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Leonhard Fischer
Arno Balzer

ES WAREN
EINMAL
BANKER

Warum das moderne
Finanzsystem gescheitert ist

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Sämtliche Angaben in diesem Werk erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr. Eine Haftung der Autoren bzw.
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1. Auflage

© 2017 Ecowin Verlag bei Benevento Publishing, eine Marke der Red Bull Media House GmbH, Wals bei Salzburg

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Medieninhaber, Verleger und Herausgeber:

Red Bull Media House GmbH

Oberst-Lepperdinger-Straße 11–15

5071 Wals bei Salzburg, Österreich

Satz: MEDIA DESIGN: RIZNER.AT

Gesetzt aus Palatino, Renner

ISBN 978-3-7110-0163-4

eISBN 978-3-7110-5228-5

INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort

Prolog

Es war einmal

1. Das »Saturday Night Massacre«

2. Eine wirtschaftspolitische Revolution

3. Die neuen Könige der Wall Street

4. Die schöne neue Welt der Computer

5. Erste Risse im Finanzsystem

Als die Nacht anbrach

1. Hedgefonds und Private Equity – die Stunde der Optionskünstler

2. Masters of the Universe versus Bank of England

3. Die Rettung eines Hedgefonds oder »Another Brick in the Wall«

4. Die Risse werden größer

Als es ganz dunkel wurde

1. Zwei Innovationen …

2. … und ein Todesfall

3. Des Kaisers neue Kleider

4. Nach der Krise ist vor der Krise

Als es Morgen war

1. The Day After

2. Zentralbanken – Oder wie wir lernten, Schulden zu lieben

3. Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt

4. Anlegen in Zeiten der Cholera

Die Lehre aber aus dieser Geschichte

VORWORT

Vorab ein Hinweis schon allein der Transparenz wegen: Leonhard Fischer kenne ich seit rund 25 Jahren, wir sind seit 20 Jahren befreundet und haben wiederholt in verschiedenen beruflichen Stationen und mit unterschiedlichen Rollen eng zusammengearbeitet. Über die Jahre haben wir auch immer wieder die in diesem Buch diskutierten Themen debattiert, zumeist einvernehmlich, zuweilen auch streitig, immer aber mit Leidenschaft. Die Lust zum Diskutieren und Analysieren auf hohem intellektuellen Niveau hat einen Leonhard Fischer schon immer herausgehoben und ausgezeichnet.

Als die Deutsche Bundesbank sich Anfang der 1990er-Jahre – also in Zeiten krisenhafter Zuspitzungen im seinerzeitigen Europäischen Währungssystem – einen Beraterkreis für Finanzmarktfragen zulegte, fiel mir schon in dessen erster Sitzung ein brillanter Analytiker aus dem Hause JP-Morgan mit strategischem Denken und hoher rhetorischer Begabung auf, er war nicht einmal 30 Jahre alt und hieß – natürlich – Leonhard Fischer.

Jetzt hat Lenny (endlich!) gemeinsam mit Arno Balzer zu Papier gebracht, was ihn schon lange bewegt, eine Abrechnung mit liebgewonnenen Mythen und vergötterten Lichtgestalten. Seinem Naturell entsprechend erzählt er seine Geschichte ohne Schaum vor dem Mund und ohne andere Menschen persönlich zu verletzen, sondern mit Charme in amüsanter Diktion, ein echter Lenny eben. Jemand wie er schreibt konsequenterweise ohne Fußnoten, es soll ja keine akademische Doktorarbeit sein, sondern »nur« ein intellektueller Diskurs auf höchstem Niveau, gespickt mit eigenen praktischen Erfahrungen über viele Jahre.

Somit findet der Leser eine luzide Beschreibung der Fliehkräfte, die seit Jahrzehnten auf das internationale Finanzsystem einwirken und die eher zu- als abgenommen haben. Das Buch verzichtet darauf, die Ursachen tektonischer Umbrüche – beim IWF sprachen wir von »Fault Lines« – bei Einzelpersonen oder historischen »Sternstunden« zu suchen. Vielmehr stehen »Abschiede« im Vordergrund, von Mantras, an die man zeitweise selbst geglaubt hat. Bei aller Leichtigkeit der Diktion geht diese (Selbst-)Erkenntnis nicht ohne eine gewisse Bitterkeit vonstatten.

Zwei »Glaubenssätze« stehen dabei im Vordergrund:

Wir jungen Kapitalmarktleute der 1980er-Jahre glaubten an die »Selbstheilungskräfte des Marktes«. Übertreibungen der Marktteilnehmer bei der Preisfindung von Aktien, Renten oder auch von Wechselkursen und Kapitalströmen würden sich in der Regel von selbst korrigieren, wenn nur genügend »Spieler im Markt kalte Füße bekommen und ihre Positionen aus Sorge vor Verlusten auflösen«. Die ordnende Hand der Zentralbanken würde nur ausnahmsweise gebraucht, eigentlich vor allem um ein Umkehren der Marktteilnehmer zu beschleunigen, so waren das Plaza-Abkommen 1985 und das Louvre-Abkommen von 1987 zu verstehen. Das ordnungspolitische Fundament war natürlich die Bereitschaft, Marktteilnehmer gegebenenfalls auf ihren Verlusten sitzen zu lassen, eine Zentralbank durfte nicht ausrechenbar sein, wir sprachen von einer »Constructive Ambiguity«. Das vorliegende Buch beschreibt eindrücklich und eindringlich, wann und warum der Konsens eines »Benign Neglect« gegenüber Verlusten von Marktteilnehmern verloren ging und durch das Dogma eines »Greenspan-Puts« abgelöst wurde, zunächst 1987 am amerikanischen Aktienmarkt, eine Dekade später auch bei internationalen Krisen in Asien, Lateinamerika und Russland.

Die tief greifende Skepsis eines Leonhard Fischer gegenüber computergesteuerten Modellen für Zwecke des Risikomanagements besteht bei ihm nicht erst seit gestern. Inzwischen ist sie auch bei Bankenaufsehern angekommen, der Hauptstreitpunkt für ein Abkommen »Basel IV« ist die Berücksichtigung sogenannter interner Modelle zur Kalibrierung von Risiken. Hier haben die Bankenaufseher in den USA eine komplette Kehrtwende vollzogen. Die EZB-Aufsicht wiederum beginnt gerade ihr bislang größtes »aufsichtliches Manöver« – »Targeted Review of Internal Models« –, es wird Jahre dauern. Einmal mehr war der Kapitalmarktpraktiker Leonhard Fischer intellektuell vor der Kurve.

Eine andere bittere Erkenntnis – zumindest aus deutscher Sicht – beschreiben die Autoren im Zusammenhang mit der Entwicklung des Euro. Die Architekten des Maastricht-Vertrages, insbesondere die aus der Bundesbank, hatten darauf vertraut, die »No bail out«-Klausel in Artikel 104 b würde eine disziplinierende Wirkung der Finanzmärkte auf die Schuldnerländer ausüben, schlicht als Selbstschutz seitens der Gläubiger. In den Jahren vor der großen Krise war ich immer wieder überrascht, wie gleichgültig Marktteilnehmer diese Frage angingen. Hinweise auf den Artikel 104 b wurden mit Unverständnis quittiert, ihre Antwort war lakonisch: »This is all Brussel’s risk«, gemeint war natürlich »Berlin’s risk«.

Auch hier beschreibt das Buch anschaulich, wie sich die Versprechen, die vor der Einführung der gemeinsamen Währung gegeben wurden, so schnell in Rauch auflösten. Wer Währungen zusammenführt, die volkswirtschaftlich nicht zusammengehören, darf sich nicht wundern, wenn die Europäische Zentralbank nicht ein Abziehbild der Bundesbank geworden ist, sondern eine Mischung aus Federal Reserve und Internationalem Währungsfonds.

An dieser Stelle empfiehlt sich bei der Lektüre eine sehr gute Flasche Rotwein, und das »Lesevergnügen« bleibt auch bis zum Schluss garantiert.

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Prolog

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Kaum etwas bewegt die Menschen so sehr wie – das Geld. Wir haben wahrscheinlich für keinen anderen Begriff so viele Metaphern geschaffen: Kohle, Mäuse, Zaster, Marie, Bimbes …Geld beschäftigt die Menschen in allen Sprachen und Regionen der Welt. Es wird besungen, verprasst und gespart. Geld ist zwar nicht alles, haben Psychologen herausgefunden, aber »keine Festung ist so stark, dass Geld sie nicht einnehmen kann«, wusste der Philosoph Cicero schon vor mehr als 2000 Jahren im alten Rom.

Geld ist aber auch empfindlich, scheu wie ein Reh, verderblich wie eine falsch gelagerte Flasche Wein. Deshalb passen speziell dafür ausgebildete Spitzenbeamte in den Zentralbanken überall auf der Welt auf das Geld auf, zumindest sollte das ihr eigentlicher Auftrag sein.

Doch seit der großen Finanzkrise von 2008 erlebt Geld eine Art Wesensveränderung. Zinsen, also der Preis des Geldes, scheinen inzwischen abgeschafft. Die Europäische Zentralbank hält den Zins, zu dem Geschäftsbanken und Sparkassen sich frisches Geld bei ihr besorgen können, inzwischen schon seit Jahren bei null Prozent. Erste Banken vergeben heute Kredite bereits mit negativer Verzinsung. Wer sich also Geld leiht, bekommt dafür sogar noch Zinsen gutgeschrieben. Sparer dagegen leiden bitter unter der neuen Konstellation. Wenn sie früher ihr Geld zur Bank oder Sparkasse trugen, bekamen sie ein paar Prozent Zinsen. Heute müssen sie in einigen Fällen Strafgebühren bezahlen, ihr Vermögen schmilzt von Tag zu Tag.

Neue Technologien wie Blockchain und Kryptowährungen werfen zusätzlich die Frage auf, was das Geld im Innersten überhaupt noch zusammenhält. Nach dem Münzgeld aus der Frühgeschichte und dem neuzeitlichen Papiergeld kam zunächst das Giralgeld, auch Buchgeld genannt. Dabei wird unser heutiges Giralgeld vereinfacht formuliert dadurch geschaffen, dass Banken Kredite vergeben, die dann wieder als Einlage bei einer anderen Bank landen, um so wiederum als Kredit vergeben zu werden. Diese Kette kann theoretisch beliebig lange fortgesetzt werden. Damit wird entgegen der landläufigen Meinung der Großteil unserer modernen Geldmenge nicht von der Zentralbank gedruckt, sondern von den Geschäftsbanken durch Kredite geschöpft. Jetzt aber tauchen neue, bisher völlig unbekannte Formen von Geld auf. Kryptowährungen etwa kommen aus dem Nichts und stehen für nichts, außer dem unorganisierten Einvernehmen der Menschen, sie als Wertaufbewahrungs- und Zahlungsmittel zu akzeptieren. Und verbucht werden sie nicht mehr wie das Giralgeld auf Konten, die bei real existierenden Institutionen wie den Banken liegen, sondern in einer Technologie des übernationalen und institutionenfreien Digitalraumes.

Da mag es auf den ersten Blick beruhigend wirken, dass – wenigstens nach allen offiziellen Verlautbarungen – das Geld halbwegs seine Kaufkraft behält, also seinen Wert. Die Inflationsrate in Deutschland und den übrigen Ländern der Eurozone liegt unter zwei Prozent. Doch die vermeintliche Preisniveaustabilität erleben viele Bürger anders. Spätestens, wenn sie in einem Ballungsraum eine Wohnung oder ein Haus kaufen wollen, können sie sich leicht ausrechnen, dass sie dafür womöglich doppelt so lange arbeiten müssen wie ihre Eltern. Wenn das nicht Geldentwertung ist …

Keine Frage, das Geldwesen und unser gesamtes Finanzsystem haben sich in den vergangenen Jahrzehnten radikal verändert. Und spätestens in den Jahren nach der Finanzkrise und der Eurokrise mit den beispiellosen Rettungsaktionen von Politik und Zentralbanken sind die Auswirkungen bei allen Menschen angekommen – jeder spürt, dass die Finanzwelt deutlich unsicherer geworden ist.

Vor allem in Deutschland, dem Export- und Sparweltmeister, macht sich eine Mischung aus Ratlosigkeit und Frust breit. An die 5,5 Billionen Euro beträgt das Brutto-Geldvermögen der Deutschen, pro Kopf im Schnitt fast 68.000 Euro. Jahr für Jahr sparen wir zusätzlich mehr als neun Prozent des verfügbaren Einkommens. Doch wir werden dafür so gut wie nicht mehr belohnt. Die Gesamtrendite auf das Ersparte ist im Jahr 2016 auf 2,3 Prozent gefallen, Tendenz sinkend. Inzwischen ist die Rendite mit herkömmlichen Messverfahren kaum noch auszumachen. Und das wenige, das bleibt, wird durch Anlagegebühren aufgezehrt, bevor dann auch noch der Fiskus zugreift.

Lohnt es sich heute überhaupt noch zu sparen? Kommt, wie viele fürchten, die Inflation zurück und entwertet in den kommenden Jahren die Ersparnisse zusätzlich? Und wenn die alten Spielregeln im Geldwesen nicht mehr gelten, das altbewährte Anreizsystem des Marktmechanismus mit Belohnung (für Sparen) und Bestrafung (für das Schuldenmachen) abgeschafft ist: Nach welchen Spielregeln tickt unser Finanzsystem in Zukunft? Und wie kann ich mein Geld so anlegen, dass es wenigstens seinen Wert behält, vielleicht auch noch eine kleine Verzinsung erwirtschaftet?

Wir wollen in dieser komplizierten Gemengelage etwas Orientierung geben. Wenn wir aber Aussagen darüber machen wollen, in welche Richtung sich das Finanzwesen in Zukunft entwickeln wird und wie man sich als Anleger am besten positioniert, muss man erst einmal wissen, wie es zu dieser Situation gekommen sind. Genauer: Warum ist es eigentlich zum großen Crash 2008 gekommen, wieso musste eine jahrzehntelange Entwicklung auf den Märkten so enden?

Wir – das sind Leonhard Fischer und Arno Balzer. Wir haben den Aufstieg und Fall des Finanzmarkt-Kapitalismus hautnah erlebt. Leonhard Fischer als Banker und Topmanager in Frankfurt und London, New York und Zürich, Arno Balzer als Wirtschaftsjournalist und Chefredakteur in Hamburg. Es war eine aufregende Zeit! Jeder von uns hat seine Meinung zu den Ursachen von Krise und Crash. Der Journalist eröffnet den Disput auch gleich mit einer steilen These: Vor allem die Gier der Banker sei daran schuld. Der Banker winkt ab. Klar, es habe jede Menge gierige Banker gegeben, und fügt lachend hinzu, »dass wir Banker nicht klug genug sind, um so ein Riesendesaster wie den Crash von 2008 allein anzurichten«.

Die tieferen Gründe lägen woanders. Aber wo, fragt Balzer. Fischer beginnt zu erzählen, Balzer fragt nach, Fischer erklärt, Balzer macht sich Notizen … Das Ergebnis vieler und stundenlanger Gespräche lesen Sie in diesem Buch. Wir wollen darin das Geschehen auf den Finanzmärkten, die Gründe für Krisen und Crashs und die Perspektiven für die Zukunft des Geldwesens vor allem aus unseren Erlebnissen und Beobachtungen erklären. Die Erlebnisse beziehen sich natürlich in erster Linie auf den Banker Fischer, der seit den 1980er-Jahren in den Märkten operiert. Der Journalist Balzer ist zwar ähnlich lange aktiv, allerdings als Beobachter der Finanzzunft. Geschrieben ist das Buch in der Wir-Form. Bei den persönlichen Erlebnissen von Leonhard Fischer wechseln wir dann aber in die Ich-Form. Erwarten Sie von uns bitte keine akademische Abhandlung. Uns geht es darum aufzuschreiben, was mit unserem Finanzsystem passiert ist, und zu erklären, warum das passiert ist – und zwar so, dass möglichst jeder es verstehen kann.

Ganz ohne Theorie kommen wir freilich auch nicht aus. Denn es sind nicht zuletzt Wissenschaftler, die mit ihren Denkmodellen vor mehr als drei Jahrzehnten ein neues Dogma für die Finanzgemeinde geschaffen haben, einen Glaubenssatz, der das Denken und Handeln aller Akteure und Mitspieler an den Finanzmärkten in den vergangenen Dekaden prägen sollte.

Es ist der Start in eine aufregende Zeit gewesen, eine neue Ära, in der das olympische Prinzip Einzug in den Kapitalismus gehalten hat. Und das in doppelter Hinsicht: »Dabei sein ist alles« natürlich, vor allem aber »Schneller, höher, weiter«. Ein kreativer, grenzenloser Kapitalismus hat sich entwickelt, der bisherige ökonomische Regeln vergessen lässt. Mehr noch: Alte Beschränkungen wie die Macht wirtschaftlicher Ungleichgewichte im Außenhandel eines Landes scheinen auf einmal überwindbar. Alles oder wenigstens fast alles ist jetzt möglich, das jedenfalls glaubt jeder – bis dann die Finanzkrise 2008 auf brutale Weise klarmacht, dass wir doch nicht im Wirtschaftsparadies leben.

Der Schock wirkt nach, bis heute. Und es gehört wohl zu den sozialpsychologisch nachvollziehbaren Erklärungsversuchen, gierige Banker, namentlich Investmentbanker, für den Aufstieg des Finanzkapitalismus in den vergangenen mehr als 30 Jahren und vor allem seinen Fall und die Folgen verantwortlich zu machen.

Gewiss, sie sind dabei gewesen. Banker nutzen die Möglichkeiten der neuen Wirtschaftswelt. Aber sie sind nur eine Gruppe von Akteuren in diesem Spiel, vielleicht gar nicht einmal die wichtigste. Und es geht keineswegs nur um Gier. Es geht um etwas weit Größeres.

Wer wissen will, warum unser Finanzsystem und Geldwesen, ja unser gesamtes Wirtschaftssystem, heute in einer Identitätskrise steckt, wer nach Lösungen suchen will, wie wir da wieder rauskommen können, der muss erst einmal wissen, wie wir da reingeraten sind. Und das beginnt mit Eugen Fama, einem hochdekorierten Wirtschaftswissenschaftler der Universität Chicago, und seiner Hypothese vom effizienten Markt. Famas Botschaft, Märkte seien effizient, alle verfügbaren Informationen seien in den Preisen enthalten, löst an den Finanzmärkten eine Revolution aus. Das liegt freilich nicht nur an der Kraft von Famas Idee. Die entfaltet ihr explosives Potenzial vor allem deshalb, weil andere wichtige Komponenten dazukommen.

Notenbankchefs entwickeln sich auf einmal zu den zentralen Mitspielern an den Finanzmärkten. Wenn eine Krise droht oder gar ausbricht, werden sie regelmäßig zu den entscheidenden Akteuren.

Politiker treiben in den 1980er-Jahren die Deregulierung voran. Sie befreien die Märkte von bürokratischen Fesseln und sorgen für ein freies Spiel der Kräfte – nach dem Motto, der Markt selbst regelt alles am besten. Spätestens mit dem Fall der Berliner Mauer, der Auflösung des Ostblocks und dem Ende des Kommunismus exportiert sich das neue kapitalistische Gedankengut in den Rest der Welt – die Globalisierungswelle rollt.

Zusätzlich liefert die Lehre vom Shareholder Value Topmanagern, Investoren und Heerscharen von Unternehmensberatern eine neue, weithin akzeptierte Leitkultur. Ihre Forderung, die Unternehmenschefs sollten sich voll und ganz darauf fokussieren, den Unternehmenswert zu maximieren, wird zum alleinigen Maßstab für erfolgreiche Unternehmensführung.

Ein zentraler und allgemein viel zu wenig zur Kenntnis genommener Treiber für den neuen Finanzkapitalismus aber sind Computer und Innovationen in der Informationstechnik. Mit dem Internet, das die Computer miteinander vernetzt, revolutioniert sich der internationale Datenaustausch. Computer & Co. passen zu Famas Lehre vom effizienten Markt wie Nitro zu Glycerin. So wie die Verabreichung des kombinierten Wirkstoffs Leben retten kann und die Schmerzen einer Angina Pectoris nimmt, scheint das Bündnis aus Technik und Theorie die Finanzmärkte auf einmal kalkulierbar zu machen. Wenn Märkte nämlich effizient sind, dann sind auch ihre wichtigsten Parameter exakt messbar, etwa Differenzen zwischen optimalen und tatsächlichen Preisen. Und wenn Märkte messbar sind, sind sie dann nicht auch berechenbar?

Jetzt können die Hypothesen findiger Finanzmathematiker empirisch überprüft werden, Preismodelle für Aktien oder Anleihen und Theorien über die optimale Zusammenstellung eines Wertpapierportfolios entwickelt werden. Massenhaftes Sammeln, Aufbereiten und Auswerten von Marktdaten ist dank ausgeklügelter Computerprogramme per Tastendruck möglich. Nerds strömen in die Branche. Und dank immer leistungsfähigerer Rechner und höher entwickelter Software können immer komplexere Prognose- und Risikomodelle eingesetzt werden.

Die einzelnen Komponenten des neuen globalen Kapitalismus – Technik, Theorien und Finanzmathematik – wirken auf Banker (auch Notenbanker) und Politiker, IT-Profis und Wissenschaftler, Großinvestoren und Kleinanleger offenbar ähnlich faszinierend wie eine geheimnisvolle Supermixtur auf die Alchimisten des Mittelalters: Jetzt scheint es tatsächlich möglich, aus Blei Gold zu machen, die Zukunft an den Finanzmärkten zu managen – allerdings mit einem gewaltigen Unterschied zur Alchemie. Diesmal sind es aufgeklärte Wissenschaftler, Technik-Nerds und brillante Finanzmathematiker, die endlich die Formel für Wachstum und Wohlstand gefunden zu haben scheinen.

Nein, es ist nicht nur die Gier einiger weniger gewesen, es ist vielmehr der Glaube vieler, dass modernes Risikomanagement, leistungsfähige Computertechnologie und offene, globalisierte Märkte die alten wirtschaftlichen Gesetze endlich ausgehebelt haben – es ist wie eine Religion, an die alle glauben wollen. Und wenn doch mal eine Panne passieren sollte, wenn die Märkte sich doch nicht so verhalten, wie die Programme es vorhersagen, dann können das ja immer noch die Notenbanken ausbügeln. Um dann mit noch besseren Programmen und Computern die Zukunft an den Märkten noch effektiver steuern zu können.

Es ist ein Irrglaube, wie sich spätestens beim Finanzcrash 2008 herausgestellt hat. Und dieser Crash ist nicht etwa ein Unfall, er ist Folge einer programmierten Krise, angelegt durch eine Kombination verschiedener Faktoren:

Einer Vermischung aus realwirtschaftlicher Globalisierung mit durchaus segensreichen Wachstumseffekten in vielen Schwellenländern, aber großen, nachhaltigen Defiziten und ungelösten Widersprüchen.

Einer Finanzwirtschaft, die diese Ungleichgewichte nur allzu gern finanziert, dabei ihre Bilanzen und Gewinne aufbläht. Das geschieht in dem tiefen Glauben, mittels aufwendiger Metadatenverarbeitung und intelligenter Algorithmen die Risiken nicht zu erhöhen – im Gegenteil: Dank der Computersteuerung ist man überzeugt, sie faktisch zu senken.

Politikern, die nur allzu gern fehlendes Wirtschaftswachstum mit immer neuen Schulden zudecken können.

Und schließlich Zentralbanken, die ihr Mandat immer weiter ausweiten und neben der Geld- und Zinspolitik zu ständig einsatzbereiten Notfallärzten des Finanz- und Wirtschaftssystems werden.

All dies ist eingebettet in die tiefe Überzeugung aller beteiligten Akteure an die Unfehlbarkeit der Märkte – und fertig ist das Märchen von der modernen Finanzalchemie.

Wir wollen zeigen, wie gleich und doch anders die Situation Ende der 1970er-Jahre, als der neue Finanzmarkt-Kapitalismus startet, im Vergleich zu heute ist. Anders, weil die Symptome andere sind: Damals leidet die Welt an einer Inflation bei den Verbraucherpreisen, heute krankt sie an einer Inflation bei den Vermögenspreisen, bei Immobilien zum Beispiel. Gleich ist die Situation, weil es um einen Paradigmenwechsel in der Wirtschaftspolitik geht. Vor knapp 40 Jahren ist es der Entschluss, die Inflation zu bekämpfen, in breitem internationalen Konsens die Märkte zu öffnen und den Handel zu liberalisieren. Heute reden Politiker wieder über Abschottung und Protektionismus.

Vor allem aber haben die weltwirtschaftlichen Ungleichgewichte der vergangenen Jahre eine völlig neue Herausforderung für uns alle entstehen lassen: Auf der einen Seite stehen die großen Schuldnerländer, allen voran die USA und einige Staaten Südeuropas. Auf der anderen Seite befinden sich die großen Gläubigernationen, allen voran China und Deutschland. Ob und wie ein Interessensausgleich zwischen Gläubigern und Schuldnern gelingen wird und wie dieser Interessensausgleich aussehen kann, gehört dabei zu den zentralen Fragen.

Das Buch wird Ihnen das aus unserer Sicht wahrscheinlichste Szenario präsentieren: Wer sind künftig die Macher an den Märkten, wie werden sie sich wahrscheinlich verhalten, und was bedeutet das für die Zukunft des Geldes und seiner wichtigsten Kennzahlen, den Zins und die Inflation? Das liefert eine Basis, um einige Empfehlungen für den Umgang mit Ihrem Geld geben zu können.

Doch jetzt lassen Sie uns mit der Zeitreise in das Jahr 1979 starten, als das Wirtschaftswachstum niedrig, die Inflation hoch ist und unbesiegbar erscheint, das Jahr, in dem auch das Fundament der heutigen Geld- und Finanzmarktordnung gelegt wird.

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Es war einmal

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1. DAS »SATURDAY NIGHT MASSACRE«

Belgrad, Dienstag, 2. Oktober 1979. Mehr als 6 000 Bankiers und Finanziers, Minister und Spitzenbeamte kommen in der Hauptstadt Jugoslawiens zum Herbsttreffen des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank zusammen. Die Konferenz ist eine Erstaufführung. Zum ersten Mal trifft sich die gesamte internationale Finanzgemeinde in einem kommunistischen Land.

Jugoslawiens Regierungschef Josip Broz Tito hat das Land mit allem, was seine Variante der Planwirtschaft hergibt, auf die hochkarätigen Besucher aus aller Welt vorbereitet: Er hat ein neues Flughafen-Terminal errichten lassen, die Hotelkette Intercontinental hat in weniger als einem Jahr eine Fünf-Sterne-Herberge hochgezogen. Alle besseren Hotels im Umkreis von rund 100 Kilometern um Belgrad sind für die hochkarätigen und devisenbringenden Gäste reserviert. Und weil auch das nicht reicht, dürfen Privatleute Quartiere vermieten, ein Doppelzimmer für bis zu 350 Dollar die Nacht. Eine deutsche Bank bucht gar eine komplette Villa im Nobelvorort Dedinje, wo auch Präsident Tito residiert, für 36.000 Dollar.

Große Sorgen bringt die US-Delegation mit. Die wirtschaftliche Lage in den Vereinigten Staaten ist zu dieser Zeit angespannt, die Stimmung frustrierend. Wirtschaftswachstum können die Experten fast nur noch mit der Lupe ausmachen, Inflation dagegen umso leichter. Die Teuerungsrate liegt bei über zehn Prozent, Tendenz steigend. Kurz vor der IWF-Tagung melden die Statistiker einen Anstieg der Erzeugerpreise um 17 Prozent, der größte Zuwachs seit fünf Jahren. Und der Dollar schmiert um vier Prozent gegenüber der D-Mark ab, ausgerechnet kurz vor einem Treffen mit dem deutschen Bundeskanzler Helmut Schmidt, für das Paul A. Volcker, der neue Chef der amerikanischen Zentralbank, auf dem Flug von Washington nach Belgrad einen Zwischenstopp in Hamburg einlegt.

Direkt nach dem Antrittsbesuch bei Schmidt geht es weiter nach Jugoslawien, und die Probleme fliegen mit. Am meisten Angst macht der Carter-Administration die wieder anziehende Arbeitslosenrate. Im Weißen Haus ist es abgemachte Sache, dass die Zentralbank im Herbst die Zinsen senken wird, ein Jahr vor der Präsidentschaftswahl kann sich die Regierung keine noch schwächere Wirtschaft leisten.

Volcker dagegen nimmt die anschwellende Teuerungswelle als persönliche Herausforderung. Erst wenige Wochen zuvor hat Präsident Jimmy Carter den Harvard-Absolventen zum Chairman des Federal Reserve Boards (Fed) ernannt, wie die Zentralbank offiziell heißt. Bei seiner Anhörung vor dem Kongress hat Volcker klargemacht, was Inflation für ihn bedeute: Sie sei »Staatsfeind Nummer eins«. Und die Nervosität der Märkte verstärkt seine Sorgen noch.

Eine Rede seines Vorvorgängers Arthur Burns zum Auftakt des IWF-Treffens in Belgrad steigert die Nervosität bei Investoren, aber auch bei Notenbankern. Burns hat gesagt, es sei eine Illusion zu glauben, die Zentralbanken können die Lohn-Preis-Spirale beenden. Im Klartext hieße das: Die Zentralbanker glauben selbst nicht mehr daran, dass sie die Inflation erfolgreich bekämpfen können. Einen Tag später springt der Goldpreis um vier Prozent nach oben.

Volcker hält es jetzt nicht mehr in Belgrad. Er fliegt vorzeitig zurück nach Washington, um dort die Arbeiten am sogenannten Axilrod-Sternlight-Memorandum fertigzustellen. Eine Taskforce, geleitet von den Fed-Experten Stephen Axilrod und Peter Sternlight, soll in seinem Auftrag ein neues geldpolitisches Konzept zur Inflationsbekämpfung ausarbeiten.

Volckers vorzeitige Abreise aus Belgrad verschärft die Nervosität an den Märkten. Die Angst vor einer galoppierenden Inflation geht um, der Goldpreis springt noch einmal nach oben, diesmal sogar um sechs Prozent.

Washington, Samstag, 6. Oktober 1979. Urlaubsstimmung in den USA. Am darauffolgenden Montag ist Columbus Day, ein gesetzlicher Feiertag in den meisten Bundesstaaten. Viele Menschen nutzen das verlängerte Wochenende für einen Trip aufs Land, die Städte sind wie leer gefegt.

Nur im Eccles Building, der Zentrale der amerikanischen Notenbank, herrscht angespannte Betriebsamkeit. Paul Volcker, ihr Chef, hat die Mitglieder des Federal Open Market Committee, vergleichbar dem Zentralbankrat der Bundesbank und damit das wichtigste Entscheidungsgremium für die Geldpolitik, zu einer außerplanmäßigen und streng vertraulichen Sitzung nach Washington gebeten.

In einer Telefonkonferenz am Vortag hat der Fed-Chairman die Mitglieder des Gremiums eingeschworen: Das Treffen, bei dem über das neue geldpolitische Memorandum gesprochen und über Maßnahmen entschieden werden solle, sei höchst vertraulich, jede Indiskretion müsse unbedingt vermieden werden. Er empfiehlt seinen Fed-Kollegen, so konspirativ wie möglich in die Hauptstadt zu reisen und in unterschiedlichen Hotels abzusteigen. »Paul Volcker klang bei der Telefonkonferenz wie James Bond«, schreibt später ein Bloomberg-Redakteur.

Alle Konferenzteilnehmer halten dicht. Umso überraschter sind die Journalisten, als sie am Samstag zu einer kurzfristig angesetzten Pressekonferenz in die Zentrale des Federal Reserve Board gerufen werden. Der Chef des Washingtoner Büros des Fernsehsenders CBS fragt noch in der Presseabteilung der Fed nach, ob er das einzige TV-Team, das ihm an diesem verlängerten Wochenende zur Verfügung stehe, tatsächlich zu Volckers Pressekonferenz schicken solle oder ob es vielleicht nicht doch Aufnahmen vom Besuch Papst Johannes Pauls II. drehen könne. Die Antwort des Sprechers: An die Pressekonferenz der Fed werde sich der Journalist noch erinnern, wenn der Papst schon längst abgereist sei.

Das ist nicht übertrieben. Vor mehr als 50 Reportern, viele von ihnen in Freizeitkleidung, verkündet Volcker eine Kampfansage an die Inflation: Die US-Notenbank erhöht den Diskontsatz – den Zins, zu dem Banken sich Geld bei ihr beschaffen können. Doch diese Erhöhung, wenn auch unerwartet, ist nicht das wirkliche Hauptereignis dieses denkwürdigen Abends. Volcker führt über Nacht die Geldmengensteuerung und damit den sogenannten Monetarismus als neues Maß aller Dinge für die Fed ein.

Die Monetaristen gehen davon aus, dass Inflation – simpel ausgedrückt – das Ergebnis von zu viel Geld ist und die Hauptaufgabe einer Zentralbank darin besteht, dafür zu sorgen, dass die Geldmenge nicht stärker zunimmt als das Wachstumspotenzial der Volkswirtschaft. Volckers Theorieschwenk kommt einer Revolution gleich. Zu dieser Zeit kann man sich die kapitalistische Welt eigentlich nur noch mit reichlich Inflation vorstellen. Sein Mut zur geldpolitischen Wende könnte auch heutigen Notenbankern als Vorbild dienen. Schließlich riskiert der Fed-Chef Ärger an allen Fronten, mit der Politik, mit den Märkten, mit allen, weil er von seinem Ziel, die Inflation zu bekämpfen, zutiefst überzeugt ist. Dagegen erscheinen die Zentralbanken heute eher wie ein Reparaturbetrieb für die Fehlleistungen der Märkte und der Politik.