Immanuel Kant

Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral


e-artnow, 2017
Kontakt: info@e-artnow.org
ISBN 978-80-268-7036-4
Inhaltsverzeichnis
Einleitung.
Erste Betrachtung. Allgemeine Vergleichung der Art zur Gewißheit im mathematischen Erkenntnisse zu gelangen mit der im philosophischen.
Zweite Betrachtung. Die einzige Methode, zur höchstmöglichen Gewißheit in der Metaphysik zu gelangen.
Dritte Betrachtung. Von der Natur der metaphysischen Gewißheit.
Vierte Betrachtung. Von der Deutlichkeit und Gewißheit, deren die erste Gründe der natürlichen Gottesgelahrtheit und Moral fähig sind.
Nachschrift.

Einleitung.

Inhaltsverzeichnis

Die vorgelegte Frage ist von der Art, daß, wenn sie gehörig aufgelöset wird, die höhere Philosophie dadurch eine bestimmte Gestalt bekommen muß. Wenn die Methode fest steht, nach der die höchstmögliche Gewißheit in dieser Art der Erkenntnis kann erlangt werden, und die Natur dieser Überzeugung wohl eingesehen wird, so muß an statt des ewigen Unbestands der Meinungen und Schulsecten eine unwandelbare Vorschrift der Lehrart die denkende Köpfe zu einerlei Bemühungen vereinbaren; so wie Newtons Methode in der Naturwissenschaft die Ungebundenheit der physischen Hypothesen in ein sicheres Verfahren nach Erfahrung und Geometrie veränderte. Welche Lehrart wird aber diese Abhandlung selber haben sollen, in welcher der Metaphysik ihr wahrer Grad der Gewißheit sammt dem Wege, auf welchem man dazu gelangt, soll gewiesen werden? Ist dieser Vortrag wiederum Metaphysik, so ist das Urtheil desselben eben so unsicher, als die Wissenschaft bis dahin gewesen ist, welche dadurch hofft einigen Bestand und Festigkeit zu bekommen, und es ist alles verloren. Ich werde daher sichere Erfahrungssätze und daraus gezogene unmittelbare Folgerungen den ganzen Inhalt meiner Abhandlung sein lassen. Ich werde mich weder auf die Lehren der Philosophen, deren Unsicherheit eben die Gelegenheit zu gegenwärtiger Aufgabe ist, noch auf Definitionen, die so oft trügen, verlassen. Die Methode, deren ich mich bediene, wird einfältig und behutsam sein. Einziges, welches man noch unsicher finden möchte, wird von der Art sein, daß es nur zur Erläuterung, nicht aber zum Beweise gebraucht wird.

Erste Betrachtung.  
Allgemeine Vergleichung der Art zur Gewißheit im mathematischen Erkenntnisse zu gelangen mit der im philosophischen.

Inhaltsverzeichnis
§1.

Die Mathematik gelangt zu allen ihren Definitionen synthetisch, die Philosophie aber analytisch.

Man kann zu einem jeden allgemeinen Begriffe auf zweierlei Wege kommen, entweder durch die willkürliche Verbindung der Begriffe, oder durch Absonderung von demjenigen Erkenntnisse, welches durch Zergliederung ist deutlich gemacht worden. Die Mathematik faßt niemals anders Definitionen ab als auf die erstere Art. Man gedenkt sich z. E. willkürlich vier gerade Linien, die eine Ebene einschließen, so daß die entgegenstehende Seiten nicht parallel sind, und nennt diese Figur ein Trapezium. Der Begriff, den ich erkläre, ist nicht vor der Definition gegeben, sondern er entspringt allererst durch dieselbe. Ein Kegel mag sonst bedeuten, was er wolle; in der Mathematik entsteht er aus der willkürlichen Vorstellung eines rechtwinklichten Triangels, der sich um eine Seite dreht. Die Erklärung entspringt hier und in allen andern Fällen offenbar durch die Synthesin.

Mit den Definitionen der Weltweisheit ist es ganz anders bewandt. Es ist hier der Begriff von einem Dinge schon gegeben, aber verworren und nicht genugsam bestimmt. Ich muß ihn zergliedern, die abgesonderte Merkmale zusammen mit dem gegebenen Begriffe in allerlei Fällen vergleichen und diesen abstracten Gedanken ausführlich und bestimmt machen. Jedermann hat z. E. einen Begriff von der Zeit; dieser soll erklärt werden. Ich muß diese Idee in allerlei Beziehungen betrachten, um Merkmale derselben durch Zergliederung zu entdecken, verschiedene abstrahirte Merkmale verknüpfen, ob sie einen zureichenden Begriff geben, und unter einander zusammenhalten, ob nicht zum Theil eins die andre in sich schließe. Wollte ich hier synthetisch auf eine Definition der Zeit zu kommen suchen, welch ein glücklicher Zufall müßte sich ereignen, wenn dieser Begriff gerade derjenige wäre, der die uns gegebene Idee völlig ausdrückte!

Indessen, wird man sagen, erklären die Philosophen bisweilen auch synthetisch und die Mathematiker analytisch: z. E. wenn der Philosoph eine Substanz mit dem Vermögen der Vernunft sich willkürlicher Weise gedenkt und sie einen Geist nennt. Ich antworte aber: dergleichen Bestimmungen einer Wortbedeutung sind niemals philosophische Definitionen, sondern wenn sie ja Erklärungen heißen sollen, so sind es nur grammatische. Denn dazu gehört gar nicht Philosophie, um zu sagen, was für einen Namen ich einem willkürlichen Begriffe will beigelegt wissen. Leibniz dachte sich eine einfache Substanz, die nichts als dunkle Vorstellungen hätte, und nannte sie eine schlummernde Monade. Hier hatte er nicht diese Monas erklärt, sondern erdacht; denn der Begriff derselben war ihm nicht gegeben, sondern von ihm erschaffen worden. Die Mathematiker haben dagegen bisweilen analytisch erklärt, ich gestehe es, aber es ist auch jederzeit ein Fehler gewesen. So hat Wolff die Ähnlichkeit in der Geometrie mit philosophischem Auge erwogen, um unter dem allgemeinen Begriffe derselben auch die in der Geometrie vorkommende zu befassen. Er hätte es immer können unterwegens lassen; denn wenn ich mir Figuren denke, in welchen die Winkel, die die Linien des Umkreises einschließen, gegenseitig gleich sind, und die Seiten, die sie einschließen, einerlei Verhältniß haben, so kann dieses allemal als die Definition der Ähnlichkeit der Figuren angesehen werden, und so mit den übrigen Ähnlichkeiten der Räume. Dem Geometra ist an der allgemeinen Definition der