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Inhalt

Vorwort

Familie, Gesellschaft, Alltag: Europa, soziologisch

    Das Vati-Buch

    Reindrängeln

    Grundnahrungsmittel

    Gefährliches Spielzeug

    Schulfruchtprogramm

    Im Kreißsaal

    Frauenbefreiung

    Renovierung

    Heimtiere

    Einwanderertest

    Wiederbelebte Innenstädte

    Kinderbücher

Liebe in Zeiten, als es noch Eisberge gab: Reisen, Urlaub, Bundesbahn

    Urlaubsflirt

    Bahnstreik

    Weltumsegelung

    Arktis eisfrei

    Bahnpreise

    Großlughafen NRW

    Mannheim-Umsteiger

    Kreuzfahrten

    Paris-Saarbrücken

    Wiesn und Wasen

    Luxusjachten

    Piraten

Hit the Road, Jack: Promis, Sport & Medien

    Streisand

    Künstlerleben

    Fernsehgebühren

    Androides iPhone

    Schleichwerbung

    Ivan und Ray

    27 Millionen Euro

    Sportreporter

    Peking persönlich

    Olympiafazit

    Unser Capitano

    Timo

Lifestyle, Fitness und andere Seniorensportarten: Deutschland, demographisch

    Altes Deutschland

    Gesunde Städte

    Deutsche im Netz

    Mutter 64

    Duftende Treppenhäuser

    Kassenpatienten

    Boykott

    Gleitsichtbrille

    Heilpraktiker Doktor Dabic

    Crocs

    Einkaufsterror

Von Blue Chips bis Schimpansenbank: Ratgeber Wirtschaft und Finanzen

    Börse philosophisch

    8000?

    Jahresendrallye

    Rezession (1)

    Crash?

    Steuerfragen

    Gesine-Zuschlag

    Deutschland spart

    Der Streubesitzer

    Hilfe, mein Geld!

    Das Fieber der VW-Aktie

    Rezession (2)

    Konsumscheck

One world, one school: Kultur, Bildung und Wissenschaft

    Dumme Jungs

    Buchmesse

    Büchner-Preis

    Erhörte Gebete

    Schulhölle

    Baden-Baden

    Nike und Gérard

    Bildungskatastrophe

    E-Book

    Shakespeare

Ewige Liebe und ein Hauch von Glamour: Politik & Politiker

    Politiker werden

    Franz sauer

    Servus, Gabi!

    Sarkozy, mon amour

    Hillary Obama

    Diätenwut

    Erfolgsmodell SPD

    Südsee

    Bayerischer Ministerpräsident

    Ja, wir können

    2009

Das Buch

Der Autor

Weitere Titel bei Kiepenheuer & Witsch

Impressum

Vorwort

Buchhandlung Wittwer, Stuttgart, Schlossplatz:


»Grüß Gott, haben Sie das neue Buch

von Rainald Goetz?«

»Ja, dahinten, bei Humor.«



Tschuldigung! Der Titel ist wirklich ein bisserl arg platt, aber ich konnte mich gegen das ZK des Verlages nicht durchsetzen.

Meine ursprüngliche Idee war Harry Tintenbiss und die Leber des Feuchten.

Meiner Ansicht nach eine schlaue Fortsetzung des letzten Bestsellers Sex ist dem Jakobsweg sein Genitiv.

Locker zusammengewürfelte Begriffe aus wirklichen Bestsellern, die der eilige Kunde eh nicht so genau wahrnimmt.

Es hat mich mit Freude erfüllt, dass bei meinem letzten Buch so viele meiner Empfehlung gefolgt sind und eine eigene Talkshow eröffnet haben. Das zeigt, dass Mut und Selbstvertrauen immer noch wichtiger sind als Talent und Ausbildung.

Heute, Anfang 2009, möchte ich Sie fragen: Warum haben Sie noch kein Buch geschrieben?

Ein Buch zu schreiben ist fast noch einfacher, als eine Talkshow zu moderieren. Natürlich reden wir hier nicht von ernsthaften, schweren Stoffen zwischen harten Deckeln. Diese Werke sind bereits alle geschrieben, und selbst wenn Ihnen so was wie die Buddenbrooks einfiele – was hätten Sie davon?

Irgendwann macht sich Dr. Breloer drüber her, und Sie können sich nicht mehr wehren.

Nein, wir reden hier von einem Taschenbuch, Kategorie Sachbuch. Diese Kategorie ist wichtig, um es auf die Bestsellerliste zu schaffen. In der Kategorie Belletristik (also mit Personen und Inhalt) ist es aussichtslos.

Taschenbuch/Belletristik ist alles, was vor zwei oder drei Jahren schon bei Hardcover/Belletristik abgeräumt hat. Und Hardcover ist komplett aussichtslos. Dort regieren die Paulo Köhlos und Karlos Rutz Zaffrons dieser Welt, also Weiberbücher zum Verschenken.

Ganz abgesehen von Rowling, Funke und Kolleginnen.

Selbst wenn Ihnen Feuilletontaugliches zum Thema Analrasur oder Dauerständer einfiele, würde ich es eher unter Sachbuch laufen lassen. Denn unter seriöser Literatur ist das Thema Muschi erst mal durch Charlotte ausgelutscht. Und zwar auf absehbare Zeit.

Dass Feuchtgebiete nicht in meinem Verlag erschienen ist, hat mich geschmerzt. Schließlich erscheint bei uns auch Maxim Biller, ein Autor mit ähnlichen Schwerpunkten. Der gute Maxim! Ich habe nie verstanden, warum die Justiz ihn dazu verurteilt hat, in seinem letzten Buch so ziemlich alles bis auf die Satzzeichen zu schwärzen. Können denn die paar Hundert Exemplare, die von nicht beleidigten Verwandten und treuen Freunden gekauft werden, wirklich ein Persönlichkeitsrecht verletzen?

Seit Maxim diesen Stress hatte, lese ich seine Kolumne in der FAS mit noch größerer Aufmerksamkeit. Sie wirkt immer so, als würde jemand versuchen, bei SingStar mit Kafka mitzuhalten.

Wenn Sie also Ihr erstes eigenes Taschenbuch in Angriff nehmen, können Sie durchaus alles verbraten, was einst bei der Schülerzeitung abgelehnt wurde. Auch Briefwechsel mit Kollegen aus andren Dritten Programmen werden vollumfänglich gedruckt.

Das Einfachste zum Start ist, Sie verheizen Ihre Fernsehshow noch mal als Buch. Denn das ist natürlich unerlässlich: Ihr Gesicht muss vom Fernseher bekannt sein.

In Verlagskreisen gilt als Faustregel, dass eine TV-Fresse drei Begabungen finanziert. Verkaufsmäßig. Immer hilfreich: ein möglichst witziges Zitat für die Rückseite oder als Pepperl vorne drauf von einem Kollegen.

Ich werde ständig nach solchen Zitaten gefragt und schreibe auch immer gerne was drauf.

Noch nie konnte ich mir vorstellen, dass es was nützt. Trotzdem wird es ständig angefragt.

Ja, und dann steht einer Autorenkarriere eigentlich nichts mehr im Weg. Sie sitzen in Talkshows, bei hippen Jugendradios, gehen auf Lesetour, und alle, die sich nach Lesungen ein Autogramm holen, wollen Sex mit Ihnen.

»Könnten Sie den Kinderwagen etwas mehr an die Seite stellen?«

Familie, Gesellschaft, Alltag: Europa, soziologisch

 

 

 

 

Das Gegreine über den demographischen Wandel in Deutschland gehört zu den verlässlichsten Dauerbrennern in den Medien. Die zahlreichen Varianten, in denen das Thema erscheint, haben natürlich damit zu tun, dass die Autorinnen und Autoren nur zu genau wissen, worüber sie schreiben.

Allgemein kann man sagen, dass es sich um Menschen mit desaströsem Familienleben handelt. Liebevoll formuliert. Wissenschaftlich stichhaltig werden unsere Medien von folgenden Gruppen kontrolliert:

1. Schwule

2. Singles

3. Alleinerziehende

4. Sie in HH, er in F

5. Ehen on the rocks

Diese Gruppen, die natürlich untereinander durchlässig sind, liefern im Schnitt zwei Titelgeschichten, Leitartikel oder Essays pro Woche mit folgenden Überschriften:

1. Deutschland ohne Kinder. Haben wir alle versagt?

2. Zug der Kinder – wenn Papi in Garmisch wohnt und Mutti in Kiel

3. Gay and Grey. Homosexuelle über 60 auf der Frankfurter Buchmesse

4. Alice wohnt hier nicht mehr. Bewegte Frauen erklären, warum sie die Emanzipation für veraltet halten

5. Manchmal muss ich einfach weinen. Geschiedene Frauen erzählen, wie sie nach 25 Jahren Ehe mit 7000 Euro Unterhalt zurechtkommen müssen

6. Angebumst und ausgelutscht. Ein Medienjournalist schildert sein persönliches Schicksal seit der WM 2006

7. Ein Schamhaar in der Zahnbürste. Die entwürdigende Situation von zweifelnden Vätern beim heimlichen DNA-Test

8. Endstation Schule. Warum in Deutschland kein Unterricht mehr stattfindet

9. Wüste Deutschland. Was uns droht, wenn dieTürkei nicht sofort EU-Mitglied wird. Von Heribert Prantl

10. Bei Müttern muss ich kotzen. Sechs erfolgreiche Frauen schildern, warum sie ganz bewusst auf Kinder verzichten. Mit einem Gastbeitrag von Ursula von der Leyen

In jüngster Zeit schiebt sich allerdings eine Figur nach vorne, die das Zeug zur Ikone hat: Daddy Weichei, überwiegend Männer zwischen 35 und 45, die zum ersten Mal Vater wurden.

Dabei ist nicht die Rede von den Angehörigen des Prekariats, Raspelbirne und ein Ring in jedem Ohr, die im Unterschichtenfernsehen (Paul Nolte) vor laufender Kamera ins adipöse Gewebe der Frauen schluchzen, wenn diese in einer Lautstärke entbinden, die selbst mein RTL nicht wollen kann.

Nein, gemeint sind vielmehr die Protagonisten der Generation Umhängetasche/Rucksack, die einen aus sichtslosen Platz im Mittelfeld unseres Mediensystems gerne gegen Väterurlaub tauschen.

Kein Schritt wird mehr ohne Kind gemacht. Eine vierspurige Stadtautobahn ist für das Rad mit Kinderanhänger gerade breit genug. Hat man je etwas Blöderes gesehen als einen Mann mit Fahrradhelm, dem das Kind vor der Brust baumelt?

Oft treffen sich die Daddy Weicheis zum Frühstück in einschlägigen Szenecafés. Kinder, die dabei nicht durch den Laden toben und ohne einen Anflug von Manieren auf alles patschen, was auf dem Tisch steht, gelten als verhaltensauffällig. Wenn der Ford Galaxy mit integrierten Kindersitzen auf den Parkplatz am Großmarkt biegt, fehlt eigentlich nur noch der Aufkleber: Jetzt ist Papi sterilisiert.

Das Vati-Buch

Ja, ich habe verheulte Augen! Nein, seit Wochen ist der einzige Augenblick am Tag, den ich wirklich ganz für mich habe, die Rasur. Und wenn ich abends todmüde auf der Couch eine ganze Schachtel Pralinen verdrücke (mmmmmmh), dann ist das verdammt noch mal nur ein winzig kleines Trostpflästerchen gegen den Frust. Ihr Väter da draußen, geht es Euch auch so?

Egal, ob Du Sven, Dirk oder Patrick heißt: Hast Du gewusst, dass Vater sein, das superdupertollste Gefühl der Welt, das wir gegen kein noch so geiles Männerwochenende eintauschen würden, auch bedeutet: Plötzlich passen wir nicht mehr in unsere Lieblingsjeans!? Trotz bleifreiem Bier bildet sich der Bauch nicht zurück!? Und wo sind unsere Kerlsabende geblieben: lecker Pizza bestellen, in dicken Wollsocken zu dritt unter einer Decke kuscheln und bei Leslie-Nielsen-DVDs Rotz und Wasser heulen?

Damit kein Missverständnis aufkommt: Die Geburt unserer Zwillinge Cheyenne und Blue-Bayou war das Mega-Erlebnis in meinem Leben. Pillepalle, was ich bis dahin erlebt hatte. Als sie mir den Mutterkuchen aufs Gesicht legten, schoss mir das Wasser waagrecht aus den Augen. Hey, Alter, das sind Momente, die vergisst Du nicht. Aber verdammt noch mal: Warum haben diese Hammerevents bisher nur Frauen aufgeschrieben und sich damit 'nen Arsch voll Kohle verdient? Egal, ob Amazon oder Bahnhofsbuchhandlung: Überall quillt Dir ein Mami-Buch entgegen wie abgelaufener Joghurt!

Auch wir Männer können nicht wirklich schreiben. Aber uns haben die Hormone genauso das Hirn vernebelt, dass wir alles ins Laptop hacken, was uns zwischen vergessenem Windeleimer und gequetschter Pofalte bei Linksschläfern durch den Hüttenkäse wabert, den sie vor dem ersten Ultraschallfoto Hirn nannten.

Wem die Feststellbremse am IT-Kinderwagen beim Lösen den Mittelhandknochen zertrümmert hat, der darf das auch über zwei Kapitel gestreckt auf den Markt werfen. Ab jetzt wird zurückgeschrieben!

Reindrängeln

Von rechts über den doppelt durchgezogenen fetten Strich auf die Abbiegespur ziehen – die Individualisten unter uns wissen, dass die StVO da ist, um interpretiert zu werden.

Ähnlich wie die Noten einer Mozart-Sonate oder die Worte eines Goethe-Gedichts erst durch künstlerisch wertvolle Entpapierisierung unser Herz erreichen. Oder auch der klassische Sechser im Fußball, der bei Bedarf einen Zehner geben kann, vorausgesetzt, der Linksverteidiger interpretiert seine Rolle offensiv. Buchstabentreue war gestern, Interpretation ist das Gebot der Stunde. Arschloch! Brutal wie eine Vollbremsung muss hier zurück zum Thema des Reindrängelns auf unseren Autobahnen gekehrt werden. Denn fluchen und in die Mücken steigen ist eins, wenn links von einem dichtgemacht wird.

Der professionelle Reindrängler hat drei potenzielle Partner, wenn er kurz vor der Böschung rüberwill.

Der Penner. Sitzt ver pennt hinter seinem Steuer,

Ohren zugestöpselt, leicht verträumtes Trommeln der Fingerspitzen auf dem Lenkrad. Chris de Burgh? U2? Helmut Lotti? Egal. Der Penner lässt einen heiligendammesken Abstand zum Vordermann, hat sich bereits nach Verlassen der häuslichen Garage auf die richtige Spur eingeordnet und lässt Sie unbemerkt rüber. Fast ein bisschen langweilig.

Der Dichtmacher. Hat den Blick stur nach vorn gerichtet, klebt an der hinteren Stoßstange des Vordermanns und riskiert eher einen Auffahrunfall, als auch nur einen Nanometer Platz zu machen. Überwiegender Fahrzeugtyp: Mittelklassewagen, für den er noch 70 Euro mehr will als auf der Schwackeliste. Accessoire: selbsttönende Sonnenbrille aus den Endsiebzigern mit abblätternder Bügellegierung. Zwischen Staubeginn und -ende muss er mindestens zweimal den Saugnapf vom Billignavi wieder dran machen. Aggressionspotenzial: sehr, sehr hoch.

3. Der Terminator. Fast ausschließlich in nagelneuen Lkws mit extrem cooler Aufmachung anzutreffen. Lässt Sie etwa bis zur Hälfte Ihrer Kühlerhaube rein, dann kommt eine Lichthupe, verglichen damit ist Flutlicht Candlelight. Scheibe schwarz, Reifen zermalmend, Bremsweg fehlt. Sie denken nur noch eins: Steven Spielberg, Duell.

PS: Wir wollen nicht verschweigen, dass es auch den Entspannten gibt, der einen lässig rüberwinkt. Aber mal ehrlich: Wollen wir den?

Grundnahrungsmittel

Das Volk kann sich keine Milch leisten? Soll es doch Champagner trinken! Für Zynismus und Menschenverachtung ist hier kein Platz, aber ein wenig erstaunt es doch, dass nach dem Milchschock die große Butterwut ausgeblieben ist. Hatte man uns nicht zum 1. August Preiserhöhungen bis zu 50 Prozent versprochen? Und das bei Produkten, deren Preise nun wirklich jeder im Kopf hat, aus der sogenannten »weißen Linie« (hahaha!): Milch, Butter, Joghurt.

Das weiß jeder, der in einschlägigen Fernsehsendungen einmal Politiker er lebt hat, die aus Gründen der Volksnähe wissen mussten, was ein Liter Kartoffeln oder eine Tonne Joghurt kostet. Anders als beim Grundnahrungsmittel Benzin blieb bei dieser Preiserhöhung nicht nur der Volkszorn aus. Auch in den Erzeugnissen unseres Qualitätsjournalismus (erkennbar an Nichtübertragung von Tour de France sowie Nichterwerb von Fernsehsendern) wurde um Verständnis geworben.

Fazit: Lieber mal den Sonntagsausflug zum Milchsee oder auf den Butterberg streichen und dafür 20 Euro für einen Becher Joghurt zahlen. Grundnahrungsmittel werden knapp (Globalisierung!), wenn man bedenkt, was allein der Asiate an Milch wegkübelt, obwohl er sie gar nicht verträgt. Hinzu kommt, dass man 1970 für ein halbes Pfund Butter 22 Minuten arbeiten musste, heute nur noch vier. Wer aber nur vier Minuten arbeitet, sollte auf Butter lieber ganz verzichten, wegen des Todesstoffs Cholesterin. Man sieht: Wo die Vernunft regiert, hat der Populismus keine Chance. Zudem geben die Deutschen nur einen Bruchteil ihres Vermögens für Milchprodukte aus. Auch der Verfasser dieser Zeilen geht häufig noch mal schnell Milch holen und kommt mit einer Flasche Wodka wieder aus dem Supermarkt. Diese ist noch dazu mit einem würdelosen klobigen Diebstahlschutz auf dem Verschluss gesichert, der vor allem bei Kindern Unverständnis auslöst, weil die doch »ganz oft Leute sehen, die schnell aus der Flasche was trinken und die dann wieder ins Regal stellen«. Dem deutschen Verbraucher kann es also schnuppe sein, was das Nahrungsmittelkartell für das Barrel Rohmilch verlangt. Wir trinken den Kaffee schwarz und tunken das Weißbrot in Olivenöl.

Gefährliches Spielzeug

Der Chef einer großen chinesischen Zulieferfabrik für Spielwaren hat sich erhängt. Das kommt bei deutschen Führungskräften zum Glück selten vor. Hier wechselt man eher in den Aufsichtsrat, falls es mal zu Fehlern in der Geschäftsführung kommt.

Die Firma des bedauernswerten Chinesen ist einer der großen Zulieferer von Mattel. Und der amerikanische Weltmarktführer hat jetzt zum zweiten Mal innerhalb von 14 Tagen nach einer internen Qualitätskontrolle Spielzeug zurückgerufen. Freiwillig. Zu hoher Bleigehalt in Farben und zu locker sitzende Magnete an Puppen, die verschluckt werden könnten. Für deutsche Eltern besteht allerdings kein Grund zur Sorge, wenn ihre Kinder fast magnetisch am Kühlschrank kleben. Fast immer ist es nur der Wunsch nach stark gezuckerten Fruchtsäften oder Schokoladenaufstrichen, der die Kleinen an dem Kühlschrank rütteln lässt.

Nicht alle verhalten sich dabei so vorbildlich wie der CEO von Mattel, Bob Eckert. In ganzseitigen Annoncen (»Weil Ihre Kinder auch unsere Kinder sind«) gibt er uns sein persönliches Versprechen, dass dieses Problem (Blei und Magnete) »mit Integrität und Verantwortungsbewusstsein« beseitigt wird. Thank you, Bob.

Wie aber sieht es aus mit den Herstellern von Seilen, Wolldecken und Bauklötzen? Für Kinder nahezu ungefährlich, können sie für ahnungslose Eltern zu reinsten Todesfallen werden. Hat sich jemals ein Hersteller für Seile entschuldigt, die vor einer Treppe gespannt werden, damit Plastikpferdchen nicht von der Koppel springen? In Knöchelhöhe sind sie für einen normalen Familienvater nicht wahrnehmbar. Auf dem hastigen morgendlichen Weg nach unten in die Küche wirken sie stärker als ein Bremsfallschirm. Wo ist der Warnhinweis auf Wolldecken, dass es sich hierbei um die improvisierte Bedachung einer Höhle im Wohnzimmer handeln kann? Wer sich angesichts der Bilder aus dem Nahen oder auch Fernen Osten fassungslos langsam nach hinten setzt, wo bis gerade noch ein Stuhl stand (oder zumindest bis gestern), kracht plötzlich samt Decke, die über zwei Stuhllehnen gespannt war, auf den Boden. Im Glücksfall schlägt er mit dem Kopf auf eine Spieluhr, die »La, le, lu« spielt. Weniger Glückliche durchbohren sich das Trommelfell mit einem 20 Zentimeter langen Stock, der senkrecht auf einer Holzscheibe steht und auf dem weitere bunte (bleifreie!) Holzscheiben mit Loch in der Mitte der Größe nach sortiert werden können.

Schon mal nachts barfuß auf Legosteine getreten? Oder im Bad die Holzente auf Rädern erwischt (Steiß auf Kacheln, Kopf an Bidetkante)? Ganz zu schweigen von den psychischen Schäden durch Zehn-kleine-Krabbelfinger-CDs im Stau bei Regen. Die Hersteller sind gefordert, nur noch ein Jahr bis Peking.

PS: Kann es sein, dass es in Beijing zwar neun Millionen Fahrräder gibt, aber auf Katie Meluas CD nur zwei Rhythmen?

Schulfruchtprogramm

Schon wieder gute Nachrichten aus Norwegen. Würden nur zehn Prozent der Kinder lebenslang täglich 25 Gramm mehr Obst essen, wären sie anschließend so pumperlgsund, dass die Kosten für Gratisobst an Schulen sich wieder amortisiert hätten. Was mathematisch verwirrend und logisch gaga klingt, ist im wirklichen Leben ganz einfach: Leute, esst mehr Obst! Fünf verschiedene Sorten, 650 Gramm pro Tag. Aus diesem Grund startet am 13. Oktober die Aktion »5 am Tag«. Was zunächst Insiderberichte aus dem Sexleben von Rockstars erwarten lässt, soll in Wahrheit tonnenweise Frischobst vor allem in Ganztagsschulen befördern. Denn an unseren Schulkiosken sieht es schlimm aus. Der zuckersüße Nahrungsmüll, der dort häufig von Hausmeisterehepaaren verdealt wird, löst erstaunlicherweise wenig Empörung bei den Eltern aus. Zu viele lose Blätter, zu schwere Ranzen, zu leichte Hausaufgaben – kein noch so kleines Detail bleibt auf Elternabenden undiskutiert. Aber dass die Nachkommenschaft überzuckert und verfettet aus der großen Pause zurückkehrt, scheint nicht zu stören.

Es wäre aber interessant zu sehen, ob das Angebot von stark verbilligtem oder gar kostenlosem Obst bei den kleinen Rackern eine Chance gegen Cola und Schokoriegel hätte, wie von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung erhofft. Denn Obst hat einen Nachteil: Es schmeckt nicht! Gut, das mag jetzt eine persönliche Meinung sein, aber man wäscht doch nur ab und zu mal lustlos einen Apfel, weil er so gesund ist. Worauf haben wir denn beim Fußball wirklich Bock: auf die Familienpackung Erdnussflips oder auf eine leckere Birne? Mir tun beim Hotelfrühstück Menschen leid, die sich eine Papaya stückeln, während ich mir nach Weißwürstchen, Rührei mit Speck und Frikadellen noch zwei Schokoecken gönne. Ab und zu mal einen Obstsalat, weil er schon geschnippelt ist und nicht gewaschen werden muss. Aber meistens bin ich froh, wenn drei Fruchtfliegen aus ihm aufsteigen und ich ein Hygieneargument habe: Wusste ich doch, dass das Zeug hier schon ewig rumsteht. Von Bekannten, die nach schlampig gewaschenen Himbeeren auf dem Welcome-Teller ihres Lieblingshotels gleich paarweise zur Wurmkur antreten durften, will ich gar nicht reden. Trotzdem: Obst ist gesund, und wir wünschen der Aktion »5 am Tag« allen erdenklichen Erfolg.

Im Kreißsaal

Diesmal England. Der Inselstaat ist uns meilenweit voraus, im »politischen Willen, die physiologisch normalen Geburtsabläufe zu unterstützen – ein tolles Vorbild für Deutschland«. So zu lesen im Ressort Wissen der »Süddeutschen Zeitung«. Praktischerweise unmittelbar neben einem Artikel, der vermeldet, dass die Zahl der Selbsttötungen erstmals unter 10 000 gesunken ist. In Deutschland. Auch ein Erfolg der Agenda 2010? Oder bereits ein Signal, dass Kurt Beck mit seiner Weiterentwicklung richtig liegt?

Aber zurück zur Blasensprengung. Der traditionelle Geburtsbeschleuniger wird laut aktuellem Forschungsstand mittlerweile kritisch gesehen. Ebenso wie das Naturheilmittel Sex unmittelbar vor der Geburt, volkstümlich als kürzester Weg vom Orgasmus direkt in die Presswehen verstanden. Erst jetzt erfahren wir: Schon seit 2001 ist bekannt, dass es darüber keinerlei wissenschaftliche Sicherheit gibt. Zudem bemerken Gutachter, dass es schwierig sein dürfte, »dieses Verfahren zu standardisieren«! Im Klartext: Der Partner muss noch im häuslichen Umfeld verfügbar sein, wichtiger jedoch ist, dass GV zwischen den werdenden Eltern überhaupt noch ein Thema ist. Schwierig vor allem in Beziehungen von Prominenten, wo häufig aus Liebe Freundschaft wird und dementsprechend externe Kopulation zu diagnostizieren ist.

Ein Thema von geradezu dogmatischer Schwere ist die Periduralanästhesie, kurz PDA. Hier werden Mütter zu Hyänen, wenn sie in ihrer Mutter-Kind-Philosophie bedrängt werden. Manche Frauen wünschen sich mehrwöchige Presswehen auf einem harten Küchenstuhl, um den Schmerzen eine mystisch-religiöse Dimension zu verleihen. Wieder andere träumen von einer PDA à la iPod, die man ungeheuer lässig und entspannt ab SW 6 überall mit sich rumtragen kann. Chillen ab dem Aufwachen.

Wenn die PDA erst traditionell im Kreißsaal erfolgt, entwickelt sich nicht selten eine enge Beziehung zwischen Schwangerer und Narkosearzt (Pfleger? Klinikelektriker?). Denn 15 bis 20 Versuche, eine ungefähr passende Stelle im Rückgrat zu treffen – das kann dauern. Und selbst wenn die Nadel sitzt, hört man häufig noch von überraschenden Wirkungen (Ohren gefühllos, aber starke Schmerzen im Beckenbereich). Wichtigste Bezugsperson, da sind sich die Experten einig, bleibt die Hebamme. Ruhe, handwerkliches Geschick oder einfach mal noch zusammen eine rauchen, wenn der Wehenschreiber behaglich rattert.

Ansonsten hat sich seit Jahrzehnten das Modell Blechtrommel bewährt: Kartoffelacker, Röcke drüber, und gut is!

Frauenbefreiung

Merci, Simone.