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Wolfgang W. Liebelt

Der Chagall-Code





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

1. Vorwort

Geheimnisse konnten schon immer am besten verborgen werden, wenn man sie ganz selbstverständlich vor den Augen der Öffentlichkeit platziert, so auch im Fall der Chagall-Fenster im Fraumünster in Zürich.

 

Es ist oft angesprochen und in zahlreichen Publikationen thematisiert worden, dass Chagall chassidischer Jude war, einer der Chassidim, der „Frommen“; für die Interpretation der Fraumünster-Fenster wurden daraus meines Wissens jedoch keine Schlüsse gezogen – und doch liegt genau darin der Schlüssel für die verborgene Botschaft der Fenster.

2. Der Chassidismus

Gegründet wurde diese mystische Strömung des Judentums von Israel ben Elieser (1700 – 1760), später „Baal Schem Tov“ genannt, also „Herr des guten Namens“. In unserem Zusammenhang ist wichtig zu wissen, dass es sich bei ihm um einen kabbalah-kundigen Magier und Heiler gehandelt hat. Bescht, so die Kurzform, war also ein Eingeweihter.

 

Im Chassidismus spielt die Schekhinah, die welteinwohnende göttliche Weisheit, wie auch die Kabbalah als Ganzes eine zentrale Rolle. Die Schekhinah „bewohnt“ gemäss kabbalistischer Auffassung Malkuth. Malkuth ist die zehnte Sephirah des Etz Chaim, des kabbalistischen Lebensbaums. Damit haben wir eine perfekte Überleitung zur Kabbalah.

3. Die Kabbalah

Bezüglich der Kabbalah soll in diesem Kapitel nur auf die für die Betrachtung der Fenster grundlegend relevanten Aspekte eingegangen werden. Weitere, detailliertere Informationen werden an passender Stelle im Rahmen der Besprechung der einzelnen Fenster gegeben.

 

Die zentrale Ikone der Kabbalah und damit des Chassidismus ist der erwähnte Etz Chaim, der Lebensbaum. Er besteht aus zehn Sephiroth und der Nicht-Sephirah Daath. Die Sephiroth verteilen sich auf drei Säulen:

 

 

Verbunden sind die 10 Sephiroth durch 22 Pfade, die den 22 Buchstaben des hebräischen Alphabets entsprechen.

Aus dem Ain Soph, der Unendlichkeit, wird in Kether, der obersten Sephirah, der Schöpfungsstrahl initiiert, der wie ein Blitz im Zickzack den Baum hinunterfährt und nacheinander die Sephiroth energetisiert, bis er schliesslich Malkuth, die unterste Sephirah erreicht. Das ist der Prozess der Involution.

 

Der umgekehrte Weg beginnt in Malkuth, der Welt der Menschen und endet in Kether. Das ist der Prozess der Evolution, der spirituelle Aufstieg von „Menschen des Weges“ in die göttliche Gegenwart. Der Aufstieg erfolgt über die Mittelsäule und die darauf liegenden Sephiroth Jesod und Tiphereth sowie die Nicht-Sephirah Daath bis zu Kether. Um ein „Mensch des Weges“ zu werden, muss er den göttlichen Funken der Schekhinah in sich wahrnehmen und so aus dem Alltagsschlaf aufwachen.