Buchinfo

Doppelter Lesespaß für Pferdefans:

Schicksalsreiter:

Im Königreich Gelen herrscht Aufruhr. Der magische Gürtel, der seinen Träger unbesiegbar macht, ist verschwunden. Und mit ihm der Königssohn Elias und Clonie aus dem Reitervolk. Eine Verschwörung scheint im Gange zu sein. Doch wer zieht die Fäden im Hintergrund? Das Schicksal eines ganzen Volkes liegt nun in den Händen von Clonie und Elias. Sie müssen die Wahrheit herausfinden und sich dafür auf eine lange Reise voller Gefahren begeben ...

Der dunkle Geist des Palio:

Marias Herz schlägt für Angelo, den jungen Jockey aus dem Nachbarviertel. Doch beim jährlich ausgetragenen Palio, Sienas gefährliches Pferderennen, sind selbst Liebende erbitterte Gegner, die allein für den Sieg ihres Viertels antreten. Schon einmal hat sich eine junge Frau aus Marias Familie dagegen gewehrt – und mit dem Leben bezahlt. Sind Maria und Angelo stark genug, für ihre Liebe und gegen die Dämonen der Vergangenheit zu kämpfen?

2 außergewöhnliche Pferderomane

Autorenvita

author

© Axel Schulten

Astrid Frank wurde 1966 in Düsseldorf als Tochter des Schriftstellers Karlhans Frank geboren, wodurch sie sich schon in frühester Kindheit mit dem Verlagswesen konfrontiert sah. Trotzdem führte sie ihr Weg bereits während ihres Studiums der Germanistik, Biologie und Pädagogik in die gleiche Richtung: Sie war als Lektorin und Rezensentin in mehreren und für mehrere deutsche Verlage tätig und machte außerdem eine Ausbildung zur »Zoobegleiterin des Kölner Zoos«. Nach dem Studium arbeitete sie für ein halbes Jahr in einer Buchhandlung und beleuchtete das Medium Buch damit von einer weiteren Seite. Seit 1996 ist sie freie Lektorin und Übersetzerin, seit 1998 schreibt sie Geschichten. Astrid Frank lebt mit Mann, zwei Söhnen und Hund Aimee in Köln.

www.astridfrank.de

Titelbild

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Für meine Söhne

PERSONEN

TÖCHTER DES ARES

Antheia, Königin des Frauenvolks

Calistus, Clonies Zwillingsbruder

Clonie, die Tochter Antheias

Evandre, die zweite Königin des Frauenvolkes und Antheias Vertraute

Iolanthe, Clonies Amme

DAS VOLK GELENS

Dareios, Gefolgsmann von Narkissos

Derimacheia, Königin des Landes Gelen

Elias, Sohn Derimacheias

Eurystheus, Elias’ Vater

Narkissos, Stiefbruder Derimacheias

Pyrros, Gefolgsmann von Narkissos

Sappheire, Tochter eines Generals

Silenus, Gefolgsmann von Narkissos

DAS WALDVOLK

Aigidios, Häuptling des Waldvolks

Nikodemus, Vertreter Aigidios’

Theodoros, Bote des Waldvolks

DIE HUNDSKÖPFIGEN

Gavril, Hundsköpfiger, Freund Narkissos’

Thimotheus, Herrscher der Hundsköpfigen

WICHTIGE PERSONEN ANDERER VÖLKER

Alexios, Bote der Ixavier

Damasos, König Gargariens

Hagne, Medizinfrau des Wüstenvolkes

Medeia, das Orakel, Herrscherin der Bergseebewohner

Und kamen mit ihr derer zwölf,

Eine jede eine Prinzessin,

Begierig des Krieges und grimmiger Schlacht.

Weit berühmt eine jede,

Doch dienten sie ihr.

Penthesileia überstrahlte sie alle,

Wie zwischen Sternen am weiten Himmel

All überstrahlend thronet der Mond […]

Zur rechten, linken, von allen Seiten eilend

Drängten sich die Trojaner voller Staunen,

Als sie sahen des niemüden Krieges Kind,

Die gewappnete Jungfrau,

Vergleichbar den heiligen Göttern,

Denn ihr im Antlitz leuchtete Schönheit,

Herrlich und schrecklich.

Bezaubernd ihr Lächeln:

Unter den Brauen ihre liebreizenden Augen

Sternengleich strahlten.

Und mit dem Purpur der Keuschheit

Glänzten ihre Wangen

Mischte sich doch da überirdische Grazie

mit dem Wagmut des Kampfes.

Quintus Smyrnaeus

(griechischer epischer Dichter, um 375 v. Chr.)

1

Und vorwärts trieb sie ihr Kampfgeist

Zu reinigen von des Mordes finstrer Befleckung.

Ihre Seele mit dem Opfer zu beschwichtigen

Die Schrecklichen, die Erinnyen, die im Grimm

Über die erschlagene Schwester stracks sie heimsuchten Unsichtbar: denn stets um des Sünders Schritte sie schweben,

Nicht entrinnt man diesen Göttinnen.

Quintus Smyrnaeus

(griechischer epischer Dichter, um 375 v. Chr.)

Staub wirbelte auf, als Clonie ihre Stute Kore in den Burghof galoppieren ließ. Der Schimmel stand von einem Wimpernschlag zum nächsten still und doch war das Mädchen bereits geschmeidig wie ein Fisch, der durchs Wasser gleitet, von seinem Rücken herabgeglitten, und sprang mit beiden Füßen zugleich auf den Boden, bevor die Bewegung des Pferdes beendet war.

Unmerklich zog Elias, der die Ankunft der Königin und ihres Gefolges vom Turm aus beobachtete, die Augenbrauen hoch.

Einer der Stallburschen Derimacheias wollte nach Kores Zügel greifen, um das Pferd in die vorbereiteten Ställe zu führen, doch Clonie gebot ihm mit einer einzigen Handbewegung Einhalt. Sie wandte sich zu der Stute um und strich ihr begütigend über den langen Hals. Kore wackelte mit dem Kopf, als würde sie zum Einverständnis nicken, dann drehte sich Clonie um und eilte mit energischen Schritten auf das große zweiflügelige Tor in der Burgmauer zu.

Erst in diesem Augenblick erreichte der Rest der Reisenden ihr Ziel. In deutlich gemächlicherem Tempo als zuvor ihre Tochter ritt Königin Antheia auf ihrer Stute in den Burghof ein. Sie nickte dem Stallknecht, der sich ihres Pferdes annahm, freundlich zu und schritt, eine Delegation von sechs Frauen hinter sich, ebenfalls auf das Tor zu, vor dem Clonie bereits stand und wartete.

»Du musst lernen, dich mehr zu zügeln«, zischte Antheia ihrer Tochter zu, sobald sie neben ihr stand. »Nicht immer ist Schnelligkeit der richtige Weg. Manchmal ist auch das Gegenteil erstrebenswert.«

Clonie bekam keine Gelegenheit zu einer Erwiderung, denn nun wurde ihnen geöffnet und Antheia zwängte sich an ihr vorbei, um als Erste die große Halle zu betreten, bevor ihre Tochter eine weitere Gelegenheit zur Demonstration ihres Temperaments bekam.

Elias musterte das Mädchen, das mit hoch erhobenem Haupt an ihm vorbeischritt und ihn nicht einmal zur Kenntnis zu nehmen schien. Noch ein wenig atemlos vom weiten Weg den Turm herab stand er neben seiner Mutter, die es sich nicht hatte nehmen lassen, ihre Gäste selbst willkommen zu heißen, und Gleiches auch von ihrem Sohn erwartete.

»Antheia«, sagte Königin Derimacheia und breitete die Arme aus. »Ich bin froh, dass Ihr meiner Bitte gefolgt seid.«

»Aber natürlich, Derimacheia, ich fühle mich durch Euer Vertrauen, das Ihr mir mit der Einladung ausgesprochen habt, geehrt und will mich bemühen, ihm gerecht zu werden.«

Der Blick Derimacheias fiel auf Clonie, die einen Schritt hinter ihrer Mutter stand. »Clonie!«, rief sie. »Was für ein hübsches Mädchen du geworden bist!« Sie griff nach Clonies Händen und zog sie zu sich heran. »Das letzte Mal, als ich dich sah, warst du noch ein Kind mit vom Spielen schmutzigen Händen, und nun …« Sie unterbrach sich und sah zu ihrem Sohn herüber. »Erinnerst du dich an Elias?« Sie winkte den Jüngling, der sich bis jetzt im Hintergrund gehalten hatte, zu sich heran.

Mit leicht gesenktem Haupt trat Elias vor.

»Aber natürlich erinnere ich mich an ihn«, antwortete Clonie mit lauter Stimme. »Doch das letzte Mal, als ich ihn sah, waren seine Hände nicht weniger schmutzig als meine und er reichte mir gerade bis zur Nasenspitze.«

Derimacheia lachte laut auf und Elias spürte, wie er errötete.

»Nun«, sagte Antheia und ihre Stimme klang streng, »wirst du dich im Aufschauen üben müssen, wenn du ihn dir ansehen willst, meine Liebe.«

Derimacheia lachte noch einmal und nahm der Situation damit etwas von ihrer Schärfe. Dann wurde sie schlagartig ernst. »Damasos ist bereits eingetroffen«, sagte sie. »Er erwartet uns im großen Saal. Bitte folgt mir.« Sie raffte ihre Robe, wandte sich um und eilte voran.

Clonie folgte ihrer Mutter und den anderen Frauen mit etwas Abstand. Ihr Blick ruhte auf Elias’ Rücken, der wenige Meter vor ihr die große Halle mit dem Steinboden durchquerte. Die Schritte hallten von den hohen Wänden wider. Tatsächlich war Elias in den fünf Jahren, seit sie ihn zuletzt gesehen hatte, in die Höhe geschossen wie ein junger Baum und überragte sie nun um Haupteslänge. Bei ihrem letzten Besuch war sie neun gewesen und Calistus, ihr Zwillingsbruder, hatte sie noch begleitet. Die beiden Jungen, Calistus und Elias, hatten damals keine Möglichkeit ausgelassen, Clonie zu drangsalieren, und Calistus hatte noch lange Zeit Gelegenheit gehabt, seinen Übermut an diesem Tag zu bereuen.

Bei dem Gedanken an ihren Bruder mischte sich Wehmut in Clonies Gefühle. Vor mehr als zwei Jahren hatte sie Calistus zuletzt gesehen und sie erinnerte sich schweren Herzens an ihren Abschied.

Mittlerweile waren sie vor der Tür zum großen Saal angelangt, die von zwei bewaffneten Leibgarden bewacht wurde. Ohne besondere Aufforderung legten die Besucher ihre Waffen ab, wie es bei friedvollen Zusammentreffen Brauch war. Man signalisierte einander damit Vertrauen und freundschaftliche Absichten – auch wenn es, wie in diesem Fall, durchaus um ernste Auseinandersetzungen ging.

Auch Clonie entledigte sich wie die anderen ihres Bogens und zog ihren Dolch aus der Scheide, um ihn auf den massiven hölzernen Tisch zu legen.

Dann erst öffnete sich die große Tür und Clonie erblickte König Damasos, der mit seinen Begleitern bereits an der langen Tafel Platz genommen hatte und sich in diesem Augenblick erhob, um die Ankömmlinge zu empfangen.

»Antheia«, sagte er und ein Lächeln huschte über sein Gesicht, während er den Frauen entgegentrat. Er hielt einen Augenblick lang Antheias Hand fest und sah ihr in die Augen, dann wandte er sich zu Clonie um. »Clonie«, sprach er sie an und das Lächeln, das um seine Mundwinkel spielte, wurde intensiver. »Was für eine hübsche junge Frau du geworden bist.«

Clonie hielt dem Blick des Mannes stand. Vielleicht erwartete man von ihr, dass sie verschämt die Augen niederschlüge, doch nichts lag Clonie ferner.

»Und Euer Haar ist noch grauer geworden«, antwortete sie stattdessen.

Damasos runzelte die Stirn und räusperte sich.

»Darf ich Euch meinen Stiefbruder und Berater Narkissos vorstellen«, ließ sich nun Königin Derimacheia vernehmen und bereitete dem Geplänkel damit kurzerhand ein Ende. »Er wird mit seinen Männern Silenus und Pyrros an unserem Gespräch teilnehmen.« Die Vorgestellten deuteten eine kurze Verbeugung an.

Clonies Blick blieb unbeabsichtigt an einem der Männer hängen. Er hatte eine auffallend helle Haut, blondes Haar, fast weiß, und stechend blaue Augen. Sie konnte sich kaum von dem Anblick losreißen, bis seine Augen auf ihre trafen und sie eilig den Kopf abwendete.

»Also lasst uns beginnen«, sagte Narkissos kurz angebunden und wies auf die freien Stühle, die um den langen Tisch herumstanden.

Auch als alle seiner Aufforderung gefolgt waren und sich niedergelassen hatten, wirkte die Tafel immer noch leer. Weit mehr als doppelt so viele Menschen hätten an ihr Platz gefunden.

»Wir wollen über die Nutzungsrechte an den Weide- und Anbauflächen unseres Königreichs Gelen verhandeln«, begann Narkissos ohne Umschweife, »die seit Jahren vom Volk der Gargarier genutzt werden …«

»Wofür wir wie vereinbart zahlen und unsere Dienste unter die Interessen der Königin stellen«, fiel König Damasos Narkissos ins Wort. Seine Stimme klang ebenso scharf wie die des anderen.

Narkissos lächelte süffisant und rieb sich seinen Bart. »Nun, da hattet Ihr ja nicht viel zu tun«, bemerkte er. »Wir leben seit Jahrzehnten im Frieden mit den Nachbarvölkern.«

»Und so soll es auch bleiben«, ließ sich Königin Derimacheia vernehmen.

»Gewiss«, antwortete Narkissos unterwürfig. »Doch unser Volk ist seit dem Beginn der Vereinbarung gewachsen. Wir benötigen selbst mehr Weiden und Ackerflächen.«

»Der Lehensvertrag unterliegt keiner zeitlichen Beschränkung«, warf König Damasos ein.

»Die Bedingungen haben sich aber nun einmal geändert«, beharrte Narkissos, der sich binnen kürzester Zeit zum Wortführer erhoben hatte. »Gelen braucht seine Ländereien wieder selbst.«

»Und was soll ich Eurer Meinung nach meinen Bauern sagen, die seit dreißig Jahren auf diesem Land leben, dort ihre Häuser und Höfe gebaut, ihre Kinder großgezogen haben? Wo sollen sie hin?«

»Das ist Euer Problem, nicht das unsere«, antwortete Narkissos.

Damasos schnaubte.

Antheia räusperte sich. »Meine Freundin Derimacheia hat mich gebeten, als Unterhändlerin dieser Verhandlung beizuwohnen«, begann sie. »Ich sehe mit Bedauern einen Interessenkonflikt zwischen den Königreichen Gelen und Gargarien, die beide auch an mein Land grenzen und mit denen wir seit Jahrzehnten friedlich zusammenleben. Wie Derimacheia wünsche ich mir, dass es auch weiterhin so bleibt. Wenn Gelen nun sein Land von König Damasos zurückverlangt, obwohl der ursprüngliche Vertrag diese Option nicht vorsieht, so sollte Gargarien über eine Ausgleichsleistung nachdenken. Vielleicht kann Königin Derimacheia dabei helfen, die Bauern, die auf dem zu verhandelnden Land leben, umzusiedeln oder …«

»Das ist völlig ausgeschlossen«, fiel Narkissos Antheia ins Wort.

»Oder …«, setzte Antheia neu an und ignorierte Narkissos’ scharfen Ton, »… Gelen erklärt sich bereit, im Gegenzug von König Damasos ein anderes Landstück zu empfangen, das bewirtschaftet werden kann.«

»Das habe ich bereits vorgeschlagen.« König Damasos ergriff erneut das Wort. »Wir haben ein vergleichbar großes Stück Land, das wir Gelen als Ersatz für die Fläche anbieten können, die augenblicklich von über 70 Gargariern bewirtschaftet wird.«

»Und wir haben dieses Angebot bereits abgelehnt«, äußerte sich Narkissos, »da das dargebotene Land bei Weitem nicht so fruchtbar ist wie unseres.«

»Ja, aber wir haben es erst so fruchtbar gemacht!« König Damasos’ Stimme wurde lauter. »Wie soll ich 73 Bauern begreiflich machen, dass sie ihre Arbeit in den letzten Jahrzehnten für Euch geleistet haben und nun wieder von Neuem anfangen müssen? Und zwar ohne jegliche Unterstützung? Sollen sie zusehen, wie Gelener in ihre Häuser, die sie im Schweiße ihres Angesichtes selbst erbaut haben, einziehen und das von ihnen fruchtbar gemachte Land bewirtschaften, während sie selbst auf kargem Boden sitzen und im hohen Alter von 40 oder gar 50 Jahren und mehr noch einmal von vorne beginnen müssen? Das wird zu einem Aufstand führen, das müsst Ihr doch begreifen!«

»Wie ich bereits sagte«, warf Narkissos ein, »das ist nicht unser Problem, sondern Eures.«

Schweigen breitete sich aus, nachdem nun jeder seinen Standpunkt dargelegt hatte und nicht bereit war, von seiner Position abzuweichen.

Clonie rutschte auf ihrem Stuhl unruhig hin und her. Es fiel ihr schwer, so lange still zu sitzen, und sie konnte sich nur mühsam zurückhalten. Sie spürte eine tiefe Abneigung gegen Narkissos, der sich so unerbittlich zeigte und auf etwas beharrte, das er für sein Recht hielt. Konnte er sich nicht ausmalen, was es für die Bauern und ihre Familien bedeutete, wenn sie von einem Tag auf den anderen alles verlieren sollten, wofür sie ihr Lebtag hart gearbeitet hatten?

Antheia warf ihrer Tochter einen mahnenden Blick zu. Clonie sollte lernen sich zu beherrschen, damit sie eines Tages ihre Aufgaben als Königin mit Bedacht und Verantwortung wahrnehmen konnte. Doch im Augenblick schien die Geduld ihrer Tochter erschöpft.

»Vielleicht kann Elias Clonie herumführen und ihr die Stallungen zeigen?«, schlug Antheia vor, die befürchten musste, dass ihre Tochter einen diplomatischen Ausgang der Verhandlungen durch eine ihrer unbedachten Äußerungen deutlich erschweren würde. »Clonie hat ein besonderes Gespür für Pferde«, wandte sie sich an Elias. »Du würdest ihr sicher eine Freude bereiten, wenn du ihr eure edlen Tiere zeigtest.«

Clonie zwang sich zu einem Lächeln. Sie ahnte, was im Kopf ihrer Mutter vorging, und sie hätte lügen müssen, wenn sie behaupten wollte, die Ängste ihrer Mutter seien unbegründet. Sie wusste selbst, dass sie kurz davor war, ihre Meinung zu sagen. Und sie war dafür bekannt, dass sie dies stets auch freimütig tat.

»Aber sicher«, antwortete Elias höflich, der bis jetzt ruhig und besonnen neben Königin Derimacheia gesessen hatte und dem Gespräch aufmerksam gefolgt war. Der junge Mann erhob sich und sah Clonie auffordernd an.

Auch Clonie schob ihren Stuhl zurück und stand mit einem verbissenen Lächeln im Gesicht auf. »O, wie reizend«, sagte sie und ihre Stimme machte keinen Hehl daraus, dass sie eigentlich das genaue Gegenteil meinte.

Die Tür hatte sich hinter den beiden kaum geschlossen, als König Damasos erneut das Wort ergriff. Zwar konnte Clonie ihn nicht mehr deutlich verstehen, doch hörte sie, dass der Ton augenblicklich noch an Schärfe gewonnen hatte, während sie nach ihrem Dolch und Bogen griff, die von den Leibgarden bewacht worden waren, und Elias anschließend folgte.

»Wie geht es Calistus?«, erkundigte sich Elias, während er neben Clonie durch die große Empfangshalle schritt. Er hatte fast Mühe, mit ihr mitzuhalten, so als sei sie es, die ihn führte, und nicht andersherum.

»Das weiß ich nicht«, antwortete Clonie. »Ich habe ihn, seit er vor zwei Jahren zu unserem Vater zog, nicht mehr gesehen.«

»Ach ja«, sagte Elias. »Eure Männer müssen ja an ihrem zwölften Geburtstag das Volk der Frauen verlassen.« Er blieb stehen und musterte Clonie.

»Was ist?«, fragte Clonie ungehalten.

»Nichts«, versicherte Elias eilig und schlug schnell die Augen nieder. Er schämte sich zuzugeben, dass er Clonie ausgiebig betrachtet hatte, um herauszufinden, ob es stimmte, was man sich über die Töchter des Ares erzählte: dass sie sich noch im Kindesalter die rechte Brust entfernten, um im Kampf besser mit Pfeil und Bogen schießen zu können. Doch die Andeutung von Clonies mädchenhaften Brüsten unter ihrem Lederwams strafte dieses Märchen Lügen und ließ Elias’ Wangen dunkelrot werden.

»So hört ihr gar nichts mehr voneinander?«

Clonie schüttelte stumm den Kopf und konnte ihr Bedauern darüber nicht ganz verbergen. »Ich weiß ja noch nicht einmal, wo genau er ist«, erklärte sie.

Elias runzelte die Stirn. »Ich dachte, er sei bei eurem Vater?«

»Ja«, antwortete Clonie. »Aber wer ist mein Vater? Ich weiß doch nur, dass es ein Mann aus Gargarien ist. Mehr nicht.«

Elias starrte das Mädchen vor ihm mit offenem Mund an. Auch er wusste nichts über seinen Vater. So viel hatte er mit Clonie schon einmal gemeinsam. Aber bei ihm lag es daran, dass König Eurystheus gestorben war, als Elias noch in den Windeln lag. Alles, was er über seinen Vater wusste, hatte er aus den Erzählungen seiner Mutter erfahren. Und wollte er all dem Glauben schenken, so kam sein Vater unmittelbar nach Zeus.

»Dein Onkel Narkissos scheint sich seiner Sache ja sehr sicher zu sein«, bemerkte Clonie jetzt.

»Nun«, sagte Elias, froh über die Wandlung des Gespräches, die sich ihm bot, »meine Mutter braucht wirklich nicht zu fürchten, aus dieser oder einer anderen Auseinandersetzung als Verliererin hervorzugehen. Vermutlich zieht Narkissos daraus seine Gewissheit.«

»Und wieso braucht sie das nicht zu fürchten?«

»Sie ist doch im Besitz des Zaubergürtels, der sie jeden Zwist siegreich bestehen lässt.« Elias verkündete diesen Zusammenhang, als handele es sich dabei um etwas, das jeder wissen müsse.

Clonie sah ihr Gegenüber einen Moment lang sprachlos an, wobei sie feststellte, dass sie ihren Kopf tatsächlich weit in den Nacken legen musste, um Elias in die Augen zu schauen – dann brach sie mit einem Mal in schallendes Gelächter aus.

»Was ist daran so lustig?« Elias runzelte die Stirn. Er hatte nicht die Absicht gehabt, Clonie zu erheitern.

Clonie bemerkte Elias’ Verärgerung nicht. Oder sie war ihr gleichgültig. Tränen quollen aus ihren Augenwinkeln und sie hielt sich immer noch lachend die Hände vor die Leibesmitte. »Zaubergürtel«, wiederholte sie und schüttelte den Kopf. »Nun, wenn das alles ist, was sie zum Kämpfen braucht … ich verlasse mich lieber auf meine Waffen und mein Pferd.«

Elias’ Augen wurden schmal. »Es gibt wahrhaftig keinen Grund zu lachen, wenn man etwas nicht versteht«, antwortete er kühl.

Clonie bemühte sich ernst zu werden, doch immer wieder zuckten ihre Mundwinkel. »Es tut mir leid«, versicherte sie aufrichtig, »aber ich glaube tatsächlich nicht an derlei Dinge. Für mich gibt es nur, was ich mit meinen Augen sehen und mit meinen Händen berühren kann.«

»Dann solltest du den Zaubergürtel betrachten«, sagte Elias. »Komm mit, ich zeige ihn dir.«

Er wandte sich um und durchquerte die Halle mit ausladenden Schritten. Clonie folgte ihm und schüttelte dabei immer noch den Kopf wie über ein kleines Kind, das an die Geschichten der Großmutter glaubt.

Sie liefen an den Leibgarden vorbei, die nach wie vor die Tür zum großen Saal bewachten und ihnen aufmerksam hinterherschauten. Doch Elias eilte weiter und öffnete eine Tür, die in einen großen Raum führte, der von einem anheimelnden Kaminfeuer erwärmt wurde. Kunstvoll gestickte Teppiche schmückten die Wände, auf denen Kampfgetümmel und Jagdszenen zu Pferde abgebildet waren. Auf einem Regal standen große edle Vasen, einige Karaffen und Kerzenleuchter. Über dem Kamin hing das Porträt eines stattlich aussehenden Mannes.

»Mein Vater«, erklärte Elias. Er stellte sich auf den Kaminvorsprung, nahm das Gemälde von der Wand und setzte es vorsichtig auf dem Boden ab. Der goldene Rahmen, in den es gefasst war, war schwer und Elias stöhnte bei der Anstrengung.

Jetzt sah Clonie, dass sich hinter dem Gemälde eine kleine quadratische Tür in der Wand verbarg, die zuvor von dem Bild verdeckt worden war. Elias öffnete sie und sein Arm verschwand fast völlig in der Vertiefung. Als er die Hand wieder hervorzog, hielt er einen kostbar verzierten ledernen Gürtel mit aufwendig gearbeiteter Schnalle in der Hand. Triumphierend blickte er sich zu Clonie um und hielt ihr den Gürtel entgegen.

»Ein schönes Stück«, bestätigte Clonie und drehte und wendete den Gürtel in ihren Händen. Er war überraschend leicht, wenn man bedachte, dass die Schnalle augenscheinlich aus purem Gold bestand und mit zahlreichen Edelsteinen verziert war. »Aber das heißt noch lange nicht, dass der Gürtel auch mit Zauberkräften ausgestattet ist.«

Elias hüpfte vom Kaminvorsprung. »Ich kann es dir beweisen, wenn du dich traust«, behauptete er.

»Und wie willst du das schaffen?«

»Indem wir gegeneinander kämpfen.«

Clonies Augen begannen zu leuchten. Es gab nur eines, das sie noch lieber tat, als auf ihrer Stute Kore zu reiten: zu reiten und dabei zu kämpfen.

»Und worin willst du dich mit mir messen?«

Elias zuckte mit den Schultern. »Was immer du willst … Bogenschießen, Schwertkampf, Streitaxt, Reiten … Solange ich den Gürtel trage, werde ich als Sieger hervorgehen. Du wirst schon sehen!«

Clonie warf Elias den Gürtel zu, der ihn geschickt auffing.

»Worauf wartest du dann noch?«, sagte sie und drehte sich bereits um.

Elias grinste.

Das Ölbild seines Vaters stand noch immer gegen die Wand gelehnt auf dem Boden und der alte Mann schien seinem Sohn streng hinterherzublicken, während er den Raum verließ und Clonie folgte.

2

… sie bedienen sich aber auch des Bogens,

der Streitaxt und des Schildes

und machen sich aus den Fellen wilder Tiere

Helme, Mäntel und Gürtel 

Strabon (um 63 v. Chr.–23 n. Chr.)

Wir können den Festsaal im ersten Stock nutzen«, sagte Elias, nachdem er Clonie eingeholt hatte, die vorangestürmt war, ohne zu wissen, wohin es gehen sollte. »Dort haben wir genug Platz und sind ungestört.«

Wieder liefen sie an den Leibgarden vorbei in die große Halle und die Treppe hinauf.

Elias öffnete eine Tür und trat zur Seite, um Clonie vorzulassen. »Warte hier«, sagte er. »Ich besorge uns zwei Schwerter.« Noch bevor Clonie etwas erwidern konnte, war Elias verschwunden.

Clonie nutzte die Gelegenheit und sah sich um. Hier, im ersten Stock der beeindruckend großen Burganlage, drang mehr Licht durch die Fensteröffnungen als im ebenerdigen Geschoss unter ihnen. Auch dieser Saal war groß und geräumig wie das Versammlungszimmer, in dem sich immer noch Damasos, Derimacheia und Antheia berieten, doch völlig ohne jegliches Mobiliar. In diesem Raum feierte Königin Derimacheia ihre Feste. Jetzt aber sollte er Clonie und Elias als Arena dienen.

Clonie blickte soeben durch eins der Fenster auf den nahe gelegenen Wald, als Elias hinter ihr zurück in den Saal trat. In den Händen hielt er zwei nicht sehr lange Schwerter.

Clonie entledigte sich ihres Bogens, den sie neben der Fensteröffnung gegen die Mauer lehnte, und nahm ein Schwert aus Elias’ Hand entgegen. Sie versuchte, sich ihren Unmut nicht anmerken zu lassen, doch war das Schwert nicht die Waffe ihrer Wahl. Es war für den Kampf vom Pferderücken aus denkbar ungeeignet und deswegen hatte sie in seiner Beherrschung auch nicht allzu viel Übung. Sie betrachtete die zweischneidige Klinge und wog die Waffe noch in ihrer Hand, während sich Elias bereits vor ihr aufstellte.

Elias und Clonie fixierten einander. Jeder von ihnen umrundete den Gegner, auf der Suche nach einer passenden Gelegenheit für den ersten Schlag.

Clonie, die in Gedanken noch die Entfernung zum Waldrand abschätzte, der ihr erschreckend nah erschien, wenn man bedachte, welche Gefahren in ihm lauern konnten, gab einen Augenblick nicht acht und schon senkte sich Elias’ Schwert von oben auf ihr Haupt herab. Clonie hörte, wie es die Luft über ihr zerschnitt. Im letzten Moment konnte sie ihre Waffe hochreißen und Elias’ Schlag abwehren. Der Schmerz strömte in ihre Schultern, als die Klingen aufeinandertrafen.

Nein, dachte Clonie, der Kampf mit dem Schwert ist wahrlich nicht das Richtige für mich.

Am liebsten waren ihr Pfeil und Bogen, aber auch mit der Steinschleuder kam sie gut zurecht. Für den Nahkampf übte sie den Umgang mit der Streitaxt, die sich hervorragend vom Pferderücken aus schwingen ließ. Aber das Schwert? Für den Kampf vom Pferd aus war es nicht zu viel nütze. Wieso also sollte sie den Umgang mit ihm üben?

Jetzt saß Clonie jedoch nicht auf dem Rücken ihrer Stute Kore. Jetzt stand sie Elias gegenüber und wirbelte herum, als er sie mit einem seitlichen Hieb zu treffen versuchte. Das Schwert zischte durch die Luft und Clonie war froh, dass es sie nicht berührt hatte. Selbst wenn Elias die Waffe nicht mit voller Kraft einsetzte – schließlich wollte er Clonie nicht ernsthaft verletzen –, so wäre dieser Schlag, hätte er sein Ziel getroffen, doch zumindest sehr schmerzhaft gewesen.

Als Nächstes zog Elias das Schwert von unten hoch und Clonie sprang behände zur Seite, um der scharfen Klinge im letzten Augenblick zu entgehen.

Allmählich sah Elias recht zufrieden aus, stellte Clonie fest. Und er hatte zugegebenermaßen allen Grund dazu, denn sie hatte noch nicht einen einzigen Angriff zuwege gebracht und war lediglich damit beschäftigt, ihm auszuweichen wie ein hakenschlagendes Kaninchen.

Clonie kniff die Augen zusammen, vergewisserte sich, dass sie einen festen Stand hatte, und wartete auf eine passende Gelegenheit zurückzuschlagen.

Elias sah die Entschlossenheit in Clonies funkelnden Augen. Er hatte durchaus bemerkt, dass sie von seiner Entscheidung für das Schwert nicht begeistert gewesen war. Es bedurfte großer körperlicher Kraft, mit dem Schwert zu kämpfen. Und Kraft war das Einzige, was die Töchter des Ares nicht in gleicher Weise besaßen wie die Männer, gegen die sie sich nicht scheuten zu kämpfen. Mut, Gewandtheit, Schnelligkeit hingegen hatten auch in einem Frauenkörper Platz. Und nicht zuletzt ihre reiterischen Fähigkeiten machten das Frauenvolk zu gefürchteten Feinden.

Elias machte sich nichts vor: Clonie war eine ernst zu nehmende Gegnerin. Und hätte er nicht den Gürtel getragen, der ihm ein Gefühl der Unbesiegbarkeit gab und sein Selbstbewusstsein stärkte, er hätte beim Anblick Clonies, deren Wangen gerötet waren und die ihn anblickte, als scheute sie nicht davor zurück ihn zu vernichten, das Fürchten gelernt.

Als Clonie jetzt einen Schritt auf ihn zumachte und mit ihrem Schwert nach ihm stieß, konnte er sich nur durch einen beherzten Sprung nach hinten retten. Doch fand er schneller sein Gleichgewicht wieder als seine Gegnerin, die all ihre Kraft in diesen einen Stoß gelegt hatte und noch nach ihrer Balance suchte.

Elias stürzte nach vorne, schlug Clonie das Schwert aus der Hand, das klirrend zu Boden fiel, und richtete die Spitze seiner Waffe auf Clonies Brust.

Elias und Clonie rangen gleichermaßen nach Luft und Clonie hatte Mühe, verständliche Sätze zu formulieren. Sie hob die Arme und keuchte: »Du hast gewonnen.«

Elias ließ sein Schwert sinken und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Obwohl der Kampf nicht lange gedauert hatte, fühlte er sich bereits erschöpft.

»Jetzt wähle ich die Waffen«, fuhr Clonie fort, die schneller wieder zu Atem kam.

Elias schaffte es nur, zustimmend zu nicken.

»Im Bogenschießen wirst du mich nicht besiegen«, erklärte Clonie.

Elias lächelte. Er musste Clonie nicht nur für ihren Kampfeswillen bewundern, sondern darüber hinaus zugeben, dass sie die größere Ausdauer hatte. Während er immer noch hechelte wie ein betagter Hofhund an einem besonders heißen Sommertag, stand Clonie bereits wieder aufrecht vor ihm und wirkte frisch und ausgeruht.

»Du wählst die Waffen und du trägst den Gürtel«, sagte Elias, dem viel daran lag, redlich zu handeln.

Clonie lachte. »Ich brauche den Gürtel nicht, um dich zu besiegen«, behauptete sie. »Er würde mich eher behindern als beschützen.«

»Trotzdem«, beharrte Elias. »Es soll gerecht zugehen. Wer die Waffen wählt, erhält auch den Gürtel.« Er öffnete die Schnalle und reichte Clonie das wertvolle Stück.

»Meinetwegen«, willigte Clonie ein. Sie griff nach dem Gürtel und band ihn sich um die Hüften. »Aber ich werde dich nicht wegen des Gürtels besiegen. Vielmehr werde ich trotz seiner gewinnen.«

Elias folgte Clonie mit Blicken, als sie zum Fenster schritt, um Pfeil und Bogen zu holen, die sie dort abgelegt hatte. Sie hob ihre Waffe auf und kehrte zu Elias zurück, der in der Mitte des Saals stehen geblieben war.

Ohne ihn eines Blickes zu würdigen, spannte sie einen Pfeil ein, hob die Waffe und fixierte eine der Fackeln, die am anderen Ende des Saals in einer Wandhalterung brannten.

Das leise Zischen des Pfeils durchschnitt die Luft, als Clonie ihn abfeuerte. Er traf die Fackel genau in der Mitte und blieb vibrierend darin stecken. Mit ausdruckslosem Gesicht gab Clonie den Bogen an Elias weiter und nahm einen zweiten Pfeil aus ihrem Köcher, den sie ihm ebenfalls reichte.

Elias blickte bewundernd auf den Bogen. Ein so schönes Exemplar hatte er selten gesehen. Er war aus einem Stück gefertigt und das helle Holz schmiegte sich weich und warm in seine Hand. Die Bogensehne hatte genau die richtige Spannung.

Clonie entgingen Elias’ bewundernde Blicke nicht. »Ich habe ihn selbst gefertigt«, erklärte sie mit Stolz in der Stimme.

»Er ist perfekt«, sagte Elias, legte den Pfeil ein, hob den Bogen hoch, spannte die Sehne, fixierte die Fackel rechts neben der, die von Clonies Pfeil getroffen worden war, und ließ los. Sein Pfeil schnellte davon, bohrte sich ebenso wie zuvor Clonies durch das Material und blieb darin stecken. Mit einem zufriedenen Lächeln gab er Clonie den Bogen zurück.

Immer noch verzog Clonie keine Miene, während sie den nächsten Pfeil einlegte, erneut den Bogen vor ihre Brust hob und kurz zielte. Sie war darin geübt, ihr Ziel sofort zu erfassen. Im Kampf und vom Pferderücken aus blieb nicht viel Zeit. Hier war Schnelligkeit gefragt. Sonst holte der Pfeil des Feindes den Kämpfenden vom Pferd, bevor er den Bogen auch nur gespannt hatte.

Wieder flog der Pfeil durch die Luft, bahnte sich seinen Weg durch den hundert Fuß langen Saal und blieb in seinem Ziel stecken: Clonies Pfeil ließ den von Elias zersplittern, als er den Schaft genau traf.

Elias nickte anerkennend. Nicht nur Clonies Treffsicherheit beeindruckte ihn, auch die Schnelligkeit, mit der sie gehandelt hatte, ließ ihn staunen. Wieder griff er nach dem Bogen, spannte ihn und versuchte, Clonies ersten Pfeil zu treffen. Er nahm sich mehr Zeit als das Mädchen. Und doch verfehlte sein Pfeil das Ziel knapp, blieb oberhalb des zuerst geschossenen Pfeils in der Fackel stecken.

»Also gut«, sagte er und gab Clonie den Bogen zurück. »Du hast gewonnen.«

»Noch nicht«, erwiderte Clonie, spannte einen dritten Pfeil ein und ließ ihn wie die beiden vorherigen binnen kürzester Zeit los.

Elias bildete sich ein, er hätte das Splittern des Holzes gehört, als auch dieser Pfeil seinen zuvor abgeschossenen genau traf und den Schaft zerbersten ließ.

»Jetzt habe ich gewonnen«, sagte Clonie und wandte sich zufrieden lächelnd zu Elias um.

Elias deutete eine Verbeugung an, mit der er Clonies Sieg honorierte.

»Und nun?«

»Der endgültige Sieger steht noch nicht fest«, antwortete Elias. »Den Schwertkampf konnte ich für mich entscheiden und das Bogenschießen hast du gewonnen. Demnach steht es eins zu eins.«

»Wir müssen uns also noch ein weiteres Mal messen.«

»Wie wäre es mit Ringen?«, fragte Elias.

Clonie zögerte. Ähnlich wie der Schwertkampf gehörte das Ringen nicht zu ihren bevorzugten Kampfarten. Aber sie wollte Elias ungern widersprechen, nachdem sie sich darauf geeinigt hatten, im Wechsel zu entscheiden. »Also gut«, sagte sie schließlich und legte Pfeil und Bogen zur Seite, bevor sie den Gürtel abnahm und Elias reichte. »Hier«, sagte sie. »Befreie mich von diesem Ding.«

»Es hat dir den Sieg beschert«, sagte Elias lachend, während er sich den Gürtel umlegte.

»Meinen Sieg habe ich allein meinem Können zu verdanken«, erwiderte Clonie, ohne eine Miene zu verziehen.

Elias zog stumm die Augenbrauen hoch. Dass Clonie stur war wie ein Esel, hatte er bereits erkannt. Doch er würde es schon noch schaffen, sie zu überzeugen.

Wieder umrundeten die beiden einander, jeder auf der Suche nach einem geeigneten Augenblick für den Angriff.

Clonie musterte Elias aufmerksam. Er war einen Kopf größer als sie und nicht gerade schmächtig. Sie musste ihn schon richtig packen, wenn sie Aussicht auf Erfolg haben wollte. Sonst wäre allein seine größere Körpermasse entscheidend.

Elias seinerseits beobachtete Clonie. Sie war klein und zierlich, fast zerbrechlich wie ein aus dem Nest gefallenes Vogeljunges. Und doch strotzte ihr zarter Körper vor Kraft. Jeder Muskel war bis zur Perfektion ausgebildet. Und er wusste mittlerweile, wie schnell sie reagieren konnte. Ihre Bewegungen waren flink und geschmeidig wie die einer Katze.

Unerwartet, wie er meinte, sprang er vor und versuchte, Clonie zu packen, um sie zu Boden zu reißen.

Doch Clonie hatte seinen Angriff vorhergesehen. Sie duckte sich unter ihm hinweg, sodass Elias ins Straucheln geriet und über ihren gebeugten Oberkörper auf den Boden stürzte. Noch im Fallen griff er nach Clonies Wams und zog sie mit sich.

Clonie spürte den Ruck und einen Wimpernschlag später landete sie neben Elias auf dem Fußboden. Sie versuchte, auf die Beine zu kommen und sich Elias’ klammerndem Griff zu entwinden, doch sosehr sie sich auch anstrengte, Elias hielt sie fest umschlungen. Clonie spürte Elias’ Hände an ihren Oberarmen und hörte seinen Atem dicht an ihrem Ohr. Sie konnte seine Haut riechen. Er roch angenehm nach frischen Blüten und Holz. Eine Locke seines schulterlangen Haars streifte sie an der Wange und kitzelte.

»Verzeihung!«

Die Stimme gehörte eindeutig nicht Elias, der aber bei ihrem Klang seinen Griff um Clonies Oberarme lockerte, den Kopf hob und aufsah.

Augenblicklich nutzte Clonie ihre Chance, wand sich aus Elias’ Armen und sprang auf die Füße.

Elias erhob sich ein wenig schwerfälliger, strich sich das Haar aus der Stirn und räusperte sich verlegen. Dann erst wandte er sich zu dem Mann um, der in der Tür des Saals stehen geblieben war und sich um einen ernsten Gesichtsausdruck bemühte, während er die beiden Kämpfer musterte, die schwer atmend und mit hochroten Gesichtern vor ihm standen.

»Was ist Euer Begehr?« Elias’ Stimme klang forscher, als er sich fühlte. Der Anblick, den sie dem Fremden geboten hatten, war sicherlich gleichermaßen erheiternd wie kompromittierend und Elias gab sich alle Mühe, sich auf seine Position als Königssohn zu besinnen.

»Entschuldigt die Störung«, sagte der fremde Mann und senkte den Kopf, sodass es Elias schwerfiel, sein Gesicht zu erkennen. »Die Königin schickt mich«, fuhr der Fremde fort, »ihr den Gürtel zu bringen, den Ihr tragt.« Er wies mit einer knappen Handbewegung auf die lederne Binde um Elias’ Hüfte.

Elias runzelte die Stirn. »Meine Mutter verlangt nach diesem Gürtel?« Nun bemühte er sich erst recht, das Gesicht des Mannes zu erkennen. Doch der hielt weiterhin den Kopf gesenkt.

Clonie blickte zwischen Elias und dem fremden Mann hin und her. Es war offensichtlich, dass Elias dem Eindringling misstraute.

»Ich kenne Euch nicht«, fuhr Elias in diesem Augenblick fort. »Wer seid Ihr?«

»Ich bin einer der Diener Eurer Mutter«, erklärte der Fremde und hob jetzt zum ersten Mal den Kopf.

»Ich habe Euch nie zuvor gesehen«, antwortete Elias.

»Nun«, sagte der Fremde, »ich bin noch nicht lange hier.«

»Aber lange genug, dass meine Mutter Euch ausschickt, um diesen Gürtel zu holen?« Elias schüttelte ungläubig den Kopf.

Der Fremde hielt Elias’ Blick stand. Der Ausdruck in seinen Augen gefiel Clonie nicht. Sie hatte das Gefühl, der Mann führe irgendetwas im Schilde.

»Also gut«, antwortete Elias nach einer Weile. »Ich werde meiner Mutter den Gürtel selbst bringen.« Er wedelte mit einer Hand, als wollte er ein lästiges Insekt verscheuchen. »Ihr könnt Euch entfernen.«

»Das geht leider nicht«, antwortete der Fremde und machte einen Schritt in den Raum hinein. »Königin Derimacheia hat mir einen Auftrag erteilt, den ich ausführen muss.«

»Ihr könnt Euch entfernen, habe ich gesagt!« Elias’ Stimme duldete keinen Widerspruch und Clonie blickte den jungen Mann neben sich überrascht an. Bis jetzt hatte sie den Eindruck gewonnen, Elias sei weichherzig und nachgiebig. Niemals hätte sie ihm eine solche Entschlusskraft zugetraut. Jetzt musste sie einsehen, dass sie sich geirrt hatte. Wenn es darauf ankam, wusste Elias genau, was er wollte. Er schien lediglich, ganz im Gegensatz zu ihr, wie sie sich eingestehen musste, mit Bedacht zu handeln.

Als der Fremde nun einen weiteren Schritt näher kam, griff Clonie instinktiv nach ihrem Dolch. Erst als sie ihre Waffe in der Hand hielt, bemerkte sie, dass der Fremde ebenfalls plötzlich einen Dolch in der Hand hatte. Ihre Augen irrten zu Pfeil und Bogen, die nur wenige Schritte entfernt lagen. Alles deutete darauf hin, dass die Zeit des Aufbruchs nahte, und sie hatte nicht die Absicht, ihre Waffen hier zurückzulassen. Es dauerte nur so lange, wie ein Vogel braucht, um zweimal mit den Flügeln zu schlagen, bis sie Bogen und Pfeile vom Boden aufgehoben hatte. Doch in der Zwischenzeit war der Fremde bis auf Armeslänge an Elias herangekommen, der schutz- und wehrlos dastand und offensichtlich nicht wusste, was er tun sollte.

»Hier!«, rief Clonie und warf Elias eins der Schwerter zu, die neben ihrer Waffe auf dem Boden gelegen hatten.

Elias fing das Schwert aus der Luft auf und richtete es gegen den Angreifer, der augenblicklich einen Schritt zurückwich, um sich aus der Gefahrenzone zu bringen.

»Gebt mir den Gürtel und Euch wird nichts geschehen«, drohte er und ein Blick in sein Gesicht zeigte, wie ernst es ihm war.

Inzwischen stand Clonie wieder neben Elias. Sie richtete ihren Dolch auf den Mann und taxierte zugleich die Entfernung zur Tür. Für einen Spurt war es eindeutig zu weit. Sie würden auf halber Strecke vom Dolch des Mannes niedergestreckt werden. Er brauchte ihn nur nach einem von ihnen zu werfen.

Plötzlich stürzte der Mann auf Elias zu und versuchte, ihn mit dem Dolch zu erwischen, doch Elias parierte den Stoß mit seinem Schwert und der Mann wich wieder zurück.

Clonie ließ den Fremden nicht aus den Augen, während sie im Stillen auf einen Plan sann, der Gefahr zu entkommen. Sie mussten es irgendwie schaffen, näher an die Tür zu gelangen. Aber wie? Wenn dieser verfluchte Gürtel um Elias’ Hüfte zaubern konnte – warum tat er es dann nicht? Jetzt wäre eine gute Gelegenheit gewesen, sein Können zu beweisen!

Stattdessen unternahm der Fremde einen zweiten Angriff. Dieses Mal hatte er es auf Clonie abgesehen. Er stürzte vor und versuchte, Clonie das Messer in den Bauch zu rammen.

Doch so weit kam er gar nicht. Elias schleuderte sein Schwert. Es prallte gegen die Schienbeine des Mannes und riss ihn von den Füßen. Mit einem lauten Aufschrei fiel der Mann vor Clonie auf den Boden.

»Lauf!«, schrie Elias. Er packte Clonies Hand und zog sie mit sich zur Tür, bevor der Fremde sich wieder aufrappeln konnte.

Sie rannten die Treppe hinunter. Hinter sich konnten sie die Schritte des Mannes hören, der fluchend und humpelnd versuchte, sie einzuholen.

Sie hatten das Ende der Treppe fast erreicht. Nur noch wenige Meter, dann würden sie in Sicherheit sein, als wie aus dem Nichts plötzlich ein zweiter Mann unmittelbar vor ihnen stand. Er grinste hämisch und hielt seine Waffe, eine Streitaxt, hoch erhoben. Clonie und Elias hörten den anderen Mann näher kommen. Er hatte sie beinahe erreicht.

Clonie zögerte nicht. Sie hob den rechten Arm weit über den Kopf, und ebenso schnell, wie sie zuvor im Wettstreit mit Elias ihre Pfeile abgeschossen hatte, schleuderte sie nun den Dolch in Richtung des Mannes, der ihnen den Weg abschnitt.

Der Angreifer schaffte es gerade noch, einen Schritt zur Seite zu machen, doch die scharfe Klinge bohrte sich schmerzhaft in seine rechte Schulter. Er ließ die Streitaxt fallen und griff sich, vor Schmerz stöhnend, an die verletzte Stelle.

Clonie und Elias vergeudeten keine Zeit. Elias stieß den Verwundeten zur Seite und die beiden rannten weiter auf die Tür des Versammlungssaals zu, hinter der sie endlich in Sicherheit sein würden.

Doch sie sollten sie nicht erreichen.

Plötzlich stand noch ein dritter Mann vor ihnen. Er war maskiert, aber die Lippen verzogen sich unter der Maske zu einem boshaften Grinsen, während er sein Schwert aus der Scheide zog und sich ihnen in den Weg warf.

»Zur Seite!«, rief Elias, doch anstatt dem Befehl des Königssohns Folge zu leisten, schwang der Mann sein Schwert. Mit lautem Zischen durchschnitt die Klinge die Luft.

Clonie fürchtete, es würde zu lange dauern, sich auf eine Diskussion mit den Männern einzulassen. »Komm«, zischte sie Elias atemlos zu und zerrte ihn hinter sich her zur großen Eingangshalle. Im Hof würden sie schon jemanden finden, der ihnen zur Seite stehen und die Ordnung wiederherstellen konnte.

Clonie stieß die Tür mit dem Fuß auf und rannte auf den Hof hinaus. Die Sonne blendete sie und doch konnte sie feststellen, dass der Vorplatz wie leer gefegt war. Wo bei ihrer Ankunft noch Dutzende Bediensteter ihre Arbeit verrichtet hatten, Tröge voller Wasser schleppten oder sich um die Pferde kümmerten, war nun niemand mehr.

Clonie stieß einen Pfiff aus und Kore, ihre Stute, spitzte die Ohren. Sie stand immer noch dort, wo Clonie sie zurückgelassen hatte.

Auf den Pfiff hin setzte sich das Tier in Bewegung und trabte auf Clonie zu.

»Schnell«, trieb Clonie Elias zur Eile an.

»Bist du von Sinnen?«, entgegnete Elias. »Sie kann unmöglich uns beide tragen!«

»Wir haben aber keine Zeit, ein weiteres Pferd zu holen«, antwortete Clonie und das Poltern hinter ihnen gab ihr recht.

Elias fluchte und schwang sich auf den Rücken des Schimmels. Er reichte Clonie eine Hand und zog sie zu sich hinauf. Clonie schnalzte mit der Zunge und Kore verfiel augenblicklich in Galopp.

»Da sind sie!«, rief eine Stimme und der Mann, der soeben aus der Tür hinaustrat, deutete mit dem Finger auf die zwei Fliehenden.

Clonie saß rücklings auf dem Rücken ihres Pferdes und zog geschickt einen Pfeil aus ihrem Köcher, spannte ihn ein und schoss, ohne zu zögern, auf die Verfolger. Er verfehlte sein Ziel nur knapp.

»Lauf, Kore, lauf!«, feuerte Clonie ihr Pferd an und unter den Hufen der Schimmelstute wirbelte der Staub auf, als sie mit ihrer schweren Last den Burghof hinter sich ließ und auf den nahen Waldrand zugaloppierte.

3

Von den Amazonen aber wird sowohl jetzt

als vor alters stets dasselbe erzählt,

lauter Wundervolles und Unglaubliches.

Denn wer wird glauben, dass jemals ein Heer

oder ein Staat, oder ein Volk von Weibern

ohne Männer bestand?

Strabon (um 63 v. Chr.–23 n. Chr.)

Sie sind in Richtung Wald entkommen.« Der Mann schnappte nach Luft und hielt sich die schmerzende Schulter, in der noch immer Clonies Dolch steckte.

»Gut«, antwortete der Maskierte. »Das habt ihr gut gemacht.« Er klopfte seinem Gegenüber auf die unversehrte Schulter und nickte dem dritten, der sich die Schienbeine rieb und ebenfalls nach Luft rang, zu. »Der Rest wird sich voraussichtlich von selbst erledigen.« Er wandte sich erneut zu dem Verletzten um. »Und lass den Arm verbinden, bevor dich noch jemand so sieht und unangenehme Fragen stellt.« Damit ließ er die zwei Männer stehen und verschwand in der Burg.

Aus Kores Nüstern und Maul quoll Schaum hervor. Ihre Flanken glänzten schweißnass und dennoch galoppierte sie mit unverminderter Geschwindigkeit durch den Wald und setzte über umgestürzte Baumstämme hinweg.

»Wir müssen Rast machen«, sagte Clonie, nachdem sie und Elias lange Zeit geschwiegen hatten. »Kore ist erschöpft. Sie braucht Ruhe.«

Elias nickte zustimmend. »Ich glaube, wir haben unsere Verfolger abgehängt«, sagte er leise.

Kore blieb Augenblicke später auf einer kleinen Lichtung stehen, als hätte sie ein geheimes Zeichen bekommen, das Elias entgangen war. Er hatte weder etwas gehört, das Clonie zu ihrer Stute sagte, noch irgendeine andere Form von Verständigung zwischen Clonie und ihrem Pferd bemerkt. Und doch schien die Stute auf rätselhafte Weise ein Signal von ihrer Reiterin erhalten zu haben, das ihr bedeutete anzuhalten.

Clonie sprang vom Rücken ihres Pferdes und auch Elias ließ sich erschöpft zu Boden gleiten. Er streckte sich auf dem kühlen Gras aus und schloss für einen Moment die Augen. Als er sie wieder öffnete, blickte er geradewegs in den blauen Himmel, an dem nur wenige Wolken zu sehen waren. Im Wald selbst war es unmöglich gewesen, die Tageszeit näher zu bestimmen. Zwischen den Bäumen mit ihren dichten Kronen herrschte den gesamten Tag über ein diffuses Dämmerlicht. Jetzt aber konnte Elias sehen, dass die Sonne bereits tief stand und der Abend sich ankündigte.

Kore hatte zu grasen begonnen, und als Elias sich auf einen Ellenbogen stützte, um zu sehen, was Clonie machte, sah er sie am Rande der Lichtung Beeren pflücken. Immer wieder steckte sie sich eine in den Mund, andere sammelte sie in ihrer linken Hand. Als sie Elias’ Blick bemerkte, lächelte sie, erhob sich und kam auf ihn zu.

»Hier«, sagte sie und streckte ihm die Hand mit den Beeren entgegen.

Elias betrachtete die prallen leuchtend roten Früchte misstrauisch. »Bist du sicher, dass man die essen kann?«, fragte er.

Clonie lachte. »Hast du Angst, ich wollte dich vergiften?«

Zögernd griff Elias nach einer der Kugeln und steckte sie sich in den Mund. Der Saft spritzte, sobald er die zarte Hülle zerbiss. Zunächst war der Geschmack etwas bitter, doch dann wurde er erfrischend säuerlich.

Clonie ließ sich neben Elias ins Gras sinken und deutete mit dem Kopf auf die Früchte. »Nimm«, sagte sie, »wir müssen bei Kräften bleiben.«