Cover

Über dieses Buch:

Das kleine Städtchen Landau in der Pfalz: friedlich, idyllisch, ruhig. Doch wo jeder jeden kennt, bleibt kein Geheimnis lange verborgen. Als Privatdetektiv Sturm im Schillerpark eine Leiche entdeckt, dauert es deswegen nicht lange, bis erste Gerüchte aufkommen. Dem Ermordeten, Erwald Huber, Leiter des Bauamtes, werden Bestechlichkeit und krumme Geschäfte nachgesagt. Dass zeitgleich mit dem Mord sein größtes Bauprojekt abgeschlossen wird – Zufall oder hat Huber sich auf ein fatales Geschäft eingelassen? Wusste er etwas und musste beseitigt werden? Sturm beginnt zu ermitteln und stößt dabei auf dunkle Geheimnisse hinter den braven Fassaden seiner Stadt …

Über den Autor:

Dr. Peter Dell wurde 1963 in Landau in der Pfalz geboren. Um dem nüchternen Alltag eines Geschichts- und Politikwissenschaftlers etwas Emotion entgegenzustellen, wandte er sich 2003 dem Schreiben zu und lebt heute wieder in seinem Heimatort.

Peter Dell veröffentliche bei dotbooks bereits „Leiche in Spätburgunder“.

***

eBook-Lizenzausgabe Juli 2017

Copyright © der Originalausgabe 2005 Verlag Markus Knecht, Landau

Copyright © der eBook-Lizenzausgabe 2017 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Dudarev Mikhail (Himmel), Eric Gevaert (Kapelle)

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ml)

ISBN 978-3-95824-935-6

***

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort Sturm über der Südpfalz an: lesetipp@dotbooks.de

Gerne informieren wir Sie über unsere aktuellen Neuerscheinungen und attraktive Preisaktionen – melden Sie sich einfach für unseren Newsletter an: www.dotbooks.de/newsletter.html

Besuchen Sie uns im Internet:

www.dotbooks.de

www.facebook.com/dotbooks

blog.dotbooks.de/

Peter Dell

Sturm über der Südpfalz

Kriminalroman

dotbooks.

Aufklärung

Einige meiner geschätzten Leser haben in meinem ersten Pfalzkrimi Leiche in Spätburgunder Personen entdeckt, die sie scheinbar zu kennen wähnten. Kann das wirklich sein? Die Suche nach scheinbar bekannten Charakteren ist in der Südpfalz, besonders in Landau, zu einem spannenden Gesellschaftsspiel geworden, dem ich mit dem vorliegenden neuen Krimi weiteren Vorschub leisten möchte. Eines kann ich Ihnen jedoch versichern: Wie bei meinem ers­ten Buch sind alle Verbrecher, Mörder und sonstige Übeltäter frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind in diesen Fällen weder gewollt noch beabsichtigt und wären wirklich nur rein zufällig. Wie in jedem guten Kriminalroman gibt es jedoch auch die guten und redlichen Personen. Bei diesen Personen ist es so wie bei den Bösewichten. Einige wenige sind meiner Fantasie entsprungen. Andere hingegen haben echte Vorbilder und sind dem tatsächlichen Leben entnommen. Die Ähnlichkeiten sind bei jenen völlig beabsichtigt. Das heißt jedoch nicht, dass irgendeiner der »Bekannten« auch nur ein Wort gesagt hat, das ich ihm in den Mund gelegt habe. Die geschilderte Geschichte ist natürlich frei erfunden und hat keinen wahren Hintergrund. Die »Entlarvung« von scheinbar Bekannten überlasse ich jedoch Ihrem kriminalistischen Gespür und wünsche Ihnen viel Vergnügen bei der Lektüre.

Peter Dell, Landau in der Pfalz, November 2005

Sonntag, 9. Oktober

Tropfnass schlüpfte ich durch das Unterholz am Rande der Wege im Schillerpark. Der Schillerpark ist einer der großen Parks Landaus, die der Stadt einst das Attribut Gartenstadt verschafften. Für Gartenstadt und Blumenkorso gibt es aber seit Jahren kein Geld mehr. Bei diesem Wetter würde man sowieso keine Herbstblumenpracht genießen können. Die Bäume bogen sich unter der Wucht eines heftigen Herbststurms, der sich seit dem Morgen über Landau zusammengebraut hatte. Der Regen prasselte ununterbrochen und der Wind peitschte durch die Straßen. Es war bereits neun Uhr abends. Wie das Wetter, waren auch meine derzeitigen Geschäfte und meine entsprechende Laune. Seit Monaten passierte in der Stadt nichts mehr, das mir auch nur einen müden Cent in die Kasse brachte. Es schien sogar, die Ehebrecher hätten ihr Handwerk eingestellt. Seit ich vor einem guten Jahr den Mord an einem reichen Winzer aufklärte und einen Weinskandal aufdeckte, war es ruhig in meiner südpfälzischen Heimat. Dabei dachte ich damals, es wäre das Ende der trögen Kleinstadtdetektiverei.

»Miez, miez, miez … komm raus du, mieses Stück. Wenn ich dich habe, schenke ich dich dem Chinesen an der Ecke, dann endest du als Kater süßsauer!«

Nichts rührte sich. Der Sturm und der Regen übertönten alle Geräusche, die mich auf den Kater Moritz aufmerksam machen könnten, den ich für eine reiche alte Witwe suchen sollte. Sie ließ sich das Auffinden des Stubentigers einige Euro kosten, die ich bitter gebrauchen konnte. Ich war bereits an der Uferböschung der Queich angekommen, als ich auf dem nassen Untergrund ins Rutschen kam und ungebremst Richtung Fluss schlitterte. Kurz vor der kalten, dreckigen Brühe konnte ich mich an einem Ast festhalten. Nun saß ich am Hang kurz vor dem Queichufer, nass, durchfroren, kurzatmig und frustriert.

Seit dem letzten Jahr hatte sich vieles geändert. Als das Geld knapp wurde, musste ich mein kleines Büro in der Innenstadt aufgeben und in den Keller meiner Wohnung verlegen. Zuerst dachte ich, dass es nach dem großen gelösten Fall Aufträge zum Abwinken geben wird. Doch alles blieb beim Alten. Außer Katzen, Ehebrechern und anderen Kleinverbrechern gab es nichts, was auf Dauer die Kasse gefüllt hätte. Das beschauliche Landau war eben doch nicht so kriminell, wie ich hoffte. Als dann mein Vermieter kein Auge mehr zudrückte und ich das Büro aufgeben musste, blieb mir nur noch meine eigene Wohnung. Aber ich hatte mir geschworen, dass ich in meinen privaten Gemächern nie mehr an die Arbeit erinnert werden sollte. So zog ich es vor, mit dem Büro in den Keller zu ziehen. Schreibtisch, Sessel, einige Bücherregale und das Telefon waren mir verblieben. Klienten konnte ich im Keller aber nicht empfangen. Es ist nicht gerade geschäftsdienlich, potenzielle Kundschaft durch den Heizungskeller, an der ständig laufenden Waschmaschine und der frisch gewaschenen Unterwäsche meiner Nachbarin vorbei, zum ersten Gespräch zu lotsen. Angie, die mir über viele Jahre zur Hand ging, hatte im Frühjahr ihr Examen bestanden und absolvierte ihr Referendariat in der Nähe von Koblenz. Einen adäquaten Ersatz für sie zu finden, der auch bereit wäre ohne Bezahlung zu arbeiten, war unmöglich. Vor allem aber fehlte mir Vibke, die maßgeblich dazu beigetragen hatte, dass ich den großen Fall im letzten Jahr lösen konnte. Ich hatte drei herrliche Wochen mit ihr im sonnigen Süden verbracht und hätte mich wirklich an sie gewöhnen können. Doch schon wenige Wochen nach unserer Heimkehr zog es die ruhelose Journalistin wieder in die Ferne. Waffenschiebereien in Kenia waren bei Weitem interessanter als Berichte über Kleintierzüchter in der Provinz. Schon seit mehreren Monaten recherchierte sie in Afrika und wir telefonierten nur noch recht selten. Ich steckte mir eine Zigarette an und versank in Selbstmitleid.

Die abgebrannte Zigarette an den Fingerspitzen riss mich schmerzvoll in die Gegenwart zurück. Ich musste den blöden Kater finden. Ich kämpfte mich die Uferböschung hinauf weiter durch das Gebüsch. Mitten im Dickicht sah ich etwas Helles liegen. Ich kroch auf allen Vieren zwischen den Zweigen hindurch und kniete plötzlich vor einem leblosen menschlichen Körper. Das Gesicht des Mannes war kaum zu erkennen, nur spärlich drang das Licht der Straßenlaternen durch die Hecken. Trotzdem erkannte ich eine Anomalie auf der Stirn des Unbekannten. Ich griff in meine Jackentasche, um mein Feuerzeug herauszuholen. Im flackernden Schimmer des Gases sah ich ein Loch zwischen den Augen, das dort normalerweise nicht hingehört. Augenscheinlich war ich auf einen Fall für die hiesige Polizei gestoßen. Trotz des trüben Lichtes konnte ich erkennen, dass der Mann nicht freiwillig an diesen Ort gekrochen war. Der Regen hatte die Schleifspuren nicht verwischt und einige abgebrochene Äste wiesen ebenfalls darauf hin, dass er hierher geschleift worden war. Mein detektivisches Gespür hatte mich noch nicht verlassen. Ich begann die Taschen des Toten zu durchsuchen. In der Innentasche seiner Jacke ertastete ich ein Blatt Papier, das ich ohne nachzudenken herauspulte und einsteckte. In seiner Gesäßtasche steckte sein Geldbeutel, in dem sich sein Personalausweis und einige Geldscheine ertasten ließen. Erkennen konnte man jedoch nichts, da es zu schummrig war. Hatte ich eben noch bedauert, dass Landau eine viel zu anständige Stadt war, um einen Privatdetektiven zu ernähren, so wurde ich sogleich vom Gegenteil überzeugt. Dumm war nur, dass ich nicht gleich mit Ermittlungen beginnen konnte, da eine Leiche keine Honorare zahlt. Vielleicht wäre es möglich, sich mit den Verwandten in Verbindung zu setzen, um ihnen anzubieten, den Mörder zu finden. Doch das schien mir ein wenig aufdringlich. Zum jetzigen Zeitpunkt konnte ich nicht handeln, aber es sollte einen Weg geben, an diesen Auftrag zu kommen. Ich versuchte den Toten zu identifizieren, doch dazu war es hier im Gebüsch zu dunkel. Schweren Herzens beschloss ich, zunächst zur Polizei zu gehen. Wer der Tote war, würde ich spätestens dort erfahren. Momentan konnte ich nichts weiter tun. Die Geldbörse zurücksteckend, entfernte ich mich vorsichtig von dem Toten und ging die wenigen Meter zur Landauer Polizei im Westring zu Fuß.

Ich gab einen traurigen Anblick ab, als ich vor dem Glasfenster im Polizeirevier stand. Völlig durchnässt und verdreckt klopfte ich an die Scheibe und meldete den grausigen Fund im Schillerpark: »Im Unterholz in der Nähe der Queich, liegt ein Mann, der ein unübersehbares Loch zwischen den Augen hat. Ich gehe davon aus, dass er mausetot ist und unter Umständen einem Gewaltverbrechen zum Opfer fiel, da es nicht die Regel ist, sich zu erschießen und dann ins Gebüsch zu schleppen.«

»Nun mal langsam, Herr?« Der missmutig wirkende junge Beamte hinter der Scheibe schaute mich an, als ob ich aus Eschbach-Süd entlaufen wäre. Ich erklärte ihm in ruhigem Ton, dass ich nicht die Absicht habe ihn zu verschaukeln und mir im Moment ganz bestimmt etwas Besseres einfallen würde, als ihn mit Schauergeschichten zu langweilen. Jetzt hielt er mich für einen intellektuellen Irren, wenn er überhaupt wusste, was intellektuell ist. Ich bat ihn, da mir im Eingangsbereich des Präsidiums langsam kalt wurde, die Tür zu öffnen. Unverständlicherweise zögerte er immer noch.

»Wenn Sie nicht eine weitere – erfrorene – Leiche in Ihrem Flur liegen haben möchten, dann öffnen Sie bitte die Tür. Eigentlich habe ich nur vor, Ihnen zu erklären, was ich entdeckt habe, das Ganze zu Protokoll zu geben und dann nach Hause zu verschwinden, um mir trockene Klamotten anzuziehen.«

Jetzt schaute er selbst wie ein Patient der nahe liegenden neurologischen Klinik. Ich hatte den Eindruck, als wolle er mich nicht verstehen. Hatte ich ihn bei einem Computerspiel gestört oder ärgerte er sich, weil er im Kreuzworträtsel den afrikanischen Fluss mit drei Buchstaben nicht erriet? Ich musste deutlicher werden.

»Junger Mann, hören Sie, ich bin hier nicht zum Spaß. Keine zweihundert Meter von hier liegt eine Leiche. Ich habe Sie gefunden und möchte es zu Protokoll geben. Ich habe gehört, dass ihre Institution dafür zuständig sei – oder liege ich da etwa falsch?«

Jetzt blickte er endgültig debil und machte eher den Eindruck eines Hilfssheriffs des örtlichen Ordnungsamtes als den eines gut ausgebildeten Polizeibeamten. Vielleicht habe ich ihn auch nur aus einem schönen Traum geweckt? Er machte jedoch nicht den Eindruck, als wolle er mir öffnen. Ich startete einen letzten Versuch.

»Wenn Sie mir nicht öffnen wollen, dann nehmen Sie bitte das Telefon, rufen Kommissar Becker an und sagen ihm, dass Philipp Sturm vor der Tür steht und einen Mord melden möchte.«

Als er den Namen Becker vernahm, horchte er auf. Scheinbar erwachte er aus seiner Lethargie.

»Sie kennen Kommissar Becker?«

»Ja, ich kenne Kommissar Becker!«

»Ich öffne Ihnen die Tür, damit Sie eintreten können. Bitte nehmen Sie auf dem Stuhl im Flur Platz, ich informiere den Kommissar.«

»Kommissar Becker« war offensichtlich das Sesam-öffne-dich. Die Schließanlage summte leise, als ich eintrat. Demonstrativ drehte ich mich in seine Richtung, öffnete meine Jacke und zeigte dem jungen Beamten, dass ich keine 44er Magnum und auch keinen Fundamental­Islamisten-Märtyrer-Sprengstoffgürtel bei mir hatte. Er nahm es nicht zur Kenntnis, da er bereits telefonierte. Ich setzte mich und hatte das Gefühl, erfolgreich in Fort Knox eingedrungen zu sein.

»Kommissar Becker wird in Kürze hier sein. Er hat angeordnet, dass ich eine Streife in den Park schicken soll, die unterdessen ihre Angaben überprüft. Wo liegt der Tote?«

»Wenn Ihre Kollegen von der Westbahnstraße in An 44 einbiegen, sollen sie dort ihren Wagen abstellen und in Richtung des Osteingangs vom Stadion gehen. Wenn sie dann auf dem Weg entlang des Bürgergrabens Richtung Schillerparkgaststätte gehen, finden sie die Leiche etwa nach hundert Metern rechts vom Weg im Gebüsch.«

Ich hoffte, die Angaben waren genau genug und diejenigen, die die Leiche finden sollten, etwas fixer als ihr Kollege. Zweifel hatte ich nur, ob sie den Osteingang des Stadions kannten, da man schon ein gewisses Alter haben musste, um diesen Eingang zu kennen, der, seit der ehemals ruhmreiche ASV Landau in Bezirks- und Landesligaregionen herumkickte, nicht mehr geöffnet worden war. Die Altvorderen erzählen sich heute noch Geschichten von rund 5000 Zuschauern im Südpfalzstadion, als in den 50er Jahren der FCK mit Fritz Walter dort auflief. Heute verlaufen sich höchstens noch fünfzig zahlende Zuschauer im langsam verfallenden Rund.

»Können Sie mir kurz erklären, wo der Osteingang des Stadions ist? Davon habe ich ja noch nie gehört.«

Siehe da, meine Zweifel waren berechtigt, er kannte den Eingang nicht. Mit wenigen Worten erklärte ich ihm die Lage des Eingangs, um ihm gleichzeitig zu erläutern, dass es auch nicht so wichtig sei, diesen Eingang zu kennen. Er war mit meinen Angaben zufrieden und gab sie seinen Kollegen durch. Ich lehnte mich in den Stuhl zurück und wartete auf Becker. Dem Kommissar, der mich bei meinem letzten und bislang einzigen großen Fall sehr ablehnend und eher geringschätzig behandelte, hatte ich einiges zu verdanken. Er hatte mir damals das Leben gerettet. Seit dieser Zeit verbindet uns eine gewisse Sympathie. Wenn wir uns zufällig in der Stadt treffen, trinken wir schon einmal einen Kaffee zusammen und erzählen uns den neusten Klatsch und Tratsch aus Landau. Im Moment war ich auf alle Fälle sehr froh, Becker zu kennen, sonst wäre ich mit ziemlicher Sicherheit erfroren. Es dauerte etwa eine halbe Stunde bis er auftauchte.

»Hallo Sturm, wunderschönen guten Abend. Wie ich gehört habe, haben Sie wieder einmal eine Leiche gefunden. Das wird wohl langsam zur Gewohnheit. Aber Sie haben dazugelernt und gleich die Richtigen verständigt.«

Ich blickte in Richtung des jungen Streifenpolizisten, der an der Pforte saß, und machte ein missmutiges Gesicht: »Bis ich Ihren Namen nannte, war ich mir da nicht so sicher. Ich hatte eher die Befürchtung, dass ich selbst eingelocht werde.«

Er verfolgte meinen Blick.

»Üben Sie etwas Nachsicht. Wie Sie wissen, haben wir massive Nachwuchsprobleme. Der Kollege hat gerade seine Ausbildung beendet und ist ab und an etwas unbeholfen.«

Ich ließ es gut sein und erklärte ihm die Sachlage. Er hörte aufmerksam zu und kam zu dem Schluss, gemeinsam mit mir zum Fundort zu gehen. Ich willigte ein und zehn Minuten später waren wir wieder im Park. Die Szenerie hatte sich geändert. Drei Streifenwagen waren im Einsatz, das Gebüsch durch Scheinwerfer erleuchtet. Überall waren bereits Absperrungen mit Plastikband angebracht, die im starken Wind hin und her gerissen wurden. Wir gingen zum Toten.

»Das ist Ewald Huber, der Leiter des städtischen Bauamtes«, entfuhr es mir, als ich das Gesicht des Toten erkannte. »Hätte nicht geglaubt, dass eine verweigerte Baugenehmigung solche Folgen hat.«

»Seien Sie nicht komisch!«

»Stimmt, die Tat hat wahrscheinlich tiefgreifendere Gründe. Bestimmt war der Täter einer der neuen Bewohner des alten Schlachthofgeländes oder der ehemaligen Ile de France. Könnte auch sein, dass die nicht enden wollenden Straßenbauarbeiten in der Stadt einen Anwohner in den Wahnsinn getrieben haben. Oder es war ein frustrierter Stadtrat, der die aalglatten aber nichtssagenden Erläuterungen von Huber im Bauausschuss über die Festhallensanierung endgültig satt hatte. Es könnte …«

»Halten Sie jetzt endlich den Mund. Ihr Zynismus geht mir allmählich auf die Nerven. Wir werden jetzt den Tatort untersuchen. Hoffentlich hat das Sauwetter noch einige Spuren zurückgelassen. Im Moment brauche ich Sie nicht mehr. Kommen Sie morgen zu mir ins Büro. Sie können jetzt nach Hause gehen und sich etwas Trockenes anziehen.«

Wie Becker bemerkte, hatte ich Huber nie ausstehen können. Er war einerseits die Verkörperung eines preußischen Beamten gegenüber seinen Mitarbeitern und etwaigen Bittstellern, die gerne einen Wintergarten bauen wollten, andererseits munkelte man in der Stadt, dass er gegenüber Immobilienmaklern und potenten Bauunternehmern eher eine orientalische Mentalität an den Tag leg­te. Aber was kümmerte mich überhaupt dieser Fall. Ich verabschiedete mich von Becker und lief Richtung Fort. Kurz vor der Eichbornstraße raschelte etwas im Unterholz. Ich strengte meine Augen an und entdeckte Kater Moritz, der gerade dabei war, einen Spatz zu verspeisen. Ich pirschte mich langsam und leise an den Vogelkiller heran. Zwei schnelle Schritte und meine Rechte erwischte ihn wie eine Schraubzwinge im Genick. Triumphierend blickte ich dem Ausreißerkönig in die Augen. Er fauchte wütend.

»Soll ich dich gleich in der Queich ertränken oder zu deinem senilen Frauchen zurückbringen, du Teufelsbraten!«

Er fauchte noch wütender und versuchte, mich mit seinen Krallen zu erwischen. Keine Chance. Ich hielt ihn fest in der Armbeuge.

»Wir können auch ein kleines Geschäft machen. Ich bringe dich zurück, kassiere die Belohnung und morgen machst du dich wieder vom Acker. Dein Frauchen ruft bei mir an, ich suche und finde dich und so weiter und so weiter. Du hast zwischenzeitlich deine Freiheit und ich werde zum hauptamtlichen Katzenfänger. Nicht mein Traumberuf, aber einträglich.«

Die Katze im Schwitzkasten und im ständigen Gespräch mit ihr ging ich Richtung Nordring, wo die alte Dame wohnte. Einige Passanten, die mir entgegenkamen, schauten mich etwas komisch an. Mein Auftrag war erledigt. Da es noch nicht elf Uhr war, hatte ich keine Skrupel den Kater sofort abzugeben. Die Alte würde mir dankbar sein, bezahlen und eine ruhige Nacht verbringen. So war es dann auch. Mit 250 Euro in der Tasche vergaß ich mein zerzaustes Äußeres und beschloss, noch einen Absacker zu nehmen. In meiner Stammkneipe würde keiner Anstoß an den nassen und dreckigen Klamotten nehmen.

Meine Stammkneipe ist keine dieser kurzlebigen, hochgestylten Inkneipen, die wie Pilze aus dem Boden schießen und zwei Jahre später wieder schließen, sondern eine seit Jahrzehnten bestehende Wirtschaft mit guten alten Holzbänken, einem riesigen Stammtisch und einem Wirt, der nicht abgeneigt ist, selbst für seinen Umsatz zu sorgen. Meine letzte gastronomische Heimstatt hatte ich verloren, weil mein geliebter Bembelwirt keine Lust mehr hatte, Leute wie mich nach zwei Uhr morgens mit Schorle oder Bier zu versorgen. Sein Nachfolger, ein recht ordentlicher Koch, stellte das Programm sowie seine Gäste auf exquisit um und ich verlor meinen angestammten Hort des Vergessens, Zechens und Debattierens. The times are changing.

Nach einem kurzen Fußmarsch erreichte ich die Kneipe mitten in der Stadt. Ich öffnete die Tür und musste erkennen, dass das Personal schon dabei war die Einnahmen des Tages zu zählen.

»N’abend. Bekomme ich noch ein schnelles Pils?«

»Oh je, Sturm draußen und drinnen. Muss das jetzt noch sein, es ist doch schon fast elf.«

»Wenn ich dir sage, dass ich gerade eine Leiche gefunden habe, mich mit Polizisten ordnungsamtsgleich herumärgern musste und eine Katze eingefangen habe, bekomme ich sogar ein Freibier – oder?«

»Mach keine dummen Sprüche und komm an den Tresen und trink in Gottes Namen dein Bier. Aber maximal noch zwei Gläser!«

»Du bist wahrhaft ein Schatz und meine Rettung in der dunklen, stürmischen Nacht. Mach mir gleich ein Großes.«

Ich nahm am Tresen Platz und zündete mir eine Zigarette an. Am Stammtisch waren bereits die Stühle hochgestellt. Dort saß ich gewöhnlich einmal die Woche in großer und die restlichen Tage in wechselnder kleiner Runde mit meinen engsten Vertrauten zusammen, um den Lauf der Welt zu bestimmen. Angefangen beim Papst und dem Kanzler bis hin zur Schluss-, Ende- und Ausanalyse des samstäglichen Fußballspiels von Kaiserslautern. Für letzteres waren meine Freunde wirklich kompetent, frönten wir doch alle einmal die Woche der hohen Kunst des Spiels mit dem Ball. Perfekt beherrschen wir das Spiel ohne Ball und sind sehr stolz darauf, zu gewinnen ohne unnötige Wege zu gehen. Im Fachjargon heißt dies: ausgeprägtes Stellungsspiel.

Mein Bier war fertig. Ich nahm einen kräftigen Schluck und bestellte das mir versprochene Zweite.

Mit nachdenklichem Blick auf den großen, ovalen Tisch belebte sich unsere illustere Runde. Da war Harry Spitz, ein herausragender Ergotherapeut und unbändiger Sturmtank, der durch Handauflegen Schwellungen heilt und Torhüter mit dem Ball ins Tor schießt. Georg W. Jäger, ein ostdeutscher Gastarbeiter mit fundierten Computer- und Geschichtskenntnissen, der sowohl Torwart als auch Linksaußen spielen kann, was unweigerlich auf seine Psyche schließen lässt. Andy Bach, der wegen seiner roten Haare auch Agent Orange genannt wird und im normalen Leben als Bauingenieur tätig ist. Dann ist da noch unser junger, italienischer Gigolo Amando, seines Zeichens Sohn meines Freundes Antonio, im Immobilienbereich tätig und fähig, die perfekte Blutgrätsche zu zelebrieren. Nicht zu vergessen Paul Theobald, verstoßener Saarländer, Psychologe, der zerrüttete Ehen rettet und sich auf dem Fußballplatz wie ein Handballer bewegt. Willi Topf, nomen est omen, genialer Koch und schwergewichtiger, ballverliebter Mittelfeldstratege mit Drang zum Tor. Seltener anwesend waren meine uralten Freunde Kalle Maurer, Musikagent mit weit reichenden Verbindungen und als Torwart unheimlich stark auf der Linie, sowie Tom Metz, ausgebildeter Winzer, tätiger Getränketechnologe und nicht mehr willens an einen Ball zu treten. Ab und an gesellt sich auch Hans-Georg, HG, Lustig zu uns, der als Chemiker nicht unerheblich zur Lösung des Falls im letzten Sommer beigetragen hatte.

Die Bedienung riss mich mit dem zweiten Bier aus meinen Gedanken und forderte mich auf, das erste auszutrinken. Ich tat wie befohlen und griff in meine Tasche, um meinen Geldbeutel herauszuholen. Plötzlich hatte ich den Zettel in der Hand, den ich Huber aus der Jacke gezogen hatte. Ich warf einen Blick darauf und verstand im ersten Augenblick nicht, was ich vor mir sah. Zahlenreihen, chemische Begriffe, Straßennamen, die ich nicht kannte, und das Wort »Grenzwerte«. Diese Sache hatte etwas mit Grundstücken zu tun und davon verstand ich nun einmal gar nichts. Ich musste es auch nicht, da ich mir sicher war, meine Kumpel Andy, HG, Tom oder Amando können mich spätestens am Dienstag, nach unserem Fußballspiel, darüber aufklären. Wofür hat man denn einen Tisch voller Experten in allen Lebenslagen. Ich steckte den Zettel wieder ein, trank mein zweites Bier aus und zahlte. Es war Zeit, den Rest der Nacht im Bett zu verbringen. Momentan leider alleine.

Ich kämpfte mich durch das ausgesprochene Sauwetter in Richtung meiner Wohnung. Bei diesem Wetter schickt man keinen Hund auf die Straße, dachte ich mir und musste mich auf der Stelle korrigieren. War da nicht noch einer unserer allseits geliebten Hilfsordnungskräfte auf der Pirsch. Unglaublich, kurz vor Mitternacht verschaffte er der Stadt noch einige Einnahmen. Es erwischte ein Auto, offensichtlich das eines saarländischen Studenten, der im eingeschränkten Halteverbot um diese Uhrzeit niemanden störte, niemanden den Parkplatz wegnahm und niemanden behinderte. Ich musste meinem Unmut Luft lassen.

 »Guten Morgen! Haben Sie ein persönliches Problem mit dem Fahrer dieses Wagens?«

»Lassen Sie mich meine Arbeit machen, das geht Sie gar nichts an.«

»Seien Sie bloß nicht so freundlich, als Vertreter der Stadtverwaltung! Was Sie hier gerade tun ist doch pure Willkür. Der Wagen stört doch niemanden!«

»Er steht im Parkverbot.«

»Im eingeschränkten Halteverbot, wir wollen doch genau sein.«

»Das ist doch völlig egal.«

»Nein, ist es nicht, gerade um diese Uhrzeit. Aber hier sieht man wieder, wie ernsthaft ihr Aushilfsgesetzesvertreter euren Job ausübt. Nennen Sie mir bitte einmal Ihren Namen und ich werde morgen mit Ihrem Chef über den Vorfall sprechen.«

»Ach, lassen Sie mich in Ruhe. Ich mache jetzt sowieso Feierabend.«

Durch den strömenden Regen trollte er sich und verschonte den armen Studenten. Eine Sturmböe fegte mir ins Gesicht. Dennoch hatte ich meine gute Pfadfindertat für heute getan. Klatschnass erreichte ich meine Wohnung, trocknete mich ab und verschwand im Bett.

Montag, 10. Oktober

Als ich gegen neun Uhr wach wurde, schüttete und stürmte es immer noch ununterbrochen. Die ganze Nacht hatte der Sturm den Regen gegen mein Fenster gepeitscht. Das Wetter machte eindeutig depressiv. Ich hatte keine Lust auch nur einen Schritt aus meinem Bett zu gehen, geschweige denn, die Wohnung zu verlassen.