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Band 91/92

 

Traumschiff der Sterne

 

Im Nichts gestrandet

 

Peter Terrid

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Rückentext

Traumschiff der Sterne

Willkommen im Traumschiff!

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

Nachwort

Im Nichts gestrandet

Vom Hyperraum droht Gefahr!

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

Nachwort

Vorschau

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

Urlaubsreise mit Hindernissen

Nicht immer dient die Raumfahrt der Erforschung oder der Verteidigung gegen Angreifer. Häufig wird sie auch einfach von Touristen genutzt. Von den Erlebnissen der Passagiere an Bord eines solchen Schiffes, der EMPRESS OF THE OUTER SPACE, handelt dieser Band.

 

Lhoreda Machecoul ist Kriminalistin. Als sie in letzter Minute das Attentat eines Psychopathen verhindern kann, erhält sie eine besondere Belohnung: Die Terranerin darf an einer Kreuzfahrt durch die Milchstraße teilnehmen. Sie ahnt jedoch nicht, dass ein Mörder an Bord ist ...

Später wird das »Traumschiff der Sterne« von einer kosmischen Katastrophe erfasst. Die Menschen an Bord sind auf sich selbst gestellt, die Technik versagt, Hilfe ist nicht in Sicht. Kälte, Dunkelheit und Panik breiten sich aus – und ein mörderischer Kampf ums Überleben beginnt ...

Inhaltsverzeichnis

 

 

Erstes Buch

Traumschiff der Sterne

 

Zweites Buch

Im Nichts gestrandet

 

 

 

Traumschiff der Sterne

 

Ihr Ziel ist der Zauber der Sterne – aber der Tod fliegt mit

Willkommen im Traumschiff!

 

Unser Angebot:

– Drei Monate Luxuskreuzfahrt zu unbekannten Sonnen und Planeten

– Jungfernfahrt auf dem neuen Flaggschiff der Reederei INTO THE GREAT WIDE OPEN

– Modernste Luxusgroßyacht der QUOQUOVERSUS-Klasse

– Beste Technik aus der Orbanaschol-Werft

– Voller Komfort

– Erfahrene Besatzung unter Kapitän Gharun Ferdinho

– Fachkundige Reisebegleitung

– Mitreisende aus allen Teilen der Galaxis

– Vollsyntronischer Katastrophenschutz

– Aussichtskuppel mit Glassit-Panzerung

– Keine Robotbedienungen oder Robotküche

 

Unser Programm:

– Start am 31. Dezember 1199 NGZ

– Silvesterball mit Captain's-Dinner und großem Feuerwerk

– Planeten besuchen, die noch kein Galaktiker betreten hat

– Landgänge und Besuch bizarrer Asteroiden

– Die neuen Sehenswürdigkeiten des 13. Jahrhunderts NGZ

 

(Text der Holowerbung für die Silvesterkreuzfahrt mit der EMPRESS OF THE OUTER SPACE)

1.

 

»Ich weiß, dass er etwas plant!«, stieß die junge Frau hervor; ihre Miene hatte sich verfinstert. »Seit vier Monaten verfolge ich seine Spur, und wenn es jemals einen hochverdächtigen Mann gegeben hat, dann ist er es.«

Sie warf einen raschen Blick auf den Monitor. Auf dem Bildschirm war das Porträt eines Mannes zu sehen. Er wirkte unauffällig – ein breites, durchschnittliches Gesicht, umrahmt von einem mattblonden Bart, braune Augen, eine kleine Nase, beginnende Stirnglatze. Es gab auf der Erde wahrscheinlich einige zehntausend Männer seines Schlages und seines Aussehens, und auf den von Terranern besiedelten Planeten der Galaxis ließ sich wahrscheinlich eine runde Million ähnlich unauffälliger, durchschnittlicher Männer auftreiben.

»Ich weiß, er sieht überhaupt nicht so aus, wie man sich einen Attentäter vorstellt«, fuhr die Kriminalistin fort und deutete auf den Bildschirm. »Jedenfalls nicht nach den landläufigen Klischees. Trotzdem, ich bin mir sicher ...«

Sie ließ die Hand sinken, ihre Stimme wurde leiser. Sie zuckte mit den Schultern und blickte wieder hinüber zu Franiton Hashemy, ihrem Vorgesetzten.

»Du glaubst mir nicht, habe ich recht?«

Hashemy wiegte nachdenklich den Kopf.

»Es ist keine Frage des Glaubens«, antwortete er bedächtig. »Mehr eine Angelegenheit von Beweisen. Gerichtskräftigen Beweisen. Hast du die?«

Die junge Frau senkte den Kopf.

Auf einem der anderen Monitore war zu sehen, dass die Vorbereitungen für die Einweihung fortgesetzt wurden. Die weiten Prallfeldtribünen begannen sich mit Zuschauern zu füllen. Die meisten der Besucher waren festlich und dunkel gekleidet, eine weihevolle Stimmung lag über der Szene, passend für die Eröffnung einer Nekropole, einer Totenstadt.

»Ich kenne deinen Instinkt, Lhoreda«, nahm Hashemy das Gespräch wieder auf. »Und ich bin sicher, dass du dich nicht irrst.«

»Und du lässt ihn trotzdem wieder laufen?«

Hashemy zuckte mit den schmalen Schultern.

»Ich muss«, sagte er und stand auf. »Er ist ein Bürger unseres Staates, bisher unbescholten, und er hat seine Rechte. Und dies ist einer der unvermeidlichen Nachteile unseres Berufes: Als Gesetzeshüter sind wir dazu verpflichtet, die Spielregeln unbedingt und in jedem Fall einzuhalten.«

Dem hatte Lhoreda Machecoul nichts entgegenzusetzen außer einer trotzigen Miene. Sie wusste, dass ihr Vorgesetzter Recht hatte. Es gab keine Beweise, nichts, was man einem Haftrichter hätte vorlegen können. Es gab nur Lhoredas Verdacht.

Hashemy blickte auf den Verdächtigen; seine Miene hatte sich ebenfalls verdüstert.

Nach dreißig Berufsjahren bekam man unweigerlich ein Gespür für Menschen, das mitunter fast telepathische Züge annehmen konnte. Nach einer so langen Zeit wusste man, wie sich Verdächtige im Gewahrsam aufzuführen pflegten. Wie sich Unschuldige benahmen, die in das Räderwerk des Gesetzes geraten waren, welche Manieren versierte Straftäter vorzeigten, je nachdem, ob sie zu Recht oder zu Unrecht festgenommen worden waren. Es gab leise und stille Typen, es gab Krakeeler, es gab völlig verängstigte Gestalten und abgebrühte Profis.

Dieser Mann hieß, wie seine Identitätsdokumente auswiesen, Daryl Parthenay; von Beruf war er Bioniker, seine Leistungen in diesem Beruf waren eher mittelmäßig. In den Akten der Polizei war er nicht in Erscheinung getreten, jedenfalls nicht in jener vergleichsweise kurz zurückliegenden Frist, deren Daten den Ermittlern zur Verfügung standen. Für den Zugriff auf seinen gesamten Datenbestand fehlte die Berechtigung in Form eines richterlichen Befehls.

Daryl Parthenay hatte es sich in einem Pneumosessel bequem gemacht, die Beine übereinandergeschlagen. Er zeigte jenen selbstzufriedenen Ausdruck, den die beiden Kriminalisten nur zu gut kannten: »Ich weiß es«, besagte diese spöttische Miene, »ihr wisst es, und ihr wisst, dass ich es auch weiß. Aber ihr könnt mir nichts beweisen. Ätsch!«

»Ich werde ihn freilassen«, sagte Hashemy missmutig. »Ich habe keine andere Wahl.«

»Und was soll ich tun? Einfach zusehen?«

»Die Augen offen halten«, antwortete ihr Vorgesetzter. »Mehr kann man nicht tun.«

Lhoreda blickte auf den großen Monitor. Auf dem Bildschirm daneben, der abgeschaltet war, konnte sie ihr Spiegelbild bewundern: ein schmales, energisches Frauengesicht, umrahmt von eisgrauen Haaren in einer Windstoßfrisur. Die Haare sahen aus, als sei Lhoreda morgens nur kurz mit den Fingern durchgefahren, und das stimmte auch. Eitelkeit in diesen Dingen war ihr fremd.

Das leichte Glitzern an der rechten Seite ihres Kopfes stammte von einem golfballgroßen Ohrschmuck, der im Rhythmus ihres Herzschlages pulsierte. Die Farbe dieses Anhängers war auf dem Abbild ebenso wenig zu erkennen wie die ihrer Augen – was im Übrigen ohnehin schwer genug zu erkennen war. Die meisten Beobachter einigten sich auf grün mit bernsteinfarbenen Punkten, andere wiederum nannten Lhoredas Augen schlichtweg gelb, was einen frischgebackenen Mediziner einmal zu der Vermutung veranlasst hatte, Lhoreda leide an einer sehr gefährlichen Krankheit, der Haemochromatose, auch Eisenspeicherkrankheit genannt. In Wirklichkeit handelte es sich bei den gelblichen Pigmenten in ihrer Iris um ein Erbteil ihrer Mutter, die von dem Planeten Rhordon im Garanorsystem stammte.

Auf den anderen Bildschirmen war das Geschehen auf dem großen Platz vor dem Tor der Nekropole zu sehen.

Die Tribünen begannen sich langsam zu füllen. Der Beginn der Einweihungsfeier stand kurz bevor. Und ein führendes Mitglied der Kosmischen Hanse würde die Eröffnungsrede halten.

Ursprünglich war geplant gewesen, einen ranghöheren Repräsentanten der Hanse einzuladen, eine jener großen Gestalten, welche die Geschichte dieser Organisation und die Geschicke der Menschheit so oft und so nachhaltig beeinflusst hatten. Aber dann waren den Veranstaltern doch Bedenken gekommen.

Zur Eröffnung einer Totenstadt ausgerechnet einen Zellaktivatorträger einzuladen und sprechen zu lassen, wäre wohl ziemlich absurd gewesen. Was wusste solch eine Person schon vom Sterben und vom Tod? Also hatte man entschieden, jemanden diese Ehre anzutragen, der Chancen hatte, eines nicht zu fernen Tages ebenfalls in der Nekropole bestattet zu werden.

Lhoreda Machecoul stand auf und verließ den Raum. Sie empfand dieses Gespräch als Niederlage, und sie hasste Niederlagen. Vor allem dann, wenn sie absolut sicher war, im Recht zu sein.

Sie verließ die Polizeistation und spazierte langsam hinüber zu den Tribünen.

In einem weiten Dreiviertelkreis umspannten die Sitzreihen den Eingang der Nekropole, deren goldglänzende Einfassung im Licht der Nachmittagssonne schimmerte.

Im Laufe der Jahrtausende hatten sich die Bestattungsriten der Terraner öfters geändert. Ziemlich aus der Mode gekommen war zu dieser Zeit das Verfahren, die Toten bei Temperaturen nahe des absoluten Nullpunkts einzufrieren, in der Hoffnung, dass eines fernen Tages vielleicht ein Mittel gefunden werden konnte, den Verstorbenen wiederbeleben und heilen zu können. Die Erfahrung hatte gezeigt: War erst einmal der Tod eingetreten, gab es nichts mehr zu retten und zu heilen.

Eine Zeitlang war es üblich gewesen, die Toten im Weltraum beizusetzen; dieses Verfahren war aus der Mode gekommen, seit einige im All driftende Leichen mit Raumschiffen kollidiert waren. Sehr verbreitet war im Jahr 1199 NGZ, das in wenigen Wochen enden würde, die Sitte der Einäscherung und anonymen Bestattung.

Aber es gab bei einigen Milliarden Erdbewohnern auch immer genug Menschen, die nach ihrem Tode aufwendig und prunkvoll, vor allem aber in einer Form bestattet werden wollten, die ihrem Leben ein dauerhaftes Monument setzte.

Dazu sollte die neue große Nekropole dienen.

Die Totenstadt war in einen Ausläufer des Pamir-Gebirges gegraben worden, kilometertief hinein in den massiven Fels. Es gab einen Hauptstollen von drei Kilometern Länge, von dem ein System von Quer- und Nebengängen ausging, das wiederum in einigen tausend kleineren und größeren Kammern endete. Diese Grüfte konnten, wenn man die erforderlichen Galax besaß, für einige Jahrhunderte angemietet werden.

Lhoreda besaß weder das Geld noch das Verlangen, sich später einmal in diesem Grabgewölbe beisetzen zu lassen. Der Aufwand erschien ihr übertrieben, außerdem besaß sie keine lebenden Verwandten, die an ihrem Grab hätten trauen können.

Die Sicherheitsposten ließen die junge Frau passieren; sie kannten sie bereits von früheren Kontrollgängen.

Hinter der Einfassung aus zolldickem, massivem Gold begann der Hauptstollen. Boden und Gewölbe waren mit einer Schicht aus edlem Marmor überzogen worden – jedenfalls sah das Material aus wie Marmor. Lhoreda wusste es besser: In Wirklichkeit handelte es sich um eine raffiniert hergestellte Mischung aus Calciumsulfat – also simplem Gips – der mit speziellen Kunststoffen verwitterungsfest gehärtet und auf Hochglanz poliert worden war.

Ein sanftes, perlmuttartiges Licht erhellte den Stollen, an den Wänden waren Halterungen und Leuchter zu sehen, deren leicht flackerndes Gaslicht zwar nichts zur Beleuchtung, dafür aber sehr viel zur feierlich-getragenen Atmosphäre beitrug.

In diesem für einen Laien kaum durchschaubaren Gewirr von Gängen und Kammern hatte Lhoreda den Mann namens Daryl Parthenay mehrfach angetroffen, und er hatte dort nichts zu suchen gehabt.

Wahrscheinlich hatte er dort auch nichts zu tun gehabt: Es gehörte einfach zum Spiel, ebenso wie die kurze Notiz an die Sicherheitsbehörden, es sei ein Anschlag auf den Repräsentanten der Kosmischen Hanse geplant.

Lhoreda kannte diesen Typ von Kriminellen. Deren eigentliches Ziel war nicht das Attentat als solches – wer sterben sollte und warum, war für den Täter ziemlich unwichtig; es ging vielmehr um ein Kräftemessen mit der Polizei, um eine Befriedigung persönlicher Eitelkeit. Und was konnte einen Attentäter mehr vergnügen, als die Polizei selbst zu warnen – und dann trotzdem erfolgreich zuzuschlagen? Und nicht erwischt zu werden.

Daryl Parthenay, der seltsam unauffällige Durchschnittsterraner, schien zu dieser Spezies zu gehören, da war sich Lhoreda Machecoul völlig sicher.

Sie blieb abrupt stehen.

Was konnte Parthenay in diesen Höhlen angestellt haben?

Und wie stellte er sich den Ablauf seines Planes vor?

Sprengstoff? Das war nach den Erfahrungen der Vergangenheit ziemlich unwahrscheinlich. Zum einen waren das Rednerpodium und der Bereich der Tribünen mehrfach untersucht worden, zum anderen entsprach dieses grobschlächtige Verfahren nicht dem Stil, den Lhoreda bei Parthenay vermutete.

Gift? Nahezu ausgeschlossen.

Ein Angriff mit einer modernen Energiewaffe? Mit Sicherheit trug der Redner einen Schutzschirmprojektor, der solche Versuche im Ansatz vereitelte. Nein, wenn Daryl Parthenay sich einen Plan ausgedacht hatte, dann musste dieser seine ganz besondere Handschrift tragen. Er musste eine bestimmte Originalität aufweisen, gewissermaßen Niveau haben – sofern man diesen Begriff auf Mordanschläge überhaupt anwenden konnte.

Lhoreda wandte sich um.

Ihr Blick wanderte den Stollen entlang, hinaus ins Freie. In einiger Entfernung konnte sie das Podium sehen, von dem aus der Repräsentant der Kosmischen Hanse sprechen würde. Der Hauptstollen schien gewissermaßen genau auf das Opfer zielen, wie der Lauf eines altmodischen Gewehrs.

Kam eine solche Waffe in Frage? Lhoreda schüttelte den Kopf. Waffen dieses Typs waren rare Sammlerstücke, außerdem erforderte der Umgang damit einige Übung und Erfahrung.

Lhoreda stieß eine Verwünschung aus.

Räume, in denen feierliche Rituale vollzogen wurden, hatten traditionsgemäß einen gewissen Hall, wie man in jeder alten Kirche feststellen konnte. Das galt auch für den Hauptstollen der Nekropole – man konnte beinahe jeden Schritt als fernes Echo hören, und auch Lhoredas kräftiger Fluch kehrte nach einigen Zehntelsekunden als Widerhall zu ihr zurück, ein wenig gedämpft und in der Tonhöhe gesenkt.

Die junge Frau blickte wieder zum Rednerpodium. In ihrem Gehirn arbeitete es. Sie wusste, dass sie der Lösung des Rätsels ganz nahe war. Aber das Aha-Erlebnis als jähe Einsicht in die Zusammenhänge wollte sich nicht einstellen.

Lhoreda stampfte wütend mit dem Fuß auf, und das Echo antwortete mit einem Geräusch, das wie ein Pulverschuss klang.

Und dann war die Einsicht plötzlich da – oder doch wenigstens eine Ahnung.

Lhoreda wandte sich um. Sie begann zu laufen.

Die Tribünen hatten sich inzwischen gefüllt. Eine angenehm warme Nachmittagssonne strahlte auf die Besucher der Feier herab. Im Hintergrund näherte sich bereits, wie Lhoreda im Laufen erkennen konnte, der Gleiter mit dem Ehrengast.

Es kam jetzt auf Sekunden an – und auf Lhoredas Spürnase. Wenn sich ihr Verdacht jetzt als falsch erwies, war ihre Karriere beendet; eine solche Blamage, noch dazu vor laufenden Kameras, würde man ihr nicht vergeben. Weit eher konnte sie auf Nachsicht rechnen, wenn sie den Dingen ihren Lauf ließ und gar nichts unternahm.

Lhoreda erreichte die Tribünen, drängte sich zwischen Besuchern und Neugierigen durch. Das Drängeln und Schubsen alarmierte die Sicherungsposten. Lhoreda konnte sehen, dass sich ihr einige Uniformierte näherten, als sie zum Podium drängte.

Noch im Laufen zog Lhoreda ihre Waffe.

Schreie gellten auf, Menschen stoben auseinander, Kameras wurden herumgeschwenkt und richteten sich auf die junge Frau. Leibwächter drängten sich zwischen den Ehrengast und das Podium, das der Redner gerade besteigen wollte.

Lhoreda kniete nieder, richtete die Waffe ins Ziel.

Ein Schuss konnte genügen. Er konnte aber auch die endgültige Katastrophe auslösen: Es hing davon ab, ob Parthenay seine Höllenmaschine schon aktiviert hatte.

Lhoreda zielte so genau, wie ihr hämmernder Puls und der schnelle Atem es zuließen. Eine Fingerbewegung, dann löste sich ein gleißender Strahl aus ihrer Waffe und traf das Ziel.

Die Menge schrie entsetzt auf, Panik brach aus. Sicherheitsautomatiken, syntrongesteuert, senkten die Tribünen ab, um Unfälle und Stürze zu vermeiden. Im gleichen Augenblick wurde Lhoreda von einem Paralysatorstrahl gestreift, im Bruchteil einer Sekunde jagte der Schmerz durch ihren Körper, um dann einer tauben Lähmung ihrer linken Körperhälfte Platz zu machen.

Lhoreda kippte zur Seite. Noch im Fallen warf sie die Waffe weg, und versuchte die Hände zu heben, um nicht Anlass für weitere Schüsse zu geben.

Es dauerte nur wenige Augenblicke, dann waren die ersten Wachen bei Lhoreda angelangt. Sie lag auf dem Rücken, blinzelte in die Sonne und versuchte ihre Angst zu bekämpfen, als sich ein halbes Dutzend Waffen auf sie richtete.

»Keine falsche Bewegung!«, brüllte ein aufgeregter Posten. »Oder wir schießen!«

Die junge Frau nickte schnell. Ihre Stimmbänder gehorchten nicht mehr richtig, die Lähmung hatte sie bereits beeinträchtigt.

»Bringt die Leute weg!«, konnte Lhoreda krächzend hervorstoßen. »Schnell. Und schafft den Redner weg.«

»Von dir nehmen wir keine Befehle an!«, fauchte der Mann, der sich über sie beugte.

»Am Ende des Stollens«, keuchte Lhoreda. »Ihr müsst das Ding abschalten.«

»Was für ein Ding?«

»Infra...«, brachte Lhoreda keuchend hervor. Die Paralyse breitete sich schnell aus, ihr Atem blieb weg. »Infraschall ...«

Einen Augenblick später verlor sie das Bewusstsein. Das letzte, was sie zu sehen bekam, war ein strahlender Reflex auf der vergoldeten Einfassung des Eingangs in das Totenreich.

 

»Wie um alles in der Welt bist du darauf gekommen?«, fragte Franiton Hashemy leise.

Lhoreda grinste schwach.

»Habe ich recht gehabt?«

Der Besucher an ihrem Krankenbett nickte langsam.

»Ja, vollkommen«, gab er zu. »Wir haben am Ende des Hauptstollens tatsächlich einen entsprechenden Verstärker gefunden. Wenn das Ding funktioniert hätte ...«

»Hat es aber nicht«, brachte Lhoreda zufrieden hervor. »Glücklicherweise.«

»Es wäre eine Katastrophe geworden«, räumte Hashemy ein. »Mit zahlreichen Toten. Und der Redner hätte keine Chance gehabt, Schutzschirmprojektor hin oder her.«

Lhoreda setzte sich im Bett auf und zupfte den Ausschnitt ihres Nachthemds zurecht. Hashemy war ein netter Kerl, aber so nett nun auch wieder nicht.

»Es wurde mir klar, als ich in der Röhre ein wenig Lärm machte vor Wut«, berichtete Lhoreda. »Das Echo hat mich darauf gebracht. Dieser Stollen ist eine riesige Luftsäule, wie im Inneren einer Orgelpfeife. Wenn man diese Luft zum Schwingen bringt, entsteht Schall, und die Tonhöhe des Schalls hängt von der Länge und der Dicke der Schallsäule ab. Je größer und breiter eine Orgelpfeife ist, um so niedriger kommt der Ton.«

»Genau so haben es die Fachleute mir auch erklärt«, warf Hashemy ein. »Auch wenn ich es nicht ganz verstanden habe. Wieso Infraschall?«

»Schwingungen, die zu hochfrequent sind, um von unseren Ohren gehört zu werden, nennt man Ultraschall. Hunde oder Fledermäuse können solche Töne sehr wohl hören. Aber es gibt auch Schallwellen, die zu niederfrequent sind, um von uns gehört zu werden – unterhalb von zweiunddreißig oder sechzehn Schwingungen pro Sekunde. Aber diese Wellen haben trotzdem Wirkung, sogar verheerende Wirkung. Ich habe einmal gelesen, dass man auf der Erde vor vielen Jahrhunderten versucht hat, solche Infraschallwellen als Kriegswaffen zu benutzen.«

»Du liest ziemlich seltsame Spulen in deiner Freizeit«, kommentierte Hashemy. »Mach weiter!«

»Man hat diese Versuche aber schnell wieder abgebrochen; die Wirkung ließ sich nicht genau dosieren, auch die Bedienungsmannschaft war davon gefährdet. Aber man hat damals immerhin herausgefunden, dass solche Infraschallwellen einen Menschen umbringen können, wenn sie stark genug sind. Und genau das hatte Parthenay vor – er hat vermutlich das Mikrofon auf dem Podium angezapft, was sicher nicht allzu schwer gewesen ist, dann sollten die Schallwellen vom Redner aus heruntertransformiert, verstärkt und über die Tunnelröhre wieder auf ihn abgestrahlt werden.«

Hashemy nickte beeindruckt.

»Genau so ist es gewesen«, sagte er anerkennend. »Die entsprechenden Einrichtungen hat man am Ende des Stollens gefunden.« Er grinste sarkastisch. »Wenn es geklappt hätte, wäre einmal ein Politiker buchstäblich an seinen eigenen Worten gestorben.«

»Nicht nur er«, murmelte Lhoreda. »Wir wären alle umgekommen, wenn Parthenay die Anlage schon eingeschaltet gehabt hätte – stell dir den Schall des berstenden Mikrofons tausendfach verstärkt als Infraschall vor, dann kannst du dir vorstellen, was ich meine.«

Hashemy starrte sie an, seine Augen weiteten sich.

»Sag das keinem«, zischte er dann heiser. »Niemandem, verstehst du. Deine Handlungsweise war richtig, im Nachhinein, der Erfolg gibt dir ja Recht. Aber wenn herauskommt, dass du das Leben aller Anwesenden gefährdet hast ...« Lhoreda hob die Schultern.

»Es wird so oder so herauskommen«, meinte sie gelassen. »Spätestens bei dem Prozess, den man Parthenay machen wird.«

Hashemy schüttelte den Kopf.

»Die Chancen dafür sind leider nicht sehr groß«, sagte er halblaut.

»Was heißt das? Ihr habt ihn doch eingefangen und festgenommen?«

Hashemy schüttelte den Kopf.

»Leider nicht«, antwortete er grimmig. »Parthenay wurde kurz vor dem Erscheinen des Redners freigelassen, und danach hat man jede Spur von ihm verloren. Es ist, als habe er sich in Luft aufgelöst.«

Lhoreda stieß eine halblaute Verwünschung aus.

»Es wurde alles unternommen«, beteuerte Franiton Hashemy. »Aber Parthenay ist verschwunden. Aber früher oder später ...«

»... werde ich ihn kriegen«, unterbrach ihn Lhoreda Machecoul grimmig.

»Du nicht«, antwortete Hashemy trocken. »Du hast einen neuen Aufgabenbereich, wenigstens für ein paar Wochen.«

Lhoreda kniff die Augen zusammen. Solche Ankündigungen verhießen normalerweise nichts Gutes.

»Und was für ein Aufgabenbereich soll das sein?«

Hashemy deutete lächelnd auf die Decke des Krankenzimmers.

»Der Weltraum«, sagte er. »Sagt dir der Name EMPRESS OF THE OUTER SPACE etwas?«

Lhoreda schüttelte den Kopf.

»Klingt nach irgendeiner durchgedrehten Sternenfürstin«, gab sie zurück.

»Oder nach einem Raumschiff«, verbesserte Hashemy. »Die EMPRESS ist ein Kreuzfahrtschiff der Luxusklasse. Höchster Komfort, feinste Gesellschaft – also genau das richtige für dich.«

»Du machst Witze«, behauptete Lhoreda wider besseres Wissen. Mit dem Humor war es bei ihrem Vorgesetzten nicht sonderlich gut bestellt.

»Keineswegs. Pass auf, die Sache ist ganz einfach. Deinen Urlaub hast du in diesem Jahr schon gehabt. Eine Belohnung in Gestalt von Geld ist nicht drin, für eine Beförderung gibt es leider derzeit keine Planstelle.«

Lhoreda grinste. »Diesen letzten Satz hat man wahrscheinlich schon zu Zeiten der ägyptischen Pharaonen gekannt«, behauptete sie.

»Und deswegen machen wir es einfach so: Du wirst als Sicherheitsoffizier an Bord der EMPRESS versetzt. Das ist deine Belohnung. Zu tun hast du an Bord wenig. Vielleicht wird es ein paar kleinere Diebstähle geben, ein bisschen Falschspiel, Kleinkram also. Jedenfalls nichts, wofür man eine erstklassige Sicherheitsfrau brauchen würde. Du kannst also vier Wochen lang entspannen, den Luxus an Bord genießen und dich von ein paar Paralysatortreffern erholen.«

»Es war nur ein Treffer, und der nicht einmal richtig. Lausige Schützen waren das, wenn du mich fragst.«

»Ich werde die Beschwerde weitergeben, beim nächsten Mal zielen sie dann vielleicht besser. Du brauchst jedenfalls Erholung, und die wirst du kriegen. Keine weiteren Widerworte, die Sache ist längst arrangiert.«

Lhoreda stieß einen Seufzer aus. Sie liebte ihren Beruf, die Strapazen, die damit verbunden waren, die Aufregung, sogar ein wenig die Gefahr – nichts davon würde sie an Bord dieses Schiffes erleben.

»Dann soll ich während der ganzen Fahrt einfach nur dumm herumstehen und fetten Passagieren beim Luxusleben zusehen?«

»Nichts dergleichen«, erwiderte Hashemy sofort. »Kein Luxus wird dir persönlich erspart bleiben. Offiziell bist du nämlich Passagier. Lediglich die Reederei und der Kommandant sind informiert, welche Position an Bord du wirklich hast. Und die Nebenkosten der Veranstaltung wird die Kosmische Hanse decken, als Dankeschön dafür, dass du einem ihrer Bosse das Leben gerettet hast.«

Hashemy blickte auf seinen Chronometer.

»Du hast genau siebzehn Stunden Zeit, hier aufzustehen, dich anzuziehen, dir passende Garderobe zu besorgen und was man sonst noch zum Luxusleben braucht. Und ab geht es dann in die Morgenröte.«

Lhoreda sah ihn fragend an.

»Morgenröte«, erläuterte Hashemy gespreizt. »Lateinisch aurora, griechisch eos. Rhododaktylos eos heißt es beim Dichter – die rosenfingrige Morgenröte. Weil der Name des Schiffes ja so elend lang ist, wird es von der Besatzung und auch den Passagieren meist nur EOS genannt. Ende des volksbildenden Vortrags. Bedanken kannst du dich nach deiner Rückkehr.«

Lhoreda lächelte schwach. »Ist das dein Einfall gewesen?«

»Unter anderem«, antwortete Hashemy und stand auf. »Ich wünsche dir eine gute Reise. Und einen vergnüglichen Rutsch in das nächste Jahrhundert.«

Lhoreda schüttelte vorsichtig den Kopf.

»Ein weit verbreiteter Irrtum«, korrigierte sie. »Da es kein Jahr Null gegeben hat, hat das erste Jahrhundert am 1.1.1 NGZ angefangen. Und folgerichtig beginnt das dreizehnte Jahrhundert dann erst am 1.1.1201 NGZ.«

»Wenn schon«, erwiderte Hashemy unbeeindruckt. »Ich wünsche dir trotzdem viel Spaß.«

»Und wo geht es hin?«, fragte Lhoreda.

Hashemy zuckte mit den Achseln.

»Keine Ahnung, da musst du dich an Bord erkundigen. Aber es werden bestimmt die schönsten und aufregendsten Plätze der Galaxis sein.«

Lhoreda Machecoul lächelte schwach. Vielleicht war dieser Urlaub in der Tat das Richtige für sie – mit Entspannung und Ruhe. Und die Schönheiten und Wunder der Milchstraße ...

2.

 

Halblaute Rufe der Bewunderung wurden laut, als die EOS in Sicht kam. Das riesige Schiff hing wie ein glitzernder Kristall im Orbit über Terra.

Die äußeren Formen der EMPRESS OF THE OUTER SPACE waren mit bloßem Auge nur schwer auszumachen. Lhoreda hatte den Eindruck, als bestehe die EOS aus drei Teilen: zwei Kegelpyramiden, verbunden durch ein kugelförmiges Segment. Das Ganze sah einem uralten Kinderspielzeug nicht unähnlich – und vermutlich war es das auch in gewisser Weise.

Die Passagiere an Bord der letzten Zubringerfähre benahmen sich jedenfalls wie Kinder bei der Bescherung. Lautes »Ah« und »Oh« war zu hören, vor den wenigen Fenstern des Shuttles drängten sich die Neugierigen.

Die meisten Passagiere waren, wie Lhoreda erfahren hatte, schon vor Tagen an Bord gegangen, um sich dort eingewöhnen zu können. Einige Skeptiker munkelten, dass die früher Angekommenen sich bereits die besten Kabinen und Suiten gesichert haben konnten und für die letzten Ankömmlinge nur noch die weniger anspruchsvollen Räumlichkeiten im Inneren des Schiffes übrig geblieben waren.

Ihr machte das nichts aus.

Obwohl die Menschheit bereits seit mehr als zwei Jahrtausenden in den Weiten der Milchstraße unterwegs war, gehörte Lhoreda Machecoul zu der großen Mehrheit derer, die ihr heimatliches Sonnensystem noch nie verlassen hatten. Ein paar kurze Flüge zum Mars und ein längerer Ausbildungsaufenthalt auf einem der Saturnmonde – das war Lhoredas gesamte Weltraumerfahrung.

Was es jenseits der Plutobahn zu sehen gab, kannte sie nur aus Lesespulen und Filmen. Und obwohl sie wusste, dass die Weltraumfahrt im Jahre 1199 NGZ sicherer war als je zuvor, spürte sie dennoch ein mulmiges Gefühl in der Magengrube.

Die anderen Passagiere schienen nichts zu spüren. Sie schwatzten lebhaft durcheinander, und aus dem, was sie davon aufschnappen konnte, bekam Lhoreda langsam ein Bild von dem, was sie erwartete.

Die EOS mochte zwar ein Kreuzfahrtschiff der Luxusklasse sein – aber die wirklich Reichen und Vornehmen dieses Jahrhunderts zogen es offenbar vor, ihre Ferien in weniger zahlreicher Begleitung zu verbringen. Die wenigen Menschen jedenfalls, die Lhoreda schon beim Einchecken kennengelernt hatte, waren ziemlich normale Bürger der Liga Freier Terraner, vielleicht ein bisschen wohlhabender als der Durchschnitt, aber bei weitem nicht die Creme der feinen Gesellschaft – oder jene Klasse, die sich in diesem Jahrhundert für die feine Gesellschaft hielt.

Während das Shuttle an der EOS anlegte, bekamen die Passagiere endlich ihr Schiff wirklich zu sehen – und Lhoreda krampfte sich kurz ein wenig der Magen zusammen.

Die äußere Hülle der EOS schien nämlich vollkommen transparent zu sein. Man konnte durch das Glassit hindurch menschliche Gestalten sehen, die sich im Inneren bewegten, und das auffällige Glitzern und Schimmern der EOS hatte seine Quelle in den Lichtern, die in diesen Räumen eingeschaltet worden waren.

Eine Hülle aus hochverdichtetem Terkonit wäre Lhoreda wesentlich lieber gewesen. Der Stahl gab ein Gefühl von Festigkeit und Sicherheit gegen den Weltraum draußen – noch immer das lebensfeindlichste Medium, das sich ein Mensch denken konnte.

Der Shuttle hatte am unteren Dock angelegt, die Schleusentore hatten sich geschlossen, der Raum war mit Atemluft geflutet worden. Als Lhoreda durch die breite Luke ausstieg, hielt sie nach dem ersten Schritt unwillkürlich inne.

Nichts.

Da war absolut nichts unter ihren Füßen. Das Glassit des Bodens, offenbar eine Spezialanfertigung für die EOS, war so klar und transparent, dass man den Eindruck hatte, keinen festen Boden mehr unter sich zu haben, sondern frei im Weltraum zu stehen.

»Willkommen an Bord der EMPRESS OF THE OUTER SPACE!«, kam eine sehr geschult klingende, ungemein liebenswürdige Stimme auf. »Willkommen!«

Die freundliche Stimme drang aus einem Lautsprecher, außerdem war zur Begrüßung eine Schar von Robotern zur Stelle – und eine Hundertschaft von Menschen.

Die Vorstellungen von Reichtum und Wohlstand und deren augenfällige Zeichen hatten sich im Laufe der Jahrtausende auf Terra mehrfach gewandelt und geändert. Mal hatte sich Reichtum in protzigen Gebäuden ausgedrückt, mal in aufwendiger Kleidung. Es hatte Zeiten gegeben, in denen die Reichen sich nicht die Fingernägel beschneiden ließen, um dadurch auszudrücken, dass sie es nicht nötig hatten, körperlich zu arbeiten. In anderen Zeiten waren die Wohlhabenden mit Schmuck und Juwelen behangen gewesen oder waren, Männer wie Frauen, auf hochhackigen Schuhen herumstolziert. Perücken hatten Reichtum darstellen müssen – oder schnelle und bequeme Fortbewegungsmittel, zum Beispiel Sänften.

Das meiste davon war früher oder später aus der Mode gekommen oder hatte sich schlichtweg überlebt.

Eines aber hatte sich als Symbol von Reichtum und Luxus gehalten und würde sich vermutlich bis ans Ende des Menschengeschlechtes auch durchsetzen – Personal.

Im zwölften Jahrhundert der Neuen Galaktischen Zeitrechnung war selbst eher einfachen Bürgern möglich, was sich früher nur die Wohlhabenden hatten leisten können. Zwar war es noch immer so, dass nicht jede Frau und jeder Mann sich jeden Luxus der Oberklasse leisten konnte – jedenfalls nicht zur gleichen Zeit. Aber wer sich auf ein bestimmtes Gebiet versteifte und konzentrierte, der konnte durchaus mit den aktuellen Nachfahren des legendären Krösus mithalten. Der durchschnittliche Reichtum eines normalen Terraners lag inzwischen in Regionen, die für Menschen früherer Zeiten unvorstellbar gewesen wären.

Bis auf diesen einen Punkt.

Wenn man einen Menschen als reich bezeichnen wollte, der – um nur ein Beispiel zu nennen – eine Segelyacht sein eigen nannte, dann konnten inzwischen überaus viele Terraner als wohlhabend gelten. Wenn man wirklichen Reichtum aber so definierte, dass ein reicher Mann derjenige war, der andere Menschen als privates Personal beschäftigte – dann waren die Reichen nach wie vor spärlich gesät.

An dieser Art von Rangordnung hatte sich nichts geändert, und daran konnte sich auch nichts ändern.

Von Menschen bedient zu werden, war echter Luxus, und an den Gesichtern ihrer Mitpassagiere konnte Lhoreda ablesen, wie sehr sie diesen Vorzug zu genießen wussten.

»Darf ich dich zu deiner Kabine führen?«

Der junge Mann, der Lhoreda ansprach, lächelte freundlich, es wirkte ein wenig einstudiert. Er war einige Zentimeter größer als Lhoreda und trug die dunklen Haare in der gleichen Art und Weise wie alle anderen menschlichen Bediensteten an Bord, kurzgeschoren und als vorn offenen Tonsurkranz. Das sah nicht besonders gut aus, fand Lhoreda, aber es machte es leichter, Personal und Passagiere voneinander zu unterscheiden. Einen Augenblick lang fragte sich die junge Kriminalistin besorgt, ob man auch sie dazu zwingen würde, ihre Haare in dieser Form zu tragen, aber dann sagte sie sich, dass sie ihrer Aufgabe als Sicherheitsbeamtin dann wohl kaum gerecht werden konnte.

Auf dem kleinen Schild an der Brust des jungen Mannes konnte Lhoreda einen Namen ablesen: Thayer Brenstin.

Er führte sie gemächlichen Schrittes zu ihrer Kabine. Laufbänder und Schwebefelder transportierten die Gäste an Bord, man brauchte so kaum einen Schritt wirklich zu gehen. Das Gepäck wurde von einem Roboter geschleppt, der den Menschen nahezu geräuschlos folgte. Unterwegs konnte Lhoreda die Einrichtung der EOS bewundern – getäfelte Wände, kostbar aussehende Malereien, und die Decken über den Gängen strahlten in einem sanften opalisierenden Licht, das die Kontraste dämpfte.

»Wo hat man mich einquartiert?«, wollte Lhoreda wissen. »In der Nähe der Außenwandung?«

Thayer Brenstin zuckte mit keiner Miene.

»Wir können viele deiner Wünsche berücksichtigen«, antwortete er. »Würdest du eher eine Kabine mehr in der Mitte des Schiffes bevorzugen?«

Lhoredas Lächeln fiel ein wenig verkrampft aus. »Das würde ich«, sagte sie.

Thayer erlaubte sich ein freundliches Lächeln.

»Man muss sich erst daran gewöhnen, den Weltraum zum Greifen nahe neben sich zu haben«, gestand er ein. »Vielleicht hätte man eine Glassitsorte verwenden sollen, die weniger unsichtbar wirkt. Aber mit der Zeit lernt man es zu genießen, vor allem, wenn wir das Solsystem verlassen haben und uns in Regionen mit einer höheren Sternendichte bewegen. Der Anblick ist überwältigend.«

Vor dem Eingang von Lhoredas Kabine blieb er stehen. An der Wand war eine leuchtend markierte Fläche zu sehen. Lhoreda brauchte nur kurz ihre Handfläche auf dieses Feld zu pressen; in Sekundenbruchteilen wurden ihre Kenndaten vom Bordsyntron angemessen, und danach war das Impulsschloss auf diese Werte eingestellt. Nur Lhoreda selbst oder ein Beauftragter des Kommandanten konnte dann noch die Tür öffnen. Geräuschlos schwang sie vor Lhoreda auf.

»Kann ich noch etwas für dich tun? Ich bin für dieses Deck und diese Abteilung zuständig. Wenn du mich brauchst, genügt ein Befehl an den Syntron in deiner Kabine.«

»Ich glaube, ich werde mich schon zurechtfinden«, antwortete Lhoreda. »Danke.«

Thayer Brenstin entfernte sich, während der Robot Lhoredas Gepäck in die Kabine schaffte. Er stellte die Koffer mitten im Raum ab, glitt dann in einen Winkel des Raumes und erstarrte dort, wartete auf weitere Anweisungen.

Lhoreda sah sich in ihrer Unterkunft um.

Ihre Kabine bestand aus vier Räumen unterschiedlicher Größe. Es gab einen Aufenthaltsraum mit einem Tisch, einer Sitzgruppe und einem Anschluss an das bordeigene Trivideosystem. Die Beleuchtung war indirekt und anheimelnd. Im Nachbarraum stand ein breites Bett; an dieses Zimmer schloss sich ein geräumiger Schrank an, in dem Lhoreda ihre Habseligkeiten unterbringen konnte. Der kleinste Raum enthielt eine moderne Hygienezelle.

Alles in allem standen Lhoreda rund fünfzig Quadratmeter zur Verfügung – und sie besaß vermutlich noch eine der kleineren Unterkünfte an Bord.

Jeder Raum verfügte über diskret angebrachte Syntronanschlüsse, die auch abgeschaltet werden konnten, falls es dem Bewohner der Kabine unsympathisch sein sollte, fortwährend vom Syntronsystem der EOS überwacht zu werden.

Lhoreda verzichtete darauf, die Technik zu desaktivieren; als Sicherheitsexpertin wusste sie, dass eine Dauerüberwachung durch die syntrongesteuerten Servos diskreter war, als es ein Mensch jemals sein konnte. Informationen über das, was sie in ihrer Kabine tat oder ließ, würden vom Syntron nur im Fall einer klar definierten oder erkennbaren Notlage weitergegeben werden. Sie konnte in dem Raum nach Herzenslust randalieren, Besucher empfangen oder sich, falls gewünscht, bis zur Besinnungslosigkeit volllaufen lassen – den Syntron interessierte all das nicht.

Die nächste Stunde verbrachte Lhoreda damit, ihr Gepäck auszupacken und ihre Habe in dem großen Schrank zu verstauen. Zur Einrichtung dieses Raumes gehörte eine Kleidermaschine: Anhand eines sehr umfangreichen Bildschirmkataloges konnte sich Lhoreda Kleidungsstücke ihrer Wahl aussuchen, die dann nach ihren Maßen angefertigt und binnen einer Stunde geliefert wurden. Dabei war der Syntron taktvoll genug, die Benutzer des Systems diskret darauf hinzuweisen, wie viele andere Passagiere sich bereits für dieses oder jenes Modell entschieden hatten – unliebsame modische Kollisionen im Speisesaal wurden dadurch vermieden.

Eine der Wände im Aufenthaltsraum diente als Projektionsfläche für das Trivideosystem. Lhoreda konnte sich Bilder von der Umgebung liefern lassen, Aufnahmen aus dem Inneren des Schiffes, Lagepläne, Risszeichnungen der EOS, und über eine ständig geschaltete Leitung zu NATHAN hatte der Benutzer im Solsystem jederzeit Zugriff auf alle offen verfügbaren Daten des Großsyntrons auf dem Erdmond.

Lhoreda benutzte das System, um sich über die EOS und ihre Passagiere zu informieren.

An Bord gab es etwa fünftausend bewegliche Roboter der unterschiedlichsten Bauarten; alle waren darauf programmiert, die Wünsche der Passagiere so schnell und perfekt wie möglich zu erfüllen. Ergänzt wurde der Service durch rund eintausend menschliche Bedienstete und eine technische Besatzung von genau 348 Frauen und Männern. Wenn alle Kabinen belegt waren, konnten an Bord 1800 Passagiere eine Reise mit allem Komfort genießen, den das Jahr 1199 NGZ zu bieten imstande war.

Eine sanfte Syntronstimme gab bekannt, dass der Start der EOS in wenigen Minuten erfolgen würde. Lhoreda schaltete den Bildschirm auf Außenbeobachtung.

Das Abbild der sonnenbeschienenen Erde nahm die gesamte Fläche der Wand ein – es war ein Anblick, der auch raumerfahrenen Menschen immer wieder nahe ging. Diese blauweiß marmorierte Kugel war die Heimat der Menschheit, und ein bisschen hatte Lhoreda schon jetzt Heimweh.

Der Start selbst vollzog sich fast unmerklich: Hätte sich die Erdkugel nicht schnell auf dem Bildschirm verkleinert, hätte Lhoreda vom Abflug der EOS nicht das Geringste mitbekommen. Die Beschleunigung und der damit verbundene Andruck wurden automatisch ausgeglichen, eine spezielle Geräuschdämmung sorgte dafür, dass von der Arbeit der Triebwerke nichts zu hören war.

Nach ein paar Minuten schaltete Lhoreda die Projektion ab und verließ die Kabine. Sie hatte vor, sich beim Kommandanten der EOS zu melden und ihren Dienst anzutreten.

Die Zentrale der EOS lag im Mittelteil; ein kleiner Robot übernahm es, Lhoreda dorthin zu führen.

In der halbkugelförmigen Halle mit ihren großen Panoramaschirmen ging es ruhig zu; die Mitglieder der Besatzung überwachten die Instrumente, mehr hatten sie nicht zu tun.

Der Kommandant hatte seine Kabine neben der eigentlichen Zentrale. Lhoreda blieb vor der Tür stehen und betätigte den Summer. Einen Augenblick später glitt die Tür auf. Lhoreda trat ein, die Tür schloss sich.

Gharun Ferdinho hieß der Kommandant, es war ein hünenhaft gewachsener Schwarzer, der Lhoreda ein wenig irritiert betrachtete.

»Was kann ich für dich tun?«, fragte er höflich, eher ein wenig reserviert. Wahrscheinlich hielt er Lhoreda für einen Passagier, der sich neugierig an Bord umsah und seine Nase überall hineinsteckte.

Gharun Ferdinho war einen Kopf größer als Lhoreda, mit beachtlichen Muskelpaketen ausgestattet, allerdings auch mit einem eher gemütlich wirkenden Bauchansatz. Lhoreda ahnte allerdings, dass man sich auf diese Gemütlichkeit im Ernstfall nicht verlassen konnte.

»Ich bin Lhoreda Machecoul«, stellte sich die junge Frau vor. Die Miene des Kommandanten hellte sich auf.

»Nimm Platz«, bat er. »Du bist also gewissermaßen unsere Bordpolizistin?«

Lhoreda erlaubte sich ein Lächeln.

»Ich hoffe, dass ich nach Möglichkeit der einzige Faulenzer unter der Besatzung sein werde«, antwortete sie. Gharun Ferdinho grinste.

»Ausnahmsweise habe ich gegen einen solchen Müßiggang nichts einzuwenden«, sagte er. Lhoreda rätselte, ob der Mann seine Glatze etwa mit einem Poliermittel bearbeitete, um diesen seidigen Glanz zu erzielen. »Obwohl ich nicht damit rechne. Ein paar schwarze Schafe sind immer dabei. Aber nie große Bösewichter. Du hast eine Waffe?«

»In meiner Kabine«, antwortete Lhoreda und setzte sich. »Und da wird sie hoffentlich die ganze Reise bleiben.«

»Sehr gut«, sagte Ferdinho und nickte. Der Türsummer war zu hören. »Öffnen!«

Als das Schott aufglitt – in diesem Teil der EOS ging es nicht aufwendig, sondern sehr praktisch und nüchtern zu –, erschien eine Frau auf der Schwelle.

»Edina, was gibt es?«

Die Frau mochte knapp sechzig sein, sie war klein, hager von Statur und machte einen energischen Eindruck. Und sie kam sofort zur Sache.

»Nur eine Kleinigkeit«, meldete sie. »Ein Mann der Besatzung beschwert sich, dass er kein Essen bekommen hat.«

Ferdinho runzelte die Stirn.

»Und das ist so wichtig, dass du mich damit behelligst?«

»Sicher, Kommandant. Dieser Mann, er heißt Fleran Dobrovi, hat sechs Stunden vor dem Start das Schiff verlassen. Während seiner Abwesenheit wurde das Essen an die Besatzung ausgegeben. Da Dobrovi nicht an Bord war, wurde für ihn auch keine Portion zubereitet. Kurz vor dem Start ist er an Bord zurückgekehrt, das geht aus den Unterlagen der Personenkontrolle eindeutig hervor.«

»Und?«

»Dobrovi behauptet aber, er habe das Schiff nie verlassen. Er habe geschlafen und später essen wollen. Das machen einige Leute so, es macht auch keine Probleme, die Portionen werden ja kurz vor der Ausgabe erst endgültig zubereitet.«

Ferdinho kniff die Augen zusammen. »Du glaubst dem Mann?«

Edina Ornal nickte. »Ich kenne Dobrovi«, erwiderte sie. »Er ist zuverlässig, und es gäbe ja auch keinen Grund für ihn, zu lügen oder eine große Geschichte zu machen.«

Lhoreda mischte sich ungefragt ein. Ihr kriminalistischer Instinkt war geweckt worden.

»Das eigentliche Problem ist nicht das Essen«, warf sie ein. »Es geht vielmehr darum, dass eine Person von Bord gegangen und zurückgekehrt ist, die sich als Fleran Dobrovi ausgegeben hat – richtig?«

Edina blickte Lhoreda kurz an, dann wanderte ihr Blick zum Kommandanten.

»Lhoreda Machecoul, sie ist unser Sicherheitsoffizier«, stellte sie Ferdinho knapp vor. Edinas Miene wurde deswegen kein bisschen freundlicher.

»Genau so ist es«, bestätigte sie zögernd. »Der Bordsyntron sagt, dass Dobrovi das Schiff verlassen hat und sich wieder zurückgemeldet hat. Der Syntron kontrolliert solche Abwesenheiten, er kann nicht lügen. Und Fleran Dobrovi lügt ebenfalls nicht, da bin ich mir sicher.«

»Dann müsste eine Person mehr an Bord sein als nach den Unterlagen«, rechnete Lhoreda Machecoul aus. »Lässt sich das kontrollieren?«

Der Kommandant schüttelte den Kopf.

»Theoretisch schon«, antwortete er. »Aber dann müssten wir die Syntrons anweisen, sämtliche Passagiere und Besatzungsmitglieder zu überwachen. Und das ist zum einen reichlich übertrieben, zum anderen unmoralisch und obendrein sogar gesetzlich verboten. Wir werden wohl mit diesem kleinen Mysterium leben müssen. So wichtig ist die Sache doch wohl nicht, Edina?«

Die Frau zeigte eine abweisende Miene.

»Ich habe nur meine Pflicht getan«, sagte sie und verließ abrupt den Raum.

»Sie ist mitunter ein bisschen schroff, aber sie versteht ihre Arbeit«, versuchte Gharun Ferdinho zu erklären. »Willst du der Sache nachgehen?«

»So lange ich nichts Bedeutenderes zu erledigen habe«, antwortete Lhoreda zögernd, »kann ich mich darum kümmern. Ist die Sache wichtig?«

Gharun Ferdinho zögerte.

»Ich bin bereit, Edina zu glauben«, sagte er. »Obwohl es die wahrscheinlichste Lösung ist, dass dieser Mann sich geirrt hat. Aber wenn nicht – dann haben wir in der Tat ein gewisses Problem. Die Kontrolle der Personen, die an oder von Bord gehen, ist syntrongesteuert und damit angeblich perfekt.«

Lhoreda lächelte sarkastisch. »Perfekt ist eine Bezeichnung, die ich noch nie wirklich geglaubt habe. Jede Technik kann versagen.«

Gharun Ferdinho erwiderte das Lächeln.

»Hoffen wir, dass deine These nicht ausgerechnet während dieser Reise bestätigt wird«, sagte er. Der Kommandant zögerte einen Augenblick lang. »Würde es dir viel ausmachen, während der Reise als meine ... hmm, nun ja, als meine Freundin zu gelten?«

Dieses Ansinnen kam für Lhoreda ziemlich überraschend.

»Wie darf ich das verstehen – gelten?«

Gharun Ferdinhos Lächeln wurde ein wenig grimmig.

»Ich habe einen langjährigen Ehevertrag mit einer Frau, die ich wirklich liebe«, antwortete er vorsichtig. »Aber das hält leider gewisse weibliche Passagiere nicht davon ab, dem Kommandanten nachzustellen. Eine recht lästige Angelegenheit, aber offenbar unvermeidlich. Du könntest dieses Problem für mich lösen, auf eine für mich recht schmeichelhafte und überzeugende Art und Weise. Und als meine Freundin hättest du einen überzeugenden Zugang zu allen Räumen an Bord. Das wiederum könnte deine Arbeit erleichtern, ebenso deine Tarnung.«

Lhoreda lächelte zurückhaltend.

»Unter diesen Gesichtspunkten betrachte ich deine Bitte als Kompliment.«

Gharun Ferdinho neigte leise den Kopf.

»So war es auch gemeint«, sagte er. »Kann ich noch etwas für dich tun?«

»Im Augenblick nicht. Ach ja – wohin geht diese Reise eigentlich?«

»Unser erster Anlaufpunkt ist Bristar im Zolder-System. Schwimmst du gerne?«

»Mitunter.«

»Dann wird dir dieser Planet gefallen – seine Oberfläche besteht fast nur aus Wasser. Und was es darunter zu sehen gibt – nun, lass dich überraschen.«

Lhoreda Machecoul verabschiedete sich, sie war ein wenig nachdenklich. Ganz so einfach, wie sie es sich vorgestellt hatte, war dieser Auftrag offenbar doch nicht. Das Leben an Bord eines Traumschiffs der Sterne – so die etwas hochtrabende Bezeichnung in der Werbung – hatte anscheinend seine eigenen Gesetze, die erst erlernt werden wollten.

3.

 

Mit einer schnellen Handbewegung stellte Lhoreda die Prallfelder ihres Sessels ein wenig strammer ein und lehnte sich sacht zurück.

Über ihr, in der Kuppel am oberen Ende der EOS, glänzte der Sternenhimmel. Das Schiff trieb durch das Asteroidenfeld von Orgals Stern, mit niedriger Fahrt, um den Passagieren reichlich Gelegenheit zu geben, den Anblick zu bestaunen, der sich ihnen bot.

Die Asteroiden waren die Trümmer eines Planeten, der vor Jahrmillionen einmal zerborsten war und der zuvor reiche Vorkommen an hochwertigen Schwingquarzen gehabt hatte. Für eine großindustrielle Ausbeutung dieses Vorkommens waren die Bedingungen nicht gut genug; stattdessen versuchte sich in dem Schwarm von Himmelstrümmern eine Gruppe mutiger Prospektoren daran, die Quarze privat abzubauen.

Riesige Scheinwerfer strahlten in das Trümmerfeld und rissen die Gesteinsbrocken und die darauf herumkrabbelnden Gestalten aus dem ewigen Schwarz des Weltraums. Menschen und andere Galaktiker waren zu sehen, die in SERUNS zwischen den Brocken arbeiteten, und jeder an Bord der EOS wusste: Trotz aller modernen Technik war diese Arbeit noch immer anstrengend und zudem lebensgefährlich. Ein Fehler, eine Unvorsichtigkeit, und einer der Prospektoren konnte in den Raum davongetragen werden. Dazu kam das Risiko, dass in diesem etwas abgelegenen Teil der Milchstraße die Gesetze des Galaktikums nur schwer durchzusetzen waren – und das bei einer Schar von Frauen und Männern, die ohnehin nicht in dem Ruf standen, sich sonderlich um Paragraphen zu scheren.

»Der größte dieser Brocken wird Palatin genannt«, erläuterte Kommandant Ferdinho in leisem Plauderton; die Syntrons nahmen seine Worte auf und trugen sie in angemessener Lautstärke an jeden Tisch in dem großen Saal. »Dort befindet sich eine kleine Stadt, passenderweise Last Chance genannt, sie wurde in das Innere des Asteroiden hineingegraben.«

»Bist du schon einmal dort gewesen?«, erkundigte sich eine Frau mittleren Alters, die gelegentlich scheele Blicke auf Lhoreda warf. Offenbar missfiel der Trägerin von schätzungsweise achttausend Karat Diamantschmuck, dass Lhoreda den Platz unmittelbar neben dem Kommandanten zugewiesen bekommen hatte – und das trotz des fürstlichen Trinkgeldes, das Hada Giffon dem zuständigen Steward hatte zukommen lassen!

»Nur einmal«, antwortete Gharun Ferdinho. »Für zwei Tage, und das hat mir gereicht. Die Sitten und die Fäuste in Last Chance sind sowohl locker als auch gefährlich. Es ist besser, sich das ganze Treiben von hier aus anzusehen.«

Wenn man alle Teile dieser Szene zusammenfasste, hatte sie etwas Skurriles an sich.