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Jeanette Schmid

Gary

und die unsichtbaren Tränen der Anderen

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© 2017 Jeanette Schmid

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN

Paperback: 978-3-7439-6776-2
Hardcover: 978-3-7439-6777-9
e-Book: 978-3-7439-6778-6

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Vorwort

Mit offenen Augen durchs Leben gehen, Dinge hinterfragen und die unsichtbaren Tränen der Leidenden sehen.

Wir sind viel zu sehr mit uns selbst beschäftigt, nehmen das Leid um uns herum meist gar nicht wahr.

Wenn wir es wahrnehmen, dann ignorieren wir es, weil Wegschauen immer der einfachere Weg ist.

In meinem Buch möchte ich Tiere nicht vermenschlichen.

Ein Tier soll ein Tier sein dürfen, mit allem was dazu gehört.

Es soll seine Sozialleben und seine Instinkte ausleben dürfen.

Jedes Lebewesen hat es verdient, mit Respekt und Achtung behandelt zu werden, es liegt in unseren Händen, ob unsere Haustiere ein glückliches Leben führen dürfen. Genau das sollten wir uns immer wieder mal bewusst machen.

Futter und Wasser alleine reichen bei weitem nicht aus, es gehört noch so viel mehr dazu.

Erzieht eure Kinder zu emphatischen und mitfühlenden Erwachsenen.

Sie sind die Zukunft für unseren Planeten.

Wenn wir alle nicht nur geradeaus, sondern auch mal nach links und rechts schauen gelingt es uns bestimmt, das Leben für viele andere, ob Mensch oder Tier ein bisschen besser zu machen.

Wir sollten es uns zur Aufgabe machen, dass die, die wir lieben glücklich sind!

Mein Name ist Jeanette Schmid, ich bin am 26.11.1969 geboren, verheiratet und habe zwei Töchter.

Schon seit ich denken kann, spielen Tiere in meinem Leben eine ganz große Rolle.

Empathie und Mitgefühl waren schon immer meine Stärken.

Wenn ich mich dazu entscheide, einem Tier ein Zuhause zu schenken, dann möchte ich, dass es bei, und mit mir ein glückliches Leben führt.

Irgendwann habe ich angefangen, Kurzgeschichten über Tiere zu schreiben. Die Geschichte von Hoppel, dem Kaninchen wurde in den sozialen Netzwerken so oft geteilt, ich bekam so viel positives Feedback, dass ich mich entschlossen habe, dieses Buch zu schreiben.

Wenn ich nur einen einzigen Menschen zum Umdenken bewege und dadurch einem Tier zu einem besseren Leben verhelfen kann, hat sich dieser ganze Aufwand für mich gelohnt.

Bedanken möchte ich mich bei den vielen Lesern meiner Kurzgeschichten, die mich dazu ermutigt haben, dieses Buch zu schreiben.

Außerdem geht ein ganz lieber Dank an meinem Mann Mike, der es mit so einer Tierverrückten wie mir nicht immer ganz leicht hat, aber dennoch immer hinter mir und meinen Entscheidungen steht. Der oft auf seine Freizeit verzichten muss, weil das Kaninchenhaus noch nicht perfekt ist, oder die Voliere mal wieder renoviert oder angebaut werden muss.

Der auch mal die Fütterung irgendwelcher Tierbabys übernimmt, wenn ich verhindert bin. Ebenfalls ein riesengroßes Dankeschön geht an meine Töchter Vanessa und Jennifer. Sie waren die ersten, die dieses Buch lesen durften und mich dazu ermutigt haben, es zu veröffentlichen.

Gary und die unsichtbaren Tränen der Anderen

Ich erblicke das Licht der Welt

Angenehm warm war es hier. Ich fühlte mich rundum wohl in meiner Umgebung, ich spürte den Herzschlag meiner Mutter und die Nähe meiner Geschwister. Ich kannte keine Gefühle wie Kälte, Angst oder Hunger.

Alles war so perfekt, bis zu diesem Tag an dem es hier ganz unruhig wurde. Plötzlich wurde ich gedrückt und geschoben, Panik ergriff mich, als ich irgendwo hindurch glitt.

Dann war mit einem Ruck alles anders. Das angenehme Gefühl der Geborgenheit und Wärme wich einem Gefühl des Alleinseins und der Kälte. Ich merkte, wie die dünne Haut die mich umgab plötzlich platzte.

Ich fühlte den Herzschlag meiner Mutter nicht mehr und ich konnte meine Geschwister nicht mehr spüren.

Als irgendwas über mein nasses Fell glitt, beruhigte ich mich. Ich spürte wohlige Vibrationen, die mir vertraut waren und mir wurde bewusst, dass meine Mutter bei mir war.

Als sie mir mit ihrer rauen Zunge das Gesicht ableckte, sog ich zum ersten Mal Luft in meine Lungen und atmete selbständig.

Sofort drang ein faszinierender Geruch in meine Nase und zog mich regelrecht an, ich musste da hin. Also begann ich mit den Pfoten zu rudern, es musste doch möglich sein zum Ursprung dieses Duftes zu gelangen.

Ich spürte die Pfote meiner Mutter, die mich sanft zur Quelle schob. Mit wackligem Köpfchen suchte ich an ihrem Bauch nach einer Zitze, die ich mit meinem kleinen Mäulchen umschloss und zu saugen begann.

Neben mir bewegten sich meine Geschwister und ich wusste, alles würde gut werden. Das Gefühl der Geborgenheit stellte sich wieder ein und als

meine Mutter mir erneut mit ihrer Zunge über das Fell leckte, schlief ich völlig erschöpft ein.

Als ich wieder aufwachte, lag ich inmitten meiner Brüder und Schwestern. Ihre Wärme und die Vibration des Schnurrens unserer Mutter sorgten dafür, dass ich mich absolut geborgen fühlte.

So vergingen mehrere Tage, an denen ich nichts anderes tat als schlafen und gemeinsam mit meinen Geschwistern an den Zitzen unserer Mutter zu trinken. Unsere Mama verließ uns immer nur für ganz kurze Zeit, meist lag sie bei uns und umsorgte uns liebevoll.

Nach einigen Tagen schaffte ich es, meine Augen zu öffnen. Noch etwas verschwommen konnte ich nun meine vier Geschwister und unsere Mutter erkennen. Meine drei Schwestern hatten ebenfalls die Augen geöffnet und wir schauten uns neugierig an.

Mein Bruder, der einzige Kater außer mir, war der kleinste von uns allen und bei ihm waren die Augen so verklebt, dass er es nicht schaffte, sie zu öffnen.

Immer wieder versuchte unsere Mutter die Augen des kleinen zu säubern, was ihr aber nicht so richtig gelang.

Noch ein paar Tage später öffneten sich dann auch meine Ohren, was mich zunächst verwirrte. Bisher hatte völlige Stille mein Leben begleitet und so musste ich mich erst an die vielen Geräusche gewöhnen.

Jetzt wurde es hier erst so richtig interessant! Ich konnte das Schnurren meiner Mutter nicht nur fühlen, sondern auch hören.

Manches machte mir und meinen Geschwistern Angst, aber unsere Mutter beruhigte uns und erklärte was die unterschiedlichen Geräusche für Bedeutungen hatten.

So wussten wir bald, wie sich der Traktor des Bauern anhörte, das Bellen des Hofhundes oder das Muhen der Milchkühe. Wir hörten die Stimmen der Menschen, die hier auf den Hof lebten und das Gegacker der Hühner. Wenn am frühen Morgen der Hahn krähte, wussten wir dass ein neuer Tag angebrochen war.

Von Tag zu Tag, wurden unsere Bewegungen koordinierter und wir begannen mit tapsigen Schritten die Welt außerhalb unseres Nestes zu erkunden.

Da unsere Mama große Angst vor dem Bauer hatte, mussten wir ihr versprechen ins Versteck zu flüchten und uns leise zu verhalten, wenn er mal hier hochkommen sollte. Er hatte ihr und den anderen Katzenmamas schon öfter die Babys weggenommen und sie hätten ihre Kinder dann nie wieder gesehen. Das fanden wir ziemlich unheimlich und wir gaben unserer Mutter das Versprechen auf uns aufzupassen und die Menschen zu meiden. Unsere Mama schien gar kein gutes Bild von den Menschen zu haben, eigentlich lebte sie hier in ständiger Angst.

Als ich sie fragte, warum sie dann so nah bei diesen Menschen leben würde erklärte sie mir, dass sie hier genug Nahrung finden würde und wir ein trockenes Lager hätten. Für eine Katze sei es nicht so einfach, irgendwo Unterschlupf zu finden, und da wäre so ein Heuboden einfach ideal.

Hier konnte sie etwa zweimal im Jahr ihre Jungen gebären und großziehen.

Vorausgesetzt, die Kitten wurden nicht von dem Bauern gefunden und waren gesund um groß und stark zu werden.

Um uns klar zu machen, wie schlimm der Bauer war, erzählte sie uns von den anderen Tieren, die hier auf dem Hof lebten.

Sie erzählte uns von den Kühen, die nebenan angebunden in einem Stall stehen würden und diesen nicht verlassen könnten. Der Mensch würde ihnen die Kinder wegnehmen und die Milch, die eigentlich für die Kälber bestimmt war, einfach für seine Zwecke nutzen. Den Hühnern würde man die Eier klauen und der Hofhund würde ein trauriges Dasein angebunden an einer Kette fristen.

Das alles machte mich sehr nachdenklich. Warum durften die Kälbchen nicht bei ihren Mamas aufwachsen? Für mich war meine Mutter sehr wichtig, ich konnte mir gar nicht vorstellen ohne sie zu sein. Außerdem gab es doch nichts Schöneres, als an Mamas Bauch zu liegen und an ihren Zitzen die gute Muttermilch zu trinken. Wie schrecklich einsam mussten sich doch die Kälbchen ohne ihre Mama fühlen.

Oder, warum durfte der Hund nicht einfach so herumlaufen, warum war er angebunden?

Von anderen Katzen hatte Mama aber auch schon gute Sachen über die Menschen gehört. Manche lebten anscheinend sogar in den Häusern der Menschen und bekamen dort auch ihr Fressen und wurden liebevoll umsorgt von ihnen. Das alles änderte aber nichts an der Meinung unserer Mutter. Mama war hier auf dem Hof geboren und hatte ihn auch noch nie verlassen. Sie kannte nur diese Menschen und mit denen hatte sie noch nie gute Erfahrungen gemacht.

Während meine Schwestern und ich immer munterer wurden und so langsam die Welt erkundeten, ging es unserem kleinen Bruder von Tag zu Tag schlechter. Seine Augen waren noch immer verklebt und aus der Nase floss eine zähe Flüssigkeit, die ihn am Atmen hinderte. Dadurch konnte er nur mit größter Mühe die so wichtige Muttermilch trinken, was zur Folge hatte, dass er nicht an Gewicht zunahm. Er war zu schwach um auf seinen Beinen zu stehen und unsere Mutter machte sich große Sorgen.

Viele Kätzchen, so erklärte sie uns, würden die ersten Lebenswochen nicht überleben, weil sie von Geburt an krank waren. So bereitete sie uns darauf vor, dass wir unser Brüderchen vermutlich bald verlieren würden.

Wenn vier von fünf das erste Lebensjahr erreichen würden, sei sie sehr glücklich, sagte sie, meist wären mehrere Kätzchen dem Tode geweiht.

Während unser Bruder also um sein Leben kämpfte, mussten wir unsere Sinne für die Zukunft trainieren.

Wenn unsere Mutter sich liebevoll um unseren Bruder kümmerte, spielten wir dicht daneben im Heu. Unsere Schritte waren noch nicht so koordiniert, so dass unsere Bewegungen oft unbeholfen und lustig aussahen. Aber wir hatten jede Menge Spaß. Wir spielten Verstecken und Fangen, bis wir vor Erschöpfung dicht zusammengekuschelt einschliefen.

Von Tag zu Tag wurden wir schneller und unsere Sprünge sicherer. Oft brachte Mama uns jetzt von ihren Beutezügen eine Maus mit, die wir selbst fangen und erlegen mussten. So trainierten wir langsam unsere Selbständigkeit.

Unser Bruder wurde unterdessen immer schwächer und Mama spürte, dass es nun nicht mehr lange dauern würde, bis er über die Regenbogenbrücke in eine andere Welt gehen würde.

Kurz bevor er einschlief, rief Mama uns zu ihm. Noch ein letztes Mal, leckten wir ihm liebevoll über das Gesicht und verabschiedeten uns von ihm. Dann hörte sein Herz auch schon für immer auf zu schlagen. Als ich sah, wie schwer dieser Abschied für unsere Mama war, überkam auch mich eine unsagbare Traurigkeit. Nachdem er ruhig eingeschlafen war, trug Mama ihn fort.

Meine Schwestern und ich blieben schweigend stehen und schauten ihr nach. Wir hatten keine Ahnung, wohin sie ihn brachte und wollten sie auch nicht mit unnötigen Fragen nerven.

Als sie wiederkam, kuschelten wir uns ganz dicht an sie, das gab uns allen ein ganz großes Gefühl der Geborgenheit und des Trostes.

Mir jagten tausend Gedanken durch den Kopf, aber schließlich konnte ich doch irgendwann einschlafen.

Engelchen Joelina

In dieser Nacht, hatte ich einen Traum, oder soll ich besser sagen, eine Begegnung? Ein winziges schwarzweißes Kätzchen erschien plötzlich und fing an zu erzählen:

„Hallo lieber, kleiner Kater,

ich bin Joelina, das Kind einer „wilden“ Katze. Meine Mama hatte kein richtiges Zuhause, musste immer für sich selbst sorgen, so wie du und deine Familie auch.

Sie war noch recht jung, als ich geboren wurde. Eines Tages trug sie uns in einen Hühnerstall, hier war es warm und trocken. Da sie großen Hunger hatte, ließ sie uns, wie schon oft, alleine um auf Mäusejagd zu gehen. Als sie nach mehreren Stunden noch immer nicht zurück war, fingen mein Bruder und ich an zu weinen. Wir machten uns Sorgen um sie, hatten Hunger und Angst. Plötzlich stand eine Frau vor uns, sie musste uns weinen gehört haben. Vorsichtig hob sie uns hoch und nahm uns mit in ihr Haus. Wir zitterten vor Angst, hatten ja keine Ahnung, was jetzt passieren würde. Nach einem Telefongespräch wurden wir in ein Körbchen gesetzt und in ein Auto geladen. Nach einer kurzen Fahrt nahm uns eine andere Frau entgegen, die uns gleich eine Nahrung zubereitete. Bei meinem Bruder war der Hunger wohl größer als die Angst, er begann sofort, aus dem Schoppen zu trinken

Da ich im Gegensatz zu meinem Bruder sehr klein und zierlich war, musste meine menschliche Pflegemutter mir die Aufzuchtsmilch die erste Zeit mit einer Spritze eingeben, da ich mich vor lauter Panik weigerte selbst zu trinken.

Aber schon nach ein paar Tagen merkte ich, dass die Menschen hier sehr lieb waren und es gut mit uns meinten. Bald schon genoss ich es, bei meiner Ersatzmami auf dem Schoss zu liegen und vorsichtig gekrault zu werden. Wir lebten in einem großen Zimmer, hatten mehrere Bettchen, genügend Spielzeug, einen kleinen Kratzbaum und immer volle Bäuchlein. Über einem der Kuschelbettchen hing eine Lampe, die mit ihrem roten Licht eine wohlige Wärme abgab. Ich liebte es, darunter zu schlafen. Drei Wochen lang ging es mir ganz gut.