Für Nici, Susanne, Helene, Anja und 00Schmidt.

Ohne euch hätte Paul nie den Weg ins Weltall gefunden. Und ich nicht meinen. Danke für alles.

1. Paul und die verflixte Zeit

»Paul, nun mach schon! Ab ins Bad und Zähne putzen«, sagt Mama, während sie durch Pauls Zimmer pflügt und seine verstreuten Spielsachen in die große Kiste neben dem Bücherregal räumt.

»Noch fünf Minuten«, brummt Paul. Zum zweiten Mal an diesem Abend. Doch Mama schüttelt den Kopf.

Wie doof. Immer wenn es am spannendsten ist! Genervt wirft Paul die Totenkopfflagge auf den Boden. Er wollte sie gerade auf den Hauptmast seines neuen Schiffes bauen. Und überhaupt hat er noch so viel zu tun! Sein Piratenschiff ist wirklich weit davon entfernt, seetüchtig zu sein.

Doch Mama steht jetzt im Türrahmen und wartet.

Paul sieht die steilen Falten auf ihrer Stirn.

Er weiß, was das heißt: Gleich gibt’s ein Donnerwetter.

Also steht er seufzend auf und steigt vorsichtig über die vielen Einzelteile seines Piratenschiffes. Gleichzeitig öffnet er die Verschlüsse seiner Latzhose und zieht seinen gestreiften Lieblingspulli über den hellblonden Kopf, um ihn gegen das Oberteil seines Weltraumschlafanzuges einzutauschen.

»Aber Mama, ich bin wirklich und ehrlich noch gar nicht müde«, sagt Paul und unterdrückt ein Gähnen. »Ich hab hier noch unendlich viel zu tun.«

Mama grinst und hilft ihm, die Arme aus dem Pulli zu ziehen. »Ich weiß, ich weiß, Paulchen Panda, aber morgen ist auch noch ein Tag. Und wenn du bald in die Schule kommst, kannst du abends auch nicht mehr so lange spielen. Dann muss dein schlauer Kopf am nächsten Morgen ausgeruht sein, damit er sich all die spannenden Dinge merken kann, die du lernst.«

Paul runzelt die Stirn. »Aber jetzt, jetzt geh ich doch noch in den Kindergarten.«

Total unlogisch, was Mama da sagt.

Er ist zwar schon fünf Jahre und sieben Monate alt, aber in die Schule kommt er erst im Herbst. Das dauert noch ewig.

Außerdem kann Paul es nicht leiden, wenn Mama ihn Paulchen Panda nennt.

Schließlich ist er kein Baby mehr.

Mama sieht nicht aus, als würde sie nachgeben. Und so stampft Paul missmutig ins Bad, putzt Zähne und tauscht noch seine Entdecker-Latzhose gegen die seines Lieblingsschlafanzuges. Den mit den Sternen und Planeten darauf.

Dann kriecht er unter die Bettdecke.

Mama liest ihm seine aktuelle Lieblingsgeschichte vor: die mit den Piraten und der gefährlichen Seehexe.

Die ist wahnsinnig spannend.

Doch abends scheint die Zeit immer zu rasen.

Mama klappt das Buch zu.

»Aber Mama, du hast doch vor einer Minute erst angefangen zu lesen«, nörgelt Paul.

Mama lacht: »Eher vor dreißig Minuten. Jetzt ist Schlafenszeit.«

»Och bitte, Mamaaaaa … nur noch eine Geschichte.«

Mama schüttelt den Kopf: »Nein, Paul, es reicht für heute. Die nächste Geschichte lesen wir morgen Abend. Da brauchen wir schließlich auch noch eine.«

»Und wenn ich für morgen Abend eine neue suche?«, versucht Paul es ein letztes Mal.

Mama steht auf, gibt Paul einen Kuss auf die Nase und sagt nur noch: »Schlaf schön, Paulchen Panda. Ich hab dich lieb.« Dann löscht sie das Licht und schleicht aus Pauls Zimmer.

Während er Mama und Papa kurz darauf leise in der Küche reden hört, liegt Paul im Bett und seufzt. Er versucht, sich aufs Einschlafen zu konzentrieren. Doch das ist ungefähr so leicht, als würde jemand sagen: »Denk jetzt mal NICHT an ein blaues Polizeiauto.«

Gerade, wenn man es NICHT tun soll, geht es nicht anders. Und WENN man es tun soll, geht es nicht. Die Gedanken rasen viel zu schnell durch Pauls Kopf, bleiben hier und da stehen, drehen sich kurz im Kreis oder verschwinden so schnell, wie sie gekommen sind.

Gerade denkt Paul noch an sein Piratenschiff, gleich danach an Opa.

Seinen Opa, den tollsten Opa von allen, die er kennt. Pauls Opa ist nämlich Erfinder und hat eine große Werkstatt, in der er erfindet, bastelt, repariert und Sachen baut.

Und zwar alle Sachen, die man sich nur vorstellen kann.

Oder eben nicht, weil es blitzneue Sachen sind, die noch niemand je zuvor gesehen hat.

Erst neulich hat Opa für Paul einen Schokoriegelhalter gebaut. So einen, den Paul braucht, wenn er seinen Riegel kurz aus der Hand legen muss und das Papier bereits weggeworfen hat.

Paul kichert leise unter der Bettdecke.

Genial.

Schließlich weiß Opa, wie sehr Paul Schokolade liebt!

Und er weiß, dass Mama es nicht leiden kann, wenn überall Schokoflecken sind.

Der Schokoriegelhalter war also eine super Erfindung.

Genau wie letzten Winter: Da hat Paul von seinem Opa eine Schnupfenbremse bekommen. Ein weiches Tuch, das er sich unter die Nase schnallen konnte, damit er sie nicht dauernd putzen musste. Er weiß bis heute nicht, wie Opa das gemacht hat, aber seine Schnupfenbremse roch die ganze Zeit nach frischem Kakao. Paul war fast ein bisschen traurig, als seine Erkältung vorbei war.

Zu seinem fünften Geburtstag hat Opa Paul das Wertvollste geschenkt, das Paul besitzt: eine Taschenuhr an einer Kette, die vorne eine Uhr und hinten ein Kompass ist.

Außerdem spielt sie eine lustige Melodie, wenn man den Deckel öffnet.

Paul kann die Uhrzeit noch gar nicht wirklich lesen, aber das macht nichts, denn Mama sagt, die Taschenuhr geht ohnehin falsch.

Paul findet das nicht schlimm. Zeit ist ihm egal, und er findet, Mama könnte sie manchmal ruhig auch ein bisschen egaler sein.

Wenigstens abends.

Dann würde er jetzt an seinem Piratenschiff weiterbauen.

Paul wühlt sich in seiner Bettdecke zurecht. Kneift die Augen fest zu. Denkt ans Schlafen.

Aber es nützt nichts.

Er ist hellwach.

Seufzend schlägt er die Augen auf und späht durch sein Zimmer. Er schaut zu seinem Lieblingsspielzeug, einem orangefarbenen Müllauto. Sein Opa hat es ihm letztes Jahr auf dem Kinderflohmarkt gekauft. Und er schaut zu seinem Piratenschiff, das er eigentlich und unbedingt heute zusammenbauen wollte. Doch ständig kommt ihm etwas dazwischen. Entweder soll er in den Kindergarten, sein Zimmer aufräumen, oder es ist schon wieder Schlafenszeit.

Es ist wirklich und ehrlich wie verhext.

Nie hat er genug Zeit, sein Schiff startklar zu machen.

Da nützt auch eine Taschenuhr, die gar nicht geht, nix.

Schließlich lässt sich die Zeit damit auch nicht anhalten.

Das mit der Zeit ist sowieso merkwürdig, denkt Paul und strampelt die Bettdecke weg.

Kurz vor seinem Geburtstag zieht sie sich immer wie Kaugummi.

Und wenn Paul dringend zu Opa oder Emma, seiner Kindergartenfreundin, will und Mama den Autoschlüssel nicht findet … dann könnte man denken, fünf Minuten sind so lang wie zwei Stunden.

Nur abends, da läuft die Zeit mindestens dreimal so schnell wie sonst. Oder während seiner Lieblingskinderserie, die er sonntags gucken darf. Da könnte man denken, die aktuelle Folge dauert nur vier Sekunden.

Und plötzlich …

Tock,tock,tock!

… ein leises Klopfen am Fenster.

Paul hält den Atem an und lauscht.

Stille. Er lässt die Luft wieder raus und setzt sich auf. Hat er sich womöglich verhört?

Wer soll denn um diese Zeit an sein Fenster klopfen?

Zumal er im siebten Stock eines Hochhauses wohnt. Das ist so weit oben, dass überhaupt niemand an sein Fenster klopfen kann.

Vielleicht ist er ja doch kurz eingenickt und hat schon geträumt?

Paul will sich gerade wieder hinlegen, da …

Tock,tock,tock!

… klopft es noch einmal.

 

Paul hat es ganz genau gehört. Er überlegt fieberhaft, was er tun soll.

Schließlich entscheidet er sich für das Einzige, das ihm einfällt: aufstehen und nachsehen.

Paul findet sich schrecklich mutig, als er leise aus dem Bett klettert und durch sein Zimmer schleicht, um den Vorhang zur Seite zu schieben.

2. MARSmallows

Paul steht vor seiner Fußballgardine und zögert einen kurzen Moment.

Er kneift die Augen zusammen. So wie er es auch immer tut, wenn Mama ganz schnell ein Pflaster von seinem Knie reißt. »Eins, zwei, drei«, zählt er leise. Dann zieht er sehr mutig und mit einem Ruck den Vorhang auf.

Langsam öffnet Paul die Augen. Erst das linke, dann das rechte. Unglaublich!

Draußen sitzt ein kleiner Astronaut.

In einer Rakete, die direkt vor Pauls Nase mitten in der Luft parkt.

Sie ist feuerrot mit drei blauen Raketenantrieben.

Zumindest denkt Paul, es könnten Raketenantriebe sein.

So genau kennt er sich damit nicht aus.

Die Raketenspitze ist gelb mit einem Kranz blinkender Lichter drum herum.

Der Astronaut ist gerade so groß wie Paul und grinst ihn an.

Er trägt einen blau-gelben Astronautenanzug mit ausgebeulten Hosentaschen.

Seine Haare haben die gleichen Farben wie sein Anzug. Sie sind gelb und blau. Und stehen nach oben und zu beiden Seiten von seinem Kopf ab.

Der Astronaut lutscht an einer Zuckerstange, nimmt sie aus dem Mund, grinst breit, pustet sich seine etwas zu langen Haare aus dem Gesicht und – tock, tock, tock – klopft erneut an Pauls Fenster. »Na los, mach schon auf!«, ruft er und zeigt auf den Fenstergriff.

Paul schielt auf den Griff und streckt seinen Arm danach aus.

Verflixt und zugenäht, denkt er. Da ist dieses kleine Schloss.

So leise er kann, flüstert Paul von innen gegen die Fensterscheibe: »Ich kann das Fenster nicht öffnen. Es ist zugeschlossen. Damit ich nicht rausfalle.«

Der kleine Astronaut schaut Paul nachdenklich an. Dann nickt er mit dem Kopf und verschwindet in seiner Rakete.

Blitzschnell taucht er wieder auf – mit einer kleinen Schachtel in der Hand.

Eine Fernbedienung, denkt Paul. Denn mit Fernbedienungen kennt er sich aus. Sein Papa hat eine, mit der man das Licht im Wohnzimmer an- und ausschalten kann. Und eine andere für den Fernseher.

Der kleine Mann im blauen Anzug drückt auf einen leuchtend grünen Knopf auf der Schachtel. Etwas Unglaubliches passiert! Die Fensterscheibe verschwindet vor Pauls Augen.

Einfach so. Als hätte sie sich in Luft aufgelöst.

»Wahnsinn!«, platzt Paul heraus. Eine Fernbedienung zum Fenster-verschwinden-Lassen hat er noch nie gesehen!

»Hey …«, sagt der kleine Astronaut und grinst.

Wenn Paul vorher schon seinen Augen kaum getraut hat, traut er jetzt noch weniger seinen Ohren.

»H…hey …«, stottert er. Gleichzeitig wirbeln die Gedanken durch seinen Kopf. Ein echter Astronaut! In einer echten Rakete! Das ist so cool!

Und der kleine Astronaut grinst Paul weiter an.

»Wer bist’n du?«, fragt Paul zwar ein bisschen leise, aber dennoch sehr mutig.

»Wer ich bin?«, antwortet der Astronaut und kichert. »Meinst du das ernst? Weißt du das etwa nicht?«

»N…nein …«, stottert Paul. Mehr fällt ihm dazu auch gar nicht ein.

»Nun …«, der Astronaut lutscht kurz an seiner Zuckerstange, »… ich bin Kalle Komet. Und ich hab dich seufzen hören. So ein Seufzen, das man eben seufzt, wenn man keine Lust hat zu schlafen. Stimmt’s?«

»Äh, ja. Kann schon sein«, antwortet Paul und kratzt sich am Kopf. »Und das hast du echt gehört? Dass ich geseufzt habe?«

»Raketenehrenwort!« Der Astronaut hebt zwei Schwurfinger. »Und jetzt komm schon! Steig ein! Wir machen einen Ausflug!«

»Einen Ausflug …«

Paul trippelt von einem Fuß auf den anderen.

Er schaut zuerst Kalle und dann die Rakete an.

Die Lichter an der Spitze blinken abwechselnd in verschiedenen Farben.

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