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Über den Autor:

Dr. Uwe Boll, geboren 1965 in Burscheid bei Köln, promovierter Literaturwissenschaftler und Wahl-Kanadier, schrieb zunächst Filmkritiken, drehte Kurzfilme und produzierte seine ersten Spielfilme, bevor er sein Heimatland Deutschland verließ, um in den USA sein Glück zu suchen. Einem breiten US-Publikum wurde er durch „Postal“ bekannt, eine böse Satire über die Attentate von 9/11. Nach über 30 Jahren im Filmgeschäft beendete Boll im Herbst 2016 mit der Gewaltorgie „Rampage 3“ seine Karriere. Heute besitzt und führt er gemeinsam mit seiner Frau das Restaurant „Bauhaus“ in Vancouver/Kanada.

 

 

 

 

 

Uwe Boll

 

 

Ihr könnt
mich mal!

 

 

 

Vom Kurzfilmer in Burscheid
zum meistgehassten
Regisseur Amerikas

 

 

 

 

KICK Verlag

 

 

 

 

 

„Wenn du aus Deinem Leben etwas machen willst,

musst Du etwas tun. Es ist völlig unwichtig, was Du machst,

aber das, was Du tust, musst Du aus vollem Herzen tun!”

 

Woodrow Parfey in STAY HUNGRY

USA 1976, Regie: Bob Rafelson

 

Prolog

Warum schreibt jemand etwas? Diese Frage steht am Anfang meiner Biografie, ich stelle sie mir, während ich diese Worte in meinen Computer tippe.

Mehrere Journalisten haben schon Bücher über mich geschrieben und tagelang Interviews geführt, und keines dieser Bücher ist veröffentlicht worden, mit Ausnahme eines in Italien (schade, dass ich nicht verstehe, was drin steht). Es scheint also so zu sein, dass sich Verleger einen Scheiß für mich interessieren. Auch mein Buch über meine Kindheit und Jugend mit dem Titel „Der Gang über die Gräber“ ist nie erschienen, und ich fürchte, dass ich heute gar nicht mehr in der Lage bin, so echt zum Ausdruck zu bringen, was ich damals erlebt und empfunden habe.

Auch wenn meine Jugend nicht wirklich schwierig war und auch nicht spektakulär oder gefährlich, war ich über weite Strecken unglücklich und sah mich scheitern und im Nirwana enden. Einen großen Anteil an dieser Unzufriedenheit hatte mein Wunsch, unbedingt Filmregisseur werden zu wollen, und dieser Traum schien so unmöglich, dass ich die ganze Zeit schlecht drauf und neidisch auf andere war. Hinzu kam, dass ich dunkle Filme liebte, die unsere Gesellschaft oder die Probleme der Welt negativ durchleuchteten. Sehr stark wurde ich von Orson Welles und Stanley Kubrick geprägt, später von Scorsese, Coppola, Sergio Leone, Oliver Stone und John Ford. Alles Regisseure, die nicht unbedingt Gute-Laune-Filme lieferten. Ich liebte und liebe Filme wie APOCALYPSE NOW und Der Pate, aber auch French ­Connection, Taxi Driver und und und …

Als wir in der Schule die Autobiografie MARS von Fritz Zorn lasen, wurde ich richtiggehend depressiv und ging davon aus, wie der Protagonist des Buches von meinen „verschluckten Tränen“ Krebs zu bekommen und zu verrecken. Mein Kumpel und Partner der Bolu Filmproduktions- und Verleih GmbH, Frank Lustig, empfand dasselbe. Es war gut, schon zu Schulzeiten jemanden zu haben, der dieselben Ziele und Träume hatte wie ich. Wir waren quasi eine Arbeits- und Leidensgemeinschaft, denn wir hatten beide keinen Kontakt zur Filmbranche.

Trotzdem habe ich es geschafft. Und lebe immer noch. Und nun sitze ich hier und denke über mein Leben nach.

Welches ist die richtige Struktur für eine Autobiografie? Soll ich alles chronologisch erzählen? Das Leben als Ansammlung von Fakten? Definiere ich mich über meine emotionale Biographie oder über meinen Berufsweg? Ich werde versuchen, alles, was passiert ist, in Kapitel zu packen und so unterhaltsam und ausführlich, aber auch so kurz und prägnant wie möglich zu erzählen. Wer nur an meinem Leben als Regisseur Interesse hat, kann die betreffenden Kapitel lesen und den Rest zum Anzünden der Grillkohle benutzen.

 

Ein letztes Wort, bevor es losgeht: Wie bei mir üblich, wird nichts Wichtiges weggelassen, und niemand wird verschont, weder irgendwelche Leute noch ich selber. Ein Buch hat nur einen Wert, wenn es aufrichtig ist und auch weh tut.

 

1. Aller Anfang ist schwer bzw. scheiße

Wer bin ich wirklich?

Ich bin der sportliche, erfolgreiche, humorvolle Junge aus einer Mittelschichtsfamilie im beschaulichen Bergischen Land, der es zum Doktortitel und zu einer beispiellosen Karriere als Filmregisseur, Autor und Produzent gebracht hat. Mit über dreißig internationalen Filmen als Regisseur und Produzent und mit einem Produktionsvolumen von rund 500 Millionen Dollar, mit dem Einsammeln via Filmfonds von über 270 Millionen Euro, mit dem Börsengang am Entry Standard in Frankfurt, mit der Gründung einer film sales agency, die über 5400 Verkaufsverträge bis heute gemacht hat – all damit habe ich Dinge geschaffen und bewegt wie kaum jemand anderes, der in einer ähnlich gearteten Situation starten musste: eben ohne Geld oder Beziehungen von Eltern, Verwandten oder Bekannten. All das entstand komplett aus mir selbst heraus – einem Burscheider Jungen, der mit zehn Jahren beschloss, Regisseur zu werden. Meine Filme laufen in allen Ländern der Welt, oft im Kino, immer auf DVD und im TV.

Ich bin aber auch der unter Hüftarthrose leidende, rabiate, aggressive, ungeduldige, zynische Neidhammel, der nie zufrieden ist und den es ankotzt, nie von der Filmkritik, der Hollywood-A-Liga oder der deutschen Filmförderung anerkannt worden zu sein. Der nie von einem Hollywoodstudio für einen Regiejob eingestellt wurde oder bei A list festivals einen Preis bekam. Ich bin einer der meistgehassten Regisseure aller Zeiten und habe tausende von Kritiken, Emails und Blogs erhalten, die mir den Tod wünschen.

Man muss eben alles von verschiedenen Seiten sehen, um ein umfassendes Bild zu erhalten.

Geboren bin ich in Wermelskirchen am 22. Juni 1965 im Rheinisch Bergischen Kreis, aufgewachsen in Burscheid. Grundschule Dierath, Gymnasium in Leverkusen (zuerst Ina-Seidel-Schule, dann Werner-Heisenberg-­Gymnasium). Meine Mutter, Erna (wurde aber von allen nur Erni genannt), war Hausfrau, mein Vater, Manfred, arbeitete als Chemo­­techniker bei Bayer Leverkusen. Ein Bruder: Stefan – viereinhalb Jahre älter. Wie bei dem Altersunterschied zu erwarten, habe ich bei Auseinandersetzungen mit ihm den Kürzeren gezogen. Einmal habe ich sogar ein Messer nach ihm geworfen und er hat es mit einem Stuhl abgewehrt. Wir haben aber auch schön miteinander gespielt: zum Beispiel Kullern im Flur. Die Türen waren die Tore, und es ging drum, kniend per Hand einen Tennisball brutal ins Tor zu knallen. Oder Tischtennis, Fußball, Handball, Squash, Tennis, Laufen. Unsere Duelle waren immer hart, und je älter ich wurde, umso mehr Siege konnte ich verzeichnen.

 

 

Erste Filmerlebnisse

Meine Kindheit und Jugend war geprägt vom Sport – und vom Filme ansehen.

In Burscheid gab es ein Filmtheater, das jeden Sonntag in der Matinee Klassiker zeigte – für eine Mark Eintritt. Schon mit sechs Jahren ging ich alleine ins Kino und sah BEN HUR und DR. SCHIWAGO, aber auch GODZILLA und vieles mehr. Den Jungen in der Nachbarschaft erzählte ich dann die Filmstories, und sie alle waren fasziniert, dass ich die Filme tatsächlich anschauen durfte. Das Burscheider Kino ging pleite, als ich 10 war – von da an musste ich mit dem Bus nach Leverkusen-Opladen fahren, um Filme im Scala Kino sehen zu können. Heutzutage lassen Eltern ihre Kinder nicht mal alleine um den Block gehen. Früher hatte man nicht solche Angst, dass etwas passieren könnte.

Die Eltern meiner Mutter (Oma Sophie und Opa Karl) starben, als ich noch sehr jung war, genau wie August, der Vater meines Vaters. Aber seine Mutter, Oma Hertha, wurde 82 und lebte direkt bei uns um die Ecke. Fast jeden Samstag übernachtete ich bei ihr, und das war klasse, denn ich war ganz scharf darauf, in der ARD den Western um 22 Uhr zu schauen. Und sie ließ mich, obwohl ich erst 10 Jahre alt war! EL DORADO, RIO BRAVO, WINCHESTER 73, DER MANN, DER LIBERTY VALLANCE ERSCHOSS und und und … das waren tolle Zeiten. Regelmäßig mähte ich ihren Rasen und bekam zehn Mark dafür, und sie spielte in meinem ersten Film GERMAN FRIED MOVIE (1991) mit und ist sogar auf dem Poster des Films mit der Patriot Abwehrrakete in der Hand zu sehen. Oma Hertha starb an Darmkrebs ein paar Jahre später – zuhause. Sie hatte sich einer Operation verweigert und starb unter großen Schmerzen, genau in der einen Woche, in der ich mit Frank Lustig in Kuwait war, um Geld für ICH WAR SADDAMS SOHN zu akquirieren. Ich hatte meiner Oma noch vor dem Abflug gesagt, sie solle sich „wacker halten“. Meine Mutter war bei ihrem Tod bei ihr.

Wenn ich 20 Jahre später in Interviews gefragt wurde, ob es einen besonderen Film gab, der meinen Wunsch, Filmregisseur zu werden, ausgelöst hatte, sagte und sage ich immer: MEUTEREI AUF DER BOUNTY mit Marlon Brando. Ich dachte mit 10 Jahren, dass man als Film­regisseur alle Abenteuer, die in einem Film zu sehen sind, auch irgendwie selbst erlebt. Und da war natürlich der Film super: Strand, Boote, Action, schöne Frauen … Ob es wirklich dieser Film war? Keine Ahnung. Aber irgendetwas muss man ja sagen.

 

 

Gott, Religion und Kirchen

Gott gibt es nicht! Mehr ist dazu nicht zu sagen.

Naja … so kurz mache ich es dann doch nicht. Sagen wir es also so: Es gibt nichts, was dafür spricht, dass es einen Gott oder mehrere Götter gibt. In den letzten Jahrhunderten sind durch Empirie, Naturwissenschaften – kurz: durch Fakten – schon extrem viele Glaubenssätze (wie: die Erde ist eine Scheibe) widerlegt worden, und mit zunehmender wissenschaftlicher Aufklärung werden irgendwann die letzten Wunder und Mysterien erledigt sein. Da der Mensch aber sehr emotional aufgebaut ist, wird es immer Religion, Sekten und allerlei Kulte oder Dinge geben, die einerseits den Menschen ausnutzen und ausnehmen, gleichzeitig den Menschen aber auch Halt und Trost geben.

Wie Marx so schön sagte: „Religion ist Opium für das Volk!“ Wie wir wissen, hilft Opium bei Schmerzen und kann von ihnen ablenken, und genau so ist Religion. Kirchen haben in der Geschichte unglaubliche Verbrechen begangen, gleichzeitig sind sie heute in der Gesellschaft verankert und haben eine Vielzahl von sozialen Diensten übernommen, die vielen Menschen helfen. Eine Enteignung der Kirchen macht nur Sinn, wenn der Staat anschließend die sozialen Dienste besser und / oder preiswerter anbieten kann bzw. zur Verfügung stellt.

Trotzdem: Wie bescheuert muss man eigentlich sein, um einem Gott, Allah oder einem Sektenführer hinterher­zulaufen? Wenn es einen Gott gäbe, bräuchte er uns sicherlich nicht. Ich halte alle tief religiösen Menschen (inklusive Scientologen wie Tom Cruise, John Travolta oder Will Smith) für komplett bescheuert. Das alte Sprichwort „Was Du nicht willst, was man Dir tu, das füg auch keinem anderen zu!“ reicht vollkommen aus, um positiv und mit einer guten Moral durchs Leben zu gehen. Wer mehr darüber wissen will, was ich zu dem Thema denke, sollte sich meinen Film POSTAL anschauen.

 

 

Kino statt Kirche

Nach meiner Konfirmation trat ich aus der Kirche aus. Die 2400 DM, die ich bei der Konfirmation einstrich, nutzte ich für eine Stereoanlage und ein CIAO Mofa, welches 50 Stunden­kilometer schnell fuhr, weil mein Kumpel Peter Kiebel es aufgebohrt hatte. Die Polizei hielt mich mehrfach an, konnte aber nie was finden. Durch das Mofa war ich in der Lage, nicht nur zur Schule zu fahren, sondern auch zum Scala Kino in Opladen und zum Ufa-Palast in Köln. Ich fälschte meinen Schülerausweis, sodass ich mit 15 schon in Filme gehen konnte, die ab 18 freigegeben waren. Ich sah von FREITAG DER 13. und MUTTERTAG bis MAN EATER alles im Kino, was blutig war, aber auch Klassiker wie WILDE ERDBEEREN von Ingmar Bergmann, in den ich einen meiner (bis heute) besten Freunde, Jens Peter Willms, mitnahm und er fast einschlief und mich hinterher anmotzte, in was für eine Scheiße ich ihn schleppen würde.

Ich war nie ein guter Schüler und an den meisten Fächern nicht interessiert. Biologie, Mathe, Chemie … von einer langweiligen Scheiße zur nächsten. Gut ging es mir nur beim Sport, bei den Sozialwissenschaften und manchmal auch in Deutsch oder Geschichte. Nach der sechsten Klasse wollten mich die Lehrer auf die Realschule schicken, da ich aber zur Uni wollte, bestand ich darauf, auf dem Gymnasium zu bleiben. Viele Schuljahre hatte ich eine 5 in Englisch und wäre beinahe sitzengeblieben, doch ich schaffte es immer wieder, durchzukommen und machte schließlich das Abitur mit einem Schnitt von 2,9.

Drei bis vier Mal in der Woche ging ich zum Handballtraining und spielte in Hilgen, Wermelskirchen und später in Bergisch Gladbach und Bergisch Neukirchen. Ich kämpfte mich von der Kreisliga bis in die Oberliga und verdiente mir immer ein paar hundert Mark im Monat dazu, als Spieler oder später Spielertrainer. Mit 18 oder 19 ging ich zusätzlich zu Bayer 04 Leverkusen in die Boxabteilung, trainierte über viele Jahre und machte hunderte Sparringskämpfe und ein paar richtige Kämpfe. In der Zeit zwischen meinem zwanzigsten und achtundzwanzigsten Lebensjahr war ich topfit: 100 Meter unter zwölf Sekunden, 160 einarmige Liegestütze, 50 Klimmzüge – alles kein Problem. In jedem Sport war ich sehr schnell und dynamisch, aber auch immer klein und technisch nicht perfekt. In meinem ersten Boxkampf hatte ich mit meinen 1,74 Metern Größe einen 1,92 Meter Gegner, der mich anderthalb Runden komplett ausboxte, dann aber eine volle Rechte von mir fing und aus dem Ring in die Zuschauer fiel und fünf Minuten bewusstlos blieb.

Ich gewann alle meine Kämpfe – auch wenn es nur ein paar waren. Da wir tolle Trainer hatten, kamen super Kämpfer wie der Weltmeister Felix Sturm aus unseren Reihen, und später machte ich auch eine Box-Doku über meine Boxabteilung mit dem Titel BOXEN, in der man mich auch selber beim Sparring sehen kann.

 

 

Erste Kurzfilme

Meine ersten Filme drehte ich mit einer alten Super-8-­Kamera – zumeist Szenen, in denen ich Action-Team-­Figuren verbrannte oder Revell-Schiffe in die Luft sprengte. Weil auch mein Klassenkamerad Frank Lustig Filme drehen wollte, hatten wir immer was zu bereden, und wir stärkten uns gegen­seitig. Wir starteten eine Lebenslauf-Doku, wollten 25 Leute über fünf Jahre immer wieder filmen – aber wir machten das Ding nie fertig. Dafür drehten wir einige Kurzfilme, so zum Beispiel Franks Film LEBERWURST und meinen Film SELBSTMORD. Aber damals war alles noch unprofessionell, weil wir auf S-VHS, VHS, BETA MAX oder VIDEO 2000 drehten. Meine Box-Doku oder meinen Film TOD (im Prinzip Dokumaterial von Unglücken, Schlachtungen, Kriegen) drehte ich mit meiner JVC S-VHS Kamera, daher war all das Zeug nie wirklich auswertbar.

Frank und ich wussten, wenn wir irgendwas filmen wollten, das wirklich sendbar war, dann mussten wir auf 16- oder 35-Millimeter-Film oder auf BETA SP drehen – und das war teuer. Franks Vater hatte mehr Geld als meine Eltern, daher konnten sie ihn besser unterstützen, aber dafür sparte ich seit frühester Jugend überall, wo ich konnte. Ich hielt mein Taschengeld zusammen, verdiente Geld beim Rasenmähen, arbeitete in den Schulferien und auch später in den Semesterferien (zum Beispiel im Gartenbau, bei Franks Vater auf dem Bau, bei Mannesmann und später bei Bayer Leverkusen) und spielte Handball gegen Geld. Als 15jähriger fuhr ich oft mit meinem Bonanza-Fahrrad durch Burscheid, sammelte Pfandflaschen und brachte sie zum Supermarkt. Das Scala Kino in Opladen gab einen Kinoprogramm-Zettel bei mir in Auftrag, den ich jede Woche neu erstellte und im Kino und einigen Kneipen auslegte. Dafür bekam ich 50 DM im Monat und Kinofreikarten. Auf die Rückseite des Zettels, den mein Vater bei Bayer Leverkusen kopierte, druckte ich Werbung und bekam freies Essen beim Wurstmaxe in Opladen, dem Restaurant Tomate in Lützenkirchen und einer Pizzeria in Burscheid. Ich war schon früh clever, wenn es ums Geld ging, und ich entwickelte oft ertragreiche Geschäftsideen, die mir Kapital für meine Filme einbrachten.

Trotzdem gab ich auch Geld aus, zum Beispiel für meine Schallplattensammlung. Ich hatte fast alles von Thin Lizzy, Deep Purple, Rainbow, Manfred Man, Supertramp, Bruce Springsteen, Jethro Tull, Yes und Billy Joel.

Ich lernte im Filmhaus Köln eine 16 mm Kamera und einen Schneidetisch zu bedienen, und so ging es langsam, aber stetig in die richtige Richtung. Parallel machte ich beim Burscheider Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) meinen Zivildienst als mobiler sozialer Hilfsmann, und der Verdienst mit rund 700 DM im Monat war für meine damaligen Verhältnisse gar nicht schlecht.

Zu dem Zeitpunkt hatte ich auch mein erstes Auto gekauft (nachdem ich Vollidiot zweimal durch die praktische Fahrprüfung gefallen war – wegen zu schnellen Fahrens), es war ein himmelblauer VW-Käfer. Der Winter kam, und meine Reifen waren komplett abgefahren, und da der Käfer keine richtige Heizung hatte, sah ich fast nichts, wenn ich fuhr. Eines Tages rutschte ich direkt bei der Polizei um die Ecke in die Hauswand, und der Polizist schaute aus dem Fenster auf meine Schrottkiste und teilte mir mit, dass er mein Auto stilllegen wird, wenn ich nicht innerhalb von zwei Stunden Winterreifen aufziehen würde. Ich fuhr zum Schrottplatz und zog nur zwei Winterreifen auf, auf der Seite, die der Polizist aus dem Fenster betrachten konnte. Ich lag goldrichtig: Er war zu faul, um raus in den Schnee zu kommen und schaute stattdessen wieder nur aus dem Fenster. Er sah die zwei Reifen und dachte natürlich, ich hätte vier neue Reifen drauf – sein Daumen zeigt nach oben, und ich konnte weiterfahren. Nur eine Woche später fror mein Gaspedal fest, als ich das Auto anließ, und anstatt das Auto sofort wieder auszumachen, versuchte ich das Pedal mit der Hand zu lösen. Da der Motor zu hoch drehte und noch kalt war, gab es einen Kolbenfresser, und es war aus. Ich bekam noch 100 DM für die Kiste vom Schrottplatz und hatte 800 DM dafür bezahlt.

Mein nächstes Auto war ein roter VW Golf – den ich dann fünf Jahre fuhr.

 

 

Filmkritiken und Filmförderung

Zwischen meinem fünfzehnten und fünfundzwanzigsten Lebensjahr las ich hunderte Bücher über das Filmemachen und schrieb etwa 8000 kurze Filmkritiken: Ich schnitt die jeweilige Programmankündigung aus der HÖRZU aus, klebte sie in ein Buch, benotete sie nach dem Schulnotenprinzip und schrieb einen oder zwei Sätze zu jedem Film. Ich schrieb Mini-Filmkritiken für die BÄCKERBLUME und schaffte es sogar, einige meiner Texte an das Radio (WDR und Deutsche Welle) für 250 DM pro Beitrag zu verkaufen. Kurzerhand ernannte ich mich selbst zum Journalisten und interviewte Bernd Eichinger, Uli Edel (zu LETZTE AUSFAHRT BROOKLYN) und Bo Derek. Mit einem Freie-Mitarbeiter-Ausweis vom WDR und einem falschen Presseausweis schaffte ich es in ganz Köln kostenlos ins Kino, und ich besuchte regel­mäßig Filmpremieren. Das war die Zeit von MANTA MANTA und Helge Schneider. Ich schrieb um die zwanzig Dreh­bücher, stellte Film­förderanträge und reichte die Bücher beim TV ein. Natürlich gab es damals – berechtigterweise – nur Absagen.

 

In den Jahren, als ich noch auf Anerkennung durch die deutsche Filmbranche hoffte, lernte ich es auf die harte Tour, dass man Nullkommanull Chancen hat, eine Filmförderung oder einen TV-Deal zu bekommen, nur weil man eine gute Idee hat. Zuerst muss man eine Beziehung zu den Gremien aufbauen und mit ihnen sprechen (also im Endeffekt ihnen in den Arsch kriechen), damit diese überhaupt den Antrag lesen und nicht direkt eine automatische Absage generieren. Im Jahr 2014 versuchte ich noch einmal, mit RTL über ein Projekt zu sprechen (eine Saga über die Bauernkriege nach dem Comic HAUPTMANN VEIT) und bekam einen Termin bei der leitenden Redakteurin Barbara Thielen. Sie hörte zu und ich fuhr wieder ab. Als ich nach zwei Wochen nachfragte, wie es nun weiterginge, erfuhr ich, dass sie ihren Abschied vom Sender nahm. Sie schrieb mir dann aber noch: Wir hätten das Projekt sowieso niemals mit Ihnen gemacht … Endlich mal eine ehrliche Antwort. Es hatte sich also in 20 Jahren nichts geändert: Noch immer entscheiden nicht die Ideen, was gedreht wird, sondern WER was drehen will.

 

Nach dem Zivildienst wollten Frank und ich endlich unseren ersten richtigen Film drehen. Wir hatten einen Kameramann aus der Bayer-Werbefilm-Abteilung überzeugt, für uns die Kamera zu machen und das Equipment mitzubringen. Kurz vor dem Start sprang Frank ab, weil er den Eindruck hatte, der Film wäre im Endeffekt nur mein Film. Er hieß WICHSER DER WELT und war in der Tat meinem Geiste entsprungen. Es war ein typischer Boll: Ein isolierter junger Mann scheitert und läuft Amok. Der Film kam dann nicht zustande, und das war auch besser so. Ich drehte stattdessen auf meiner VHS Kamera den Film komplett alleine – mit mir als Hauptdarsteller. Gut, das wir dafür kein Geld aus dem Fenster geschmissen haben.

Und was bleibt von diesen Jahren? Vor allem ein Gefühl: Die Zeit zwischen meinem 16. und 21. Lebensjahr war deprimierend. Ich las, schrieb, machte Sport und wartete auf die Zukunft. Aber war da eine Zukunft? War da eine Perspektive, jemals richtige Filme machen zu können?

 

 

Auf der Suche

Ich machte mit meinem Schulfreund Uwe Gillessen eine Fahrradtour nach England, und wir fuhren am ersten Tag über 100 km mit unseren vollgepackten Dreigang-Rädern und hatten schon nach drei Tagen derart die Schnauze voll, dass wir die Räder wieder nach Hause schickten und mit dem Bus weiterfuhren. Das nächste Mal, auf einer Interrail-Tour durch ganz Europa, starteten wir zu viert: Frank, Uwe, Dietmar und ich. Nach einer Woche brach unsere Gruppe aus­einander. Frank verbrannte sich in der Sonne und musste in Portugal ins Krankenhaus, Uwe wollte alleine weiterreisen. Ich blieb mit Dietmar alleine zurück.

In Portugal am Strand wollten uns Jugendliche aus­rauben, und nur durch die Hilfe von anderen Zeltlern aus Hamburg kamen wir davon. Ich bekam ein Geschwür an der Lippe und konnte kaum noch sprechen (musste später aufgeschnitten werden – eine Scheiße), bekam dazu noch eingewachsene Pickel, die anschwollen und mir bis heute Probleme machen. In Dietmars und meinem Zelt brach die Zeltstange und wir schliefen mit der Zeltwand in der Fresse, aßen vorrangig Ravioli aus der Dose, und als wir zwei Mädchen kennenlernten, konnten wir uns nicht einigen, wer welche wollte. Wir saßen am Lagerfeuer, eines der Mädchen sagte, sie ginge ins Zelt, um zu schlafen. Ich deutete Dietmar an, er solle hinterhergehen, denn ich wollte die andere. Er aber auch. So blieben wir beide eine Stunde am Feuer sitzen, bis die andere auch ins Zelt ging. Und so kriegte keiner von uns irgendein Mädchen. Erst wollten wir uns die Fresse polieren, aber dann legten wir uns doch hin, und der Käse war gegessen.

Am letzten Abend mussten wir in Paris vor dem Bahnhof schlafen, weil unser Zug schon weg war und der Bahnhof über Nacht abgeschlossen wird. Ich hatte meinen Fotokoffer unter dem Arm, und urplötzlich merkte ich, wie ein Arschloch dran zog und versuchte, ihn mir unter dem Arm wegzustehlen. Ich kroch aus meinem Schlafsack, durch mein Geschwür im Fieberwahn, aber machte ihm unmissverständlich klar, dass ohne Kampf bei mir nichts zu holen ist. Er haute ab.

Kurz nach einem Kreuzbandriss im Knie fuhr ich mit Dietmar und Jens Peter Willms in die Ferienwohnung von Jens‘ Eltern nach Spanien. Wir fuhren 2200 Kilometer durch und kamen nach rund 25 Stunden komplett am Ende an. Dietmar fuhr die letzten 8 Stunden und hatte schon Halluzinationen. Der Passat verbrauchte 30 Liter auf 100 km, wegen Willms Surfbrett auf dem Dach. Wir fuhren immer so schnell es ging, auch wenn nur 100 Stundenkilometer erlaubt waren. Dieser Trip war für uns alle extrem negativ, weil wir alle frustriert waren und keine Freundinnen hatten – und ich konnte nur auf Krücken rumlaufen. Um Geld zu sparen, aßen wir die Konservendosen, die in der Wohnung waren, darunter eine Gulaschsuppe, die seit acht Jahren abgelaufen war. Einmal ließ Dietmar sein Gesicht in den Spaghetti-Teller fallen, ein anderes Mal schmissen wir Kleingeld vom Balkon zu den Kindern vor dem Haus, die daraufhin an unserer Wohnungstür klingelten und mehr Geld wollten. Willms surfte raus und kam nicht wieder. Ein Boot brachte ihn nach Stunden zurück. Ein Hütchenspieler nahm mir 150 DM ab (davon 100 von Willms, der mir zu seinem Schaden blind vertraute) – aber unsere große Stunde auf dem illegalen Markt kam, als die Polizei anrückte und alle Händler panikartig abhauten. Wir klaubten mehrere Trainingsanzüge von der Straße – billige Lacoste-Kopien – und rannten weg. Ich quasi auf einem Bein mit den Krücken in der Hand. Nachts war uns so langweilig, dass wir Melonen aufschnitten und diese volle Pulle durch die offenen Fenster in die Häuser anderer Leute schmissen. Eine riesige Sauerei.

 

 

Kohle für den Film

Frank studierte Kommunikationswissenschaften in Essen und schrieb für das Filmecho, und ich bewarb mich bei den Filmhochschulen (damals gab es nur Schulen in Berlin, München und Wien), während ich parallel für ein ganzes Jahr bei Bayer Leverkusen arbeitete und jeden Tag zum Box-Training ging.

 

Die Bewerbungen bei den Filmhochschulen waren sehr aufwendig, denn man musste nicht nur Schriftproben abgeben, sondern auch kleine Filme drehen und Fotos machen. Ich machte in Burscheid eine Fotostory über einen Überfall auf ein Juwelengeschäft und drehte kleine Kurzfilme auf Video. Aber auch da galt dasselbe wie bei der Filmförderung und den TV-­Sendern: ohne persön­liche Kontakte – keine Chance.

In Wien blieb ich fast vier Wochen, denn ich war zumindest zum Interview eingeladen und fiel dann durch. Nur der Professor für Technik wollte mich und bot mir an, als Gasthörer zu bleiben, aber mir gefielen die anderen Studenten nicht. Ich mag keine ­Menschen, die sich als Künstler aufspielen.

Ich fuhr nach München und sprach mit Prof. Oswald von Richthofen von der Münchner Filmhochschule, und er bot mir ebenfalls an, als Gasthörer dazubleiben, aber nach einer Woche und einem Arbeitstag an einem Abschlussfilm mit dem brandneuen Titel ­BONNIE UND CLYDE gab ich auf. Die Leute waren mir zu doof, und im Übrigen hatte auch niemand für mich etwas zu tun. Die Regisseurin kam mir schon nach einem Tag als vollkommen unfähig vor. Sie lag meistens am Set auf der Erde und sprach mit sich selbst. 20 Jahre später erzählte mir mein Stamm-Kamera­mann Mathias Neumann, dass er einen TV-Zweiteiler in der Türkei drehte und die Regisseurin vollkommen unfähig sei. An einem Drehtag habe sie kleine Steinchen sortiert, die auf der Erde lagen und ihrer Meinung nach so nicht ins Motiv passten. Mathias sagte ihr, dass der Drehort 500 Meter weg ist und sie quasi sinnlos auf dem Parkplatz auf der Erde rumkrabbelt. Als er mir die Geschichte erzählte, dachte ich mir, dass das vielleicht dieselbe Regisseurin gewesen war. Was im deutschen Fernsehen stellenweise für lebensuntüchtige Voll­idioten arbeiten, passt auf keine Kuhhaut.

 

Ich gab einen Videokurs und Fußballkurs im Jugendhaus Bunker in Leverkusen, erteilte Deutsch-Nachhilfe in einem Spätaussiedlerheim in Burscheid und schrieb für die Wochenpost. Mit 22 Jahren wurde ich dann der Sportchef des neugegründeten Radiosenders Radio Leverkusen.

Zu diesem Zeitpunkt fing ich auch damit an, Buchkritiken und Videokritiken zu veröffentlichen, und das brachte mir die Möglichkeit, von den Verlagen Bücher und DVDs als Rezensionsexemplare kostenlos zu bekommen. Diese Möglichkeit nutzte ich über 15 Jahre.

Zur gleichen Zeit kam Frank und mir die Idee, einen Film im Stil von KENTUCKY FRIED MOVIE zu drehen, also eine Gag-Kompilation. Wir schrieben beide am Buch, doch wir schrieben nicht zusammen, aber lasen jeweils, was der andere geschrieben hatte und überlegten gemeinsam, wie man es mit kleinem Budget umsetzen könnte. Manchmal brachten wir neue Ideen in die Szenen des anderen ein. Am Ende hatte jeder etwa 40 bis 50 Seiten verfasst, und wir grübelten, wie man die verschiedenen Szenen zu einem ganzen Film zusammenführen könnte. Auch später am Set führten wir beide Regie, ich bei meinen Szenen und Frank bei seinen Szenen. Der Vorteil war, man konnte ver­schiedene Schauspieler zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten filmen, dabei die Drehtage Szene für Szene planen und dann den Film über einen längeren Zeitraum fertig bekommen.

Der WDR-Hörfunk berichtete über uns und rief Schauspieler und Crew-Mitglieder auf, sich bei uns zu bewerben, und so fanden wir unseren Kameramann Richard Eckes und auch Volker Rodde, der uns sein 35-mm-Equipment auf Rückstellung überlassen wollte. Unser Film sollte ­GERMAN FRIED MOVIE heißen und sollte etwa 60.000 DM kosten. Rund 40.000 DM hatten Frank und ich durch unsere Arbeit in den Jahren vorher erspart, daher überlegten wir uns, noch ein paar Investoren zusätzlich zu finden. Tatsächlich meldete sich nach dem Radiobericht ein Investoren­brief, der uns dann vier Investoren mit insgesamt 30.000 DM brachte.

Wir beschlossen, eine GmbH aufzumachen. Dazu mussten wir 25.000 DM Stammkapital vorweisen. Ich hatte 12.500 DM von Frank bei mir und wollte zur Burscheider Sparkasse fahren, um das Geld dort einzuzahlen. Ich stand vor dem Schalter und konnte den Umschlag mit dem Geld nicht mehr finden. Ich suchte überall im Auto und fuhr wieder nach Hause, wo ich es auch nicht finden konnte. Wie ist das möglich? Was ist passiert?

Tja, blöder kann es nicht kommen. Die Erinnerung daran, was passiert ist, treibt mir noch immer den Adrenalinspiegel nach oben …