3Dorothea Gädeke

Politik der Beherrschung

Eine kritische Theorie
externer Demokratieförderung

Suhrkamp

5Inhalt

Vorwort

1. Einleitung

Teil I
Ambivalente Universalisierung der Demokratie

2. Die ambivalente Universalisierung der Demokratie

2.1. Die dreifache Universalisierung der Demokratie

2.2. Die dreifache Kritik an der Universalisierung der Demokratie

2.3. Die ambivalente Universalisierung der Demokratie

3. Externe Demokratieförderung in der normativen Theorie

3.1. Zur Debatte um erzwungene Demokratisierung

3.2. Herausforderungen einer normativen Betrachtung externer Demokratieförderung

3.3. Kritischer Republikanismus und externe Demokratieförderung

Teil II
Gerechtigkeit, Beherrschung und Demokratie

4. Gerechtigkeit als Nicht-Beherrschung

4.1. Pettits freiheitstheoretischer Zugang zum Begriff der Beherrschung

4.1.1. Nicht-Beherrschung und die Absicherung individueller Handlungsspielräume

4.1.2. Diskursive Kontrolle und die Freiheit der Person

4.1.3. Nicht-Beherrschung als Statusfreiheit

4.2. Eine diskurstheoretische Erweiterung des Begriffs der Beherrschung

4.2.1. Zu Pettits negativem Grundverständnis von Beherrschung

4.2.2. Diskursiver Status und normative Autorität

4.2.3. Diskursive Praxis und moralische Rechtfertigung

4.3. Gerechtigkeit und das Recht auf Nicht-Beherrschung

4.3.1. Rechtfertigung und das Recht auf Nicht-Beherrschung

4.3.2. Freiheit und ein reflexives Verständnis von Gerechtigkeit

4.3.3. Macht als Kernfrage der Gerechtigkeit

5. Macht und Beherrschung

5.1. Beherrschung als asymmetrische Machtbeziehung

5.1.1. Pettits dispositionales Machtverständnis

5.1.2. Von interaktionaler zu interpersonaler Beherrschung

5.1.3. Interpersonale und systemische Beherrschung

5.2. Beherrschung als willkürliche Machtbeziehung

5.2.1. Pettits interessenbasiertes Willkürverständnis

5.2.2. Zu einem diskurstheoretischen Verständnis von Willkür

5.2.3. Willkür in interpersonaler und systemischer Beherrschung

5.3. Dimensionen der Beherrschung

5.3.1. Fundamentale und nicht-fundamentale Beherrschung

5.3.2. Drei Dimensionen der Beherrschung

5.3.3. Die besondere Bedeutung politischer Beherrschung

6. Nicht-Beherrschung und Demokratie

6.1. Strategien der Realisierung von Nicht-Beherrschung

6.1.1. Die Strategie symmetrischer Macht

6.1.2. Die Strategie politischer Herrschaft

6.1.3. Die Strategie der Moral

6.2. Grundbedingungen nicht-beherrschender Herrschaft

6.2.1. Formale Willkürfreiheit und die Herrschaft des Rechts

6.2.2. Materiale Willkürfreiheit und Selbstgesetzgebung

6.2.3. Soziale Voraussetzungen nicht-beherrschender Herrschaft

6.3. Demokratie als Forderung der Gerechtigkeit als Nicht-Beherrschung

6.3.1. Zum internen Zusammenhang von Gerechtigkeit und Demokratie

6.3.2. Zur Reichweite der Gerechtigkeit als Nicht-Beherrschung

6.3.3. Gerechtigkeit, Universalität und Kontextsensitivität

Teil III
Gerechtigkeit und kollektive Selbstbestimmung

7. Externe Verantwortung für innerstaatliche Beherrschung

7.1. Verantwortung für Beherrschung innerhalb und jenseits des Staates

7.1.1. Die besondere Bedeutung innerstaatlicher Beherrschung

7.1.2. Innerstaatliche Verantwortung für innerstaatliche Beherrschung?

7.1.3. Individuelle, kollektive und geteilte Verantwortung

7.2. Innerstaatliche Beherrschung und grenzüberschreitende moralische Pflichten

7.2.1. Vier Modelle republikanischer Solidarität

7.2.2. Die Pflicht zur Gerechtigkeit

7.2.3. Die Pflicht zur Gerechtigkeit als Grundlage von Gerechtigkeits- und Beistandspflichten

7.3. Innerstaatliche Beherrschung und grenzüberschreitende Gerechtigkeitspflichten

7.3.1. Das Modell der Folgeverantwortung für innerstaatliche Beherrschung

7.3.2. Das Modell politischer Verantwortung für innerstaatliche Beherrschung

7.3.3. Zwischenfazit:
Grenzüberschreitende Verantwortung für Beherrschung

8. Zur Beherrschung von Staaten

8.1. Individuelle und kollektive Beherrschung

8.1.1. Beherrschung von Individuen und Gruppen

8.1.2. Handlungstheoretische Voraussetzungen des Beherrscht-Werdens

8.1.3. Drei Modelle kollektiver Beherrschung

8.2. Können (nicht-demokratische) Staaten beherrscht werden?

8.2.1. Staaten als kollektive Akteure

8.2.2. Kollektive Beherrschung und die interne Struktur kollektiver Akteure

8.2.3. Beherrschung von Staaten und die konstituierende Macht des Volkes

8.3. Dürfen (nicht-demokratische) Staaten beherrscht werden?

8.3.1. Die normative Bedeutung der konstituierenden Macht des Volkes

8.3.2. Die Beherrschung von Staaten und das Kompensationsargument

8.3.3. Zwischenfazit:
Die Problematik zwischenstaatlicher Beherrschung

9. Nicht-Beherrschung und kollektive Selbstbestimmung

9.1. Nicht-Beherrschung und das Erfordernis nicht-beherrschter Herrschaft

9.1.1. Zur grenzüberschreitenden Dimension von Nicht-Beherrschung

9.1.2. Das individuelle und das kollektive Recht auf Nicht-Beherrschung

9.1.3. Strategien der Realisierung nicht-beherrschter Herrschaft

9.2. Staatliche Souveränität und kollektive Selbstbestimmung

9.2.1. Kollektive Nicht-Beherrschung und das Prinzip staatlicher Souveränität

9.2.2. Das Einmischungsmodell kollektiver Selbstbestimmung

9.2.3. Kollektive Selbstbestimmung als Nicht-Beherrschung

9.3. Grundbedingungen nicht-beherrschter Herrschaft

9.3.1. Formale Willkürfreiheit und relationale Souveränität

9.3.2. Materiale Willkürfreiheit und transnationale Demokratie

9.3.3. Soziale und politische Voraussetzungen nicht-beherrschter Herrschaft

Teil IV
Politik der Beherrschung und externe Demokratieförderung

10. Die Dialektik der Universalisierung der Demokratie

10.1. Externe Demokratieförderung als Politik der Beherrschung

10.2. Die Kritik externer Demokratieförderung als Politik der Beherrschung

10.3. Kollektive Selbstbestimmung und die Dialektik der Universalisierung der Demokratie

11. Gerechtigkeit, Entwicklungspolitik und Demokratieförderung

11.1. Kollektive Selbstbestimmung als Ziel gerechter Entwicklungspolitik

11.2. Grundbedingungen nicht-beherrschender Demokratieförderung

11.2.1. Relationale Souveränität und entwicklungspolitische Strukturpolitik

11.2.2. Zur Verrechtlichung und Politisierung der Entwicklungspolitik

11.2.3. Accountability und Partizipation in der Entwicklungszusammenarbeit

11.3. Ansatzpunkte für institutionelle Reformen der Entwicklungspolitik

12. Fazit:
Eine kritische Theorie externer Demokratieförderung

Literatur

11Vorwort

Ausgangspunkt dieses Buches war meine Irritation darüber, dass der zunehmende internationale Widerstand gegen den Demokratisierungseifer, mit dem etablierte Demokratien ihre Regierungsform weltweit zu verbreiten suchen, in der deutsch- und englischsprachigen politischen Theorie ebenso wenig Widerhall fand wie in der breiteren Öffentlichkeit. Mein Hauptanliegen bestand dementsprechend darin, die Selbstverständlichkeit zu hinterfragen, mit der der Vorwurf, Demokratieförderung sei Ausdruck und Kern der imperialen Weltordnung, unhinterfragt zurückgewiesen wird.

In Zeiten des Erstarkens rechtspopulistischer Bewegungen und Parteien, der Diskreditierung von unabhängigem Journalismus, Angriffen auf die institutionelle Unabhängigkeit der Justiz und der Zunahme von rassistischen und ausländerfeindlichen Diskursen und Straftaten gerät die Demokratie indes nicht mehr nur in jungen Demokratien und Transitionsstaaten unter Druck. Vielmehr ist der backlash gegen die Demokratie mittlerweile im Zentrum der etablierten Demokratien – und Demokratieförderer – angekommen. Vor diesem Hintergrund scheint es irreführend, ja zynisch oder gar gefährlich, den Blick darauf zu richten, inwiefern der Vorwurf, Demokratie habe selbst die Rolle eines Repressionsinstrumentes angenommen, berechtigt ist. Sollte nicht vielmehr im Mittelpunkt stehen, die Errungenschaften der Demokratie zu verteidigen – nicht nur in Drittstaaten, sondern gerade auch im eigenen Land –, anstatt sich ernsthaft damit zu beschäftigen, was dran ist am Imperialismusvorwurf gegen externe Demokratieförderung? Verliert man nicht über dieser Selbstkritik womöglich ebenjene Errungenschaften der Demokratie gänzlich aus dem Blick?

Diese Alternative zeigt einmal mehr, dass ›Demokratie‹ zu einem Kampfbegriff geworden ist. Die Perspektive der Gerechtigkeit als Nicht-Beherrschung, die ich im Folgenden entwickle, sucht indes dem Impuls zu widerstehen, sich von der einen oder anderen Seite dieses Kampfes vereinnahmen zu lassen. Demokratie geht es demnach, richtig verstanden, um den Kampf gegen Beherrschung. Er muss ansetzen an der Offenlegung und Problematisierung von beherrschenden Machtverhältnissen, unabhängig davon, wo diese sich 12zeigen, sei es in der Verteidigung und Förderung von Demokratie oder in ihrer Kritik. Eine demokratische Praxis, die selbstzufrieden die kritische Befragung ihrer selbst aufgibt, befindet sich bereits auf dem Weg, in eine Politik der Beherrschung umzuschlagen. Auch die jüngsten Formen der Gegenbewegung gegen die Demokratie sind demnach ernst zu nehmen als Frage danach, inwiefern sich hinter ihnen möglicherweise berechtigte Kritik an allzu lang ignorierten Strukturen der Beherrschung verbirgt – ohne indes dabei die emanzipative, demokratische Stoßrichtung des Kampfes gegen Beherrschung zu relativieren. Darin liegt die eigentliche Herausforderung einer kritischen Aufarbeitung der Rolle, die die Demokratie in den vergangenen rund 25 Jahren eingenommen hat. Ich hoffe, dass meine Überlegungen zur Problematik externer Demokratieförderung dazu motivieren können, diese Herausforderung anzunehmen.

Das vorliegende Buch ist die überarbeitete und gekürzte Fassung meiner Dissertationsschrift, die 2014 vom Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main angenommen wurde. Großer Dank gebührt zu allererst meinem Doktorvater Peter Niesen, der mein Dissertationsprojekt von Beginn an mit Neugier und nahezu grenzenloser Geduld unterstützte und mir nach wie vor ein wichtiger Ratgeber ist. Seine Bereitschaft, sich auf meine Ideen einzulassen, und seine immer wieder überraschenden, inspirierenden und motivierenden Kommentare zu ersten Textteilen haben dieses Buch – und mein Denken insgesamt – nachhaltig geprägt. Auch meinem Zweitgutachter Rainer Forst bin ich zutiefst dankbar für all das, was ich von ihm habe lernen dürfen, über das Recht auf Rechtfertigung und darüber hinaus. Er begleitete die Entstehung dieses Buches mit großem Vertrauen und Interesse, gerade auch bezüglich meiner Auseinandersetzung mit seinen eigenen Arbeiten. Im Rahmen der Leibnizgruppe Transnationale Gerechtigkeit bot er mir zudem im entscheidenden Moment eine berufliche Perspektive und einen äußerst anregenden und angenehmen Arbeitskontext, der es mir ermöglichte, diese Arbeit fertig zu stellen und zu publizieren. Darüber hinaus danke ich Darrel Moellendorf für spannende politische Gespräche in der Pizzeria nach dem Kolloquium und seine Mitwirkung am Promotionsverfahren.

Mein besonderer Dank gilt Philip Pettit. Seine Arbeiten boten 13mir einen Ausweg aus langer Grübelei darüber, was denn nun das Problem an Demokratieförderung ausmacht, und wurden zu einer schier unerschöpflichen Quelle der Inspiration. Er war mir während meines Forschungsaufenthaltes am Center for Human Values der Princeton University ein großzügiger Gastgeber und ist mir – auch über meinen Aufenthalt in Princeton hinaus – nach wie vor ein anregender und interessierter Gesprächspartner.

Während der Entstehung dieses Buches hatte ich das Vergnügen, mich mit zahlreichen Kolleginnen und Kollegen über meine Arbeit auszutauschen, vor allem im Rahmen des Frankfurter Kolloquiums für politische Theorie und des Exzellenzclusters Normative Ordnungen. Für inspirierende, motivierende, verwirrende, klärende und auch unterhaltsame, mittägliche und manchmal auch nächtliche Gespräche danke ich insbesondere Mahmoud Bassiouni, Julian Culp, Franziska Dübgen, Malte Ibsen und Tamara Jugov sowie für wichtige Anregungen zu einzelnen Aspekten Charles Beitz, Barbara Buckinx, Martin Ebeling, Stefan Gosepath, Annika Elena Poppe, Christian Schemmel und Johannes Schulz. Für die genaue Lektüre und scharfsinnige Kommentare zu Teilen einer früheren Fassung des Manuskriptes danke ich Eva Buddeberg, Heike List, Esther Neuhann, Annegreth Schilling, Thorsten Thiel, Klaus Weidmann, Jonas Wolff, Lisbeth Zimmermann und nicht zuletzt meinem Vater Martin Gädeke, der unermüdlich und mit strengem Blick die gesamte Erstfassung sowie Teile der überarbeiteten Fassung Korrektur gelesen hat. Philipp Hölzing vom Suhrkamp Verlag danke ich für zahllose konstruktive Anmerkungen zu meinem Manuskript und eine äußerst angenehme Zusammenarbeit.

Ermöglicht wurde dieses Buch durch die großzügige Förderung meiner Doktorarbeit durch den Exzellenzcluster Normative Ordnungen an der Goethe-Universität Frankfurt. Mein besonderer Dank gilt Stefan Kadelbach, der in diesem Rahmen mit der Doktorandengruppe Normative Bedingungen der Entwicklungszusammenarbeit einen einzigartigen Arbeitskontext schuf. Gerade in Zeiten einer zunehmenden Verkürzung und Verschulung der Promotionszeit habe ich die Freiheit genossen, in einer interdisziplinär zusammengesetzten Gruppe Grundprobleme der Entwicklungspolitik diskutieren und dabei voneinander lernen zu können, ohne dass dies unmittelbar in die einzelnen Promotionsprojekte hat einfließen müssen.

14Nicht zuletzt bin ich meinen ersten akademischen Lehrern, Gerhard Göhler, Bernd Ladwig und Holm Tetens, dankbar dafür, mich für die politische Theorie und Philosophie begeistert zu haben. Ohne sie hätte ich mir die Frage, inwieweit Demokratieförderung eine Politik der Beherrschung konstituiert, in dieser Form wohl nicht gestellt.

Frankfurt am Main, im August 2017

151. Einleitung

Dürfen demokratische Staaten Demokratie in anderen Teilen der Welt fördern? Sind sie dazu gar verpflichtet? Oder ist ein solches Vorhaben vielmehr Ausdruck und Kern neoimperialer Selbstermächtigung? Noch in den 1990er Jahren schien die Antwort auf diese Fragen wenig strittig. Mit dem Ende des Kalten Krieges, so eine zumindest innerhalb etablierter Demokratien breit geteilte Überzeugung, hatte sich die Demokratie liberaler Prägung endgültig durchgesetzt; ihre weltweite Verbreitung schien nur noch eine Frage der Zeit, die durch externe Demokratieförderung entscheidend beschleunigt werden könnte. Die 1990er Jahre waren ein Jahrzehnt demokratischer Euphorie. Seit der Jahrtausendwende ist jedoch festzustellen, dass die Universalisierung der Demokratie zunehmend unter Druck gerät: Insbesondere die Praxis externer Demokratieförderung wird als neoimperialer Angriff auf die kollektive Selbstbestimmung der betroffenen Staaten zurückgewiesen. Dabei geht es nicht allein um militärische Interventionen mit dem mehr oder weniger expliziten Ziel einer Demokratisierung, wie etwa im Irak 2003 oder in Libyen 2011. Vielmehr steht die grundlegende Idee, überhaupt Demokratie in anderen Ländern fördern zu wollen, am Pranger, unabhängig von den verwandten Mitteln.

Diese fundamentale Infragestellung externer Demokratieförderung wurde bislang indes weder in der politischen Praxis noch in der politischen Theorie und Philosophie als normative Herausforderung ernst genommen. Gerade in philosophischen Debatten findet die Frage nach dem Für und Wider externer Demokratieförderung erstaunlich wenig Aufmerksamkeit. Vielmehr scheint nach wie vor die Ansicht vorzuherrschen, Demokratie habe sich als alternativloses Legitimationskriterium politischer Herrschaft erwiesen; ihre Förderung könne dementsprechend – abgesehen allenfalls von der Verwendung gewaltsamer Mittel – keine ernst zu nehmenden normativen Probleme aufwerfen. Aus dieser Perspektive macht sich vielmehr verdächtig, wer ebendies in Frage stellt.

Gerade diese vermeintliche Selbstverständlichkeit, die jegliche Kritik an externer Demokratieförderung ungeprüft als Angriff auf das Ideal der Demokratie zurückweist, soll indes im Folgenden in 16Frage gestellt werden. Für eine kritische Auseinandersetzung mit der Praxis externer Demokratieförderung genügt es weder, Demokratieförderung pauschal abzulehnen, noch reicht es aus, der fundamentalen Infragestellung ihres Anliegens durch den Rückzug auf die Verteidigung des Wertes der Demokratie zu begegnen. Eine kritische Theorie externer Demokratieförderung muss vielmehr die Alternative von Verteidigung oder Kritik der Demokratie und ihrer Förderung überwinden und beide in ihrem wechselseitigen Zusammenhang betrachten. Erst dann ist es möglich, sowohl Grundlagen als auch Grenzen externer Demokratieförderung herauszuarbeiten. Denn dass der Gehalt der Imperialismuskritik weder in der politischen Praxis noch in der politischen Theorie und Philosophie ernst genommen wird, könnte auch daran liegen, dass es an einer normativen Sprache fehlt, die in der Lage ist, die Anliegen der Verteidigung und der Kritik einer externen Förderung demokratischer Regierungsformen gleichermaßen ernst zu nehmen und aufeinander zu beziehen.

Eine solche Sprache, so die Annahme, die diesem Buch zugrunde liegt, bietet der kritische Republikanismus. Er lässt sich aufbauend auf der neorepublikanischen Theorie der Nicht-Beherrschung entwickeln. Dies mag überraschen; schließlich begreift der Neorepublikanismus demokratische Institutionen und Praktiken als entscheidenden Mechanismus, um willkürliche Machtstrukturen einzuhegen und so das Ideal der Nicht-Beherrschung zu realisieren. Die Praxis externer Demokratieförderung, der sich etablierte Demokratien und multilaterale Geberinstitutionen in den 1990er Jahren verschrieben, erscheint aus dieser Perspektive als Inbegriff einer Politik der Nicht-Beherrschung, bemüht sie sich doch darum, dem Ideal der Demokratie zu weltweiter Geltung zu verhelfen. Eine derartige Sicht reduziert jedoch den Gehalt einer Theorie der Nicht-Beherrschung auf ihr demokratietheoretisches Anliegen – und verkennt ihr machtkritisches Potential. Gerade weil sie beides in sich trägt, erweist sich die Sprache der Nicht-Beherrschung – sofern sie in kritischer Hinsicht weiterentwickelt wird – als geeignet, um Kritik und Verteidigung der Universalisierung der Demokratie miteinander zu vermitteln. Führt man sie beide auf das Prinzip der Nicht-Beherrschung zurück, so wird deutlich, dass beide, spiegelbildlich zueinander, berechtigte Anliegen verfolgen und dennoch letztlich beide in eine Politik der Beherrschung umschlagen. Diese Dialektik aufzuzeigen, ist Ziel des Buches.

17Dazu bedarf es zum einen der Ausarbeitung einer Konzeption der Gerechtigkeit als Nicht-Beherrschung, die es erlaubt, das Anliegen der Kritiker_innen[1] wie auch jenes der Befürworter_innen externer Demokratieförderung als Forderungen nach Gerechtigkeit ernst zu nehmen und auf einer gemeinsamen Grundlage kritisch zu diskutieren. Die maßgeblich von Philip Pettit geprägte neorepublikanische Theorie der Nicht-Beherrschung bildet dabei den Ausgangspunkt. Sie wird jedoch in Auseinandersetzung mit kantisch angelegten Ansätzen republikanischen Denkens in normativer und sozialanalytischer Hinsicht im Sinne eines reflexiv gewendeten und machttheoretisch ausgearbeiteten kritischen Republikanismus weiterentwickelt.

Auf der Basis dieser kritisch-republikanischen Theorie der Gerechtigkeit als Nicht-Beherrschung gilt es zum anderen, die Verteidigung und die Kritik externer Demokratieförderung in ihrem wechselseitigen Zusammenhang zu erfassen und Grundlagen praktischer Orientierung hinsichtlich externer Demokratieförderung aufzuzeigen. Dabei kann es nicht darum gehen, eine Art Blaupause in Form konkreter Handlungsanweisungen für den normativ unbedenklichen Aufbau demokratischer Regime innerhalb anderer Staaten zu liefern. Der kritisch-republikanische Ansatz lenkt die Aufmerksamkeit weg von einzelnen Interaktionen und hin zu einer machtkritischen Analyse sozialer Verhältnisse, die Strukturen der Beherrschung identifiziert und abstrakte institutionelle Grundbedingungen ihrer Überwindung benennt. Erst die je konkrete Institutionalisierung dieser Grundbedingungen ermöglicht eine Praxis der Nicht-Beherrschung, innerhalb derer einzelne Handlungsmöglichkeiten von den jeweiligen Akteuren selbst zu beurteilen – und stets aufs Neue an den Grundbedingungen der Nicht-Beherrschung zu messen – sind. Diese Zurückhaltung hinsichtlich der Formulierung unmittelbar handlungsleitender Prinzipien zugunsten einer stärker institutionellen Perspektive ist keineswegs als Nachteil des kritisch-republikanischen Ansatzes zu betrachten. Vielmehr liegt darin einer seiner Vorzüge, wendet er doch den kritischen Maßstab der Nicht-Beherrschung auch gegen sich selbst und überantwortet 18substantielle Handlungsentscheidungen der normativen Autorität der jeweiligen Akteure.

Mit der Frage nach den normativen Grundlagen und Grenzen externer Demokratieförderung greife ich eine konkrete politische Auseinandersetzung auf und verfolge ein entsprechend ausgerichtetes Anliegen: Es geht mir darum, eine Sprache zu entwickeln, die es erlaubt, die in den politischen Auseinandersetzungen um externe Demokratieförderung zum Ausdruck kommenden Ansprüche wechselseitig aufeinander zu beziehen, um herauszuarbeiten, wo sie auf beherrschende Machtverhältnisse hinweisen und wie diese sich überwinden lassen. Die zu entwickelnde Konzeption der Gerechtigkeit ist auf diese Problemstellung zugeschnitten und stellt nicht den Anspruch, eine umfassende Theorie globaler Gerechtigkeit zu liefern. Dennoch weist diese thematische Ausrichtung über den engeren Kontext der Frage nach Grundlagen und Grenzen externer Demokratieförderung hinaus, denn ebendiese Frage ist in dreifacher Hinsicht von paradigmatischer Bedeutung.

Auf normativ-konzeptioneller Ebene zielt die Auseinandersetzung um die Praxis externer Demokratieförderung geradewegs in den Kern einer kritisch-republikanischen Konzeption der Gerechtigkeit: Im Gegensatz zu distributiv orientierten Gerechtigkeitstheorien rückt diese nicht Prinzipien materieller Umverteilung und entsprechende wirtschaftliche Hilfen, sondern die institutionellen Voraussetzungen einer Realisierung von Nicht-Beherrschung in den Mittelpunkt – und damit die Frage nach demokratischen Institutionen und Praktiken sowie nach der Verantwortung dafür, diese zu errichten. Zugleich wirft aus dieser Sicht die Praxis externer Demokratieförderung insofern selbst Gerechtigkeitsprobleme auf, als sie droht, in eine Politik der Beherrschung umzuschlagen. Die Frage nach normativen Grundlagen und Grenzen externer Demokratieförderung ist damit die entscheidende Frage, die eine sich als praktisch verstehende Theorie der Gerechtigkeit als Nicht-Beherrschung mit Blick auf die Voraussetzungen ihrer Realisierung zu beantworten hat.

Auf der praktischen Ebene kommt den Auseinandersetzungen um die Praxis externer Demokratieförderung ebenfalls paradigmatische Bedeutung zu, weil Demokratieförderung auf besonders fundamentale Weise die kollektive Selbstbestimmung der Zielstaaten berührt: Sie sucht nicht nur bestimmte politische Entscheidungen 19inhaltlich zu beeinflussen, sondern die grundlegenden Bedingungen, unter denen diese getroffen werden, mitzugestalten. Damit bring sie in besonderer Schärfe den Grundkonflikt zwischen Hilfe bzw. der Realisierung von Gerechtigkeit und (insbesondere politischer) Einflussnahme zum Ausdruck, der auch andere Bereiche der Entwicklungspolitik kennzeichnet, in denen es weniger um politische Rahmenbedingungen als um bestimmte politische Inhalte geht. Der Fall externer Demokratieförderung ist dementsprechend mehr als ein bloßes Anwendungsfeld, an dem dieser Konflikt exemplarisch diskutiert wird; er ist ein Kristallisationspunkt des problematischen Verhältnisses zwischen Hilfe und Selbstbestimmung, weil es bei ihm unmittelbar um die institutionellen Formen politischer Selbstbestimmung geht.

Es ist daher wenig überraschend, dass sich die im Kontext externer Demokratieförderung zu Tage tretende Politik der Beherrschung auf Machtstrukturen bezieht, die auch in anderen Bereichen der internationalen Zusammenarbeit von fundamentaler Bedeutung für die Realisierung einer Praxis der Nicht-Beherrschung sind – und dementsprechend weitreichende Reformen erfordern. Diese beziehen sich insbesondere auf die institutionelle Verfasstheit der Entwicklungspolitik und die Weltwirtschaftsordnung, die den engeren Kontext der Frage nach Demokratieförderung auf den ersten Blick zu sprengen scheinen. Mit anderen Worten, die Frage nach normativen Grundlagen und Grenzen externer Demokratieförderung mündet unmittelbar in die Frage nach den Bedingungen einer nicht-beherrschenden Entwicklungspolitik – und letztlich einer globalen Strukturpolitik der Nicht-Beherrschung. Insofern ist sie auch in praktischer Hinsicht über den engeren Kontext der Demokratieförderung hinaus von Relevanz.

Schließlich ist die Praxis externer Demokratieförderung aus politisch-historischer Sicht Teil eines breiteren Prozesses, den ich als ambivalente Universalisierung der Demokratie kennzeichne. Seit dem Ende des Kalten Krieges hat nicht nur die Zahl demokratisch regierter Länder zugenommen. Demokratie hat sich zugleich als alternativloser Standard der Legitimität etabliert, der de facto das zentrale Ordnungskriterium der internationalen Gemeinschaft bildet. Die demokratische Verfasstheit entscheidet nicht nur über den Zugang zu und die Stellung in internationalen Diskursen, sondern auch über den Zugang zu Krediten und deren Bedingungen 20bis hin zum Genuss des Schutzes der Souveränität. Versteht man externe Demokratieförderung in diesem Kontext einer formalen und normativen Universalisierung der Demokratie als aktive Universalisierung der Demokratie, so bildet sie gewissermaßen den Kristallisationspunkt dieses Prozesses – und damit zugleich auch den Kristallisationspunkt der fundamentalen Kritik an der Universalisierung der Demokratie. Eine Auseinandersetzung mit Grundlagen und Grenzen externer Demokratieförderung, die diese Kritik ernst nimmt, ist dementsprechend auch für die Beurteilung der Universalisierung der Demokratie als ganzer von entscheidender Bedeutung, denn sie verweist darauf, in welchen Hinsichten dieser Prozess das in ihm angelegte emanzipatorische Potential nicht ausschöpft.

Das vorliegende Buch gliedert sich in vier Teile: Teil I dient der Darstellung der politischen und theoretischen Auseinandersetzungen um die Praxis externer Demokratieförderung. Dieses Vorgehen, der Erarbeitung der erforderlichen normativen und konzeptionellen Grundlagen eine Rekonstruktion des politischen Hintergrunds der Fragestellung voranzustellen, folgt dem methodischen Postulat, dass eine sich als praktisch begreifende politische Theorie von konkreten Klagen über Missstände und entsprechenden politischen Auseinandersetzungen ausgehen muss, um den darin angelegten normativen Anliegen reflektiert Ausdruck verleihen zu können und so handlungspraktische Bedeutung zu erlangen. Ich stelle dementsprechend zunächst den Aufstieg der Praxis externer Demokratieförderung wie auch die Kritik an ihr in ihrem jeweiligen politischen, politikwissenschaftlichen und politiktheoretischen Kontext dar und kennzeichne beide als Bestandteile eines ambivalenten, d. h. mehrdeutigen und widersprüchlichen Prozesses der Universalisierung der Demokratie (Kapitel 2). Die Identifizierung von Unzulänglichkeiten einschlägiger Debatten innerhalb der politischen Theorie, die die politische Auseinandersetzung um die Förderung von Demokratie nicht aufzugreifen wissen, führt zur Formulierung von Anforderungen an die Entwicklung eines alternativen, kritisch-republikanischen Ansatzes (Kapitel 3).

In Teil II erarbeite ich Grundzüge einer kritisch-republikanischen Theorie der Gerechtigkeit als Nicht-Beherrschung. Dabei gehe ich von Pettits neorepublikanischer Theorie der Nicht-Beherrschung aus, entwickle diese jedoch in Auseinandersetzung 21mit kantisch orientiertem republikanischen Denken zu einem kritischen Republikanismus weiter. Ich schlage zunächst eine schwach-diskurstheoretische Lesart von Pettits freiheitstheoretisch angelegter Theorie der Nicht-Beherrschung vor und wende diese, aufbauend auf der Diagnose einer normativen Engführung seines Grundverständnisses von Beherrschung, konsequent diskurs- und schließlich gerechtigkeitstheoretisch (Kapitel 4).

Die damit im Kern umrissene Theorie der Gerechtigkeit als Nicht-Beherrschung setzt an der Analyse bestehender Ungerechtigkeiten an und erfordert dementsprechend die Ausarbeitung einer machttheoretisch fundierten Konzeption der Beherrschung. Dazu erweitere ich Pettits dispositionales Machtverständnis um eine strukturelle Dimension und ergänze es um eine Konzeption systemischer Macht; zugleich reinterpretiere ich seine interessenbasierte Willkürkonzeption in diskurstheoretischem Sinne, um neben der machtkritischen Anlage auch die nötige Reflexivität mit Blick auf den grundlegenden normativen Standard einzuholen (Kapitel 5).

Abschließend identifiziere ich mit den Prinzipien der Herrschaft des Rechts und der deliberativen Selbstgesetzgebung Grundbedingungen nicht-beherrschender Herrschaft und damit der Realisierung von Gerechtigkeit als Nicht-Beherrschung. Sie entwickeln Pettits Konzeption der Nicht-Beherrschung im Sinne der zuvor formulierten Modifikation seines Grundverständnisses von Beherrschung weiter und weisen Demokratie als Element und Bedingung der Gerechtigkeit aus (Kapitel 6).

In Teil III arbeite ich die für die Frage nach externer Demokratieförderung relevanten grenzüberschreitenden Implikationen der skizzierten Konzeption der Gerechtigkeit als Nicht-Beherrschung heraus. Erstens zeige ich, inwiefern externe Akteure verantwortlich dafür sind, zur Errichtung von Institutionen der Nicht-Beherrschung innerhalb anderer Staaten beizutragen. Dazu bedarf es eines Verantwortungsmodells, das in der Lage ist, die strukturelle Dimension von Beherrschung einzuholen (Kapitel 7).

Stellt dieser Abschnitt die Perspektive der Verteidiger_innen externer Demokratieförderung in den Vordergrund, so sind in einem zweiten Schritt die konzeptionellen Grundlagen dafür zu entwickeln, die im Namen von Staaten erhobene Kritik an externer Demokratieförderung als Kritik an Beherrschung zu reformulieren. Dazu wende ich Pettits Theorie kollektiver Handlungsfähigkeit auf 22die in Teil II erarbeitete Konzeption von Beherrschung an und gewinne so eine Konzeption kollektiver Beherrschung. Sie zeigt, inwiefern gerade auch die Beherrschung nicht-demokratischer Staaten normativ gesehen problematisch ist (Kapitel 8).

Vor diesem Hintergrund lässt sich schließlich eine Konzeption kollektiver Selbstbestimmung als Nicht-Beherrschung ausarbeiten, die die beiden Dimensionen grenzüberschreitender Implikationen der Theorie der Gerechtigkeit als Nicht-Beherrschung integriert. Sie bringt die normativen Gehalte der institutionellen Grundbedingungen einer Realisierung von Gerechtigkeit als Nicht-Beherrschung mit Blick auf grenzüberschreitende Kontexte der Beherrschung zur Geltung (Kapitel 9).

In Teil IV zeige ich, wie diese gerechtigkeitstheoretisch fundierte Konzeption kollektiver Selbstbestimmung als Nicht-Beherrschung für eine normative Analyse der ambivalenten Universalisierung der Demokratie fruchtbar gemacht werden kann, die die Kritik externer Demokratieförderung ernst nimmt, ohne das Anliegen der Demokratieförderung zu verleugnen. Aus dieser Perspektive wird deutlich, dass beide Stränge zwar berechtigte Anliegen verfolgen, sich aber dennoch beide in eine Politik der Beherrschung verkehren. In diesem Sinne birgt die zunächst als ambivalent charakterisierte Universalisierung der Demokratie eine doppelte Dialektik (Kapitel 10). Die kritisch-republikanische Theorie der Nicht-Beherrschung liefert jedoch nicht nur die Grundlage, um diese Dialektik aufzudecken, sondern ermöglicht zugleich die Identifizierung von Ansatzpunkten, um sie schrittweise in Praktiken der Gerechtigkeit als Nicht-Beherrschung zu überführen (Kapitel 11).

23Teil I
Ambivalente Universalisierung der Demokratie

252. Die ambivalente Universalisierung der Demokratie

ambivalente Universalisierung der Demokratie