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Etwas hat überlebt ...

Martin Selle ist der weltweit einzige Autor für modern unterhaltsam-bildende Kinder- & Jugendliteratur®.

Die Autoren stehen für Lesungen zur Verfügung, gelten als die wirksamsten Lesemotivatoren im deutschen Sprachraum (siehe Buchende).

Mehr Information:

www.martinselle.com

Copyright by Martin Selle, 2018

ISBN Hardcover: 978-3-7439-7447-0

Verlag und Druck:

Martin Selle

mit Susanne Knauss

Drachenkrieger

Etwas hat überlebt ...

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tredition

Geschrieben für all jene, die spüren, dass da noch etwas ist, irgendwo dort draußen.

- M. S. -

Für unsere Leser, ein Buch, wie ihr es heutzutage wollt.

- S. K. -

Inhalt

In den Schneebergen

In der weiten Talebene

Graf Grünwald

Der Drache

Der Plan

Die Eltern

Zur gleichen Zeit in den Schneebergen

Cora

Durch die Lüfte

Zur gleichen Zeit in den Schneebergen

Gelandet

Aufbruch

Abstieg

Jagdfieber

Manipoga

Bernie

Der zweite Versuch

Das Geheimnis

Rache

Abschied

In den Schneebergen

Pakito stapfte durch den Schnee. Bei jedem Schritt versanken seine Fellstiefel knöcheltief Schon gestern Abend hatte er die wärmenden Iglus seines Dorfes verlassen. Pakito gehörte zum Stamm der Schneekrieger. Diese kleinwüchsigen Menschen lebten seit Urzeiten oben über dem Wolkenmeer. Für gewöhnlich kam kein Talmensch hier herauf. Ein Schneekrieger erreichte die Größe eines zehnjährigen Talmenschen, nicht mehr. Aber flink waren sie wie eine Eisgämse und ihre Augen sahen scharf wie die des Gletscherfalken.

Nach all den Wanderstunden spürte Pakito noch immer keine Müdigkeit in den Beinen. Er war so fit wie ein erwachsener Krieger. Ziel seiner Jagd war der Schneelöwe, ein geheimnisvolles Tier, das alle außer ihm für reine Fantasie hielten. Aber dieses Gerede interessierte Pakito nicht. Auch wenn ihm die anderen Dorfbewohner nicht glaubten, er wusste, dass damals ein Schneelöwe nur wenige Meter von ihm entfernt am Eingang der großen Eishöhle gestanden hatte. Natürlich war das scheue Tier sofort verschwunden, als es Pakito bemerkt hatte.

Fest entschlossen stapfte Pakito weiter zwischen den Eisbergen, Gletscherspalten und Felsblöcken hindurch. Er würde den Schneelöwen finden, ihm ein Büschel Haare aus dem weißen Fell schneiden und dann im Dorf kein kleiner Junge mehr sein. Dann war er, was er schon lange sein wollte: Pakito, der Schneekrieger.

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„Außer mir hat noch niemand den Schneelöwen gesehen“, dachte Pakito, „weil sich noch keiner außer mir so weit an die geheimnisvollen Eishöhlen herangewagt hat.“ Die Eishöhlen lagen in der gefährlichen Zone. Man munkelte, hier lebe ein Ungeheuer. Tief im Inneren der Höhlen warte es darauf, dass leichtsinnige Schneemenschen sich zu weit in sie vorwagten, um sie dann zu packen und in das eisige Innere zu verschleppen. Kein Krieger hatte das Wesen bisher gesehen, aber alle Schneemenschen kannten die Sage von Manipoga, der so riesig sein sollte, dass er den Himmel verdunkelte.

Pakito blieb stehen. Die Morgensonne kletterte über die Berggipfel herauf. Ihre Strahlen trafen sein Gesicht und wärmten es. Der Schnee glitzerte im roten Licht wie Feuerkristalle. Pakito glaubte nicht, dass es dieses Ungeheuer gab. Die Geschichte war sicher erfunden, um Kinder von der großen Eishöhle und den Gletscherspalten fernzuhalten.

Doch den Schneelöwen gab es, da war sich Pakito sicher. Warum wäre auch sonst dieser Junge aus dem Tal mit seinem Begleiter in sein Dorf gekommen. Vier Wochen war das nun her. Er wollte von Pakito etwas über das Geheimnis der Eishöhlen erfahren, weil sich niemand außer ihm jemals bis dorthin vorgewagt hatte. Zwei Stunden verbrachte der fremde Junge in seinem Dorf. Dann zogen sie weiter, zur Eishöhle, sagte man. Was aus ihnen geworden war, wusste Pakito nicht.

Plötzlich hob Pakito den Kopf. „Herrgott, was ist das gewesen?“

Ein dumpfes, grollendes Fauchen drang an seine Ohren. Es hallte durch die Schneeberge. Nie zuvor hatte er so etwas gehört. Das war kein Schneelöwe. Unheimlich. Pakito sprang hinter einen Felsvorsprung. Erlegte einen Pfeil an die Bogensehne.

Wieder ertönte das Fauchen.

Pakitos Herz pochte heftig. Er blickte zum Himmel. Das Geräusch kam nicht von einem dieser Eisenvögel, die weiße Straßen am Himmel benutzten. Vor fahren war einmal einer davon in der Nähe seines Dorfes heruntergefallen.

Das Gebrüll stammte von einem Tier. Von einem riesigen Tier. Und es schien auf ihn zuzukommen. Oder war das nur ein Echo von einem Felssturz?

In der weiten Talebene

„Würden Sie mir bitte erklären, warum ich zu Graf Grünwald kommen soll?“, fragte Simon Keller.

Der Fahrer des schwarzen Jaguars trug eine graue Uniform und weiße Handschuhe. Er lenkte den Wagen in eine Seitenstraße und überlegte, ob er antworten durfte.

Simon war zwölf, sportlich schlank und blickte den Fahrer aus seinen blauen Augen wachsam an. Sein braunes, strähniges Haar hing ihm in Fransen in die Stirn.

„Du weißt es wirklich nicht?“, fragte der Fahrer. „Oh, Verzeihung. Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt: Olaf Parker. Aber nenn mich Olaf - wie alle.“

„Keinen Tau davon, was ich hier soll, Olaf.“

„Hat dir Graf Grünwald von der SMS erzählt, die er bekommen hat?“

Simon schüttelte den Kopf und starrte Olaf über den Rückspiegel fragend an.

„Er erhielt die Nachricht vor sieben Tagen. Sie hat ihn völlig fassungslos gemacht. Sie kam von Viktor.“

„Von meinem Schulfreund Viktor?“

„Seinem Sohn, ja.“

„Was stand denn in der Nachricht?“

„Keine Ahnung. Selbst wenn ich es wüsste, ich müsste dir gegenüber schweigen. Es hängt mit Viktors Expedition in die Schneeberge zusammen.“

„Expedition?“

„Graf Grünwald wusste nichts davon. Er glaubt, es hat etwas mit seinem Geburtstag zu tun.“

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„Kein Mensch wagt es, über die Wolken hinaufzusteigen. Die Schneeberge sind ein Gebiet, in dem die Luft dünn ist, es weniger Sauerstoff zum Atmen gibt als hier unten bei uns. Zu viele sind von dort nie mehr zurückgekehrt.“

„Jedenfalls ist die Expedition der Grund, weshalb ich dich abholen musste. Wir sind da.“

Olaf lenkte die Limousine in die Kant-Straße. Durch ein schmiedeeisernes Tor bog er zur Villa Grünwald ab, einem riesigen, mehrstöckigen Haus mit vielen Fenstern und Balkonen. Die Villa lag inmitten eines dicht bewaldeten Parks. Über dem Haupteingang prangte eine Schrift: Naturhistorisches Museum Grünwald - Zoologische Rätseltiere. „Klingle nicht, geh gleich hinein. Die anderen sind schon da“, sagte Olaf.

Die anderen? Simon stieg aus dem Auto, ging die Treppe zum Eingang hinauf und betrat das Museum. Kaum stand er in der riesigen Eingangshalle, hörte er Stimmen hinter einer verschlossenen Zimmertür. Es waren drei Männerstimmen. Eine klang erhaben - „Graf Grünwald“, dachte Simon. Eine andere hörte sich rau an, kalt. Die dritte war heller, friedlicher.

Simon klopfte an.

„Herein!“, dröhnte es streng.

Simon trat ein, mit feuchten Händen, wie er bemerkte.

Graf Grünwald

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„Ah, Simon!“, freute sich Graf Grünwald. „Wir warten schon auf dich.“ Der Graf, ein älterer Mann mit grauem Haar, braungebrannt und in einen dunklen Anzug mit Hemd und Fliege gekleidet, stand mit zwei Männern auf der Terrasse des Wohnzimmers. Er winkte Simon zu sich und den anderen herüber. „Verehrte Gäste, ich stelle Ihnen hiermit Simon Keller vor, den engsten Schulfreund meines Sohnes Viktor.“

Simon ging auf die Männer zu. Der eine, ein Riese, trug Lederjacke und Filzhut. Er streckte Simon seine riesengroße Hand entgegen. Simon erinnerte er an Indiana Jones. Er war muskulös, kleine Falten und Narben prägten sein kantiges Gesicht. „Adam Kocker, genannt Mr Shooter“, sagte der Mann. Seine Stimme war ebenso rau wie sein stoppelbärtiges, unrasiertes Gesicht. In Mr Shooters Augen funkelte ein entschlossener Wille.

„Das ist Mr Shooters Freund und Helfer“, stellte Graf Grünwald den zweiten, kleineren Mann vor.

Simon blickte ihn neugierig an. Der Mann war schlank und im Vergleich zu Mr Shooter schmächtig. Sein lackschwarzes Haar hing ihm über die Ohren bis in den Nacken. Seine tätowierten Unterarme wirkten sehnig. In seinem freundlichen Blick zeichneten sich Stärke und Ausdauer ab. Simon starrte auf das Drachentattoo, das sich über den rechten Unterarm des jungen Mannes schlängelte.

„Bernhard - Bernie - Frank“, sagte er mit der helleren Stimme, die Simon zuvor schon gehört hatte. Bernie schüttelte Simon die Hand. „Schön, dich kennenzulernen.“

„Ich freue mich“, sagte Simon. Er war etwas verwirrt in Anbetracht der merkwürdig aussehenden Gäste.

„Mr Shooter und Mr Bernie sind aus demselben Grund hier wie du“, erklärte Graf Grünwald. „Gleich erzähle ich euch mehr darüber. Zunächst aber sage ich danke, danke dafür, dass ihr gekommen seid, um einem verzweifelten Vater und begeisterten Fan von Rätseltieren bei seinem waghalsigen Plan zu helfen. Möge das Glück auf unserer Seite sein.“

Simon fragte sich, was diese geheimnisvollen Worte wohl zu bedeuten hatten.

„Simons Vater ist einer der berühmtesten Tierforscher, meine Herren“, führte Graf Grünwald aus und lächelte bei diesen Worten. „Beinahe alle außergewöhnlichen Tiere, die Sie nur hier im Naturhistorischen Museum Grünwald sehen können, hat er entdeckt und erforscht. Wir kennen einander seit Jahren. Derzeit leitet übrigens Kurt Keller mein Museum.“

„Wir haben viel von deinem Vater gehört“, bemerkte Mr Shooter.

Simon sah ihn fragend an.

„Mr Shooter und Mr Bernie sind zwei der erfolgreichsten Großwildfänger“, erklärte der Graf. „Sie beliefern Zoos mit allen erdenklichen Tieren. Wo andere die Jagd aufgeben, fangen sie erst richtig an. Wie damals mit dem Weißen Hai, nicht wahr, Mr Shooter?“

„Sie sagen es, Graf. Das war was, damals. Die Flosse an meinem rechten Fuß hatte sich in einer Riffspalte verfangen. Auge in Auge trieb ich dem Hai gegenüber im Ozean. Ich hatte fast keine Atemluft mehr in meiner Tauchflasche. Mein Harpunenpfeil steckte in seiner Flanke. Einen meiner Männer hatte das Biest bereits gebissen. Nun stand ich auf seinem Speiseplan. Aber ich ließ keine Angst erkennen. Ich glaube, der Hai spürte das - er wollte keinen Kampf. Er drehte ab.“

„Und dann rettete man Sie?“, fragte Simon.

„Dann jagte ich dem Monstrum einen zweiten Pfeil nach. Heute hängt es präpariert an meiner Küchenwand.“

„Sie haben sich am Hai gerächt?“

„Natürlich, mein Junge. Ich bin auch Jäger.“

Für Sekunden schwiegen alle.

Dann sagte der Graf: „Ich denke, es ist an der Zeit, das Geheimnis meiner Einladung zu lüften.“ Er bat seine Gäste, ihm in sein Arbeitszimmer zu folgen.

Das Arbeitszimmer war vollgestopft mit Bücherregalen, deckenhohen Pflanzen und einem Couchtisch, der von Ledersesseln umringt war. Ein großer Fernsehapparat hing an der Wand und war über ein Kabel mit einem Laptop verbunden.

„Ehe ich euch verrate, warum ihr hier seid, kurz ein paar Worte zum Museum“, sagte Graf Grünwald. Er schaltete den Computer ein. Ein Bild von seinem Museum erschien auf dem Fernsehschirm. „Dieses Museum ist einzigartig auf der ganzen Welt. Außer ihm gibt es kein zweites auf diesem Planeten, das sagenumwobene Rätseltiere zeigt. Wir sind Spezialisten für das Aufspüren solcher Spezies, so genannte Kryptozoologen.“

„Was genau meinen Sie damit“, fragte Simon.

„Ich meine damit, wir suchen ständig nach Lebensformen, die vor den Menschen verborgen leben, die ins Reich der Fantasie verbannt wurden.“