Alfred Bekker Grusel-Krimi #7: Der Rattengott

Alfred Bekker

Published by Alfred Bekker, 2018.

Inhaltsverzeichnis

Title Page

Alfred Bekker Grusel-Krimi #7

Der Rattengott

Copyright

Prolog

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Alfred Bekker Grusel-Krimi #7

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Übernatürliche Wesen bedrohen die Welt. Dämonen suchen die Menschen heim – und mutige Dämonenjäger begegnen dem Grauen...

––––––––

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ALFRED BEKKER IST EIN bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jonas Herlin, Adrian Leschek, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.

Titebild: Klaus Dill

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Der Rattengott

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von Alfred Bekker

Der Umfang dieses Buchs entspricht 118 Taschenbuchseiten.

Ein Vampir-Schocker.

Rabenschwarz, blutig, grausam, zynisch – und so kalt wie eine Totengruft!

Die Welt wird von Vampiren aus dem Verborgenen beherrscht. Sie sind organisiert wie die Mafia und haben die Erde unter sich aufgeteilt

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Copyright

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker.

© by Author

© dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

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Prolog

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Der flackernde Schein der Flammen erhellte den stillgelegten Subway-Tunnel. Dreißig Meter unter der mondänen 5th Avenue saßen zwei Männer am Lagerfeuer. Mole People - Maulwurfsleute nannte man die Ausgestoßenen und Deklassierten, die in dem bis zu zehn Stockwerke tiefen Labyrinth aus Subway-Tunnels und Abwasserkanälen hausten.

"Das riecht gut, Randy!", sagte einer der beiden und deutete auf das Stück Fleisch, das am Spieß steckte.

Rattenfleisch.

Der andere lachte, hustete dann. Das Klima in diesem Gewölbe war feucht kalt wie in einer Totengruft.

"Ich sollte hier unten ein Restaurant aufmachen, was, Doug?" Randy drehte den Spieß herum. "Ich hoffe nur, dass wir uns jetzt nicht den Zorn des Rattengottes zugezogen haben, der da unten irgendwo hausen soll..."

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"Das sind doch alles nur Geschichten, Doug!", meinte Randy.

"Ich kannte mal einen, der den Rattengott gesehen haben will!"

"So ein Quatsch. Er hätte das kaum überlebt!"

"Wieso?"

"Niemand überlebt ein Zusammentreffen mit dem Rattengott. Das weiß doch jeder..."

"Ich lass mir den Braten trotzdem schmecken!"

Randy sprang plötzlich auf. Unter dem mottenzerfressenen Mantel, den er trug, riss er eine Schleuder hervor. Blitzschnell ging das. Mit reflexartigen Bewegungen legte er eine Stahlkrampe ein und schoss auf den etwa zwei Yards durchmessenden Schatten. Er war ein guter Schütze. Aber diesmal verfehlte er. Die Stahlkrampe klirrte gegen den Beton des Tunnels. Die große grauschwarze Ratte, deren Schatten er gesehen hatte, zischte mit einem zornigen Piepslaut davon.

"Scheiße!", sagte Randy. "Ich dachte, wir hätten auch für morgen schon was zwischen den Zähnen gehabt!"

Doug lachte.

"Leider wohl Fehlanzeige!"

Randy blickte in die Dunkelheit, die sich an jenen Bereich anschloss, der vom flackernden Feuerschein notdürftig erhellt wurde.

Randy erstarrte. Sein Blick fixierte eine Stelle genau auf der Grenze zwischen spärlichem Licht und undurchdringlicher Finsternis.

Da saß sie. Die Ratte.

Genau auf der Grenze.

Als ob sie uns beobachtet!, ging es Randy durch den Kopf. Das Tier schien auf irgendetwas zu warten. Randy ging einen Schritt auf sie zu, stampfte auf.

Die Ratte wich nicht zurück. Sie schien keinerlei Scheu zu besitzen. Fast wirkte es so, als würde das Tier genau wissen, dass sein menschliches Gegenüber viel zu langsam war, um es bei einer Verfolgung einholen zu können. Randy näherte sich noch einen weiteren Schritt.

"Du kannst nicht verlieren, was Alter?", lachte Doug aus dem Hintergrund heraus.

Randy legte eine weitere Stahlkrampe in die Schleuder.

Die Ratte zuckte zurück, verschwand in der Dunkelheit.

Als ob sie Randys Absicht erkannt hatte!

Ein Frösteln überkam Randy. Das ist unmöglich!, ging es ihm durch den Kopf. Das würde voraussetzen, dass sie weiß, was eine Schleuder ist und dass sie nur gefährlich werden kann, wenn eine Stahlkrampe eingelegt wurde...

Aber intelligente Ratten gab es nur in Horrorfilmen.

Schabende, kratzende Geräusche ließen Randy aufhorchen. Er ging bis zu der Grenze zwischen Licht und Finsternis. Du wirst dir nicht von so einem Rattenvieh den Schneid abkaufen lassen!, durchzuckte es ihn. Er sah sich um, so gut es ging. Mehr als undeutliche Schatten konnte er nicht mehr erkennen. Er ließ die Schleuder sinken, hielt sie nur noch in der Rechten, während die Linke in eine der Taschen seines etwas zu groß geratenen Mantels griffen. Randy holte eine Taschenlampe hervor. So etwas gehörte zum Überleben, wenn man hier unten, im unterirdischen Reich der Mole People sein Dasein fristete. Er hatte sie gestohlen. Aber der Typ, dem er sie abgenommen hatte, war wohl auch nicht der rechtmäßige Besitzer gewesen. Die Batterien waren schon schwach. Randy benutzte die Lampe daher nur, wenn es unvermeidlich war.

Und er hatte das Gefühl, dass dies so ein Augenblick war.

Unruhe erfasste ihn. Eine Unruhe, die aus einem unangenehmen, nagenden Gefühl heraus geboren wurde: der Furcht. Er konnte nicht mit Bestimmtheit sagen, wodurch dieses Unbehagen hervorgerufen wurde. An die düstere, feuchtkalte Umgebung dieser beinahe gruftartigen Gewölbe war er schließlich gewöhnt. Piepslaute ertönten. Da war irgendetwas, vor ihm in der undurchdringlichen Schwärze. Randy ließ den schwachen Lichtkegel kreisen. Es war wirklich nicht mehr viel Energie in den Batterien.

"Lass es sein, Randy!"

"Halts Maul!", zischte Randy etwas barscher, als er es eigentlich vorgehabt hatte.

"Häh?" Doug glaubte wohl, sich verhört zu haben. "Spinnst du jetzt, oder was ist los, Alter?"

Randy fand die Ratte schließlich mit dem Lichtstrahl. Sie huschte auf ihn zu.

Aber sie war nicht allein. Ein gutes Dutzend Artgenossen kamen mit ihr.

Sie griffen an!

Randy brauchte eine Sekunde, bis ihm das klar wurde. Und da war es bereits zu spät. Die grauen Nager hatten ihn erreicht. Die erste schlug ihre Nagezähne in seine Wade. Randy schrie auf, wich zurück, trat um sich und versuchte das Tier abzuschütteln. Aber schon umringte ein Schwarm grauschwarzer Rattenleiber seine Füße. Sie sprangen hoch, verbissen sich in seinen Beinen. Eines der Tiere krabbelte an seinem Bein bis zum Knie empor. Der Stoff der Hose riss.

"Scheiße!", kreischte Randy.

Sein Kumpel starrte ihn nur an.

Doug vergaß sogar den Rattenbraten herumzudrehen. Ein verbrannter Geruch verbreitete sich.

"Ey, das glaubt doch keiner...", flüsterte er vor sich hin.

Randy schlug wie panisch mit der Schleuder auf die Angreifer ein. Er trat um sich, schüttelte sie von sich. Mit kleinen Fleischstücken im Mund wurden sie durch den Subway-Tunnel geschleudert und gegen die nahe Betonwand geklatscht.

"Hilf mir doch, Doug!", rief Randy.

Jetzt endlich erwachte Doug aus seiner Erstarrung. Er holte einen Totschläger aus Hartgummi unter seinem ziemlich verdreckten Cool Wool-Mantel hervor, den irgendein reicher Pinkel der Kleiderkammer von St. Joseph's gespendet hatte. Doug schob sich seine Wollmütze etwas in den Nacken. Der Puls schlug ihm bis zum Hals. So etwas hatte er noch nie gesehen. Es überstieg alles, was er bisher miterlebt hatte. Selbst hier, in der unwirtlichen Welt der Mole People.

Randy wehrte sich noch immer verzweifelt.

"Nun mach doch was!", rief er. Es gelang ihm einfach nicht, mit den Tieren fertig zu werden. Sie waren hartnäckig und verbissen sich todesmutig in ihr Opfer. Sie waren sich ihrer Sache verdammt sicher. Irgendwann würden sie den um so viel größeren Menschen zur Strecke bringen...

Doug rannte hinzu, schlug mit dem Gummiknüppel auf die Ratten ein. Kreischlaute durchdrangen das Gewölbe, hallten geradezu schauerlich zwischen den modrig-kalten Betonwänden wider. Wie ein Berserker wütete Doug unter ihnen. Sein Kumpel bekam dabei auch einige Knüppelschläge ab.

Schließlich hatte er die kleinen Bestien erst einmal auf Distanz gebracht.

Er zog Randy mit sich, in Richtung des Feuers.

Die beiden Männer waren außer Atem.

Randy hustete erbärmlich, bekam zunächst überhaupt keine Luft. Er lief puterrot an.

Doug blickte sich um. Das Kratzen und Schaben, vermischt mit aggressiv klingenden, piepsigen Lauten war von allen Seiten zu hören. Es werden immer mehr!, durchzuckte es Doug. Die grauen Biester schienen sich zu einem Angriff zu sammeln.

Doug stierte auf Randys Beine.

Die Ratten hatten seinen Kumpel übel angegriffen. Die Hose war zerfetzt bis zu den Knien. Die Unterschenkel waren blutig. Dutzende von bösen Bisswunden klafften dort. Die Bissmale der Nagezähne waren deutlich zu sehen. Kleinere Stücke aus dem Muskel hatten die Biester regelrecht herausgerissen. Randys Hände waren auch blutig. Er zitterte leicht.

"So etwas gibt es doch nicht!", flüsterte er. Dutzendfach hatten Randy und Doug die blutigen Geschichten gehört, die man sich über den Rattengott erzählte, jenes geheimnisvolle ETWAS, das da tief unter der Oberfläche New Yorks hauste. Eine Art Herr der Ratten, von dessen Opfern nichts weiter als abgenagte Knochen zurückblieben. Von Rattenschwärmen hatte er gehört, die wie von einer geheimnisvollen Macht gelenkt sich auf einzelne Mole People gestürzt und sie umgebracht hatten. Aber wirklich geglaubt hatte Randy diese Geschichten nicht. Niemand, den er kannte, hatte diese Stories wirklich ernst genommen. Aber jetzt...

Aus der Dunkelheit heraus war das Kratzen und Scharren von unzähligen Ratten zu hören. Ihre trippelnden Schritte halten wider, machten es unmöglich, ihre Anzahl zu schätzen. Noch schienen sie sich bewusst auf Distanz zu halten. Die grauen Biester verharrten in der Zone der Dunkelheit...

Randys blutige Linke hielt zitternd die Taschenlampe, ließ den schwachen, gelbstichigen Lichtkegel umherkreisen. Das Licht flackerte. Aber Randy sah genug. Tausende von grauen Pelzen. Sie schoben sich den Subway-Tunnel entlang. Auf den ersten Blick konnte man meinen, einen einzigen, kriechenden Organismus vor sich zu haben.

Kneif dich, das muss ein Albtraum sein!, durchzuckte es Randy. Er wollte etwas sagen. Aber kein einziger Laut kam über seine Lippen. Ein Kloß steckte ihm im Hals. Er schluckte. Ein Hustanfall schüttelte ihn.

Doug nahm ein Stück Holz aus dem Feuer. Schwellenholz gab es immer noch mehr als genug in den alten Subway-Tunnels. Ein Glück für die Mole People.

Wie eine Fackel hielt Doug das brennende Holzstück vor sich.

"Vielleicht haben sie ja davor Respekt!", meinte er.

"Glaube ich nicht", flüsterte Randy.

"Nun mach dir nicht in die Hosen..."

"Siehst du das denn nicht Doug? Scheiße, merkst du gar nicht, was hier los ist?"

Ein vibrierender Tonfall schwang in Randys Worten mit.

"Nicht durchdrehen, Randy!", sagte Doug.

"Ich weiß nicht warum, schließlich haben wir schon hunderte von diesen grauen Biestern verzehrt, aber..." Er stockte. Die Schar der Ratten schob sich inzwischen aus der Zone der Dunkelheit heraus. Langsam rückten sie ins Licht vor. Dicht gedrängt. Ihre Piepstimmen waren geradezu ohrenbetäubend. "...wir müssen den Zorn dieses verdammten Rattengottes erweckt haben!"

"Quatsch nicht!"

Der Angriff erfolgte wie durch einen Befehl.

Als ob ein gemeinsames Bewusstsein diese Riesenschar von Ratten lenkte, sie dazu antrieb, exakt im selben Moment anzugreifen. Sie huschten vorwärts. Von allen Seiten kamen sie. Doug trat ihnen mit kreidenbleichem Gesicht entgegen, schwenkte die Fackel, streckte ihnen das Feuer entgegen. Schreibend stoben einige von ihnen zur Seite, liefen übereinander. Aber sie waren einfach zu zahlreich. Gegenseitig schoben sie sich vorwärts. Soweit das Auge reichte bedeckte ein Teppich aus ihren graubepelzten Leibern den Boden des Subway-Tunnels. Randy schrie laut auf. Er versuchte verzweifelt, sich zu wehren. Er legte eine Stahlkrampe in die Schleuder und schoss sie ab. Ein Akt blanker Verzweiflung, denn natürlich konnte er dadurch nichts ausrichten. Die Stahlkrampe schlug in einen der grauen Körper, riss ein blutiges Loch hinein, aber schon Sekundenbruchteile später, war dieser Körper unter hundert anderen begraben.

Immer weiter wichen die beiden Männer zurück, bis sie nahe am Feuer standen. Sie schleuderten den grauen Biestern brennende Holzscheite entgegen, schlugen und traten um sich. Aber von allen Seiten drangen weitere Ratten in ihre Richtung vor. Ihrer Masse wegen waren sie nicht aufzuhalten. Sie verbissen sich in den Beinen, sprangen am Körper empor. Schreie gellten durch das modrige Subway-Gewölbe. Schreie puren Grauens. Randy kam zu Fall. Seine Augen waren weit aufgerissen. Die Ratten krabbelten über seinen Körper. Dutzende von ihnen rissen zur gleichen Zeit an seinen Kleidern, zerfetzten sie, bissen in den ungeschützten Körper darunter.

Randy brüllte wie am Spieß.

Doug wandte für einen kurzen Moment den Blick zu seinem Kumpel, sah noch, wie er völlig unter den Körpern der angreifenden Nager begraben wurde. Wellen des Schmerzes durchfuhren ihn gleichzeitig, denn die grauen Biester hatten sich längst auch in seine Waden verbissen. Doug schlug verzweifelt um sich. Die Fackel in seiner Hand konnte einige der kleinen grauen Feinde zeitweilig verscheuchen. Aber allzu weit konnten sie gar nicht zurückweichen. Dazu drängten viel zu viele ihrer Artgenossen unaufhaltsam nach. Sie sprangen an Doug empor, fraßen sich in seiner Kleidung fest, bissen unbarmherzig zu und schlugen ihre Nagezähne schließlich in sein weiches Fleisch. Das ist das Ende!, durchzuckte es Doug. Der Rattengott... Ja, was konnte es außer dem Zorn dieses unfassbaren Wesens für eine andere Erklärung geben? Was hier geschah widersprach jeder Vernunft, jeder Erfahrung.

Die kleinen Nager hängten sich an Doug, verbissen sich in seinen Händen. Er verlor die Fackel, versuchte sie abzuschütteln. Panik erfasste ihn. Er war zu keinem klaren Gedanken mehr fähig. Unter seinen Füßen spürte er die kleinen Körper der Nager, hörte Knochen knacken, wenn er auf sie drauf trat. Er stolperte, taumelte vorwärts und kam dann zu Fall. Ein Teppich von Rattenkörpern bedeckte ihn und fraßen ihn bei lebendigem Leib auf.

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Chase Blood zog mit seiner Harley eine Bremsspur und brachte die Maschine wenige Zentimeter vor dem Maschendrahtzaun zum Stehen.

Eine zweite Maschine raste heran.

Es handelte sich um eine Kawasaki, deren Fahrer im Übrigen wesentlich vorsichtiger als Chase war.

Etwa einen Meter vor dem Zaun stoppte er sein Motorrad.

"Echt cool, Chase!", meinte der Kawasaki-Fahrer. Er trug eine Wildlederjacke mit Fransen. Der Kopf wurde von einem Piratentuch bedeckt.

Chase grinste und stieg von der Harley. Er bockte sie auf.

"Alles eine Frage der Übung, Stoney!", meinte er leichthin.

"Wahrscheinlich vergesse ich einfach nur nie, dass wir Vampire zwar tot, aber immer noch schmerzempfindlich sind. Jedenfalls die meisten von uns..."

"Schon Scheiße."

"Wem sagst du das, Alter!"

Chase kannte Stoney schon eine halbe Ewigkeit. Stoney war ein guter Kumpel, dem er dummerweise noch einen Gefallen schuldig war. Und deswegen hatte er ihn in dieser Nacht hier her mitgenommen.

"Du hast gesagt, heute Nacht gibt's noch richtig Remmidemmi!", meinte Stoney.

"Maul nicht rum, Stoney."

"Ja, war das nun alles nur Gelaber oder kommt da noch was! Ein richtiges Gemetzel mit allem drum und dran hast du mir versprochen!"

"Ja, kriegst du auch noch!"

"Solltest du nicht einen abmurksen?"

"Komm, sei still!"

Chase ließ den Blick schweifen. Er rüttelte kurz an dem etwa zwei Meter fünfzig hohen Drahtzaun, der das Gelände des alten Navy Yards von New York  abgrenzte. Seit die Navy sich aus dem Big Apple zurückgezogen hatte, war der ehemalige Marinehafen eine Art Industriebrache. Die Anlagen rosteten vor sich hin. Jemanden zu finden, der der Bundesregierung in Washington das Gelände abkaufen und es einer neuen Nutzung zuführen würde, war nicht so einfach. Wer wollte schon im wahrsten Sinn des Wortes einen Haufen Schrott kaufen, unter dem sich dann vermutlich noch alle möglichen Altlasten verbargen?

Seit Jahren schon war der Navy Yard eine Art Niemandsland im Norden Brooklyns.

Aber seit kurzem hatten sich hier ein paar neue Bewohner breit gemacht, die der hässliche Anblick, den das Gelände bei Tage bot, schon deshalb nicht störte, weil sie nachtaktiv waren.

Vampire wie Chase und Stoney waren sie.

Nur, dass sie hier im Big Apple nichts zu suchen hatten. Darum hatte Fürst von Radvanyi, der uralte Herr der New Yorker Vampire, Chase den Auftrag gegeben, sie zu eliminieren.

Da die Fremden zu dritt waren, konnte Chase durchaus etwas Hilfe gebrauchen. Außerdem hatte Stoney eine sehr praktische Fähigkeit. Er konnte die Anwesenheit anderer Vampire auf eine Distanz von mehreren hundert Metern hinweg spüren. Auf diese Weise brauchte Chase nicht das ganze Navy Yard-Gelände abzusuchen.

"Da hinten ist ein Loch im Zaun!", meinte Stoney und deutete mit dem ausgestreckten Arm an eine Stelle, die nur ein paar Meter entfernt war.

"Da zwängen wir uns nicht durch!", erwiderte Chase.

Er holte eine Kette aus der Satteltasche. Er schlang sie erst durch den Gepäckbügel hinten an der Maschine und dann um einen der Metallpfosten, die den Drahtzaun hielten.

Er schloss die Enden zusammen. Dann setzte er sich auf den Bock und ließ die Harley aufheulen. Die Maschine brauste los, riss den Zaun zu Boden.

Chase bremste, löste die Kette wieder und steckte sie zurück an ihren Ort.

Stoney war sichtlich beeindruckt.

"Alle Achtung!", meinte er. "Deine Maschine hat wirklich einiges im Tank!"

"Ja, und so ein Zaun, der mitten über eine Straßenzufahrt führt hat mich sowieso immer gestört!"

Chase drehte die Harley herum und knatterte über den niedergerissenen Zaun drüber. "Los, komm schon!", rief er Stone zu. Der ließ sich nicht zweimal bitten und fuhr hinterher.

"Tut den Reifen aber nicht gut!", meinte er.

"Dann nimmst du die falsche Sorte, Stoney!"

"Sehr witzig! Und wie geht's jetzt weiter?"

"Deiner Nase nach, Stoney!"

"Okay!"

Stoney brauste voran. Chase fuhr mit seiner Harley hinterher. Chase hoffte nur, dass auf Stoneys besondere Fähigkeiten in diesem Fall auch Verlass war. Sie rasten in einem Höllentempo an einigen vor sich hin rostenden Kränen vorbei. Gleise führten direkt bis zu den Piers. Sie fuhren zwischen zwei Lagerhallen hindurch und erreichten schließlich einen Punkt, von dem aus man einen freien Blick auf den East River hatte. Auf der anderen Seite leuchteten die Lichter von Manhattan. Der Navy Yard war vermutlich einer dunkelsten Punkte des Big Apple. Der Mond stand als großes, fahles Oval am Himmel. Und im Gegensatz zu anderen Standorten in New York City, an denen die Neonlichter die Nacht zum Tag machten, konnte man hier die Sterne sehen.

In der Nähe der Kaimauer lag eine Leiche.

Immer wieder schlugen Obdachlose ihr Lager im alten Navy Yard auf.

Diesem hier war das zum Verhängnis geworden.

Eine Blutlache ergoss sich neben ihm, rann den abschüssigen Asphalt entlang.

Die Kehle des Mannes war zerrissen.

Auf seiner Brust saßen zwei ungewöhnlich große Ratten. Pechschwarz waren sie. Jede von ihnen hatte sich an einer bestimmten Stelle in den Leichnam hinein gebissen. Eine an der Kehle, die andere in Höhe der Bauchschlagader. Das Blut schoss in Strömen heraus. Schlürfende Geräusche waren zu hören.

Die herannahenden Motorräder ließen die beiden Ratten aufblicken.

Aber sie flüchteten nicht.

Im Mondlicht war zu sehen, dass außer ihren typischen Nagezähnen noch zwei andere Zahnpaare aus ihrem Mund herauswuchsen. Langgezogene Vampirzähne, von denen das Blut tropfte. Chase stieg von seinem Motorrad.

Stoney folgte seinem Beispiel.

"Das sind sie!", meinte er.

"Deine Nase hat dich nicht getrogen!", erwiderte Chase und holte seine Schrotpistole unter der Lederjacke hervor.

Er feuerte.

Und erwischte eine der Ratten voll.

Ein schrilles Kreischen ertönte.

Die Ratte war nur noch ein blutiges Stück Fleisch, dass sich über den Asphalt kugelte, schließlich liegen blieb und dann...

Die Verwandlung setzte ein.

Der Rattenkörper dehnte sich aus, veränderte sich. Menschliche Arme und Beine wurden geformt. Haut, Haare, Kleidung...

Ein Albino mit weißen, stachelig zur Seite stehenden Haaren und roten Augen kauerte sich aus dem Asphalt. Er trug einen langen, schwarzen Ledermantel. Das weiße Hemd darunter war blutig.

Er stieß einen Knurrlaut aus.

"Hey, mach ihn alle, bevor er sich wieder erholt hat!", meinte Chase an Stoney gewandt.

Stoney hatte inzwischen eine High Tech-Armbrust aus den Satteltaschen seiner Kawasaki hervorgeholt und die Waffe mit einem Holzpflock-Geschoss bestückt. Vor seiner Konvertierung war er nämlich als Vampir-Jäger tätig gewesen. "Ich hoffe, das Ding ist inzwischen nicht eingerostet!", murmelte er.

Der Albino hatte sich gerade halb aufgerichtet.

Er musste ein ziemliches Loch in der Bauchgegend haben.

Aufstöhnend presste er die Hand gegen den Körper.

Rot rann es ihm zwischen den Fingern hindurch.

Seine Augen traten hervor. Die rote Farbe der Iris breitete sich aus, erfüllte nun das ganze Auge. Das Gesicht verzog sich zu einer Grimasse des Schmerzes und der Wut. Die bluttriefenden Vampirzähne traten deutlich hervor.

"Sorry, dass wir dich bei der Mahlzeit stören mussten!", grinste Stoney und drückte ab.

Aber Stoney war wohl etwas aus der Übung.

Der Pflock traf nicht das Herz, sondern fuhr dem Albino in den Mund.

Das etwa einen Fuß lange Stück verschwand fast gänzlich im Mund und ragte am Hals mit der blutigen Spitze wieder heraus. Die unglaubliche Wucht des Geschosses riss den Albino zurück, nagelte ihn förmlich auf den Asphalt. Er konnte nicht schreien, stöhnte nur unterdrückt.

"Scheiße", sagte Stoney. "Ich hätte zwischendurch mal trainieren müssen."

Chase ballerte inzwischen auf die andere Ratte.

Aber die war gewarnt und schnellte zur Seite. Allerdings wartete sie damit, bis Chase abdrückte. Es machte den Anschein, als ob sie genau wusste, dass eine panische Flucht das schlechteste Mittel war, um einem Schuss auszuweichen. Sie wartete den Moment ab, in dem Chase feuerte, um dann mit blitzartiger Schnelligkeit zur Seite zu weichen. Eine Schnelligkeit, die jedes natürliche Maß überschritt.

Nein, das ist niemals eine normale Ratte!, durchzuckte es Chase.

Man brauchte kein Zoologe zu sein, um zu wissen, dass ein Tier sich nicht so verhielt.

Der Schuss fetzte in den Körper des am Boden liegenden Sterblichen hinein, während die Ratte ein paar Meter weiter huschte. Sie hütete sich davor, ihre menschliche Vampir-Gestalt anzunehmen. Denn als Ratte war sie nur ein kleiner Schatten, fast unsichtbar dort, wo das Mondlicht nicht hinreichte.

Stoney hatte inzwischen den zweiten Pflock eingelegt.

"Schieß auf die Ratte!", rief Chase. "Der Albino ist im Moment sowieso kampfunfähig!"

Stoney schoss.

Der Pflock ging daneben.

Die Ratte war weg.

"Verdammte Kacke!", murmelte Stoney.

"Hinterher, den kriegst du noch!"

Stoney schwang sich auf die Kawasaki, brauste dorthin, wo er die Ratte zuletzt gesehen hatte. Irgendwo in der Nähe eines ehemaligen Depot-Gebäudes, das seit dem Abzug der Navy leer stand, war das graue Biest verschwunden. Stoney bremste, blickte sich um.

Er nahm die Armbrust, legte einen neuen Pflock ein.

Unter seiner Fransenjacke ragte der untere Teil eines Futterals hervor, in dem eine Machete steckte. Wenn es hart auf hart ging, konnte er seinem Gegner auch damit ein Ende setzen. Auf der anderen Seite trug er unter der Jacke verborgen ein Schulterholster, in dem ein Colt Magnum Kaliber .45 steckte.

Unter anderem gut als Türöffner zu gebrauchen.

Stoney war überzeugt davon, dass die Ratte durch eine der zahllosen Ritzen und Löcher in den Wänden des Depots verschwunden war.

Er ging zum Haupttor, sprengte das Schloss mit einem gezielten Schuss aus dem 45er auf. Die Kugel riss ein fast faustgroßes Loch in das weiche Metall hinein. Dann steckte er die Waffe wieder weg und schob mit der Linken das Tor soweit auf, das er hindurchgehen konnte. Die Schiebevorrichtung war ziemlich verrostet. Selbst für einen nicht gerade schwachen Vampir war das anstrengend. Für die letzten Zentimeter benutzte Stoney den Fuß.

Chase kümmerte sich inzwischen um den Albino.

Er beugte sich über ihn.

"Wer hat euch geschickt, Ratte?", knurrte er.

Aus dem Mund des Albinos kam nur ein heiseres Röcheln.

Und Blut.

"Wirklich Scheiße, dass du im Moment nicht sprechen kannst!", meinte Chase. "Aber ich habe auch keine Lust, darauf zu warten." Er hätte dem Albino mit einem Schuss aus seiner großkalibrigen Schrotpistole den Kopf mehr oder minder wegblasen können. Aber ihm war klar, dass er einige Abpraller abkriegen konnte, wenn er gegen den Asphalt schoss. Und sowas tat weh. Also steckte er die Pistole weg, nachdem er sie nachgeladen hatte und holte das lange Hiebmesser hervor, das er üblicherweise benutzte.

Ein saftiger Hieb und der Kopf des Albino-Vampirs wurde vom Rumpf getrennt.

Der Albino war wohl nicht besonders alt.

Jünger jedenfalls, als der Bleichling aussah.

Jedenfalls zerfiel er nicht sofort, sondern rottete innerhalb einer halben Minute vor sich hin, zerfiel langsam. Ein ekelerregender Geruch verbreitete sich. Der Gestank der Verwesung. Das Fleisch fiel von den Knochen. Der Albino mutierte zu einem madenzerfressenen Leichnam, der aussah wie frisch exhumiert, ehe er endlich zu Staub zerrieselte.

Das hätten wir!, dachte Chase zufrieden. Wie schön, wenn man einen interessanten Job hat!

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Chase folgte Stoney