SAX ROHMER

 

Das Geheimnis des

Dr. Fu-Manchu

 

 

 

 

Roman

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

Der Autor 

 

DAS GEHEIMNIS DES DR. FU-MANCHU 

Kapitel 1: Mr. Nayland Smith aus Birma 

Kapitel 2: Die parfümierten Umschläge 

Kapitel 3: Der Zayatkuss 

Kapitel 4: Der falsche Zopf 

Kapitel 5: Ein nächtliches Erlebnis an der Themse 

Kapitel 6: Die Opiumhöhle 

Kapitel 7: Redmoat 

Kapitel 8: Der Kampf im Gebüsch 

Kapitel 9: Das dritte Opfer 

Kapitel 10: Geheimnisvolles China 

Kapitel 11: Der grüne Nebel 

Kapitel 12: Die Sklavin 

Kapitel 13: Ich träume - und erwache 

Kapitel 14: Ich bin wach - und träume 

Kapitel 15: Der Ruf Shiwas 

Kapitel 16: Kâramanèh 

Kapitel 17: Der geheimnisvolle Schiffsrumpf 

Kapitel 18: »Andaman - zweiter« 

Kapitel 19: Die Geschichte von Norris West 

Kapitel 20: Einige Theorien und eine Tatsache 

Kapitel 21: Fu-Manchus Haus 

Kapitel 22: Wir fahren in den Norden 

Kapitel 23: Die Gruft 

Kapitel 24: Aziz 

Kapitel 25: Die Keller mit den Giftpilzen 

Kapitel 26: Wir verlieren Weymouth 

Kapitel 27: Weymouths Haus 

Kapitel 28: Das Klopfen an der Tür 

Kapitel 29: Der Geist, der klopfte 

Kapitel 30: Flammen 

Epilog 

 

Das Buch

 

 

Zum ersten Mal erfährt der Arzt Petrie von dem mysteriösen Dr. Fu-Manchu, als ihn sein Freund Nayland Smith eines Abends unerwartet aufsucht und sofort die Fenster verdunkelt. »Du wirst rasch begreifen, dass ich allen Grund habe, vorsichtig zu sein«, erklärt dieser sein seltsames Verhalten.

Dann begeben sich beide zu einem schicksalhaften Treffen im nächtlichen London: Doch der Mann, zu dessen Rettung sie geeilt waren, ist bereits tot, und irgendjemand – oder irgendetwas – verfolgt sie auf dem Heimweg.

So beginnt der mörderische Kampf mit Dr. Fu-Manchu, einem Chinesen von verbrecherischer Genialität. Zusammen mit seiner verführerischen Komplizin will er die westliche Welt durch unvorstellbare orientalische Schrecken ins Chaos stürzen und die Herrschaft über den gesamten Erdball an sich reißen...

 

Mit der Figur des Dr. Fu-Manchu schuf der englische Schriftsteller Sax Rohmer eine der bekanntesten und einzigartigsten Verbrecher-Figuren der Kriminal-Literatur, vergleichbar am ehesten mit Norbert Jacques Dr. Mabuse.

In Das Geheimnis des Dr. Fu-Manchu hat der größenwahnsinnige Verbrecher seinen ersten Auftritt – in einem klassischen, internationalen Beststeller, packend wie Edgar Allan Poe, spannend wie Edgar Wallace: Einer der berühmtesten Thriller, die je geschrieben wurden, vom Apex-Verlag in einer durchgesehenen, in Teilen neu übersetzte Neu-Ausgabe veröffentlicht.

  Der Autor

 

Sax Rohmer - * 15. Februar 1883, † 01. Juni 1959.

 

 Sax Rohmer war ein englischer Kriminalautor und Esoteriker. In seinen Romanen hat Sax Rohmer so beliebte Kultfiguren wie Dr. Fu-Manchu oder Sumuru geschaffen.

Im Jahre 1903 veröffentlichte Rohmer seine erste Kurzgeschichte, The Mysterious Mummy, in der Wochenzeitschrift Pearson's Weekly.

1909 heiratete er Rose Knox. Seinen Lebensunterhalt bestritt er hauptsächlich durch das Schreiben von Sketchen für Künstler in Music Halls und mit weiteren Kurzgeschichten und Fortsetzungsgeschichten für Magazine.

Seinen ersten Roman, Pause!, veröffentlichte er anonym 1910. Seine Arbeit als Journalist führte ihn auch durch den Chinatown-Bereich von London und inspirierte ihn zu der neuen Figur Dr. Fu-Manchu. Zwischen 1912 und 1913 wurde die erste Serie von Geschichten unter dem Titel The Mystery of Dr. Fu-Manchu (dtsch.: Die Mission des Dr. Fu-Manchu, 1927) veröffentlicht und umgehend ein Erfolg. Weitere Geschichten um Fu-Manchu machten Rohmer zu einem erfolgreichen und wohlhabenden Autor, obwohl seine eigentliche Liebe der Nahe Osten, vor allem aber Ägypten, war. Seine dort spielende Geschichte Brood of the Witch-Queen (1918, dtsch.: Die Mumienkäfer, 1974) wird von Fans als einer seiner besten Romane angesehen.

Rohmers berühmte Romanfiguren wurden von großen Schauspielern in bekannten Filmen der 1960er-Jahre verkörpert: Christopher Lee spielte das Verbrecher-Genie Dr. Fu-Manchu und Shirley Eaton (bekannt u.a. als das goldbemalte Mädchen im James-Bond-Film Goldfinger) spielte die Rolle der Sumuru in den Filmen Sumuru – Die Tochter des Satans (The Million Eyes Of Sumuru, GB 1967) und Die sieben Männer der Sumuru (Deutschland/Spanien, 1969).

Erster Star als Dr. Fu-Manchu war Warner Oland (der später noch größere Berühmtheit erlangte als Detektiv Charlie Chan), der ihn in drei frühen Tonfilmen spielte: The Mysterious Dr. Fu-Manchu (1929), The Return of Dr. Fu-Manchu (1930) und Daughter of the Dragon (1931). Boris Karloff spielte die Figur dann 1932 in The Mask Of Fu Manchu (Die Maske des Fu-Manchu). Ein Kino-Serial griff die Figur in den 1940er-Jahren ebenfalls auf: in Drums Of Fu-Manchu, und Mitte der 1950er-Jahre erfolgte eine kurzlebige Fernsehserie unter dem Titel The Adventures Of Fu-Manchu.

Wiederbelebt wurde Fu Manchu nach dem Tod von Sax Rohmer dann in den 1960er-Jahren in diversen, qualitativ allerdings sehr unterschiedlichen Kinofilmen: The Face Of Fu-Manchu (Ich, Dr. Fu-Manchu, 1965), The Brides Of Fu-Manchu (Die 13 Sklavinnen des Dr. Fu-Manchu, 1966), The Vengeance Of Fu-Manchu (Die Rache des Dr. Fu-Manchu, 1967), The Blood Of Fu-Manchu (Der Todeskuss des Dr. Fu-Manchu, 1968) und The Castle Of Fu-Manchu (Die Folterkammer des Dr. Fu-Manchu, 1969); in der Hauptrolle: Christopher Lee.

 

Der Apex-Verlag widmet Sax Rohmer eine umfangreiche Werke-Retrospektive.

DAS GEHEIMNIS DES DR. FU-MANCHU

 

  

 

  Kapitel 1: Mr. Nayland Smith aus Birma

 

 

  »Ein Herr möchte Sie sprechen, Doktor.«

  Quer über den Platz schlug eine Uhr zur halben Stunde.

  »Halb elf!«, sagte ich. »Ein später Besucher. Führen Sie ihn bitte herauf.«

  Ich schob meinen Schreibkram zur Seite und kippte den Lampenschirm hoch, als Schritte auf dem Treppenabsatz ertönten. Im nächsten Augenblick war ich aufgesprungen, denn ein großer, hagerer Mann mit viereckig geschnittenem, sonnenverbranntem und sauber rasiertem Gesicht trat ein und breitete beide Arme aus: »Hallo, alter Petrie! Hast mich bestimmt nicht erwartet, möchte ich wetten!«

  Es war Nayland Smith - den ich in Birma vermutet hatte!

  »Smith...«, sagte ich und drückte herzlich seine Hand. »Das ist ja eine tolle Überraschung. Wieso denn... Was in aller Welt...?«

  »Entschuldige, Petrie!«, unterbrach er mich. »Es ist besser, dass uns niemand sieht!« Mit diesen Worten löschte er die Lampe, so dass der Raum völlig im Dunkeln lag.

  Mir verschlug es die Sprache.

  »Du hältst mich sicher für verrückt«, fuhr er fort, und ich konnte sehen, wie er im Dunkeln am Fenster stand und auf die Straße hinausstarrte, »aber d wirst schon nach wenigen Stunden erkennen, dass ich allen Grund zur Vorsicht habe. Im Augenblick kann ich nichts Verdächtiges entdecken! Vielleicht komme ich ihm diesmal zuvor.« Er trat zum Schreibtisch zurück und schaltete die Lampe wieder an.

  »Du findest mein Benehmen sicher sehr geheimnisvoll«, lachte er und warf einen flüchtigen Blick auf mein angefangenes Manuskript. »Eine Kurzgeschichte, wie? Woraus ich schließe, dass die Leute hier in der Gegend verdammt gesund sein müssen. Stimmt's, Petrie? Nun gut, ich kann dir einiges Material zur Verfügung stellen, das dich von Grippe, gebrochenen Beinen und dergleichen unabhängig machen dürfte, wenn sich Unheimliches und Rätselhaftes gut verkauft.«

  Ich betrachtete ihn zweifelnd, aber nichts in seinem Äußeren berechtigte mich zu der Annahme, dass er etwa an Halluzinationen litt. Seine Augen waren einfach zu klar, und dazuhin war nun ein Ausdruck entschlossener Härte in sein Gesicht getreten. Ich holte den Whisky und den Siphon hervor und fragte: »Nimmst du dieses Jahr deinen Urlaub schon so früh?«

  »Ich bin nicht auf Urlaub«, antwortete er und stopfte gemächlich seine Pfeife. »Ich befinde mich im Dienst.«

  »Im Dienst!«, rief ich aus. »Wieso, bist du denn nach London versetzt oder wie?«

  »Ich habe einen Auftrag, der mich zwingt, etwas umherzuziehen, und wo ich heute oder morgen bin, kann ich dabei leider nicht selbst entscheiden.«

  Es lag etwas Unheilverkündendes in seinen Worten.

  Ich wandte mich um, stellte mein Glas ab, ohne zu trinken, und sah ihm in die Augen.

  »Heraus mit der Sprache!«, sagte ich. »Was ist los?«

  Smith stand plötzlich auf und zog seine Jacke aus. Dann rollte er seinen linken Hemdsärmel hoch und wies auf eine schlimm aussehende Fleischwunde in seinem Unterarm. Sie war zwar völlig verheilt, aber einige Zentimeter lang und eigentümlich gefurcht.

  »Hast du so etwas schon mal gesehen?«, fragte er.

  »Eigentlich nicht«, musste ich zugeben. »Scheint tief eingeätzt zu sein.«

  »Ganz richtig. Sehr tief«, rief er. »Die Narbe stammt von einem Widerhaken, der in Hamadryadengift getaucht war.«

  Ein kalter Schauder überlief mich, als ich den Namen dieses tödlichsten aller Reptilien des Ostens nennen hörte.

  »Es gibt nur eine Behandlung«, fuhr er fort, indem er seinen Ärmel wieder herunterrollte, »mit einem scharfen Messer, einem Streichholz und einer zerbrochenen Patrone. Danach lag ich drei Tage lang mit rasenden Schmerzen in einem Wald, der vor Malaria stank, aber wenn ich es nicht getan hätte, würde ich immer noch dort liegen. Das wichtigste aber ist, dass es kein Unfall war.«

  »Was willst du damit sagen?«

  »Ich meine, dass es ein vorsätzlicher Angriff auf mein Leben war, und ich bin dicht hinter dem Mann her, der die Geduld hatte, Tropfen für Tropfen des Gifts aus den Giftdrüsen der Schlange zu zapfen, den Pfeil präparierte und der veranlasste, dass er auf mich abgeschossen wurde.«

  »Was für ein Verbrecher kann das gewesen sein?«

  »Ein Teufel, der, falls meine Vermutungen nicht trügen, sich jetzt in London aufhält und regelmäßig mit allerhand derartig hübschen Waffen seine Spielchen treibt. Wenn ich von Birma abgereist bin, Petrie, so geschah das nicht allein im Interesse der britischen Regierung, sondern im Interesse der weißen Rasse überhaupt, und ich glaube ehrlich, dass deren Überleben in hohem Maße vom Erfolg meiner Mission abhängt - obwohl ich viel darum gäbe, dass ich mich irrte.«

  Das Wort Bestürzung würde nicht genügen, um das geistige Chaos zu beschreiben, in das diese außergewöhnlichen Mitteilungen mich versetzten, denn Nayland Smith hatte in mir, der bis dahin ein ziemlich eintöniges Vorstadtleben geführt hatte, mit einem Schlage die kühnsten Phantasien entfesselt. Ich wusste nicht mehr, was ich denken und glauben sollte.

  »Ich vergeude wertvolle Zeit«, rief er entschlossen, leerte sein Glas und stand auf. »Ich bin direkt zu dir gekommen, weil du der einzige Mensch bist, dem ich zu vertrauen wage. Außer dem obersten Chef im Hauptquartier bist du, hoffentlich, der einzige Mensch in England, der weiß, dass Nayland Smith Birma verlassen hat. Ich muss jemanden an meiner Seite haben, Petrie, die ganze Zeit - es ist einfach unumgänglich. Kannst du mich hier unterbringen und ein paar Tage für eine Angelegenheit erübrigen, die wohl die eigenartigste ist, die je als Wirklichkeit oder Phantasie berichtet wurde?«

  Ich sagte bereitwillig zu, denn meine beruflichen Verpflichtungen überforderten mich nicht gerade.

  »Hab' Dank!«, rief er, indem er meine Hand auf seine ungestüme Art drückte. »Dann wollen wir jetzt gleich anfangen.«

  »Was, heute Abend noch?«

  »Ja, heute Abend! Ich hatte zwar ursprünglich vorgehabt, mich erst mal ein wenig auszuruhen. Ich habe nämlich achtundvierzig Stunden nicht richtig geschlafen, nur hin und wieder ein Viertelstündchen. Aber es gibt einen Auftrag, der noch heute Abend erledigt werden muss, und zwar sofort. Ich muss Sir Crichton Davey warnen.«

  »Sir Crichton Davey - von der Indischen...?«

  »Petrie, es ist um ihn geschehen. Wenn er nicht meinen Anweisungen folgt, ohne zu fragen, ohne zu zögern, kann ihn nichts retten - so wahr ich hier stehe! Ich weiß nicht, wann es soweit ist, wie und von wem die Tat ausgeführt wird, aber ich weiß, dass es meine erste Pflicht ist, ihn zu warnen. Komm mit - wir nehmen unten an der Ecke ein Taxi.«

  Wie seltsam sich doch das Abenteuer in das Einerlei unseres Alltags schleicht! Wenn es überhaupt jemals eintrifft, kommt es meist sehr plötzlich und unerwartet. Mitunter mögen wir nach romantischen Erlebnissen Ausschau halten, ohne sie zu finden. Dabei bieten sie sich oft ungesucht in den prosaischsten Augenblicken unseres Lebens von selbst an.

  Obwohl ich mit der Fahrt in jener Nacht die Grenze zwischen dem Eintönigen und dem Absonderlichen überschritt, hat sie keinen tieferen Eindruck in meiner Seele hinterlassen. Mitten ins Herz eines schrecklichen Geheimnisses trug mich das Taxi, und wenn ich an jene Tage zurückdenke, muss ich mich noch heute wundern, dass während der Fahrt durch die geschäftigen Straßen keinerlei Zeichen oder Warnung irgendwelche unguten Vorahnungen in mir auslöste.

  Nichts dergleichen. Ich kann mich jedenfalls nicht an den Weg erinnern und habe auch vergessen, was wir im Taxi sprachen - ich denke, wir waren beide ungewöhnlich schweigsam.

  »Was ist das denn?«, murmelte mein Freund mit rauer Stimme, als wir dort eintrafen.

  Polizisten standen gerade im Begriff, eine kleinere Menge von Neugierigen zu vertreiben, die sich auf den Stufen von Sir Crichton Daveys Haus drängten und versuchten, durch die offene Tür zu spähen.

  Ohne zu warten, bis das Taxi an die Bordsteinkante herangefahren war, sprang Nayland Smith heraus, und ich folgte ihm dicht auf den Fersen.

  »Was ist passiert?«, fragte er atemlos einen Polizisten.

  Der sah ihn unschlüssig an - etwas in Stimme und Haltung meines Freundes verlangte Respekt. »Sir Crichton ist getötet worden, Sir.«

  Smith taumelte zurück, als habe er einen körperlichen Stoß erhalten. Seine Finger bohrten sich in meine Schulter. Das Gesicht hatte alle Farbe verloren, und seine Augen waren starr vor Entsetzen.

  »Mein Gott!«, flüsterte er, »ich bin zu spät gekommen!« Mit zusammengepressten Fäusten wandte er sich um, zwängte sich durch die Zuschauer und sprang in wenigen Sätzen die Stufen hinauf.

  In der Halle unterhielt sich ein Mann, der unverkennbar ein Beamter von Scotland Yard war, mit einem Diener. Andere Mitglieder des Haushalts bewegten sich mehr oder weniger planlos umher. Jeder blickte scheu und ängstlich über die Schulter zurück, als ob überall eine Drohung lauerte. Alle schienen auf ein Geräusch zu horchen, das ihnen Angst einflößte.

  Smith trat auf den Geheimpolizisten zu und zeigte ihm einen Ausweis. Nachdem der Beamte einen Blick darauf geworfen hatte, legte er die Hand respektvoll an die Mütze und gab mit leiser Stimme einige Erklärungen ab.

  Nach einem kurzen Gespräch folgten wir dem Beamten in düsterem Schweigen die mit dicken Teppichen belegte Treppe hinauf und gelangten schließlich über einen Korridor, der mit zahlreichen Bildern und Büsten geschmückt war, in eine große Bibliothek, wo schon mehrere Personen versammelt waren. Eine von ihnen, in der ich Dr. Chalmers Cleeve aus der Harley Street erkannte, beugte sich über eine Gestalt, die bewegungslos auf der Couch lag. Durch die geöffnete Tür, die zu einem kleinen Arbeitszimmer führte, konnte ich sehen, wie ein Mann auf allen vieren den Teppich untersuchte.

  Das drückende Schweigen, die Gruppe um den Arzt, die absonderliche Gestalt, die dort wie eine Kröte durch das Zimmer kroch, vor allem aber die entschlossene Geschäftigkeit, mit der alle Beteiligten zu agieren schienen, ergaben zusammen eine Szene, die sich unauslöschlich in meiner Erinnerung einprägte.

  Bei unserem Eintreten richtete Dr. Cleeve sich auf und runzelte nachdenklich die Stirn. »Offen gesagt, möchte ich mich zum gegenwärtigen Zeitpunkt über die unmittelbare Todesursache nicht äußern«, sagte er. »Sir Crichton war ja dem Kokain zugetan, aber es gibt Anzeichen, dass es sich hier nicht um eine Kokainvergiftung handelt. Ich fürchte, dass nur eine nachträgliche Untersuchung den wirklichen Sachverhalt aufdecken kann – falls wir ihn überhaupt jemals erfahren. Ein höchst geheimnisvoller Fall!«

  Während Smith vortrat und den berühmten Pathologen in ein Gespräch verwickelte, benutzte ich die Gelegenheit, Sir Crichton näher in Augenschein zu nehmen.

  Der Tote war mit einem Gesellschaftsanzug bekleidet, trug aber eine alte Smokingjacke. Er war von hagerer, doch kräftiger Gestalt und hatte scharf geschnittene Gesichtszüge, die jetzt jedoch seltsam aufgedunsen waren. Das gleiche Bild boten seine zu Fäusten geballten Hände. Ich zog seinen Ärmel hoch und sah die Einstichstelle einer Spritze, die unter die Oberhaut seines linken Armes injiziert worden war. Ganz routinemäßig wandte ich meine Aufmerksamkeit auch dem rechten Arm zu. Er zeigte keinen Einstich, aber auf dem Handrücken befand sich eine schwachrote Stelle, die an den Abdruck geschminkter Lippen erinnerte. Ich betrachtete sie genauestens und versuchte, die Farbe abzureiben, aber sie war offenbar durch einen lokalen Entzündungsprozess hervorgerufen, wenn es sich nicht überhaupt um ein Muttermal handelte.

  Ich wandte mich an einen blassen jungen Mann, der, wenn ich recht verstanden hatte, Sir Crichtons Privatsekretär gewesen war. Ihm zeigte ich die Stelle und fragte, ob sie angeboren sei.

  »Nein, Sir«, antwortete Dr. Cleeve, der meine Frage gehört haben musste. »Ich habe mich auch bereits danach erkundigt. Hat sie nach Ihrer Meinung etwas zu bedeuten? Ich muss gestehen, dass sie mir in meinen Überlegungen nicht weiterhilft.«

  »Nichts«, antwortete ich. »Sie ist nur äußerst seltsam...«

  »Entschuldigen Sie, Mr. Burboyne...«, sagte Smith, indem er sich nunmehr dem Sekretär zuwandte,

  »Inspektor Weymouth wird Ihnen bestätigen, dass ich in amtlicher Eigenschaft hier bin. Soweit ich verstanden habe, ist Sir Crichton in seinem Arbeitszimmer plötzlich übel geworden.«

  »Ja - um halb elf Uhr. Ich arbeitete hier in der Bibliothek und er drinnen. Das war immer so...«

  »Und die Verbindungstür war dabei geschlossen?«

  »Ja, immer. Sie war nur eine Minute oder kürzer geöffnet, als etwa fünf vor halb elf eine Nachricht für Sir Crichton eintraf. Ich brachte sie zu ihm hinein, und da jedenfalls schien er noch bei bester Gesundheit zu sein...«

  »Was stand in der Botschaft?«

  »Das kann ich nicht sagen. Sie wurde von einem Telegrammboten überbracht, und er legte sie neben sich auf den Tisch. Dort müsste sie eigentlich noch sein, denke ich.«

  »Und um halb elf?«,

  »Da riss Sir Crichton plötzlich die Tür auf und warf sich mit einem Schrei in die Bibliothek heraus. Ich rannte auf ihn zu, aber er wehrte mich ab. Seine Augen funkelten schrecklich. Ich war gerade an seiner Seite angelangt, als er, sich vor Schmerz windend, zu Boden stürzte. Er schien nicht mehr fähig zu sprechen, aber nachdem ich ihn hochgehoben und auf die Couch gelegt hatte, keuchte er etwas, was so klang wie das Rote hier!, und bevor ich die Klingel oder das Telefon erreichen konnte, war er schon tot!«

  Mr. Burboynes Stimme zitterte beim Sprechen, und Smith schien verwirrt durch diese Aussage. »Glauben Sie nicht, dass er damit die Stelle an seiner Hand gemeint hat?«

  »Nein, das glaube ich nicht. Nach der Richtung seines letzten Blickes zu urteilen, bin ich überzeugt, dass er etwas meinte, das im Arbeitszimmer verborgen war.«

  »Und was haben Sie unternommen?«

  »Nachdem ich die Dienerschaft herbeigerufen hatte, rannte ich ins Arbeitszimmer, aber dort war absolut nichts Außergewöhnliches zu entdecken. Die Fenster waren geschlossen und zugehakt. Er arbeitete immer bei geschlossenen Fenstern – und wenn es noch so heiß war. Es gibt auch keine andere Tür, denn das Arbeitszimmer liegt am Ende eines engen Flügels, so dass niemand unbemerkt hineingekommen sein kann, solange ich in der Bibliothek war. Und wenn sich jemand bereits früher am Abend in die Bibliothek eingeschlichen haben sollte - obwohl es dort nach meiner Überzeugung keine Möglichkeit gibt, sich zu verstecken -, hätte er nur auf diesem Wege wieder herauskommen können.«

  Nayland Smith zog an seinem linken Ohrläppchen. Das tat er immer, wenn er nachdachte.

  »Und Sie haben Ihre Stellung hier schon seit einiger Zeit inne?«

  »Ja. Sir Crichton schrieb an einem wichtigen Buch.«

  »Hatte sich vor diesem Abend schon einmal etwas Ungewöhnliches zugetragen?«

  »Ja«, sagte Mr. Burboyne, sichtlich betroffen, »obwohl ich diesem Vorfall damals keinerlei Bedeutung beimaß. Vor drei Tagen kam Sir Crichton abends zu mir heraus und wirkte sehr nervös, aber seine Nerven waren manchmal ohnehin etwas... Sie verstehen wohl. Jedenfalls bat er mich bei dieser Gelegenheit, sein Arbeitszimmer zu durchsuchen. Er glaubte, dass irgendetwas darin verborgen sein müsse.«

  »Irgendetwas oder irgendjemand

  »Irgendetwas« waren die Worte, die er gebrauchte. Ich suchte, jedoch ohne Ergebnis. Er schien dann aber ganz zufriedengestellt und kehrte an seine Arbeit zurück.«

  »Danke, Mr. Burboyne. Mein Freund und ich würden uns jetzt gern einige Minuten ungestört im Arbeitszimmer umsehen...«

 

 

 

 

 

  

  Kapitel 2: Die parfümierten Umschläge

 

 

  Sir Crichton Daveys Arbeitszimmer war nur klein, und ein kurzer Blick genügte, um zu zeigen, dass darin tatsächlich kein Platz zum Verstecken war, wie der Sekretär bereits gesagt hatte. Es war reichlich mit Teppichen ausgelegt und quoll über von birmanischen und chinesischen Schmuckgegenständen und Kuriositäten aller Art. Auf dem Kaminsims standen mehrere eingerahmte Fotografien, die diesen Raum als das Heiligtum eines wohlhabenden Junggesellen auswiesen, der kein Frauenfeind zu sein schien. Eine Landkarte von Britisch-Indien nahm den größeren Teil einer Wand ein.

  Der Kamin war ausgeräumt, denn das Wetter war außerordentlich warm. Eine Lampe mit grünem Schirm, die auf dem unaufgeräumten Schreibtisch stand, stellte die einzige Lichtquelle dar. Die Luft war abgestanden, denn beide Fenster waren geschlossen und verhakt.

  Smith stürzte sich sofort auf einen großen, viereckigen Umschlag, der neben dem Tintenlöscher lag. Sir Crichton hatte sich noch nicht einmal die Mühe genommen, ihn zu öffnen, aber das tat jetzt mein Freund. Er enthielt ein unbeschriebenes Blatt Papier!

  »Riech mal!«, wies er mich an, indem er den Briefumschlag zu mir herüberreichte.

  Ich hob ihn an meine Nase. Er war mit einer starriechenden Essenz parfümiert.

  »Was ist das?«, fragte ich.

  »Es ist ein ziemlich seltenes ätherisches Öl«, war die Antwort, »dem ich schon bei früherer Gelegenheit begegnet bin, wenn auch noch nie in Europa. Ich fange an, zu begreifen, Petrie.«

  Er kippte den Lampenschirm hoch und unterzog die Papierfetzen, Streichhölzer und sonstigen Teilchen, die im Rost oder auf dem Kamin lagen, einer genauen Untersuchung. Ich nahm eine kupferne Vase vom Kaminsims und war gerade dabei, sie neugierig zu betrachten, als Smith sich mit einem seltsamen Gesichtsausdruck zu mir umwandte.

  »Stell das zurück, alter Junge,«, sagte er ruhig.

  Erstaunt gehorchte ich.

  »Rühr nichts im Zimmer an. Es könnte gefährlich sein.«

  Etwas im Klang seiner Stimme ließ mich aufhorchen. Ich stellte mich neben die Tür und sah zu, wie er das Zimmer gründlich durchsuchte - hinter Bücher schaute, die verschiedensten Ziergegenstände emporhob, Tischschubladen, Schränke und Regale durchwühlte.

  »Das genügt«, sagte er schließlich. »Hier ist nichts, und ich habe keine Zeit, noch weiter zu suchen.«

  Wir kehrten in die Bibliothek zurück.

  »Hören Sie, Inspektor Weymouth«, sagte mein Freund. »Aus einem ganz bestimmten Grund möchte ich, dass Sie Sir Crichtons Leiche sofort aus diesem Zimmer entfernen und die Bibliothek abschließen lassen. Niemand darf den Raum betreten, welche Gründe auch immer vorgeschoben werden. Sie werden von mir hören.«

  Die Vollmachten, die mein Freund vorgelegt hatte, waren so außerordentlich, dass der Beamte von Scotland Yard die Befehle widerspruchslos hinnahm. Nach einer kurzen Unterhaltung mit Mr. Burboyne eilte Smith die Treppe hinunter. In der Halle unten wartete ein Mann, der aussah wie ein Stallknecht in Zivil.

  »Sind Sie Wills?«, fragte Smith.

  »Ja, Sir.«

  »Sind Sie es, der um die Zeit des Todes von Sir Crichton von der Rückseite des Hauses einen Schrei gehört hat?«

  »Ja, Sir. Ich wollte gerade die Garagentür schließen, und als ich zufällig zum Fenster von Sir Crichtons Arbeitszimmer hinaufschaute, sah ich ihn von seinem Stuhl aufspringen. Von dem Stuhl, auf dem er immer saß, wenn er schrieb, Sir; man konnte seinen Schatten auf der Jalousie sehen. Im nächsten Augenblick hörte ich auf der Straße einen Schrei.«

  »Was für einen Schrei?«

  Der Mann, den das unheimliche Geschehen sichtbar erschreckt hatte, schien um eine passende Beschreibung verlegen zu sein.

  »Eine Art Klageruf, Sir«, sagte er schließlich. »Ich habe nie zuvor etwas Derartiges gehört und hoffe, es auch in Zukunft nicht noch einmal hören zu müssen.«

  »So etwa?«, fragte Smith und stieß dabei einen leisen, klagenden Schrei aus, den man unmöglich beschreiben kann.

  Wills fuhr sichtbar zusammen. Es hörte sich auch tatsächlich grauenhaft an.

  »Ja, Sir, ich glaube, es klang genauso, nur viel lauter.«

  »Das genügt«, sagte Smith, und mir war es, als läge ein leiser Triumph in seiner Stimme. »Aber bleiben Sie noch. Führen Sie uns durch den hinteren Teil des Hauses hinaus.«

  Der Mann verbeugte sich leicht und ging voraus. Nach kurzer Zeit befanden wir uns in einem kleinen, gepflasterten Hof. Es war eine herrliche Sommernacht, und das tiefe, dunkle Himmelsgewölbe droben war mit Myriaden von glitzernden Sternen besät. Wie unvereinbar erschien doch der Gegensatz zwischen dieser erhabenen Ruhe und den niedrigen Begierden und Machenschaften, auf Grund derer in dieser Nacht eine Seele ins Jenseits befördert worden war!

  »Dort oben sind die Fenster des Arbeitszimmers, Sir. Hinter der Mauer zu Ihrer Linken liegt die Straße, aus der ich den Schrei hörte, und dahinter ist der Regent's Park.«

  »Kann man die Fenster des Arbeitszimmers von dort aus sehen?«

  »Oh, ja, Sir.«

  »Wer bewohnt das angrenzende Haus?«

  »Generalmajor Platt-Houston, aber die Familie befindet sich auf dem Lande...«

  »Die Eisentreppen dort verbinden wohl die Wohnungen des Personals mit den Küchenräumen?«

  »Ja, Sir.«

  »Dann schicken Sie bitte jemanden hinauf, der die Haushälterin davon in Kenntnis setzt, dass ich die Treppe näher untersuchen möchte...«

  Die Maßnahmen meines Freundes erschienen mir sonderbar - doch ich hatte längst aufgehört, mich über irgendetwas zu wundern; mir schien, dass ich seit Nayland Smiths Auftauchen in meiner Wohnung einen schrecklichen Alptraum in allen seinen unberechenbaren Phasen erlebt habe. Da war der Bericht meines Freundes über die Wunde in seinem Arm; dann die Szene vor Sir Crichton Daveys Haus; die Erzählung des Sekretärs vom Ausruf des Sterbenden: das Rote hier; die im Arbeitszimmer verborgenen Schrecknisse, der Klageruf auf der Straße - all das schien mir eher ein Produkt von Wahnvorstellungen als von nüchterner Beobachtung zu sein. ich war nun auch nicht weiter überrascht, als uns ein blassgesichtiger Butler einer nervösen alten Dame vorstellte, die sich als Haushälterin der Nachbarwohnung erwies, und Smith zu mir sagte: »Geh du draußen auf und ab, Petrie. Die andern sind jetzt nach Haus gegangen. Es wird schon spät. Halt deine Augen offen und sei auf der Hut. Ich hatte gehofft, als erster da zu sein, aber er ist schon vor mir hier gewesen und, was schlimmer ist: Er weiß vermutlich auch, dass ich inzwischen ebenfalls hier bin.«

  Mit diesen Worten betrat er das Haus und ließ mich draußen auf dem viereckigen Platz stehen, so dass ich Muße hatte, nachzudenken und für alles eine Erklärung zu suchen.

  Die Menge, die sich am Ort aufsehenerregender Verbrechen einzufinden pflegt, hatte sich zerstreut, und man fasste einen Bericht ab, in dem erklärt wurde, dass Sir Crichton eines natürlichen Todes gestorben sei. Da die meisten Bewohner der Stadt wegen der großen Hitze aufs Land gefahren waren, befand ich mich praktisch allein auf dem viereckigen Platz und benutzte tatsächlich die Gelegenheit, das Geheimnis, in das ich so plötzlich verwickelt worden war, kurz zu überdenken. Viele Fragen schossen mir durch den Kopf:

  Welch einem Verbrechen mochte Sir Crichton zum Opfer gefallen sein?

  Ob Nayland Smith es wusste?

  Ich war ziemlich überzeugt davon. Was hatten die parfümierten Umschläge zu bedeuten? Wer war jene mysteriöse Person, die Smith so offensichtlich fürchtete, die ihm nach dem Leben getrachtet und wahrscheinlich auch Sir Crichton ermordet hatte? Sir Crichton Davey hatte sich während seiner Amtszeit in Indien und im Mutterland das Wohlwollen von Briten und Indem erworben. Wer konnte sein heimlicher Feind sein?

  In diesem Augenblick spürte ich eine leichte Berührung an der Schulter. Ich wandte mich um und fühlte mein Herz bis zum Halse schlagen. Die Ereignisse dieser Nacht hatten auch meinen sonst recht guten Nerven ziemlich zugesetzt.

  Dicht neben mir stand ein Mädchen in einem Abendmantel, das eine Kapuze tief ins Gesicht gezogen hatte. Als es mich ansah, kam es mir vor, als hätte ich nie zuvor ein so verführerisch liebliches Gesicht und eine so ungewöhnliche Erscheinung gesehen. Obwohl die Haut sehr hell war, hatte sie die schwarzen Augen und Wimpern einer Kreolin, und auch die vollen roten Lippen verrieten, dass die schöne Fremde, deren Berührung mich so erschreckt hatte, kein Kind unserer nördlichen Breiten war.

  »Verzeihen Sie, wenn ich Sie erschreckt habe«, sagte sie in einem seltsam melodisch klingenden Akzent und legte dabei ihre schlanke, juwelenbesetzte Hand vertrauensvoll auf meinen Arm. »Aber stimmt es, dass Sir Crichton Davey ermordet worden ist?«

  Ich schaute in ihre großen, fragenden Augen, konnte aber nichts in ihnen entdecken, was den Verdacht rechtfertigte, der mir durchs Gehirn schoss, sondern musste mich nur nochmals über die Schönheit ihrer Erscheinung wundern. Für einen Augenblick überkam mich der abwegige Gedanke, dass der Kuss ihrer roten Lippen, wenn die kräftige Farbe nicht natürlich wäre, eine Stelle hinterlassen würde, wie ich sie auf der Hand des toten Mannes gesehen hatte - nur dass sie leichter zu tilgen wäre.

  Aber ich schob diesen abenteuerlichen Einfall als mutmaßliche Folge der nächtlichen Aufregungen wieder von mir, ohne weiter darüber nachzugrübeln. Zweifellos war sie eine Freundin oder Bekannte von Sir Crichton, die in der Nähe wohnte.

  »Ich glaube zwar nicht, dass er ermordet worden ist...«, antwortete ich und versuchte in Anbetracht dieser letzteren Annahme, ihr die Todesnachricht so schonend wie möglich beizubringen. »Aber er ist...?«

  »Tot?«

  Ich nickte.

  Sie schloss ihre Augen, taumelte ein wenig und gab einen leisen, klagenden Laut von sich. Ich nahm an, dass sie einer Ohnmacht nahe war, und legte meinen Arm um ihre Schultern, um sie zu stützen. Aber sie lächelte traurig und schob mich sanft zurück.

  »Es ist nichts«, sagte sie, »besten Dank.«

  »Sind Sie sicher? Soll ich Sie nicht lieber ein Stück begleiten, bis Sie sich wieder ganz wohl fühlen?«

  Sie schüttelte den Kopf, warf mir aus ihren schönen Augen einen raschen Blick zu und sah so traurig und verlegen zur Seite, dass ich es kaum beschreiben kann. Dann fuhr sie plötzlich fort: »Mein Name darf im Zusammenhang mit dieser schrecklichen Angelegenheit nicht erwähnt werden, aber - ich denke - ich habe hier eine Nachricht für die Polizei. Wollen Sie dies hier bitte jemandem geben, den Sie für geeignet halten?«

  Sie reichte mir einen versiegelten Umschlag - wieder begegneten meine Augen ihren vom Licht geblendeten Blicken - und eilte von dannen. Sie mochte kaum zehn bis zwölf Meter weit gekommen sein - ich stand noch immer wie verzaubert da und schaute ihr nach -, als sie sich plötzlich umwandte und zurückkam. Sie blickte mir nicht ins Gesicht, sondern sah abwechselnd auf eine entfernte Ecke des viereckigen Platzes und auf das Haus von Generalmajor Platt-Houston, während sie das folgende außergewöhnliche Ansinnen an mich stellte: »Wenn Sie mir einen sehr großen Dienst erweisen wollten, für den ich Ihnen immer dankbar sein würde.« Sie streifte mich mit einem leidenschaftlich beschwörenden Blick. »Dann verlassen Sie die Person, der Sie meine Nachricht übergeben wollen, sobald Sie ihr die Botschaft ausgehändigt haben, und gehen Sie heute Abend nicht mehr zu ihr!«

  Bevor ich Worte finden konnte, um ihr zu antworten, hatte sie ihren Mantel zusammengerafft und rannte davon. Ehe ich mir überlegt hatte, ob ich ihr

folgen solle oder nicht (denn ihre Worte hatten erneut schlimmste Zweifel in mir wachgerufen), war sie verschwunden! Ich hörte, wie in einiger Entfernung ein Motor angelassen wurde, und als kurz darauf Nayland Smith die Stufen heruntergeeilt kam, hatte ich das beklemmende Gefühl, auf meinem Posten versagt zu haben.

  »Smith...«, rief ich, als er bei mir anlangte, »sag', was sollen wir tun?«

  Schnell berichtete ich ihm von dem Vorgefallenen.

  Mein Freund schaute sehr ernst drein; dann spielte ein grimmiges Lächeln um seine Lippen.

  »Sie war ein großer Trumpf in diesem Spiel...«, sagte er, »aber er wusste nicht, dass ich eine Karte in Händen habe, die ihn sticht.«

  »Was in aller Welt? Kennst du dieses Mädchen? Wer ist es?«

  »Sie ist eine der gefährlichsten Waffen im Arsenal des Feindes, Petrie. Aber eine Frau ist ein zweischneidiges Schwert und oft verräterisch. Zu unserem großen Glück hat sie eine plötzliche Neigung zu dir gefasst, wie das bei Orientalinnen häufig vorkommt. OH, ja, lach mich nur aus - das ändert nichts an den Tatsachen. Sie hatte den Auftrag, diesen Brief in meine Hände zu spielen. Gib ihn her.«

  Ich folgte seiner Aufforderung.

  »Das ist ihr gelungen. Hier, riech mal!« Er hielt den Umschlag unter meine Nase, und mit einem plötzlich aufsteigenden Gefühl des Ekels erkannte ich das seltsame Parfüm.

  »Du weißt, was dies in Sir Crichtons Fall zu bedeuten hatte. Zweifelst du immer noch? Sie wollte nicht, dass du den gleichen Tod erleidest wie ich, Petrie.«

  »Smith...«, antwortete ich unsicher, »ich habe mich in dieser schrecklichen Angelegenheit bislang blind deiner Führung anvertraut und habe keinerlei Erklärung von dir verlangt. Bevor ich jetzt auch nur einen einzigen Schritt weitergehe, muss ich erfahren, was das alles bedeuten soll...«

  »Nur noch ein paar Schritte weiter...«, erwiderte er, »bis zum nächsten Taxi. Wir sind hier nicht sicher genug. Oh, nein, du brauchst keine Schüsse und Messer zu befürchten. Der Mann, dessen Leute uns jetzt beobachten, verachtet solche plumpen Waffen.«

  Am Taxistand waren nur drei Wagen, und als wir den ersten bestiegen, sauste etwas dicht an meinem Ohr vorbei, verfehlte Smith und mich wie durch ein Wunder, flog über das Dach des Autos und landete vermutlich in der eingezäunten Grünanlage in der Mitte des Platzes.

  »Was war das?«, schrie ich.

  »Steig ein - schnell!«, rief Smith zurück. »Das war Versuch Nummer eins! Mehr kann ich nicht sagen. Lass es den Fahrer nicht hören. Er hat nichts bemerkt. Dreh das Fenster neben dir hoch, Petrie, und schau nach hinten. So! Gut! Es geht schon los!«,

  Das Taxi setzte sich mit einem metallisch klingenden Ruck in Bewegung. Ich drehte mich um und schaute durch das kleine Fenster hinten hinaus.

  »Jemand hat das zweite Taxi genommen. Es folgt uns, glaube ich.«

  Nayland Smith lehnte sich zurück und lachte unfroh auf. »Petrie...«, sagte er, »wenn ich mit heiler Haut aus dieser Affäre herauskomme, will ich meinem Schöpfer danken.«

  Ich gab ihm keine Antwort, sondern sah zu, wie er den abgenutzten Tabaksbeutel herauszog und seine Pfeife stopfte.

  »Du hast mich gebeten, dir die Zusammenhänge zu erklären...«, fuhr er fort, »und ich will es versuchen, soweit ich dazu in der Lage bin. Du wirst dich selbst gewundert haben, warum ein Beamter der Britischen Regierung, der zuletzt in Birma stationiert war, plötzlich als Detektiv in London auftaucht. Ich bin hier, Petrie, und zwar mit Vollmachten von allerhöchster Stelle, weil ich - rein zufällig - auf eine Spur gestoßen bin. ich habe nämlich Beweise für die Existenz und unheilvolle Tätigkeit eines bestimmten Mannes. Bei gegenwärtigem Stand der Dinge halte ich mich nicht für befugt, ihn als Beauftragten einer östlichen Macht zu bezeichnen, aber ich kann immerhin so viel sagen, dass in Kürze Vorstellungen beidem Gesandten dieser Macht in London erhoben werden sollen.«

  Er machte eine Pause und warf einen Blick zurück auf das uns verfolgende Taxi.

  »Wir haben kaum etwas zu befürchten, bevor wir zu Hause ankommen«, sagte er ruhig. »Dort aber umso mehr. Also weiter! Bei diesem Mann, der entweder ein Fanatiker oder ein normal angestellter Agent ist, handelt es sich ohne Frage um die bösartigste und ungeheuerlichste Person, die man sich vorstellen kann. Er ist ein Sprachgenie und beherrscht fast alle Sprachen der zivilisierten Welt und viele der unzivilisierten. Er kennt sich in allen Disziplinen aus, die an den großen Universitäten gelehrt werden. Doch ist er auch ein Adept gewisser obskurer Künste und Wissenschaften, die keine Universität auf ihrem Lehrplan stehen hat. Er verfügt über das Wissen von drei genialen Männern. Petrie, ich sage dir, er hat eine Super-Intelligenz!«

  »Du setzt mich in Verwunderung!«, sagte ich.

  »Nun noch etwas über den Auftrag, den er zu erfüllen hat. Warum, glaubst du, brach M. Jules Furneaux in der Pariser Oper tot zusammen? Wegen eines Herzversagens? Oh, nein! Sondern weil seine letzte Rede erkennen ließ, dass er den Schlüssel zum Geheimnis von Tongking kannte. Und was war mit dem Großfürsten Stanislaus? Entführung? Selbstmord? Nichts dergleichen. Er allein war sich der wachsenden Gefährdung Russlands bewusst. Er allein kannte die Wahrheit über die Mongolei. Und warum wurde Sir Crichton Davey ermordet? Weil er der einzig lebende Engländer war, der die Wichtigkeit der tibetischen Grenzen begriff, und das Werk, an dessen Vollendung er arbeitete, deshalb nie veröffentlicht werden durfte. Wenn es nämlich wirklich einen Mann gäbe, der dem Westen ein Gefühl für das Erwachen des Ostens vermitteln, der die Tauben hören und die Blinden sehen lehren würde, der sagen würde, dass Millionen dort nur auf ihren Führer warten, er müsste sterben. Und dies ist nur eine Phase des teuflischen Planes. Die weiteren kann ich nur vermuten.«

  »Aber Smith, das ist ja geradezu ungeheuerlich! Welcher perverse Genius steht hinter dieser geheimen Verschwörung?«

  »Stell dir eine Gestalt vor, groß, hager und von katzenartigen Bewegungen, hochschultrig, mit einer Stirn wie Shakespeare und einer Fratze wie der Teufel, einem kahlgeschorenen Schädel und länglichen, magnetischen Schlitzaugen von katzengrüner Farbe. Dann statte sie in Gedanken mit der grausamen Verschlagenheit eines Superhirns aus, das über alle Hilfsmittel gebietet, die die Wissenschaft in Vergangenheit und Gegenwart erfunden hat, und dazu noch über alle Geldmittel einer einflussreichen Regierung, die allerdings jegliche Kenntnis von seiner Existenz abstreitet. Ja, male dir solch ein scheußliches Wesen aus, dann gewinnst du eine ungefähre Vorstellung von Dr. Fu-Manchu.«

 

 

 

 

 

  Kapitel 3: Der Zayatkuss

 

 

  Zu Hause sank ich in einen Sessel und stürzte begierig einen großen Schluck Brandy hinunter.

  »Wir sind bis hierher verfolgt worden«, sagte ich.

  »Warum hast du keinen Versuch gemacht, die Verfolger abzuschütteln oder in eine Falle zu locken?«

  Smith lachte. »Erstens hätte es keinen Zweck gehabt. Wohin wir auch gegangen wären, er würde uns doch finden. Und was wäre groß damit gedient, seine Handlanger festzunehmen? Wir könnten ihnen nichts beweisen. Außerdem ist doch klar, dass noch diese Nacht ein Anschlag auf mein Leben verübt werden soll - und zwar mit den gleichen Mitteln, die sich im Falle des armen Sir Crichton so gut bewährt haben...«

  Seine viereckige Kinnlade schob sich drohend vor, er sprang heftig auf und richtete seine geballten Fäuste drohend zum Fenster.

  »Der Schurke!«, rief er. »Dieser verdammt raffinierte Bursche! Ich hatte vorausgesehen, dass Sir Crichton der nächste sein würde, und ich hatte Recht. Aber ich bin zu spät gekommen, Petrie! Das ist ein schwerer Schlag für mich. Sich vorzustellen, dass ich wusste, was kommen würde, und ihn doch nicht mehr retten konnte!«

  Er setzte sich wieder hin und sog kräftig an seiner Pfeife. »Fu-Manchu hat den Fehler begangen, der allen überdurchschnittlich begabten Leuten unterläuft«, sagte er. »Er hat seinen Gegner unterschätzt. Er hat mir nicht zugetraut, dass ich die Bedeutung der parfümierten Botschaften durchschauen würde. Außerdem hat er sich einer wirkungsvollen Waffe beraubt, um solch eine Botschaft in meine Hände gelangen zu lassen; nun denkt er, dass ich mich zu Hause ohne jeden Argwohn schlafen legen werde und sterbe wie Sir Crichton. Doch auch ohne die Indiskretion deiner reizenden Freundin hätte ich gewusst, was mir bevorstand, sobald ich ihre Botschaft erhielt - die übrigens aus einem unbeschriebenen Blatt Papier besteht.«

  »Smith«, unterbrach ich ihn, »wer ist sie?«

  »Sie ist entweder Fu-Manchus Tochter, seine Frau oder seine Sklavin. Ich möchte fast das letztere annehmen, denn abgesehen von einer einzigen Ausnahme« er warf mir einen spöttischen Blick zu - »kennt sie nur seinen Willen.«

  »Wie kannst du noch spotten, wo doch wer weiß welche furchtbare Gefahr über deinem Kopf schwebt! Was hat es mit diesen parfümierten Umschlägen auf sich? Wie ist Sir Crichton gestorben?«

  »Er starb am Zayatkuss. Wenn du mich jetzt fragst, was das ist, muss ich dir antworten, dass ich es nicht weiß. Zayats sind die birmanischen Karawansereien oder Rasthäuser. Auf einer bestimmten Strecke - wo ich übrigens zum ersten und einzigen Male Dr. Fu-Manchu gesehen habe - sterben die Reisenden in den Zayats manchmal wie Sir Crichton ohne erkennbare Todesursache, außer einer kleinen Stelle am Halse, im Gesicht oder an den Gliedmaßen, die in diesen Landesteilen der Zayatkuss genannt wird. Die Karawansereien auf dieser Strecke werden nunmehr gemieden. Ich habe mir eine bestimmte Theorie zurechtgelegt und hoffe, sie in dieser Nacht beweisen zu können, vorausgesetzt, dass ich sie lebend überstehe. Das wird bedeuten, dass eine weitere Waffe in Fu-Manchus mörderischem Arsenal unbrauchbar wird, und einzig und allein auf diese Weise kann ich hoffen, ihn zur Strecke zu bringen. Dies war der Hauptgrund dafür, dass ich Dr. Cleeve nicht ins Vertrauen gezogen habe. Auch Wände haben Ohren, wo Fu-Manchu seine Hand im Spiele hat. Deswegen tat ich so, als ob ich die Bedeutung der Stelle nicht kannte, denn ich wusste, dass er sich aller Wahrscheinlichkeit nach bei einem anderen Opfer der gleichen Methode bedienen würde. Ich will gern selbst sehen, wie der Zayatkuss praktiziert wird, und dazu werde ich bestimmt bald Gelegenheit haben.«

  »Aber die parfümierten Umschläge?«

  »In den sumpfigen Wäldern der Gegend, von der ich sprach, findet man gelegentlich eine seltene Orchideenart, die fast grün ist und einen eigenartigen Geruch ausströmt. Ich erkannte den schweren Duft sofort. Ich nehme an, dass das Tier, das die Reisenden tötete, durch den Duft dieser Orchidee angezogen wird. Das Parfüm haftet allen Dingen an, mit denen es in Berührung kommt. Ich bezweifle, dass man es einfach abwaschen kann. Fu-Manchu hatte zumindest schon einmal vorher versucht, Sir Crichton umzubringen - du erinnerst dich, dass er dachte, es sei bei früherer Gelegenheit etwas in seinem Arbeitszimmer versteckt gewesen -, bevor er auf die Idee mit den parfümierten Umschlägen kam. Vielleicht verfügt er über einen Vorrat an diesen grünen Orchideen - möglicherweise um das Tier zu füttern.«

  »Was für ein Tier? Wie könnte irgendein Lebewesen heute Nacht Zugang zu Sir Crichtons Zimmer gefunden haben?«

  »Du hast sicher bemerkt, dass ich den Kaminrost in seinem Arbeitszimmer untersucht habe. Ich fand darin eine ziemliche Menge herabgefallenen Ruß. Ich hatte nämlich gleich angenommen, dass irgendetwas darin heruntergelassen worden war, denn der Schornstein schien ja den einzig unbewachten Zugang darzustellen, und ich war ziemlich sicher, dass das Ding, oder was es auch immer sein mochte, immer noch im Arbeitszimmer oder in der Bibliothek versteckt sein musste. Aber als ich die Aussage des Stallknechts Wills hörte, wurde mir klar, dass der Schrei von der Straße oder vom Park her ein Signal gewesen sein musste. Ich stellte fest, dass die Bewegungen einer Person, die am Arbeitstisch saß, als Schatten auf der Jalousie erkennbar waren und dass das Arbeitszimmer die Ecke eines zweigeschossigen Flügels einnahm und deswegen einen kurzen Schornstein hatte. Was sollte das Signal bedeuten? Dass Sir Crichton von seinem Stuhl aufgesprungen war und entweder den Zayatkuss bekommen hatte oder etwas sah, das jemand direkt durch den geraden Schornstein herabließ? Es war das Signal, das todbringende Ding sofort zurückzuziehen. Ich konnte über die eiserne Treppe an der Hinterseite von Generalmajor Platt-Houstons Haus sehr leicht auf das Dach über Sir Crichtons Arbeitszimmer gelangen - und habe dies hier gefunden.«

  Nayland Smith zog aus seiner Tasche ein verknotetes Stückchen Seide, an dem ein Messingring und eine Anzahl ungewöhnlich großer Bleikügelchen wie am Schwimmer einer Angelschnur befestigt waren.

  »Meine Theorie scheint zu stimmen...«, fuhr er fort. »Weil sie mit einer Suche auf dem Dach nicht gerechnet hatten, sind sie allzu sorglos vorgegangen. Dies hier diente dazu, die Leine zu beschweren, und sollte das Tier daran hindern, sich an den Wänden des Schornsteins festzuklammern. Es wurde mit Hilfe dieses Ringes direkt zur Feuerstelle hinuntergelassen. Die beschwerte Leine wurde dann wahrscheinlich hochgezogen, so dass das Tier nur noch von einem dünnen Faden gehalten wurde, der jedoch ausreichte, um es nach vollbrachter Tat wieder hochzuziehen. Es hätte natürlich irgendwo hängenbleiben können, aber sie verließen sich darauf, dass es direkt am geschnitzten Bein des Schreibtisches hochklettern würde, um an den präparierten Umschlag zu gelangen, Von dort musste der Weg dann zur Hand von Sir Crichton führen, die ja nach der Berührung des Umschlages ebenfalls geduftet hat.«

  »Mein Gott! Wie schrecklich!«, rief ich aus und spähte besorgt in die düsteren Schatten des Zimmers. »Was besagt deine Theorie über dieses Tier? Seine Gestalt... seine Farbe!«

  »Es bewegt sich rasch und leise. Im Augenblick will ich nicht mehr sagen, aber ich glaube, es arbeitet im Dunkeln. Du erinnerst dich, dass das Arbeitszimmer bis auf den hellen Streifen unter der Leselampe im Dunkeln lag. Ich habe festgestellt, dass die Rückseite dieses Hauses bis oben hin mit Efeu bewachsen ist, über deinem Schlafzimmer auch. Wir wollen jetzt ostentative Vorbereitungen treffen, ins Bett zu gehen. Ich denke, dass wir uns auf Fu-Manchus Diener verlassen können, dass sie versuchen werden, zumindest mich - möglicherweise auch dich – aus dem Wege zu räumen...«

  »Aber, mein Lieber, sie müssen dann mindestens zehn Meter hoch klettern.«

  »Du erinnerst dich doch noch an den Schrei aus der Straße hinter Sir Crichtons Haus? Er hat mich auf einen Gedanken gebracht, der sich als richtig herausgestellt hat. Es war der Schrei eines Dakoiten. Oh, ja, die sind keineswegs ausgestorben, wenn man auch kaum noch etwas von ihnen hört. Fu-Manchu hat Dakoiten in seinem Gefolge, und wahrscheinlich ist einer dabei, der mit dem Zayatkuss arbeitet.

Es war nämlich ein Dakoit, der das Fenster des Arbeitszimmers heute Abend beobachtet hat. Für solch einen Mann ist eine efeubewachsene Wand nichts weiter als eine große Treppe.«

  Die furchtbaren Ereignisse, die nun folgen sollten, sind in meiner Erinnerung mit dem Schlagen einer entfernten Uhr verbunden. Seltsam, wie sich belanglose Dinge in Augenblicken höchster Spannung derartig einprägen können. Ich will nun anhand dieser Zeitmarkierungen von den Schrecknissen berichten, die uns bevorstanden.

  Die Uhr von der anderen Seite des Platzes schlug zwei.

  Nachdem wir alle Spuren des Orchideenduftes mit einer Ammoniaklösung von unseren Händen entfernt hatten, folgten Smith und ich dem vereinbarten Programm. Um auf die Rückseite des Hauses zu gelangen, brauchte man nur einen Zaun zu überklettern. So hegten wir keinen Zweifel, dass unser heimlicher Beobachter sich sogleich nach hinten begeben würde, sobald das Licht vorn ausging.