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Herausgeber:

GEO

Die Welt mit anderen Augen sehen

Gruner + Jahr AG & Co. KG, Druck- und Verlagshaus,

Am Baumwall 11, 20459 Hamburg

www.geo.de/ebooks

eISBN: 978-3-65200-822-8

Inhalt

Die wahre Bedeutung der Bibel

Von Kai Michel und Carel van Schaik

Zusatzinfos

»Es ging nicht ohne Gewalt«

Wie wurden Menschen sesshaft – und warum? Interview mit dem Anthropologen und Politologen James C. Scott

Von Lars Weisbrod

Die wahre Bedeutung der Bibel

Adam und Eva, der Turmbau zu Babel, Sintflut, Exodus und Apokalypse: Es ist höchste Zeit, die so faszinierenden wie rätselhaften Geschichten der Bibel neu zu lesen. Nicht als Gottes Wort. Sondern als Versuch der Menschen, dem Unheil der Welt zu trotzen

Von Kai Michel und Carel van Schaik

Ist es nicht seltsam? Kaum hat Gott die Welt erschaffen und seine Schöpfung für „sehr gut“ befunden, da geht es drunter und drüber: Adam und Eva verweigern den Gehorsam, Kain erschlägt seinen Bruder Abel, und die Menschen treiben es so wild, dass Gott sie in der Sintflut ertränken muss. Auch der Turmbau zu Babel endet im Desaster, und in den Sippen der Patriarchen Abraham, Isaak und Jakob herrschen Zank und Zwietracht, Sodom und Gomorra.

Die Bibel – das Wort eines guten Gottes? Oder das Werk eines fürchterlichen Dilettanten? Der katastrophale Start der Bibel stürzt seit jeher Menschen in Glaubenszweifel. Längst ist die Heilige Schrift zum Sturmgeschütz der Atheisten avanciert. Der Evolutionsbiologe und Religionskritiker Richard Dawkins poltert, sie sei „in großen Teilen nicht systematisch böse, sondern einfach nur grotesk“ – von „einer chaotisch zusammengestoppelten Anthologie zusammenhangloser Schriften“ sei ja auch nichts anderes zu erwarten.

Da überrascht es nicht, dass die Bibel allenfalls noch an Weihnachten hervorgeholt wird, um die Geschichte von Maria, Josef und dem Jesuskind im Stall von Bethlehem zu lesen. Die meisten anderen Episoden erscheinen im besten Falle unverständlich, im schlimmsten Fall schockieren sie mit Gemetzel, Vergewaltigung, Völkermord. Bibeln, die in den Nachtschränkchen von Hotels liegen, enthalten oft nur noch die Psalmen und das Neue Testament. Der Rest scheint Albträume zu bereiten.

Höchste Zeit für eine Rehabilitierung der Bibel! Sie trägt keine Schuld daran, zu einem Buch mit sieben Siegeln geworden zu sein. Sie ist das Opfer von Missverständnissen, Fehlinterpretationen und falschen Erwartungen. Räumt man diese beiseite, wird die Bibel nicht nur erstaunlich verständlich, dann geht sie uns alle an, selbst wenn wir gar nicht an Gott glauben.

Skeptisch? Die Sache ist denkbar einfach: Ein Buch, das seit über 2500 Jahren einen Großteil der Menschheit in Atem hält, das heute noch weltweit von mehr als zwei Milliarden Menschen als Heilige Schrift angesehen wird und mit einer geschätzten Auflage von fünf Milliarden Exemplaren unangefochten auf Platz eins der ewigen Weltbestsellerliste steht – ein solches Buch sollte doch Einblicke in die Natur des Menschen und seine kulturelle Evolution geben wie kein zweites Werk.

Das war die Ausgangsüberlegung, mit der wir uns an die Lektüre der Bibel machten. Wir – ein Evolutionsbiologe und ein Historiker – lasen das Alte und das Neue Testament nicht aus einer religiösen, sondern aus einer anthropologischen Perspektive. Also nicht als Wort Gottes, sondern als Tagebuch der Menschheit.

Das ist es tatsächlich: Gut tausend Jahre lang haben die verschiedensten Autoren Seite um Seite zum Buch der Bücher hinzugefügt. Viele werden namentlich genannt – von Mose und David über die Propheten und Evangelisten bis zu Johannes von Patmos, dem Visionär der Apokalypse. Wer sich hinter diesen Namen verbirgt, bleibt oft im Dunkeln. Sicher aber ist die Bibel ein Gemeinschaftswerk, geschrieben von Menschenhand.