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Der ehemalige Mathematik- und Physiklehrer Mark Cheverton begann mit dem Schreiben, um seinem Sohn die Gefahren von Cyberbullying anhand seines Lieblingsthemas zu erklären: Minecraft. Mittlerweile umfasst die Gameknight999-Serie 18 Titel und ein Ende ist noch nicht in Sicht.

DANKSAGUNG

Ich bedanke mich bei meiner Familie für ihre andauernde Unterstützung und ihr Verständnis, wenn ich mal wieder unbedingt morgens um vier Uhr, nachts oder jede freie Minute am Wochenende schreiben muss. Ohne euch hätte es diese Bücher nie gegeben.

Außerdem danke ich Sara Klock, die vom ersten Tag an immer wieder voller Begeisterung hinter mir gestanden hat. Ihr Enthusiasmus und ihre Energie waren ansteckend und haben mich beflügelt.

Weiterer Dank geht an die großartigen Mitarbeiter von Skyhorse Publishing. Ihr unermüdlicher Einsatz inspiriert mich und lässt mich auch dann noch weiterschreiben, wenn ich eigentlich völlig erschöpft bin.

Zu guter Letzt bedanke ich mich natürlich bei all meinen Lesern. Es macht mich glücklich, dass ihr Gameknight999, Monet113, Crafter, Hunter und Stitcher so sehr mögt und eure Fantasie von ihnen anregen lasst. Lest munter weiter, denn es werden noch viele Abenteuer kommen … und nehmt euch vor Creepern in Acht!

„Wir haben die schmale Linie zwischen Kindheit und Erwachsensein erst dann überschritten, wenn wir von der passiven in die aktive Stimme gewechselt sind – wenn wir also nicht mehr sagen ‚Es ist weg‘, sondern ‚Ich habe es verloren.‘“

Sydney J. Harris

INHALT

Cover

Der ehemalige Mathematik

Titelblatt

Impressum

Danksagung

Zitat

Inhalt

Was ist Minecraft?

Kapitel 1: Zischender Schurke

Kapitel 2: Crafters Plan

Kapitel 3: Herobrines Verwandlung

Kapitel 4: Überraschungsangriff

Kapitel 5: Brüder und Schwessstern

Kapitel 6: Die Suche nach seinem Erzfeind

Kapitel 7: Grossneffe Builder

Kapitel 8: Shaikulud

Kapitel 9: Das Netz der Spinne

Kapitel 10: Der Vater

Kapitel 11: Die Festung

Kapitel 12: Die Bibliothek

Kapitel 13: Der Schwarm

Kapitel 14: Schlüpflinge

Kapitel 15: Willkommen im Dschungel

Kapitel 16: Wolfsmann

Kapitel 17: Das Orakel

Kapitel 18: Die Waffe

Kapitel 19: In der Klemme

Kapitel 20: Kampf um den Dschungeltempel

Kapitel 21: Freiheit für die Marionetten

Kapitel 22: Ein einziger Pfeil

Kapitel 23: Herobrine

Kapitel 24: Gameknight999 wehrt sich

Kapitel 25: Donnergrollen

Kapitel 26: Über das Meer

Minecraft-Seeds

Vorschau auf „Das letzte Gefecht an der Meereskuste“

Nachwort des Autors

WAS IST MINECRAFT?

Minecraft ist ein ausgesprochen kreatives Spiel, das entweder online mit Menschen aus der ganzen Welt, mit Freunden oder allein gespielt werden kann. Ich habe seit langer Zeit kein Computer- oder Videospiel mehr erlebt, bei dem man seine Kreativität derart ausleben kann. Dieses Sandbox-Spiel ermöglicht es den Spielern, mit texturierten Blöcken alles zu bauen, was sie sich ausdenken. Natürlich bauen die meisten zuerst eine Burg … Das scheint ein Initiationsritual in Minecraft zu sein. Aber sie merken schnell, dass die normalen physikalischen Regeln in dieser digitalen Landschaft außer Kraft gesetzt sind. Im Kreativmodus kann man schwebende Städte, Brücken ins Nichts oder ein Unterwasserdorf aus Glas bauen (das unter anderem auf dem Server meines Sohnes zerstört wurde!). Ich habe schon gewaltige verzierte Wendeltreppen gesehen, die sich von der Grundsteinebene bis hinauf zur Baugrenze auf Ebene zweihundertfünfundfünfzig erstreckten, sowie riesige Raumstationen, die am Himmel schwebten und mehrere Hundert Blöcke breit und lang waren. Im Grunde genommen ist alles möglich, solange man sich an die beiden wichtigsten Regeln hält: 1. Alles besteht aus Blöcken! 2. Du kannst alles bauen! Gameknight und ich haben beispielsweise mithilfe der erweiterten Weltoptionen ein Creepergefängnis erschaffen.

Das kreative Potenzial von Minecraft ist wirklich sehr beeindruckend, und man kann sich im Kreativmodus so richtig austoben. Das eigentliche Spiel findet allerdings im Überlebensmodus statt. Dabei werden Spieler mit nichts als ihren Kleidern am Leib in einer blockartigen Welt ausgesetzt. In der Gewissheit, dass irgendwann die Nacht anbrechen wird, sammeln sie Ressourcen wie Holz, Stein, Eisen usw., um Werkzeuge und Waffen herzustellen und sich damit gegen die Monster zu verteidigen, die bei Einbruch der Dunkelheit hervorkommen.

Um Ressourcen zu erlangen, muss der Spieler Minen graben und tief in die Welt von Minecraft vordringen, in der Hoffnung, Kohle und Eisen zu finden, die beide für die überlebensnotwendigen Metallwaffen und -rüstungen gebraucht werden. Beim Graben stoßen sie auf Höhlen, mit Lava gefüllte Kammern und möglicherweise auch auf eine der wenigen verlassenen Minen oder Verliese, in denen sich Schätze finden lassen. Doch viele der Wege und Kammern sind von Monstern (Zombies, Skeletten und Spinnen) bevölkert, die nur darauf warten, sich auf Unachtsame zu stürzen.

Das Land mag voller Monster sein, aber der Benutzer ist nicht allein. Es gibt riesige Server mit Hunderten oder sogar Tausenden von Spielern, die sich alle den Platz und die Ressourcen mit anderen Kreaturen in Minecraft teilen. Auf diesen Servern kann man unterschiedlichste Spieltypen ausprobieren – von Minispielen über Spleef (mein Lieblingsmodus) bis hin zu PvP (kann ich überhaupt nicht), Fraktionen, dem Überlebens- oder Kreativitätsmodus usw. Es ist wirklich erstaunlich, was schon alles in Minecraft erschaffen wurde, und diese unglaubliche Anzahl an Servern beweist wieder einmal, welche Möglichkeiten fantasiebegabte und kreative Spieler in Minecraft haben.

Dieses Spiel ist eine beeindruckende Plattform für kreative Menschen, die gern etwas bauen und erschaffen, aber sie sind dabei nicht auf Gebäude beschränkt. Mit einem Material namens Redstone können die Benutzer elektrische Schaltkreise innerhalb des Spiels anlegen und so beispielsweise Kolben und andere Geräte antreiben und komplexe Maschinen aufbauen. Auf diese Weise wurden bereits Musikanlagen, funktionsfähige 8-Bit-Computer und raffinierte Minispiele in Minecraft erschaffen, die alle mithilfe von Redstone realisiert wurden. Dank der Einführung der Befehlsblöcke mit Version 1.4.2 ist es außerdem möglich, Spielmechaniken über Skriptfunktionen zu steuern, woraufhin auf der ganzen Welt völlig neue Minecraft-Programme entstanden, die noch ausgeklügeltere Spielmechaniken ermöglichen.

Das Schöne und Brillante an Minecraft ist, dass es sich nicht nur um ein Spiel handelt, sondern um ein Betriebssystem, das seinen Benutzern gestattet, eigene Spiele zu programmieren und sich auf neue, bisher nie in Minecraft da gewesene Art zu entfalten. Dank der vielen Updates, die Mojang ständig produziert, entwickelt sich das Spiel unaufhörlich weiter und wird immer besser. Die kreativen Programmierer bei Mojang haben die Möglichkeiten der Befehlsblöcke erweitert, sodass inzwischen Spiele wie Missile Wars (was ich sehr mag) und der Klassiker Cake Defense (ein weiterer meiner Favoriten) nachgebaut wurden. Wenn ihr sie noch nicht getestet habt, dann solltet ihr das schleunigst nachholen, denn es macht sehr viel Spaß, sie zusammen mit Freunden zu spielen. Mit Vollversion 1.8 (Bountiful Update) kamen weitere coole Funktionen hinzu … Mir gefallen das Ozeanmonument, die Wächter und die Kaninchen am besten.

Minecraft ist nicht nur ein Spiel, ein Betriebssystem oder eine Programmierumgebung, es ist so viel mehr. Im Grunde genommen entspricht es einer nackten Leinwand, die sich in alle Richtungen erstreckt und auf der man seiner Fantasie freien Lauf lassen kann.

Was wirst du erschaffen?

KAPITEL 1

ZISCHENDER SCHURKE

Der silbrige Nebel wirbelte um Gameknight999 herum, als er durch das eintönige Terrain schritt. Die Umrisse von blockartigen Bäumen waren schwach durch die Schwaden zu erkennen, aber sobald er sich ihnen näherte, schienen sie sich stets aufzulösen und in Rauch zu verwandeln.

Er drehte sich einmal im Kreis und schaute sich um. Überall bot sich ihm derselbe Anblick: Silbriger Nebel verhüllte die Landschaft. Nach und nach konnte Gameknight999 weitere Formen ausmachen … hier noch ein Baum … da ein grasbewachsener Hügel … doch jedes Mal verschwanden die Dinge, sobald er sich näherte.

Das war seltsam, aber auch irgendwie vertraut. Er kannte das bereits … nicht dieses Land mit den sich auflösenden Bäumen und den nichtexistenten Hügeln, sondern den silbrigen Nebel. Die Erinnerung schien sich Bahn brechen zu wollen, allerdings lauerte darin noch etwas anderes … etwas, vor dem er sich fürchtete.

„Was ist das für ein Ort?“, fragte er laut, obwohl niemand da war. „Es ist beinahe so, als wäre ich schon einmal hier gewesen …“

Auf einmal wusste er Bescheid: Dies war das Land der Träume. Als er zum ersten Mal in Minecraft hineingezogen worden war, als er seine Freunde Crafter, Hunter und Stitcher kennengelernt hatte … da war er auch an diesen merkwürdigen Ort gekommen. Crafter hatte ihn als Land der Träume bezeichnet und gesagt, Gameknight999 wäre ein Traumwandler; jemand, der bewusst durch das Land der Träume wandeln könne. Dies war der Ort, den man aufsuchen konnte, wenn man nicht wach, aber auch nicht fest eingeschlafen war, und an dem Albträume real wurden …

Er starrte in den Nebel und hielt Ausschau nach den leuchtenden Augen seiner alten Erzfeinde Erebus und Malacoda. Sie hatten den Angriff auf Minecraft angeführt und versucht, die Quelle zu zerstören, von der sämtlicher Minecraft-Code ausging. Gemeinsam mit den NPCs der Oberwelt hatte er den Ansturm der Monster zurückgeschlagen und Minecraft ebenso wie alles digitale Leben darin gerettet. Doch jetzt war er wieder hier … und dieses Mal mit seiner Schwester.

Plötzlich drang ein Zischen durch den Nebel zu ihm herüber. Er drehte sich um, sah zu Boden und rechnete damit, eine Schlange vor sich zu haben. Aber das war albern, denn in Minecraft gab es keine Schlangen.

Bei seinem letzten Besuch im Land der Träume hatte er um sein Leben gekämpft und es mit Erebus, dem König der Endermen, zu tun bekommen. Dabei hatte er beinahe das Leben verloren, jedoch mithilfe seiner Freunde siegen können. Sie waren jetzt allerdings nicht bei ihm, und er spürte, dass hier noch jemand war …

Zischschsch.

Da war es wieder!

Er wollte sein Schwert aus dem Inventar ziehen, stellte jedoch fest, dass er es nicht bei sich hatte. Da fielen Gameknight zwei weitere Dinge ein, die er über das Land der Träume wusste. Erstens: Es war eine Traumwelt, und in diesem nebligen Reich wurde alles real, was man sich vorstellte. Er schloss die Augen und dachte an seinen Lieblingsbogen, der mit Schlag II, Stärke IV und Unendlich verzaubert war. Schon hielt er den Bogen in der Hand, der von schillernden Lichtwellen umgeben war. Die magische Waffe leuchtete blau und ermöglichte es Gameknight, etwas weiter zu sehen … gut so. Außerdem wusste er, dass im Land der Träume zwar alles traumartig aussah, jedoch real war und einem durchaus schaden konnte. Beim letzten Kampf gegen Erebus hatte der böse Enderman am eigenen Leib erfahren müssen, dass man wirklich starb, wenn man im Land der Träume getötet wurde. Aus diesem Grund war es hier ausgesprochen gefährlich.

Zischschsch.

Während er in den silbrigen Nebel starrte, schien sich dort etwas zu materialisieren. Es war nicht wirklich eine Gestalt, eher eine Farbe … Lila. Ein einzelner lilafarbener Punkt erschien … dann ein zweiter und ein dritter, bis schließlich viele leuchtende Punkte im Nebel schwebten.

Was ist das?, fragte sich Gameknight.

Er machte einen Schritt darauf zu und wappnete sich für einen Angriff. Kaum hatte er daran gedacht, trug er auch schon eine Diamantrüstung, deren kristalline Oberfläche ebenfalls schimmerte, weil sie verzaubert war. Während er weiterging, wurde das Zischen immer lauter … bis er komplett von den lilafarbenen Lichtpunkten umgeben war.

Sie wurden heller.

Sind das etwa meine alten Erzfeinde Malacoda oder Erebus, die wieder zum Leben erwacht sind?, fragte sich Gameknight. Nein, das kann nicht sein.

Dann blinzelte einer der Flecken … Es waren Augen … Spinnenaugen!

Sie wurden noch heller, als das Monster einen Schritt auf Gameknight zu machte, doch sie strahlten nicht nur Licht aus, sondern auch … Hass. Das Wesen, dem diese Augen gehörten, hasste Gameknight mit jeder Faser seines Wesens, und er konnte spüren, dass es ihn auf der Stelle vernichten würde, wenn sich ihm die Gelegenheit bot.

„So lerne ich den Benutzer-der-kein-Benutzer-issst also endlich kennen“, sagte eine Stimme aus dem Nebel.

„Zeig dich, Monster!“, rief Gameknight.

„Wenn wir bereit sssind“, erwiderte die Spinne. „Warum kommssst du nicht näher und nimmssst unsss in den Arm?“

Das schreckliche Zischen des Monsters bewirkte, dass Gameknight eine Gänsehaut bekam.

Im nächsten Moment klackerte es auch noch mit seinen Mundwerkzeugen.

„Ich warte schon ssseit hundert Jahren darauf, dich kennenzulernen, Benutzer-der-kein-Benutzer-issst“, fuhr das Monster fort. „Komm, machen wir unsss miteinander bekannt.“

„Bleib mir vom Leib, Bestie!“

Er schoss einen Pfeil auf die lilafarbenen Augen, aber der ging einfach durch die Stelle hindurch, an der sich der Kopf des Monsters befinden müsste, als wäre dort bloß Luft. Gameknight hörte, wie sein Pfeil in einiger Entfernung zu Boden fiel, ohne die Spinne verletzt zu haben.

„Ha, ha, ha, dassss war sssüß“, spottete die Spinne. „Danke für dasss Geschenk. Nun möchte ich mich aber erssst einmal vorssstellen: Ich bin Shaikulud, die Königin der Ssspinnen, und schon bald werde ich dich vernichten.“

Das Klackern der Mundwerkzeuge wurde lauter, je näher sie kam. Gameknight hörte die rasiermesserscharfen Klauen am Ende jedes ihrer acht Beine über den Boden schaben, wenn sie sich bewegte. Doch sie war weiterhin nicht zu sehen.

„Der Schöpfer hat mir befohlen, dich und deine Freunde zu zerssstören. Sssobald du nicht mehr existierssst, werden meine Kinder Minecraft übernehmen und die NPCsss ein für alle Mal vernichten. Wir werden die Welt, die für unsss bessstimmt war, mit der Hilfe der Grünen zurückerobern.“

Gameknight zog den nächsten Pfeil und zielte auf eins der hasserfüllten Augen. Doch auch dieser Pfeil flog zwar geradewegs auf sein Ziel zu, sauste dann jedoch hindurch, als wäre dort nichts als Rauch.

„Ha, ha, ha … Dasss hat gekitzelt“, keckerte Shaikulud. „Du musssst deinen armssseligen Widerssstand einssstellen und zu mir kommen, damit ich dich vernichten kann.“

Mit einem Mal waren rings um ihn herum klackernde Geräusche zu hören. Gameknight999 spähte in den Nebel und stellte fest, dass sich überall rote Spinnenaugen materialisierten, in denen ebenfalls unbändiger Hass loderte. Er schoss einen Pfeil nach dem anderen auf die Augen ab, aber nichts geschah. Die Pfeile flogen einfach hindurch, als würde er nur auf Schatten schießen. Er wandte sich wieder Shaikulud zu, ließ seinen Bogen fallen und streckte seine rechte Hand aus. Augenblicklich materialisierte sich darin ein schimmerndes Diamantschwert.

„Wenn du mich willst, dann musst du schon herkommen und mich holen, Spinne.“

„Allesss zu ssseiner Zeit, Benutzer-der-kein-Benutzer-issst. Vorerssst können sssich meine Töchter ein bisssschen mit dir amüsssieren.“ Shaikulud hob die Stimme, sodass sie durch das ganze Land der Träume hallte. „Meine Kinder … Attacke!“

Gameknight hörte, dass die Spinnen von allen Seiten auf ihn zugelaufen kamen. Wenn er hierblieb, würden sie ihn vernichten. Daher machte er sich nicht etwa kampfbereit, sondern ließ das Schwert sinken und schloss die Augen. Dann nahm er seine ganze Geisteskraft zusammen und rief, so laut er konnte: „WACH AUF … WACH AUF … WACH AUF!“

KAPITEL 2

CRAFTERS PLAN

Gameknight setzte sich ruckartig auf. Er griff in sein Inventar und zog sein Schwert, während er aufstand, um sich auf den bevorstehenden Spinnenangriff vorzubereiten.

„Stehst du immer so auf?“, fragte jemand in seinem Rücken.

Er drehte sich um und stand seiner Freundin Hunter gegenüber.

Sie kam auf ihn zu und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Der Morgen dämmerte, und die ersten goldenen Sonnenstrahlen drangen durch das Blätterdach. Hunters lockige rote Haare schienen in diesem Licht fast schon zu glühen, und kurz sah es so aus, als wäre sie von einer magischen purpurfarbenen Aura umgeben. Doch dann wanderte die Sonne höher, das Licht änderte sich und der magische Augenblick war vorüber.

„Geht es dir gut?“, erkundigte sie sich.

Gameknight blickte auf sein schimmerndes Diamantschwert herab und schaute dann in Hunters warme braune Augen. Er konnte ihr ansehen, dass sie besorgt war, und er wusste, dass sich seine Panik in seinem Gesicht widerspiegelte. Vorsichtig steckte er das Schwert weg und nahm die Umgebung in Augenschein. Sie hielten sich in ihrem behelfsmäßigen Lager mitten im Wald auf, in dem sie sich vor Herobrine und seiner Zombiehorde versteckten. Rings um das Lager standen Holzbarrikaden, die sie bei Anbruch der Nacht errichtet hatten, um die Monster fernzuhalten. In den Baumwipfeln waren Bogenschützen zu erkennen, die wachsam nach Bewegungen im Wald Ausschau hielten.

Sie wurden nicht von Spinnen angegriffen. Er hatte das bloß geträumt. Aber vielleicht war es ja doch mehr gewesen …

„Was ist los, Gameknight?“ Hunter zupfte an seinem Ärmel. „Würdest du mir bitte verraten, was passiert ist? Gibt es …“

„Das Land der Träume“, unterbrach er sie mit zittriger Stimme.

Hunter verstummte augenblicklich. Sie konnte ebenfalls durch das Land der Träume wandeln, genau wie ihre kleine Schwester Stitcher. Sie waren alle drei Traumwandler – eine Seltenheit in Minecraft.

„Was hast du gesehen?“, hakte sie leise nach und trat noch näher an ihn heran. „Doch nicht etwa Erebus oder Malacoda?“ Mit einem Mal wirkte sie ängstlich, als sie die Namen ihrer alten Feinde aussprach.

„Nein“, antwortete Gameknight. „Ewas anderes. Eine Spinne namens Shaikulud.“

„Hast du gerade Shaikulud gesagt?“, fragte jemand hinter ihm.

Gameknight drehte sich um und stellte fest, dass ein Junge mit schulterlangem blondem Haar näher kam, der mit seinen strahlend blauen Augen direkt in seine Seele zu blicken schien. Darin lag eine alterslose Weisheit, als hätten sie Minecraft schon Jahrzehnte länger gesehen, als es eigentlich existierte. Wie alle Dorfbewohner trug auch der Junge eine Robe, die ihn vom Hals bis zu den Fußknöcheln bedeckte, jedoch war seine schwarz und hatte einen grauen Streifen in der Mitte. Sie zeigte seine Position in der Gesellschaft an: Er war der Dorf-Crafter.

Außerdem war Crafter Gameknights bester Freund in Minecraft. Er war der Anführer des Dorfes gewesen, als Gameknight vom Digitalisierer, der Erfindung seines Vaters, vollständig ins Spiel versetzt worden war. Hier war Minecraft weitaus mehr als nur ein Spiel, und aus Gameknight war der Benutzer-der-kein-Benutzer-ist geworden. Sein Benutzername schwebte genau wie bei allen Benutzern über seinem Kopf, aber er hatte keinen schimmernden Serverfaden, der sich in den Himmel erstreckte und ihn mit dem Server verband. Das lag daran, dass sich Gameknight999 im Server befand. Er sah aus wie ein Benutzer, war aber ohne Serverfaden keiner, sondern etwas anderes …

„Welchen Namen hast du gerade gesagt, Benutzer-der-kein-Benutzer-ist?“, wiederholte Crafter.

„Sie hat sich Shaikulud genannt“, antwortete Gameknight.

Crafter wurde kreidebleich.

„Erzählst du uns auch, was das bedeutet?“, verlangte Hunter.

Obwohl Crafter wie ein Kind aussah, war er tatsächlich einer der ältesten NPCs (nicht-spielbaren Charaktere) in Minecraft. Bei Gameknights erstem Abenteuer als Benutzer-der-kein-Benutzer-ist hatten Crafter und er es mit einer riesigen Monsterarmee zu tun bekommen und selbst eine Armee aus Benutzern angeführt. Bei diesem Kampf war Crafter, damals noch alt und grauhaarig, umgekommen, doch er hatte genug Erfahrungspunkte gesammelt, um auf der nächsthöheren Serverebene wiederbelebt zu werden, wo er sich im Körper des Jungen wiedergefunden hatte, der er bis heute war. Als ältester NPC von Minecraft wusste er allerdings sehr, sehr viel über dessen Geschichte und Überlieferungen.

„Der Name Shaikulud reicht weit in die Geschichte von Minecraft zurück“, erklärte Crafter.

„Was?“, mischte sich eine weitere Stimme ein – die von Gameknights Schwester Monet113.

Sie kletterte gerade mit ihrem Bogen in der Hand eine Leiter aus den Baumwipfeln herunter. Im orangefarbenen Leuchten des Sonnenaufgangs sah ihr mitternachtsblauer Skin aus wie ein Schatten. Die hellblauen Streifen auf ihrer Vorderseite vermischten sich mit weißen Flecken auf Brust und Rücken und waren der einzige Hinweis darauf, dass sie keine dunkle Erscheinung aus einem Albtraum war. Ihre hellgrünen Augen strahlten, als sie liebevoll auf ihren Bruder herabblickte. Aber das Auffälligste an ihr waren ihre Haare, diese fluoreszierend blauen Locken, die ihr über die Schultern und den Rücken fielen und einen starken Kontrast zu ihrer dunklen Haut bildeten. Dass Monet Farben liebte, war ihr anzusehen, doch dadurch fiel sie Spähern umso leichter auf.

„Sch“, wies Gameknight seine Schwester zurecht und bat Crafter dann: „Bitte sprich weiter.“

„Wie ich gerade sagte, wurde der Name Shaikulud schon früh in der Geschichte von Minecraft erwähnt. Meine Urgroßtante Brewer hat uns von einer uralten Kreatur erzählt, die durch die Dschungel von Minecraft streift und ein uraltes Geheimnis bewacht.“

„Was denn für ein Geheimnis?“, fragte Monet und rieb sich den Schlaf aus den Augen.

„Das weiß keiner“, gab Crafter zu. „Ich erinnere mich nur noch, dass mir Brewer erzählt hat, Shaikulud wäre von einem bösen Geschöpf gecraftet worden und würde eines der ältesten Geheimnisse in Minecraft beschützen.“

„Das klingt ja aufregend“, meinte Monet und erntete einen wütenden Blick von Hunter. „Was denn?“

„Wir müssen konzentriert bleiben und dürfen uns nicht durch unnötige Abenteuer ablenken lassen“, entgegnete Hunter, die ganz genau wusste, wie impulsiv Monet sein konnte.

Auf einmal hallte das Jaulen von Wölfen durch die Luft. Den Freunden war bereits aufgefallen, dass ungewöhnlich viele Wölfe zu sehen waren, doch diese griffen nicht an und blieben stets außer Sicht. Herder, einer der NPCs, die sie begleiteten, war losgezogen, um die Tiere zu ihnen zu holen. Als Hüter der Tiere wollte Herder jedes einzelne Tier beschützen, aber die Wölfe brauchten seinen Schutz eigentlich nicht. Nachdem sie sich mit Herder angefreundet hatten, bewachten die Wölfe vielmehr die NPCs und hielten nach Monstern Ausschau.

In diesem Augenblick lief Herder an ihnen vorbei und in die Richtung, aus der das Heulen gekommen war. Er sprang über die hölzerne Barrikade, verschwand im Wald und machte sich auf die Suche nach den scheuen Tieren.

Jemand lachte.

„Da zieht der Wolfsmann wieder los“, sagte einer der NPCs.

„Hoffentlich bringt er dieses Mal welche mit“, setzte ein anderer hinzu.

Wolfsmann war der neue Name, mit dem die meisten NPCs Herder nun ansprachen. Früher waren sie über den Jungen hergezogen, hatte ihn als Schweinejungen beschimpft und tyrannisiert. Aber nachdem er sie auf den Stufen zur Quelle gerettet hatte, indem er mit einem riesigen Wolfsrudel aufgetaucht war, hatten die NPCs begriffen, dass seine Andersartigkeit etwas Positives war, über das man nicht spotten durfte. Inzwischen waren er und seine Wölfe allseits beliebt.

„Erzähl weiter, Crafter“, verlangte Hunter.

„Ach ja“, murmelte der NPC. „Jedenfalls war diese Shaikulud eine äußerst gefährliche Kreatur. Urgroßtante Brewer wusste zwar nicht, was für ein Monster sie war, meinte jedoch, dass sie ausgesprochen stark und bösartig sei. Es wäre besser, wenn wir Ärger mit ihr vermeiden.“

„Wir wollen mit gar keinem Monster Ärger, wenn es nicht unbedingt erforderlich ist“, warf Stit-cher, Hunters kleine Schwester, ein, die nun ebenfalls auf die Gruppe zutrat.

Gameknight drehte sich zu ihr um. Sie war viel kleiner als Hunter, hatte aber das gleiche lockige rote Haar, das sich bei jedem ihrer Schritte bewegte. Ihre Miene unterschied sich jedoch stark von Hunters. Während des Krieges hatten Monster das Dorf der Schwestern zerstört und ihre Eltern getötet. Stitcher war in Gefangenschaft geraten und hatte als Sklavin im Nether arbeiten müssen. Zwar war es Gameknight gelungen, sie zu retten, doch in Hunter loderte weiterhin unbändiger Zorn. Sie wollte sich an den Monstern von Minecraft rächen und sie für das bezahlen lassen, was sie ihrer Schwester und ihrem Dorf angetan hatten. Diese Wut drohte, sie zu verschlingen, und Gameknight und Stitcher sorgten sich deswegen um sie.

„Sie ist eine Spinne“, sagte Gameknight mit vor Furcht zittriger Stimme, „die Königin der Spinnen, und ich glaube, sie weiß, dass wir hier sind.“

„Warum sind ständig irgendwelche königlichen Monster hinter dir her?“, erkundigte sich Hunter scherzhaft. „Zuerst der König der Endermen, dann der Netherkönig, danach der Zombiekönig … und jetzt die Spinnenkönigin. Was hast du nur an dir, das all diese Kreaturen anzieht?“

„Das muss an meiner faszinierenden Persönlichkeit liegen“, mutmaßte er und lachte nervös auf.

„Wie dem auch sei“, fuhr Crafter fort. „Wir werden jedenfalls versuchen, Shaikulud aus dem Weg zu gehen. Können wir das Lager abbrechen?“

„Ja“, ertönte eine dröhnende Stimme hinter ihm.

Gameknight drehte sich um und stellte fest, dass der bullige Digger sich ihnen näherte. Seine breiten Schultern und muskulösen Arme waren das Resultat der vielen Stunden, die er in den Minen des Dorfes verbracht hatte, und seine Stärke hatte ihnen in den vielen Schlachten der letzten Tage sehr geholfen.

„Dann verschwinden wir von hier“, fügte Hunter hinzu.

„Aber in welche Richtung gehen wir?“, wollte Gameknight wissen. „Crafter, du hast uns vom Orakel im Dschungeltempel auf diesem Server erzählt, aber wo genau können wir es finden?“

„Darüber habe ich schon nachgedacht, und ich bin zu dem Schluss gekommen, dass wir weitere Informationen brauchen, damit wir den Tempel des Orakels finden können.“

„Aber wo sollen wir die denn herbekommen, von Google?“, fragte Monet.

„Was ist ein Google?“, erwiderte Stitcher.

Gameknight und Monet lachten.

„Was ist?“, wollte der junge NPC wissen.

„Ach, nichts“, antwortete Gameknight. „Das ist nur etwas, das wir in der physikalischen Welt nutzen, wenn wir Informationen suchen. Es ist in etwa so, als wären alle Bücher der Welt online verfügbar.“

„Genau so was brauchen wir“, stellte Stitcher fest.

„So etwas gibt es auch hier in Minecraft“, erklärte Crafter, und sofort starrten ihn alle verblüfft an. „Die Bibliothek.“

„Ihr habt eine Bibliothek in Minecraft?“, hakte Gameknight nach.

„Ja, und du bist sogar schon mal dort gewesen. Erinnerst du dich nicht mehr?“

„Aber natürlich, in der Festung“, begriff Gameknight.

„Ganz genau.“

„In der Festung … Was ist eine Festung?“, wollte Monet wissen.

„Festungen gibt es auf jedem Server“, erläuterte Crafter. „Sie sind gut versteckt, sodass nur jene mit den richtigen Gegenständen und Informationen sie betreten können. Beim letzten Mal hatten wir die Eisenrose, die uns die Richtung gewiesen hat, doch ohne sie werden wir die Festung auf andere Weise finden müssen.“

„Enderaugen“, murmelte Gameknight.

„Was hast du gesagt?“, fragte Hunter.

„Wir brauchen Enderaugen. Sie werden uns den Weg zur Festung weisen.“

Crafter sah seinen Freund an und wirkte gleichzeitig neugierig und verwirrt.

„Weißt du etwa nicht, was Enderaugen sind, Crafter?“, wollte Gameknight wissen.

Der junge NPC mit den alten blauen Augen schüttelte nur den Kopf.

Grinsend warf sich der Benutzer-der-kein-Benutzer-ist ein wenig in die Brust, als ihm klar wurde, dass er etwas über Minecraft wusste, von dem Crafter keine Ahnung hatte.

„Hey.“ Hunter boxte Gameknight sanft gegen den linken Arm. „Wirst du uns jetzt verraten, was das sein soll, oder willst du nur weiter blöd grinsend rumstehen?“

„Wenn man ein Enderauge wirft, fliegt es direkt auf die Festung zu. Und wenn man über der Festung steht, saust es einfach durch den Boden. Wir brauchen nur ein paar Enderaugen, und schon können wir die Festung problemlos finden.“

„Du hast nicht zufälligerweise ein paar dabei?“, fragte Hunter.

„Leider nicht.“

Sie seufzte und verdrehte die Augen.

„Aber ihr habt welche hier“, warf Monet113 ein. Alle starrten sie überrascht an. „Was denn? Ich habe mich über Minecraft schlaugemacht und alles Mögliche gelesen, bevor ich mit dem Spielen angefangen habe. Daher weiß ich auch einiges. Einer der Dorfbewohner hat garantiert Enderaugen dabei. Ist ein Dorfpriester hier?“

„Selbstverständlich“, antwortete Crafter. „In jedem Dorf gibt es einen NPC-Priester.“

„Man kann bei ihm Smaragde gegen Enderaugen eintauschen“, erklärte Monet. „Wir könnten aber auch welche craften. Kombiniert einfach Lohenstaub mit einer Enderperle. Nach der letzten Schlacht an der Treppe zur Quelle solltet ihr doch von beidem reichlich haben.“

Crafter griff in sein Inventar und holte zwei Enderperlen heraus. Die blassblauen Kugeln waren in der Mitte dunkler und sahen aus, als befände sich dort die Pupille eines türkisfarbenen Auges. Gameknight fand, dass sie unheimlich wirkten, und erschauderte, als er daran dachte, wie sie sie erhalten hatten: im Kampf gegen einen Enderman. Nachdem er sie wieder weggesteckt hatte, musterte Crafter die anderen NPCs. Sie starrten alle erst Monet und dann Gameknight an und staunten, weil die beiden so viel wussten.

„Ich habe mir ein paar Notizen gemacht, und sie hat sie gefunden … Okay?“, sagte Gameknight, da er das Gefühl hatte, sich verteidigen zu müssen.

Die anderen lachten, während er eine schuldbewusste Miene zur Schau trug.

„Ihr habt Monet113, die Schwester des Benutzers-der-kein-Benutzer-ist, gehört … Machen wir uns an die Arbeit“, ordnete Crafter an.

Sofort setzten sich alle in Bewegung, um den Priester zu suchen und die benötigten Dinge zu beschaffen.

Gameknight trat neben seine Schwester und strahlte vor Stolz. Ihr Wissen war genau das, was sie jetzt brauchten. Er legte einen Arm um ihre Schultern und blickte auf sie herab.

„Ich bin noch immer sauer auf dich, weil du den Digitalisierer genutzt hast, um nach Minecraft zu kommen.“

Ihr zufriedenes Lächeln verblasste ein wenig.

„Aber ich bin auch froh, dass du jetzt hier bist“, gab er zu, und sie strahlte ihn an. „Doch du darfst nie vergessen, dass das hier kein Spiel ist. Die Monster hier wollen dich alle vernichten, und ich weiß nicht, was aus uns wird, wenn ihnen das gelingt.“

„Du kannst einen wirklich beruhigen, Bruderherz.“

„Bleib ernst“, schimpfte er. „Ich bin für dich verantwortlich, solange wir in Minecraft sind, und das bedeutet, dass du auf mich hören und tun wirst, was ich sage … Hast du verstanden?“

Monet verdrehte die Augen … So ähnlich, wie Gameknight es immer bei seinen Eltern machte.

„Verstanden?!“

„Ja … Ja.“

Gameknight versuchte sich an einem fröhlichen Lächeln, aber das Stöhnen eines Zombies in der Ferne sorgte dafür, dass er sich umdrehte. Er schaute misstrauisch in den Wald und malte sich aus, welche Monster in der Wildnis wohl auf sie lauerten. Das Bild der schrecklichen, hasserfüllten Augen tauchte erneut in seinem Kopf auf, und ihm lief es vor Angst eiskalt den Rücken herunter.