Buchcover

Tulla Hagström

Mein Pferd gibt es nur einmal

SAGA Egmont




Petra hat eine Idee

Petra schloß die Augen. Der Wind blies ihr angenehm ins Gesicht, und sie spürte die rhythmischen, gleichmäßigen Bewegungen ihres Ponys unter sich. Plötzlich aber wurde sie von Angst ergriffen. Sie hatte das Gefühl, direkt auf eine Mauer zuzureiten. Wie schrecklich war es, nichts sehen zu können!

Petra öffnete die Augen wieder; sie konnte einfach nicht anders. Der Weg war noch immer frei und ohne jedes Hindernis, und das unheimliche Gefühl verschwand ebenso rasch, wie es gekommen war.

„Jetzt reicht es, Svala!“ sagte sie zu ihrem Pony und ließ es am langen Zügel gehen.

Es müßte möglich sein, Astrid reiten zu lassen, dachte Petra. Wenigstens auf der Reitbahn. Erst kürzlich, während eines Ausritts, war ihr der Einfall gekommen. Sie fand ihn so phantastisch, daß sie ihn selbst ausprobieren mußte. Erst dann wollte sie die freudige Botschaft Astrid verkündigen. Denn Astrid war blind.

Petra konnte das sehnsüchtige Gesicht des blinden Mädchens nicht vergessen. Sie wollte ihr so schrecklich gern helfen, reiten zu lernen.

Svala ging noch immer am langen Zügel. Nun endete der Wald, und der Pfad ging in einen alten, grasbewachsenen Fahrweg über. Er führte zu dem Hügel mit dem roten Bauernhof, in dem Petra lebte.

„Jetzt können sie jeden Augenblick hier sein, Svala. Worauf habe ich mich da nur eingelassen? Wenn es nun nicht klappt?“

Auf dem Hof stieg sie vom Pferd. Noch war niemand gekommen; so brachte Petra ihr Pony vorerst in die Box zurück. Die Sonne schien durchs Stallfenster und zeichnete ein Lichtviereck auf den Boden. Die Sommerferien hatten gerade begonnen.

„Mach mir jetzt keine Schande, hörst du?“ sagte Petra.

Die kleine Stute benahm sich fast immer gut, wenn sie von Petra selbst geritten wurde. Doch man konnte nicht wissen, ob es mit einer wildfremden Reiterin im Sattel ebenso sein würde. Svala war ja nur an eine einzige Reiterin gewöhnt, da Petra keine Geschwister hatte; und die meisten ihrer Schulfreundinnen wohnten ziemlich weit entfernt.

Trotzdem fühlte sich Petra nie einsam. Ihr Pony war der beste Freund, den sie sich wünschen konnte, und sie fühlte sich auf dem Hof zusammen mit ihren Eltern und all den Tieren wohl. Und wenn sie einmal den Wunsch hatte, jemanden zu besuchen, war ja immer Svala da, um sie hinzubringen. Das gab Petra ein unbeschreibliches Gefühl von Freiheit. Ihre Mutter hatte es schon lange aufgegeben, zu kontrollieren, wohin sie ritt.

Petra ritt seit ihrem siebten Lebensjahr. Damals wohnte ein pensionierter Rittmeister in der Nähe. Er hatte drei Pferde und gab den Kindern der Umgebung zu seinem eigenen Vergnügen Reitunterricht. Vier Jahre lang war Petra eine seiner eifrigsten Schülerinnen gewesen, doch dann wurde die kleine Reitschule zu anstrengend für den Rittmeister, und er verkaufte alle seine Pferde. Petra war so verzweifelt gewesen, daß ihre Eltern ihr zum Trost Svala kauften. Das Pony war damals zwar erst vier Jahre alt und noch kaum richtig eingeritten. Doch für Petra war es sofort das beste Pferd der Welt.

Petra warf einen Blick durch das Stallfenster, aber der Hofplatz war noch immer leer. Seufzend wandte sie sich um, schaltete das Transistorradio ein, das sie aus einem bestimmten Grund mit in den Stall genommen hatte, und setzte sich auf einen umgestürzten Eimer, um zu warten.

Petra Granberg war ziemlich kräftig gebaut, doch nicht größer als die meisten anderen fünfzehnjährigen Mädchen. Ihr dichtes goldbraunes Haar reichte genau bis zu den Schultern. Es war ziemlich widerspenstig und ließ sich mit Kamm und Bürste kaum bändigen. Petra trug ein hellrotes Hemd, das am Hals offenstand, dunkelblaue Jeans und abgetragene Turnschuhe.

Sie ahnte schon jetzt, daß diese Sommerferien anders als alle bisherigen werden sollten. Das hing mit der neuen Reitschule zusammen. Ein Herr Verelius hatte sie zusammen mit einer Reitlehrerin gegründet, die Karin hieß. Der Stall war eine umgebaute Scheune auf Herrn Verelius’ Grundstück. Es war noch nicht ganz einen Monat her, seit die Reitschule eröffnet wurde, und doch fand Petra bereits, daß sie sowohl die Pferde als auch die Reitschüler schon recht gut kannte.

Als sie noch klein war, ging sie einzig und allein wegen der Pferde in die Reitschule des alten Rittmeisters. Doch nun war ihr der neue Reitstall auch wegen der anderen Schüler wichtig. Sie war nie besonders viel mit ihren Freunden zusammen gewesen, doch hier gab es plötzlich eine Menge neuer Kameradinnen und Kameraden, die alle das gleiche Hobby hatten wie sie.

Petra hatte selbst einige Reitstunden genommen und die neuen Pferde ausprobiert. Oft ritt sie auch mit Svala zum Stall. Sie stand auch gern am Zaun, wenn das Wetter schön war, um den anderen beim Reiten zuzuschauen und sich mit den neuen Freunden zu unterhalten.

Und gerade an einem solchen Tag, als sie einem Anfängerkurs zusah, kam die Reitlehrerin zum Zaun, um sich mit Petra und den beiden Töchtern von Herrn Verelius, Agneta und Charlotte, zu unterhalten. Die beiden waren Zwillinge und nur ein Jahr älter als Petra. Sie war ihnen schon oft auf ihren Ausritten begegnet, doch hatte Petra die Schwestern nie näher kennengelernt. Es lag wohl daran, daß sie immer das unbestimmte Gefühl hatte, als würde Agneta und Charlotte auf sie herabsehen. Weshalb, wußte Petra nicht genau. Doch die beiden hatten eine Art, sie von ihren rassigen Vollblutpferden herab zu mustern, als hielten sie Svala für kein richtiges Pferd und Petra für keine richtige Reiterin.

Die Zwillinge selbst waren sehr gute Reiterinnen, und damit hielten sie auch nicht hinter den Berg. Sie erzählten gern von ihren Heldentaten bei Turnieren, und die meisten Reitschüler bewunderten sie grenzenlos.

Der Anfängerkurs war beinahe beendet, als eine Dame und ein Mädchen auf den Zaun zukamen. Das Mädchen hielt einen kleinen weißen Stock in der Hand, und Petra merkte, daß sie blind war.

„Guten Tag. Ich bin Frau Johanson, Lenas Mutter“, sagte die Dame zur Reitlehrerin. „Und das ist Astrid, meine älteste Tochter. Ich wollte einmal vorbeikommen und sehen, ob Lena Fortschritte beim Reiten macht.“

„Oh, es geht recht gut“, erwiderte Karin, die Reitlehrerin. „Es gibt nur wenig Anfänger, die so leicht lernen wie sie. Und sie ist auch kein bißchen ängstlich.“ Sie nickte anerkennend zur Reitbahn hinüber.

Die neunjährige Lena saß auf Rex, dem Pferd der Reitlehrerin. Rex war ein großer, schwerer und kraftvoller Fuchs. Doch Karin war selbst ungewöhnlich groß, so daß sie ein Pferd von diesem Format brauchen konnte. Rex war sieben Jahre alt. Er hatte schon ziemlich viele Preise gewonnen; also konnte er nicht so plump sein, wie er aussah, wenn er beim Anfängerkurs über die Bahn trottete.

„Oh, das freut mich aber!“ sagte Frau Johanson. „Lena spricht jetzt den ganzen Tag von nichts anderem als von Pferden, und deshalb hat Astrid auch Lust bekommen, es mit dem Reiten zu versuchen – wenn das möglich ist …“

„Will sie Reitstunden nehmen?“ fragte Agneta, eine von den Zwillingen, verblüfft.

Karin überlegte. „Privatstunden wären in diesem Fall wohl am besten, zumindest anfangs“, sagte sie. „Es hat wohl keinen Sinn, Ihre Tochter sofort in eine gewöhnliche Anfängergruppe zu stecken.“

„Nein, da geht sowieso schon alles drunter und drüber“, warf Charlotte, Agnetas Zwillingsschwester, ein. „Viele, die zwei gesunde Augen haben, reiten so, daß man sie für blind halten könnte.“

„Aber es gibt leider eine Schwierigkeit“, fuhr Karin fort, ohne Charlottes Einwurf zu beachten. „Ich fürchte, es besteht vorläufig noch keine Möglichkeit, Privatstunden abzuhalten. Wir haben nur vier Übungspferde, meines mitgerechnet, und die sind mit den Reitstunden voll ausgelastet.“

„Gibt es keine speziellen Gruppen für Behinderte?“ fragte Frau Johanson.

„Nein, aber vielleicht wird es eines Tages soweit sein, wenn wir mehr Pferde haben.“

„Und wann bekommen Sie neue Pferde?“ Diese Frage kam von Astrid, die zum erstenmal den Mund auftat.

Man merkte deutlich, daß sie und Lena Schwestern waren. Beide hatten die gleiche schmale, feingliedrige Gestalt, dasselbe kindliche Gesicht und die gleiche scheue Stimme. Die Schwestern hatten klarblaue Augen, langes glattes Haar und Stirnfransen, doch Lena war blond und Astrid dunkel.

„Wir werden vielleicht noch in diesem Sommer ein neues Pferd kaufen“, erwiderte Karin ausweichend. „Aber wir wollten erst einmal sehen, wie der Reitstall im Winter läuft, ehe wir uns an eine Vergrößerung wagen.“

„Ach!“ Astrids Enttäuschung spiegelte sich deutlich in ihrem Gesicht wider.

„Durch den Zirkel wechseln, absitzen!“ rief Karin zur Reitbahn hinüber.

Dann wandte sie sich wieder an Astrid und fuhr fort: „Aber du kannst gleich einmal ausprobieren, wie es ist, auf einem Pferd zu sitzen, wenn du willst. – Charlotte, würdest du Astrid ein paar Runden auf Troll herumführen?“

„Ja, gut.“

„Troll ist ein braves kleines Fjordpferd“, fügte Karin hinzu.

Astrid nickte. Ihre Schwester hatte ihr bereits von Troll und den anderen Pferden erzählt.

„Sie möchte so furchtbar gern reiten lernen.“ Frau Johanson seufzte, als Astrid, Charlotte und Troll sich über die große Reitbahn bewegten. „Ich hatte wenig Hoffnung, daß es gehen würde, doch Astrid hat nicht nachgegeben, bis ich ihr versprach, es wenigstens zu versuchen. Sie sagt, es gibt viele Blinde, die reiten.“

„Die konnten vielleicht schon reiten, ehe sie blind wurden“, meinte Karin. „Ist Ihre Tochter blind geboren?“

„Nein. Es passierte, als sie acht Jahre alt war … Sie ist ein paar Jahre lang zur Blindenschule gegangen, aber im Herbst werde ich sie selbst zu Hause unterrichten. Ich bin von Beruf Lehrerin, und nun habe ich Astrids wegen die Blindenschrift gelernt.“

Petra tat es leid, daß Astrid und ihre Mutter keine bessere Antwort bekommen hatten. Das ernsthafte Mädchen, das um jeden Preis reiten lernen wollte, hatte tiefen Eindruck auf sie gemacht. Konnte Karin wirklich keine Zeit für eine einzige Privatstunde in der Woche erübrigen? Daß es vielleicht eines Tages einen Kurs für Behinderte geben würde, war kein besonderer Trost für das blinde Mädchen.

Als Petra am nächsten Tag auf ihrem Pony ritt, versuchte sie sich vorzustellen, wie einem zumute ist, wenn man nichts von seiner Umgebung sieht. Dabei war ihr ein Einfall gekommen. Wenn man vier verschiedene Lautsignale in den vier Ecken der Bahn anbrachte, konnte ein blinder Reiter genau hören, wo er gerade war.

Weder Petra noch die Reitschule hatten entsprechende Lautsignale, doch es ging sicher ebensogut mit einigen Tonbandgeräten.

Ein paar Tage später traf sie Lena im Stall und faßte den Entschluß, einen Versuch zu wagen.

„Hallo, Lena! War das nicht deine Schwester, die reiten lernen möchte?“ fragte sie ohne Umschweife.

„Ja, genau“, sagte Lena. „Dir gehört doch dieses wunderschöne schwarze Pony, nicht?“

„Svala, ja. Du kannst deiner Schwester ausrichten, daß sie eine Reitstunde auf meinem Pferd bekommen kann, wenn sie will.“

„Wenn sie will?! Oh, sie wird begeistert sein!“ stieß Lena überrascht hervor.

Erst als sie sich schon über den Termin für die erste Stunde geeinigt hatten, kamen Petra Zweifel an ihrem Einfall. Sie fragte sich, ob Astrid es schaffen würde, ob Svala mitmachte und ob sie selbst zur Reitlehrerin taugte. Sie hatte ja noch nie den Versuch gemacht, zu unterrichten, und erinnerte sich nicht einmal mehr daran, wie es war, Anfängerin zu sein. Und ihre Mutter trug nicht gerade dazu bei, daß Petra sich sicherer fühlte.

„Ich finde es schön von dir, daß du Astrid helfen willst“, hatte Frau Granberg gesagt. „Aber ich frage mich, ob es wirklich vernünftig ist, das Mädchen bei einer Sache zu unterstützen, die sie vielleicht gar nicht schaffen kann.“


Nun saß Petra auf dem umgestülpten Eimer und wartete auf Astrid. Hatte sie sich zuviel vorgenommen? Würde sie es schaffen, einem blinden Mädchen das Reiten beizubringen? Sie, die noch nicht einmal versucht hatte, einen Anfänger mit gesundem Sehvermögen zu unterrichten? Und wie würde Svala sich verhalten?

Sicherheitshalber stellte Petra das Radio ab, um besser hören zu können, wenn sich ein Wagen näherte. Svala bewegte träge den Schwanz, und eine Fliege surrte gegen die Fensterscheibe.

Plötzlich fuhr Petra auf.

„Jetzt höre ich ein Auto, Svala. Sie kommen!“

Die erste Reitstunde

Astrid war so aufgeregt, daß ihr fast übel war. Lena saß neben ihr auf dem Rücksitz des Wagens und redete munter über alles mögliche, doch ihre Schwester hörte nicht zu.

Sie dachte nur daran, daß sie endlich reiten durfte. Was sie am meisten beunruhigte war die Vorstellung, daß sie sich diese Chance vielleicht selbst verderben würde. Wenn es sehr schlecht ging, würde sie es wohl kaum noch einmal versuchen dürfen. Sie hatte gehört, daß es schwierig ist, beim Reiten das richtige Gleichgewicht zu finden; also mußte sie sich wirklich zusammennehmen, damit es einigermaßen klappte.

Zuerst hieß es natürlich einmal, aufs Pferd hinaufzukommen. Charlotte in der Reitschule hatte sie einfach auf plumpe Weise in den Sattel bugsiert. Diesmal aber war Astrid entschlossen, schneller zu sein, so daß keiner sie mehr wie ein Kind hochzuhieven brauchte.

„Tja, jetzt sind wir am Ziel“, sagte ihre Mutter und parkte den Wagen.

Ein schwacher Fliederduft war das erste, was Astrid bemerkte, als sie aus dem Auto stieg. Sie sah das rote Haus und die prächtigen Blumenbeete zu beiden Seiten der Auffahrt nicht; auch nicht die gelbe Katze, die auf frisch geputzten weißen Pfoten über den Hof spazierte.

Gleich darauf erklang Petras Stimme. „Hallo! War’s schwierig, den Weg zu finden?“

Während der Begrüßung spürte Astrid plötzlich etwas Lebendiges, das sich gegen ihr Bein schmiegte. Sie bückte sich und strich mit den Fingerspitzen über einen dichten, seidenweichen Pelz.

„Ist das eure Katze?“ fragte sie.

„Ja, unser Kater – Kurre heißt er“, erwiderte Petra.

„Habt ihr mehr Tiere? Außer Svala, meine ich?“

„Klar, mehrere tausend“, versetzte Petra ernsthaft.

„Jetzt machst du aber Spaß“, sagte Astrid unsicher und runzelte die Stirn.

„Nein, gar nicht. Aber die meisten davon sind natürlich Bienen.“

„Ja, ich glaube, ich habe ein paar Bienenkörbe bemerkt, als wir am Garten vorbeifuhren“, warf Frau Johanson ein.

„Ach, ich dachte zuerst, du meinst tausend Kühe oder sowas!“ Astrid lachte nervös.

„Nein, wir haben leider nur sechs Kühe, dazu noch Kälber und Jungkühe, aber um so mehr Schafe. Wollen wir jetzt Svala aus dem Stall holen und anfangen? Ich bin gerade eine Weile mit ihm geritten, damit sie nicht allzuviel Temperament entwickelt.“

Petra führte ihr Pony auf den Hof. Gerade da kam Frau Granberg aus dem Haus.

„Guten Tag“, sagte sie, „ich bin Petras Mutter. Trinken Sie eine Tasse Kaffee mit mir, während die Mädchen reiten?“

Frau Johanson nahm das Angebot an, und Astrid, Lena und Petra blieben allein mit dem Pony zurück.

„Wie sieht Svala aus?“ fragte Astrid.

Von Lena wußte sie eine Menge über die Pferde der Reitschule, doch ihre Schwester hatte ihr noch wenig von Svala erzählt.

„Sie ist kohlrabenschwarz, mit weißen ,Strümpfen‘ an den Hinterbeinen und einem kleinen Stern auf der Stirn“, erklärte Petra. Da Astrid offenbar mehr hören wollte, fuhr sie fort: „Sie hat feine schlanke Beine, eine breite Stirn, kluge Augen und ein kleines Maul. Und sie ist ungefähr einsvierzig hoch.“

Astrid hatte eine Hand auf die Brust des Ponys gelegt. Nun ließ sie die Finger langsam über den Pferdehals gleiten, ergriff die Zügel, ging ein paar Schritte zur Seite und tastete mit der anderen Hand nach dem Steigbügel, fand ihn jedoch nicht.

„Hier“, sagte Petra und gab ihn ihr in die Hand.

„Danke.“

Astrid bekam den Fuß in den Steigbügel und tastete nach dem Bügelriemen. Dann versuchte sie, sich hochzuschnellen. Sie hatte das zu Hause mit Lenas Hilfe am Treppengeländer geübt. Nun mußte sie ein wenig mit den Armen nachhelfen, um hochzukommen, doch es war nicht so schwer, wie sie geglaubt hatte. Die erste Schwierigkeit war überwunden. Endlich saß sie im Sattel!

Petra half ihr, die Steigbügelriemen etwas zu kürzen. Plötzlich spürte Astrid, daß sich etwas an ihrem Fuß bewegte.

„Was ist das?“ fragte sie und zog den Fuß ängstlich zurück.

„Das war nur Svala. Sie hat dich ein bißchen beschnuppert“, beruhigte sie Petra. „Svala wollte wohl sehen, wer da auf ihrem Rücken sitzt. Ich bin ja seit mehreren Jahren die einzige, die sie reitet.“

Lieber Himmel! dachte Astrid. Das hieß mit anderen Worten, daß Svala nicht an Anfänger gewöhnt war. Doch sie hatte ja keine Wahl. Sie mußte dieses Pferd reiten, wenn sie überhaupt reiten wollte.

„Ich führe sie, bis wir zur Bahn kommen“, sagte Petra und griff nach den Zügeln.

„Zur Reitbahn?“ echoten Lena und Astrid ungläubig.

„Ja, das ist ein Teil unserer Schafweide“, erklärte Petra. „Ein kleines, ebenes Stück Wiese am Waldrand. Weil ich dort manchmal Dressur reite, hat mein Vater einen Zaun als Grenze zwischen der Bahn und dem Rest der Weide aufgestellt. Ich habe sogar ein eigenes Gatter bekommen.“

Sie ließen den Hof hinter sich und folgten dem grasbewachsenen Fahrweg, der an den Wiesen entlangführte. Die Luft war voller Vogelgezwitscher, und dazwischen erklang lautes Blöken von der Weide.

Astrid senkte die Fersen und versuchte so aufrecht im Sattel zu sitzen, wie sie nur konnte. Es war schön, auf Svalas Rücken hin und her geschaukelt zu werden; trotzdem war sie froh, daß Petra die Zügel hielt. Plötzlich machte das Pony halt.

„Jetzt stehen wir vor dem Gatter“, sagte Petra. „Die Bahn ist ungefähr 20X40 Meter, und es macht nichts, wenn du vergißt, abzubiegen. Svala läuft sowieso nicht gegen den Zaun. Sie bleibt stehen, wenn ihr etwas im Weg ist. Von unserem Standplatz aus hast du die Schafweide zur rechten Längsseite der Bahn und den Wald zur linken. Ich mache das Transistorradio an und stelle es in die linke Ecke, damit du wenigstens hören kannst, wo eine der Ecken ist.“

„Ich habe selbst ein kleines Tonbandgerät zu Hause, das mit Batterie läuft“, erwiderte Astrid. „Das hätte ich ja mitbringen können, dann wären zwei Ecken markiert gewesen.“

„Dann bringst du es eben nächstes Mal mit“, sagte Petra unwillkürlich.

Astrid horchte auf. Nächstes Mal? Das bedeutete ja, daß sie mehr als nur eine Reitstunde bekommen konnte. Sofort fühlte sie sich sehr viel besser, und ihre Aufregung verringerte sich.

Zuerst durfte sie im Schritt am Zaun entlangreiten. Petra erklärte, was sie mit Händen und Füßen tun mußte und wie man richtig im Sattel sitzt. Das Pony ging folgsam vorwärts und bog in den Ecken der Bahn von selbst ab. Während der ganzen Zeit lauschte Astrid auf das Radio, um sich zu orientieren. Sie versuchte zu erraten, wie weit es bis zur nächsten Ecke war. Es war nicht leicht, aber es machte ihr Spaß.

„Das Lämmchen da scheint uns zuzusehen“, sagte Lena plötzlich.