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NEAL SKYE

 

RICH & MYSTERIOUS

$IE IST DEIN RUIN

 

KRIMINALROMAN

 

Ein Buch aus dem FRANZIUS VERLAG

 

Cover: Jacqueline Spieweg

Bildlizenzen: pixabay und Panthermedia

Korrektorat/Lektorat: Petra Liermann

Verantwortlich für den Inhalt des Textes

ist der Autor Neal Skye

Satz, Herstellung und Verlag: Franzius Verlag GmbH

Druck und Bindung: Bookpress.eu, Olsztyn

 

ISBN 978-3-96050-104-6

 

 

Alle Rechte liegen bei der Franzius Verlag GmbH

Hollerallee 8, 28209 Bremen

 

Copyright © 2018 Franzius Verlag GmbH, Bremen

www.franzius-verlag.de

 

 

 

Die Handlung der Geschichte ist frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und unbeabsichtigt.

 

 

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

 

 

 

 

 

 

Das Werk ist einschließlich aller seiner Teile urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung und Vervielfältigung des Werkes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks und der Übersetzung, sind vorbehalten. Ohne ausdrückliche schriftliche Erlaubnis des Verlages darf das Werk, auch nicht Teile daraus, weder reproduziert, übertragen noch kopiert werden, wie zum Beispiel manuell oder mithilfe elektronischer und mechanischer Systeme inklusive Fotokopieren, Bandaufzeichnung und Datenspeicherung. Zuwiderhandlung verpflichtet zu Schadenersatz. Alle im Buch enthaltenen Angaben, Ergebnisse usw. wurden vom Autor nach bestem Wissen erstellt. Sie erfolgen ohne jegliche Verpflichtung oder Garantie des Verlages. Er übernimmt deshalb keinerlei Verantwortung und Haftung für etwa vorhandene Unrichtigkeiten.

 

Inhaltsverzeichnis

Danksagung

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Epilog

Songtext von »Demons Inside«

Ausschnitt aus dem NCY Mercury vom 10. September 2015

Briefe aus dem Knast – Marty McKinnan aus Riker's Island

Schwedische Krimiautorin spurlos verschwunden

Weitere Veröffentlichungen des Autors

Veröffentlichungen des Franzius Verlages:

 

Danksagung

 

Lieben Dank an Barbara, Jutta, Janett für eure Unterstützung!

 

Prolog

 

Februar 2015

 

Wie aus dem Nichts standen sie plötzlich mitten auf der Tanzfläche. Sie waren zu viert und sie unterschieden sich nur in ihrer Größe und ihrem Körperbau. Alle trugen sie schwarze Jeans, schwarze Jacken, schwarze Masken, schwarze Schuhe, dunkle Sonnenbrillen und sie alle waren bewaffnet. Jedem Einzelnen im festlich geschmückten Saal war schlagartig klar geworden, dass die fröhliche Hochzeitsfeier nun ein abruptes Ende genommen hatte. Die vier dunklen Gestalten bewegten sich schnell und zielbewusst und ließen keinen Zweifel daran aufkommen, dass sie es ernst meinten.

»So, jetzt bitte alle hierher auf die Tanzfläche, vor die Kapelle, dann niederknien, Hände hinterm Kopf verschränkt, dann passiert hier niemandem etwas!«, sagte eine männliche Stimme in einem sehr übertriebenen und daher sicher aufgesetzten Südstaaten-Slang, nachdem er dem DJ mit einem Zucken seiner Waffe angezeigt hatte, dass er die Musik ausstellen sollte. Die Stimme gehörte zu einer fünften Person in Schwarz, die sich mit einer Smith & Wesson in der Hand direkt vor dem Ausgang platziert hatte.

»Bitte entschuldigen Sie unser unhöfliches Eindringen, aber Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit ist für die nun folgende Show zwingend erforderlich.« Der süffisante Unterton war nicht zu überhören. »Meine zauberhafte Assistentin wird gleich herumgehen und als erstes Ihre geschätzten Mobiltelefone einsammeln. Sie dürfen zum Überreichen Ihrer Geräte selbstverständlich Ihre Hände benutzen, verschränken Sie diese danach aber bitte wieder unaufgefordert hinter Ihrem Kopf. Bitte tun Sie sich und uns den Gefallen und verzichten Sie darauf, Ihre Handys heimlich zu verstecken oder gar zu benutzen – ich müsste dafür dann leider die Höchststrafe vergeben.«

Er entsicherte seine Waffe sicht- und hörbar. Eine etwas schmalere Person ging nun herum und sammelte die Handys ein.

Der Mann mit den Schläfen, die in letzten Jahren schlagartig grau geworden waren, blickte prüfend von einem zum anderen, bevor die schmalere Person vor ihm stand. Er hatte nur wenig Zeit gehabt, die Möglichkeiten abzuwägen. In dem Handy waren die Adressen seiner Lieben, aber auch andere Nummern, die ihn oder diese in besondere Gefahr bringen konnten. Dennoch entschied er sich instinktiv dafür, nicht aufzufallen, und ließ sein iPhone ohne Murren in die schwarze Mülltüte fallen.

»Auch wenn man diese Situation nicht falsch interpretieren kann, möchte ich noch einmal bitte ganz klar verdeutlichen: Wer ein Handy versteckt hat und versucht es zu benutzen, wird erschossen. Wer laut um Hilfe schreit oder sich sonst unkooperativ verhält, wird erschossen. Wer von Ihnen es wagt, mich oder einen von meinen Leuten anzugreifen, wird erschossen – und nimmt ein paar andere mit sich.«

In dem Saal, in dem noch eine Minute zuvor fröhliches Lachen zu hören gewesen war, herrschte nun eine gespenstische Totenstille. Die schmalere Person schaute sich noch mal unter den Gästen um, nickte dann, ging mit der Mülltüte voller Handys zu dem Mann am Ausgang und legte sie dort ab.

»Das war das erste Spiel und ich freue mich, dass Sie so zahlreich daran teilgenommen haben. Ich hoffe, Sie hatten auch ein bisschen Freude daran. Es sind nun alle herzlich eingeladen, auch beim zweiten Spiel einzusteigen. Meine zauberhafte Assistentin wird jedem von Ihnen gleich eine weitere Tüte überreichen. Dort verstauen Sie bitte Ihre Portemonnaies, Haus- und Autoschlüssel, Hotelkarten, Schmuck, Uhren und so weiter. Ganz wichtig: Sie finden in der Tüte einen kleinen Block und einen kleinen Stift. Bitte notieren Sie darauf Ihren Namen, Ihren Wohnort, genaue Adresse, vielleicht wohnen Sie ja in der Nähe, dann würden wir gerne mal bei Ihnen nach dem Rechten schauen. Ich gehe davon aus, dass Sie Ihre Bank- und Kreditkarten mit sich führen; bitte seien Sie doch so nett und kleben die Aufkleber drauf, die Sie in der Tüte finden, und notieren Sie darauf Ihre PIN-Nummer. Seien Sie versichert, wir werden Ihr Geld in Sicherheit bringen und gut verwahren.«

Großes Gemurmel unter den Gästen. Der Mann mit den grauen Schläfen verfolgte immer noch jede kleinste Bewegungen eines jeden Schwarzgekleideten. Irgendetwas stimmte hier nicht. Der Mann am Ausgang, der der Einzige war, der redete, tat dies, als hätte er so etwas schon einmal in einem Film gesehen. Es wirkte einstudiert, wie auswendig gelernt. Ein Profi hatte so etwas jedoch nicht nötig. Und warum hielten sie sich so lange auf? Normalerweise waren solche Banden darauf aus, schnell rein- und noch schneller wieder herauszukommen. Worum ging es also hier? Solange er nicht wusste, mit wem genau er es zu tun hatte, waren ihm seine Hände gebunden. Er würde nur sich und alle anderen in große Gefahr bringen. Aber seine Augen blieben wachsam, kein Schritt von keinem der fünf blieb ihm verborgen.

»Bitte, bitte beruhigen Sie sich doch! Wir werden noch ein wenig Zeit hier miteinander verbringen, also seien Sie geduldig und führen Sie unsere Anweisungen ganz genau aus. Und bitte, bitte, BITTE verschwenden Sie nicht unsere und Ihre Zeit mit der Angabe einer falschen PIN-Nummer, Adresse, Nummernschild oder was auch immer. Ich bin gerade sehr gut gelaunt und glauben Sie mir: Sie möchten nicht derjenige sein, der mir diese Laune vermiest. Eines möchte ich noch erwähnen: Ich möchte Sie eindringlich bitten, den Verlust Ihrer Bank- oder Kreditkarte nicht vor dem nächsten Donnerstag zu melden. Es besteht die Möglichkeit, dass wir heute noch nicht alle finanziellen Transaktionen werden abschließen können. Bitte denken Sie daran, dass wir Ihre Namen und Adressen haben und mit ein bisschen Kombinationsgabe werden wir auch die Verbindungen unter Ihnen herausfinden. Sperren Sie Ihre Karte vor Donnerstag, werden wir Sie eines Tages besuchen – oder vielleicht auch einen Ihrer Lieben. Sie sollten dann immer nachts gut abschließen. Sie glauben, ich mache Scherze? Wir können warten. Tage, Wochen, wenn es sein muss auch Jahre. Aber können Sie mit der Angst leben?«

Der Mann mit den grauen Schläfen holte vorsichtig seinen Autoschlüssel aus der Hosentasche und zog seine Geldbörse aus seinem silbergrauen Jackett. Für einen Moment zögerte er. Er spürte, wie seine .45er SIG Sauer auf seine Brust drückte. Es wäre ein Leichtes gewesen, sie zu zücken. Die schmale Person, wahrscheinlich eine Frau, hätte keine Chance gehabt und die drei Schwarzgekleideten auf der Tanzfläche standen da sozusagen auf dem Präsentierteller. Zwei davon könnte er erledigen, aber alle drei gleichzeitig zu erwischen, das wäre selbst für einen erfahrenen Schützen wie ihn ein zu optimistischer Gedanke. Und dann war da ja immer noch der Mann am Ausgang. Doch die Situation würde nicht besser werden. Wenn alles eingesammelt war, würden die Gäste wahrscheinlich aneinandergefesselt werden. Und was, wenn einem bei der Gelegenheit auffiel, dass er seine Waffe noch bei sich trug? Noch hatten sie sich klug verhalten – nur einer sprach, man konnte kein Gesicht, keine Augen sehen –, keiner der Gäste wäre als Zeuge brauchbar, wenn die fünf mit ihrer Beute herausspazierten. Das war gut, denn das erhöhte die Chance, dass die Geiseln am Ende am Leben blieben. Das und die Tatsache, dass die Täter bislang ruhig und sicher ihr Ding durchzogen. Aber bislang lief auch alles reibungslos. Was aber, wenn etwas nicht nach Plan verliefe? Solange es hier nur um Geld ging, machte es jedenfalls keinen Sinn, die Deckung aufzugeben und den Einsatz zu erhöhen.

»Jetzt darf die Braut mal nach vorne kommen, bitte, und sei doch so nett und bringe deine Brautjungfern mit!« Der plötzliche Wechsel zum »Du« ließ die Situation noch bedrohlicher wirken.

Dem Mann mit der .45er schlug der Puls bis an die Kehle. Äußerlich wirkte er immer noch gänzlich unbeteiligt, fast ein bisschen ängstlich, aber innerlich stieg der Adrenalinspiegel auf Betriebstemperatur.

»Darf ich dich nach deinem Namen fragen?«, fragte der Mann am Ausgang die Braut, als wäre sie eine Kandidatin bei einer Gameshow. Sie blickte scheu zu Boden und erst im zweiten Versuch konnte sie ihren Namen so nennen, dass der Mann ihn verstand.

»Gut, Seaneen. Dann muss ich dich leider noch darüber aufklären, dass auch ein Ehering unter die Überschrift ›Schmuck‹ fällt. Bitte sei so gut – auch wenn du heute die Braut bist, darfst du nicht erwarten, dass du bevorzugt behandelt wirst.«

Einer der Eindringlinge ging zu dem Bräutigam, sah dann zu dem Mann am Ausgang und hob den Daumen. Der Ton des Mannes, der redete, wurde immer süffisanter.

»Zumal dein Göttergatte den Ehering gar nicht schnell genug wieder loswerden konnte.«

Er schien unter der Maske zu grinsen.

»So. Und nun möchte ich dich bitten, mit den Brautjungfern zusammen die Geschenke auszupacken. Bitte verstaue die Geldscheine und andere Wertgegenstände in dieser Tasche. Hast du den Zettel ausgefüllt, so wie ich es erklärt habe?«

Die Braut nickte stumm, den Kopf immer noch zum Boden gesenkt.

»Danke, Seaneen, ich hoffe, die Adresse stimmt? Und wenn du uns gleich verrätst, wo du die sonstigen Geldgeschenke und deinen Schmuck aufbewahrst, verspreche ich dir, dass wir dein Heim sauber und aufgeräumt wieder verlassen. Wenn wir erst suchen müssen, kann das anschließend sehr unschön aussehen …«

Die Braut antwortete und der Mann am Ausgang bedankte sich höflich. Es dauerte nicht lange, da waren alle Tüten gefüllt. Zwei der Schwarzgekleideten von der Tanzfläche sammelten sie ein, hoben die Mülltüte mit den Handys auf und verließen den Saal.

Nur noch drei! Der Mann mit der .45er kam ins Schwitzen. Drei konnte er erledigen, er konnte es schaffen. Aber es war immer noch ein hohes Risiko. Mindestens zwei, drei Schüsse konnten sie abgeben, bevor er sie erledigen würde. Zudem war der Winkel zu dem Mann vom Ausgang, der inzwischen an der Bar Platz genommen hatte, ungünstig. Er konnte schneller Schutz finden als die beiden anderen. Dafür standen die näher an ihm dran und konnten ihn eher erledigen – auf wen also zuerst feuern? Und wenn es hier nur um Geld ging: Durfte man das Leben anderer in Gefahr bringen?

Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis die beiden zurückkamen. Sie hatten nichts mehr dabei.

Es muss noch eine sechste Person draußen in einem Wagen warten!

»Wir danken Ihnen für Ihre außergewöhnlich großzügige Spende. Offenbar war bislang keiner von Ihnen so töricht, uns mit einer falschen PIN-Nummer täuschen zu wollen. Sie können zuhören, das ist heutzutage eine recht selten gewordene Gabe! Unser besonderer Dank gilt den Familien Mason und Shoemaker – sie spendeten zudem diverse elektronische Geräte, Schmuck, eine Münzsammlung und eine recht respektable Fotoausrüstung.«

»Und bei Ihnen«, der Mann wandte sich wieder der Braut zu, »soll es sich wirklich gelohnt haben! Es ist so ein Leichtsinn, so viele Briefe mit Geld achtlos herumliegen zu lassen. Die könnten ja in völlig falsche Hände geraten!«

Dann kam die schmale Person auf ihn zu und flüsterte ihm etwas ins Ohr.

»Ja, da hast du allerdings recht. Den Ehering wollte sie uns in der Tat erst nicht geben. Das war wiederum gar nicht nett von dir, Seaneen«, sagte er. »Wir mögen so etwas nicht. Lügen, schummeln … Das können wir nicht durchgehen lassen. Meine reizende Assistentin hat mir verraten, dass ihr dein Kleid gefällt. Du würdest ihr eine sehr große Freude bereiten, wenn du es ihr schenken würdest!«

Als die Braut zögerte, ging die schmale Person auf sie zu und hielt ihr die Waffe ins Gesicht. Der Mann vom Ausgang lachte.

»Siehst du, was passiert, wenn man meine Assistentin verärgert?« Dann verschärfte sich sein Ton. »Letzte Warnung, Seaneen: Gib ihr das Kleid!«

Das Gesicht der Braut verriet mit keiner Regung die panische Angst, die sie durchströmte, als sie den Reißverschluss auf dem Rücken öffnete.

Dem Mann neben dem mit der .45er entfuhr ein lautes: »Lasst sie in Ruhe!«

Verdammt!, dachte der ältere Mann in Silbergrau und schenkte dem Bräutigam einen flüchtigen verärgerten Blick.

»Oder was?«, rief der Rädelsführer und zielte mit seiner Waffe auf die Braut.

»Brad! Bitte!«, flehte die Braut ihn an.

»Brad! Bitte!«, äffte der Mann am Ausgang sie nach. »Hören Sie auf Sie! Ich zähle jetzt bis drei, dann sitzen Sie wieder hübsch brav auf dem Boden, die Hände hinter dem Kopf, und entspannen sich. Eins!«

»Sie haben doch jetzt, was Sie wollten!«, sagte Brad und sah den Maskierten an, als wolle er ihn durch Hypnose zum Aufgeben zwingen.

»Zwei!«

Bradley, was zum Teufel machst du da? Du bist nicht John McClane!

»Wenn Sie ihr auch nur ein Haar krümmen … !«

Das war das Dümmste, was er hätte machen können. Aber es blieb keine Zeit, um diese mit Ärgern zu verschwenden. Jetzt hieß es handeln. Der Mann mit den grauen Haaren zog seine SIG Sauer aus dem Halfter. Der Mann am Ausgang zielte auf die Braut und feuerte seine Waffe ab, aber es war wohl nur ein Warnschuss. »Alle runter!«, schrie der Mann mit der .45er. Ein Schuss wurde auf ihn abgefeuert. Bevor er in Deckung ging, feuerte er zweimal gezielt zurück. Ein gellender Schmerzensschrei schallte durch den Raum, gefolgt von einem zweiten.

»Verdammte Scheiße, der schießt mit echter Munition!«, kreischte eine weibliche Stimme.

Dem Mann mit der .45er war nun klar, warum der Rädelsführer die Braut aus nächster Nähe nicht hatte treffen können.

Platzpatronen! Die bluffen!

Jetzt traute er sich aus seiner Deckung hervor, rief »Waffen weg!« und zielte auf den Mann an der Bar. Für einen Moment fühlte er sich schuldig, auf zwei Menschen geschossen zu haben, die keine scharfe Waffe in der Hand gehalten hatten. Aber woher hätte er das wissen können?

Jetzt hab ich die Situation unter Kontrolle. Sie haben nicht damit gerechnet, dass einer der Gäste bewaffnet ist. Jetzt ganz ruhig Zug für Zug das Ding nach Hause schaukeln.

»NYPD! Waffen weg und Hände hoch!«, rief er mit festem Ton.

Doch dann kam alles ganz anders.

»FBI! Träum weiter!«, rief eine männliche Stimme plötzlich.

Will der Typ mich verarschen?

Doch dann hörte der Mann vom NYPD drei Schüsse. Die erste Kugel verfehlte das Ziel nur knapp und zertrümmerte direkt neben ihm eine der Lautsprecherboxen. Wo die zweite Kugel einschlug, konnte er nicht orten. Es war der dritte Schuss, der die Braut mitten in die Stirn traf. Das Blut strömte über ihr Gesicht auf ihr Kleid und ihr lebloser Körper knallte auf einen Stuhl, der unter ihrem Gewicht zusammenbrach.

»NEIN! NEIN!«, schrie der Mann mit der .45er, sprang aus der Deckung, die er nach dem ersten Schuss blitzartig gesucht hatte. Er feuerte dreimal auf den Mann, der seine Waffe auf ihn gerichtet hatte und der nun stumm zu Boden sank. Einen weiteren Schuss gab die SIG noch auf den Schwarzgekleideten daneben ab, der an der Theke entlang in Richtung Ausgang schlich. Sie richtete jedoch keinen Schaden an. Abgesehen von einem hässlichen Einschussloch am Türrahmen zum Ausgang.

»Platzpatronen!«, stammelte eine weibliche Stimme. »Wir haben … Wir haben doch nur Platzpatronen! Wieso, verdammte Schei …« Dann hörte auch ihr junges Herz auf zu schlagen.

 

Kapitel 1

 

Die Beamtin, die mich in Empfang genommen und mich zu diesem Schreibtisch geführt hatte, hatte sich als Detective Elizabeth Nolan vorgestellt. Sie war noch sehr jung und sollte sie die lang ersehnte Unterstützung für die Abteilung sein, konnte ich mir die Enttäuschung von Gina sehr gut vorstellen. Sie hatte sich einen erfahrenen neuen Kollegen gewünscht, keine frische Absolventin der Police Academy.

Ich konnte nicht mit Bestimmtheit sagen, ob es das merkwürdig Monotone in Nolans Stimme war oder dieser, wenn auch nur leichte, aber in meinen Ohren immer etwas skurril klingende britische Akzent. Ich erkannte anhand ihrer Stimme jedenfalls sofort, dass sie diejenige gewesen sein musste, die mich auf meinem Blackberry erreicht hatte, um mich zu bitten, dem NYPD doch mal einen Besuch abzustatten. Mir hatte schon bei diesem Gespräch auf der Zunge gelegen zu fragen, warum mich Detective Gina Lonardoni nicht direkt anrief. Aber nachdem bereits meine Frage nach dem Anlass der freundlichen Einladung nur mit einem schroffen Hinweis darauf beantwortet worden war, dass ich das dann schon früh genug erfahren würde, hatte ich auf weitere Fragen verzichtet.

Den Mann hinter dem Schreibtisch hatte ich noch nie gesehen, aber als er sich mit »Detective Wakeford« vorstellte, begrüßte ich ihn wie einen alten Bekannten. Darrell Wakeford, wochenlang aus dem Spiel genommen mit Burn-out-Syndrom. Mit seinen achtundvierzig Jahren gehörte er zu den erfahrensten Detectives der Abteilung und Gina hatte ihn schmerzlich vermisst. Auch wenn er nicht direkt ihr Partner war und auch wenn seine manchmal etwas mürrische Art ihr zu schaffen machen konnte, so fand er doch immer einen Weg, den sie noch nicht gegangen war. Dabei war seine Vorgehensweise eher konventionell. Er arbeitete immer noch das Police-Academy-Handbuch Schritt für Schritt nach Vorschrift ab und war damit sicher nie der Kreativste der Truppe gewesen. Aber er blieb immer in Bewegung, setzte den Hebel eben von einer anderen Seite aus an, wenn es von der einen nicht erfolgreich war. Gina sprach mit ihm gerne über Fälle, die drohten, im Sand zu verlaufen, weil sich Wakeford verdammt schnell in Vorgänge reindenken konnte, was ihr vor allen Dingen in den ersten Wochen nach Mullans Suspendierung geholfen hatte.

Ich hatte interessiert zugehört, als Gina über ihre Kollegen gesprochen hatte. Und das hatte sie viel getan bei unserem kleinen Ausflug nach Niagara Falls. Wann immer Frauen mit mir versucht hatten, über ihre Arbeit zu sprechen, hatten sie in wachsame Augen gesehen, die an ihren Lippen zu hängen schienen. Mein Freund Vince hatte immer behauptet, er habe mich um diese Gabe beneidet. Dabei hatte er immer als Erster mitbekommen, wenn ich auf Autopilot umgeschaltet hatte. Der Vorteil war, dass ich in diesem Zustand nur einzelne, meist zweisilbige Worte sagen konnte. »Aha.«, »Genau! «, »Ehrlich?« Ich galt daher als guter Zuhörer und da ich allein berufsbedingt immer schon ein aufmerksamer Beobachter gewesen war, hatte ich es immer im Gespür, wenn meine Gesprächspartnerin etwas wirklich Wichtiges sagte und von mir eine Antwort erwartete, die länger war als zwei Silben. Ich wusste nicht, warum, aber bei Gina war der Autopilot von Anfang an außer Betrieb gewesen.

Gina war gerade erst zum Detective zweiten Grades befördert worden, hatte aber durch die Suspendierung Mullans automatisch von heute auf morgen noch mehr Verantwortung bekommen, die sich durch die lange krankheitsbedingte Abwesenheit von Wakeford noch mal potenziert hatte. Sie war extrem ehrgeizig, dadurch war sie wirklich gut geworden. Eines Tages würde sie so gut sein wie Jim Mullen. Mindestens. Aber sie brauchte definitiv jemanden, der sie regulierte, der dafür sorgte, dass sie sich mal eine Auszeit nahm, der mal auf die Bremse trat und damit verhinderte, dass sie ihrem Körper permanent Höchstgeschwindigkeit zumutete – das ruinierte auf Dauer jeden Motor. Da brauchte man nur einen Blick auf meinen zu werfen, wenn man glaubte, permanentes Hochjagen der Drehzahlen konnte spurlos an einem vorbeigehen.

Wakeford bat mich, Platz zu nehmen. Er sah mich kurz an und blickte dann wieder angestrengt auf seinen Bildschirm. Offenbar gab es noch einige Mausklicks, die nicht warten konnten. Es dauerte eine Weile, bis sein Blick von seinem Monitor in meine Richtung wanderte. Vielleicht bekam ich jetzt endlich Antworten auf meine dringlichsten Fragen:

 

1. Warum saß ich im Büro des NYPD?

2. Wo war Gina?

 

Gina sammelte durch den andauernden Personalmangel weiterhin regelmäßig Überstunden. Sie hatte mich zwar um Geduld gebeten und mir versprochen, sich bald zu melden, aber das war nun eine Woche her und ich hatte seitdem nichts von ihr gehört. Zweimal hatte ich versucht sie zu erreichen, war aber beide Male nur auf der Mailbox gelandet und hatte jeweils sehr kurze Nachrichten hinterlassen, die so entspannt wie möglich hatten klingen sollen. Was mir vor allem beim zweiten Mal nicht gelungen war, befürchtete ich.

»Wo ist denn Detective Lonardoni?«, brach ich schließlich das Schweigen, denn die Art, mit der Wakeford mich musterte, war mir fast ein wenig unheimlich. Ich ärgerte mich über meine vorlaute Frage und erwartete so etwas wie »Wir stellen hier die Fragen«. Aber Wakeford grunzte nur, lehnte sich räuspernd zurück und knipste seinen Kugelschreiber an und aus. Und an. Und wieder aus. Wenn mich das nervös machen sollte, funktionierte das gut. Und an. Leute, die ihre Nerven nicht im Griff hatten, waren mir schon immer suspekt gewesen, vor allem, wenn sie vorgaben, im gleichen Team zu spielen. Und aus.

»Das war eigentlich genau die Frage, die ich Ihnen stellen wollte!«, sagte Wakeford dann.

Was ging hier gerade ab? Was war mit Gina?

So langsam fing ich an, mir Sorgen zu machen. Auch wenn wir nicht im Verhörraum saßen: Wenn ein Detective des NYPD Major Case Squad eine Frage nach dem Aufenthaltsort einer Person stellte, dann entweder, weil diese verdächtigt wurde, ein Kapitalverbrechen begangen zu haben – was ich in ihrem Fall einfach mal hoffte ausschließen zu können – oder aber sie wurde vermisst und es bestand die Möglichkeit, dass sie das Opfer … Ich mochte weder den einen noch den anderen Gedanken zu Ende führen.

»Wie kommen Sie darauf, dass ich wissen könnte, wo sie sich aufhält?«

Wakeford grunzte wieder und atmete tief durch.

»Hören Sie«, sagte ich dann gelassen. »Ich weiß, es gab da einen Fall, den wir letztlich gemeinsam gelöst haben, aber ich habe wirklich keine Ahnung, wo sie steckt. Ich nahm an, auf dem Revier. Aber warum konnten Sie mich das nicht am Telefon fragen?«

Dann wäre ich jetzt mit Staubwischen und -saugen durch und hätte einen entspannten Nachmittag vor mir …, schloss ich die Frage in Gedanken.

»Wenn ich jemandem Fragen stelle, bei denen ich mir nicht sicher bin, ob ich eine ehrliche Antwort erhalte, dann schaue ich demjenigen gerne in die Augen. Die Augen sind nicht immer ehrlicher als die Stimme, aber oft.«

»Worum geht es hier eigentlich?«, fragte ich und langsam wuchs in mir die Ungeduld.

»Detective Lonardoni hat am Dienstagabend angerufen und den Captain um Urlaub gebeten. Er hat sicher widerwillig zugestimmt und nur unter der Voraussetzung, dass ich wie geplant wieder im Dienst erscheine. Für den Fall, dass nicht, sollte sie sich telefonisch bereithalten.«

Was erzählt der mir da eigentlich? Wir sind doch noch beim Lunch in der NYPD-Kantine …

»Warten Sie – Sie sind doch im Dienst! Und damit hat Detective Lonardoni offiziell Urlaub. Oder hab ich da etwas nicht richtig verstanden?«

»Darum geht es nicht«, antwortete er unwirsch. »Sie ist nicht erreichbar. Ich weiß nicht, ob ich Ihnen glauben soll. Ich weiß nur, es sind ein paar Dinge passiert, die ich nicht für einen Zufall halte. Und ich befürchte, sie ist gerade dabei, eine Dummheit zu begehen. Etwas, dass sie ihren Job kosten kann.«

Er machte sich Sorgen! Das ist kein Verhör, das ist eine Bitte.

Wakeford schüttelte den Kopf.

»Wissen Sie, ich kenne Sie nicht. Ich hab nur im Laufe meiner Dienstzeit ein paar Leute wie Sie kennengelernt. Kopfgeldjäger, Sensationsreporter, Söldner. Und auch Privatdetektive wie Sie. Und Sie machen alle Ihren Job, ich verurteile das gar nicht. Aber Sie verfolgen oft Interessen, die sich mit unseren nicht decken. Das muss in Ihrem Fall nicht zwangsläufig auch so sein. Hab von den Jungs gehört, was Sie da zusammen abgezogen haben. Von Homeland angefordert und so …«

Ich grinste innerlich, denn das entsprach nicht so ganz der Wahrheit, war aber die offiziell von Homeland Security Investigations bestätigte Version.

»Aber wenn Sie sagen, Sie wüssten von nichts, dann muss ich Ihnen wohl glauben. Und dann können wir das hier auch ganz schnell wieder beenden. Ich kann Sie nur bitten, sich zu melden, wenn Detective Lonardoni von sich hören lässt.«

Das war´s? Ich konnte schwerlich glauben, dass ich den ganzen Weg von Rye nach Manhattan gemacht hatte, um an dieser Unterhaltung teilzunehmen. Den ganzen Vormittag verschwendet, nur damit Mister Wakeford mir ins Gesicht schauen konnte, um vielleicht anhand eines Zuckens herauszufinden, ob ich log, wenn ich sagte, dass ich den aktuellen Aufenthaltsort von Gina nicht kannte. Aber was war denn nun mit ihr?

»Sir …«, begann ich sehr förmlich, aber er fuhr mir sofort über den Mund.

»Mr. Richmond, es tut mir leid. Ich hatte gehofft, Sie könnten hier etwas beisteuern, aber wenn nicht, kann und darf ich Ihnen auch keine weiteren Information geben. Sie sind mit Detective Lonardoni ja nicht verwandt, richtig?«

Ich schüttelte den Kopf und da er keine Antwort erwartete, stand ich auf und verabschiedete mich.

»Ich danke Ihnen für Ihre Zeit«, sagte Wakeford höflich. Und dann, weitaus lauter ins Büro hinein: »Detective Nolan! Begleiten Sie bitte Mister Richmond hinaus und bitten Sie Miss Lonardoni herein.«

Für einen Moment war ich gerade wie gelähmt. War Gina doch hier? Aber wieso dann Miss Lonardoni und nicht Detective Lonardoni? Irritiert ging ich auf Detective Nolan zu, die mir andeutete, ihr zu folgen.

Vor dem Büro wartete eine junge Frau, die sie dann mit »Miss Lonardoni« ansprach. Nur war das nicht Gina. Diese Frau war um einiges jünger als Gina, ihre Haare waren dunkler und so wild gestylt, dass man streiten konnte, ob die Frisur modern und frech aussah oder ob sie gerade direkt aus dem Bett kam und im Badezimmer dann den Kamm nicht hatte finden können. »Bed Head« war wohl der moderne Ausdruck dafür. Manche hätten süffisant »Bad Head« gelästert. Hätte eine Headline von mir im »Buffalo Star« sein können. »Bad Head Day in Lower Manhattan«. Aber es stand ihr gut, denn abgesehen von den wirren Haaren war sie eine sehr gepflegte Erscheinung. Eher sportlich gekleidet mit einem einfachen T-Shirt mit weißen und blauen Querstreifen und einer dünnen Jacke im selben dunklen Blau sah sie nicht gerade besonders schick aus, aber dennoch strahlte das Outfit an ihr eine gewisse Lässigkeit aus. Ich hatte nur einen kleinen Blick auf ihr Gesicht werfen können, das trotz eines sehr ernsten Ausdruckes bildhübsch war.

Giulia Lonardoni! In dem kurzen Moment, in dem sich unsere Blicke trafen, wurde mir klar, dass sie Ginas kleine Schwester sein musste. Tatsächlich war sie ein gutes Stück größer als diese und reklamierte daher ebenfalls für sich, die große Schwester zu sein.

Irritiert schaute ich mich um, bis mich Detective Nolans eindringlicher Blick traf, gefolgt von einem aufgesetzten Lächeln und einem ebensolchen Wunsch nach einem schönen Tag. Das klang ein wenig wie Hohn, denn ich machte mir auf einmal große Sorgen um Gina. Was wollten die jetzt auch noch von ihrer Schwester, was sie nicht per Telefon erfragen konnten? Ich meine, immer noch war es doch so, dass Gina ganz bewusst Urlaub genommen hatte. Es konnte also für alles eine ganz einfache Erklärung geben.

Als ich wieder im Freien war, beschloss ich, auf »Miss Lonardoni« zu warten. Vielleicht wusste sie mehr. So stand ich eine Weile auf der 21. Straße und behielt den Ausgang im Blick, bis sie bereits nach relativ kurzer Zeit wieder herauskam.

»Ähem, hi, ich bin …«, begann ich etwas stockend. Bitte? Was war das denn? Krieg den Mund auf, Rich!

»Kein Interesse, keine Zeit, entschuldigen Sie«, feuerte sie mir, verbunden mit einer abwehrenden Geste, entgegen.

»Giulia? Giulia Lonardoni?«, sagte ich nur.

Sie blieb augenblicklich stehen und ihre großen Augen sahen mich irritiert an.

»Ich bin Niclas Richmond, Rich, ich kenne Ihre Schwester.«

»Rich? Der Rich?«

Ich lächelte.

»Ich weiß nicht, wie viele Männer Gina mit dem Namen Rich kennt, aber ja, ich denke, ich bin der Rich.«

Sie musterte mich und presste dann die Lippen auf genau die gleiche Art, wie Gina es immer tat, aneinander.

»Entschuldigen Sie, das konnte ich nicht … Ich hatte Sie mir ganz anders vorgestellt. Gina hat mir von Ihnen erzählt. Ein 69er Plymouth GTX Road Runner – das hat Style.«

»Hören Sie«, sagte ich. »Wir können später gerne noch lange über unsere Hobbys sprechen, aber mich interessiert ehrlich gesagt gerade mehr die Frage, was diese ganze Geschichte hier eigentlich soll. Warum bin ich vorgeladen worden und warum sind Sie hier und warum – wo ist Gina?«

Giulia seufzte.

»Wenn ich das mal wüsste. Die haben hier einen auf wichtig gemacht und mich gefragt, ob ich einen Anruf von Gina aus Boston erhalten habe. Ich fragte: ›Was will Gina denn in Boston?‹ Und dieser Wakeford dachte, dass ich ihm das sagen könnte. Aber warum? Was ist denn überhaupt los?«

Giulia sah mich an, als könnte ich ihr in zwei, drei Sätzen erklären, was es damit auf sich hatte. Aber die Wahrheit war, dass ich mir noch auf gar nichts einen Reim machen konnte.

»Okay, kennt sie denn jemanden da? Habt ihr da Verwandtschaft oder so?«

Giulia schüttelte den Kopf.

»Nein, ich glaube nicht, dass sie schon einmal in Boston gewesen ist und ich wüsste auch nicht, was sie da sollte oder gar, warum sie Urlaub genommen hat, um nach Boston zu fahren.«

»Also können wir private Gründe ausschließen?«

Giulia zögerte.

»Keine Ahnung«, sagte sie dann. »Ich kann mir nicht vorstellen, was das für ein Grund sein sollte. Na ja. Jedenfalls fahre ich jetzt zu Ginas Wohnung. Vielleicht gibt es da irgendeinen Hinweis darüber, was das alles zu bedeuten hat.«

Ich wollte mich gerade höflich verabschieden, ihr meine Karte reichen und sie darum bitten, mich auf dem Laufenden zu halten, als sie einen Moment innehielt und mich musterte und dann sagte: »Sie kommen doch mit, oder? Ich meine, ich kann Sie nicht engagieren, ich hab kein Geld oder so etwas …«

Ich zögerte. Es kam mir komisch vor, Ginas Wohnung zu betreten, bevor sie mich dazu einlud. Gina hatte wenig Zeit, vielleicht war ihre Wohnung nicht vorzeigbar für Besuch oder es lag Wäsche herum, was ihr vielleicht peinlich sein könnte.

»Ich dachte ja nur … Nach all dem, was Gina mir erzählt hat, haben Sie vielleicht auch ein Interesse herauszufinden, wo sie ist. Zumal: Sie sind doch Privatdetektiv?«

Ich nickte.

»Klar«, sagte ich dann und teilte ihr dann meine Bedenken mit, ohne das Wort »Wäsche« zu benutzen. Meine Güte, ich bin neunundvierzig, ich darf das Wort »Wäsche« benutzen. Aber ich tat es nicht.

 

Gina wohnte in Queens, in Glendale, um genau zu sein. Außer Manhattan hatte ich bis dahin noch keines der anderen Boroughs kennengelernt und Glendale klang für mich eher nach einer Nobelgegend. Nach einem Ort, an dem Hotels mit vielen Sternen standen, es vielleicht einen Golfplatz gab oder einen Reitstall. Oder alternativ ein typisch irisches Viertel mit vielen Pubs und Geschäften, in denen man Whiskey kaufen konnte. Einem Viertel, in dem es mehr Guinness- als Straßenschilder gab.

Aber als wir dann mit dem Q55, bezeichnenderweise Richtung Richmond Hills, die Straße, in der Gina wohnte, entlangfuhren, bekam ich einen ganz anderen Eindruck. Alles war so ganz anders, als der Name es mich vermuten ließ. Geprägt war das Straßenbild von den vielen kleinen Lebensmittelgeschäften mit ihren Obstständen, den unzähligen Shops mit ihren riesigen bunten Schildern und Markisen, auf denen sie für Nagelpflege, Heimtierbedarf oder pharmazeutische Produkte warben. Und Restaurants. Haufenweise Restaurants! Man konnte zwischen allen bekannten Fast-Food-Ketten wählen, doch auch, wenn man eher mexikanisch, spanisch oder chinesisch bevorzugte oder man lieber auf amerikanische Sandwiches Appetit hatte, fand man hier garantiert etwas, um seinen Magen zu füllen. Aber ich musste fast lachen, als der Bus an der dritten Pizzeria vorbeifuhr. Leicht versetzt gegenüber von dem Gebäude, in dem Gina wohnte, lag eine amerikanisch-italienische Bank und zwei Häuser neben dem ihren ein italienisch-amerikanischer Kulturverein. Es sah fast so aus, als wohnte Gina im »Little Italy« von Queens. Der Eingang zu ihrem Apartment lag seitlich eines Geschäftes, das Wein und Liköre führte. Die schmale Treppe führte uns in den zweiten Stock und Giulia schloss die Tür auf.

»Das ist komisch«, sagte sie in einem fast flüsternden Ton, so als fürchtete sie, dass sich jemand in der Wohnung aufhielt.

»Was ist komisch?«, fragte ich und wusste nicht, was mir gerade mehr Kopfschmerzen bereitete: Die Tatsache, ohne Ginas Erlaubnis ihre Wohnung zu betreten, oder der Gedanke, dass wir irgendetwas finden könnten, das zeigte, dass unsere Sorge um Gina berechtigt war.

»Nicht abgeschlossen …«, flüsterte sie.

In der Tat war die Tür zwar geschlossen, aber Gina – und ich hoffte, dass es Gina war – hatte sie nur zugeschmissen, nicht abgeschlossen. Ich schob mich an Giulia vorbei und setzte leise und vorsichtig einen Fuß durch die Tür. Hätte uns jemand beobachtet, wären wir wohl für Einbrecher gehalten worden, und ein bisschen fühlte ich mich auch so.

Erst als ich mich vergewissert hatte, dass das Apartment leer war, gab ich Giulia ein Zeichen, dass sie reinkommen und die Tür schließen sollte.

Die Wohnung war recht zweckmäßig, fast schon spartanisch eingerichtet und natürlich war sie aufgeräumt. Die Zeitungen der letzten Woche lagen alle säuberlich übereinander. Jede so, wie sie gekommen war, waren sie dort ungelesen aufgestapelt auf einem Schuhschrank im Eingangsbereich wie ein großes Ausrufezeichen, das darauf hindeutete, dass die Bewohnerin – und ich hoffte, es war die Bewohnerin – einige Tage unterwegs gewesen, dann kurz zurückgekommen war, um dann die Wohnung gleich wieder zu verlassen.

»Das ist komisch«, sagte Giulia noch mal und ich sah sie fragend an.

»Ihr Schlüssel hängt im Schlüsselkasten … Das bedeutet, sie hat keinen dabei.«

Die Angst schien inzwischen jeden Zentimeter von Giulias Gesicht erreicht zu haben. Als wir die kleine Küche betraten, setzte sie sich hin und ich sah, wie ihre Hand leicht zitterte. Ich war noch nie gut im Trösten, vor allem nicht dann, wenn jedes aufmunternde Wort ohnehin falsch geklungen hätte. Alles wird gut! Mir sagte ich das. Gina kann auf sich selber aufpassen! Und das konnte sie wirklich.

Immerhin war sie die jüngste Schwarzer-Gürtel-Trägerin der Xian Han Kung Fu Academy aller Zeiten und hätte den Wettkampfsport sicher auch weiter betrieben, wenn nicht die Karriere beim NYPD dazwischengekommen wäre. Ich hatte sie selbst im Einsatz erlebt – sie konnte definitiv auf sich selber aufpassen.

Aber auch diese Erkenntnis behielt ich lieber für mich, denn solche Sätze waren kaum dazu geeignet, mich selber aufzumuntern – wie hätte ich da erwarten können, dass sie auf Giulia beruhigender wirkten?

Ich warf derweil einen Blick in ihren Kühlschrank und fand eine fast leere Tüte Milch, etwas Käse, Marmelade, Butter – er war also insgesamt recht spärlich gefüllt. Das war kein schlechtes Zeichen. Jedenfalls besser, als wenn er üppig gefüllt gewesen wäre. So konnte es immer noch sehr gut sein, dass sie geplant hatte, für einige Zeit zu verschwinden.

Plötzlich stand Giulia entschlossen auf, ging aus der Küche hinaus und öffnete die Tür zu dem Raum daneben.

»Wenn sie länger weg ist, muss sie ja Sachen eingepackt haben«, sagte sie dann und ich hörte hektisches Auf- und Zuschieben von Schubläden und das Öffnen und Schließen von Schränken.

Dann Stille.

»Das müssen Sie sich ansehen – wo stecken Sie denn?«

Früher wäre es für mich kein Problem gewesen, hätte ich einen guten Grund gehabt, das Schlafzimmer einer Frau zu sehen, die mein Interesse geweckt hatte, und das, noch bevor irgendwas gelaufen war. Das war so ein bisschen wie am Tag vor einem Meisterschaftsspiel der Buffalo Bills ins leere Ralph-Wilson-Stadion zu gehen, allein durch die Katakomben zu schlendern und sich die Atmosphäre nur vorzustellen. Ich hatte einige Male die Gelegenheit gehabt, also ins Stadion zu gehen, ohne dass dort ein Spiel lief. Das Stadion, das übrigens fünfundzwanzig Jahre lang »Rich Stadium« hieß, was mir unzählige Male den Einstiegsgag beim Flirten geliefert hatte. Das hatte immer etwas Besonderes. Sich den Tag danach vorzustellen, den Triumph, wenn die Bills gewannen. Und mit Schlafzimmern von schönen Frauen erging es mir ähnlich. Aber Gina … Das war etwas anderes. Das widerstrebte mir irgendwie. Ich war mir bewusst, dass ich sie im Grunde genommen noch gar nicht richtig kannte, dass ich noch gar nicht wissen konnte, was es genau war, das mich auf so eine ganz anderer Art und Weise in ihren Bann zog. Geschmack hatte ich ja schon immer gehabt und ich wurde nie schüchtern oder gar nervös, nur weil eine Frau gut aussah. Mit Zweifel ging ich immer offensiv um. So hatte ich durchaus eine nicht gerade geringe Zahl von Körben in meinem Leben gesammelt, aber keiner dieser Körbe hatte mir je etwas bedeutet. Also jedenfalls nichts, was sich nicht durch ein paar Glas Glendalough hatte lösen lassen. Ich hatte mich im Laufe der Jahre damit abgefunden, als oberflächlich abgestempelt zu werden. Weil es stimmte. Ich blieb gerne an der Oberfläche, weil man von dort aus viel schneller wieder verschwinden konnte, wenn einem danach war. Und man hinterließ zudem nur kleinere Wunden. Für Männer, die den Super Bowl verpassten, weil ihre Ehefrauen an dem Tag zufällig Geburtstag hatten, hatte ich nur ein müdes Lächeln übrig. Einen Geburtstag konnte man verlegen – den Super Bowl nicht. Wo war das Problem?

Und nun hatte sich Gina in meine Gedanken eingeschlichen und verweilte dort seit dem Tag, an dem ich sie kennengelernt hatte – und das war neu für mich. Dass sie hübsch war mit ihren kurzen, wilden Haaren, die in der Sonne einen leichten Rotschimmer annahmen, ihrem durchtrainierten Körper, der durchaus aber auch sehr weibliche Züge aufwies, und ihrem Gesicht, das sich wie ein Gemälde seit dem ersten Tag vor meinem inneren Auge eingebrannt hatte, war das eine. Das andere war vielleicht die Mischung, die zwei Seiten der Medaille. Auf der Vorderseite die zähe Polizistin, die, seit sie vor vielen Jahren die Entscheidung gefällt hatte, Detective bei der Major Case Squad des NYPD zu werden, nur auf dieses Ziel fokussiert war und sich mit einer beeindruckenden Disziplin durchgekämpft hatte durch die Police Academy und den Jahren im Raubdezernat. Die – und das hatte ich selbst erlebt – im Einsatz sehr gelassen und konzentriert war und sich auf eine sehr ruhige Hand verlassen konnte, die auch in Extremsituationen eine SIG Sauer so sicher abfeuern konnte, als wäre sie in der Lage, der Kugel ihren Willen aufzwingen. Das Ergebnis unzähliger Übungsstunden auf dem Schießstand.

Aber es gab auch die andere Gina, die in ihrem Drang nach Perfektionismus immer wieder an Grenzen stieß, was sie für sich nicht akzeptieren konnte. Die Gina, die sich Gedanken machte, den Anforderungen nicht Genüge tun zu können, die sich nicht wohl dabei fühlte, einem Team vorzustehen, dem möglicherweise sogar besser ausgebildete Detectives angehörten. Männliche Detectives zudem, die, zumindest zu einem nicht geringen Teil, davon ausgingen, allein aufgrund von Dienstjahren, Alter oder Kraft besser geeignet zu sein für eine Führungsposition. Und Gina hätte sich bei einem älteren Kollegen wie Wakeford am liebsten entschuldigt, dass sie ihn überholt hatte, zumindest was ihre Position betraf. Die wissbegierig ihrem ehemaligen Partner Jim Mullan jeden Tag unzählige Fragen gestellt hatte und die trotzdem das Gefühl nicht loswurde, niemals ein so guter Cop zu werden wie dieser. Die Frau, die mir einerseits das Gefühl gab, ich müsste sie beschützen, und andererseits die Gewissheit, im Ernstfall auf sie zählen zu können und von ihr beschützt zu werden. Sie musste nur lernen zu akzeptieren, dass sie bereits ein guter Cop war, dann würde sie ein noch besserer Cop werden. Und sie war schon jetzt ein verdammt guter Cop. Vor allem aber war sie ein vermisster Cop.

Als ich nicht gleich reagierte, vernahm ich ein säuerliches Stöhnen und Ächzen und sah, wie Giulia sich mit etwas Schwerem abquälte. Ich kam ihr ein paar Schritte entgegen und half ihr, etwas ins Wohnzimmer zu tragen, das ich schon einige Male auf Polizeirevieren gesehen hatte. In meinem Büro hatte ich auch eine, aber noch nie hatte ich in einer Privatwohnung eine gesehen. Gina hatte in ihrem Schlafzimmer also eine Mordfalltafel stehen. Möglicherweise hatte sie – und ich hoffte, sie hatte – diese nur da rein gestellt, weil sie länger nicht anwesend war. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie Nacht für Nacht neben einer Mordfalltafel schlief. Klar, Cops mussten abstumpfen – wenn man täglich Mordfälle auf dem Kalender stehen hat, mag es seinen Schrecken einbüßen und vielleicht sah sie es so, als würde sie Arbeit mit nach Hause nehmen. Das taten andere Menschen auch andauernd, ohne dass es deswegen gruselig war.

»Kennst du einen von diesen Namen?«, fragte ich Giulia, nachdem mein Gehirn ein bisschen sortiert hatte, was Gina da notiert hatte. Die meisten Notizen auf der Tafel mussten da schon länger draufstehen, denn die Schrift war schon ein bisschen verblichen. »Marty McKinnan« stand da und darunter »Rädelsführer« und »Geschäftsführer Boston Westend Marketing« und schließlich »Sohn reicher Eltern«, daneben ein fettes Fragezeichen, das offenließ, ob nun infrage gestellt wurde, dass seine Eltern reich waren oder ob diese Feststellung irgendwie ungewöhnlich war. Die Attribute »intelligent«, »arrogant«, »attraktiv« und »angeschossen« vervollständigten das Bild.

Daneben stand ein weiterer Name: »Virginia Meadow, Harvard-Studentin«. Dahinter hatte Gina ein schwarzes Kreuz gemalt. Direkt darunter ein weiteres schwarzes Kreuz neben dem Namen »Luke Brinson«. Worum ging es hier? An einen Amoklauf in Harvard hätte ich mich erinnert.

Daneben standen drei Fragezeichen – hier fehlten die Namen und es gab außer so vagen Beschreibungen wie »1,85 groß, sportliche Figur« nichts Verwertbares. Unter dem dritten Fragezeichen fehlten die Informationen komplett. Stattdessen stand ein kleines Fragezeichen darunter, so als würde es das Große infrage stellen. Aber hier fehlte noch etwas ganz anderes – wenn das eine Mordfalltafel war, dann würden in der Mitte Informationen über das Opfer stehen. Eine Mordfalltafel ohne Opfer? Ging es hier überhaupt um einen Mordfall? Oder war das Opfer noch gar nicht bekannt? Noch nicht gefunden?

Ich machte ein Foto von der Tafel und wir hoben sie wieder dahin zurück, von wo wir sie her hatten. Immerhin standen ein paar Namen drauf, das eröffnete Möglichkeiten.

Ich warf einen verstohlenen Blick auf ihr Bett, um festzustellen, dass es sehr sauber gemacht worden war.

»Ploppklack« Giulia sah zu mir herüber und ich schüttelte den Kopf. Egal, welchen Klingelton man für sein Handy wählte, ob für einen Anruf oder für den Empfang einer SMS – es gab so etwas wie ein internationales Soundmuster dafür, dass es als Handyklingelton eindeutig identifizierte. Nur:_ Wenn das Geräusch weder von Giulias noch von meinem Handy kam, dann …

Giulia öffnete die Schublade von Ginas Nachttisch so vorsichtig, als würde bei größerer Vibration mindestens das Handy, das langsam zum Vorschein kam, hochgehen. Vorsichtig hob Giulia es hoch und sah mich dann an.

»Gina geht nie, nie ohne Handy aus dem Haus!«

Sie streckte mir das Telefon entgegen, so als würde ich die Situation anders nicht verstehen können. Aber was für einen Grund konnte Gina haben, ihr Handy in der Nachttischschublade liegen zu lassen? Für Giulia schien das ein schlechtes Zeichen zu sein, aber bitte, was sollte denn passiert sein? Ein Entführer hatte ihr seinen Revolver an den Kopf gehalten, damit sie beim NYPD anrief und ihren Captain kurzfristig um Urlaub bat? Ich hatte nun wirklich schon sehr skurrile Fälle erlebt, aber das war Unfug und langsam fing ich an, mir zusammenzureimen, was hier ablief. Doch noch war es zu früh, um es auszusprechen.

»Was jetzt?«, fragte ich Giulia, die mich ansah, als ärgerte sie sich, dieselbe Frage nicht als Erstes gestellt zu haben.

»Adriano«, sagte sie nach einem kurzen Zögern.

 

Adriano di Rienzo musste sich schon in seinen Sechzigern eingerichtet haben. Sein Haar strahlte in einem fast unnatürlich hellem Weiß und wies bereits erhebliche Geheimratsecken auf. An den Seiten war es dagegen ziemlich buschig, sodass sie sich fast zu einer kleinen Welle krümmten. Die dunkelgrauen Augenbrauen dagegen sahen aus wie gefärbt, wie gewolltes Color Blocking, obwohl ich mir ziemlich sicher war, dass Adriano di Rienzo dieses Wort noch nie gehört hatte. Aber er sah komisch aus damit, denn sie betonten seine ohnehin sehr dunklen Augen, die durch die schneeweißen Haare noch dunkler aussahen. Sein Gesichtsausdruck war trüb, obwohl er noch sehr charmant gelächelt hatte, als Giulia ihn begrüßte. Es war ein Vorteil an dieser Stelle, dass sie dabei war. Nicht nur, dass wir ohne sie nicht in Ginas Wohnung gekommen wären. Auch wenn ich wohl ebenfalls auf den Gedanken gekommen wäre, im Weingeschäft zu fragen, ob der sympathisch aussehende Verkäufer vielleicht etwas über Ginas Aufenthaltsort wusste, so wäre er sicher nicht so auskunftsfreudig gewesen, wie er es bei Giulia gewesen war.

»Er ist fast Familie«, erklärte mir Giulia, als wir wieder auf der Straße standen. »Jugendfreund vom Sohn des Schwagers meines Opas …«, sagte sie, presste die Lippen zusammen und hob die Augenbrauen.

Ich versuchte gar nicht erst, das nachzuvollziehen. Ich begnügte mich für den Moment damit, dass er uns eine gute Nachricht gegeben hatte.

»Doch, glaub mir, das ist eine gute Nachricht!«, hatte ich zu Giulia gesagt. Und hatte damit definitiv Recht. Es war di Rienzo gewesen, der die Zeitungen säuberlich auf Ginas Schuhschrank aufgestapelt hatte. Und er war es auch gewesen, der die Tür hat nur zufallen lassen, weil er einen Anruf auf seinem Handy bekommen und darüber vergessen hatte abzuschließen. Und das alles hatte er getan, weil ihn Gina darum gebeten hatte, da sie für einige Tage nicht zuhause sein würde.

Sie hatte geplant wegzugehen. Für ein paar Tage. Was zum Teufel machen wir hier?

Sie war also nicht entführt worden oder so etwas. Aber sie handelte sich möglicherweise Ärger ein. Ärger, der sie um ihren Job bringen konnte, so oder so ähnlich hatte es Wakeford formuliert. Und das ergab keinen Sinn. Ihr ganzes Leben hatte sie auf dieses eine Ziel hingearbeitet: Detective des NYPD zu werden. Dafür hatte sie hart gekämpft, hatte sogar ihren Wettkampfsport aufgegeben, der bis dahin ihr Lebensinhalt gewesen war. Und alles, um es jetzt aufs Spiel zu setzen? Für was? Oder war die Frage eher: Für wen?