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Pete Hackett

FBI Special Agent Owen Burke Band 46/47: Der Zweiteiler

Cassiopeiapress Krimi





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

FBI Special Agent Owen Burke Band 46 und 47

Gottes Mühlen mahlen langsam … (Doppelband)

Krimi von Pete Hackett

 

Ein CassiopeiaPress E-Book

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© der Digitalausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

www.AlfredBekker.de

www.postmaster@alfredbekker.de

 

Der Umfang dieses Buches entspricht 83 Taschenbuchseiten.

 

 

 

1

Owen Burkes Telefon dudelte, er nahm den Hörer ab und hielt ihn an sein Ohr. „Burke, FBI New York.“

Jemand räusperte sich am anderen Ende der Strippe, dann erklang eine Stimme: „Mein Name ist Olson – Shaun Olson. Ich wende mich an Sie, weil ich der Meinung bin, bei Ihnen richtig zu sein …“

„Worum geht es denn?“, fragte Burke ziemlich desinteressiert, nachdem die Aussage des Anrufers nicht gerade spektakulär klang, und aktivierte den Lautsprecher, damit auch Ron Harris hören konnte, was der Mann am anderen Ende der Leitung zu sagen hatte.

Der Anrufer schien seine Worte erst in Gedanken zu formulieren, denn es verging eine ganze Zeit, bis er wieder seine Stimme erklingen ließ, doch dann stieß er hervor: „Ich bin in Lebensgefahr. Jemand will mich ermorden.“

Die Worte fielen wie Hammerschläge.

„Wie kommen Sie denn darauf. Hat sich der Mörder bei Ihnen angekündigt?“

Wahrscheinlich hatte Burkes Stimme eine Nuance zu spöttisch geklungen, denn der Mann sagte:

„Kein Grund zur Ironie, Special Agent, es ist nämlich verdammt ernst. Der Mann, der mich töten will, heißt Wayne Graham und wurde erst vor kurzem aus Attica entlassen. Er hat dort einundzwanzig Jahre gesessen. Man hat ihn damals wegen Mordes zu einer lebenslangen Zuchthausstrafe verurteilt.“

„Und jetzt wurde er begnadigt?“

„Ja.“

„Und warum will er Sie umbringen?“

„Ich habe damals im Prozess gegen ihn ausgesagt. Er – er hat geschworen, sich zu rächen.“

„Und nun fürchten Sie, dass er seinen Racheschwur in die Tat umsetzt“, sagte Burke schon ein wenig genervt. Es gab immer wieder Zeitgenossen, die unter Paranoia litten. Er zählte den Anrufer auch dazu. „Gibt es einen konkreten Grund für Ihre Befürchtung? Hat er Sie angerufen und Ihnen gedroht?“

Der Anrufer lachte klirrend. „Er hat bereits zwei Zeugen von damals auf dem Gewissen. Erst hat er Ernest Long und dessen Ehefrau ermordet, dann Leroy Vincent.“

Jetzt war Owen Burke ziemlich von den Socken. Das war eine Eröffnung, die er erst einmal verarbeiten musste. „Er hat bereits zwei Zeugen von damals ermordet?“, stieß er fassungslos, geradezu ungläubig hervor und spürte, wie sich in seinem Hals ein Kloß bildete, den er nicht hinunterzuwürgen vermochte.

„Ja. Und heute Morgen erhielt ich einen Anruf. Als ich mich meldete, sagte der Anrufer nur einen einzigen Satz. Seinen Namen nannte er hingegen nicht, aber ich weiß dass es Graham war, der angerufen hat. Und nun fürchte ich, dass er auftaucht, um mich ebenfalls zu ermorden.“

„Wie lautete der Satz, den er sagte?“, fragte Burke.

„Gottes Mühlen mahlen langsam aber stetig und trefflich fein.“

„Das ist eine Redensart“, knurrte Burke. „Und Morddrohungen werden in New York wahrscheinlich tausend Mal jeden Tag ausgestoßen.“

„Grahams Drohung ist nicht nur so daher gesagt!“, blaffte Shaun Olson. Seine Stimme verriet Ungeduld.

„Haben Sie diesem Wayne Graham irgendetwas angetan, weswegen Sie ein schlechtes Gewissen haben müssen?“

„Nein. Aber er ist der Ansicht, dass wir ihm, als wir vor Gericht die Wahrheit sagten, schwer geschadet – dass wir sein Leben ruiniert haben. Er ist irrsinnig vor Hass.“

„Wie sagten Sie, waren die Namen der Leute, die er bereits ermordet haben soll?“, fragte Burke.

„Ernest Long und Leroy Vincent. Long wohnte in Staten Island. Vincent in Philadelphia. Sie müssen mir helfen, Agent. Ich bitte Sie. Graham will auch mich und Andrew Wardlaw umbringen. Er ist übergeschnappt und folgt nur noch den niedrigsten Trieben.“

„Wo wohnen Sie?“

„In Midtown, 55th Street, Nummer 1435, 3. Etage, Apartment 304. Kommen Sie schnell, Agent. Graham ist unberechenbar und kann jeden Moment auftauchen. Dass er ernst macht, hat er auf blutige Art und Weise bewiesen.“

„Wir kommen, Olson. In einer halben Stunde sind wir bei Ihnen.“

„Ich warte auf Sie. Vielen Dank.“

Burke legte auf und schaute Ron Harris an. „Was hältst du davon?“

„Von dem Mord in Staten Island habe ich in den Nachrichten gehört“, sagte Burkes Freund und Partner und erhob sich. „Ja, da war die Rede von diesem Wayne Graham. Man verdächtigt ihn der Tat. Er wurde erst vor zwei Wochen aus dem Gefängnis entlassen.“

Nachdem Ron Harris dies zum Ausdruck gebracht hatte, nahm Special Agent Owen Burke den Anruf von eben nicht mehr auf die leichte Schulter, stemmte sich ebenfalls in die Höhe, griff nach seiner Jacke, die über der Stuhllehne hing, und schlüpfte hinein. „Ich glaube, wir sollten uns beeilen“, sagte er.

Auch Ron Harris zog seine Jacke an, dann verließen die Agents ihr gemeinsames Büro im Federal Building, fuhren mit dem Aufzug in die Tiefgarage, wo ihr Dienstfahrzeug, der dunkelblaue Dodge Avenger, abgestellt war. Ron Harris klemmte sich hinter das Steuer, Owen Burke nahm auf dem Beifahrersitz Platz. Wenig später waren sie auf dem Weg nach Norden. Es dauerte eine gute halbe Stunde, dann parkte Ron Harris den Dodge vor dem Gebäude mit der Nummer 1435.

Es handelte sich um ein Wohn- und Geschäftshaus, dessen Frontseite im Erdgeschoss aus Glas war. Eine breite Treppe führte hinauf zur Eingangstür. Es war ein ziemlich modernes Gebäude, und Owen Burke sagte sich, dass Shaun Olson kein armer Mann sein konnte, wenn er sich in dieser noblen Gegend eine Wohnung leistete.

Die Agents betraten das Gebäude durch die Drehtür. Es gab einen Portier, der hinter der Rezeption saß und in einer Zeitschrift las. Als die Agents in die Eingangshalle traten, hob er den Kopf. „Zu wem möchten Sie denn?“

„Zu Mister Olson in der dritten Etage.“

„Was ist denn los heute? Soviel Besuch kurz hintereinander hat Olson in den vergangenen fünf Jahren nicht erhalten.“

Owen Burke trafen diese Worte wie ein Stromstoß. „Wie meinen Sie das?“, entfuhr es ihm aufgeregt. „Wollte vor uns schon jemand zu Olson?“

„Ja. Ein Mann. Er war ausgesprochen freundlich …“

Die beiden Special Agents stürmten schon los. Sie nahmen nicht den Aufzug, sondern die Treppe. Immer drei Stufen auf einmal nehmend hetzten sie nach oben und kamen ziemlich außer Atem in der 3. Etage an. Im nächsten Augenblick standen sie vor dem Apartment mit der Nummer 304.

Owen Burke drückte sein rechtes Ohr gegen die Tür. In der Wohnung war es ruhig. Ron Harris legte seinen Daumen auf den Klingelknopf. Durch die geschlossene Tür war das Läuten der Glocke deutlich zu hören.

Drin erklangen Schritte und Owen Burke atmete auf. Ein Schlüssel wurde gedreht, eine Sicherungskette rasselte, und schließlich schwang die Tür auf. „Mister Olson?“ Fragend fixierte Owen Burke den Mann, der vor ihm stand. Er trug einen etwas verwilderten Bart, der fast den gesamten unteren Teil seines Gesichts verbarg, sodass sein Alter schlecht zu schätzen war. Er konnte Mitte dreißig, aber auch Mitte vierzig oder fünfzig sein.

„Ja, kommen Sie herein. Sie sind sicherlich die beiden Gentlemen vom FBI.“

„So ist es. Ich bin Special Agent Burke.“ Mit dem Kinn wies Owen Burke auf seinen Kollegen und Teampartner. „Das ist Special Agent Harris. Sie haben mich angerufen …“

Olson ließ die Agents an sich vorbei in das Apartment und bot ihnen im Wohnzimmer Sitzplätze auf der schweren Polstergarnitur aus braunem Leder an, die um einen niedrigen Tisch gruppiert war. „Möchten Sie etwas trinken?“

„Nein, danke“, lehnte Owen Burke ab und ließ sich nieder.

Auch Ron Harris setzte sich.

„Dann schießen Sie mal los, Mister Olson“, forderte Burke den Wohnungsinhaber auf, zu sprechen. „Die Rede war von Mord und Totschlag. Über den Mord in Staten Island wurde in den Nachrichten berichtet.“

„Es ging damals um den Mord an einem 18-Jährigen Dealer“, sagte Olson und setzte sich in einen Sessel. „Wir waren zu dieser Zeit selbst alle um die zwanzig Jahre alt, feierten diverse Partys, betranken uns regelmäßig und nahmen auch Drogen. Kurz, wir ließen nichts anbrennen, wie man so schön sagt.“

„Sex, Drugs und Rock’n Roll, wie?“, stieß Ron Harris hervor.

Shaun Olson nickte. „Wir waren jung und leichtsinnig …“

„Wegen des Mordes an dem Dealer wurde Graham zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt“, konstatierte Owen Burke, „und jetzt, nach einundzwanzig Jahren Haft wurde er begnadigt.“

„Ja. Und er will sich an allen rächen, die damals gegen ihn ausgesagt haben.“

„Wer ist das?“, fragte Ron Harris.

„Ernest Long und Leroy Vincent. An den beiden hat sich Graham schon gerächt. Außerdem war außer mir noch Andrew Wardlaw dabei. Wir vier haben Graham vor Gericht schwer belastet. O mein Gott! Er hat sich zu einer reißenden Bestie entwickelt. Seinem Treiben muss Einhalt geboten werden.“

„Der Portier unten sagte uns, dass Sie Besuch von einem Mann erhalten haben, Olson. Wir befürchteten schon …“

„Das war ein Versicherungsvertreter. Ich habe ihn weggeschickt.“ Olson holte Luft. „Ich denke, dass als nächster ich auf der Abschussliste Grahams stehe. Darum habe ich Sie angerufen. Sie müssen mich beschützen, G-men. Nachdem Graham in zwei verschiedenen Staaten gemordet hat, ist das FBI dafür zuständig.“

„Was sollen wir Ihrer Meinung nach tun?“, fragte Burke. „Sollen wir hier in Ihrer Wohnung darauf warten, dass Graham auftaucht?“

„Warum nicht?“

„Nun, wir können nicht tagelang in Ihrer Wohnung herumsitzen“, erklärte Ron Harris. „Allerdings können wir Sie in Schutzhaft nehmen, bis Graham geschnappt wird. Das bedarf allerdings einer richterlichen Anordnung. Mehr, fürchte ich, können wir im Moment nicht für Sie tun, Mister Olson.“

„Schutzhaft!“, tönte Olson geradezu entsetzt und massierte sich mit Daumen und Zeigefinger den Nasenrücken. In seinen Augen war ein unruhiges Flackern, seine Mundwinkel zuckten nerös. „Auf keinen Fall. Aber ich sehe es schon: Sie können mir auch nicht helfen. Wahrscheinlich muss ich erst mit einer Kugel im Kopf aufgefunden werden, damit ihr aktiv werdet. Okay, okay, ich weiß, was ich tue. Ich begebe mich zu meinem Bruder nach Houston. Dort bin ich sicher.“

Owen Burke schaute skeptisch drein.

„Sind Sie anderer Meinung?“, fragte Olson, dem die Zweifel des Agents nicht verborgen blieben.

„Er hat einen von Ihnen in Philadelphia aufgespürt“, gab Burke zu bedenken.

„Stimmt! Leroy Vincent ist vor fünfzehn Jahren nach Philly umgezogen.“

„Und er hat seine neue Anschrift ganz sicher nicht Wayne Graham mitgeteilt“, bemerkte Ron Harris.

Betroffenheit drückte sich in jedem Zug von Shaun Olsons Gesicht aus. „Dann tun Sie Ihre Pflicht und schnappen Sie den elenden Mörder“, blaffte er.

„Ich verspreche Ihnen, unser möglichstes tun“, versicherte Burke und setzte sogleich hinzu: „Wir werden einige Zeit das Gebäude hier observieren, um notfalls schnell eingreifen zu können. Sie sollten sich nicht aus Ihrer Wohnung hinaus bewegen, Mister Olson.“

„Ich bin ja nicht lebensmüde.“

Die Agents verabschiedeten sich.