillgelegte Militärbasis in den Drakensbergen, die ursprünglich für Versuche mit unbemannten Kampfflugzeugen gedacht war. Sie setzen zwei V-Tanks instand (Wannen zur Immersion in die virtuelle Realität), damit Renie und !Xabbu auf unbestimmte Zeit online gehen können, und bereiten ihr Eindringen in Otherland vor.

Auf dem Militärstützpunkt in den USA hingegen lässt sich die kleine Christabel überreden, dem gelähmten Herrn Sellars bei der Ausführung eines komplizierten Plans zu helfen, der sich erst dann als Fluchtversuch herausstellt, als er aus seinem Haus verschwindet und damit den ganzen Stützpunkt (vor allem Christabels Vater, den Sicherheitschef) in helle Aufregung versetzt. Mit dem Beistand eines obdachlosen Jungen von außerhalb hat Christabel ein Loch in den Zaun des Stützpunkts geschnitten, aber nur sie weiß, dass Herr Sellars gar nicht dort hindurch geflohen ist, sondern sich in Wirklichkeit in einem Tunnelsystem unter dem Stützpunkt versteckt hält, von wo aus er nunmehr seine mysteriöse »Aufgabe« frei weiterverfolgen kann.

In der verlassenen unterirdischen Militäranlage in den Drakensbergen steigen Renie und !Xabbu in die V-Tanks, gehen online und dringen zusammen mit Singh und Martine in Otherland ein. In einer grauenhaften Begegnung mit dem Andern, der das Sicherheitssystem des Netzwerks zu sein scheint, stirbt Singh an einem Herzanfall, doch die übrigen drei überleben und können zunächst gar nicht glauben, dass sie sich in einer virtuellen Umgebung befinden, so unglaublich realistisch ist das Netzwerk. Noch in anderer Hinsicht ist die Erfahrung merkwürdig. Martine hat zum ersten Mal einen Körper, !Xabbu hat die Gestalt eines Pavians angenommen, und besonders folgenschwer ist ihre Entdeckung, dass sie sich nicht wieder offline begeben können. Renie und die anderen erkennen, dass sie in einem artifiziellen südamerikanischen Land gelandet sind. Als sie die Hauptstadt erreichen, ist sie die goldene Stadt, nach der sie so lange gesucht haben. Dort werden sie festgenommen und sind jetzt Gefangene von Bolívar Atasco, einem Mann, der mit der Gralsbruderschaft zusammenhängt und von Anfang an am Bau des Otherlandnetzwerks mitgewirkt hat.

In den USA hat Orlandos Freundschaft mit Fredericks die Bewährungsprobe zweier Enthüllungen überstanden, nämlich dass Orlando an der seltenen Krankheit der frühzeitigen Vergreisung leidet und nur noch kurze Zeit zu leben hat und dass Fredericks in Wirklichkeit ein Mädchen ist. Sie werden unerwarteterweise von der Bösen Bande an Renies Häckerfreund Singh angekoppelt, als dieser gerade die Verbindung zum Gralsnetzwerk herstellt, und rutschen mit hindurch nach Anderland. Nach ihrer eigenen fürchterlichen Begegnung mit dem Andern geraten Orlando und Fredericks ebenfalls in die Gefangenschaft Atascos. Doch als sie, zusammen mit Renies Schar und noch anderen, dem großen Mann vorgeführt werden, stellt sich heraus, dass Atasco sie gar nicht zusammengerufen hat, sondern Herr Sellars, und dieser erscheint jetzt in Gestalt des eigenartigen leeren Sims, der Renie und !Xabbu das Entkommen aus Mister J’s ermöglichte.

Sellars erklärt, dass er sie alle mit dem Bild der goldenen Stadt angelockt habe – die unauffälligste Methode, die ihm eingefallen sei, da ihre Feinde von der Gralsbruderschaft unglaublich mächtig und gnadenlos seien. Er berichtet, dass Atasco und seine Frau früher der Bruderschaft angehört hätten, aber ausgetreten seien, als ihre Fragen zum Netzwerk nicht beantwortet wurden. Dann schildert Sellars, wie er entdeckt habe, dass das geheime Otherlandnetzwerk in einem unerfindlichen, aber nicht zu leugnenden Zusammenhang mit der Erkrankung Tausender von Kindern wie Renies Bruder Stephen stehe. Bevor er das weiter ausführen kann, erstarren die Sims von Atasco und seiner Frau urplötzlich, woraufhin Sellars’ Sim verschwindet.

In der wirklichen Welt hat Jongleurs Mordwerkzeug Dread mit dem Angriff auf Atascos befestigte Insel in Kolumbien begonnen und nach der Ausschaltung der Abwehranlagen und der Wachmannschaften beide Atascos umgebracht. Mit seinen besonderen Fähigkeiten – seinem »Dreh« – zapft er daraufhin ihre Datenleitungen an, hört Sellars’ Ausführungen mit und gibt seiner Assistentin Dulcinea Anwin die Anweisung, eine der bei Atasco online versammelten Personen, zu denen auch Renie und ihre Freunde gehören, aus der Leitung zu werfen. Damit kann Dread die Identität dieser Person annehmen und sich als getarnter Spion in den Kreis von Renie und ihren Freunden einschleichen.

Sellars taucht noch einmal in der virtuellen Welt der Atascos auf und beschwört Renie und die anderen, in das Netzwerk hinein zu fliehen, er wolle sich unterdessen darum bemühen, ihre Anwesenheit zu verbergen. Sie sollen nach Paul Jonas Ausschau halten, einem rätselhaften VR-Gefangenen, dem Sellars zur Flucht vor der Bruderschaft verholfen hat. Die Gruppe um Renie gelangt aus der Stadt der Atascos hinaus auf den Fluss und von dort durch ein elektrisches blaues Leuchten hindurch in die nächste Simwelt. Gequält und überwältigt von dem Übermaß auf sie einströmender Daten enthüllt Martine schließlich Renie ihr Geheimnis: Sie ist blind.

Ihr Schiff ist ein riesiges Blatt geworden. Eine Libelle von der Größe eines Kampfflugzeuges saust über sie hinweg.

In der wirklichen Welt können Jeremiah und Renies Vater Long Joseph in ihrem Stützpunkt im Berg nur passiv die stummen V-Tanks beobachten, sich grämen und warten.