„Wer glaubt,

etwas zu sein,

hört auf,

etwas zu werden.“

(Sokrates)  

Inhaltsverzeichnis

1. Vorbemerkungen

Warum Sie Vorwort und Einführung nicht überblättern sollten

Vorwort

2. Einführung

Einleitung

Begriffe

Teil 1: Den Boden bereiten

3. Der Beruf „Erlebnispädagog_in“

3.1 Das Berufsbild

3.2 Das Berufsbild konkret

3.2.1 Das Skillsmodell nach Priest und Gass

3.2.2 Hardskills

3.2.3 Softskills

3.2.4 Metaskills

3.3 Zusammenfassung

4. Grundlagen

4.1 Theorien der Erlebnispädagogik

4.1.1 Der Experiential Learning Cycle

4.1.2 Aktion – Reflexion – Transfer – Unterstützung

4.1.3 Die E-Kette

4.1.4 Die erlebnispädagogische Waage

4.1.5 Das Komfortzonenmodell

4.2 Kategorisierungen der erlebnispädagogischen Modelle

4.2.1 Einteilung nach Simon Priest und Michael Gass

4.2.2 Einteilung nach Rüdiger Gilsdorf

4.3 Die Bedeutung von Reflexion

4.3.1 Das Johari-Fenster aus erlebnispädagogischer Sicht

4.3.2 Reflexion in der Erlebnispädagogik

4.4 Grundannahmen systemischkonstruktivistischen Denkens

4.4.1 Der systemische Blick auf die Möglichkeiten in der Reflexion

4.4.2 Der konstruktivistische Blick auf Reflexion

4.5 Zusammenfassung

Teil 2: Den Blick ändern

5. Eine neue Perspektive

5.1 Eine neue Ordnung der Modelle der Prozessbegleitung

5.2 Der Einfluss des Prozessbegleiters

5.3 Das Kontinuum der subjektiven Einflussnahme

5.4 Beschreibung der Modelle der Prozessbegleitung

5.4.1 „The Mountains Speak for Themselves“

5.4.2 Das archetypische Modell

5.4.3 Metaphern der Teilnehmer

5.4.4 Offene Dialogreflexion

5.4.5 Fokussierte Dialogreflexion

5.4.6 Metaphern des Erlebnispädagogen – Geschichten, Anekdoten u. Suggestionen

5.4.7 Isomorphien

5.4.8 Direktives Handlungslernen

5.4.9 Kommentiertes Handlungslernen

5.5 Das Kontinuum am konkreten Beispiel

5.6 Zusammenfassung

6. Die erweiterte E-Kette

6.1 Was bedeutet Entwicklung?

6.1.1 Kompetenzstufenmodell

6.1.2 Hindernisse und Widerstände

6.2 Das Modell der erweiterten E-Kette

6.3 Die erweiterte E-Kette aus der Sicht der Teilnehmer

6.4 Die erweiterte E-Kette aus Sicht des Erlebnispädagogen

6.5 Zusammenfassung

Teil 3: Eine Haltung entwickeln

7. Die subjektive Färbung der Intervention

7.1 Grundgedanken

7.1.1 Auftragsklärung und Rollenbewusstsein

7.1.2 Beziehung

7.1.3 Beobachtung und Sichtweisen

Exkurs …

Bedürfnispyramide

Das Werte- und Entwicklungsquadrat

Gruppenphasen

Circle of Courage

7.1.4 Hypothesen

7.1.5 Intuition und Erfahrung

7.2 Haltung

7.2.1 Wertschätzung

7.2.2 Allparteilichkeit, Neutralität und Neugier

7.2.3 Freude, Spaß und Humor

7.2.4 Selbstreflexion und Selbsterfahrung

7.3 Zusammenfassung

8. Systemische Prinzipien in der Erlebnispädagogik

8.1 Die Ausgangslage: eine Paradoxie

8.2 Potentiale der Erlebnispädagogik

8.3 Thesen für die erlebnispädagogische Praxis

8.3.1 Zutrauen entwickeln

8.3.2 Sich selbst über die Schulter schauen

8.3.3 „Falsch und Richtig“

8.3.4 Die Teilnehmer abholen

8.3.5 Von der Zielerreichung zur Entwicklungsbegleitung

8.3.6 Was wirkt, entscheidet der Empfänger

8.3.7 Aus „Entweder-Oder“ mehr „Sowohl-als-auch“ werden lassen

8.3.8 Die Kunst des Fragens

8.3.9 Die Kunst der Entschleunigung

8.4 Systemische Erlebnispädagogik – was ist das?

8.4.1 Konzepte systemischer Erlebnispädagogik

8.4.2 Die Grundstruktur systemischer Erlebnispädagogik

8.5 Zusammenfassung

9. Entwicklung der eigenen Haltung

9.1 Selbstreflexion als möglicher Zugang?

9.2 Haltung auf dem Prüfstand

9.2.1 Fragebogen

9.2.2 Feuer und Coaching – Texte und Fragen zum Nachdenken

9.2.3 Übung für Mitarbeiter aus der Jugendhilfe

9.2.4 Hochseilgarten – Mutsprüche

9.2.5 SWOT-Analyse

9.2.6 Ehrlichkeit dem Kunden gegenüber

9.2.7 Anleitung zum Durchschnittlich-Sein

9.2.8 Dekonstruktionsbrille

9.3 Zusammenfassung

10. Fazit

Literaturverzeichnis

Internetquellen

Sonstige Quellen

Die Autoren

1. Vorbemerkungen

1. Vorbemerkungen

Die Erde schenkt uns mehr Selbsterkenntnis als alle Bücher, weil sie uns Widerstand bietet.

Antoine de Saint-Exupéry: Wind, Sand und Sterne

Warum Sie Vorwort und Einführung nicht überblättern sollten.

Es wird vielen von Ihnen ähnlich gehen. Weil man gespannt ist darauf, ob man Gefallen an einem Buch findet, überblättert man häufig Vorwort und Einleitung, damit man rasch dort angelangt, wo es „richtig losgeht“. Wir möchten Ihnen jedoch ans Herz legen, dies bei dem vorliegenden Buch nicht zu tun. Es folgt sozusagen eine „Anleitung“ zum Lesen des Buches. Viele der Gedankengänge und sprachlichen Besonderheiten könnten leicht missverstanden werden, wenn Sie lediglich in das Inhaltsverzeichnis sehen und zu dem Kapitel springen, das unmittelbar Ihre größte Aufmerksamkeit anzieht. Lesen Sie die Einleitung und entscheiden Sie danach, welche Kapitel Sie als Experte zunächst doch überspringen.

Wenn Sie zu der Erkenntnis gelangen, dass Sie nicht zum wiederholten Male Abschnitte über grundlegende Modelle der Erlebnispädagogik lesen müssen, geben wir Ihnen hier den Tipp, spätestens bei Kapitel 4.2. einzusteigen.

Vorwort

„Warum wollt ihr dieses Buch schreiben, es gibt doch schon so viele? Was wird das Neue sein darin? Wollt ihr vorhandene Erkenntnisse nur einfach neu beschreiben und in eure Sprache übersetzen? Erfindet ihr etwas neu und ist das, was es bereits gibt, nicht gut genug?“

Mit solchen Fragen wurden wir in den vergangenen Monaten immer wieder konfrontiert, und oft stellten wir uns diese Fragen im Autorenteam selbst. Was genau ist unsere Absicht, wenn wir uns daran machen, unsere Erkenntnisse aus 30 Jahren erlebnispädagogischer Praxis zu Papier zu bringen?

Wir wollen einen Kuchen backen. Die Zutatenliste findet sich in einem der zahlreichen Koch- und Backbücher im Regal bzw. heutzutage leicht im Internet. Die Liste klingt vertraut: Mehl, Eier, Butter … oder übersetzt in die Sprache der Erlebnispädagogik: neue und möglichst herausfordernde Erfahrungen, vorzugsweise, jedoch schon lange nicht mehr ausschließlich in der Natur, zumeist erlebt in der Gruppe, physisch und psychisch sicher vorbereitet und durchgeführt, dazu eine gute Portion Reflexion zu unterschiedlichen Zeitpunkten in die rohe Kuchenmasse eingebracht, um am Ende einen möglichst guten Transfer für die einzelnen Teilnehmer oder die gesamte Gruppe zu ermöglichen. Den fertigen Kuchen kann man zudem dekorieren und zu einem passenden Stück geschnitten zusammen mit Kuchengabel und Serviette anrichten.

Vielen ist bekannt, was es bedeutet, als Küchenlaie einen vorzeigbaren Kuchen zu backen und sie wissen um die Tücken dieses Geschäftes. Selbst wenn man sich Zeile für Zeile an das Rezept hält, ist dies noch lange keine Garantie für etwas Schmackhaftes. Begnadeten Bäckern und Konditoren dagegen gelingt etwas Wunderbares: Auch wenn jeder Kuchen anders schmeckt und kleine Nuancen bei der Zusammenstellung der Zutaten, bei der Backtemperatur und bei der Backdauer den Kuchen verändern, er gelingt immer. Und fragt man eine passionierte Hausfrau, wie sie das mache, lautet die Antwort „Das habe ich im Gefühl.“ Oft frustriert diese Antwort dann eher und führt dazu, dass auf eine Fertigbackmischung zurückgegriffen wird. Und selbst dann gelingt es meist nicht, das Ergebnis auch nur im entferntesten Sinne ähnlich aussehen zu lassen wie das, was das Bild auf der Verpackung verspricht.

Gute Bäcker können zudem aus den gleichen oder zumindest sehr ähnlichen Zutaten ein gutes Dutzend verschiedenster Kuchen zaubern. Konsistenz, Geschmack, Größe und „Schwere“ des Kuchens sind oftmals so unterschiedlich, dass man kaum glauben mag, es handele sich hier um die gleichen Ausgangsmaterialien.

Und so möchten wir das Buch verstehen. Wir werden nicht das Kuchenbacken neu erfinden oder auch nur behaupten, unsere Kuchen würden besonders gut schmecken. Doch wir denken, aus lange bekannten Zutaten am Ende einen neuen Kuchen kreiert zu haben, der dann probiert werden kann. Er mag ein interessantes Erscheinungsbild haben, manche klassische Zutaten nur in Spuren und weitere spannende Gewürzmischungen enthalten – am Ende muss er schmecken, und zwar vor allem den Kunden und nicht dem Bäcker alleine. Ob er sich auf dem Markt durchsetzen kann, wird hoffentlich lebhaft diskutiert werden.

Das Bild mit dem Kuchen hinkt an einer sehr wichtigen Stelle. Man könnte meinen, Erlebnispädagogik könne nach Rezept zusammengesetzt werden und am Ende komme schon irgendwie ein Kuchen dabei heraus. Man nehme etwas hiervon und davon und schon hätten wir etwas für den Sonntagskaffee. Da wir viele Menschen im Bereich Erlebnispädagogik ausbilden, werden wir mit solchen Fragen auch immer wieder konfrontiert: „Welche Aufgabe und welche Reflexionsmethode muss ich kombinieren, um ein bestimmtes Thema zu bearbeiten?“

Wir haben die Hoffnung, dass Sie selbst diese Fragen nicht mehr stellen werden oder dass Ihr Blick auf die Antworten ein vollkommen neuer ist, wenn Sie dieses Buch komplett gelesen haben. Denn wir sind der Meinung, dass (Erlebnis-)Pädagogik viel zu komplex ist, um Antworten auf diese Frage überhaupt in befriedigender Weise geben zu können. Und wir behaupten obendrein, dass dies sogar gut ist.

Wir möchten ausdrücklich bereits an dieser Stelle die vorangegangene Arbeit vieler Kolleg_ innen würdigen, die in hervorragenden Publikationen vieles bereits zu Papier gebracht haben. Zahlreiche Kapitel des vorliegenden Buches wären sehr kurz, wenn wir einfach auf deren Werke verweisen würden. Und der Beginn dieses Buches war nichts anderes als ein 25 Seiten langer Artikel in einer Kongressveröffentlichung, wo wir genau dies getan haben: Grundlagen, auf denen unser neu entwickeltes Modell der erweiterten E-Kette beruht, haben wir dort als bekannt vorausgesetzt und nur mit ein paar Zeilen in Erinnerung gerufen.

Da es unsere Absicht ist, dass ein praktizierender Erlebnispädagoge dieses Buch auch lesen kann, ohne dabei mehrere weitere Werke gleichzeitig bei sich führen zu müssen, beschreiben wir in den ersten Kapiteln die für uns wichtigsten Modelle und Denkansätze und erläutern zugleich, woher diese stammen. Dabei haben wir nach bestem Wissen und mit bestem Gewissen nach der jeweiligen Urheberschaft geforscht und bitten um Hinweise darauf, falls uns dies einmal nicht richtig gelungen ist, und zugleich um Entschuldigung. Die Bücher, auf die wir uns beziehen, füllen ganze Regale. Manche Gedanken haben wir dort wiedergefunden, die wir in ähnlichem Umfang selbst hatten, bevor wir später dann auf die entsprechenden Textpassagen stießen. Viele Inspirationen haben unsere eigenen Schlüsse erweitert, andere wiederum teilen wir nicht. Bei manchen Gedankengängen und Bildern hoffen wir, die Urheberschaft für uns beanspruchen zu dürfen, denn diese sind bei uns neu entstanden.

Immer wieder hervorgeholt haben wir bei unseren Recherchen diverse Titel der folgenden Autoren, wobei deren Stellenwert sich durch die alphabetische Ordnung der Nennung nicht immer widerspiegelt. Es sind dies unter anderen: Steven Bacon (2003), Manuel Barthelmess (2016), Jörg Friebe (2010), Michael A. Gass (2005), Rüdiger Gilsdorf (2004), Bernd Heckmair (2000, 2008), Martin Hillebrand und Roswita Königswieser (2011), Johan Hovelynck (1999 – 2004), Hans Peter Hufenus (2012), Christine und Hansjörg Lindenthaler (2012), John L. Luckner und Reldan S. Nadler (1997), Werner Michl (1989, 2015), Hartmut Paffrath (2013), Simon Priest (1999), Mart Rutkowski (2010), Tom Senninger (2000), Rainer Schwing (2013), Arist von Schlippe und Jochen Schweitzer (2003), Cornelia Schödlbauer (2000) und viele andere mehr.

An dieser Stelle möchten wir klarstellen, dass wir bei allen Bezeichnungen, bei denen es uns übersichtlicher und lesbarer erschien, nur ein Geschlecht nennen, wir jedoch stets das andere Geschlecht gleichermaßen meinen und ansprechen. Um einen besseren Lesefluss zu gewährleisten, verzichten wir größtenteils auf die Nennung femininer Endungen.

Alle Leserinnen mögen sich dennoch bitte in gleicher Weise angesprochen wissen.

Wenn im Text Personennamen vorkommen, wurden diese dort, wo es die Persönlichkeitsrechte von Teilnehmern betrifft, geändert.

Hinterzarten, im Juli 2017

Roland Abstreiter, Rafaela & Reinhard Zwerger

2. Einführung

2. Einführung

Einleitung

In unseren Ausbildungsgruppen werden wir häufig gefragt, welche Aktivität „A“ man am besten einsetzen und welche Reflexionsmethode „R“ man sodann ergänzen solle, um am Ende das Ziel „Z“ zu erreichen. Dahinter steckt die Suche nach einem klaren Schema, an dem man sich festhalten kann – wie die Suche nach einem Rezept. Wenn man will, dass die Gruppe an ihrem Kommunikationsverhalten arbeitet, verwendet man am besten Teamaufgabe XY, … mit anderen Worten: Welche Aktivität führt mit welcher Reflexionsmethode zu welchem Ziel? Der Gedanke dahinter ist, dass durch bestimmte Aufgaben gleichsam automatisch die entsprechenden Erkenntnisse gewonnen werden könnten. Es wäre so schön, da so einfach! Leider – oder besser gesagt: zum Glück – ist dem aber nicht so, da wir es mit Menschen und nicht mit Maschinen zu tun haben und auch wir selbst Menschen mit subjektiven Einstellungen und Empfindungen sind und daher mit dem, wie wir sind, den Prozess beeinflussen.

Meistens müssen wir die Teilnehmer unserer Weiterbildungen vertrösten, dass sie unsere Antwort erst in einigen Wochen des Erlebens und Erfahrens verstehen würden und dies selbst dann noch nicht gewährleistet sei. Unser „Kommt ganz darauf an“ beinhaltet dabei stets auch das Hinterfragen der Intention, ein bestimmtes Ziel zu erreichen, das uns ein Auftraggeber oder wir selbst gesteckt haben, und ein Reflektieren der eigenen Motive und Antreiber.

Während eines Abschlussgesprächs nach neun Monaten Zusatzqualifikation „Erlebnis- und Umweltpädagogik“ erzählte ein Teilnehmer, dass er den Beginn der Weiterbildung „ganz schön nervig“ gefunden habe. Immer wenn er seinen Wissensdurst gestillt bekommen wollte, hielten wir ein „Kommt ganz darauf an“ entgegen und stellten Fragen, anstatt „einfach“ zu sagen, wie „man es richtig macht“.

Er hatte es sich zur Aufgabe gemacht, während seines in der Ausbildung erforderten Eigenprojektes Sozialarbeiter und Lehrer an einer Schule in Erlebnispädagogik zu schulen, und sah sich nun mit den gleichen Fragen konfrontiert. Und er erzählte mir, wie sich seine eigene Haltung mittlerweile gewandelt habe. Wir zitieren aus seinem Projektbericht:

„Während der Ausbildung zum Erlebnispädagogen hörten wir öfter den Satz ‚Kommt ganz drauf an‘. Gerade wenn es um die Frage ging, welche Methode wende ich bei Problem X an. Auf diesen Satz durfte ich während des Projektes des Öfteren zurückgreifen. Gerade diese Situation verdeutlichte mir, dass die Erlebnispädagogik keine einfache Problem-Antwort-Geschichte ist, sondern dass die Haltung der Anleiter, die Persönlichkeiten der Teilnehmer, die Phase der Gruppe, usw. … ausschlaggebend sind. Und dass wir als Erlebnispädagogen selbst bei einer guten Vorbereitung zwar für den Rahmen verantwortlich sind und für die Begleitung des Prozesses. Doch was gewonnen werden kann, liegt ebenso in der Verantwortung der Teilnehmer. Offenheit, Motivation und Engagement bestimmen maßgeblich den Erfolg eines Prozesses mit.“

Dieses Buch mit dem Titel „Außen handeln – Innen schauen“ wird vor allem näher untersuchen, wie Erlebnispädagogen ihre Aufgaben und Tätigkeiten ausfüllen, welche Faktoren bei der Gestaltung von Lernräumen und Aktivitäten eine Rolle spielen, wo Stellschrauben oder Ansatzpunkte gesehen werden, um bewusst Einfluss auf den Lernprozess der Teilnehmer zu nehmen – mit dem Ziel, persönliche Entwicklungsprozesse bei ihnen anzuregen und zu begleiten. Darin stecken aus unserer Sicht die wesentlichen Inhalte und die Beantwortung der Gretchenfrage der Erlebnispädagogik: „Wie gestalten wir den Unterschied zwischen erlebnisorientierten Angeboten und wirksamer Erlebnispädagogik? Wo sind Ansatzpunkte und Einflussmöglichkeiten, um Prozesse am Laufen zu halten und sie zu unterstützen, um Entwicklung auf persönlicher Ebene zu ermöglichen und die Teilnehmer in ihren Themen voranzubringen?“

Im Hinblick auf die Ziele der Erlebnispädagogik unterscheidet beispielsweise Baig-Schneider (2012, S. 171) drei zentrale Dimensionen erlebnispädagogischer Veranstaltungen. Diese sind Bildung im Sinne von Selbstbildung, Erziehung und Training. Aus unserer Sicht zielt Erlebnispädagogik immer auf einen persönlichen Entwicklungsprozess ab, der die genannten Aspekte beinhaltet.

Wenn „wir Erlebnispädagogen“ gefragt werden, warum und auf welche Weise das funktioniert, was wir mit fester Überzeugung vertreten, mit Leidenschaft vortragen und den uns anvertrauten Menschen nahebringen wollen, bemühen wir zumeist unterschiedliche Modelle, die alle jeweils Teilaspekte beinhalten. Je länger wir uns mit diesen Themen beschäftigen, desto näher rücken die Ansätze zusammen und desto klarer werden für uns die Zusammenhänge zwischen all den Betrachtungsweisen.

Daher wird es aus unserer Sicht Zeit für eine Neubetrachtung der Lernmodelle, Wirkmodelle, Ansätze oder Theorien, wie auch immer der theoretische Hintergrund zur Erlebnispädagogik von unterschiedlichen Autoren genannt werden mag. Zusammenfassend lassen sich aus unserer Wahrnehmung heraus erlebnispädagogische Ansätze sehr gut mit den Denkansätzen der systemischen Praxis verbinden.

In diesem Buch werden wir nur einen groben Blick auf das Offensichtliche legen. Die auf dem weiten Feld der Erlebnispädagogik genutzten Medien, wie Natursport, Hochseilgarten, Lernszenarien, Interaktionsübungen und vieles mehr, werden wir hier nur streifen und dabei mit Freude auf ein großes Spektrum von Veröffentlichungen verweisen. Auch die Themen der physischen und psychischen Sicherheit und Unversehrtheit der Teilnehmer seien nur am Rande erwähnt. Und da es zudem zahlreiche Fortbildungen zu diesen Fertigkeiten gibt, widmen wir uns in unserem Buch diesem Bereich nur peripher.

Im ersten Teil beschreiben wir in Kapitel 3 zunächst den Beruf des Erlebnispädagogen, wobei wir auf das 2015 erstmalig veröffentlichte Berufsbild des Bundesverbandes Individual- und Erlebnispädagogik eingehen. Wir konkretisieren dieses Berufsbild anhand der Fertigkeiten und Fähigkeiten, die ein Erlebnispädagoge mitbringen sollte. Sodann geben wir in Kapitel 4.1 einen Überblick über die am häufigsten veröffentlichten Theorien und Modelle, auf die wir in unterschiedlicher Form und Ausprägung immer wieder zurückgreifen, wenn es darum geht, Menschen in der Entwicklung diverser Kompetenzen zu fördern bzw. den Teilnehmern unserer Fort- und Weiterbildungskurse zu beschreiben, wie das, was wir tun, wirkt. Wir stellen dabei die Modelle so dar, wie sie in unserem Verständnis von den jeweiligen Autoren gedacht waren, ungeachtet der Widersprüchlichkeiten und möglicher Kritiken an den jeweiligen Ansätzen.

Im weiteren Verlauf nehmen wir auch eine Neusortierung und teilweise Neubenennung von immer wieder ähnlich, aber leider selten einheitlich verwendeten Begriffen vor. In Kapitel 4.2 differenzieren wir zwischen den Ansätzen von Priest/Gass und Gilsdorf. Die Ansätze unterscheiden sich unter anderem in der Frage, ob sich zwischen Phasen der Aktivität und Reflexion eine Trennlinie ziehen lässt oder nicht.

In Kapitel 4 betrachten wir Reflexion als unerlässlichen Bestandteil erlebnispädagogischer Programme, unabhängig davon, ob sie vom Erlebnispädagogen bewusst angeleitet wird oder ob sie als untrennbarer Bestandteil der Aktivitäten angesehen wird.

Unsere Haltungen und Herangehensweisen sind zu einem großen Teil durch Gedanken aus der Systemtheorie und dem Konstruktivismus geprägt, so dass wir in Kapitel 4.4 einen Abriss über für uns wichtige und im Zusammenhang mit Erlebnispädagogik stehende Grundannahmen und Haltungen systemischen Denkens und Handelns geben.

Im zweiten Teil betrachten wir in Kapitel 5, welche Rolle wir als Erlebnispädagogen innehaben, ganz gleich, ob wir uns der daraus resultierenden Effekte auf das ganze System bewusst sind oder nicht. Aus bekannten Modellen kreieren wir sodann ein neues erweitertes E-Ketten-Modell. Zudem beschreiben wir bestehende Modelle der Prozessbegleitung (bislang beispielsweise bekannt unter dem Begriff „Lernmodelle“) neu, indem wir sie nach dem Grad der subjektiven Einflussnahme des Erlebnispädagogen auf die Teilnehmer ordnen.

Durch diese neue, an der Person des Erlebnispädagogen ausgerichtete Ordnung ergeben sich unterschiedliche Sichtweisen auf erlebnispädagogische Prozesse. Ein Prozess kann jeweils aus der Sicht des Erlebnispädagogen betrachtet werden („Wie trage ich zur Entwicklung bei? Wie interveniere ich?“) oder aus der Sicht des Teilnehmers („Welche Prozesse durchlaufe ich?“). In der Praxis ist der Entwicklungsprozess der Teilnehmer permanent durch die Intervention des Erlebnispädagogen beeinflusst. Um diese Dynamik greifbarer zu machen, betrachten wir die Prozesse in Kapitel 6 getrennt voneinander.

Wir versuchen dadurch aufzuzeigen, an welchen Stellen ein Erlebnispädagoge – immer abhängig von seiner subjektiven Sichtweise – vermeintlich stärker oder weniger stark den Prozess beeinflussen kann. Er kann sich bewusst für Zeitpunkte und Arten von Interventionen entscheiden – wissend, dass es sich immer um dynamische Prozesse und Wechselwirkungen unterschiedlicher Faktoren handelt und wir davon ausgehen, dass Reflexions- und Transferprozesse bei Teilnehmern permanent im Verborgenen ablaufen, ohne dass sie konkret zugeordnet werden können.

Im dritten Teil erörtern wir für uns wichtige systemische Ansätze und beschreiben mit Beispielen aus unserer Arbeit, welche Rolle die aus ihnen resultierenden Denk- und Handlungsansätze in der erlebnispädagogischen Arbeit spielen sollten. Als Erlebnispädagogen können wir die Entwicklungsprozesse der Teilnehmer aus unterschiedlichen Rollen heraus mit unterschiedlichen Sichtweisen betrachten. Wir sprechen dabei von verschiedenen Hüten, die wir aufsetzen, und verschiedenen Brillen, die wir tragen können. Je nach Hut und Brille werden wir unterschiedlich intervenieren. Dadurch wird die Subjektivität der Intervention greifbar. Dies beschreiben wir in Kapitel 7.1.

Dem Begriff der „Haltung“ kommt dabei eine zentrale Bedeutung zu. In Kapitel 8 setzen wir uns mit den Fragen auseinander, inwieweit die Haltung desjenigen, der den Prozess begleitet, und die Beziehung zu den Teilnehmern eine Rolle für die Wirkung von Erlebnispädagogik und für die Lernerfahrung der Teilnehmenden spielen.

Kann man eine „Haltung“ erlernen? Wie entwickelt sich eine persönliche Haltung?

Das letzte Kapitel des Buches (Kapitel 9) beschäftigt sich mit diesen Fragen und damit, wie wir an der eigenen Haltung arbeiten können.

Wir nehmen an dieser Stelle die beiden ersten Absätze des „Berufsbildes Erlebnispädagog_in“ (www.be-ep.de, 2015) vorweg: Zentrale Worte darin für die weiteren Betrachtungen sind für uns: „Die spezifischen Aufgaben und Tätigkeiten von Erlebnispädagog_innen liegen in der zielgerichteten, fachlich fundierten Planung und Durchführung handlungsorientierter Lernszenarien, vorzugsweise in und mit der Natur als Erfahrungsraum. Sie arrangieren ganzheitlich orientierte, individuell herausfordernde und nicht alltägliche Situationen, die entwicklungs- und bildungswirksame Erlebnisse ermöglichen. Diese fördern vorrangig personale und soziale Kompetenzen. Um einen Lerntransfer und Entwicklungsprozesse in die Lebens- und Arbeitswelt zu unterstützen, setzen Erlebnispädagog_innen verschiedene Reflexionsmethoden ein. Sie arbeiten theoriegeleitet und greifen dabei auf spezifische Lern- und Wirkungsmodelle zurück.“

Oder mit unseren Worten: Wir setzen Methoden des handlungsorientierten Lernens mit ihrem kompletten vielfältigen Umfeld so ein, dass wir unseren Teilnehmern – einzelnen Personen wie Gruppen – Entwicklung ermöglichen.

Aufzuzeigen, warum wir denken, dass bestimmte Herangehensweisen diese Zielsetzung unterstützen, ist erklärtes Ziel dieses Buches.

Begriffe

Wir möchten an dieser Stelle einige Begriffe im Vorfeld erläutern und sprachliche Vereinbarungen treffen.

Es betrifft die Benennung der „Adressaten“, jene Menschen also, die die Zielgruppe erlebnispädagogischer Programme sind. Ein recht allgemeingültiger Begriff wäre das Wort „Teilnehmer“, und auf die meisten Menschen trifft dies in seiner Neutralität auch zu. Zu den „Kunden“ erlebnispädagogischer Veranstaltungen gehören jedoch auch Menschen, die beispielsweise im Zuge einer therapeutischen Behandlung zu uns geschickt werden und mit denen wir in Zusammenarbeit mit Therapeuten erlebnispädagogisch arbeiten. Dann ist der Begriff „Klient“ der passendere, und wenn wir aus Originalliteratur zu systemischer Therapie zitieren (ein Kontext, in dem systemisch geprägtes Vorgehen ursprünglich entstanden ist), werden die Begriffe „Klient“ oder „Klientensystem“ häufig verwendet, weshalb sie auch in diesem Buch immer wieder zu finden sind.

Wir möchten der Einfachheit halber folgende Vereinbarung mit Ihnen treffen: Welchen Begriff wir oder die Literatur auch immer verwenden, Sie ersetzen ihn durch den, der für Sie und Ihren Kontext gerade am besten passt!

Etwas sehr Ähnliches möchten wir mit dem Begriff „Erlebnispädagoge“ vereinbaren. Erlebnispädagogik im ursprünglichen Sinn war auf junge Menschen ausgerichtet, und auch der Ursprung des Wortes „Pädagoge“ (altgriechisch „Der Knabenführer“) beinhaltet diese Zielgruppe. Seit langer Zeit haben erlebnispädagogische Elemente in der Erwachsenenbildung Einzug gehalten und hier, in Bereichen, in denen Menschen nicht mehr „erzogen“ oder „pädagogisiert“ werden möchten, ersetzen Begriffe wie „Trainer“, „Outdoortrainer“, „Erlebniscoach“ oder „Prozessbegleiter“ den „Erlebnispädagogen“. Auch wir werden im wechselnden Zusammenhang diese Begriffe parallel verwenden und bitten Sie wiederum, Ihre Lieblingsbegriffe kontextbezogen einzusetzen.

Im erlebnispädagogischen Kontext begegnen wir immer wieder Begriffen wie „Handlungslernen“ und „Erfahrungslernen“, die teilweise miteinander verwoben sind. Ein großer Teil der Literatur ist zudem im englischen Sprachraum entstanden, was bei der Übersetzung bestimmter Begriffe immer wieder zu Schwierigkeiten führt. Wir möchten daher Folgendes für dieses Buch festlegen:

Der Ansatz der Handlungsorientierung ist beschrieben als „ganzheitliche Lern- und Lehrmethodik“ (Zuffelato/Kreszmeier 2007, S. 60). „Handlung führt dabei zu Konkretisierung und fördert die Eingebundenheit der Teilnehmenden in den Lernprozess. In der Handlung bekommen Menschen die Möglichkeit, ganz verschiedene Ressourcen und (Lern-) Fähigkeiten zu entdecken, zu zeigen und zu nutzen, alternative Wege zu gehen und Möglichkeiten auszuprobieren, um so den Handlungsspielraum Schritt für Schritt zu vergrößern“ (ebd.).

Erlebnispädagogik nutzt „handlungsorientierte Methoden“ (ebd., S. 44), wobei „im erlebnispädagogischen Kontext mehr als nur die äußere Tätigkeit, die Ebene der praktischen Umsetzung“ (Paffrath 2013, S. 85) angesprochen wird. „Der Leitsatz ‚Learning by doing‘ betont gerade den wechselseitigen Zusammenhang zwischen Handeln, Wahrnehmen, Empfinden, Reflektieren, Auswerten, Planen (Experiential Learning Cycle)“ (ebd.).

Erlebnispädagogik ist also unter dem Dach des handlungsorientierten Lernens anzusiedeln – jedoch ist nicht jede Form handlungsorientierten Lernens gleichzusetzen mit Erlebnispädagogik.

Im Lexikon Erlebnispädagogik heißt es: „Erfahrungslernen beschreibt das Lernen über konkrete Handlungsbezüge und schließt meist körperliche, sozio-emotionale sowie kognitive Ebenen mit ein. Es ist die Basis für experimentelles Lernen, Projektlernen und andere Formen handlungsorientierten Wissenserwerbs, nicht zuletzt auch für Erlebnispädagogik“ (Zuffelato/Kreszmeier 2007, S. 43).

Johan Hovelynck stellt Erfahrungslernen didaktischen Lehrmethoden gegenüber und betont, dass es nicht um vorgefertigte Muster von Lehren und Lernen gehe, also nicht darum, „die Methoden lebendiger und vielfältiger zu machen, mit denen die Lehrenden ihre vorgefertigten Vorstellungen an ihre Schüler übergeben“ (Hovelynck 2001, S. 144). Erfahrungslernen meint „etwas wesentlich anderes als alle Formen der aktiven Lehre im didaktischen Sinn“ (ebd.).

Es geht darum, dass Teilnehmer aus eigenen Erfahrungen lernen – und es ist nicht plan- und vorhersagbar, was genau und wie sie lernen. Handlungslernen meint also Lernen durch den oder im Prozess des Handelns und Tuns und kann durchaus auf ein bestimmtes Ziel ausgerichtet sein. Erfahrungslernen benötigt ein Setting, welches Erfahrungen ermöglicht, ist aber sehr individuell und nicht planbar.

Hovelynck plädiert dafür, dass sich Erlebnispädagogen (wieder) mehr die Frage stellen sollten, wie viel Raum sie tatsächlich den Erfahrungen und Erlebnissen der Lernenden bieten oder wie sehr sie sich von didaktischen Lehrmethoden und vorherdefinierten Lernprozessen (ver-)leiten lassen (vgl. ebd., S. 148ff.).

Darüber hinaus weist er darauf hin, dass es im englischen Sprachgebrauch keine Synonyme zu „experience“, „experiencing“ oder „experiential“ gebe, wohingegen im Deutschen mehrere Worte mit ähnlicher Bedeutung existieren würden, wie „erfahren“, „erleben“, „mitmachen“. Dadurch entstehe womöglich eine differenziertere Sicht auf den Prozess des Erfahrungslernens und es könne schon rein sprachlich schwer zwischen Handlungslernen, Erfahrungslernen, Erlebnispädagogik etc. unterschieden werden (vgl. ebd., S. 146).

Teil 1:

Den Boden bereiten