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BIOGRAFIEN SCHREIBEN

VON KATHARINA SPRINGER

Impressum

© 2017 Katharina Springer

Umschlaggestaltung, Illustration: Josephine Schwandt Lektorat, Korrektorat: Angelika Arneitz

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN Taschenbuch: 978-3-7439-5803-6

ISBN e-Book: 978-3-7439-5805-0

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

INHALT

Vorwort

Warum ein Buch schreiben?

Baustart und Hilfsmittel

Materialsuche – Ziegel und Sand beschaffen

Der Feinschliff – Das Verputzen unseres Hauses

Den Rohbau aufziehen

Stillstand auf der Baustelle

Luftschlösser bauen

Überarbeitungsphase – Der finale Anstrich

Nachwort

Literaturliste

Über die Autorin

1

VORWORT

„In deinem Leben sollst du einen Baum pflanzen, ein Kind zeugen und ein Haus bauen…“, sagt der Volksmund. Ich ergänze diese Weisheit um eine weitere Sache: „…und ein Buch über dein Leben schreiben.“

Viele Menschen bauen sich im Laufe eines Lebens ein Haus, oder bauen es um, andere haben zumindest einmal erlebt, wie so ein Hausbau funktioniert. Das ist ein gewaltiges Unterfangen. Das Schreiben einer Biografie, oder das Aufzeichnen von Teilen Ihres Lebens, ist ebenso ein großes Werk. Sie eröffnen mit dem bloßen Nachdenken darüber eine Baustelle, einen Bauplatz, auf dem Sie sich neu orientieren. Sie werden sich selbst kennenlernen und daran wachsen, Sie werden reflektieren und Ihre Wurzeln freilegen. Es ist ein Prozess des Erkennens, der langsam und nachhaltig eine Veränderung bewirkt. Immer wieder werden in diesem Prozess zwei Fragen auftauchen: Wer bin ich und woher komme ich?

Sie werden, wie beim Bau eines Hauses, Zimmer für Zimmer fertigstellen und Frage für Frage beantworten. Sie bauen sich Räume im Geiste auf: Das Zimmer Ihrer Kindheit, das Jugendzimmer, das Eltern- oder Großelternzimmer, die Veranda der Freiheit, den Keller des Vergessens und den Dachboden der Kreativität. Es entstehen Prunksäle der großen Auftritte und Kämmerchen, in denen Sie sich zurückgezogen haben. Manch erdachte Luftschlösser werden auch vorkommen.

Der Vergleich zwischen dem Bau eines Hauses und dem Aufschreiben seiner Erinnerungen passt treffend

Es gibt Lebensabschnitte und Räume, die nie fertiggestellt wurden. Vielleicht gibt es Werkstätten der Ausbildung und einen Büroraum für Ihre Arbeit. Sie richten Zimmer und Geschichten für Ihre Kinder und Kindeskinder ein und gestalten Sie mit, bis diese wieder ausziehen. Der Bauplatz Leben funktioniert immer nur in einem zeitlichen und sozialen Umfeld, das sowohl Sie geprägt hat und das wiederum Sie mit prägen. Jede Geschichte ist dabei wertvoll – jedes Leben ein Schatz. Das Schreiben einer Biografie ist ein Geschenk an Sie und Ihre Nachkommen, an alle nachfolgenden Generationen. So wie Sie ein Haus nicht nur für sich, sondern wahrscheinlich auch für Ihre Nachkommen bauen.

Im Durchschnitt benötigt der Häuselbauer heute rund ein Jahr, vom Aushub des Kellers bis zum Einzug. Das ist auch ein realistischer Zeitrahmen für das Schreiben einer Autobiografie. Durch dieses ganze Lehr- bzw. Arbeitsbuch zieht sich diese Parallele zwischen einem Bauplatz bzw. dem Hausbau und dem autobiografischen Schreiben. Es ist ganz erstaunlich, wie treffend der Vergleich passt. Ich selbst bin übrigens keine Häuselbauerin, aber ich „erlebte“ zwei Baustellen in meiner Kindheit und habe ein uraltes Haus mit umgebaut. Dreimal musste ich danach in drei Jahren umziehen, das ist dann schon fast dasselbe wie ein Haus zu bauen. Mehr als über das Häuserbauen weiß ich über das Thema „Lebensbuch“, hier bin ich sattelfest, denn ich durfte dabei helfen etliche Autobiografien zu verfassen, jede für sich ein Kunstwerk, ein Unikat – genauso wie Ihr Buch einzigartig wird. Wie aber kam ich überhaupt zum Thema biografisches Schreiben?

Während der Interviews für mein erstes Buch „Mit dem Fahrrad nach Rom“ erfuhr ich, dass ich eine ausgeprägte Affinität für das Thema biografisches Schreiben besitze. In dem erwähnten Buch fasste ich außergewöhnliche Reiseerlebnisse von hochbetagten Prominenten aus meiner Heimat Kärnten zusammen. Auslöser dafür war die Geschichte einer damals 83-jährigen, die 1936 mit dem Waffenrad von Kärnten nach Rom und wieder retour radelte, über 3000 Kilometer durch das faschistische Italien! Ich wollte diese Geschichte wie einen Schatz bewahren und es gelang mir auch im Rahmen einer Sammlung außergewöhnlicher Reiseberichte, die 2009 erschien. Ich fand bald nach der erfolgreichen Präsentation meines ersten Buches unerwartet einen Zettel in einem alten Ordner auf dem stand: „Ich schreibe Ihre Biografie.“ Er stammte von einer Pflegerin in einem Altersheim, die einige Erinnerungen ihrer Patienten für Verwandte auf Tonband aufnahm, abtippte und diese dann an die Familie weitergab.

Der Auslöser für mein Interesse am Thema “Biografie”

Dieses Blatt Papier war der Grund für mein Interesse an dem Thema Biografie und ich vertiefte mich so darin, dass ich mir als Autodidakt anhand von zahlreichen Ratgebern und Büchern dieses Thema quasi selbst erarbeitete. Nach meinem Studium Publizistik- und Kommunikationswissenschaften schloss ich dieses Selbststudium an. Da ich leider vergeblich nach einer Fortbildung für den „Biografischen Schreibberater“ in Österreich suchte, absolvierte ich eine Ausbildung beim Deutschen Biographiezentrum, einem Zusammenschluss von bundesweit rund 100 professionellen Biografen. Ich war dort übrigens die erste Österreicherin. Dem folgte die Gründung eines eigenen Unternehmens „Biografien und Chroniken“, spezialisiert auf das Verfassen von Privat- und Firmenbiografien, aber auch Chroniken für Gemeinden und Vereine. Seitdem sehe ich es als meine Aufgabe, Vergangenes zu konservieren und wertfrei für die Ewigkeit festzuhalten – als einen Schatz. Denn jede Lebensgeschichte ist einzigartig und besonders.

Im Rahmen von Seminaren konnten bald auch Hobby-Autoren bei mir lernen, wie man eine Biografie unterhaltsam, spannend und nachvollziehbar schreibt. Das Feedback dieser Seminare war so positiv, dass ich neben altbewährten auch immer wieder neue Schreibübungen einbauen konnte. Neben der Tätigkeit als Trainerin durfte ich als Schreibcoach etliche Autobiografien betreuen und sie gemeinsam mit den Autoren präsentieren.

Achtung: Jeder kann schreiben!

Nach fünf Jahren, zwölf Veröffentlichungen als Ghostwriterin und Autorin, nach zahlreichen Einzelcoachings und Seminaren, ist nun die Zeit gekommen, dieses geballte Wissen in Buchform zusammenzufassen, um es mehr angehenden Autobiografen zugänglich zu machen. Vor allem von meinen Seminarteilnehmern wurde der Wunsch an mich herangetragen ein Buch für Autobiografen zu schreiben, mit dem man praktisch arbeiten kann und in dem viel Wissenswertes zu dem Thema zu finden ist. So bereitete ich meine Seminarunterlagen in kompakter Form auf und fand zusätzlich etliche spannende Ergänzungen. Aber unter welchem Motto sollte dieses Sachbuch erscheinen? „Schreibe deine Biografie?“ Das war mir zu profan und auch nicht neu. Ich fand meinen roten Faden auf einer Baustelle.

Als Schreibtrainerin lernte ich die Arbeit an der Autobiografie als ein wertvolles Instrument kennen, zu dem grundsätzlich jeder Zugang hat. Daraus resultiert meine persönlich wichtigste Feststellung: Jeder kann schreiben.

Es ist wichtig, es mit Freude zu tun, egal wie viel Sie schreiben, ob es eine Kurzgeschichte wird oder ein Wälzer. Es geht hier nicht darum, das perfekte Buch zu schreiben, genauso wenig wie das perfekte Haus bauen zu wollen, sondern darum, eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung zu entdecken. Ganz nebenbei kann der Autobiograf auch zu einer geschätzten Person im Freundes- bzw. Verwandtenkreis aufsteigen, denn er wird zum Chronisten und bereitet mit seiner Suche, den Vorgesprächen und seinen Aufzeichnungen, vielen in seinem Umfeld Freude. Er bringt Menschen und Ereignisse näher zusammen, er verbindet Generationen. In diesem Sachbuch werden keine Ansprüche an Vollkommenheit und Vollständigkeit gestellt, sondern hier werden Möglichkeiten erläutert, wie man es machen kann – aber nicht muss.

Möglicherweise überlegt mancher nach dem Lesen, ob er denn überhaupt die notwendigen Voraussetzungen und Ressourcen hat, oder ob er seinen Wunsch auf einen späteren Zeitpunkt verschiebt. Das ist vergleichbar mit dem ersten Gespräch beim Bankberater, der Ihnen deutlich macht, ob Sie die erforderlichen Reserven parat haben oder aufbringen können und wie lange Sie dafür brauchen werden, bis Ihr Werk fertig ist. Ich gehe davon aus, dass Sie es angehen werden.

Was braucht man zum Hausbau auf dem Bauplatz Leben? Zuallererst einen Plan und dann das notwendige Handwerkszeug. Der angehende Hausherr oder die Hausherrin baut sich ein Gerüst, man benötigt Material und muss sich vor allem zuerst einmal bewusst werden, wie groß das Haus werden soll. All diese Facetten und Themenblöcke kommen in diesem Buch ausführlich zur Sprache. Wie beim Hausbau findet eine Einteilung der Arbeit in Form von Kapiteln statt, um sich nicht zu viel auf einmal vorzunehmen. Passend zu den einzelnen Arbeitsschritten auf dem Weg zum Gelingen Ihrer Baustelle, laden Sie zahlreiche Hausübungen (Schreibübungen) zwischen den theoretischen Inhalten zum Loslegen ein. Vieles dient dabei der Auflockerung und kann nicht nur für das autobiografische Schreiben dienlich sein, sondern für jede Textart, die Sie produzieren wollen.

„Wozu das Ganze?“ oder „Warum tust du dir das an?“ sind Fragen, die Ihnen bei der Arbeit und Recherche womöglich gestellt werden. Ich erläutere den Umgang mit den Neidern und jenen, die Ihren Wunsch, eine Autobiografie zu schreiben nicht verstehen. Genauso wie andere über Ihre Idee, ein Haus zu bauen, den Kopf schütteln, weil Sie es doch in Ihrer alten Wohnung und so wie es war, ganz schön hatten. Oder? Wer sich weiter entwickelt, weil er sich mit sich selbst und mit seinen Wurzeln auseinandersetzt, wird sich verändern. Wer dies nicht tut, bleibt auch zufrieden. Beides hat seine Berechtigung. Wenn Sie Ihren Rohbau schließlich stehen haben, kommt der „Feinschliff“. Das bedeutet, Sie sind schon so weit gekommen, dass Sie nur mehr überarbeiten. Durch eben diese Feinheiten und Stilelemente wird sich Ihr Werk von anderen unterscheiden und macht es so individuell. Diese Tricks und Tipps machen Ihren Text lebensnah, flüssig zu lesen und lebhaft. Auch beim Hausbau kann Ihnen ein Profi einen kleinen Trick zeigen, der von Ihnen umgesetzt, ganz Erstaunliches bewirkt.

Im Kapitel Materialsuche finden Sie passend zum Hausbau „Hausübungen“, die in meinen Schreibwerkstätten tatsächlich aufgegeben werden und mit denen ich sehr gute Erfahrungen gemacht habe. Sie haben ganz erstaunliche Dinge bewirkt und zu tollen Ergebnissen geführt. Im Laufe eines Semesters konnte man die veränderte Geisteshaltung bei einigen Schreibschülern sogar optisch erkennen. Durch Fragen stellt man sich in Frage – und das ist gut so. Mit einem umfassenden Fragenkatalog können Sie in Vergangenes eintauchen. Er darf als eine Variante oder Möglichkeit verstanden werden, wie Sie Ihre Autobiografie Punkt für Punkt „abarbeiten“. Es bleibt immer Ihnen überlassen, ob Sie diese Einladung annehmen möchten oder nicht.

Die Hausübungen passend zum “Hausbau” helfen Ihnen beim Sammeln Ihrer Erinnerungen

Und was ist wenn nichts mehr geht? Wenn es zu einem Stillstand kommt – Schlechtwetterschicht auf der Baustelle? Ich zeige Ihnen wie man mit schwierigen Situationen fertig wird, wie man über Tabuthemen berichtet und was man bei einer Schreibhemmung unternehmen kann, damit das Projekt nicht komplett aufgegeben wird. Wie grausam sieht so eine Bauruine aus? Haben Sie schon einmal so ein halbfertiges Haus gesehen und sich gefragt, was hier wohl passiert sein mag? So soll es Ihnen mit Ihrem Projekt nicht ergehen. Dieser Schreibratgeber erklärt, wie man sein Projekt Lebensbuch angeht. Sie sollen das Gefühl bekommen, dass man es schaffen kann und viel Spaß dabei hat. Wer einmal auf einer Baustelle war, kennt das. Im Gespräch mit Bauherren kommt eine weitere Sache klar zum Vorschein – der Stolz auf das Geschaffte! Ihnen wird es ebenso gehen.

Die Anleitung für den Aufbau einer Autobiografie, mit bloßen Schreibtipps auf dem Weg bis hin zum fertigen Buch, sind für mich allerdings nicht ausreichend, um das Thema vorzustellen. Daher finden sich hier auch Ansätze aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen wie der Anthroposophie, der therapeutischen Biografie-Arbeit, der Theater- und Literaturwissenschaft, sowie aus dem Neurolinguistischen Programmieren, die einige neue Sichtweisen für Sie eröffnen können. Die „wissenschaftliche“ Einführung ist dabei sehr knapp und aufs Wesentliche reduziert, sodass man diese Ansätze einfach nachvollziehen kann. Dieses Buch stellt nicht den Anspruch detaillierte wissenschaftliche Abhandlungen zu publizieren. Wenn Sie sich in ein Thema vertiefen möchten, finden Sie im Anhang die entsprechenden Literaturtipps.

Im Folgenden werden immer solche und ähnliche Sätze zu finden sein: „Sie schreiben für den Leser“, „fesseln Sie den Leser“, „beachten Sie den Leser“, „bedenken Sie, dass der Leser …“. Bitte lassen Sie sich nicht davon abhalten, ein Buch über Ihr Leben ausschließlich für sich selbst zu schreiben. Es muss keinen Leser geben, es muss keinen Betrachter Ihres Bauwerkes geben. Sie dürfen für sich schreiben, sich selbst beschenken und stolz darauf sein.

„Wer es verstehen kann, der verstehe es. Wer aber nicht, der lasse es

ungelästert und ungetadelt. Dem habe ich nichts geschrieben.

Ich habe für mich geschrieben.“

Jakob Böhme

Hinweis auf Gendern und die neue Rechtschreibung: In diesem Buch wird grundsätzlich auf das Gendern verzichtet, im Sinne der besseren Lesbarkeit und des Sprachverständnisses. Es sind immer auch Biografinnen gemeint, Schreibschülerinnen oder Teilnehmerinnen, wenn die Anrede nur in der männlichen Form geschrieben ist.

Das Wort Biografie wird hier durchgehend mit „f“ statt „ph“ verwendet.

2

WARUM EIN BUCH SCHREIBEN?

Oder: Warum ein Haus bauen? Warum nicht in der Wohnung bleiben oder im „Hotel Mama“? Dem Häuselbauer geht es ähnlich wie dem Autobiografen. Ihm ist es schlichtweg zumeist zu eng geworden in seiner Haut, seiner Hülle, seinen eigenen vier Wänden; oder die Umstände (meist eine tiefgreifende Veränderung) bringen ihn dazu. Der potenzielle Autobiograf/Häuselbauer ist in einer Phase des Umbruchs angekommen, die sich meist langsam angebahnt hat. Wenn es soweit ist, spricht er nur aus, was ihn schon länger beschäftigt: „Ja. Ich will.“

2.1. Auslöser

Was können die Auslöser für den Wunsch der autobiografischen Auseinandersetzung sein?

Schatzsucher

Die eine Gruppe der Autobiografen nenne ich „Schatzsucher“, denn viele suchen in der eigenen Vergangenheit oder vielmehr in der ihrer Eltern und Großeltern Erklärungen für ihr heutiges Dasein, ziehen Parallelen und finden dabei oft Erstaunliches heraus. Schon bevor sie zu schreiben beginnen und Unterlagen sammeln, treten sie beim Durchsehen alter Fotografien oder Dokumente eine Reise in die Vergangenheit an – eine spannende Reise. Eine der besten Fragen, so es denn überhaupt schlechte gibt, die man sich selbst stellen kann, lautet: Wo komme ich her? Die Suche nach den eigenen Wurzeln ist JENES Thema, welches unsere Existenz erdet und uns klarmacht, dass wir immer nur im sozialen Gefüge, in der Familie und der dazugehörigen Umgebung, funktionieren. Freilich kann sich dieses Gefüge im Laufe des Lebens oft ändern, das MUSS es auch, weil sonst kein Fortschritt denkbar ist. Trotzdem gibt uns nichts mehr Halt und Sicherheit, als das Wissen um unsere Herkunft und die Akzeptanz dafür.

Wer nach seinen Wurzeln sucht ist ein “Schatzsucher”

Bewältiger

Manch zukünftige Autobiografen möchten nur Episoden, Phasen oder eine Ära aufzeichnen, z.B. die Kindheit, die Schulzeit, die Zeit einer Trennung, ein Trauma, die Phase einer schlimmen Krankheit usw. Sie sind „Bewältiger“ – ihre Art der psychischen Aufarbeitung ist das Schreiben. Sie werden sich im Kapitel „Schreiben für die Seele“ oft wiederfinden. Sie bilden die zweite große Gruppe. Freilich gibt es viele Autobiografen, die in beide Gruppen passen - eine “Schubladisierung” lehne ich ab.

Ob nun das Aufschreiben gewisser Phasen oder Ihres gesamten Lebens NOTWENDIG ist? Das können nur Sie selbst für sich entscheiden. Für viele ist die Reflexion ihres bisherigen Daseins über Musik, einen Spaziergang oder das Malen denkbar. Es bedarf der notwendigen Ruhe und Passion für diese Art der Reflexion. Nehmen Sie sich die Zeit, denn über sich selbst zu schreiben ist ungemein wertvoll.

2.2. Zweifler

Es mag sich immer ein Grund finden, warum ich kein Haus baue oder nicht an meiner Autobiografie schreibe; warum ich ein sehr wertvolles Instrument der Selbsterkenntnis und der damit verbundenen Menschwerdung NICHT verwende. Der Häuselbauer weiß, dass das Leben vor Baustart gewiss einfacher, kuscheliger und unkomplizierter war. Er muss vielleicht durch eine harte Phase hindurch, bevor er seinen Nutzen ziehen kann. Hier die wichtigsten Blockaden vieler Autobiografen und deren Lösung:

Die Unsicherheit

„Wie genau geht das? Wie schreibe ich? Wie starte ich?“, sind die häufigsten Fragen, die an mich herangetragen werden. Schreiben ist eine Kulturtechnik – gepflegt und verfeinert von den ersten Schriftzeichen wie der Hieroglyphe oder der Keilschrift, bis zur heutigen Hochsprache. Im Grunde uns allen geläufig. Die Tätigkeit des Schreibens wird von vielen aber vollkommen vernachlässigt, bis auf das Ausfüllen von Geburtstagskarten und Formularen. Dabei ist Schreiben ein wunderschönes Hobby. Wer Tagebuch führt weiß das. Ein paar Zeilen täglich können uns mit der Zeit wieder in den Sattel bringen.

Geben Sie sich Zeit und einen realistischen Rahmen! Wer es nach einem Malkurs mit der Wiederaufnahme vergessener kreativer Talente versucht, wird auch nicht sofort im Anschluss die Sixtinische Kapelle malen. Eine Variante des Wiedereinstieges können auch die „Morgenzeilen“ sein. Dabei setzt man sich täglich morgens, z.B. beim Frühstück, hin und schreibt drauflos. Egal was, es spielt keine Rolle:

Etwa was man heute vorhat, wen man trifft, wie das Wetter ist, welchen Pullover man trägt. Es dient nur dem Training. Wie ein Läufer, der lange pausiert hat, werden Sie merken, dass Sie immer besser und schneller werden. Wer möchte, kann diese „Morgenzeilen“ auch sammeln und später lesen, nur nicht sofort nach dem Schreiben. Sie sollen weder korrigiert noch analysiert werden – sie sind bloß Gedankenfetzen, um uns von der fixen Idee zu lösen, dass jeder Beistrich, jedes Wort und jeder Fehler eine Rolle spielen, wie damals in der Schule.

Die Schulsituation

Eine ungünstige Prägung durch die Schulzeit lässt alles, was sich wie ein Pflichtaufsatz anfühlt, zu einem großen Problem werden. Besonders oft höre ich auch von zukünftigen Autobiografen: „Ich war nie gut in der Schule. Ich kann nicht rechtschreiben. Ich habe keine Phantasie.“ Meine Lieblingsantwort darauf lautet: „Es gibt heute auf jedem PC Rechtschreibprogramme und Sie brauchen keine Phantasie, um Wahres aufzuschreiben, sehen Sie es mehr wie ein Protokoll.“ Das Lächeln meiner Schüler ist mir gewiss und die meisten sind auch schon so lange aus der Schule weg, dass sie wissen: Ich schreibe für mich und nicht für die Frau Lehrerin.

Der Umfang

„Muss ich denn alles erzählen? Was ist spannend? Ich kann mich doch gar nicht an alles erinnern?“. „Ich werde 400 Seiten brauchen. Locker.“, meinte eine Biografin zu mir. Tatsächlich wurden es dann 120 Seiten im A5-Format. Sie müssen nicht alles erzählen, denn viele Kleinigkeiten des Alltags werden die Erwähnung nicht wert sein. Und Erinnerungen kommen automatisch hoch, vielleicht auch etwas zeitverzögert, oder beim Schreiben eines anderen Kapitels – sie blitzen wie ein Déjàvu auf. Wieder andere werden für ewig „verschüttet“ bleiben. Manchmal aus einem Selbstschutz-Reflex, manchmal einfach weil uns das Langzeitgedächtnis einen Streich spielt.

Denn das Gehirn in seiner Komplexität lässt Informationen nicht immer auf Knopfdruck abrufen. Mit verschiedenen Methoden, wie dem „Schreiben mit allen Sinnen“, d.h. dem Hervorholen von Erinnerung mit der Hilfe von Gerüchen, Geschmack, Farben und Ertasten, kann man sehr viel Verborgenes wieder ausgraben. Wer den Duft von Kuchen in der Nase hat, kommt über diese Wahrnehmung vielleicht in Großmutters Küche zurück, sieht und riecht sie bildlich vor sich und kann sie beschreiben, bis ins letzte Detail, bis auf die Tapetenmuster und Maserung der Fußböden. All das habe ich bereits erlebt – es ist faszinierend.

Die Offenheit

„Wer wird das dann einmal lesen? Kann ich denn alles erzählen?“ sind berechtigte Fragen, wenn es um das Bewahren von Geheimnissen geht – und die gibt es in jeder Familie. In meine Schreibwerkstätten kommen zu 90 Prozent Frauen, die oft Familiengeheimnisträgerinnen sind. Ich habe in der geschützten Situation des Schreibcoachings von vielen Heimlichkeiten erfahren, ähnlich wie in einer Therapiestunde. Diese Offenheit ist nur denkbar, weil ich meine Verschwiegenheit als Grundvoraussetzung ansehe und sehr ernst nehme. Ich erfuhr von unehelichen und Kuckuckskindern, Fehlgeburten, Abtreibungen, Liebschaften, Alkoholismus der Eltern, Schulden, Spielsucht, Burn-Out, Depressionen, krankhafter Eifersucht, Liebeskummer u.v.m. – die ganze Palette der unangenehmen Dinge, die ein Leben für uns parat halten kann.

All das KANN man niederschreiben, MUSS es aber nicht. Eine Möglichkeit der Verschriftlichung besteht darin, dass man prekäre Themen in seiner offiziellen Autobiografie ausspart und als Brief oder Notiz nur für sich selbst verfasst. Wichtig dabei ist es, den Text nach dem Schreiben wegzuschließen, nicht nur wegen der Geheimhaltung, sondern auch für sich selbst. Dieser Brief an uns selbst soll wie wirklich abgesendet scheinen, als erledigt empfunden für die Seele und den Geist. Manche holen sich diesen Brief nach Jahren bzw. Jahrzehnten hervor, lesen ihn erneut und finden dann die Kraft, sich für das Verborgene zu öffnen.

Wer seine lange begrabenen Geheimnisse doch der Öffentlichkeit – zumeist Freunden, Bekannten und der Familie – preisgeben will, braucht neben einer gehörigen Portion Mut auch die positive Einstellung zur Veränderung, die diese Offenbarung mit sich bringen kann. Die Konsequenzen müssen Ihnen bewusst sein. Zumeist liegen die Geheimnisse sehr weit in der Vergangenheit oder betreffen überhaupt Vorgenerationen, trotzdem: Sie könnten ein „schlechtes Licht“ auf uns werfen. Aber sie könnten auch erklärend wirken und ganz gewiss befreiend.

Die Scham

Mit der Offenheit hängt auch die folgende mögliche Blockade zusammen. Manche Autobiografen sind sich Ihres „Talentes“ nicht sicher und möchten daher andere, z.B. Freunde und Familienmitglieder, mitlesen lassen, schämen sich aber für ihre möglichen Fehler und Offenheit. In diesem Falle ist es klüger, sich Außenstehenden, z.B. einem Schreibtrainer oder einem Bekannten, der selbst viel schreibt, anzuvertrauen. Kritikfähigkeit und Einsicht sind dabei entscheidende Voraussetzungen, denn selten ist ein Meister vom Himmel gefallen. Die Objektivität ist bei einem Menschen, der uns nicht zu nahe steht, eher gegeben. Wir erreichen auch keine Verbesserung, wenn wir nicht bereit sind Ratschläge und Tipps anzunehmen. Denn: „Aus Fehlern lernt man!“

Herbsttag

Herr, es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.

Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,

und auf den Fluren lass die Winde los.

Befiehl den letzten Früchten, voll zu sein;

gib ihnen noch zwei südlichere Tage,

dränge sie zur Vollendung hin, und jage

die letzte Süße in den schweren Wein.

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.

Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,

wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben

und wird in den Alleen hin und her

unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

Rainer Maria Rilke, 21.9.1902, Paris

2.3. Begriffe und Definitionen

Memoiren

Die Bezeichnung Memoiren kommt aus dem Französischen und bedeutet Denkschrift. Sie stellt einen Rückblick dar, in dem der Memoirenschreiber die Geschichte seines „Gewordenseins“ hinter die der Darstellung seiner Zeit und seines Wirkens stellt. Sie haben einen stark subjektiven Charakter und da sie zumeist lange Zeit nach den dargestellten Ereignissen niedergeschrieben werden, sind Irrtümer, oder zumindest unbewusste Abweichungen von der Realität, leicht möglich. (Von dagegen ganz bewusst geschönten Erinnerungen wird später noch die Rede sein.) Memoiren zeigen zumeist einen Ausschnitt, also wichtige Begebenheiten (Momentaufnahmen) eines Lebens, und haben nicht den Anspruch ein gesamtes Leben erzählen zu wollen. Im Deutschen heißen Memoiren gemeinhin „Erinnerungen“ oder „Denkwürdigkeiten“. Sogar der Begriff „Merkwürdigkeiten“ im Sinne von merken wurde früher verwendet. Vergleicht man es mit dem Thema Bauen, dann wären Memoiren eine Aneinanderreihung von Umzügen, ohne den Anspruch zu erheben, alles bis ins Detail chronologisch darzulegen. Es handelt sich um Episodenschilderungen.

Biografie

Eine Biografie, auch Biographie (griechisch bíos „Leben“ und -graphie von gráphō „ritzen, malen, schreiben“) ist die Lebensbeschreibung einer Person. Die Biografie ist die mündliche oder schriftliche Präsentation des Lebenslaufes eines anderen Menschen. Die ältesten Biografien stammen von den alten Griechen, etwa aus der Zeit um 400 vor Christus. Sie stellen ein komplettes Leben dar – zumeist chronologisch aufgerollt von der Wiege bis zur Bahre. Es ist dies die Beschreibung eines Lebenswerkes – ähnliches einem jahrzehntelangen Umbau eines alten Jagdschlosses, mit Rücksichtnahme auf die Denkmalschutzvorschriften – sehr genau und sehr detailliert.

Autobiografie