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Jürgen Cronauer

Ein Pfälzer entdeckt

Berlin

Reise-Erlebnis-Geschichten mit persönlichen Tipps

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© 2017 Jürgen Cronauer

Verlag und Druck: tredition GmbH, Halenreie 42, 22359 Hamburg

ISBN  
Paperback: 978-3-7439-4175-5
Hardcover: 978-3-7439-4176-2
e-Book: 978-3-7439-4177-9

Fotos: alle Fotos vom Autor, außer dem Portrait auf der Rückseite (Timo Blöß) und dem Motiv „Berlin neon sign on brick wall background“ (Bildquelle: www.fotolia.com, Datei: 137854048, Urheber: ibreakstock)

Coverumsetzung: Corina Witte-Pflanz, www.ooografik.de

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Vorwort – Ein kurzer Check in

Anna Blume – So kann der Tag beginnen

Admiralspalast – Die faire Lady

Gendarmenmarkt – Premiumplatz mit zwei Domen

Wiener Brot - Ist das nicht Sarah Wiener?

Deutscher Bundestag – Eine Runde auf dem Reichstag

Nikolaiviertel – Hier entstand die Stadt Berlin

S- und U-Bahn – Fix durch Berlin und Leute gucken

Das „rote“ Rathaus - Monumental und offen

Hekticket – Kultur zum Vorzugspreis

Kastanienallee – Ja, was ist das denn für eine Straße?

Neues Museum – Téte-á-téte mit Nofretete

Currywurst – Hier gibt´s das Original

Alexanderplatz – Der Menschen-Knotenpunkt

Barcomis´s – Erfüllte (Kuchen-)Träume

Oranienstraße - Die Pulsader im wilden Kreuzberg

Grips-Theater - „Linie 1“ – ein sehenswertes Musical

Hackescher Markt – Hier pulsiert das Leben

Hackesche Höfe - Der Hof-Hotspot in Berlin

Maxim Gorki Theater – Das Leid von Bahnwärter Thiel

Bernauer Straße – Schicksal einer geteilten Straße

Fluggeschichten – Begegnungen mit Saarländern und Gabriele B.

Neue Schönhauser Straße - Gut für die Shopping-Seele

Alte Schönhauser Straße – Kleine Shopping-Erlebnisse

Dussmann – Kulturkaufhaus bis Mitternacht

Auguststraße – Kunst in alltäglicher Umgebung

Passionskirche – Konzert mit zwei Unbekannten

Bergmannstraße – Ein besonderes Stück Kreuzberg

Die Hauptstadt Berlin – Warum Sie mir so gut gefällt

Prater-Gaststätte – Klopse am Abend

Friedrichstraße – Der lange Weg der Versuchung

Ballhaus Ost – Mit drei Frauen auf der Matratze

Berliner Typen – Busfahrer und andere Kavaliere

East-Side-Gallery und Oberbaumbrücke – Zwei Kunstwerke an der Spree

Tipi am Kanzleramt – 12 Tenöre live in Concert

Fasanenstraße – Alte Villen und ein Literaturhaus

Weltrestaurant Markthalle – Besuch bei Hr. Lehmann

Berlin per Bus – Stadttouren mit Chauffeur

Stars in Concert – Buddy, Marilyn, Michael & Louis

Bonbonmacherei – Süße Kindheitserinnerungen

Distel – Kabarett-Theater mit Stachel

Oranienburger Straße – Das Tag- und das Nachtleben

Theater am Potsdamer Platz - Hinter den Kulissen geht´s weiter

Pariser Platz – Hier trifft sich die Welt

Hamburger Bahnhof - Gegenwärtig gibt´s dort Kunst

Potsdamer Platz – Nach der Wende neu entstanden

Zimt & Zucker – Urgemütlich und lecker

Adressen & Links zum Buch

Ein kurzer Check-in

4.15 Uhr, Weitersweiler, 528 Einwohner, gemütlicher Ort in der Nordpfalz. 8.30 Uhr, Berlin, 3,4 Millionen Einwohner. Bundeshauptstadt, Weltmetropole. Dazwischen liegen nicht nur 630 Kilometer. Dazwischen liegen Welten.

Wie ist das nun, wenn ein Mensch aus einem Dorf plötzlich vor dem Brandenburger Tor steht? Welcher Film spielt sich da vor den Augen des entdeckungswilligen Stadtreisenden ab? Ich habe mich gut vorbereitet, Reiseführer studiert, alles Wissenswerte in meinem Berlin-Notizbuch zusammengetragen und mich mehrmals in das Abenteuer Berlin gestürzt. Meine Eindrücke habe ich in kurzen Geschichten und mehreren tausend Fotos festgehalten.

In diesem Berlin-Reisebuch habe ich eine Auswahl dieser Erzählungen für Sie zusammengestellt. Sie führen Sie zu reizvollen Straßen, sehenswerten Einrichtungen und kulturellen Veranstaltungen. Ich lasse Sie teilhaben an spannenden Erlebnissen und interessanten, ja überwältigen Beobachtungen im Alltag einer einzigartigen Weltmetropole. Denn Berlin bietet nicht nur Geschichte in Hülle und Fülle, sondern vor allem Geschichten über Menschen, über die Stadt und das Leben. Und wie das bei einem Pfälzer so ist, gehen wir auch mal Essen.

Bei unzähligen Erkundungsgängen konnte ich Berlin Stück für Stück kennenlernen, habe ich mir Berlin häppchenweise Straße für Straße beziehungsweise Kiez für Kiez vorgenommen. Ich springe also nicht von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit, sondern spaziere durch Straßen, in denen ich mir alles Interessante anschaue. Der Vorzug: In manchen Straßen reihen sich ein Museum, ein Café, ein Kaufhaus, eine Kirche, eine architektonisch spannende Fassade, ein Schokoladengeschäft, ein Denkmal, ein typischer Berliner Hinterhof und eine Kneipe nahtlos aneinander. Das bringt Abwechslung in die Tour und vermittelt vor allem ganz andere Eindrücke von Berlin als das bloße Abfahren der Berliner Highlights.

Man singt so gerne „Das ist die Berliner Luft“. Doch den Duft, den Rhythmus dieser Stadt können Sie nur aufnehmen, wenn Sie zu Fuß unterwegs sind. Gut, ein kleiner Teil des Duftes wird geprägt von dem besonderen Luftgemisch in den U- und S-Bahnhöfen. Doch das echte Berlin atme ich am liebsten in der zweiten Reihe, in den weniger touristischen Straßen, wo die Menschen ihren ganz normalen Alltag leben.

Gerne lasse ich Sie an meinen Entdeckungen teilhaben. Dieses Buch soll Sie erzählend darüber informieren, wie spannend und abwechslungsreich Berlin ist. Und dabei erhalten Sie jede Menge Tipps für Ihren eigenen Berlinbesuch.

Anna Blume

So kann der Tag beginnen

Kulinarische und Floristische Spezialitäten – so steht es auf der Hauswand und auf dem Kuchenteller geschrieben. Vier Worte bringen das Konzept auf den Punkt.

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Leckere Einkehr bei Anna Blume

Es ist ein Mittwoch im März, gegen 11 Uhr, die Kollwitzstraße ist weitgehend menschenleer. Auf meiner Prenzlauerberg-Tour erreiche ich das Anna Blume. Hier hat sich die Inhaberin gleich zwei Träume erfüllt: Sie hat einen Blumenladen und eine Art Kaffeehaus kombiniert. Beide Läden sind über einen gemeinsamen Eingang erreichbar. Als ich die Tür öffne, kommt mir ein junger Kellner im türkisfarbenen T-Shirt und mit einer Kurzhaarfrisur entgegen, begrüßt mich mit einem freundlichen „Hi“.

War es draußen noch ruhig, wird es jetzt laut. Der nicht sehr große Gastraum ist brechend voll. Menschen, die schlemmen und erzählen, erzählen und schlemmen. Alle Tische scheinen besetzt. Ich schlängele mich an der Theke entlang, inspiziere die verführerisch aussehenden Torten in der Kühltheke, gehe ein paar Schritte weiter und entdecke einen freien Platz neben einer Gruppe von vier jungen Frauen. Auf Nachfrage bekomme ich die Erlaubnis, mich dort niederlassen zu dürfen.

Der Raum hat Charme und Flair, könnte teilweise in den Jugendstil eingereiht werden. Die eher kleinen Tische sind aus dunklem Holz mit einer hellen Marmorplatte. Als Sitzgelegenheit dienen braune Stühle mit einem braunen Lederbezug und rote Kunstledersofas mit extra hohen Rückenlehnen. Genau die Accessoires, die für mich zu einem gemütlichen Kaffeehaus gehören. Natürlich darf bei einem Café mit Floristikabteilung auf dem Tisch eine frische Blume in einem Glasväschen nicht fehlen. Der Gastraum endet mit einer Art Séparée, ganz in Rot gehalten.

Die Gäste betreiben hier das Frühstücken als Genuss-Sport. Überall stehen Körbe mit knusprigen Brötchen und Brot. Die Teller sind mit Wurst, Eier, Krabbencocktail, Käse in verschiedenen Variationen gefüllt. Es sieht lecker aus. Alle Generationen sitzen eng beim Schlemmen vereint. Die Mädels neben mir stammen aus einem südeuropäischen Land, wo man schnell spricht. Drei von ihnen bekommen kurz darauf einen Frühstücksteller, üppig und appetitlich angerichtet mit den oben bereits erwähnten Zutaten. Sie haben sich zu Recht nur drei solcher Teller für vier junge Damen bestellt. Als ich später gehe, sitzen sie immer noch an ihren Portionen.

Das junge Fräulein, das mich bedient, ist überaus freundlich. Ich ordere eine Jumbotasse heiße Schokolade und ein Stück Milchreistorte. Als Liebhaber dieser Leckerei bin ich begeistert: Tortenboden, ein hohe Schicht Milchreis, eine fruchtige Lage ähnlich wie Johannisbeergrütze und schließlich eine Sahnelage.

Ich registriere einen recht hohen Sprachgeräuschpegel, Englisch und etwas Osteuropäisches sind auf jeden Fall dabei. Die Bude ist voll, doch es kommen immer weitere Leute, die zu Anna Blume wollen. Daher füllen sich recht zügig auch die Tische im Freien auf dem breiten Bürgersteig. Wie bereits erwähnt, es ist März, und lass´ es mal zehn Grad Celsius sein. Ein Rentner, den ich durch das bodentiefe Fenster direkt im Visier habe, zieht seine Jack-Wolfskin-Jacke fest zu und freut sich sicher über den Schutz seiner Heinz-Becker-Mütze.

Ist bei Ihnen alles gut? fragt die nette Bedienung im Vorbeigehen. Ja, alles ist bestens. Ich fühle mich hier wohl. Die heiße Schokolade schmeckt mir, die Milchreistorte trifft genau meinen Geschmack. Ich habe eine neue gute Adresse in Berlin entdeckt. Eines Tages komme ich mit meiner Frau nochmal hierher. Dann bestellen wir die Etagere, die dem amerikanische Paar an einem der Nebentische gerade serviert wird. Hier türmen sich die Köstlichkeiten wie Trauben, Ananas, Melone, Wurst, Käse, Gürkchen und so weiter. Diese Etagere ist eine Spezialität bei Anna Blume.

Es hat sich gelohnt, bei Anna Blume einzukehren. Nichts Abgehobenes, einfach nur gemütlich und lecker. Ich frage mich, ob meine nette Kellnerin bereit wäre, ein Erinnerungsfoto von mir zu machen. Auch das ist in diesem Haus kein Problem. Sie setzt sogar dreimal an, weil sie mit den ersten beiden Fotos nicht zufrieden ist. Service rundum. Den Namen der jungen hilfsbereiten Bedienung kann ich Ihnen leider nicht weitervermitteln. Aber ich habe wenigstens ihre Nummer. Laut Kassenbeleg die Bedienerin Nummer 21.

Admiralspalast

Die faire Lady

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Der Eingang des Admiralspalasts liegt im Innenhof

„Neuaufnahme My fair Lady“ – diese Werbung blinkte mir überall in der Stadt auf Plakaten entgegen. Klingt gut, denke ich, der Admiralspalast soll noch so ein Theater im alten Stil mit einem gemütlichen Interieur sein. Das Musical habe ich noch nie live gesehen. Das passt. Am späten Vormittag stehe ich an der Theaterkasse im Foyer in der kurzen Schlange. Ich begnüge mich mit der günstigsten Preiskategorie für 26 Euro auf dem Balkon.

Der Admiralspalast liegt unmittelbar nördlich des S-Bahnhofs Friedrichstraße in einem Hinterhof. Als ich gegen 19.45 Uhr die Toreinfahrt durchquere, ist die historische, 2006 restaurierte sehenswerte Stuckfassade bunt angestrahlt. Zwei Jugendliche haben ihren Spaß daran, die im Hof aufgestellten überdimensionalen Sitzbänke zu erklimmen. Der junge Kartenabreißer schickt mich eine Etage höher. Die Garderobe für meine Jacke kostet 1,50 Euro. Der Vorraum ist sehr schlicht gehalten. Dafür ist der Zuschauerraum umso heimeliger. Das geschwungene Oval mit zwei Balkonen und goldfarbenen Brüstungen, die mit rotem Stoff überzogenen Sessel sowie der riesige rote Bühnenvorhang erzeugen das Ambiente, das für mich ein typisches Theater ausmacht, das mir vom alten Pfalztheater in Kaiserslautern noch in wehmütiger Erinnerung ist.

Ich sitze auf dem Balkon, Reihe 9, Platz 7. Im Vergleich zu anderen Häusern ist die günstigste Preiskategorie tatsächlich einfach geraten. Beim nächsten Besuch im Admiralspalast werde ich doch eine höherwertige Eintrittskarte erwerben. Aber dann! Circa zwei Minuten vor dem dritten Gong erscheint eine Mitarbeiterin des Hauses, geht schnurstracks auf uns Hinterbänkler zu und sagt, in einem Ton, der dem bekannten Berliner rauhen Charme gerecht wird: „Und Sie, Sie rücken jetzt alle mal ein paar Reihen vor!“ Hey, mehr kriege ich nicht gedacht, denn schon spritzen rund um mich her die Leute auf und strömen ein paar Reihen nach vorne. Massenhysterienhaft schließe ich mich ohne lange zu überlegen der Sitzflucht an. Als ich dann doch ein wenig nachdenke, frage ich mich: Wenn schon nach vorne, dann richtig, oder? Ich erspähe die freien Reihen auf dem seitlichen Balkon mit freiem Blick auf die Bühne und spurte nach vorne in die erste Reihe. Wie ich im Nachhinein errechnete, war ich von der Preiskategorie 5 zur Kategorie 1 aufgestiegen, der Wert meiner Eintrittskarte hatte sich innerhalb einer Minute von 26 Euro auf 59 Euro erhöht. Auch das ist Berlin. Jeder sagt, die Berliner sind rau, aber wie so oft erlebe ich wieder einmal ihre herzliche Seite. Denn ein solches Angebot an die „billigen Plätze“ habe ich in einem Theater noch selten erlebt. Eine faire Lady.

So sehr das Ambiente stilvoll nostalgisch, ja traditionell anmutet, so sehr lassen die Sitten der Besucher doch zu wünschen übrig. Längst hat ein Theater den Touch eines besonderen Erlebnisses verloren. Davon zeugen die Kleider, die die Gäste tragen. Vom schulterfreien Cocktailkleid bis zu den Werktagjeans und dem Mann, der seine Baseballkappe auch während der Vorstellung aufbehält, reicht das Spektrum der Garderobe, die bei vielen Leuten meines Erachtens nicht mehr der Etikette eines Theaterbesuchs entspricht. Im Zuschauerraum werden die Jacken über freie Stühle gehängt oder unter den Sitz auf den Boden gelegt - nur um die Gebühr von 1,50 Euro zu sparen? Dass die Dame, nein besser, die Frau im roten Kleid neben mir nach der Pause ihr noch halb volles Bierglas mit in die Vorstellung bringt und es auf den Boden stellt, gibt mir ebenfalls zu denken und warnt mich zur Vorsicht, das Glas nicht irgendwann umzutreten.

Dass bei einer Frau eine Reihe hinter mir etwa zehn Minuten nach Vorstellungsbeginn das Handy vibriert und sie zum Lesen der SMS fast in ihre große Shoppingtasche kriecht, verzeihe ich ihr. Denn das selbe Procedere wiederholt sich zu Beginn der zweiten Hälfte. Hektisch ergreift sie ihre Jacke und verlässt den Balkon. Hier ist wohl zu Hause etwas schief gelaufen, da sie bestimmt nicht freiwillig den wunderbaren Kulturabend abgebrochen hat.

Das Orchester setzt sich aus sieben Personen zusammen. Dieser Klangkörper ist keinesfalls zu vergleichen mit den mächtigen Orchestern in großen Musicalhäusern. Doch das Team mit dem Dirigenten am Flügel holt enorm viel aus den Instrumenten heraus. Überhaupt ist die Ausstattung der Bühne und der Schauspieler nicht so üppig, wie man das von opulenten Aufführungen kennt. Doch im Rahmen der sicherlich begrenzten finanziellen Möglichkeiten hat der Produzent eine ansehnliche, keineswegs zu spartanische Inszenierung auf die Bühne gebracht. Die Kulisse setzt die Geschichte passend in Szene. Auf jeden Fall fühlte ich mich zweieinhalb Stunden lang gut unterhalten, die Akteure haben einen guten Job gemacht und das Musical überzeugend präsentiert.

Nach der Vorstellung genieße ich noch ein wenig die Atmosphäre des Hauses und bin sicher, dass ich mir für den Admiralspalast irgendwann einmal wieder ein Ticket besorgen werde. Vielleicht fange ich ja dann wieder mit der günstigsten Preiskategorie an.

Gendarmenmarkt

Premiumplatz mit zwei Domen

„Der schönste Platz Berlins! Der schönste Platz Deutschlands! Der schönste Platz Europas!“ Die Autoren der Reiseführer überschlagen sich förmlich, wenn sie den Gendarmenmarkt in Mitte beschreiben. Das klingt für mich wie ein Fotodate mit der amtierenden Miss Germany. Dementsprechend groß ist die Spannung, der Akku in meiner Kamera ist bis zum Anschlag aufgeladen. Meine Vorfreude steigt, als sich die U2 der U-Bahn-Station Französische Straße nähert. Auf der Französischen Straße, seitlich entlang der Galeries Lafayette, spaziere ich Richtung Osten bis zur Kreuzung Markgrafenstraße, biege rechts ab und sehe schon bald, wie sich der Gendarmenmarkt in seiner vollen Pracht vor mir ausbreitet.

Der Gendarmenmarkt besteht aus genau vier Sehenswürdigkeiten, die ihm als Ensemble sein Gesicht geben: dem Konzerthaus, zwei Domen und dem Schillerdenkmal. Ich lasse die vielgelobte Atmosphäre einige Minuten auf mich wirken, halte meine ersten Eindrücke in zahlreichen Fotos fest, ehe ich den Platz anhand meiner Notizensammlung Stück für Stück seziere. Das prägende Gebäude ist zweifelsohne das Konzerthaus mit der monumentalen Freitreppe, heute mit einem roten Teppich garniert, dessen Zweck mir zwar unbekannt ist, der aber den Fotos einen netten Farbtupfer verleiht.

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Konzerthaus am Gendarmenmarkt

Ich brauche eine Weile, um die unzähligen Verzierungen in den Giebeln, den Vorbau mit den sechs Säulen und den Panther und den Löwen auf den seitlichen Mauern im Detail wahrzunehmen. Musikgeschichte weht mir um die Ohren. Denn auf der Bühne agierten u.a. Niccolo Paganini, Felix Mendelssohn Bartholdy, Franz Liszt, Richard Wagner und Leonard Bernstein. Webers Oper „Der Freischütz“ erlebte hier ihre Uraufführung. Als W.A. Mozart 1789 die Aufführung einer seiner Opern be-suchte, erlebte er noch den Vorgängerbau, der 1817 einem Feuer zum Opfer fiel. Die heutige äußerliche klassizistische Architektur stammt von Baumeister Schinkel aus dem Jahr 1821.

Die monumentale Freitreppe lädt mich geradezu ein, die Stufen erhaben nach oben zu schreiten und damit meinen Blickwinkel zu erhöhen. Ich lasse mich auf einer Stufe nieder und genieße den Platz vor mir. An diesem Vormittag im Mai sind nur wenige Passanten zu sehen, es ist ruhig, keine Hektik, keine wuselnde Menschenmenge, wie man sie sonst auf zentralen Plätzen in den Städten gewohnt ist. Ein Plätzchen zum Entspannen.

Als ich ein paar Monate später eine Veranstaltung im Konzerthaus besuche, wird mir erst bewusst, dass die gewaltige Freitreppe gar nicht zum Eingang führt. Dieser befindet sich unter der Treppe. Ich mache mich schlau und erfahre, dass unser pfiffiger Herr Schinkel, der Berliner Star-Architekt im 19. Jahr-hundert, den Treppenaufgang alleine deshalb eingeplant hat, um das architektonische Gesamtbild des Konzerthauses und des Platzes abzurunden. Solche Finten für so viel Knete finde ich halt nur in Berlin. Jedem pfälzischen Bürgermeister wäre dafür das Geld zu schade. Bei uns würde man das Gebäude garantiert über die breiten Treppenstufen betreten.

Quizfrage: Welche Bischöfe residieren in den Domen?

Um es gleich zu verraten: Einen Bischof gibt es weder im Französischen noch im Deutschen Dom. Die Erklärung ist einfach. Nur um die Optik des Platzes aufzuwerten, ließ Friedrich II. 1785 neben der für die Hugenotten erbauten französischen Kirche (1705) und neben der lutheranischen Kirche (1708) zwei identische, 55 Meter hohe Kuppeltürme errichten. Inspiriert von dem französischen Wort „dome“ für die architektonische Form einer Kuppel sprach man fortan von den Domen.

Noch eine wichtige Frage: Wie kann man die beiden Dome unterscheiden? Ich schaue stets auf die Kuppelspitzen: Die Figur auf der Kuppel des französischen Doms hebt den rechten Arm in die Höhe und hat eine Fahne in der Hand. Auf dem deutschen Dom geht der Arm der „Siegenden Tugend“ nach unten. Die einfache Variante geht so: Der Kirchenanbau mit dem roten Dach gehört zum Französischen Dom, das deutsche Pendant ist grau bedeckt.

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Schillerdenkmal und Französischer Dom

Ich scheue keine Mühe und mache mich auf den Weg, für drei Euro Eintritt die Aussichtsplattform auf dem Turm des Französischen Doms zu erobern. 254 Stufen! Sie sind für einen Nicht-Schwindelfreien wie ich es bin sicher und bequem zu bewältigen. Doch der Aufstieg lohnt sich nicht wirklich. Man kann zwar weit sehen und viele Sehenswürdigkeiten ausmachen. Ich blicke jedoch hauptsächlich auf Dächer. Außerdem behindern das hohe Steingeländer und der daran angebrachte Sicherheitszaun die Aussicht. Für mich als Hobby-Fotograf ist der umlaufende Aussichtsbalkon daher keine ergiebige Expedition. Allerdings kann ich aus luftiger Höhe erkennen, wie schachbrettartig die Oberfläche des Gendarmenmarkts gestaltet ist. Und die Übersicht über das Ganze bestätigt mir erneut, wie ruhig und gediegen dieser Platz ist. Offensichtlich nehmen nur architektur- und kulturinteressierte Touristen den Weg zum Gendarmenmarkt auf sich.

Zurück auf der Erde betrete ich im Deutschen Dom die Dauerausstellung des Deutschen Bundestags „Wege, Irrwege, Umwege – die Entwicklung der parlamentarischen Demokratie in Deutschland“. Dieses Erlebnis kostet mich nichts, ist aber dann doch eher ein Ziel für den pseudopolitischen Part einer Klassenfahrt

Ausgelöst von den Feierlichkeiten in ganz Deutschland zum 100. Geburtstag von Friedrich Schiller (1859) entstand in Berlin die Idee für ein Denkmal. Den Wettbewerb unter 25 Künstlern gewann Reinhold Begas. 1871 stand Schiller schließlich auf seinem Sockel, ihm zu Füßen die figurenhafte Darstellung seiner Haupttätigkeiten nämlich Drama, Geschichte, Lyrik und Philosophie. Und jetzt steht er da, einsam in der Mitte des Platzes, das Konzerthaus im Rücken und wundert sich sicherlich über das Treiben auf dem Gendarmenmarkt.

Benannt ist der Platz übrigens nach dem Regiment der Gens d´Armes, deren Stallungen sich von 1736 bis 1773 an dieser Stelle befanden. Im Sommer gibt es Kaffee oder ein frisches Weizenbier im Freien, was natürlich an dieser Stelle etwas teurer ist als sonst wo in Berlin. Ein Glas Sekt kostet im Freiluft-Bistro schon mal fünf Euro, statt 1,50 Euro wie bei unseren Festen in Weitersweiler. Rund um den Gendarmenmarkt sind viele bekannte Läden und Restaurants von gehobenem Niveau zu finden. Ein Abstecher lohnt sich auf jeden Fall zu Rausch, einem extravaganten Schokoladengeschäft an der Ecke Charlotten-/Mohrenstraße.

Um noch einmal auf die Überschrift zurück zu kommen kann ich zum Schluss festhalten: Der Gendarmenmarkt ist prächtig und zu einem Großteil auch Kulisse. Aber halt eine prächtige Kulisse, die den Rang einer Hauptsehenswürdigkeit in Berlin absolut rechtfertigt. Der Platz ist nicht nur ein Muss für Fotosammler. Er wird gerne für meist klassische Open-Air-Konzerte genutzt und im Advent für einen Weihnachtsmarkt mit einem ganz besonderen Flair.

Wiener Brot

Ist das nicht Sarah Wiener?

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An diesem Tag bediente die Chefin selbst

Diese Frage wird mir häufig gestellt, wenn jemand dieses Fotos sieht. Ja, das ist Sarah Wiener. Und ich habe sie in Berlin zufällig getroffen. Auf dem Weg vom Hotel zu einer Sitzung in der Rosenthaler Straße kam ich durch die Tucholskystraße und entdeckte den Laden „Wiener Brot – Holzofenbäckerei“. Vor dem Eingang standen zwei rot gestrichene Ruhebänke, ein kleiner Klapptisch mit einer Serviette und einer Topfpflanze. Dieses Arrangement machte mich neugierig. Ich gesellte mich in die kurze Warteschlange bei einer freundlich wirkenden älteren Verkäuferin. Mein Blick schweifte zur zweiten Verkäuferin und ich dachte: Hallo? Diese Frau sieht aus wie Sarah Wiener, die Köchin und Restaurantbesitzerin, die häufig im Fernsehen zu Gange ist.

Meinen Sie, dass Ihre Chefin etwas dagegen hat, wenn ich ein Foto mache?“, wendete ich mich an die ältere Verkäuferin. Sie meinte, fragen Sie sie doch. Das tat ich. „Gerne“, war ihre Antwort. Sarah Wiener stellte sich spontan vor die Regale und lächelte in die Kamera. Nachdem ich zweimal geklickt hatte, rief sie mir zu: „So, jetzt machen wir aber noch ein gemeinsames Foto“. Sie kam hinter der Theke hervor, drückte meine Kamera einem Amerikaner in die Hand, stellte sich eng neben mich und los ging´s. So unkompliziert war die Begegnung mit Sarah Wiener. Natürlich deckte ich mich mit Proviant ein, der wirklich lecker schmeckte. Die Produkte kosten ein paar Cent mehr wie in anderen Bäckereien, aber es lohnt sich, eine Stulle mit hausgemachtem Holzofenbrot oder österreichische Spezialitäten wie die Buchteln zu probieren.

Deutscher Bundestag

Eine Runde auf dem Reichstag

Nun wird es Zeit für einen Besuch des Reichtags. Ich meine, kein Gebäude in Berlin hat von der Wende und der Wiedervereinigung dermaßen profitiert wie der Reichstag. Einst im Schatten der Mauer fast verkommen, ist er heute architektonisch, touristisch und natürlich politisch das Herz Berlins.

Um 8.50 Uhr komme ich am altehrwürdige Sitz des Deutschen Bundestags an. Wie viele andere Besucher laufe ich zuerst einmal sechzig oder siebzig Meter über die gepflegte Rasenfläche des Platzes der Republik, um das historische Gebäude von vorne in seiner vollen Breite bewundern und fotografieren zu können. Die Sonne bildet ein Gegenlicht, ein solches Foto ließe sich am Nachmittag besser aufnehmen.

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Der Reichstag am Platz der Republik

Dann aber stelle ich mich in die Reihe der Menschen, die am Treppenaufgang auf Einlass warten. Das Tolle ist ja, dass man für den Besuch des Reichstags keinen Eintritt zahlt. Ich muss lediglich eine bestimmte Wartezeit in Kauf nehmen. Mein Plan, morgens ganz früh da zu sein, geht auf. Vor mir wartet nur noch eine große Gruppe Oberstufler. Um die Wartezeit sinnvoll zu überbrücken, erklärt der gut aussehende Lehrer den meist desinteressierten jungen Damen und Herren die Abläufe im Bundestag. Lediglich einige der 17- und 18-jährigen in der ersten Reihe hören anstandshalber zu.

Nach circa einer viertel Stunde öffnet sich die breite Glasschiebetür für schätzungsweise 40 bis 50 Personen. Es folgt eine Sicherheitskontrolle, die genauso abläuft wie am Flughafen. Alles Metallische und die Taschen kommen auf das kurze Förderband, um durchleuchtet zu werden. Wir Besucher durch-schreiten den mannshohen Scanner, der wie eine Umkleidekabine ohne Vorhänge aussieht. Einige Schüler werden von den Sicherheitsleuten in den dunkelblauen Anzügen mit Weste und Krawatte zusätzlich mit einem Handscanner gecheckt. Ich habe Glück und komme ohne Leibeskontrolle durch. Kurz darauf besteigen wir den Aufzug, der bis zu 48 Personen auf einmal nach oben zur Aussichtsterrasse bringt. Ein Tipp: An der Sicherheitskontrolle liegen Faltblätter mit dem Titel „Ausblicke“ mit einem Panoramafoto, auf dem eingezeichnet ist, welche besonderen Bauwerke man von der Kuppel des Reichstags aus erkennen kann. Wer möchte, kann sich am Eingang der Besucherterrasse einen Audioführer kostenfrei ausleihen und damit Erläuterungen zum Gebäude mit einer Art Kassettenrekorder abhören.

Von meiner Ankunft am Platz der Republik bis zum Betreten der Plattform auf dem Flachdach des Hauses sind 25 Minuten vergangen. Eine sensationell gute Zeit. Ich biege gleich nach links. Der Blick schweift über den vor mir liegenden Platz der Republik weit hinüber in den Westteil der Stadt. Ich kann das Europacenter mit dem Mercedes-Stern erkennen, den Turm der Gedächtniskirche, das moderne Hochhaus am Kranzlereck, die Siegessäule und den Glockenturm „Carillion“ im Tiergarten, das geschwungene Dach des Hauses der Kulturen und natürlich in seiner ganzen Ausbreitung das Kanzleramt. Bei diesem Blick wird mir durchaus bewusst, wie weit West-Berlin von Ost-Berlin entfernt ist und wie weit sich das Stadtgebiet insgesamt ausbreitet. Der Blick sagt mir aber auch: Hey, du stehst gerade dort, wo unser Land regiert wird, wo die Schlagzeilen entstehen, über die die Tagesschau jeden Abend berichtet. Das Kanzleramt, der Reichstag, ich wippe mit meinen Füßen sozusagen auf der Hauptschlagader unseres Landes. Damit kann ich dem Moment ein erhabenes Gefühl abgewinnen.

Nach dem Westblick folgt an der nächsten Seite der Aussichtsterrasse naturgemäß der Blick nach Norden. Dieser beginnt mit dem Hauptbahnhof und dem Sozialgericht in der Invalidenstraße. Noch immer sind eine Reihe von Baukränen zu sehen, die seit 1989 überall in Berlin ebenso zum Stadtbild gehören wie der Fernsehturm. Ich sichte das Hochhaus des Klinikums Charité, die Flutlichtmasten eines Fußballstadions und ganz rechts die goldene Kuppel der Synagoge in der Oranienburger Straße.

Diese ist auch von der nächsten Seite, dem Ost-Blick, zu erkennen. Vor mir fließt die Spree, links begrenzt vom Lüders-Haus. Am rechten Ufer weiter vorne das rote Gebäude des ARD-Hauptstadtstudios. Unübersehbar ragen das Hochhaus mit dem weißen Rand der Internationalen Handelskammer in der Friedrichstraße und der Fernsehturm am Alexanderplatz in den Himmel. Der Berliner Dom und der Turm des Roten Rathauses sind deutlicher auszumachen als die Turmspitzen der Dome am Gendarmenmarkt.

Ich vervollständige meine Aussichtstour rund um die Terrasse mit der Südseite. Allerdings blendet die Morgensonne von Südost sehr stark, so dass es schwierig ist, in Richtung Brandenburger Tor oder Potsdamer Platz zu fotografieren. Dennoch erblicke ich das grüne Kupferdach des Hotel Adlon links vom Brandenburger Tor. Sehr gut zu erkennen ist das Areal rund um den Potsdamer Platz mit dem Hochhaus der Deutschen Bahn und dem Sony-Center mit der außergewöhnlichen Dachkonstruktion. Rechts davon breitet sich das Kulturforum aus, bei dem die Philharmonie mit ihrer gelben Fassade her-vorsticht und auch die St. Matthäuskirche noch zu erkennen ist. Bis hierhin ist bereits eine halbe Stunde vergangen. so viel gibt es von der Aussichtsterrasse des Reichstags zu entdecken.

Die Kuppel

Nun aber vorwärts in die Kuppel. Doch ich schaffe es nicht sofort zum Aufstieg. Ich drehe zuerst eine Runde in der Basis der Kuppel. Zahlreiche Bilder und Infotafeln erzählen die Geschichte des Reichstagsgebäudes. Sie sind in der Mitte in einem Kreis um den Kern des Kegels angebracht. Faszinierend empfinde ich den Blick in die Spiegelwelt, die so geschickt konstruiert ist, dass sie das Tageslicht ins Innere des Plenarsaals weiterleitet. Nach jedem Schritt finde ich eine andere Perspektive vor. Ebenso beeindruckt mich der Blick aus der Kuppel heraus, der strahlend blaue Himmel bildet den idealen Hintergrund. Eine Einladung zum Fotografieren. Ich sehe wieder die Oberstufenklasse mit ihrem engagierten Lehrer, der abermals seine Schäfchen um sich versammelt hat, um ihnen etwas über den Bundestag zu erzählen.

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Die Kuppel, das Markenzeichen des „neuen“ Reichstags

Dann geht es endlich auf die Rampe, die hinauf zum Gipfel der Kuppel führt. In dieser Minute ist um mich herum die ganze Welt versammelt. Unzählige Nationen sind im deutschen Bundestag friedlich unterwegs, Schüler, Soldaten, Nonnen, Touristengruppen, Kinder und Erwachsene sind überwältigt von der Architektur des Reichstags. Meine Ohren fangen eine Menge fremde Sprachen auf, Fotoapparate klicken ohne Unterbrechung. Die Rampe schwingt ganz sanft unter meinen Füßen. An manchen Stellen bilden sich kleine Grüppchen, bleiben auffällig viele Leute stehen. Sie alle tragen einen Kopfhörer, was mir signalisiert, dass die Stimme im Audioführer empfiehlt, hier kurz inne zu halten, weil es etwas Interessantes zu erklären gibt.

Mein Weg führt weiter nach oben, aber nicht geradewegs, denn viel zu oft bleibe ich stehen, um einen erneuten Blick auf die Stadt zu erhaschen. Die Fenster sind teilweise vom Tau der Nacht noch beschlagen. Ein junges Mädchen philosophiert laut mit ihrem Vater „Man denkt, man müsste diesen Weg auch wieder runter laufen“. „Ist aber nicht“, freut sich der Vater über die Erkenntnis seiner klugen Tochter. In rund zehn Minuten schafft man gemütlich die Ersteigung der Reichstagskuppel, vorausgesetzt, man erliegt nicht der Verlockung, ständig nach draußen zu gucken oder zu fotografieren. Denn neue Motive begegnen mir alle paar Meter.

Am Gipfel der Kuppel bietet eine Bank aus Holz und Edelmetall Platz zum Ausruhen oder Verweilen. Allerdings ist in dieser Sekunde an Ruhe kaum zu denken. Kurz vor mir hat eine Grundschulklasse den Gipfel erstürmt. Wie die Wanzen wetzen sie auf der Plattform hin und her, hüpfen auf die Bank, rut-schen wieder runter, spielen Fangen und sorgen so für lebhafte Stimmung am Vormittag. Als sie mit ihren Lehrerinnen davon ziehen, kehrt für einige Augenblicke hörbare Ruhe ein. Doch an den Geräuschen erkenne ich, dass eine weitere Gruppe junger Bürger unterwegs ist, um den höchsten Punkt der deutschen Demokratie zu erstürmen. Wesentlich ruhiger geht es bei den Soldaten in Uniform zu, die sich gegenseitig fotografieren.

Auf der gegenüber liegenden Seite beginnt der Abstieg, the way down. Erst als ich die Rampe abwärts gehe, fällt mir auf, dass die abgeflachte Spitze der Kuppel geöffnet ist, die Kuppel bei dem heutigen schönen Wetter zum Cabrio geworden ist. Es ist schon eine ausgeklügelte Konstruktion, die dafür sorgt, dass sich aufsteigende und absteigende Besucher nicht begegnen. Die Gehrampen sind versetzt in unterschiedlichen Höhen angebracht. Das hat der stolze Vater seiner gewitzten Tochter sicherlich ausführlich erklärt.

Was ich jedoch nicht wirklich sehen konnte war der Plenarsaal des Bundestags. Waren es zu viele Spiegelungen? War der Raum - da ungenutzt - nicht hell genug beleuchtet, um sichtbar zu sein? Erst beim Verlassen des Aufzugs gelingt mir ebenerdig ein Blick in den Plenarsaal, vorbei an dem Gesicht eines bekannten Schauspielers aus Polizeiruf 110, der von einer dunkelblonden Mitarbeiterin des Bundestags ganz offensichtlich eine Privatführung erhält.

Gegen 10.35 Uhr verlasse ich das Gebäude über die gewaltige Treppe mit Blick auf das Bundeskanzleramt. Die Schlange steht bei etwa einer Stunde Wartezeit. Aber auch diese Stunde wird sich lohnen, zumal bei freiem Eintritt. Der Reichstag ist ein wahnsinnig faszinierendes Gebäude, ich bin froh, meinen Tag mit einem Abstecher hierher begonnen zu haben.

Nikolaiviertel

Hier entstand die Stadt Berlin

Meine Freunde Kirsten und Klaus haben mir mal erzählt, sie hätten während einer Berlinreise eine halbe Stunde lang nach dem Nikolaiviertel gesucht. Das kann ich gut verstehen, denn es ist nicht einfach, die berühmte Ecke zu finden. Das Gelände rund um die Nikolaikirche, gerne auch als die Keimzelle Berlins bezeichnet, liegt zwischen der Spree, dem Berliner Rathaus und dem Mühlendamm.

Im 12. Jahrhundert ließen sich hier an der Spree die ersten Kaufleute nieder. Aus dieser Ansiedlung und aus der Gemeinde Cölln auf dem gegenüber liegenden Spreeufer entwickelte sich die heutige Stadt Berlin. Allerdings wurde das Viertel im Zweiten Weltkrieg fast komplett zerstört und erst zur 750-Jahr-Feier Berlins im Jahre 1987 von der damaligen DDR-Regierung wieder aufgebaut. Deshalb könnte ich boshaft behaupten, ich spaziere durch ein Stück Disneyland.

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Romantische Ecke am Nikolaikirchplatz

Viele Gebäude sind erst in den 1980er Jahren neu erbaut oder von anderer Stelle hierher verpflanzt worden. Doch möchte ich die Bemühungen, dem Ursprung Berlins ein architektonisches Gesicht zu geben – nicht herabwürdigen. Schließlich hat das Viertel etwas von einer historischen Filmkulisse und einige wenige Gebäude sind ja tatsächlich echt. Der Berlinkenner Arnt Cobbers beschreibt das Viertel in seinem Reiseführer so: „Eine Mischung aus Neuem, Restauriertem und Rekonstruiertem, aus originalgetreuen und phantasievollen Adaptionen Alt-Berliner Bürgerhäuser“. Daher rührt also die etwas künstlich anmutende Altstadtatmosphäre. Alte Häuser wurden mit neuen Materialien nachgebaut. Zum Teil wirken die Gebäude nicht Berlin-typisch, sondern sehen eher wie Häuser aus norddeutschen Hafenstädten aus. Trotzdem hat man das Gefühl, in einem Stück Alt-Berlin spazieren zu gehen. Über 20 Geschäfte und gut 15 Kneipen laden dazu ein. Diese Einladung wird vor allem von Touristen gerne angenommen.