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© 2017Gerd Becker
Paperback978-3-7745-5844-3
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Verlagtredition GmbH, Hamburg

Tötliches Wasser

Dunkel ist die Nacht. Die Straßen der kleinen Stadt Utin sind menschenleer. Straßenlaternen leuchten sehr matt. Diese Nacht ist gemacht für Ganoven und Einbrecher.

Leise plätschern die Wellen des großen Sees der Stadt an die Ufer. Still ist es. Sehr still. Kein Mensch wandert oder fährt jetzt durch den großen Park, der an dem See liegt. Eine Holzbrücke verbindet zwei Ufer des großen Sees.

Der Weg, der über die Brücke führt, ist der Zuweg für die kleine Golfanlage, zum Tennisplatz, Fußballplatz und auch zum Freibad.

Im See treiben einige Dinge, die so da nicht hingehören. Es sind tote Tiere. Fische, Enten, Gänse. Auf der Seeseite, die beim Ruderverein ist, treibt ein größerer Gegenstand im Wasser. Es ist eine Leiche. Eine menschliche Leiche. Sie hat sich im Schilf verhakt.

*

Langsam dämmert es am Himmel. Ein neuer Tag erwacht. Es ist noch frisch. Das Leben in der kleinen Stadt Utin kommt schwer in Gang. Die ersten Fahrzeuge rauschen durch die Straßen. Es sind Personen auf den Weg zur Arbeit.

Durch den Park laufen die ersten Passanten. Es sind Leute, die ihre Hunde ausführen. Im Park ist für die Hunde Leinenpflicht. Doch in den frühen Morgenstunden hält sich keiner daran und läßt seinen Hund frei laufen.

Auch an den Wegen, die vom Park wegführen, laufen Personen mit Hunden. Radfahrer sausen an ihnen vorbei. Ein mittelgroßer Hund hat plötzlich eine Witterung aufgenommen. Eine Witterung, die er gestern noch nicht hatte. Der Sache muß der Hund genauer auf den Grund gehen. Dann hat er die Ursache gefunden. Seine Nase hat ihn direkt zur menschlichen Leiche geführt.

Der Hund beginnt lauthals an zu bellen. „Kira, hierher.“ ruft ihr Herrchen. Doch Kira reagiert nicht und bellt weiter. Sie ruft ihr Herrchen zu der Leiche. „Kira, hierher hab ich gesagt. Was bellst du denn so und kommst ...“ Der Mann ist bei seiner Hündin angekommen und sieht nun die Leiche im Wasser. „Was ist das denn? Da liegt ja ein Mensch.“

Kira möchte jetzt näher an die Leiche heran. „Nein, Kira, bleib hier. Nicht daran.“ Der Mann leint den Hund an. Dann holt er sein Handy aus der Tasche und wählt die Notruf-Nummer. „Polizei Notruf“ hört er nach wenigen Minuten. „Guten Morgen, ich wollte eine Leiche im Wasser liegend melden. Mein Hund hat die Leiche gefunden.“ „Wie Leiche im Wasser? Wo denn?“ „In Utin am großen See. In der Nähe des Rudervereins.“ „Ok, ich schicke einen Streifenwagen hin. Bleiben sie an der Stelle.“ „Ja. Ich bleibe hier.“

Der Mann geht ein paar Meter von der Leiche weg. Kira folgt ihm. Wenn auch widerwillig.

Nach fünf Minuten erscheint ein Polizeiwagen. Der Mann mit dem Hund macht sich bemerkbar. „Hallo, hier sind wir.“ Die Beamten verlassen das Fahrzeug und begeben sich zu dem Mann.

„Sie haben beim Notruf angerufen und eine Leiche gemeldet?“ „Ja. Das habe ich. Ich bin heute morgen, wie jeden Tag mit meinem Hund hier entlang, damit sich der Hund entleeren kann. Und da hat Kira plötzlich die Leiche hier im Schilf entdeckt.“

Die Männer gehen zu der Stelle an der die Leiche im Wasser treibt. „Oh, die liegt ja gut da. Die müssen wir denn mal an Land ziehen.“ Der zweite Beamte sagt „Ich hole mal was zum Absperren der Fundstelle.“ und geht zum Fahrzeug. „Ja. Und ruf gleich nach der KTU.“ antwortet sein Kollege. Dann wendet er sich dem Mann mit Kira zu.

„Ich muß jetzt mal ihre Personalien aufnehmen. Nur für's Protokoll. Wie heißen sie und wo wohnen sie?“ „Ich bin Hans Gudegast und wohne Am Berg 5. Hier in Utin.“ Der Beamte notiert sich die Angaben. „Wann haben sie bzw. ihr Hund die Leiche gefunden? So ungefähr?“ „Vor einer halben Stunde. Ich schaue doch nicht immer auf die Uhr.“

Der Beamte schaut auf seine Armbanduhr. „Es ist jetzt 6 Uhr 40. Dann war es um 6 Uhr 10.“ Der Beamte notiert sich die Zeit. In der Zwischenzeit wurde die Fundstelle weiträumig abgesperrt. „Die Kollegen sind am anrollen.“ sagt der zweite Beamte.

„Gut, Herr Gudegast, dann haben wir jetzt erstmal alles. Danke, das sie es gleich gemeldet haben. Sie können dann ihren Weg weitergehen.“ Herr Gudegast nimmt seine Kira und entfernt sich von der Fundstelle.

„Der Tag fängt ja gut an. Mit einer Leiche im Wasser. Was sagt die KTU?“ „Ist auf dem Weg.“ Von einer anderen Seite kommt „Ne, ist schon da. Was haben wir denn?“ „Eine Leiche im Wasser.“

Die Beamten schauen sich die tote Person an. Eine weibliche Person nähert sich der Stelle. Es ist die Ärztin der Polizei. „Na, dann laßt mich mal an die Leiche.“ Die Ärztin kniet neben der Leiche nieder und beginnt mit der Untersuchung.

Ein Mann im Rollstuhl steht etwas Abseits des Geschehens. Bei ihm ist eine junge Frau. „Karin, was mag da geschehen sein? Können wir das heraus bekommen?“ „Klar, Chef. Soll ich mal rüber gehen und schauen?“ „Nein, das machen wir anders. Wir gehen gemeinsam dort rüber und erst einmal langsam vorbei.“

Karin schiebt den Mann langsam an der Fundstelle vorbei. „Guten Morgen.“ grüßt der Mann. Einige Polizisten grüßen zurück. Dann sind die beiden an der Fundstelle vorbei. Sie kehren um und begeben sich zu ihrem Auto.

In der Stadtbucht haben Leute die toten Tiere im Wasser treibend gefunden. Auch hier wurde sofort die Polizei gerufen. Polizeiboote fahren in der Stadtbucht und fischen die toten Tiere heraus. „Müssen wir die noch untersuchen?“ „Ja, die toten Tiere müssen untersucht werden. Es muß ja geklärt werden, woran sie verendet sind.“

Auf der Polizeistation ist seit den Funden der Toten emsiges Treiben. „Wer tötet denn frei lebende Tiere? Und wer hat den Mann auf dem Gewissen?“ „Das sind gute Fragen. Und wer kann dazu Auskunft geben?“ „Die Pathologie müßte das doch raus bekommen.“ „Die kann uns sagen, woran und wie und zu welcher Zeit der Tod eingetreten ist. Aber sie kann uns nicht sagen, wer es getan hat.“

„Wir haben also eine Leiche im Wasser des Sees und tote Tiere. Auch im See. Folglich muß es mit dem See etwas zu tun haben.“ „Wer sagt denn, daß die beiden Fälle etwas gemeinsam haben.“ „Beide Fälle sind Leichen vorhanden. Und beide sind an dem See.“

*

Helga wohnt in einem Hochhaus. Es ist ein warmer Tag. Helga kocht sich einen frischen Kaffee. Sie ahnt nicht, daß das Wasser in der Wasserleitung gefährlich ist. Es wurde ja auch keine Warnung dafür gegeben.

Der Kaffee ist frisch aufgebrüht. Es klingelt an der Tür. Helga geht hin um zu schauen, wer es ist. Sie öffnet die Tür und vor ihr steht Sigrid, ihre Nachbarin. „Hallo Helga, ist dir auch so warm? Also heute scheint es wirklich ein heißer Tag zu werden.“ „Sigrid, ja heute ist es mächtig warm. Ich habe mir gerade Kaffee gemacht. Trinkst ein Tässchen mit?“ „Da sag ich nicht nein. Aber ist Kaffee bei der Hitze nicht zu warm?“ „I wo, warme oder heiße Getränke sind gerade richtig. Die löschen den Durst besser als kalte.“

Die beiden Frauen setzen sich in die Küche an den Tisch und genießen den Kaffee. „Helga, heute morgen haben die am See einen Toten gefunden. Und in der Stadtbucht noch tote Tiere. Enten, Blesshühner, Schwäne. Schrecklich ist das. Wo die wohl dran krepiert sind.“ „Pfui deibel, wer macht denn so etwas?“ „Das magst sagen. Ob die beiden Fälle zusammenhängen?“ „Wo wurde denn die menschliche Leiche gefunden?“ „In der Nähe des Rudervereins.“ „Und die toten Tiere in der Stadt-bucht. Das kann nicht zusammenhängen. Die Orte sind zu weit von einander entfernt.“ „Meinst das?“ „Was ist denn die Todesursache?“

„Das weiß ich nicht. Bin ja nicht bei der Polizei.“ „Na, ob die das raus kriegen?“ „Bestimmt. Wer soll es denn sonst herausbekommen?“

Die Frauen schlürfen ihren Kaffee und denken über die neue Tat in der Stadt nach. Ja, wer soll herausbekommen, was die Todesursache ist, wenn die Polizei es nicht kann? Das ist eine gute Frage?

Plötzlich schlägt Helga mit der Hand auf den Tisch. Vor Schreck verschüttet Sigrid ihren Kaffee auf ihren neuen Rock. „Mensch, Helga, hast du sie noch alle? Mich so zu erschrecken?“ Helga ist aufgestanden und geht in ihr Wohnzimmer. Dort setzt sie sich an ihren Sekretär, öffnet ihn und sucht eine kurze Notiz.

Sigrid kommt langsam ins Wohnzimmer und putzt an ihrem neuen Rock. „Der schöne Rock. Gestern neu gekauft und jetzt schon ein Kaffeefleck.“ Sie sieht ihre Nachbarin emsig im Sekretär suchen. „Was suchst du denn, Helga?“ „Ich habe hier doch einen Notizzettel reingelegt mit einer Telefonnummer. Wo ist der denn jetzt?“

Sigrid kommt näher an den Sekretär heran. „Was denn für eine Telefonnummer?“ Sie sieht auf dem Fußboden einen Zettel lie- gen. Direkt neben dem Sekretär. Sie beugt sich herunter um den Zettel aufzuheben. Als sie ihn in der Hand hält, schaut sie, was darauf steht. „Hier steht auch eine Telefonnummer drauf. Ist das der Zettel, den du suchst?“ „Was steht denn vor der Nummer?“ „Ermittlungen aller Art.“

Helga dreht sich um, nimmt Sigrid den Zettel aus der Hand. „Wo hast du ihn denn her?“ „Von da.“ Sigrid zeigt auf den Boden. Helga schaut zu dem Finger, der Richtung Fußboden zeigt. „Sorry, Sigrid, ich bin wohl etwas zu hart.“ „Ja, hart, aber herzlich.“

Die beiden Frauen gehen wieder in die Küche. „Was willst du denn jetzt machen? Doch nicht etwa die Telefonnummer anrufen?“ „Doch, genau das. Wenn die Polizei es nicht klären kann, dann müssen es eben andere tun.“ „Es steht doch noch nicht fest, daß die Polizei es nicht kann.“ „Ich ruf doch nicht heute an. Damit warte ich noch. Vielleicht klärt die Polizei es ja doch auf.“

„Sag mal, Helga, hast du noch Kaffee?“ „Ja, zum Trinken. Nicht verschütten.“ Helga gibt ihrer Nachbarin noch eine Tasse Kaffee.

*

Auf der Polizeistation klingelt heute häufig das Telefon. Die Beamten und die KTU fahren jedesmal zusammen zu den Fund-stellen. Denn immer mehr Todesfälle werden gemeldet. Und jedesmal ist keine Fremdeinwirkung sichtbar.

Kommissar Keller setzt sich ratlos in seinen Bürostuhl. Dann greift er zum Telefonhörer, wählt die Nummer der Pathologie. „Ja, hier die Path.“ „Na, gibt es schon nähere Erkenntnisse bei der Leiche heute morgen?“ „Ah, Keller, der Neugierige. Tja, also das ist seltsam. Von außen ist nichts zu finden. Und innere Verletzungen sind auch keine zu finden. Das Herz war kräftig. Die Lunge ebenso. Keine Spuren in den Speiseröhren. Blut ist in Ordnung. Also rätselhaft ist das schon. Aber ich bin noch nicht ganz fertig mit den Untersuchungen.“ „Das hört sich nicht gut an. Wann werden sie denn fertig sein mit den Untersuchungen?“ „Kommt drauf an, wie oft sie mich stören.“ Kommissar Keller legt den Hörer wieder auf.

Die Tür seines Büros geht auf. Ein Mann im guten Alter im Rollstuhl sitzend erscheint. Kommissar Keller schaut auf und erkennt sofort den Ankömmling. „Guten Morgen, Roy. Wie geht’s?“ „Moin, Keller. Ja, wie soll es einem gehen, wenn er mit einem Rollstuhl unterwegs ist.“ „Als wenn du etwas zu nörgeln hättest. Was führt dich zu mir? Wir haben viel zu tun. Heute morgen wurden einige Leichen gefunden. Sowohl menschliche als auch tierische. Und die Path. Findet keine Anhaltspunkte.“

Der Mann im Rollstuhl schaut den Kommissar an. „Wo wurden die Leichen gefunden?“ „Am großen See. Die menschliche lag etwas im Schilf und die tierischen in der Stadtbucht.“ Roy überlegt. >Beide Fälle im Wasser. Also muß doch irgendetwas mit dem Wasser nicht stimmen.< „Die Organe sind auch unversehrt. Keine Schlagstellen. Würgemale. Nichts. Das macht mich wahnsinnig.“ „Das Telefon brauche ich mal.“ „Wen willst du anrufen?“ „Die Klappsmühle. Einen wahnsinigen Kommissar abholen lassen.“

Kommissar Keller schaut den Mann im Rollstuhl an. „Wenn du nicht im Rollstuhl ...“ „Ach, das ist ein Hinderungsgrund? Der Rollstuhl. Ich habe mir das nicht ausgesucht.“ „Das weiß ich. Sorry. Aber es gibt einfach keinen Anhaltspunkt.“

Roy überlegt. „Was da gegen, wenn wir die Fälle gemeinsam bearbeiten?“ Keller dreht sich abrupt um und schaut Roy an. „Gemeinsam? Und wer heimst die Lorbeeren ein?“ „Die kannst du gern haben. Dafür kann ich mir nichts kaufen.“ „Wie willst du das überhaupt machen? Mit dem Rollstuhl?“

„Ach, der hilft mir schon beim fortbewegen. Ich bin ja nicht allein.“ „So, der Herr ist nicht allein. Ja, wie viele Leute sind denn hier beschäftigt?“ Roy verläßt das Büro.

Er fährt den Flur entlang. Schaut sich die Schilder auf den Fluren an. Dann die große Tafel an der Wand. >Aha, Pathologie ist im Keller. Da stört sie auch nicht. Der nächste Lift ist – ah, hier.< Roy fährt zu dem Lift und besteigt ihn. Dann geht es abwärts in den Keller.

Im Kellergeschoß verläßt Roy den Lift und fährt direkt zu den Räumen der Pathologie-Ärztin. Er öffnet eine Tür und landet in dem Raum, wo Leichen obdukziert werden.

An einem der Tische steht die Ärztin und untersucht eine Leiche. „Schön haben sie das hier. Große Räume. Viel Platz. Moderne Geräte.“ Die Ärztin Sandra unterbricht ihre Arbeit und schaut zu dem Ankömmling.

„Wie kommen sie denn hier rein?“ „Na, wie jeder vernünftige Mensch durch die Tür.“ „Wer sind sie überhaupt? Und was wollen sie?“ „Also, ich bin Roy und freue mich über einige Infos. Ich bin gehbehindert und arbeite daher mit einem Team.“

„Guten Tag, ich bin Dr. Sandra Lanz. Die Chefin hier unten. Also Infos wollen sie. Die Leiche von heute morgen ist männlich. 175 cm groß. Äußerliche Gewaltspuren liegen nicht vor. Innerliche Verletzungen von Organen auch nicht. Die Speiseröhre weist ebenfalls nichts auf. Es ist also wirklich ein großes Rätsel.“

Roy ist an den Schreibtisch von Dr. Lanz gerollt. Hier schaut er sich einige Fotos an, die die Ärztin gemacht hat. „Ja, also das Herz und die Lunge ist unversehrt. Haben sie auch ein Foto von dem Magen der Leiche?“ „Vom Magen? Wollen sie jetzt wissen, was er gegessen und getrunken hat?“ „Zum Beispiel.“ „Nein, den Magen habe ich noch nicht untersucht. Haben sie etwa eine Vermutung?“ „Nein, nur Herz, Lunge, Niere und Leber sind fotografiert. Der Magen nicht.“

Dr. Sandra schaut den Mann im Rollstuhl an. „Haben sie medizinische Kenntnisse? Hat man selten, daß Ermittler auch Medizin studiert haben.“ „Studiert direkt nicht. War nur mal kurz in einem Studium für Tierheilpraktiker.“ „Ah, daher die Kenntnisse. Und ich denke mal, durch das Handicap auch.“ „Stimmt.“ „Nein, den Magen habe ich noch nicht fotografiert. Kann ich aber noch machen. Ist es denn wichtig?“ „Alles ist wichtig in diesen Fällen.“ „Also Tiere obdukziere ich nicht.“ „Im Normalfall. Aber hier liegt ein Sonderfall vor. Es könnte sein, daß Parallelen vorliegen.“ „Sagt das jetzt der Ermittler oder der Mediziner?“ „Weder noch, das sagt mir mein Bauchgefühl.“ „Oh, noch eine Neuigkeit. Hier arbeitet jemand mit Bauchgefühl.

Das ist wirklich selten bei Kriminalisten.“ „Aber mitunter von Nöten.“ „Also, dafür das sie hier neu herein kommen, gefallen sie mir bereits.“ „Danke, für die Blumen. Aber Frau Dr. sieht auch nicht schlecht aus.“ „Danke. Lassen wir den Dr. weg. Bin Sandra.“ „Und ich Roy.“ „Ok. Den Magen fotografier ich denn noch. Irgendetwas, worauf ich speziell achten sollte?“ „Auf Veränderungen und Inhalt. Auch bei den Tieren. “

Nach diesem Gespräch verläßt der Mann mit dem Rollstuhl die Pathologie. Dr. Lanz ist überrascht und begeistert von dem Mann. >Der weiß, was er will. Ist ganz anders als Kommissar Keller.<

Roy verläßt das ganze Gebäude und begibt sich zu seinem Fahrzeug. Auf Knopfdruck öffnen sich die Hecktüren. Ein weiterer Knopfdruck und die Hebebühne wird herausgeklappt. Dann fährt er mit dem Rolli auf die Hebebühne und wird dann ins Auto befördert. Danach schließt er die Hecktüren und setzt sich auf den Fahrersitz.

Vom Kellerfenster wird er beobachtet. >Der macht tatsächlich alles allein.< bewundert ihn Dr. Lanz.

*

Bauer Martens fährt zu seiner Weide, auf der er sein Jungvieh laufen hat. Er fährt täglich dorthin. Es ist ihm schon passiert, daß ein Tier krank auf der Weide lag. Dann kontrolliert er auch den dort stehenden Wasserwagen.

Von weitem kann er schon sehen, daß die Tiere stehen und fressen. Also scheint es mit den Tieren in Ordnung zu sein. Am Weidezaun stellt er sein Fahrrad ab. Ein prüfender Blick entlang des Zaunes. Alles in Ordnung. Keine Schäden vorhanden. Dann geht er auf die Weide.

Einige Jungtiere schauen auf und kommen ihm entgegen. Er begrüßt sein Jungvieh und schlendert zum Wasserwagen. Der steht noch wie er ihn hingestellt hat. Dann klopft er an die Tonne um zu hören, wie leer sie ist. Das Ergebnis ist folgendermaßen, die Töne klingen hohl. Also muß er ihn heute noch holen und neu befüllen.

Martens geht zu seinem Fahrrad zurück und fährt dann nach Hause. >Da haben die Tiere ja gut getrunken.< denkt er. >Na, dann werde ich nach dem 2. Frühstück mal den Wasserwagen holen und auffüllen. Die Tiere brauchen Wasser. Es soll ja wieder heiß werden.<

Auf dem Hof angekommen stellt er das Fahrrad in die Wagenremiese. Dann begibt er sich ins Haus und geht in die Küche. „Morgen, Schatz, das Frühstück fertig? Ich war eben auf der Weide beim Jungvieh. Die Tiere sind in Ordnung und der Zaun auch. Der Wasserwagen ist fast leer. Den muß ich nachher mal holen und auffüllen.“ Guten Morgen, mein Lieber. Das Frühstück ist bereits seit 15 Minuten fertig. Der Kaffee ist heute per Hand aufgebrüht. Die Kaffeemaschine ist wieder kaputt.“

Die beiden setzen sich an ihren Frühstückstisch. Martens nimmt den ersten Schluck Kaffee. Probiert ihn richtig und sagt dann „Die Kaffeemaschine kommt vom Hof. Handaufgebrüht schmeckt der Kaffee besser.“ „Geht aber nicht so schnell wie mit einer Kaffeemaschine.“ „Doch. Wenn man es richtig macht.“

Nach dem Frühstück zieht Martens seine Arbeitskleidung an und geht zum Trecker. Er will den Wasserwagen holen.

Martens und seine Frau wissen nicht, daß das Leitungswasser verunreinigt ist. Sie spüren auch nichts im Körper. Doch das Wasser, was zum Kaffee kochen genommen wurde, ist nicht mehr ganz sauber. Auch abkochen hilft nicht. Es sind ja keine Bakterien, was das Wasser verunreinigt.

Bauer Martens fährt zur Weide um den Wasserwagen zu holen. Seine Frau beginnt mit ihrer Hausarbeit. Alles ist so wie immer. Nichts ist verändert.

Auf dem Weg zur Weide bemerkt Bauer Martens eine Frau, die langsam geht. Hin und wieder krümmt sie sich. Martens hält seinen Trecker neben der Frau an. „Guten Morgen, was haben sie? Kann ich ihnen helfen?“ Die Frau hört die Worte. „Ich muß in die Stadt. Aber das schaffe ich wohl nicht. Irgendetwas ist mit meinem Bauch.“

Martens springt vom Trecker, stützt die Frau. „Doch zur Stadt kommen sie. Ich fahr sie mit dem Trecker hin. Der ist ja schon hier. Kommen sie langsam hoch und auf den rechten Sitz.“ Er hilft der Frau auf seinen Trecker. Dann steigt er selber wieder auf und fährt so schnell er kann zur Stadt.

Die Schranke zur Notaufnahme ist unten. Martens fährt einen kleinen Schlenker links um die Schranke und rauscht weiter bis zur Notaufnahme.

Eine Krankenschwester kommt heraus „Was ist denn hier los? Kommen die Patienten schon per Trecker?“ „Heute ja. Ich habe die Frau auf der Straße aufgegabelt. Sie krümmt sich immer wieder.“ „Da hätten sie einen Krankenwagen rufen müssen.“ „Sabbel hier nicht rum. Pack lieber an und bring die Frau zum Notarzt.“ herrscht Martens die Schwester an. „Krankenwagen rufen. Wann wäre der denn da? He? Die Frau ist jetzt schon hier. Mit dem Krankenwagen erst in 15 Minuten.“

Der Notarzt Dr. Block kommt heraus. „Nun mal ruhig. Leute. Ist doch alles gut. Was liegt an?“ „Die Frau wurde mit dem Trecker hergebracht.“ sagt die Schwester. „Das sehe ich. Was hat sie?“ Martens sagt „Ich habe sie auf der Straße gefunden. Sie krümmt sich immer beim gehen. Da habe ich ...“ „Das war auch richtig von ihnen. Aber was die Frau genauer hat wissen sie nicht.“ „Nein. Ich habe sie nur schnell hergebracht, bevor sie an der Straße liegenblieb.“

Dr. Block gibt dem Personal Anweisungen „Die Frau sofort zum Röntgen. Wir müssen heraus bekommen, warum sie sich immer krümmt.“ Zu Bauer Martens sagt er „Sind sie mit ihr verwandt?“ „Nein. Aber sie wohnt in Issau. Straße kann ich nicht sagen.“ „Na, vielleicht kann die Frau das nachher selber erledigen. Gute Heimfahrt.“ Martens steigt wieder auf seinen Trecker und fährt jetzt wirklich zu seiner Weide mit dem Jungvieh.

Die eingelieferte Frau wird im Röntgenraum für die Aufnahmen vorbereitet. Die Ärztin, die die Aufnahmen machen muß, legt die Frau auf den vorhandenen Tisch. Der Bauch wird frei gelegt. Dann begibt sich die Ärztin in den Nebenraum. Es dauert nicht lange und die Aufnahmen sind fertig.

Die Ärztin hilft der Frau vom Tisch und begleitet sie in den Warteraum. „Sie müssen hier warten. Der Arzt wird sie dann holen.“ Dann geht sie und bringt die Aufnahmen zu Dr. Block. Dieser schaut sich die Aufnahmen an. Er kann auf den ersten Blick nichts erkennen und legt die Aufnahmen kurz beiseite.

>Komisch, die Frau krümmt sich, als wenn sie heftige Schmerzen hat, aber zu erkennen ist nichts bei den Aufnahmen. Ich muß mir die Bilder gleich noch einmal anschauen.< Er lenkt sich kurz mit Schreibkram ab. Dann greift er sich noch einmal die Röntgenaufnahmen. Eindringlich mustert er die Abbildungen. Dann wird er stutzig. >Was ist denn beim Magen der Frau? Das ist doch sehr verdächtigt.<

Dr. Block geht zu der Frau im Warteraum. „So, Frau Feddersen, kommen sie mit in den Nebenraum.“ Er bringt Frau Feddersen in den Untersuchungsraum. „Also, die Röntgenbilder haben mir an ihrem Magen etwas Verdächtiges gezeigt. Das muß ich mal genauer ansehen. Ich werde ihnen eine kleine Kamera einführen, um den Magen genau zu sehen.“

Dr. Block und Frau Feddersen erreichen den Raum zur Untersu-chung. Nach dem Frau Feddersen ihren Oberkörper entblößt hat, legt sie sich auf den Untersuchungstisch. Dr.. Block kommt mit einem Endoskop. „Dann wollen wir mal der Sache auf den Grund gehen. Bitte den Mund weit öffnen.“ Frau Feddersen öffnet ihren Mund und die Untersuchung beginnt.

„Was ist denn das?“ kommt es von Dr. Block. >Der Magen hat ja etwas intus, was ihn von innen zerstört.< Dr. Block führt das Endoskop weiter in den Magen. Und sieht etwas horrormäßiges. Die gesamte Magenhaut ist mit einer Substanz behaftet, die den Magen von innen nach außen zerstört.

Langsam zieht er das Gerät wieder aus der Frau. >Wie kann man so etwas bekämpfen? Das habe ich noch nie gesehen.< überlegt er. Frau Feddersen kommt wieder zu sich. „Nun, Herr Doktor? Was habe ich?“ fragt sie.

Dr. Block schaut die Frau auf dem Tisch an. „Ja, wie soll ich ihnen das erklären?“ „Frei heraus Herr Doktor. Ist es etwas schlimmes?“ „Was ich in ihrem Magen gesehen habe, ist wirklich schrecklich. Was haben sie in letzter Zeit zu sich genommen? Gegessen und getrunken? Das heißt mehr getrunken. Denn Essensreste sind nicht zu sehen.“ „Ich habe in den letzten Stun-den nur Wasser getrunken. Leitungswasser.“

Dr. Block überlegt. Sie hat nur Leitungswasser getrunken.

Dann sucht er ein Telefon. Wählt eine Nummer und sagt dann „Hier Dr. Block. Ab sofort dürfen unsere Patienten nicht mit Leitungs-wasser in Berührung kommen. Erst Recht nicht trinken. Die Stadt muß das Wasser untersuchen. Es scheint verunreinigt zu sein.“

Dann geht er in das Büro des Notarztes. Den Schwestern teilt er noch mit „Frau Feddersen kommt auf die Intensiv.“ Vom Büro aus führt er weitere Telefonate. Unter anderem mit den Stadtwerken wegen den Wasserleitungen. Die Stadtwerke geben unverzüglich eine Warnmeldung an die Stadtverwaltung und die Medien durch.

*

Der Chef ist in seinem Büro. Er hat das Radio an. So bekommt er die neuesten Nachrichten immer gleich mit. Auch die jetzige Warnung betreffend des Leitungswassers.

Die Tür seines Büros wird stürmisch geöffnet und seine Mitarbeiterin Karin erscheint aufgeregt. „Na Karin, was gibt’s? Aber erst einmal Luft holen und tiieef durchatmen.“ „Chef, laß die Witze. Eben kam im Radio ...“ „Ich hab's gehört. Lausch mal, schöne Musik nicht.“ „Aber ...“ „Karin, da kam eben eine Warn-meldung betreffend der Wasserversorgung durch. Ich weiß. Würde schon mal ein kleiner Hinweis wegen der Todesfälle von heute morgen sein.“

Karin ist erstaunt. Da kommt eine Warnmeldung durch das Radio und ihr Chef folgert gleich Zusammenhänge. Dann fällt ihr ein „Ehm, Chef, da ist noch ein Herr draußen. Er fragt, ob er hier einen Job bekommen kann.“ „Ja, warum sagst du das jetzt erst? Schick ihn rein und wenn du dich beruhigt hast, könnte ein Kaffee nicht schaden.“ „K Kaffee? Aber das Leitungswasser ...“ „Karin, wir haben eine große Wasserbombe im Vorraum. Das Wasser kann man auch für Kaffee verwenden.“ Karin verläßt das Büro und schickt den Jobsucher hinein.

„Guten Tag.“ sagt der Jobsucher. „Moin. Sie suchen also einen Job. Was haben sie denn gelernt?“ „Ich habe drei Jahre in einem Sicherheitsdienst gearbeitet. Dann wurde das Unternehmen aufgelöst.“ „Aha, wie ich feststelle, beantworten sie keine Fragen.

Ich habe sie nicht gefragt, wo sie gearbeitet haben, sondern was sie gelernt haben.“ „Ich habe doch eben erzählt...“ „Das sie im Sicherheitsdienst gearbeitet haben. Das habe ich gehört. Aber nicht was sie gelernt haben. Man muß hier schon genau auf die Fragen achten und auch beantworten.“

Der Jobsucher schaut betroffen vor sich hin. Dann dreht er sich um und will wieder gehen. „Was ist denn nun los? Vom Wegtreten war keine Rede.“ „Aber ich dachte …“ „Oh, jetzt wird es interessant. Der Herr hat gedacht.“

Der Jobsucher schaut nun irritiert. „So, jetzt setzen sie sich erstmal auf den Stuhl da. Denn zum Sitzen sind die Dinger gemacht.“ Der Jobsucher setzt sich auf den Stuhl, auf den Roy gezeigt hat.

Karin betritt das Zimmer und bringt zwei große Tassen Kaffee. „Danke Karin. Bleib mal hier. Der Herr hat eben gedacht.“ Karin schaut ihren Chef an. „Und? Was ist so schlimm daran?“ „Das ich das Ergebnis des Denkens noch nicht kenne.“ Nun schauen beide den Jobsucher an.

„Was haben sie denn gedacht? Herr Lukas.“ „Wie du kennst ihn, Karin?“ „Ja. Hat sich ja vorgestellt. Und in der Akte steht der Name auch.“ Roy schaut sich die Akte auf seinem Tisch an. Klappt sie auf und beginnt zu lesen.

Lukas Reuter, 29 Jahre, aus Bayern. Gelernter Kfz-Mechaniker. Absolvierte einen Sicher-heitsdienst-Lehrgang in München. Hat beim Sicherheitsdienst BID gearbeitet.

„Na, also, hier steht es ja: gelernter Kfz-Mechaniker. Warum haben sie dann einen Sicherheitsdienst-Lehrgang besucht? Gab es in Bayern keine Autos mehr?“ „Doch, Autos gibt es dort genug. Nur Arbeitsplätze für Kfz-Mechaniker nicht. Und immer nur Autos schrauben – ist auf die Dauer auch langweilig. Zu dem alles elektronisiert wird.“ „Tja, die gute alte deutsche Handarbeit zählt nicht mehr. So, und jetzt wollen sie bei uns anfangen, wie? Was meinst du, Karin, hat er eine Chance?“ „Verdient auf alle Fälle, Chef.“ „Na, dann hol mal die Gläser.“

Karin verläßt das Zimmer um die Gläser und den Sekt zu holen. Lukas fragt den Chef „Dann bin ich eingestellt?“ „Sie haben ja die Meinung von Karin gehört. Und Verstärkung können wir gebrauchen. Jetzt, wo wir einen äußerst eigenartigen Fall am Haken haben.“

Lukas ist aufgefallen, daß sein neuer Chef sich nicht vom Sitz bewegt hat. Fragen mag er auch nicht. Karin kommt mit einem Tablett herein. Auf dem Tablett stehen drei Gläser und eine Flasche Sekt. Jetzt kommt Roy hinter seinem Schreibtisch hervor. Lukas schluckt erschrocken. Sein neuer Chef sitzt im Rollstuhl.

Roy bemerkt den erschrockenen Gesichtsausdruck. „Ja, ich sitze im Rollstuhl. Aber mit mir anlegen sollte sich keiner.“

„Ich wollte mich auch nicht mit ihnen anlegen. Dann denke ich, der Außendienst wird von gehfähigen Kollegen erledigt.“ „Falsch gedacht. Ich bin auch draußen tätig. Nur das läuferische verfolgen von Flüchtigen – daß müssen andere übernehmen.“ „Unterschätzen sie unseren Chef nicht, Lukas. Er ist zäher als mancher glaubt.“

Die drei stoßen auf den Neuzugang an. „Es ist gut, wenn man jemanden bei sich hat, der sich mit Kfz auskennt. Ohne Elektronik.“ „Sorry, aber schnell werden sie mit dem wohl nicht.“ „Oh, oh, der kann ganz schön schnell werden, wenn er die Hebel einsetzt.“ Lukas wird jetzt stutzig. Hebel? Roy klappt die Hebel am Rollstuhl hoch. Bis jetzt hatte er sie runtergeklappt.