Buchcover

Will Berthold

Adams Letzte

Saga Egmont




Teil 1

1

Sie saß beim Fünf-Uhr-Tee in der Halle des berühmten Hotels und ignorierte das Aufsehen, das sie auslöste. Mit übereinandergeschlagenen Beinen, leicht in den tiefen Polstersessel zurückgelehnt, erschien sie den Umsitzenden wie eine unbändige Versuchung; dabei tat sie nichts dazu. Die schöne Unbekannte war höchstens dreißig, vermutlich ein paar Jahre jünger. Ihr ovales Gesicht mit der glatten Haut sah unverbraucht aus. Und unbeschrieben. Ihre Augen waren von einem leuchtenden Braun. Sie trug keinen Schmuck, auch keinen Ehering. Ihre Aufmachung unterschlug nicht ihre körperlichen Reize, doch präsentierte sie das Sehenswerte auch nicht im Schaufenster.

Schon auf den ersten Blick bemerkte man, daß die Dunkelhaarige keine sterile Plakatschönheit war. Sie saß schon über eine halbe Stunde allein am Tisch in dem großen Raum mit dem Fluidum gediegener Vergangenheit und anhaltenden Wohlstands, doch sah es nicht aus, als sei sie versetzt worden und erwarte noch immer ihren Begleiter. Die Blicke Neugieriger liefen von ihr ab wie Rinnsale von einem aufgespannten Regenschirm.

Alleinreisende Damen ihres Alters waren in Thailands renommiertestem Hotel äußerst selten — sie mußten reiche Erbinnen, frühe Witwen, austauschbare Begleiterinnen eines Ölmoguls oder schlichtweg Hochstaplerinnen sein. Die Gäste lösten das Rätsel nicht, aber sie ergriffen Partei — meistens zugunsten der unbekannten Schönen. Nichts deutete darauf hin, daß diese attraktive Provokation schon in nächster Zukunft zum Schicksal einiger Anbeter werden würde, die ihr hier und heute zufällig begegneten. Vermutlich hätte sie in Bangkoks Hotel »Oriental« weniger Furore gemacht, wäre dieser Jet-set-Tummelplatz am späten Nachmittag nicht vorwiegend von Herren besetzt gewesen, und solche sind in erster Linie schließlich Männer. Ab heute bot sich in allen Luxusherbergen der südostasiatischen Metropole das gleiche Bild: Eine Spätausgabe von Adams Geschlecht, gewissermaßen auf Hochglanzpapier und in goldenen Lettern, zeigte sich in absoluter Überzahl.

Rotary-international, eine exquisite Männervereinigung, war zu einem Weltkongreß zusammengetreten, um alte Bekanntschaften zu pflegen, neue Beziehungen zu knüpfen und hochherzige Spenden abzuliefern.

Die Eröffnungsveranstaltung heute morgen hatte den Teilnehmern einen schweren Schock versetzt, als vom Tagespräsidenten mit kippender Stimme ein Telegramm verlesen worden war: Zu den vierzehn Mordopfern des Bombenanschlags vom letzten Freitag in der Schalterhalle der »Banca Nazionale dell’Agricultura« in Milano gehörte auch einer der bekanntesten Rotarier; sein Referat über die derzeitige Lage der italienischen Industrie stand als zweite Veranstaltung im ausgedruckten Programm.

Die Delegierten waren erschüttert und verstört, nicht nur, weil sie den Ermordeten gekannt und geschätzt hatten, sondern weil diese neue Dimension wahnwitzigen Terrors von Rechts- und Linksextremisten letztlich jeden bedrohte, der eine bedeutende Position innehatte.

Rotarier standen, in welchem Beruf auch immer, stets an der Spitze. Die letzten Headlines eines Jahres, in dem der frühere US-Präsident Eisenhower und der Vietkong-Chef Ho Chi Minh gestorben waren, verbreiteten Horror. Das Jahr 1969 lief aus wie ein faules Ei.

Wegen des Rotariertreffens waren in dieser Vorweihnachtswoche die Nobelquartiere Bangkoks schon seit Monaten ausgebucht. Man hatte diesen ungewöhnlichen Termin gewählt, damit die Teilnehmer eventuell in einem anschließenden Urlaub die Festtage mit ihren Frauen, Familien oder sonstigem Anhang in exotischen Paradiesen verbringen konnten.

Gäste drängten von draußen in die Hotelhalle, verschwitzt und abgekämpft, auf der Flucht vor Hitze — Advent bei fünfunddreißig Grad im Schatten —, Staub und Lärm. Das »Venedig des Ostens« war ein strapazierender, wenn auch großartiger Schauplatz, so chaotisch wie exotisch. Ein frommes Babylon mit stillen Oasen der Besinnung gleich neben den plärrenden Aufreißschuppen. Eine wildwuchernde Steinwüste voller Pretiosen. Orchideen im Schlamm. »Krung Thep« nennen die Thailänder die Fünf-Millionen-Stadt, die unter ihrem westlichen Pseudonym Bangkok weit bekannter ist. Der einheimische Name der Mammutmetropole lautet in wörtlicher Übersetzung: »Die Stadt der Engel«. Wenn man damit die gefallenen meinte, gab es laut Expertenschätzung weit über 500 000. Sie gingen in Tanzschuppen und Massagesalons ihrem Gewerbe nach und konnten nach Bezahlung der Lady-off-Taxe an ihre Manager von ihren Kunden gleich mitgenommen werden wie frische Ware in einem Supermarkt, zum alsbaldigen Gebrauch bestimmt.

Weitere Versprengte der Sightseeing-Tour betraten die Hotelhalle, gefolgt von einem hochgewachsenen, eleganten Einzelgänger, der am Eingang stehenblieb wie der Hauptdarsteller beim Betreten der Bühne, auf Ovationen wartend: Cecil Casagrande, der Schriftsteller.

Er sah sich in der gutbesetzten Halle nach einem Platz um und ließ sich dabei Zeit, um von den Anwesenden erkannt zu werden. Casagrande hatte einen Panoramablick. Keine Einzelheit entging ihm, schon gar nicht die dunkelhaaarige Attraktion in der Ecke, die kurz von der »New York Times« aufsah, vermutlich lange genug, um zu wissen, wer er war. Für ein paar Sekunden gelang es Casagrande, der faszinierenden Lady die Schau zu stehlen, doch im nächsten Moment siegte sie wieder spielend über drei, vier Bestseller.

Der Protagonist überlegte, ob er sich zu ihr setzen sollte — ein Mann wie Casagrande wäre wohl an jedem Tisch willkommen. Er ging in ihre Richtung, doch kurz vor dem Ziel fing ihn George Bannister, sein amerikanischer Verleger, ab.

»Das ist ja eine VIP-Galerie«, schmeichelte der Autor der Tischrunde und verbeugte sich vor den gesetzten Herren, die am Revers das Zahnrad auf blauem Grund, das Abzeichen der Rotarier, trugen. Zu seinem Leidwesen war Casagrande noch immer nur Gast, nicht Mitglied dieses exklusiven Zirkels. Der gebürtige Elsässer sollte am letzten Tag in nichtoffizieller Sitzung aus seinem neuesten Roman »Der Biß der Jahre« lesen.

»Sie haben sich ja eine entzückende Nachbarschaft ausgesucht«, stellte er mit einem offenen Blick zum Nebentisch fest und fragte dann mit gedämpfter Stimme: »Kennt jemand diese reizende Dame?«

Zwischen Odermatt, dem Gnom aus Zürich, und dem deutschamerikanischen Industriellen Laimer war für den Autor noch ein Sessel frei — für einen Mann wie ihn rückte man gerne zusammen. »Leider nein«, erwiderte der Schweizer.

»Aber Sie würden sie vielleicht gerne kennenlernen«, konstatierte der Erfolgsautor mit einem gewissen Lächeln. Er konnte mit dem Bankier durchaus in dieser Weise sprechen. Der Mann verwaltete sein schweizerisches Konto.

»Lieber Freund«, erwiderte der Untersetzte, der seine Figur durch Bodybuilding trimmte und seine Körpergröße durch Spezialschuhe im Stehen um sieben Zentimeter vergrößerte. »Ich bin bereits zum dritten Mal verheiratet …«

»Sie Anfänger«, versetzte Casagrande launig und brachte seine Zuhörer zum Lachen; sie schätzten seinen frivolen Witz und seinen unbestreitbaren Charme. Selbst wenn er giftig wurde und maßlos überzog, war der Romanschriftsteller noch immer unterhaltsam. »Exhausted?« fragte der New Yorker Publisher seinen Starschreiber.

Der Elegant schüttelte den Kopf; er war auch nicht erschöpft. »Du kasteist dich doch immer so, George«, sagte er zu Bannister. »Ich soll dich vom goldenen Buddha im Wat Trimitr grüßen«, spöttelte er. »Er wiegt fünfeinhalb Tonnen in Edelmetall — er ist richtig stolz auf sein Gewicht.«

Die Umsitzenden begriffen die Anspielung; sie wußten, daß der hagere Amerikaner einen seltsamen Kampf gegen die Kalorien führte: Sowie er über die Stränge schlug, nahm er zu, aber nur im Gesicht und im Nacken.

Der Literat hatte sich bereits geduscht und umgezogen: er tat es mindestens viermal täglich. Er war immer eine Nuance zu gut gekleidet. Selbst wenn er sich am Morgen an seinen Schreibtisch setzte, trug er Anzug und Krawatte, als wollte er das leere Blatt Papier freien. Er war vor knapp sechzig Jahren — zweiundfünfzig gab er zu — in Straßburg als Clemens Großhaus zur Welt gekommen. Nach den ersten Bucherfolgen hatte er seinen deutschen Namen des Wohlklangs wegen in das Italienische übersetzt, und damit es nicht zu südländisch klang, das englische »Cecil« als Vornamen gewählt. Böse Zungen behaupteten, er hätte das Pseudonym Casagrande gewählt, weil es phonetisch an Casanova erinnere. Tatsächlich war der einstige Starreporter des »Paris Match« ein Frauenfreund, wenn man damit reifere Damen meinte, wie sie wohl auch das Gros seiner Leserinnen darstellten. Er war ein Modeautor, doch modern war er nicht und wollte er auch nicht sein. Sein literarisches Reservoir war meistens die Vergangenheit, ein Hauch von fin de siècle — ein wenig schwermütiger Glanz — und seine Dialoge waren Florett mit der Zunge. Die Gegenwart war ihm zu unromantisch. In zwanzig Sprachen übersetzt, erreichten seine Bücher Millionenauflagen. Bei der Verlegung seines Wohnsitzes nach Monte Carlo war der Patriotismus für seine Wahlheimat die Steuerersparnis gewesen.

Casagrande stellte belustigt fest, daß nicht nur sein Blick immer wieder den Weg zu der schönen Unbekannten von nebenan suchte. Die perfekte Lady, schlicht und teuer angezogen, trug ein mäßig ausgeschnittenes Kleid aus grüner Thaiseide, in der Taille gestrafft und im Rock weit ausschwingend. Ihre Nähe machte offensichtlich den Herren am Tisch zu schaffen.

Die meisten der Seh-Löwen standen schon aus Altersgründen dem Verzicht näher als dem Verlangen, doch die Gesichter ließen erkennen, daß dieser herrliche Blickfang die Phantasie beflügelt haben mußte, diese Grauzone zwischen Traum und Wirklichkeit. Die gewichtigen Herren in den allerbesten Jahren waren sicher, gegen späte Anfechtungen und schleichende Versuchungen gefeit zu sein, doch selbst der alte Whitehead empfing mit seinen dreiundachtzig Jahren noch die Morsezeichen der Sinnlichkeit, wiewohl er seine Antenne schon seit vielen Jahren eingezogen haben mußte.

Nur Laimer, der Großindustrielle, übersah die schöne Unbekannte geflissentlich; den gut erhaltenen Sechziger mit den grauen Schläfen und den auffallend buschigen Augenbrauen, einen Selfmademan, der es vom kleinen Ingenieur bis zum Alleinherrscher über einen weltweiten Elektronikkonzern gebracht hatte, interessierte wohl außer seinem Fach nichts auf der Welt. »Das Wirtschaftswunder in Deutschland hat jetzt wohl den höchsten Gipfel erreicht, wenn nicht bereits überschritten«, analysierte er. »Wie Sie wissen, meine Herren, produziere und lebe ich abwechselnd in den USA und in der Bundesrepublik — ich kenne die Situation also aus eigener Erfahrung. Amerika hat zur Zeit doppelt so viele Arbeitslose wie Westdeutschland Gastarbeiter: drei Millionen gegenüber eineinhalb Millionen.«

»Unsere rätselhafte Prinzessin ist nicht nur bildhübsch, sondern offensichtlich auch gebildet.« Der zeitgemäße Poet mit dem Rundumblick lenkte das Gespräch in eine momentan interessantere Richtung. »Sie liest in mehreren Sprachen. Sie hat Rasse, Klasse und Finesse.«

»Wirklich ein ganz außergewöhnliches Geschöpf«, bestätigte Ponsardin, der Neurologieprofessor aus Paris: »Schick, selbstsicher, jung und doch so damenhaft.« Es sah aus, als tränke er seinen Pernod auf ihr Wohl. »Daß es so etwas bei dieser zeitüblichen Vermassung noch gibt«, setzte er kopfschüttelnd hinzu. »Das ist beruhigend und aufregend zugleich.«

»Bravo, Professor.« Der Autor applaudierte. »Sie haben dieses unterschwellige Fluidum genau erfaßt, die Signale an das Unterbewußtsein …«

Odermatt sah, daß Martin Laimer über die Unterbrechung seines Themas ungehalten war. »Nun vergessen Sie doch mal einen Moment lang ihre überzeugenden Prognosen«, forderte er ihn auf und setzte burschikos hinzu: »Vielleicht diagnostizieren Sie dafür unsere schöne Tischnachbarin.«

»Wen meinen Sie eigentlich?« fragte der Industrielle offensichtlich desorientiert.

»Bitte heben Sie den Kopf«, befahl der Züricher Gnom, »und sehen Sie schnurgeradeaus.«

Laimer folgte wie ferngesteuert, aber sein Gesicht blieb ausdruckslos. Ein Thai-Boy brachte der dunklen Sphinx weitere Zeitungen und Journale. Einen Moment lang sah sie von der »Washington Post« auf und quittierte seine Dienstleistung mit einem freundlichen Lächeln. Selbst von einem ungünstigen Platz aus konnte man ihr feines Profil und die elegante Nackenlinie sehen. Sie war kaum geschminkt und wirkte, trotz ihres mondänen Flairs, durchaus natürlich.

Casagrande war ein bewundernder, doch auch ein scharfer Beobachter und verfügte als ehemaliger Journalist über eine gute Menschenkenntnis. Die dunkelhaarige Attraktion hatte Geschmack, ihre Aufmachung war genau auf Typ, Ort und Stunde abgestimmt. Sie mußte das Interesse der Umsitzenden nicht nur bemerkt, sondern auch Gesprächsfetzen aufgefangen haben. Ihre kühle, selbstsichere Reserve wirkte nicht aufgesetzt, sie war angeboren oder anerzogen.

»In der Tat ein erfreulicher Anblick«, bestätigte Martin Laimer lau.

»Keine Versuchung?«

»Nun hören Sie mal, Mr. Casagrande«, entgegnete der Industrielle. »Ich habe meinen Beruf und mein Alter.« Er lächelte knapp. »Alles zu seiner Zeit. Und Traumfrauen begegnet man im Leben doch immer erst dann, wenn es bereits zu spät ist.«

»Leider wahr«, resignierte Odermatt. Das zerknitterte Gesicht des alten Whitehead zeigte ein Faunslächeln. Der Verleger aus New York trommelte unwillig mit den Fingern auf die Tischplatte.

»Aber ich bitte Sie, Mr. Laimer«, widersprach der Autor mit Nachdruck. »Wer wird denn aufstecken und die Flinte vorzeitig ins Korn werfen?«

»Wenn ich Sie recht verstehe«, gab der Selfmademan zurück, »dann feuert Ihre Flinte also noch …«

Diesmal lachten sie auf Casagrandes Kosten. Jede Antwort darauf wäre falsch gewesen. Stimmte er zu, hielte man ihn für einen Angeber; verneinte er, emeritierte er aus seinem Geschlecht.

»Man bleibt Mann«, zog sich Casagrande mit einem Schlagwort aus der Zwickmühle.

Auch wenn diese Rotarier momentan gelockert wirkten und sie ihm ohnedies eine gewisse Narrenfreiheit einräumten, blieb es doch angeraten, in ihrer Gesellschaft nicht als Sexualprotz aufzutreten. Um in diese Gemeinschaft aufgenommen zu werden, wonach er gierte, brauchte er die Zustimmung aller Mitglieder. Um eine Mitgliedschaft konnte man sich nicht bewerben, in diesen elitären Zirkel wurde man berufen.

Im Distrikt Monte Carlo war als einziger ein Achtzigjähriger, ehemaliger Richter, gegen Casagrandes Beitritt; er ließ sich auch nicht durch die Drohung des populären Autors, er würde sich der Konkurrenz, dem Lions-Club, anschließen, umstimmen. Für einen Rotarier sind die Löwen ohnedies nur zweite Wahl. Rotary, so will es die Club-Fama, bevorzuge den Geist, Lions das Geld, eine Anmaßung, gegen die die Lions wie die Löwen kämpften. Wiewohl der Präsident und die anderen Mitglieder auf den kränkelnden Richter einwirkten, der Aufnahme Casagrandes endlich zuzustimmen, bestand der pensionierte Jurist auf seiner Ablehnung. Unter diesen Umständen blieb dem Autor nichts anderes übrig, als in einem anderen Rotary-Distrikt sein Glück zu versuchen — wodurch er wieder steuerpflichtig würde — oder abzuwarten, bis sein dahinsiechendes Veto gestorben wäre.

Kurz vor dem Abflug nach Bangkok hatten seine Freunde in Monte Carlo noch einen Anlauf zu seinen Gunsten unternommen, aber der böse Alte wies auf den verworrenen Lebenswandel Casagrandes hin, auf die vielen Prozesse und den lautstarken Streit, den er mit nahezu allen Rezensenten in der Öffentlichkeit austrug. Er erinnerte daran, daß der Erfolgsautor in einer TV-Sendung festgestellt hatte: »Zwischen einem Eunuchen und einem Kritiker gibt es keinen Unterschied — beide wissen, wie es geht.«

»Ist das die Ausdrucksweise eines Rotariers?« hatte der Alte gewettert und hinzugesetzt: »Nein. Entweder wir bleiben, was wir sind, oder wir geben uns auf.«

Der Direktor des »Oriental« ging mit raschen Schritten durch die Halle, sich nach links und rechts verneigend. Als er Casagrande sah, blieb er einen Moment stehen und demonstrierte eine Art »standing ovation«, wie sie der Auflagenartist schätzte, wenn sie ihm galt.

»Es war natürlich vorhin nur ein Scherz, Mr. Laimer«, wandte sich der Mann aus Monte Carlo dann an den Industriellen. »Ich hoffe, daß ich dabei nicht zu weit gegangen bin.«

»Seien Sie unbesorgt, Mr. Casagrande«, erwiderte der Angesprochene. »Ich würde mich schon entsprechend wehren.«

»Davon bin ich überzeugt. Wissen Sie«, sekundierte Bannister seinem Lieblingsschriftsteller: »Ein Autor lebt immer in seiner Romanwelt, und ›Der Biß der Jahre‹ — sein letztes Buch hat den Kampf gegen das Alter zum Thema.«

»Wie ich Mr. Casagrande einschätze, hat er ihn auch gewonnen«, erwiderte der Mann, der sich aus dem Nichts heraus durchgesetzt hatte, trocken. »Auf dem Papier«, setzte Laimer mit galliger Freundlichkeit hinzu.

Casagrande quittierte den Volltreffer mit einem Lächeln. »Nicht nur auf dem Papier«, schnappte er sich sein Thema. »Die Wissenschaft hat gesiegt. Das biologische Alter hat das kalendarische gewaltig überflügelt. Die moderne Medizin macht es möglich. Ich weiß nicht, wie bibelfest Sie sind, Mr. Laimer, aber König David hatte sich ganz junge Mädchen in das Bett gelegt, weil er hoffte, ihr Atem würde ihn verjüngen — aber es war leichter, Goliath zu töten, als einen Jungbrunnen zu erschließen. Well, die Wissenschaft hat zunächst auch nur mit der Steinschleuder gekämpft, aber nach Jahrtausenden ihren Kampf gegen die Jahre endgültig gewonnen.« Er holte Luft und fuhr fort: »Früher war ein Fünfzigjähriger ein alter Mann, heute jedoch läßt sich ohne Übertreibung sagen: Das Leben beginnt mit Sechzig.«

»Na, wenn das so ist«, versetzte Laimer, »werde ich unverzüglich Ihr Buch kaufen.«

»Das brauchen Sie nicht«, erwiderte der Autor, »Ich schenke es Ihnen.«

»Vielleicht sind Sie eine biologische Ausnahme, Monsieur Casagrande«, griff Ponsardin das Thema wieder auf. »So etwas gibt es, Ihr Berufskollege Goethe, zum Beispiel, hat mit vierundsiebzig noch einer Neunzehnjährigen einen Heiratsantrag gemacht. Ich wünsche Ihnen, daß Sie in seine Fußstapfen treten, nicht nur literarisch, sondern auch biologisch.«

»Jedenfalls ist es erstaunlich«, sagte Odermatt, der Genießertyp, »wie diese geheimnisvolle Sphinx unser Gespräch belebt.« Er stellte fest, daß sie »Newsweek« beiseite legte und nach dem »Spiegel« griff. Die Ereignisse in aller Welt waren ihr offensichtlich interessanter als Neugier und Huldigung eines internationalen Hotelpublikums.

Die Journale brachten bereits Rückblicke auf das sterbende Jahr: Der brasilianische Fußballstar Pelé hatte bei einem Nationalspiel sein tausendstes Tor geschossen. Die Strumpfhose war endgültig auf dem Siegesmarsch und das Überschallflugzeug »Concorde« auf erfolgreichem Jungfernflug. Über dem Atlantik brummten die ersten Jumbo-Jets und machten nunmehr auch den Ferntourismus zum Massenartikel.

»Die Faszination dieser Frau«, kommentierte der Autor, »die suggestive Wirkung, die von ihr ausgeht, kommt natürlich auch daher, daß keiner von uns weiß, wer sie ist. Entschlüsselt wäre sie vielleicht auch entzaubert, und …«

»Aber immer noch eine wunderschöne Frau …«, unterbrach ihn Ponsardin.

»Fraglos.« Der Erfolgsautor suchte den Blick der schönen Unbekannten; es war ein aussichtsloses Unterfangen. »Aber wüßten wir zum Beispiel, daß sie die Tochter eines Corned-beef-Königs oder die Frau eines Waschmittelfabrikanten ist, nach Verlust ihres Geheimnisses also, wäre sie nur noch eine gewöhnliche Jet-setterin —«

»Wie ich dich kenne«, stellte Bannister fest, »wirst du das Rätsel in deinem nächsten Roman lösen …«

»Menschen meiner Umgebung sind nun einmal der Stoff, aus dem ich die Handlung konstruiere.«

»Dann sind wir also Ihre Modelle auf dem Laufsteg?« fragte Laimer.

»Gewissermaßen«, gestand Casagrande. »Aber ich sichere Ihnen von vornherein volle Diskretion zu.«

Whitehead, der halbtaube und extrem kurzsichtige Nestor am Tisch, kaute an Worten; sein Gesicht wirkte konzentriert. Die vielen Falten und Runzeln waren angespannt. »Ich denke, ich bin der jungen Lady schon einmal begegnet«, überraschte er dann die Herrenrunde.

In der Manier der Schwerhörigen sprach er zu laut.

»Slow down, please«, stoppte ihn Bannister.

»Wo? Wann?« insistierte Casagrande.

»Ich bin mir nicht ganz sicher, daß es keine Verwechslung ist«, tastete sich Whitehead weiter. »Es ist schon eine Weile her.« Er sah noch einmal zum Nebentisch. In seiner Vorstellung trug die Unbekannte auf einmal ein schwarzes Kleid. »Es muß auf einer Beerdigung gewesen sein« — der Alte tippte sich an die Stirn — »es liegt schon länger zurück …«

»Gehen Sie denn so oft zu Bestattungsfeiern auf den Friedhof?«

»For goodness’ sake!« rief Whitehead. »Am liebsten würde ich meine eigene schwänzen. Es war in Brooklyn, wenn ich mich nicht täusche«, fuhr er dann fort. »Bei der Beisetzung von Phil Palance, Sie wissen doch, Gentlemen, der Mann, der mit Verpackungsmaterial ein ungeheueres Vermögen gemacht hatte …«

»Jeder kannte Phil Palance«, konstatierte der Gnom aus Zürich. »Ich hatte auch geschäftlich mit ihm zu tun — mit seiner Holding in Genf …«

»Sein Tod hat großes Aufsehen erregt. Phil ist ganz plötzlich gestorben, Gehirnschlag oder Kreislaufkollaps. Ein Athlet, nicht nur im Geschäftsleben — völlig unerwartet, gefällt wie eine Eiche mit einem einzigen Schlag.« Whitehead sprach zwar etwas leiser, doch noch immer zu laut. »Phil stammte aus dem Slumviertel von Brooklyn. Es war sein ausdrücklicher Wunsch, auf dem dortigen Friedhof beigesetzt zu werden, und so pilgerte Wallstreet fast geschlossen auf den Armenfriedhof von Brooklyn …«

Alle folgten gespannt seiner Erzählung; selbst dem bedächtigen Laimer war die Phil-Palance-Story auf einmal wichtiger als seine Computer.

»Es herrschte ein ungeheures Gedränge«, erinnerte sich Whitehead. »Achtundsechzig war Phil geworden. Das ist noch kein Alter für den Tod.« Nach Art der Kurzsichtigen kniff er die Augen zusammen. »Doch vielleicht auch kein Alter — für die Liebe.«

»Liebe?« fragte Casagrande mit zu hoher Stimme; er unterschätzte den Alten nicht. Er wußte, daß Whitehead bei Börsengeschäften auch heute noch ein gespitztes Gehör und einen scharfen Blick hatte und noch immer als einer der Großen von Wallstreet galt. »Die Presse hat damals nichts gebracht, die Familie hat es wohl verhindert. Ich muß etwas weiter ausholen: Phil war in seiner Firma zwar kein rauher Despot, aber doch ein ungeduldiger Dynamiker. Seit Jahren verwitwet und voll im Streß. Ein vitaler Draufgänger. War ihm nach einer Frau zumute, dann menagierte er eben à la carte. Alles andere war für ihn nur Zeitverschwendung. Aus erster Ehe hatte er drei Söhne, aus zweiter eine Tochter. Die Söhne haben nicht sein Format, seine Umsicht und schon gar nicht sein Ungestüm. Phil stellte sie kalt, beschäftigte sie nur formal in der Firma, damit sie nicht als reine Playboys herumliefen. Anders war es mit Laura, seiner zwanzigjährigen Tochter. Das Nesthäkchen arbeitete als seine Privatsekretärin, Reisebegleiterin und als Verwalterin bestimmter Vertrauenskonten. Sie war Tag und Nacht um Phil — bis das Unglaubliche eintrat: Ein paar Monate vor seinem Tod übergab er seine Firma von einer Stunde auf die andere einem Bevollmächtigten, zog sich aus allen Geschäften zurück und reiste nur noch als Privatmann durch die Welt. Nun nicht mehr mit Töchterchen Laura — die in der Firma blieb —, sondern mit einer nur ein paar Jahre älteren Dame. Ich hatte seinerzeit das Gemunkel ignoriert«, fuhr Whitehead fort, »aber das Getuschel auf der Beerdigung war nicht mehr zu überhören: Pikante Trauer, unterhaltsam durch Enthüllungen. Etwas abseits von den Angehörigen stand eine junge, ungemein schöne Frau. Man sagte, sie sei Phils Begleiterin der letzten Monate. In ihrem schwarzen Kostüm wirkte sie schmal, blaß, beherrscht und todtraurig. Wenn sie nicht eine glänzende Schauspielerin war, dann hatte sie Phils Tod weit mehr getroffen als zum Beispiel seine Söhne. Sicher ist es nicht schwer, einen guterhaltenen, vielfachen Millionär zu mögen, aber sie hat ihn geliebt, das sah sogar ich mit meinen kaputten Augen. Die Söhne schnitten sie brutal bei der Trauerzeremonie. Doch dann, als der Sarg hinabgelassen wurde, geschah etwas Erstaunliches: Laura ging auf die Trauernde zu, legte, zum Entsetzen der übrigen Mischpoke, den Arm um ihre Schultern. Die beiden traten weinend an das offene Grab und schaufelten gemeinsam den Sand hinab …«

»Und das war unsere Lady von vis à vis?« fragte Casagrande.

»Ich habe Ihnen doch schon gesagt, daß ich nicht ganz sicher bin«, schränkte Whitehead abermals ein, »aber die Ähnlichkeit ist wirklich frappant.«

»Was für ein Thema!« rief Casagrande überschwenglich. »Welch’ einmalige Story! Ein Mann schreitet Arm in Arm mit seiner größten und letzten Liebe durch die Paradiese dieser Erde — Bali, Tahiti, Hawaii, Mauritius, Bora-Bora …« Er steigerte sich förmlich in einen Trockenrausch hinein. »Alle Frauen seines Lebens werden zu einer einzigen, der letzten, der endgültigen, der er vielleicht gerade noch rechtzeitig begegnet ist. Und die ungleichen Liebenden halten zusammen, trotz des gewaltigen Altersunterschieds, trotz aller Zweifel. Jeden Morgen geht für sie die Sonne auf und erhebt sie turmhoch über Gesellschaftstratsch, Familienquerelen, den beträchtlichen Altersunterschied mit seinen Problemen und die eigenen Ängste.« Seine Augen glänzten, er hatte rote Flecken im Gesicht und sprach wie im Fieber weiter: »Das werde ich schreiben, George. Das muß ich einfach! So eine Geschichte, großartig und tragisch, voller Glanz und Elend …«

»Und dann geht die goldene Abendsonne im Meer unter«, brachte ihn der Gnom aus Zürich wieder auf die Erde zurück, und die anderen mußten ihr Lachen unterdrücken.

»Was meinst du, George?« fragte Casagrande unbeirrt.

»Laß dich nicht aufhalten«, erwiderte Bannister.

»Einen Titel hätte ich auch schon«, fuhr der Mann aus Monte Carlo fort. »Adams Letzte«, stellte er bedeutungsvoll fest. »Wie findest zu ihn?«

»Auf Anhieb gut«, erwiderte der Amerikaner. Er klopfte dem Autor auf die Schulter. »Aber beginn’ bitte nicht jetzt in der Hotelhalle mit dem Schreiben. Laß uns heute abend in Ruhe darüber sprechen. Immer, wenn es dich so gepackt hat, ist es ein ganz großer Wurf geworden.«

»Ich bitte die Herren, mich für ein paar Minuten zu entschuldigen.«

Casagrande erhob sich und nickte der Runde höflich zu.

»Er ist ja mächtig in Fahrt«, stellte Odermatt fest.

»Als Verleger kann ich mir nur die Hände reiben«, versetzte Bannister. »Offensichtlich hat mein Starautor die Heldin seines nächsten Romans bereits gefunden.«

»Hoffentlich schreibt er ihn nur und erlebt ihn nicht auch noch«, bemerkte Ponsardin anzüglich.

»Warum eigentlich nicht?« fragte der Gnom aus Zürich.

»Malen Sie den Teufel nicht an die Wand«, erwiderte der Verleger. »Cecils Leben ist schon chaotisch genug. Nichts könnte er weniger gebrauchen als eine weitere Scheidung. Sechs Ehen«, stellte er fest, was ohnedies jeder wußte. »Aber mit seiner jetzigen Frau ist er schon zum zweiten Mal verheiratet«, versuchte Bannister den Leumund seines Hausautors zu verbessern. »Sie hat das Zeug dazu, seine letzte zu sein — und zu bleiben.«

An den umliegenden Tischen mußte man das Gespräch mitgehört haben, aber die Auslöserin des Ganzen wirkte weiterhin so uninteressiert und unbeteiligt, als wolle sie damit demonstrieren, daß sie ein kurzsichtiger, schwerhöriger Greis verwechselt haben mußte.

2

Der Dezember war keine ideale Ferienzeit für die Algarve, den Garten Portugals, aber Lulu Casagrande, die dritte und sechste Frau des bekannten Romanciers, hatte bei ihrem Kurzurlaub mit dem Wetter Glück gehabt — wieder einmal war der Aberglaube der Einheimischen, in ihrem gesegneten Land überwintere die Sonne, gerechtfertigt worden.

Die mittelgroße Blondine auf Zeit hatte überraschend ihre Freundin Milena, die gerade ihr neues Ferienhaus an der Algarve einrichtete, angerufen und sich für ein paar Tage angesagt. Auch wenn die Freundinnen jeden Tag Zeit für eine Partie Golf fanden, hatte die Gastgeberin von vornherein angenommen, daß Lulu nicht nur wegen des königlichen Spiels in Europas südwestlichste Ecke geflogen war. Gelegentlich wirkte die Besucherin wie auf der Flucht vor sich selbst.

Milena wartete darauf, daß die gebürtige Wienerin ihr Problem offenbaren würde, aber entgegen ihrer offen-burschikosen Art schwieg sich Lulu aus, wobei allerdings auffiel, daß sie Cecil nicht ein einziges Mal erwähnte, wiewohl sie sonst beständig über ihren Mann sprach. Längst hatte sie einen Teil seiner Egozentrik angenommen.

Morgen würden sie von Faro aus zurückfliegen. Die Koffer waren bereits gepackt. Sie nahmen den Lunch in Albufeira ein, in einem kleinen Lokal im maurischen Stil — eine Imitation natürlich —, um dann nach kurzer Rast zum Abschiedsmatch nach Vale do Lobo zu fahren, in die Wolfsschlucht. Die Sonne hatte sich durch den Schönwetterdunst gekämpft und feierte ihren Durchbruch.

Die Freundinnen hatten spät gefrühstückt und wollten nur eine Kleinigkeit zu sich nehmen, aber aus der Küche kam der betörende Duft der Amêijoas na cataplana, einer algarvischen Spezialität aus Muscheln, Schinkenspeck, Wurst, Paprika, Knoblauch, Zwiebeln und Chilisoße, raffiniert aufeinander abgeschmeckt. Sie gaben der Versuchung nach und nahmen sich auch noch die Zeit zu einer Flasche Vinho Verde, an dem Milena nur nippte.

Am Steuer wirkte sie heute gelassener als sonst. Die Mittdreißigerin galt als streng, verschlossen, sehr ordentlich und ein wenig humorlos. Irgendwie war sie das genaue Gegenteil ihrer um elf Jahre älteren Begleiterin, die sich gerne salopp und frivol gab: Sie war offensichtlich auch hier bei ihrem Mann in die Schule gegangen. Man sah ihr an, daß sie — wie ein tödliches Kompliment lautet — einmal eine sehr attraktive Frau gewesen sein mußte. Wenn die Sechsuhdvierzigjährige, deren Sprechweise ihre österreichische Herkunft verriet, am Abend zurechtgemacht war und das Kunstlicht ihr schmeichelte, brillierte sie noch immer als Nachtschönheit. Mit ihrem Charme und Witz schlug sie gelegentlich auch jüngere Rivalinnen aus dem Feld. Sie konnte sich verspielt und verträumt geben wie eine Rokoko-Dame, um sich im nächsten Moment wie ein ordinäres Marktsweib zu gerieren. Bei feinen Leuten wurde sie gerne vulgär, bei einfacheren kehrte sie gelegentlich die »grande dame« heraus. Lulu sah nicht aus, als hätte sie in ihrem Leben viel ausgelassen. Sie war überall zu Hause, wenn man damit in erster Linie die Golfplätze, Bridge-Clubs, Pferderennbahnen, Theater- und Buchpremieren meinte. Man sagte ihr nach, daß sie keine Hemmungen hätte, zu vorgerückter Stunde einen Jungen anzumachen und ihn als Bettgefährten dann eine Nacht lang ordentlich durchzuwalken. Ob es nun stimmte oder nicht, man traute es Lulu jedenfalls zu, und das belustigte sie mehr, als es sie erzürnte. Auch ein schlechter Ruf verpflichtet.

Der weiße SL passierte ausgedehnte, nahtlos ineinander übergehende Mandelhaine. Die Landschaft sah aus wie gemalt, von einem einfallsreichen Künstler. »Was meinst du«, schwärmte Milena, »wie das in sechs Wochen blühen wird: Wohin du siehst, ein einziger weißer Teppich.« Sie stellte fest, daß ihre Begleiterin zerstreut wirkte. »Könntest du nicht im Februar wiederkommen?« fragte sie. »Glaub’ mir, es ist ein einmaliges Erlebnis, und du weißt, Lulu, wie sehr du mir jederzeit willkommen bist. Ich bin hier ja ganz allein, Hans-Egon ist in Düsseldorf geschäftlich unabkömmlich und meine Tochter wieder in ihrem Schweizer Internat.«

»Wenn es sich machen läßt, herzlich gerne, meine Liebe«, entgegnete die Golfpartnerin. »Aber ich fürchte, daß mir keine sehr angenehme Zeit bevorsteht.«

»Sorgen?«

»Probleme«, antwortete Lulu. »Es heißt — ja, eigentlich nur ein Problem, aber immer dasselbe —«

»Cecil?«

Sie nickte.

»Du hast Ärger mit ihm?« fragte Milena behutsam.

»Mit einem Mann wie Cecil hat man doch immer Ärger.«

»Aber doch wohl auch Freude?«

Die Frau des Schriftstellers schwieg, zündete sich eine Zigarette an und musterte ausgiebig die Orangenplantage, die sie gerade passierten, und betrachtete dann auch die riesigen Schirmpinien im Hintergrund. »Einmal mußt du es ja erfahren«, begann sie dann. »Ich bin Cecil auf ein paar schlimme Sachen gekommen; seitdem leben wir getrennt.«

Sie waren höchst ungleiche Freundinnen; jede eigentlich das Gegenteil der anderen. Wo sie sich auch zeigten, fragte man sich, warum diese beiden sich so eng aneinander angeschlossen hätten. Milena Deutler, einzige Tochter eines Großindustriellen und Frau eines Managers, war gepflegt, doch reizlos. Man konnte der Mittdreißigerin mit der mehr hageren als schlanken Figur, dem Haarknoten und den ein wenig hektischen Bewegungen kaum das berüchtigte Kompliment machen. Ihr Anblick überforderte die Vorstellung, sie könnte einmal jung, hübsch und lebenslustig gewesen sein.

Milena lebte wie in freiwilliger Quarantäne, in einem Getto des Wohlstandes, uninteressiert an Affären und Skandalen. Bei ihr war alles geregelt. Sie war eine Fetischistin der Ordnung, dabei zufrieden, denn ihrer Meinung nach hatte sie alles, was zum Leben gehörte: Einen unterwürfigen Ehemann, eine gehorsame Tochter, einen überaus erfolgreichen Vater. Ehe, Erziehung und Familie waren für sie selbstverständliche Pflichtübungen. Sie war wohl ihrer Mutter nachgeraten, von der sie auch den Vornamen geerbt und an ihre Tochter, Milena III, weitergegeben hatte. Für Lulu und auch ihren Mann zeigte sie eine unbegreifliche Schwäche, eine für sie untypische Toleranz; sie billigte den Casagrandes zu, daß sie nicht wie die Deutlers lebten.

Manchmal kamen Milena Zweifel über ihr monotones Leben, und sie fragte sich, ob ihr Mann nicht doch nur ein Schlappschwanz und Mitgiftjäger, ihre Ehe ein Zustand zwischen Frost und Frust, ihre Tochter nicht gehorsam, sondern nur farblos sei und sie selbst womöglich eine unterkühlte Frau.

Mit Martin Laimer, dem Tycoon eines Elektrokonzerns, eher in der Welt anzutreffen als zu Hause, verband Milena eine sachliche Beziehung; vielleicht konnte man zu so einem Berserker der Tüchtigkeit und Übervater gar kein herzliches Verhältnis haben. Auch zu ihrer vor zwei Jahren verstorbenen Mutter hatte Milena keine besonders enge Bindung unterhalten, was sie sich bereits zu ihren Lebzeiten manchmal vorgeworfen hatte: Und jetzt stellte sie fest, auch ihre fünfzehnjährige Tochter schien sich genauso zu entwickeln.

»Ihr werdet also Weihnachten nicht zusammen sein?«

»Kaum.«

»Willst du nicht die Festtage bei uns in Düsseldorf verbringen?« fragte die Gastgeberin.

»Nein, Milena, vielen Dank. Ich werde bei meinem Anwalt in Frankfurt die Scheidung einreichen — ich fürchte, das muß über das US-Generalkonsulat gehen, da wir beide ja Papier-Amerikaner sind — und dann nach Wien weiterfliegen.«

»Ich weiß ja nicht, was vorgefallen ist«, erwiderte die Freundin, »aber du wirst schon nicht zu voreilig sein, Lulu.«

»Diesmal ist der Bruch irreparabel«, entgegnete Lulu zornig. »Ich hab’ Cecil gründlich satt. Ich bin am Ende.«

»Aber er ist wirklich ein gefragter Autor —«

»Schreiben kann er, das stimmt«, räumte Lulu ein. »Das ist aber auch alles.« Sie steigerte sich in den Zorn hinein. »Ich mag eine alte Kokotte sein, wie er mir schon vorgeworfen hat, aber er ist ein Schwein — und Schweine müssen bluten. Und das heißt blechen in seinem Fall.« Sie bemerkte Milenas angewiderten Gesichtsausdruck. »Sei nicht so zimperlich. Einmal muß es heraus, sonst ersticke ich noch daran. Die Welt ist nicht so heil, wie du dir einbildest — du hast ja keine Ahnung vom Leben, Milena«, setzte die Blondine angriffslustig hinzu. »Ich kann ihn wirklich nicht mehr ausstehen. Alle drei, vier Monate eine neue Affäre, eine schlimmer als die andere.« Ihr Gesicht war gerötet. »Und kostspieliger; Cecil ruiniert sich noch total, nur um den späten Casanova zu spielen.«

»So schlimm ist es doch wohl nicht«, schränkte die Frau am Steuer ein. »Vielleicht nur eine gewisse Image-Pflege.«

»Schön wär’s — nimm seine letzte, diese abgetakelte Operetten-Soubrette, vier Jahre älter als ich, eine richtige Sacharin-Göschen. Versteh’ mich, Milena. Sicher wäre es nicht angenehmer, wenn er hinter jungen Mädchen herlaufen würde, aber wenigstens natürlicher. Männer sind nun mal so; aber diese gottverdammten alten Schicksen, mit denen er sich herumtreibt und denen er Altäre baut, machen ihn nur lächerlich. Und Lächerlichkeit tötet. Jungen Frauen geht Cecil geflissentlich aus dem Weg«, setzte sie hinzu. »Warum wohl?«

Die brünette Fahrerin schüttelte den Kopf.

»Ich kann’s dir sagen: Entweder kommt sein Schmäh bei den Jüngeren nicht an — oder er hat Angst, sich bei ihnen zu blamieren.«

»Mein Gott«, erwiderte die Freundin, »du solltest Cecil gekannt haben. Du bist doch schon zum zweiten Mal mit ihm verheiratet —«

»Und zum letzten Mal«, versetzte Lulu voller Ingrimm. »Damals, als ich mich von ihm noch mal überreden ließ, war ich gerade ziemlich parterre und auch noch jünger und vital genug, seine ständigen Eskapaden durchzustehen — und dann die Trümmer seiner Hausaltäre beiseite zu räumen. Aus. Vorbei. Mir geht es jetzt nur noch darum, daß er büßen muß, was er mir angetan hat.«

»Ich bedaure das sehr«, erwiderte Milena. »Ich finde es schrecklich und hoffe, daß das letzte Wort noch nicht gesprochen ist.«

Die Frau am Steuer war froh, als sie zur prächtigen Golfanlage von Vale do Lobo einbog und die Ankunft das unangenehme Gespräch beendete. Die Parkplätze waren dicht besetzt, aber sie hatte sich telefonisch eine Startzeit reservieren lassen. Milena wurde mit großer Aufmerksamkeit behandelt; diesmal galt die Reverenz nicht ihrem gesellschaftlichen Rang, sondern ihrem Status als vorjährige Clubmeisterin. Sie hatte ein einstelliges Handikap, das auch noch in der unteren Hälfte, und das zählte unter Golfern mehr als die wirtschaftliche Potenz ihres Vaters.

»So, Lulu«, ermunterte Milena am Abschlag Nummer eins ihren Gast. »Nun beruhig’ dich bitte und konzentriere dich auf unser Abschiedsspiel.« Sie hatte noch nie ein Match gegen die Freundin verloren, nicht einmal an einem schlechten Tag.

Vor ihnen war ein Flight mit vier Engländern. Die Briten ließen sich sehr viel Zeit, vor allem beim Putten auf dem Grün. Als die Gentlemen merkten, daß sie die beiden Damen aufhielten, ließen sie die Clubmeisterin und ihre Mitbewerberin passieren.

Sie kamen jetzt zügig voran, auf dem am Meer gelegenen Golfplatz mit seinen welligen Hügeln, errichtet vom besten Golfplatz-Architekten, den es gibt, der Natur. Wiewohl Emotionen bei diesem Sport immer schädlich sind, verschaffte der ausklingende Grimm Lulus Schlägen größere Längen als sonst.

Sie erreichten den berühmtesten und meistfotografierten Abschlag der Welt, das Hole sieben, unter Golfern so bekannt wie das Straßburger Münster unter Touristen: Man mußte den Ball durch eine Lücke zwischen zwei Felsen im Atlantik schlagen und die Mitte eines Hintergrunds anvisieren, an dem sich das endlose Blau des Himmels unter dem beifälligen Gluckern der Wellen mit dem weiten Grün vereinigte. Die Wienerin spielte heute mit mehr Glück als Disziplin. Milena war perfekt; vielleicht betrachtete sie Golf ebenfalls als eine Pflichtübung. Sie würde wieder gewinnen, aber heute knapper als sonst.

Am nächsten Dreier-Hole schlug die Düsseldorferin den Ball ein paar Meter zu kurz. Ihre Partnerin setzte den Drive zu weit links an, aber der Wind vom Atlantik trieb den Ball genau in die Mitte; er prallte gegen die Fahne und fiel ins Loch. Zum ersten und vermutlich auch zum letzten Mal hatte Lulu in ihrer Golferinnen-Laufbahn ein As geschossen, das größte Erfolgserlebnis eines Golfers auf dem grünen Parcours.

Milena applaudierte stürmisch.

Auch die Engländer hinter ihnen eilten herbei und teilten die Begeisterung.

Nach dem Spiel hatten alle Gäste des Clubhauses die Pflicht, der »Hole-in-one«-Schützin zu gratulieren und das Recht, auf ihre Kosten reichlich Champagner zu trinken. Die Herren, bereits umgezogen, trugen einheitlich dunkelblaue Blazer mit ihren heimatlichen Clubabzeichen; ihre Begleiterinnen waren in zwangloser Aufmachung. Das Gespräch brodelte mehrsprachig durcheinander. Wetter-Flüchtlinge aus ganz Europa — Briten, Skandinavier, Franzosen, Schweizer, Österreicher, Deutsche — bildeten nach den Kelten, Römern, Mauren, Kreuzfahrern, Franzosen und den portugiesischen Flüchtlingen aus Angola und Moçambique die letzte und willkommenste Invasion der herrlichen Küstenland-Schaft.

Ein Golfer kennt das Handikap seines Partners so gut wie eine Filmdiva die Liebhaber ihrer Rivalinnen. Je niedriger es ist, desto höher steht der Spieler in der Rangliste und um so mehr Schläge muß er einem weniger Angesehenen vorgeben; gelegentlich kommt es dabei am Abschlag eins zu Rechenfehlern. Ein Golf-Crack erzielt natürlich leichter ein As als ein Durchschnittsspieler, aber ein Zufallscoup wird ganz besonders zelebriert. Wer den Haupttreffer in der Lotterie gewinnt, braucht schließlich auch kein Mathematiker zu sein.

Lulu schöpfte ihren Triumph voll aus; es war ein Lastenausgleich für zahllose Niederlagen. Sie stand an der Bar, von durstigen Bewunderern umringt, und mußte bereits zum vierten Mal berichten, wie sie es geschafft hatte, den kleinen Ball mit einem Schlag in ein nur etwas größeres Loch zu befördern.

»Wie ich höre, sind Sie die Gattin des berühmten Schriftstellers, gnä’ Frau«, wandte sich ein höflicher Hamburger an Lulu.

»Er ist die Sonne, ich bin der Mond«, erwiderte sie ironisch.

Ihre Stimme ließ erkennen, daß sie nicht länger mondsüchtig bleiben wolle. Milena warf ihr einen warnenden Blick zu, aber die Freundin beherrschte die Kunst der verschlüsselten Indiskretion.

»Your husband is a very famous author«, bemerkte ein sommersprossiger Engländer und provozierte Lulu zu der gereizten Frage, ob Cecil Casagrande das As geschossen hätte oder sie.

»Ihr Gatte ist kein Golfer?« fragte ein Schweizer.

Die Wienerin verneinte.

»Das ist aber wirklich schade«, bemerkte er mit dem Bedauern eines Missionars gegenüber einem Andersgläubigen. »Können Sie ihn denn nicht überreden?«

»Gott bewahre«, versetzte Lulu lachend. »Hoffnungslos, Cecil wird sich in keinem Fach versuchen, in dem er nicht glänzen kann.«

»Aber das könnte sich doch ändern —«

Sie strich sich die kurzgeschnittenen blonden Haare aus dem Gesicht. »Golf erzieht zur Demut«, stellte sie fest. »Aber mein Mann muß immer gleich im Mittelpunkt stehen«, behauptete sie. »Meinen Sie, daß sich das vereinbaren läßt?«

Es wurde ein kostspieliger Spätnachmittag. Der Ober brachte bereits die elfte Flasche. Immer mehr Spieler kamen jetzt von der Runde zurück, ein Ende war noch nicht abzusehen — aber einem Golfer ist sein größter Parcourstag viel wert. Der Club würde der Organisatorin, einer bekannten Spirituosenfabrik, das Ereignis mitteilen, und Lulu wäre dann die Empfängerin einer wertvollen Flasche und — weit wichtiger für sie — einer Pergamenturkunde über die Aufnahme in den „Hole-in-one-Club«. Asse sind höchst selten — bei großen internationalen Pro-Turnieren setzen Automobilfabriken häufig Nobelfahrzeuge für diesen Coup aus — sie brauchen sie nur selten zu übergeben.

Die ersten Golferfreunde gingen, neue kamen hinzu, unter ihnen Sissy Keil, die alterslose, löwenmähnige Frau eines Bankiers und Milenas Angstgegnerin bei Turnieren.

»Großartig.« Sie umarmte Lulu. »Wie haben Sie das nur geschafft?«

»Der Wind, der Wind, das himmlische Kind«, alberte die Blondine. »Aber sagen Sie es nicht weiter, Sissy.«

»Warum nicht?« erwiderte die andere. »Gute Resultate leben doch meistens von Bahnzufällen.«

Die Umstehenden lachten gequält und schoben der Düsseldorfer Bankiersgattin einen Hocker zu. »Mein Mann ist auch hier«, sagte sie dann, als wolle sie die Schützenkönigin auf ihn aufmerksam machen, beugte sich zu Lulu und raunte ihr zu: »Bitte sprechen Sie mit ihm.« Sie hatte das Gesicht einer Verschwörerin. »Es ist — ist wirklich enorm wichtig.«

Die reife Blondine betrachtete sie verständnislos.

»Wegen Milena«, setzte Sissy Keil hinzu; sie erfaßte Lulus ungestellte Frage. »Sicher weiß ich, um was es geht«, gab diese zurück. »Aber es ist besser, wenn Sie mit meinem Mann sprechen, er kennt die Aspekte im Hintergrund besser als ich.«

Lulu nickte der Frau mit der Löwenmähne zu; sie hatte sie nicht verstanden, aber begriffen, und sie suchte den Bankier mit den Augen.

Er stand ein wenig abseits.

Sie schob sich an ihn heran. »Sie trinken keinen Schampus, Herr Keil?« sprach sie den Bankier an.

»Ich darf doch nicht, gnä’ Frau«, erwiderte er. »Mein Zuckerspiegel — und der Bluthochdruck —« Der Finanzfachmann brauchte keine weiteren Erklärungen abzugeben. Jeder wußte, daß er ein Hypochonder war.

Die beiden gingen unauffällig nach draußen und entfernten sich ein wenig vom Clubhaus, als wollten sie frische Luft schnappen und dem Trubel entgehen.

»Es tut mir leid, Sie bemühen zu müssen«, begann der kleine Mann mit den schütteren Haaren. »Ich weiß gar nicht, ob es richtig ist, aber diesmal folge ich einer Idee meiner Frau.«

»Der Gedanke ist sicher richtig«, ermunterte ihn seine Gesprächspartnerin. »Sissy ist eine patente Person.«

»Sie werden sich wundern, daß ich nicht mit Frau Deutler selbst spreche«, fuhr Keil fort, »aber es wäre mir einfach zu peinlich. Ich hatte gehofft, andere würden es tun, aber es hat ihnen wohl der Mut gefehlt —«

»Sie sind also mutiger als — als weitere Mitwisser?«

Der Bankier überging Lulus Spott.

»Mein Geldinstitut ist seit vielen Jahren die Hausbank der ›Martin Laimer Companie,‹« berichtete er. »Und aus der Zusammenarbeit hat sich auch ein gewisses freundschaftliches Verhältnis entwickelt. So etwas verpflichtet auch privat, selbst wenn es nicht in den Verträgen steht.«

»Ich muß Ihnen gleich sagen, Herr Keil«, unterbrach ihn die Frau des Schriftstellers, »daß ich von wirtschaftlichen Dingen kaum etwas verstehe.«

»Es handelt sich auch — zunächst wenigstens — nicht um eine wirtschaftliche Geschichte. Wissen Sie«, erklärte er, »es gibt im Leben Probleme, die man einfach nicht frontal angehen kann. Man muß versuchen, sie zu umgehen »Sie also von hinten knacken«, versetzte Lulu burschikos.

»Sissy ist der Meinung, daß Frauen besser geeignet sind, solcherlei Dinge an die Frau zu bringen«, erklärte der Bankier mit einem verunglückten Lächeln. »Außerdem ist es eine alte Gepflogenheit, sich zuerst an den Schutzpatron zu wenden, bevor man gleich zum lieben Gott läuft.«

»Besten Dank«, entgegnete Lulu Casagrande; sie hatte ein wenig gegen ihren Schwips anzukämpfen, und so wurde sie jetzt neugierig — und besorgt. Sie verstand sich auf Männer und wußte, daß der Bankier Keil weder ein Wichtigtuer noch ein Panikmacher war.

Als er jetzt zur Sache kam, erfaßte Lulu sofort das Ausmaß des Unheils, das der Freundin, deren Mann, Tochter und Vater drohte; sie wurde auf einen Schlag wieder nüchtern.

3

Cecil Casagrande war nach Verlassen der Hotelhalle in sein Apartment hochgefahren und hatte dem unerschöpflichen Fundus seiner Roman-Belegstücke — von der »Lufthansa« war ihm deswegen Überfracht berechnet worden — zwei Exemplare seines Romans »Der Biß der Jahre« entnommen. In eines schrieb er eine Widmung für den Direktor des »Oriental«, Paul Sarrasin, einen urbanen Westschweizer; für das zweite plante er einen besonderen Versuch.

»Oh, Mr. Casagrande«, sagte der Manager in seinem Office und erhob sich beflissen. »Was kann ich für Sie tun?«

»Ich stör’ Sie doch nicht?« fragte der Besucher höflich.

»Aber ich bitte Sie, Mr. Casagrande. Unser Haus pflegt, wie Sie wissen, berühmte Autoren in ganz besonderer Weise.«

»Ich weiß«, bestätigte der hochgewachsene Schriftsteller mit der vorspringenden Nase und den sich andeutenden Tränensäcken. »Somerset Maugham, Josef Conrad —«

»— und natürlich Cecil Casagrande«, ergänzte sein erfahrener Gesprächspartner. Ein Hotelmanager, der beim plumpesten Kompliment auch nur mit der Wimper zuckte, war seiner Meinung nach eine Fehlbesetzung: »Ich bedauere sehr, daß Ihre Gattin Sie diesmal nicht begleitet.«

»Das bedauere ich auch«, behauptete der Autor. »Aber Sie wissen ja, Sarrasin, die Weihnachtsvorbereitungen und so —«