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Betty J. Viktoria

Poldi Band 6

Abenteuer im Sturm


Für Peròn, der seine wahre Seelenverwandte gefunden hat


BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

1.

Endlich wurde es etwas wärmer. Elina betrat den Stall und zog die winddichte Jacke aus. Der Winter hatte auch wirklich lange genug gedauert. Noch immer war es kein Sommer, doch der Frühling brachte erste schöne Tage und die Sonne vertrieb trübe Launen schnell. Zumindest ging es Elina so. Ihre Freundin Ida, die sie schon im Stall erwartete, sah nicht sehr begeistert aus. Neben ihr standen Luisa, Nina und ihre Reitlehrerin Sandra und warteten schon auf Elina. Mit einem schnellen Blick auf die Uhr versicherte Elina sich, dass sie nicht zu spät gekommen war. Außerdem musste sie ihr Pferd Poldi doch noch fertig machen. Ihre Dressurstunde fing erst in einer Dreiviertelstunde an.

„Wir machen heute mal etwas anderes“, verkündete Sandra. „Wir werden gemeinsam ausreiten.“

„Wir machen was?“, fragte Elina nervös und sah ihre Reitlehrerin mit großen Augen an.

„Einen gemeinsamen Ausritt“, wiederholte die ganz langsam und lächelte.

„Ich habe das noch nie gemacht“, murmelte Elina.

Genau genommen war das nicht die ganze Wahrheit. Im Winter hatte sie einen waghalsigen Ausritt mit Poldi gemacht, bei dem sie heruntergefallen war. Ida hatte sie damals gefunden, nachdem Poldi allein zurück in den Stall gelaufen war.

„Deshalb werden wir ja zusammen losreiten“, erklärte Sandra. „Und Lena wird uns außerdem begleiten. Sie müsste jeden Augenblick kommen.“

Elina kannte Lena bereits, denn sie war anscheinend eine gute Freundin ihres Bruders Miko. Wie gut, das wusste Elina nicht genau, und sie traute sich auch nicht, das zu fragen. Im Stall hatte sie Lena auch schon ein paar Mal gesehen. Ihr gehörte ein Oldenburger Fuchswallach mit vielen weißen Abzeichen namens Geran.

„Wir machen die Pferde ganz wie gewohnt fertig und werden uns dann in der Halle treffen, um sie ein bisschen abzureiten“, sagte Sandra zu den Mädchen.

Luisa und Nina schienen sich zu freuen und eilten in den Stalltrakt, in dem die Schulpferde untergebracht waren. Auch Elina war eigentlich recht gespannt auf den Ausritt, nur Ida schaute weiterhin wenig begeistert. Wortlos verschwand sie in der Box ihrer weißen Stute Damura.

 

„Was hast du denn?“, wollte Elina schließlich von ihrer Freundin wissen.

Früher hätte sie sich nie getraut, zu fragen. Ida konnte ziemlich launisch sein, auch wenn sie es meist nicht so meinte. Doch inzwischen war Elina ebenfalls etwas mutiger geworden.

„Ein Ausritt“, schnaubte Ida verächtlich, während sie Damuras Fell bearbeitete.

„Ist doch eine schöne Idee“, fand Elina und suchte das Stroh aus Poldis schwarzem Schweif.

„Ausreiten an sich schon“, knurrte Ida. „Aber du kannst dir nicht vorstellen, wie das mit einer Reitlehrerin aussieht.“

Elina wusste nicht genau, was Ida damit meinte. Sandra war streng, aber nicht zu streng. Sie konnte gut erklären und förderte ihre Reitschüler angemessen. Vom ersten Moment an hatte Elina sich bei ihr gut aufgehoben gefühlt. Sandra verlangte nie etwas von ihnen oder ihren Pferden, was sie in Gefahr bringen könnte. Doch sie steigerte ihre Leistung langsam und stetig.

„Ich bin froh, dass wir ausreiten“, gestand Elina halblaut. Ida hatte es trotzdem gehört.

„Freu dich nicht zu früh“, brummelte sie zurück. „Das wird bestimmt nur so eine langweilige Schrittrunde, bei der Sandra ständig unseren Sitz korrigiert.“

Elina verstand nicht, was daran so schlimm sein sollte. Bei ihrem ersten Ausritt musste es nicht unbedingt wild zugehen. Schon gar nicht, wenn Luisa auf dem übermotivierten Pony Jazzy mitkam. Obwohl Poldi sich davon selten animieren ließ, selbst einen Zahn mehr als erwünscht zuzulegen, befürchtete Elina, dass er sich im Gelände durchaus dazu hinreißen ließ.

 

Doch zuerst trafen sie sich alle in der Reithalle. Lena saß bereits auf ihrem Fuchswallach Geran und winkte ihnen zu, als sie sich auf die Mittellinie stellten. Elina winkte zurück, während Ida bloß kurz mit dem Kopf nickte. Als die Beiden aufgestiegen waren, betraten Luisa und Nina mit Jazzy und Scando die Halle. Luisa wirkte aufgeregt, auch wenn sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Nina dagegen war an diesem Tag besonders froh, Scando reiten zu dürfen. Er war wie immer die Ruhe selbst. In einer normalen Unterrichtsstunde lief Ninas Kopf meist schon nach kurzer Zeit hochrot an, weil Scando von einem ordentlichen Grundtempo seine eigene Vorstellung hatte. Doch bei einem Ausritt fand Nina diese Tatsache gar nicht so schlecht. Als Sandra auf einem großen braunen Pferd hereinkam, stellte Elina fest, dass sie ihre Reitlehrerin noch nie hatte reiten sehen. Meist ritt Sandra ihre eigenen Pferde am Vormittag, weil sie am Nachmittag Reitstunden gab.

„Das ist ihr Hannoveraner Empress“, beantwortete Ida Elinas fragenden Gesichtsausdruck.

„Er sieht beeindruckend aus“, fand Elina und staunte über den hübschen braunen Wallach.

Ida nickte und trabte Damura an.

Nachdem Sandra aufgestiegen war, erklärte sie den Mädchen, dass sie alle leichttraben sollten. Elina trieb Poldi an und ging erst einmal große gebogene Linien mit ihm, wie sie es gelernt hatte. Mit sechs Pferden in der Reithalle musste sie besonders darauf achten, niemandem in den Weg zu kommen. Scando trottete gemütlich auf der linken Hand herum, so dass sie ihm ausweichen musste, wenn sie ihm entgegenkam. Jazzy dagegen war besonders aufgekratzt und Luisa versuchte wie so oft, die Stute zu bändigen. Nach einer Weile ließ Sandra sie alle durchparieren.

„Wir werden jetzt der Reihe nach ein bisschen locker galoppieren und dann geht es los“, verkündete sie.

Mit einem Blick auf Jazzy fügten sie hinzu: „Aber übertreibt es nicht.“

Luisa verdrehte kaum merklich die Augen, als wollte sie sagen, dass das nicht unbedingt in ihrer Hand lag.

 

Trotzdem fing Luisa an und Jazzy schoss auf dem Mittelzirkel los. Vorsichtshalber hielt Elina mit Poldi an. Sie hatte sonst das Gefühl, immer im Weg zu sein. Die gescheckte Stute Jazzy machte es Luisa wieder einmal nicht leicht. Sobald sie den Mittelzirkel verließ, legte das Pony zu und war kaum zu halten. Deshalb blieb Luisa weitgehend auf dem Zirkel. Sandra gab ihr Anweisungen, damit sie Jazzy ruhiger galoppieren konnte, doch so kurz nach dem Leichttraben war das eine besondere Herausforderung. Luisa war außer Atem, als sie endlich traben und dann Schritt reiten konnte. Ähnlich ging es auch Nina, doch sie war damit beschäftigt, Scando im Galopp zu halten. Vor allem an der kurzen Seite der Halle wollte der braune Wallach es sich leicht machen und durchparieren. Nina war kein Fan von rasantem Galopp, doch ein bisschen mehr hätte Scando ruhig vorwärts galoppieren können. Sie versuchte, ihn zu motivieren, doch er war anderer Meinung. Elina sah, wie Ida Damura aus dem Schritt angaloppieren ließ, um dann im lockeren Galopp um die anderen herum zu reiten. Wenn sie selbst es doch nur auch schon so einfach aussehen lassen könnte. Lena folgte Ida und gab Elina noch mehr das Gefühl, ein totaler Anfänger zu sein. Dabei lief es mit Poldi eigentlich ziemlich gut. Zumindest fanden sie ein gutes Tempo im Galopp und Sandra lobte sie. Die Hufe von Sandras Wallach Empress donnerten selbst auf dem sandigen Hallenboden ziemlich beeindruckend. Neugierig beobachtete Elina, wie ihre Reitlehrerin ritt. Sie fragte sich, ob sie selbst jemals nur annähernd so gut reiten könnte.

 

„Dann wollen wir mal los“, beschloss Sandra. „Bevor das Wetter es sich anders überlegt. Wir wollen ja nicht unbedingt nass werden.“

Sie stieg ab, öffnete ihnen die Bandentür und führte Empress voraus auf den Hof. Im Gänsemarsch ritten die Mädchen ihr nach. Draußen stellte Elina sich direkt neben Damura. Bei Ida fühlte sie sich irgendwie sicherer. Sandra schwang sich elegant in den Sattel ihres Pferdes und sah ihre jungen Reitschüler prüfend an.

„Wir werden heute im Schritt bleiben“, verkündete sie und Isa seufzte leise aber genervt.

„Für unsere Pferde ist es der erste Ausritt nach dem langen Winter, da wollen wir sie nicht gleich verrückt machen“, sprach Sandra weiter.

Elina verstand das und fragte sich, ob Luisa und Nina wohl schon oft ausgeritten waren.

„Luisa, du gehst mit Jazzy neben Lena“, ordnete Sandra an. „Wenn sie zu wild wird, kann Lena euch an den Führzügel nehmen.“

Luisa zog nun ein ähnlich säuerliches Gesicht, wie Ida. Das war anscheinend auch nicht mehr nach ihrem Geschmack. Da half es auch nicht, dass Sandra hinzufügte, dass sie es erst einmal so versuchen sollte.

„Poldi ist eigentlich ein seelenruhiger Geselle“, meinte die Reitlehrerin dann. „Wenn du dich aber unsicher fühlst, kommst du zu mir.“

Elina nickte und Sandra sagte: „Das gilt auch für Nina, falls Scando heute überraschenderweise Frühlingsgefühle bekommen sollte.“

Dann sah sie Ida an, die sich zu einem kurzen Lächeln zwang. Anscheinend hatten sie sich im Moment jedoch nichts zu sagen. Elina war froh, dass Sandra ihrer Freundin keinen ähnlichen Ratschlag gegeben hatte. Das hätte vermutlich doch zu sehr an Idas Stolz gekratzt.

 

Lena ritt vorneweg vom Hof, dicht gefolgt von Sandra, neben der Luisa auf Jazzy ritt. Dahinter reihten sich Nina, Ida und Elina in lockerer Verteilung ein. Zuerst war Elina doch ziemlich angespannt, schließlich war ihr letzter Ausritt mit Poldi ziemlich schief gelaufen. Sie versuchte, sich auf Poldi zu konzentrieren, auf seine weichen Bewegungen, die hier draußen auf einmal energischer waren. Vor nicht einmal einem Jahr hatte sie den braunen Trakehner kennen gelernt, als ihre Tante plötzlich verstorben war. Damals hatte sie Poldi geerbt und war von einem Tag auf den nächsten zur Reiterin geworden. Inzwischen kannten sie sich schon recht gut und sie wusste, dass sie dem braven Wallach vertrauen konnte. Trotzdem hoffte Elina, dass auch er ihr eines Tages voll vertrauen würde. Meist hatte sie eher das Gefühl, von ihm akzeptiert und beschützt zu werden. Das war zwar auch schön, doch sie wünschte sich eher ein Verhältnis, wie Ida und Damura es hatten. Sie ließ ihren Blick über den frühlinghaften Wald schweifen, der sich vor ihnen ausbreitete. Ihr erster richtiger Ausritt, sie konnte es kaum fassen. Noch befand sich die Natur im Aufwachen. Es hatte in den vergangenen Tagen auch viel geregnet, doch langsam färbte sich alles wieder grün und bunt. Elina freute sich schon auf den Sommer mit Poldi.

 

„Die Zügel nachfassen, Nina!“, rief Sandra dem Mädchen zu.

Die Reitlehrerin ließ ihren prüfenden Blick immer wieder über die Reitschüler gleiten und korrigierte ihre kleinen Fehler. Ida hatte Damura provokant die Zügel hingegeben und das ganze damit kommentiert, dass es ja bloß eine Schrittrunde wäre. Normalerweise glänzte Ida mit einem Sitz wie aus dem Lehrbuch, doch hier draußen saß sie eher wie ein Cowboy auf dem Pferd. Natürlich gab Sandra auch ihr Anweisungen, doch Ida hielt sich nicht daran. Elina stellte fest, dass sie selbst immer ruhiger wurde. Sie wusste, dass sie sich auf Poldi verlassen konnte und begann, den Ausritt zu genießen. Das lag auch daran, dass sie wusste, dass sie nichts Wildes unternehmen würden. Außerdem benahmen sich alle Pferde wunderbar. Selbst Jazzy machte keine Anstalten, herumzuhampeln. Luisa hatte gesagt, dass die gescheckte Stute draußen manchmal ausgeglichener war, als in der Reithalle. Inzwischen glaubte Elina ihr. So entspannt hatte sie das Pony schon lange nicht gesehen.

 

„Das macht Spaß“, fand Elina, als sie in einem großen Bogen über einen schönen Waldweg die Runde einschlugen, die schließlich wieder zum Stall führte.

„Findest du es nicht langweilig?“, wollte Ida leise wissen.

„Nein, gar nicht“, gab Elina zurück.

Ida vergaß oft, dass Elina noch gar nicht lange ritt. Poldi machte es ihr sehr einfach, denn sie hätte bestimmt nicht auf jedem Pferd in so kurzer Zeit so weit kommen können. Jetzt war gerade ein solcher Moment, in dem Ida von ihr erwartete, dass sie sich im Schritt langweilte. Dabei war es für Elina genau richtig, langsam anzufangen. Luisa und Nina schienen allerdings auch ganz zufrieden mit dieser ruhigen Runde zu sein. Scando schritt in einem schönen Tempo vorwärts und Jazzy war so brav, dass Sandra Luisa erlaubte, neben ihrer Freundin Nina zu reiten. Dennoch sagte sie ihren Reitschülerinnen ständig, worauf sie achten mussten. Elina versuchte, sich alles zu merken, was zu einem sicheren Ausritt zu beachten war. Es war relativ viel auf einmal.

 

Nach einer Dreiviertelstunde erreichten sie einen Weg, der zwischen den Wiesen zurück zum Stall führte. Elina entdeckte Mikos Auto und war froh, dass Poldi sich auch davon nicht aus der Ruhe bringen ließ. Stolz winkte sie ihrem Bruder zu, als der langsam ausstieg. Er war zugegebenermaßen ein bisschen beeindruckt, als die sechs Pferde auf den Hof kamen. Ihre Hufe, viele davon beschlagen, machten ziemlichen Lärm. In Elinas Ohren klang es allerdings eher wie eine traumhaft schöne Melodie, doch das behielt sie lieber für sich, bevor sie noch für völlig verrückt gehalten wurde. Sandra ordnete an, dass sie draußen absteigen und ihre Pferde in den Stall führen sollten.

 

Miko trat zu Elina und fragte: „Wo kommt ihr denn alle her?“

Sie bemerkte, dass sein Blick eigentlich zu Lena schweifte, deren Pferd nur ein paar Boxen weit von Poldi stand.

„Wir waren ausreiten“, antwortete Elina stolz und lobte Poldi, dass er so brav gewesen war.

Miko schien wirklich ein wenig beeindruckt davon, dass seine kleine, schüchterne Schwester plötzlich auf diesem riesigen braunen Pferd durch das Gelände ritt. Dennoch war er froh, dass zwei erfahrene Reiter dabei waren, die auf sie achteten.

„Wie kommt es, dass Sandra mit euch ausreitet“, wollte Miko von Ida und Elina wissen, als sich Lena zu ihnen gesellt hatte. Elina zuckte die Schultern. Sie hatte nicht darüber nachgedacht, ob es dafür einen Grund gab.

Vermutlich sollten sie so lernen, worauf es ankam und die ersten Ausritte nicht allein unternehmen. Anders konnte sie es sich nicht erklären.

„Erwachsene sind da eben etwas überfürsorglich“, behauptete Ida.

Elina wusste nicht, ob Ida Recht hatte, oder das bloß behauptete, weil sie sich schon für zu gut hielt, als dass sie erwachsene Begleitreiter brauchte. Dann aber fiel ihr auf, dass Lena Miko einen geheimnisvollen Blick zuwarf. So, als wüsste sie eine Antwort, dürfte sie aber nicht verraten. Als Lena merkte, dass sie von Elina beobachtet wurde, wandte sie schnell den Blick ab und tat, als würde sie sich intensiv mit der Trense ihres Pferdes beschäftigen, die sie noch abwaschen wollte.

„Na, dann macht Poldi und Damura mal fertig“, sagte Miko, der es insgesamt jedoch nicht so eilig hatte, wie sonst. Kichernd verschwanden Elina und Ida in den Boxen ihrer Pferde, um ihnen noch einmal die Hufe auszukratzen