Immanuel Kant

Immanuel Kant: Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen

 
 
 
 
 
 
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2017 OK Publishing

 
ISBN 978-80-272-2769-3
Inhaltsverzeichnis
Erster Abschnitt Von den unterschiedenen Gegenständen des Gefühls vom Erhabenen und Schönen
Zweiter Abschnitt Von den Eigenschaften des Erhabenen und Schönen am Menschen überhaupt
Dritter Abschnitt Von dem Unterschiede des Erhabenen und Schönen in dem Gegenverhältnis beider Geschlechter
Vierter Abschnitt Von den Nationalcharaktern11, insofern sie auf dem unterschiedlichen Gefühl des Erhabenen und Schönen beruhen

Erster Abschnitt  
Von den unterschiedenen Gegenständen des Gefühls vom Erhabenen und Schönen

Inhaltsverzeichnis

Die verschiedenen Empfindungen des Vergnügens oder des Verdrusses beruhen nicht so sehr auf der Beschaffenheit der äußeren Dinge, die sie erregen, als auf dem jedem Menschen eigenen Gefühle, dadurch mit Lust oder Unlust gerührt zu werden. Daher kommen die Freuden einiger Menschen, woran andre einen Ekel haben, die verliebte Leidenschaft, die öfters jedermann ein Rätsel ist, oder auch der lebhafte Widerwille, den der eine woran empfindet, was dem andern völlig gleichgültig ist. Das Feld der Beobachtungen dieser Besonderheiten der menschlichen Natur erstreckt sich sehr weit und verbirgt annoch einen reichen Vorrat zu Entdeckungen, die ebenso anmutig als lehrreich sind. Ich werfe für jetzt meinen Blick nur auf einige Stellen, die sich in diesem Bezirke besonders auszunehmen scheinen, und auch auf diese mehr das Auge eines Beobachters als des Philosophen.

Weil ein Mensch sich nur insofern glücklich findet, als er eine Neigung befriedigt, so ist das Gefühl, welches ihn fähig macht, große Vergnügen zu genießen, ohne dazu ausnehmende Talente zu bedürfen, gewiß nicht eine Kleinigkeit. Wohlbeleibte Personen, deren geistreichster Autor ihr Koch ist und deren Werke von feinem Geschmack sich in ihrem Keller befinden, werden bei gemeinen Zoten und einem plumpen Scherz in ebenso lebhafte Freude geraten, als diejenige ist, worauf Personen in edeler Empfindung so stolz tun. Ein bequemer Mann, der die Vorlesung der Bücher liebt, weil es sich sehr wohl dabei einschlafen läßt, der Kaufmann, dem alle Vergnügen läppisch scheinen, dasjenige ausgenommen, was ein kluger Mann genießt, wenn er seinen Handlungsvorteil überschlägt, derjenige, der das andre Geschlecht nur insofern liebt, als er es zu den genießbaren Sachen zählt, der Liebhaber der Jagd, er mag nun Fliegen jagen, wie Domitian, oder wilde Tiere, wie A . ., alle diese haben ein Gefühl, welches sie fähig macht, Vergnügen nach ihrer Art zu genießen, ohne daß sie andere beneiden dürfen oder auch von andern sich einen Begriff machen können; allein ich wende für jetzt darauf keine Aufmerksamkeit. Es gibt noch ein Gefühl von feinerer Art, welches entweder darum so genannt wird, weil man es länger ohne Sättigung und Erschöpfung genießen kann, oder weil es sozusagen eine Reizbarkeit der Seele voraussetzt, die diese zugleich zu tugendhaften Regungen geschickt macht, oder weil es Talente und Verstandesvorzüge anzeigt, da im Gegenteil jene bei völliger Gedankenlosigkeit stattfinden können. Dieses Gefühl ist es, wovon ich eine Seite betrachten will. Doch schließe ich hievon die Neigung aus, welche auf hohe Verstandeseinsichten geheftet ist, und den Reiz, dessen ein Kepler fähig war, wenn er, wie Bayle berichtet, eine seiner Erfindungen nicht um ein Fürstentum würde verkauft haben. Diese Empfindung ist gar zu fein, als daß sie in gegenwärtigen Entwurf gehören sollte, welcher nur das sinnliche Gefühl berühren wird, dessen auch gemeinere Seelen fähig sind.

Das feinere Gefühl, was wir nun erwägen wollen, ist vornehmlich zwiefacher Art: das Gefühl des Erhabenen und des Schönen. Die Rührung von beiden ist angenehm, aber auf sehr verschiedene Weise. Der Anblick eines Gebirges, dessen beschneite Gipfel sich über Wolken erheben, die Beschreibung eines rasenden Sturms oder die Schilderung des höllischen Reichs von Milton erregen Wohlgefallen, aber mit Grausen; dagegen die Aussicht auf blumenreiche Wiesen, Täler mit schlängelnden Bächen, bedeckt von weidenden Herden, die Beschreibung des Elysium oder Homers Schilderung von dem Gürtel der Venus veranlassen auch eine angenehme Empfindung, die aber fröhlich und lächlend ist. Damit jener Eindruck auf uns in gehöriger Stärke geschehen könne, so müssen wir ein Gefühl des Erhabenen und, um die letztere recht zu genießen, ein Gefühl für das Schöne haben. Hohe Eichen und einsame Schatten im heiligen Haine sind erhaben, Blumenbetten, niedrige Hecken und in Figuren geschnittene Bäume sind schön. Die Nacht ist erhaben, der Tag ist schön. Gemütsarten, die ein Gefühl für das Erhabene besitzen, werden durch die ruhige Stille eines Sommerabendes, wenn das zitternde Licht der Sterne durch die braunen Schatten der Nacht hindurchbricht und der einsame Mond im Gesichtskreise steht, allmählich in hohe Empfindungen gezogen, von Freundschaft, von Verachtung der Welt, von Ewigkeit. Der glänzende Tag flößt geschäftigen Eifer und ein Gefühl von Lustigkeit ein. Das Erhabene rührt, das Schöne reizt. Die Miene des Menschen, der im vollen Gefühl des Erhabenen sich befindet, ist ernsthaft, bisweilen starr und erstaunt. Dagegen kündigt sich die lebhafte Empfindung des Schönen durch glänzende Heiterkeit in den Augen, durch Züge des Lächelns und oft durch laute Lustigkeit an. Das Erhabene ist wiederum verschiedener Art. Das Gefühl desselben ist bisweilen mit einigem Grausen oder auch Schwermut, in einigen Fällen bloß mit ruhiger Bewunderung und in noch andern mit einer über einen erhabenen Plan verbreiteten Schönheit begleitet. Das erstere will ich das Schreckhaft-Erhabene, das zweite das Edle und das dritte das Prächtige nennen. Tiefe Einsamkeit ist erhaben, aber auf eine schreckhafte Art.1 Daher große, weitgestreckte Einöden, wie die ungeheure Wüste Schamo in der Tartarei, jederzeit Anlaß gegeben haben, fürchterliche Schatten, Kobolde und Gespensterlarven dahin zu versetzen.

Das Erhabene muß jederzeit groß, das Schöne kann auch klein sein. Das Erhabene muß einfältig, das Schöne kann geputzt und geziert sein. Eine große Höhe ist ebensowohl erhaben als eine große Tiefe; allein diese ist mit der Empfindung des Schauderns begleitet, jene mit der Bewunderung; daher diese Empfindung schreckhaft erhaben und jene edel sein kann. Der Anblick einer ägyptischen Pyramide rührt, wie Hasselquist berichtet, weit mehr, als man sich aus aller Beschreibung es vorstellen kann, aber ihr Bau ist einfältig und edel. Die Peterskirche in Rom ist prächtig. Weil auf diesen Entwurf, der groß und einfältig ist, Schönheit, z. E. Gold, mosaische Arbeit usw. usw. so verbreitet ist, daß die Empfindung des Erhabenen doch am meisten hindurch wirkt, so heißt der Gegenstand prächtig. Ein Arsenal muß edel und einfältig, ein Residenzschloß prächtig und ein Lustpalast schön und geziert sein.

Eine lange Dauer ist erhaben. Ist sie von vergangener Zeit, so ist sie edel; wird sie in einer unabsehlichen Zukunft vorausgesehen, so hat sie etwas vom Schreckhaften an sich. Ein Gebäude aus dem entferntesten Altertum ist ehrwürdig. Hallers Beschreibung von der künftigen Ewigkeit stößt ein sanftes Grausen und von der vergangenen starre Bewunderung ein.

Zweiter Abschnitt  
Von den Eigenschaften des Erhabenen und Schönen am Menschen überhaupt

Inhaltsverzeichnis

Verstand ist erhaben, Witz ist schön. Kühnheit ist erhaben und groß, List ist klein, aber schön. Die Behutsamkeit, sagte Cromwell, ist eine Bürgermeistertugend. Wahrhaftigkeit und Redlichkeit ist einfältig und edel, Scherz und gefällige Schmeichelei ist fein und schön. Artigkeit ist die Schönheit der Tugend. Uneigennütziger Diensteifer ist edel, Geschliffenheit (Politesse) und Höflichkeit sind schön. Erhabene Eigenschaften flößen Hochachtung, schöne aber Liebe ein. Leute, deren Gefühl vornehmlich auf das Schöne geht, suchen ihre redlichen, beständigen und ernsthaften Freunde nur in der Not auf; den scherzhaften, artigen und höflichen Gesellschafter aber erwählen sie sich zum Umgange. Man schätzt manchen viel zu hoch, als daß man ihn lieben könnte. Er flößt Bewunderung ein, aber er ist zu weit über uns, als daß wir mit der Vertraulichkeit der Liebe uns ihm zu nähern getrauten.

Diejenige, welche beiderlei Gefühl in sich vereinbaren, werden finden: daß die Rührung von dem Erhabenen mächtiger ist wie die vom Schönen, nur daß sie ohne Abwechselung oder Begleitung der letzteren ermüdet und nicht so lange genossen werden kann.2 Die hohen Empfindungen, zu denen die Unterredung in einer Gesellschaft von guter Wahl sich bisweilen erhebt, müssen sich dazwischen in heiteren Scherz auflösen, und die lachenden Freuden sollen mit der gerührten, ernsthaften Miene den schönen Kontrast machen, welcher beide Arten von Empfindung ungezwungen abwechseln läßt. Freundschaft hat hauptsächlich den Zug des Erhabenen, Geschlechterliebe aber des Schönen an sich. Doch geben Zärtlichkeit und tiefe Hochachtung der letzteren eine gewisse Würde und Erhabenheit, dagegen gaukelhafter Scherz und Vertraulichkeit das Kolorit des Schönen in dieser Empfindung erhöhen. Das Trauerspiel unterscheidet sich meiner Meinung nach vom Lustspiele vornehmlich darin: daß in dem ersteren das Gefühl fürs Erhabene, im zweiten für das Schöne gerührt wird. In dem ersteren zeigen sich großmütige Aufopferung für fremdes Wohl, kühne Entschlossenheit in Gefahren und geprüfte Treue. Die Liebe ist daselbst schwermütig, zärtlich und voll Hochachtung; das Unglück anderer bewegt in dem Busen des Zuschauers teilnehmende Empfindungen und läßt sein großmütig Herz für fremde Not klopfen. Er wird sanft gerührt und fühlt die Würde seiner eigenen Natur. Dagegen stellt das Lustspiel feine Ränke, wunderliche Verwirrungen und Witzige, die sich herauszuziehen wissen, Narren, die sich betrügen lassen, Späße und lächerliche Charaktere vor. Die Liebe ist hier nicht so grämisch, sie ist lustig und vertraulich. Doch kann so wie in andern Fällen, also auch in diesen das Edle mit dem Schönen in gewissem Grade vereinbart werden.

Selbst die Laster und moralischen Gebrechen führen öfters gleichwohl einige Züge des Erhabenen oder Schönen bei sich; wenigstens so wie sie unserem sinnlichen Gefühl erscheinen, ohne durch Vernunft geprüft zu sein. Der Zorn eines Furchtbaren ist erhaben, wie Achilles’ Zorn in der Iliade. Überhaupt ist der Held des Homers schrecklich erhaben, des Virgils seiner dagegen edel. Offenbare dreiste Rache nach großer Beleidigung hat etwas Großes an sich, und so unerlaubt sie auch sein mag, so rührt sie in der Erzählung gleichwohl mit Grausen und Wohlgefallen. Als Schach Nadir zur Nachtzeit von einigen Verschwornen in seinem Zelte überfallen ward, so rief er, wie Hanway erzählt, nachdem er schon einige Wunden bekommen und sich voll Verzweiflung wehrte: »Erbarmung! ich will euch allen vergeben.« Einer unter ihnen antwortete, indem er den Säbel in die Höhe hob: »Du hast keine Erbarmung bewiesen und verdienst auch keine.« Entschlossene Verwegenheit an einem Schelmen ist höchst gefährlich, aber sie rührt doch in der Erzählung, und selbst wenn er zu einem schändlichen Tode geschleppt wird, so veredelt er ihn noch gewissermaßen dadurch, daß er ihm trotzig und mit Verachtung entgegengeht. Von der andern Seite hat ein listig ausgedachter Entwurf, wenn er gleich auf ein Bubenstück ausgeht, etwas an sich, was fein ist und belacht wird. Buhlerische Neigung (Koketterie) im feinen Verstande, nämlich eine Geflissenheit einzunehmen und zu reizen, an einer sonst artigen Person ist vielleicht tadelhaft, aber doch schön und wird gemeiniglich dem ehrbaren, ernsthaften Anstande vorgezogen.