Wyatt Earp – 159 – Hilferuf von der Clanton-Ranch

Wyatt Earp
– 159–

Hilferuf von der Clanton-Ranch

William Mark

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

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Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74092-371-6

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An dem Tage, an dem es begann, lag Arizona wie immer unter strahlendblauem Himmel. Während anderwärts bereits die Winterstürme über das Land fegten, war es hier unten im alten Cochise County noch spätsommerlich warm.

Die großen Ranches, auf denen im Frühjahr, im Sommer und auch im Herbst reger Betrieb herrschte, lagen still und verödet da.

Auch die größte Ranch, die es hier unten gab, die Clanton Ranch, die den Namen einer sehr bekannten Familie trug, bot das typische Bild einer weit südlich gelegenen Ranch um diese Jahreszeit. Der Rancher war mit der Winterherde nach Norden gezogen, wo er sie an den großen Verladestationen verkaufte. Dann blieben selbst auf einer so großen Ranch nur noch wenige Pferde und höchstens zwei, drei Cowboys zurück, die für alles Nötige sorgten, und im Stall standen nur noch ein paar Kühe, die den Milch- und Butterbedarf der Ranch sicherstellten.

Es war früh am Morgen, kurz nach vier Uhr. Oben am Ranchhaus wurde die Flügeltür geöffnet; eine alte Frau trat heraus, blieb einen Augenblick auf dem Vorbau stehen und blinzelte in den Hof, der im fahlen Morgenlicht dalag. Es war Martha Clanton, des Ranchers Ike Clantons Mutter. Seit die Bauten vor einem Dreivierteljahr von Banditen niedergebrannt worden waren, hatte sich die Ranch wieder gut gemacht. Ike hatte dafür gesorgt, das die alten Bauten neu und schöner wieder erstanden waren.

Die Frau hatte zwei Eimer in den Händen und überquerte den breiten Hof, um auf das Stallhaus zuzugehen. Ein merkwürdiges Gefühl beschlich sie, als sie bemerkte, daß die Stalltür nicht ganz geschlossen war. Keine Sekunde dachte sie daran, daß einer der beiden Cowboys vielleicht im Stall gewesen sein könnte, denn die beiden waren alt und machten sich bestimmt nicht vor dem Frühstück im Stall zu schaffen.

Sie öffnete die Tür weiter und blieb wie erstarrt stehen. Die sieben Boxen, in denen die Rinder gestanden hatten, waren leer.

Die Frau stand unbeweglich da, dann glitten ihr plötzlich die beiden schweren Eimer aus den Händen und fielen dröhnend auf den steinernen Boden des Stallganges. Wie unsinnig lief die alte Frau von einer Box zur anderen, tastete sich bis zur Krippe vor und stand dann ratlos am Ende des Stallganges in der Tür zur Futterkammer.

Dann stieg plötzlich eine fürchterliche Ahnung in ihr auf. Sie eilte durch die Futterkammer, riegelte die Tür hinten zum Pferdecorral auf und blieb wie versteinert stehen. Der Corral war leer. Die Pferde, die zur Ranch gehörten, und nachts immer draußen im Corral standen, waren ebenfalls verschwunden.

Es dauerte Sekunden, bis die Frau sich gefaßt hatte. Dann lief sie auf steifen Beinen zurück in den Hof, rannte auf das Bunkhaus zu und hämmerte mit beiden Fäusten gegen die verschlossene Tür.

Es dauerte ziemlich lange, bis ihr geöffnet wurde. Ein alter, mickrig dreinblickender Mann mit zahnlosem Mund öffnete und krächzte: »Was gibt’s denn, Mrs. Clanton?«

»Kommen Sie schnell, Jeff, es ist etwas Schreckliches passiert!«

»All right«, knurrte der Mann, »ich komme sofort.«

Aber der alte Kuhtreiber Jeffrey Coleman vermochte auch nichts an der Tatsache zu ändern, daß die sieben Kühe und die vier Pferde verschwunden waren.

»Rufen Sie sofort Harvey!« befahl ihm die Frau.

Der Cowboy kratzte sich den Kopf. »Ja, aber Madam, was soll er denn noch tun?« entgegnete der alte Cowboy.

»Was er tun soll? Ich weiß es auch nicht. Er muß die Tiere suchen. Er muß den Banditen folgen.«

Der Cowboy Coleman stellte sich vor, wie sein Kamerad Jim Harvey einer Bande von Rustlern folgen würde! Das Bild war geradezu unsinnig, denn der alte Mann konnte kaum noch laufen und lebte eigentlich nur auf der Ranch, weil sich Ike Clanton nicht entschließen konnte, den altgedienten Cowboy wegzuschicken.

»Sie reiten sofort in die Stadt«, befahl die Rancherin dem vierundsechzigjährigen Coleman.

Der nickte. »Wie wär’s mit einem Becher Kaffee, Mrs. Clanton?«

»Ja, gehen Sie rüber. Der Kaffee steht auf dem Herd, und Brot, Butter und Käse finden Sie auf dem Tisch. Aber beeilen Sie sich.«

Der Cowboy nickte, machte ein paar Schritte vorwärts und blieb dann stehen.

»Eine Frage noch, Mrs. Clanton, womit soll ich reiten?«

Die alte Frau griff sich erschrocken an die Kehle.

Ja, womit sollte er denn reiten? Die Pferde waren doch verschwunden.

Aber drüben im Schuppenanbau stand das alte Wagenpferd, das aus einem ähnlichen Grunde noch auf der Ranch war wie der Cowboy Jim Harvey; es war auch alt und so gut wie unbrauchbar geworden.

Die Frau entschloß sich, selbst in die Stadt zu fahren. Sie ließ den Wagen anspannen und befahl den alten Cowboys, die Gewehre zu holen, um am Ranchtor und drüben auf der anderen Seite am Corral Wache zu halten.

»Unsinn ist das«, meinte der alte Harvey krächzend. »Glaubt sie vielleicht, daß die Kerle noch einmal wiederkommen, um sich eine blaue Bohne abzuholen? Die sind längst mit den Gäulen und den Kühen über alle Berge…«

Als Martha Clanton die Stadt erreicht hatte, fuhr sie den hochrädrigen Ranchwagen in die Hauptstraße, die Allen Street, und hielt vor dem Sheriffs Office.

Es war immer noch das gleiche Haus, in dem einst Gesetzesmänner amtiert hatten, deren Namen im ganzen Westen einen großen Klang hatten: Wyatt Earp, Luke Short, Morgan Earp und Virgil Earp.

Seit der riesige Texaner Luke Short im Sommer den Job als Sheriff aufgegeben hatte, saß nun der lettische Auswanderer Minor Letko auf diesem Posten. Er war ein mittelgroßer Mensch von bläßlichem Aussehen, mit hellem Haar und grauen Augen.

Als Letko jetzt die alte Frau angehört hatte, zuckte er mit den Schultern. »Tut mir leid, Mrs. Clanton, aber was soll ich da tun?«

»Das fragen Sie mich? Ich denke, Sie sind der Sheriff«, entgegnete die Frau rauh.

Der Mann, der genau wußte, wen er da vor sich hatte, meinte, ohne es am nötigen Respekt vor der Mutter des berühmten Ike Clanton fehlen zu lassen:

»Es tut mir leid, Madam, aber ich sehe keine Möglichkeit, Ihnen zu helfen…«

Er sah keine Möglichkeit! Sie verzichtete darauf, ihm zu erklären, daß es hier eine ganze Reihe Gesetzesmänner gegeben hatte, die ganz sicher eine Möglichkeit gesehen hätten. Sie suchte Ivor Chattaway auf, der mit ihr verwandt war und in der Freemont Street ein großes Holzlager hatte.

Aber der grauhaarige Chattaway fuhr sich unbehaglich durch den Kragen.

»Es tut mir leid, aber ich weiß wirklich nicht, wie ich dir helfen soll. Ich habe keine Leute, die ich auf die Ranch schicken könnte. Und außerdem glaube ich doch, daß Ike jeden Tag kommen muß…«

Und ihn hatte die Rancherin immer für einen echten Freund gehalten.

Well, es blieb ihr nichts anderes übrig, als den nächsten Verwandten aufzusuchen.

Es war Joel McCoy, der Butcher, der früher immer mit Ike zusammengehalten hatte. Aber auch er gab ihr eine ähnliche Antwort. Er, der Zimmermann Gandram, der Blacksmith Fulham, der Holzarbeiter Fleming und noch sieben andere Leute, die mit den Clantons verwandt waren.

Niedergeschlagen stand die alte Frau auf der Allen Street neben ihrem Wagen und blickte hinunter auf das Haus, in dem einst der große Wyatt Earp den Stern getragen hatte. Dort stand in der Toreinfahrt des Hofes Minor Letko, der Sheriff. Als er ihren Blick auf sich gerichtet sah, wandte er sich unbehaglich ab.

Die Rancherin überquerte die Straße und hielt auf den großen Ecksalon zu, auf dessen Fassade ein berühmter Name stand: »Crystal Palace«.

Als sie die Pendeltüren auseinanderschob, blickte der Keeper ihr aus erstaunten Augen entgegen.

»Mrs. Clanton, das ist aber ein seltener Besuch. Seit der großen Geburtstagsfeier vor Jahr und Tag, die Ihr Sohn Phin hier veranstaltet hat, haben wir uns nicht mehr gesehen. Was darf ich Ihnen geben?«

Die Frau winkte ab. »Danke, ich möchte nichts. Ich wollte nur etwas fragen.«

Sie erklärte dem Keeper, weshalb sie in die Stadt gekommen war.

»Was soll ich Ihnen da sagen, Madam. Ich weiß nicht. Die Sache ist ziemlich eigenartig. Das ganze sieht nach einem Rustler-Überfall aus. Natürlich muß der Sheriff mit einer Posse nach den Banditen suchen. Schießlich gehört die Ranch ja zu seinem Distrikt.«

Wieder suchte die Frau Minor Letko auf. Der hatte gerade den Hof auf der anderen Seite verlassen wollen.

Aber die Rancherin hielt ihn auf und beschwor ihn, sich auf die Suche nach den Dieben zu machen.

»Das habe ich ja vor, Madam. Aber ich muß erst die Leute zusammentrommeln. Vergessen Sie nicht, ich bin nicht Wyatt Earp. Wenn ich pfeife, kommt niemand. Für mich ist es nicht einfach, eine Posse in die Sättel zu bringen.«

Die Frau fuhr tief enttäuscht auf die Ranch zurück. Es war später Nachmittag, als sie dort ankam.

Mitten in der Nacht wurde Martha Clanton durch ein hartes, klirrendes Geräusch geweckt. Sie sprang auf, riß das Gewehr ihres toten Sohnes Billy von der Wand, lud es durch und sah, noch ehe sie die Tür zur Küche öffnete, daß eines der Fenster zertrümmert worden war.

Sie lief mit dem Gewehr hinaus, aber nirgends war eine Menschenseele zu entdecken. Schweratmend lehnte sie am Eingang und lauschte in die Nacht hinaus.

Dann ging sie hinüber zum Bunkhaus.

Aber von den beiden Cowboys war nichts zu hören. Sie mußten das Klirren des Glases überhört haben.

Wer hatte die Scheibe eingeworfen? Was hatte das zu bedeuten?

Die Frau fror plötzlich, ging ins Haus zurück und schlug eine Pferdedecke um ihre Schultern. Mit dem Gewehr im Arm blieb sie neben dem Fenster sitzen.

Aber draußen blieb alles still.

Es war schon Tag geworden, als sie erwachte und draußen die quäkende Stimme Colemans vernahm; gleich darauf war auch sein Schritt zu vernehmen.

Sie sprang hastig hoch, eilte zur Tür und sah den alten Kuhtreiber herankommen.

»Madam, Sie müssen sofort kommen. Es ist irgend etwas mit Harvey passiert.«

Die Frau überquerte den Hof und fand den alten Cowboy ohnmächtig auf seinem Lager.

»Was ist denn mit ihm?« fragte sie entsetzt über das Aussehen Harveys.

Coleman wußte es auch nicht. Die Nacht über hatte er nichts gehört, da er selbst immer wie ein Murmeltier zu schlafen pflegte. Und als er vorhin aufgestanden war, hatte er den Kameraden bewußtlos vorgefunden.

Als die Frau den Ohnmächtigen aufzurichten versuchte, sah sie zu ihrem namenlosen Entsetzen eine Blutlache unter seinem Rücken.

Es gab keine Zweifel: der Cowboy James Harvey war von einem Messerstich lebensgefährlich verletzt worden, und trotz verzweifelter Bemühungen starb der alte Cowboy kurz vor Mittag.

Die Frau spannte den Wagen wieder an und fuhr erneut in die Stadt.

Diesmal tat sie einen Gang, den sie sonst niemals getan hätte: sie suchte das Haus des Mayors auf.

Noch immer war der grauhaarige John Clum Bürgermeister von Tombstone.

Aber Mrs. Clanton hatte Pech: Clum war vor Tagen mit der Overland weggefahren, um drüben in Kalifornien eine Zeitung aufzusuchen, die ihn zu einem Vortrag über Indianer-Reservate eingeladen hatte.

Verzweifelt stand die alte Frau auf der Freemont Street und sah sich nach allen Seiten um.

Es gab hier Dutzende von Menschen, die sie kannten, aber offenbar niemanden mehr, von dem sie Hilfe hätte erwarten können.

Mochte der Teufel wissen, was mit den Tombstonern los war. Vor noch nicht ganz einem halben Jahrzehnt wären Hunderte von ihnen für ihren Sohn Ike in die Hölle geritten. Und mehr als die halbe Stadt hatte auf seiner Seite gestanden, als Ike Clanton seinen großen Kampf gegen Wyatt Earp ausfocht. Und nun? Niemand schien mehr dazusein, der helfen wollte.

Niedergeschlagen fuhr die Frau zur Ranch zurück.

Als sie vor der Veranda des Wohnhauses vom Wagen steigen wollte, hielt sie entsetzt in der Bewegung inne und starrte auf den Körper, der über der Türschwelle lag.

Es war der Cowboy Jeff Coleman.

Er lag in einer Blutlache am Boden.

Frau Clanton vermochte sich sekundenlang nicht von der Stelle rühren. Dann stieg sie vom Wagen, keuchte die Verandastufen hinauf und beugte sich über den Mann.

Er war tot.

Eisiges Entsetzen schnürte ihr die Kehle zu. Wie unsinnig lief sie über den Hof hinaus zum Bunkhaus, fand das leere Bett des alten Harvey, fand hinterm Haus den Grabhügel, den Coleman noch für den ermordeten Kameraden ausgehoben hatte. Und nun mußte sie für Coleman ein Grab schaufeln!

Es war seit jener entsetzlichen Nacht, in der die Ranch niedergebrannt worden war, die schlimmste Stunde für die alte Frau.

Wo Ike nur blieb? Viele Wochen schon war er unterwegs. Weshalb kam er nicht nach Hause? Er mußte die Herde doch längst verkauft haben.

Aber sie wußte ja, daß er seinen Bruder Phinas suchte.

Phin Clanton war der mittelste der drei Clanton Brüder, und obgleich man ihm in seiner Jugend immer prophezeit hatte, daß er es am weitesten bringen würde, weil er am klügsten zu sein schien, hatte er es am wenigsten weit gebracht und war ganz sicher der unangenehmste der Clantons geworden. Sein Leben war ein einziges sinnloses Sich-treiben-lassen. Er war ein Spieler, ein Trinker, ein Schürzenjäger, ein Mann, der allzuschnell zum Revolver griff.

Sein siebzehnjähriger Bruder Billy, der jüngste der Clanton-Brothers, war in dem furiosen Fight im Tombstoner O.K.-Corral gegen die Earps gefallen. Und seit dieser Stunde war Ike ein anderer Mensch geworden. Stumm, verbissen, in sich gekehrt und hart.

Wer suchte jetzt die Ranch wieder auf eine so furchtbare Weise heim?

Wo war Ike? Sicher hatte er nicht die mindeste Ahnung, was sich jetzt hier auf seiner Ranch abspielte.

Was für seine Mutter fast noch schrecklicher war als der brutale Doppelmord an den beiden alten Cowboys, war die schreckliche Erkenntnis, daß sie niemanden mehr hatte, der ihr helfen wollte, daß es in ganz Tombstones keine Seele gab, die bereit war, irgend etwas für sie zu tun.

Das also war Ike Clantons Werk! So weit hatte er es gebracht, einst nannten sie ihn »the great Ike«. Nicht ein Mensch war mehr bereit, eine Hand für ihn und seine Ranch, für seine alte Mutter zu rühren! Hunderte von Freunden hatte er gehabt – und nicht ein einziger von ihnen war übriggeblieben.

Der Sieg der Earps war also doch endgültig gewesen, wenn es auch damals nach der bitteren Stunde des O.K.-Corral nicht so endgültig ausgesehen hatte.

Alle die Männer, die sich damals unter Ike Clanton gegen das Gesetz aufgelehnt hatten, waren zugrundegegangen. Der große Marshal Wyatt Earp hatte den Kampf fürs Gesetz gründlich gekämpft.

Um ein volles Jahrzehnt schien die Frau gealtert, als sie sich an diesem Abend in ihre Schlafkammer schleppte.

Mitten in der Nacht wurde sie wieder durch ein sonderbares Geräusch geweckt, stand auf, ergriff das Gewehr und eilte hinaus in den großen Küchenraum.

Wieder war eines der Fenster zertrümmert worden, und jetzt, genau in dem Augenblick, in dem sie in der Küchentür erschien, blitzte es im Hof auf, und im sirrenden Bogen fuhr eine Feuergarbe auf das Haus zu.

Ein Brandpfeil!

Unmerklich schien ein halbes Jahrhundert für die alte Frau in nichts zusammenzusinken, sie lebte wieder in jenen fürchterlichen Tagen, in denen die Rothäute die damals aus einem Blockhaus und einem winzigen Stall bestand, immer wieder bekämpften. Damals hatte ihr Mann hier gestanden und mit ihr gegen die Indianer gekämpft.

Der Pfeil, der in der gegenüberliegenden Wand steckenblieb, zog sofort eine Feuerfurche durch den Raum.

Beherzt eilte sie darauf zu, riß ihn aus der Wand und zertrat die gierigen Flammenzungen. Aber schon zischte ein neuer Pfeil heran, der die Frau um Haaresbreite getroffen hätte. Sie riß den Umhang herunter und löschte auch diese Flammen.

Angst und Verzweiflung preßten ihr Tränen aus den Augen. Sie lag am Boden und stieß in tiefster Verzweiflung ein Stoßgebet aus. Jeden Augenblick mußte der nächste Pfeil kommen und der übernächste; und dann war sie außerstande, das Feuer noch aufzuhalten.

Aber es kam kein weiterer Pfeil; es blieb still. Der Spuk schien für diese Nacht vorüber zu sein.

Die Stunden bis zum Morgen verbrachte die gequälte Frau im Halbschlaf, im Lehnstuhl mit der Winchester über den Knien.

Als der Morgen graute, waren ihre Glieder steif. Sie rappelte sich hoch und starrte in den leeren Hof hinaus.

Ihr Blick ruhte auf der schweren Bohlentür, hinter der sie den alten Weißfuchs untergebracht hatte.

Das Schloß war unversehrt.

Sie eilte auf den Stall zu, hob den Schlüssel, den sie am Band trug, in das Schloß und öffnete.

Das Pferd stand noch da. Sie holte es sofort heraus, führte es an die Veranda, ging dann zurück ins Haus und blieb mitten in der großen Stube stehen.

Plötzlich erblickte sie am Boden einen großen Stein, um den ein Papier gewickelt war. Damit war also das Fenster in der Nacht zertrümmert worden.

Sie bückte sich, hob das Papier auf und glättete es auf dem Tisch. Nur mit Mühe vermochte sie die Buchstaben zu lesen, die daraufgekritzelt waren.

Die Ranch wird vernichtet, alles wird vernichtet! Prince Epsom.

»Prince Epsom«, die Frau murmelte den Namen vor sich hin und vermochte sich nicht daran zu erinnern, wo sie ihn schon gehört hatte.

Da gab es also einen Menschen, der ihre totale Vernichtung beschlossen zu haben schien.

Die alte Frau sann verzweifelt, was noch zu tun war.

Erst am späten Nachmittag kam ihr der rettende Gedanke, der jedenfalls einen Aufschub der Vernichtung versprach.

Sie schichtete einen großen Holzhaufen mitten im Hof auf und zündete ihn bei beginnender Dunkelheit an.

Was die Indianer schon abgeschreckt hatte, schien jetzt auch den Banditen Prince Epson abzuhalten. Jedenfalls geschah nichts.

In der Frühe des folgenden Tages entdeckte die Frau vorm Ranchtor und hinten beim Corraleingang frische Hufspuren von mehreren Pferden.

Die Geisterreiter waren also hiergewesen und durch das Feuer offenbar irritiert worden.

Aber die Rancherin wußte, daß sie den geheimen Gegner damit nicht lange schrecken konnte.

In stummer Verzweiflung hockte sie in der Stube. Sie hatte seit Tagen kaum etwas gegessen, so elend war ihr zumute.

Wenn Ike sich nur gemeldet hätte!

Hoffentlich kam er nicht auf den Gedanken, so lange wie im vergangenen Jahr nach seinem Bruder zu suchen. Damals war er sieben oder acht Wochen weggeblieben und kam erst kurz vor Weihnachten zurück.

Sie wußte genau, was ihn zu der Suche trieb. Er wollte der Mutter den Sohn zu Weihnachten nach Hause bringen.

Nur deshalb streifte er durch die Prärien, um nach einer Spur von Phin zu suchen.

Sollte sie hier indessen stumm mitansehen, wie alles, was sie besaßen, zerstört wurde?