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Katharina Füllenbach

OSTTÜRKEI

NOTIZEN ZU EINER REISE IM

FRÜHJAHR 2016

Reisepostillen Band 4

© 2017 Text, Photos, Umschlagegestaltung: Katharina Füllenbach

Verlag und Druck: tredition GmbH, Grindelallee 188, 20144 Hamburg

ISBN  
Paperback: 978-3-7439-6266-8
Hardcover: 978-3-7439-6267-5
e-Book: 978-3-7439-6268-2

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Vorwort

Das Vorwort zum Bericht über eine Reise zu schreiben, die wenige Monate vor dem Putschversuch 2016 in den Osten der Türkei stattfand, mutet - von heute aus betrachtet - nachgerade absurd an. Damals wirkte viel von dem Beobachteten schwerwiegend und bedrückend, aber dennoch gab es die Hoffnung, die Lage würde sich mittelfristig wieder entspannen und normalisieren.

Nach dem Juli 2016 und der seither täglichen Konfrontation mit immer neuen Nachrichten über die voranschreitende Gleichschaltung des Landes, gibt es im Moment wenig Anlass zu glauben, die Dinge würden sich absehbar wieder zurechtruckeln.

Dieses Büchlein ist all den wunderbaren Menschen gewidmet, die mir auf dieser Reise begegnet sind und die mich mit ihrer liebenswerten und unendlichen Gastfreundschaft aufgenommen haben. Es möge dem einen oder anderen vielleicht auch genug von einem Jahrtausende alten Kulturkreis erzählen, um neugierig zu machen und die Reiselust zu wecken für den Moment in einer hoffentlich nicht allzu fernen Zukunft, in der die Verhältnisse - dem ewigen, historischen Wandel unterworfen- wieder andere und friedlichere sein werden. KF

Istanbul 3. April

Der Flug von Hamburg nach Van ist für heute und tagsüber mit einem Zwischenstopp in Istanbul gebucht.

Gestern Abend, beim online-check-in, ist leider nicht aufgefallen, daß die Abflugzeit um mehrere Stunden verschoben und damit die Umstiegzeit in Istanbul auf weniger als eine halbe Stunde zusammen geschnurrt ist. Auch heute, bei der Kofferabgabe fällt niemandem etwas auf. Erst der Hinweis, daß der Koffer -aus Sicherheitsgründen - nicht bis Van durchgecheckt, sondern in Istanbul abgeholt und anschließend neu aufgegeben werden muß, läßt das Augenmerk auf die, für dieses Manöver, verfügbare Zeit fallen.

Der ganze Flugplan ist - System bedingt - Murks und wird komplett neu aufgesetzt, sodaß sich die Abreise auf abends verschiebt. In Istanbul bleibt dann die ganze Nacht über genügend Zeit, sich um den Koffer zu kümmern, denn nach Van geht es erst am nächsten Morgen weiter. Der katholische Einfluß meiner Kindheit hat eine starke abergläubische Einbildungskraft in meinem Bewußtsein hinterlassen und so denke ich in solchen Situationen immer, daß dererlei Pannen zu irgendetwas gut sind. Im Moment weiß ich nur noch nicht wofür.

Vansee

Wie zu erwarten, wird die Transitnacht in Istanbul ungemein anstrengend. Tausende Menschen auf dem domestic flight terminal, Heerscharen türkischer Großfamilien auf dem Weg von da nach dort. Alle laut und lustig. Ab vier Uhr morgens sitze ich im Warteraum des Abfluggates und schlafe, um den Rucksack gewickelt, so tief und erschöpft ein, daß es nur vollkommen unbekannten, aber aufmerksamen Mitreisenden zu verdanken ist, wenn ich den Weiterflug nicht verpasse. Gerade noch so springe ich ins Flugzeug, hinter mir wird die Treppe weggerollt und die Tür geschlossen. Reisen, die so beginnen, haben deutliches nach oben Potential zur Verbesserung.

Hauseingang, Van

Van 6. April 2016

Van liegt ca. sechzig Kilometer von der iranischen Grenze entfernt, ist Provinzhauptstadt und macht den Eindruck, eines sehr entspannten Aufenthaltsortes. Eine funktionierende Busverbindung vom Flughafen in die Innenstadt ist jedenfalls ein heißes Versprechen darauf, daß der clash of civilizations zumindest im Organisatorischen nicht extrem ausfallen wird. Erste Recherchen haben zudem ergeben, daß es überhaupt kein Problem ist, sich in der Region mit öffentlichen Verkehrsmitteln fortzubewegen. Die Menschen sind unglaublich freundlich und hilfsbereit, auch das trägt zum Wohlbefinden bei. Allein der Umstand, daß kaum jemand - weder jung noch alt - Englisch spricht, erschwert die Kommunikation ein wenig.

Die ersten Streifzüge durch die Stadt haben heute erst einen geringen Überblick gegeben. Es wird sehr viel gebaut: Überwiegend schöne, orientalisch anmutende sechsgeschossige Wohnhäuser. 2011 wurde Van von einem schweren Erdbeben teilweise zerstört. Der damit notwendig gewordene Wiederaufbau scheint in vollem Gange und drängt die, früher vorherrschende, zweigeschossige Bauweise massiv zurück.

Stadtansicht Van, Detail

Stadtansicht Van, Detail

Ab und zu steht ein Haus aus den dreißiger Jahren vergessen zwischen den Neubauten und wartet darauf, an unzähligen Luftballons hängend, davonfliegen zu können. Aber dazu wird es wohl nicht kommen und stattdessen fliegt irgendwann die Abrißbirne.

Auch das archäologische Museum der Stadt ist seit dem Erdbeben geschlossen. Ich bin heute durch eine offenstehende Tür hineingeschlüpft und hatte den Eindruck, daß sich sämtliche Exponate noch im Gebäude befinden. Aber leider wies ein Wachmann meine Neugier in die Schranken und mir den Weg zum Ausgang. Schade.

Menschen, die mal in der Hotellerie gearbeitet haben, sind genauso schlimm, wie ehemalige Raucher. Es gibt zwar Ausnahmen, aber zu denen gehöre ich nicht. Bisher beschränkten sich meine Ankunfts- und Nörgelrituale auf den einfachen Zimmerwechsel. Diesmal habe ich mich gesteigert und bin nach einem Tag in ein anderes Hotel gezogen. Hier liegt zwar auch überall der hochflorige Teppichboden, den die Völker Ostund Südeuropas so lieben und vor dem ich regelmäßig Reißaus nehme, aber insgesamt ist das Etablissement deutlich gepflegter und mein neues Zimmer bietet einen grandiosen Blick über die Stadt.

Leerstehendes Gebäude in der Innenstadt von Van

Van 7. April 2016