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 Franz Vranitzky: Zurück zum Respekt Überleben in einer chaotischen Welt - Aufgezeichnet von Peter Pelinka - edition a

Franz Vranitzky:
Zurück zum Respekt

Alle Rechte vorbehalten
© 2017 edition a, Wien
www.edition-a.at

Cover: JaeHee Lee
Gestaltung: Lucas Reisigl

ISBN 978-3-99001-249-9

eBook-Herstellung und Auslieferung:
Brockhaus Commission, Kornwestheim

INHALT

Die österreichische Normalität im Wandel

Die globalisierte Welt

Überforderung in der digitalisierten Welt

Trump – der Höhepunkt der Respektlosigkeit

Rechtspopulismus, der politische Ausdruck der Respektlosigkeit – von Haider bis Strache

Der Ruf nach dem starken Mann – oder der starken Frau

Was unserer Stärke im Weg steht

Ausblick: Mit Gelassenheit und Respekt gegen das Chaos!

VORWORT

Franz Vranitzky war kein leichtes Objekt für Journalisten: Er regierte meist »leise« und pragmatisch, ohne die bisweilen auch mit »Luftballons« gefüllten Visionen Bruno Kreiskys, ohne die leicht verkrampfte Angestrengtheit von Fred Sinowatz, ohne das polarisierende Schillern eines Hannes Androsch, ohne die missionarische Starrheit Alois Mocks, ohne die intellektuelle Verspieltheit Erhard Buseks, aber auch ohne die eindeutigen Zweideutigkeiten zweier weiterer Wegbegleiter, als deren Konterpart er entscheidend an Profil gewann: Vranitzky hat die Feigheit Kurt Waldheims ebenso authentisch verachtet wie die skrupellose Demagogie Jörg Haiders verabscheut.

Ein solcher Politikertyp schien nur partiell geeignet für die »amerikanisierte« politische Kultur. Im Fall Vranitzky schlug für solch eine Einordnung vor allem seine tatsächliche oder scheinbare Entideologisierung positiv zu Buche, auch noch seine sportlich-dynamische Erscheinung; aber nach den kompletten Kriterien der Amerikanisierung wirkte seine spröd-distanzierte, nicht adabei-konforme Art eher negativ. Zwar stand Vranitzky insbesondere bei sportlichen Ereignissen auch in einem politikfernen öffentlichen Scheinwerferlicht, aber insgesamt bremste er doch stark bei persönlich-medialer Vermarktung. Einmal im Jahr eine Bergtour, einige Male Charity-Events, seltene Abende après première – das war es schon. Selbst dann, wenn seine Familie einmal stärker als gewohnt im Wahlkampf eine Rolle spielte, geschah dies eher gegen seine Willen als im Rahmen eine Strategie.

Überhaupt war Vranitzky ein meist medienkonformer, nicht aber ein medienumarmender Politiker. Insbesondere im Fernsehen wirkte seine Person sympathisch, sein Wesen gewinnend, kam seine oft diagnostizierte »Feschheit« gut rüber. In offiziellen Interviews oder bei Reden dominierten aber lange Zeit vorsichtig abwägende Anmerkungen, hinter denen wohlmeinende Beobachter Nachdenklichkeit vermuteten, weniger wohlmeinende – die je länger er regierte, desto häufiger auftraten – aber Tiefenschwäche. Zu den am häufigsten wiederholten Klischees dieser Kategorie zählte sein angeblicher, von ihm stets dementierter Satz vom Arzt, der Menschen mit Visionen angeraten sei. Ebenso der Stehsatz, er sei bloß ein »Moderator« der Politik, wenn auch ein erfolgreicher (als sei das die schlechteste Rolle, die ein Politiker spielen könnte), und der grantige Satz Bruno Kreiskys, er sei eine »Sphinx ohne Geheimnisse«.

Hierzu eine persönliche Anmerkung: Zu den menschlich interessantesten Beobachtungen meiner journalistischen Tätigkeit zählen die erfolgreichen Annäherungsversuche dieser beiden österreichischen Langzeitkanzler in Kreiskys letzten Lebensjahren. Und zu den (politisch, nicht menschlich) unerklärlichsten, die lange von beiden Seiten fast lustvoll gepflegte Abneigung zwischen Hannes Androsch und seinem ehemals engen Mitarbeiter Franz Vranitzky.

Kein medialer Blender also, kein missionarischer Visionär – wie war es dann zu erklären, dass Franz Vranitzky mehr als 11 Jahre als Bundeskanzler an der Spitze des Landes stand? Zwei Faktoren machten aus Vranitzky eine historische Persönlichkeit: Er hat als erster österreichischer Spitzenpolitiker die Vergangenheit unseres Landes im Dritten Reich durch klare Aussagen im In- und Ausland »bewältigt«. Er hat damit wesentlich zur Internationalisierung Österreichs beigetragen und das Land damit ein gutes Stück von seinem bisweilen selbstgerechten Provinzialismus in Richtung westeuropäischen Grundkonsens bewegt. Zudem versuchte er etliche Jahre lang, der Sozialdemokratie jenen Modernisierungsschub zu verpassen, ohne den ihre inzwischen weit mehr als hundertjährige Geschichte im Sinne Ralph Dahrendorfs tatsächlich schon abgeschlossen wäre.

Beides sind auch heute noch höchst aktuelle Aufgaben. Nach seinem selbstbestimmten Rücktritt 1997 hat sich Vranitzky – anders als Bruno Kreisky – aus der Innenpolitik zurückgezogen, ohne grantige Kommentare abzugeben. Wenn er sich seither zu Wort gemeldet hat, waren es meistens internationale Anmerkungen oder analytische Beobachtungen mit oft erstaunlicher (Selbst-)Ironie.

Es lag nahe, mit ihm anlässlich seines achtzigsten Geburtstages mehrere lange Gespräche zu führen, auf deren Basis dieses Buch entstand. Es ging darin um Österreich und über die Welt, in der dieses Land seine Rolle finden und wahren muss. Er sei froh, in diesem Land zu leben, aber nicht stolz darauf, sagte Vranitzky zu mir. »Es ist ja nicht mein Verdienst, hier geboren zu sein. Aber ich bin froh, über einen noch einigermaßen sicheren Hafen in einer Welt zu verfügen, die immer chaotischer zu werden scheint.« Bestimmte Elemente der unglaublich raschen Veränderungen würden auch diesen Hafen längst erschüttern. »Doch es gibt eine Möglichkeit, dieses Chaos zu bewältigen«, sagte Vranitzky. »Sie besteht in der Besinnung auf ein paar Werte, die sich bewährt haben. Deren wichtigster im Umgang der Nationen, der Religionen, der Parteien und der einzelnen Bürger miteinander ist der Respekt.« Klingt einfach. Ist aber offenbar sehr schwer zu leben.

Peter Pelinka, September 2017

DIE ÖSTERREICHISCHE NORMALITÄT IM WANDEL

Als ich begonnen habe zu arbeiten, war meine ökonomische und politische Umwelt bestimmt durch die Nachkriegsordnung. Wir alle waren von einem dichten Netz aus Restriktionen, Beschränkungen und Kontrollen umgeben. Überall gab es Grenzkontrollen, Ost und West waren streng aufgeteilt. Es war die Zeit des Kalten Kriegs. Wo man nur hinsah, stieß man auf Verbote und Einschränkungen. Wenn jemand ins Ausland reisen wollte, musste er sich in der Nationalbank Valuten kaufen.

Diese restriktive Politik zog sich damals über ganz Europa, wenn nicht sogar die ganze Welt. Bedingt waren die Beschränkungen durch die harte Arbeit des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg. Es war damals schon früh absehbar, dass diese eingeengte Welt sich im Laufe des Wiederaufbaus schrittweise befreien würde. Bis dahin konnte man es sich in Ländern wie Österreich nicht leisten, gesellschaftlich und ökonomisch liberale Politik zu machen. Große Teile der verstaatlichten Industrie lagen darnieder. Es gab keine Kapitalisten, die etwa Aktien gekauft oder durch Investitionen den Wiederaufbau gefördert hätten.

Schon deshalb war die enge Zusammenarbeit der beiden Großparteien logisch, eigentlich selbstverständlich. Sie brachte auch große Erfolge, gipfelnd in der Wiederherstellung der österreichischen Unabhängigkeit durch den Staatsvertrag von 1955. Der prinzipielle Zweifel an der Lebensfähigkeit des Landes war behoben, der »Kampf um die österreichische Identität« (Friedrich Heer) gewonnen, »Der Staat, den keiner wollte« (Helmut Andics) allgemein anerkannt. Freilich – erhalten blieb eine Ambivalenz von schwerem Minderwertigkeitskomplex und leichtem Größenwahn, eine Mischung aus Harmoniebedürfnis und Granteln, die Neigung, sich über Nebensächlichkeiten aufzuregen, von einem späteren Bundeskanzler auch »Sudern« genannt.

Ein triviales Beispiel liefert der Fußball: Der Sieg gegen den »großen Bruder« Deutschland bei der WM in Argentinien gilt bis heute als nationale Großtat (»Cordoba«), obwohl er nichts am Ausscheiden aus dem Turnier geändert hatte. Umgekehrt: Nachdem Österreich die Qualifikation zur Europameisterschaft 2016 geschafft hatte, wurde dieser Erfolg gleich zur Grundlage unrealistischer Erwartungen. Mindestens das Viertelfinale müsse her, wenn nicht gleich Finale oder Titel. Nachdem man auf den Boden der Realität zurückgeholt worden war, begann bald darauf das Sägen am Stuhl des zuvor zum Volkshelden ernannten Teamchefs Marcel Koller.

Im Sport, speziell im schnelllebigen Fußballgeschäft, ist derlei vielleicht keine österreichische Besonderheit. Besonders scheinen mir aber diese Berg- und Talfahrten im politischen Bereich zu sein. Politiker, speziell solche, die in einer Koalition durchaus unterschiedlicher Parteien agieren, dürften nicht so viel streiten, heißt es einerseits. Wird eine solche Harmonie wenigstens eine Zeitlang gelebt, jammert man über langweilige »Einheitsparteien«. Andererseits wird jede Debatte, auch in sachlicher Form geführt, gleich zum »Streit« erklärt, den man gefälligst abzustellen habe. Befördert wird diese Widersprüchlichkeit einerseits von vielen Medien – nicht nur, aber wesensmäßig verständlich vorrangig im Boulevardbereich. Andererseits von einzelnen Politikern – nicht nur, aber vorrangig von solchen, die nach Aufmerksamkeit und deshalb nach Schlagzeilen lechzen. Und wie ginge das besser als über personalisierbare »Duelle«, auch und bisweilen sogar vorzugsweise in der eigenen Partei.

Das schlägt natürlich nach »oben« durch, auf die Regierungsebene. Ich will ja nicht frühere Zeiten glorifizieren. Aber dass der Klubobmann einer Regierungspartei den von der anderen Partei gestellten Bundeskanzler frontal angreift, dass eine Regierungspartei eine Broschüre herausgibt, welche eben diesen Bundeskanzler mit Hammer und Sichel am Titelblatt darstellt, dass ein Innenminister den Kanzler öffentlich als nebensächlich darzustellen versucht, solche Respektlosigkeit ist zu meiner Zeit nicht vorgekommen. Es entsprach auch nicht meiner Sprache als Kanzler, die Meinung eines Ministers mehr oder weniger öffentlich als »Vollholler« zu bezeichnen, wie es Christian Kern getan hat – aber das scheint mir noch eine vergleichsweise harmlose »Sünde« wider den Respekt zu sein.

Meine Regierungszeit ist nun 20 Jahre her, also noch keine Ewigkeit. Auch damals gab es wortgewaltige Kontrahenten, die sich nicht übermäßig zurückgehalten haben. Es gab Leute wie den ÖVP-Abgeordneten Heribert Steinbauer, der angeblich sogar ein Dossier über mich angelegt hatte. Ich sprach ihn darauf an. »Hören Sie, was steht dann da drin, in dem Dossier?« Genaueres konnte oder wollte er mir nicht sagen, und mit der wirklichen Spitze der ÖVP gab es keine derartigen Episoden.

Mit Alois Mock beispielsweise musste man oft tagelang, manchmal sogar wochenlang um bestimmte Lösungen kämpfen. Aber wenn es erledigt war, war es erledigt. Dann hatten wir eine Vereinbarung und wir mussten nicht mehr darüber sprechen. Auf diese Handschlagqualität konnte ich mich bei meinen wichtigsten politischen Kontrahenten verlassen. Das trifft auf alle vier ÖVP-Obleute zu, mit denen ich im Laufe meiner politischen Karriere zu tun hatte, neben Mock auch auf Josef Riegler, Erhard Busek und Wolfgang Schüssel.

Natürlich hatten sie andere politische Ansichten als ich, sie waren ja meine politischen Gegner. Aber bezüglich Auftreten und Integrität respektiere ich sie alle, auch heute noch, und weitgehend respektierten einander alle gegenseitig. Es gab bei allen Divergenzen keine unaufhörlichen Streitereien um ein bestimmtes Thema. Wenn etwas beschlossen war, war es beschlossen.

Freilich waren damals die Mehrheitsverhältnisse im Parlament klarer. Der Vorsprung der SPÖ gegenüber der ÖVP war stets viel größer als in den vergangenen Jahren. Außerdem war die Kompetenzaufteilung eine andere. Niemand in der ÖVP hätte daran gedacht, den Finanzminister stellen zu wollen, weil es generell undenkbar war, dass der Finanzminister einer Regierung nicht aus derselben Partei kommt wie der Bundeskanzler. Die Entscheidungsabläufe waren ebenfalls übersichtlicher und geprägt von guten parteiübergreifenden Kontakten. Finanzminister Ferdinand Lacina etwa kam besonders gut auch mit der ÖVP aus. Er war fachlich und politisch über jeden Zweifel erhaben und konnte gut verhandeln.

Die Politik würde an Macht gewinnen, wäre sie öfter zu parteiübergreifenden Schulterschlüssen in der Lage. Der EU-Beitritt war ein konkretes, großes Projekt dieser Art, dafür haben Alois Mock, Erhard Busek und ich parteienübergreifend geworben. Die Wahrheit ist den Menschen zumutbar und erfahrungsgemäß sind sie dankbar dafür. Ich kann mich erinnern, als ich durch die Lande zog, um für das Projekt EU zu werben. Nach langen Diskussionen und Gesprächen hörte ich oft: »Jetzt verstehe ich die Vorteile. Was sind die Nachteile?«

Darauf hatte ich eine Antwort parat. »Die Nachteile sind die Nachteile des Lebens. Es lauern überall Gefahren und Risiken. Man kann einen wunderbaren Kreisverkehr bauen und so die Sicherheit im Straßenverkehr erhöhen. Wenn einer betrunken in den Kreisverkehr rast, passiert trotzdem ein Unfall.«

Die ganze Regierung, auch der Großteil der Opposition, war einheitlich für dieses Projekt und hat sich dafür eingesetzt. So etwas gibt es derzeit nicht in Österreich. Ein weiteres historisches Beispiel für so einen Schulterschluss ist die große Steuerreform des Ferdinand Lacina (SPÖ), die auch Johannes Ditz (ÖVP) maßgeblich unterstützte. Sie warf eine Reihe von bis dahin geltenden Selbstverständlichkeiten über den Haufen. Wir schafften die Gewerbe- und die Vermögenssteuer ab. Das steht ja nicht unbedingt im Programmheft einer sozialdemokratischen Partei. Gleichzeitig führten wir eine wohldurchdachte Vereinfachung und Senkung der Lohn- und Einkommenssteuer ein. Das wiederum steht nicht im Programmheft einer konservativen Partei.

An dieser Reform wurde ein Jahr lang gearbeitet und getüftelt. Es wurden unzählige Computerfachleute und Ökonomen eingeladen und befragt. Letztendlich haben die Reform alle akzeptiert. Die Industrie, der Handel, die Gewerkschaften und die Wirtschaftskammer, alle waren sie zufrieden.

Wie letztlich auch mit der im Paket befindlichen Kapitalertragssteuer. Nur Alois Mock war strikt dagegen. Er bekämpfte die Idee mit Zähnen und Klauen und denunzierte sie als Sparbuchsteuer. Um Mock zu überzeugen, lud ich Josef Taus und einen ÖVP-Wirtschaftsprüfer ein, die meiner Meinung waren. Zu viert saßen wir an meinem Tisch und redeten auf Mock ein wie auf ein krankes Kind. Letztendlich hat er sich überzeugen lassen. Doch es wäre nicht Alois Mock gewesen, wenn er nicht zu seinem Wort gestanden wäre.

Ich möchte die Vergangenheit aber keineswegs verklären. Auch schon damals blieben im politischen Tagesgeschäft inhaltliche Debatten über tiefere Zusammenhänge auf der Strecke, das Ringen um nachhaltige Lösungen für immer komplexere Herausforderungen blieb oft genug nachlässig und ungeduldig. Ein Mangel, der jetzt eben schwerer wog denn je und eine konstruktive Zusammenarbeit fast unmöglich machte, weil die Herausforderungen angesichts der internationalen Entwicklungen unaufhörlich an Komplexität gewonnen haben und weiter gewinnen. Selbst gemeinsam gefundene Lösungen blieben jüngst im koalitionsinternen Gestrüpp hängen. Die Regierungsparteien einigen sich dann zum Beispiel auf eine Steuererleichterung um 5 Milliarden Euro für die Klein- und Mittelverdiener und wollen sie gegenfinanzieren durch Maßnahmen wie die Registrierkassenpflicht, die weit weniger einbringen. Von Umverteilung kann also keine Rede sein. Wenn es in Österreich um Umverteilung geht, kommt mir das immer vor, als würde ein Tennisspieler versuchen, den Gegner nur ja nicht zu hoch verlieren zu lassen. Auch die laufend geführte Diskussion über die Vermögens- und die Erbschaftssteuer, ein an sich sinnvolles Instrument der Umverteilung, wird wohl bestenfalls auf laue Kompromisse hinauslaufen. Die Verteilungsproblematik lässt sich so kaum lösen.

Auch gab es schon immer harte politische Auseinandersetzungen. Die Mittel, mit denen Tagespolitik gemacht wurde, waren auch nicht immer anständig, auch der Ton nicht. In Graz gab es einmal einen Bürgermeister und kurzzeitigen FPÖ-Obmann namens Alexander Götz, der über Bruno Kreisky sagte: »Der Bundeskanzler agiert, als sei ihm der Papp ins Hirn gestiegen.« Auch im Parlament gab es sehr intensive verbale Auseinandersetzungen. Es wäre nicht angebracht, im 21. Jahrhundert mit dem Gouvernanten-Gehstock zu wackeln und die Menschen zu ermahnen. Aber es hat sich einiges verändert – nicht unbedingt zum Besseren.

Natürlich sind die politischen Zeiten heute auch aus einem arithmetischen Grund härter als zu meiner aktiven Zeit: Die Hemmschwelle bei Auseinandersetzungen ist niedriger, weil der Kampf um Mehrheiten schwieriger geworden ist. Die SPÖ hatte damals immer Mehrheiten in einer Bandbreite von 6 bis 7 Prozent. Das schlechteste Ergebnis waren 35, das beste 42 Prozent der Stimmen. Heute erzielt keine Partei mehr solche Ergebnisse. Da ist die Kampfbereitschaft natürlich größer. Rempeln und Pöbeln wird in solch einer Situation eher als angemessen betrachtet. Wenn es um so viel geht, möchte sich niemand nachsagen lassen, zu nachgiebig zu sein. Da bleibt der Respekt mitunter schon auf der Strecke, da möchte man lieber ordentlich auf den Putz hauen. Ein Bekannter von mir meinte einmal in einer politischen Diskussion: »Der Parteichef selbst muss zu dieser Sache überhaupt nichts sagen. Dazu haben wir ja einen Parteisekretär und einen Klubobmann. Der wird sich der Sache annehmen.« Es gibt in jeder Partei Leute, die dafür zuständig sind, den politischen Gegner anzugreifen. Da wird ein hartes Vorgehen erwartet. Dann fallen die Schranken des Respekts und der Höflichkeit, eine eigentlich höchst überflüssige Routine.

Ich habe selbst auch immer großen Wert darauf gelegt, nicht untergriffig zu werden. Aus meiner Sicht gewinnt man dadurch nichts. Erstens entspricht es nicht meinem Naturell, andere Leute anzupöbeln. Zweitens habe ich mir auch taktisch nichts davon versprochen. Ich habe in meiner Amtszeit einmal mit jungen Leuten gesprochen, die meinten: »Vorige Woche war der Haider bei uns am Tennisplatz. Der ist eine lustige Nummer. Der hat sich zu uns gesetzt und mit uns geblödelt.« »Würdet ihr das von mir auch wollen?«, fragte ich. »Nein, das passt nicht zu dir.« Das stimmte auch. Ich hielt mich eher an eine Meldung, die ich einmal im Parteivorstand hörte. Wir lagen wieder einmal mit der ÖVP im Streit, da sagte ein Genosse: »Streitet nicht immer mit der ÖVP. Aber lasst euch ja nichts gefallen.«

Der Spruch Haiders: »Der Vranitzky bringt ja nicht einmal mehr den Gürtel über den Bauch« – was ohnehin nicht zutraf – galt damals noch recht unüblich. Inzwischen ist eine derartige Rhetorik weit verbreitet. Wieder einmal Trump als abschreckendes Beispiel: Er machte sich über einen Kontrahenten lustig, der im Scheinwerferlicht schwitzte, versuchte zu suggerieren, dessen kleine Hände ließen auch auf andere kleine Körperteile schließen, spottete über Körperbehinderte. Einer Moderatorin, die ihm kritische Fragen stellte, warf er vor, unter ihrer Periode zu leiden, einer anderen unterstellte er eine schlecht vertragene Botox-Behandlung.