Der Bergpfarrer – 188 – Ein Mann mit Geheimnis

Der Bergpfarrer
– 188–

Ein Mann mit Geheimnis

Was hat Toni zu verbergen?

Toni Waidacher

Impressum:

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Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74092-666-3

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»Himmel, ist das eine Hitze heut’!«

Der junge Bursche, der diesen Ausruf tat, wischte sich gleichzeitig den Schweiß von der Stirn. Anton Anhäuser, von allen nur Toni genannt, nahm dankbar die Flasche mit dem Wasser entgegen, die Lisa ihm reichte und trank mit großen Schlucken.

»Ah, dank’ schön, das tut gut«, seufzte er und fuhr sich noch einmal über das Gesicht.

Die hübsche Bauerntochter betrachtete den muskulösen Oberkörper. Toni hatte das Hemd ausgezogen, und Lisa konnte den Blick nicht von seiner braungebrannten Brust und den starken Armen lösen.

Der Knecht bemerkte es allerdings nicht. Toni hatte sich neben den Traktor gehockt und schaute in den Korb. Angesichts der Temperaturen gab es ein kaltes Mittagessen. In einer Schüssel fand sich ein gemischter Salat, dazu gab es Brot und Käse.

»Was ist das denn?«, fragte Toni erstaunt.

Er hatte einen Topf aus dem Korb genommen und den Deckel abgehoben.

»Doch Suppe? Bei der Hitze?«

Lisa schmunzelte.

»Probier’ erstmal.«

Der Knecht nahm den Löffel aus dem Korb und tauchte sie in die helle, cremige Flüssigkeit.

»Die ist ja kalt!«, rief er verblüfft. »Aber lecker. Was ist denn das?«

Lisa lachte.

»Eine ›Creme Vichysoise‹«, erklärte sie.

Er blickte sie nicht verstehend an.

»Und wie heißt das auf Bayerisch?«

»Kalte Kartoffelsuppe. Ich hab’ sie gestern gekocht und eben, bevor ich hergekommen bin, noch kalte Milch untergerührt.«

»Klasse!«, kommentierte Toni. »Die ist wirklich einmalig gut!«

»Freut mich, dass es dir schmeckt.«

Sie setzte sich neben ihn und schaute ihm beim Essen zu.

»Samstag ist Tanzabend«, meinte die Bauerntochter, – so ganz nebenbei.

Eigentlich eine überflüssige Bemerkung, denn Tanzabend war jeden Samstag im Hotel ›Zum Löwen‹, in St. Johann. Aber Lisa hatte ihren Grund, Toni mit der Nase darauf zu stoßen, denn solange der Bursche schon Knecht auf dem Gruberhof war, genauso lange versuchte sie schon, ihn auf das Vergnügen zu lotsen – allerdings bisher ohne Erfolg. Toni Anhäuser weigerte sich standhaft, und überhaupt hatte Lisa das letzte halbe Jahr niemals gesehen, dass er mal den Hof verlassen hatte, um irgendwelchen Vergnügungen nachzugehen. Weder zum Schwimmen an den Achsteinsee fuhr er, noch traf er sich mit anderen Knechten auf ein Bier, vom Tanzabend ganz zu schweigen.

Toni hatte den Topf leer gelöffelt und wischte sich den Mund mit der Serviette ab, die Lisa mitgebracht hatte.

»Ich glaub’, den Salat esse ich später«, sagte er, ihre Bemerkung übergehend. »Danke noch mal, für die tolle Suppe. Wie heißt die noch mal?«

Lisa erklärte es ihm, aber die Enttäuschung darüber, dass er überhaupt nicht reagierte, stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben. Sie stand auf und strich ihren Rock glatt. Lisa Gruber war zweiundzwanzig Jahre alt. Sie hatte schulterlanges dunkelblondes Haar, das sie meist zu einem Zopf zusammenband. Ihr hübsches Gesicht wurde von einem dunklen Augenpaar dominiert, das meistens strahlte, vor Freude oder einfach aus Lebenslust. Doch im Moment war kein Strahlen darin zu entdecken.

»Warum gehst’ denn net mal mit?«, fragte sie.

Toni sah erstaunt auf.

»Wie? Was meinst’?«

»Auf den Tanzabend!«

»Ach so.«

Er zuckte die Schultern.

»Ich weiß net«, antwortete er. »Ich kann überhaupt net tanzen.«

»Das glaub’ ich net.«

»Doch, doch«, nickte er. »Und außerdem mag ich net so viele Menschen auf einen Haufen.«

Lisa schüttelte unwillig den Kopf. Seit Toni auf dem Hof angefangen hatte, vor gut sechs Monaten, wusste sie, dass sie ihn liebte. Auf den ersten Blick war es um sie geschehen gewesen, was indes auch kein Wunder war, denn Toni Anhäuser war groß und schlank, er hatte kräftige Oberarme und machte auch sonst eine gute Figur. Das markante Gesicht, und die dunklen lockigen Haare verstärkten seine Attraktivität.

»Man könnt’ fast glauben, du versteckst dich bei uns auf dem Hof!«, stieß die Bauerntochter enttäuscht hervor.

Sie lief zum Auto, mit dem sie heraufgekommen war.

Toni sprang auf und wollte ihr nacheilen.

»Wart’ doch!«, rief er.

Aber Lisa saß schon im Wagen und ließ den Motor an. Ehe der junge Mann heran war, gab sie Gas und fuhr davon. Toni Anhäuser hob hilflos die Arme und ließ sich wieder fallen.

»Ach, Madel«, murmelte er vor sich hin, »wenn das Leben doch bloß net so kompliziert wär’!«

*

»Gibt’s Neuigkeiten, bezüglich der Interessen unsres Bürgermeisters?«, fragte Max Trenker, als er zum Essen ins Pfarrhaus kam.

»Meinst’ seine ›Bavarian-Futureworld‹?«, entgegnete Sebastian. »Die wird er wohl begraben müssen. Am Samstag heiraten die Resl und der Christian, und damit ist die Gefahr, dass der Hochleitnerhof verkauft wird, wohl endgültig vorüber.«

»Na, so sicher bin ich da noch net«, erwiderte Max skeptisch. »So wie ich den Brandner einschätze, lässt er sich im letzten Moment noch was einfallen. Was ist denn mit der angedrohten Zwangsversteigerung?«

»Nun, die ist zwar noch net vom Tisch, aber ich glaub’ net, dass der Brandner im Gemeinderat eine Mehrheit dafür finden wird. Weißt’, die Sache hat doch einen eher unangenehmen Beigeschmack. Da werden sich auch seine Fraktionsmitglieder eher enthalten, als sich die Finger verbrennen.«

»Dann können wir ja froh sein, dass dieser Kelch noch einmal an uns vorbeigegangen ist.«

Der junge Polizist sah der Haushälterin seines Bruders erwartungsvoll entgegen. Sophie Tappert kam vom Herd an den Tisch. Schon beim Hereinkommen hatte Max gerochen, dass es ein leckeres Fischgericht geben würde. Tatsächlich hatte die Pfarrköchin ganz frisches Rotbarschfilet gebraten und dazu eine köstliche Senfsauce zubereitet. Zusammen mit Gurkensalat und Dillkartoffeln war es eine herrliche Mahlzeit, und es war nur gut, dass die Haushälterin zwei Filets mehr gebraten hatte…

Nach dem Essen verabschiedete sich Max schon bald wieder. Sebastian erledigte ein paar Anrufe und ging anschließend in den Pfarrgarten. Der Rasen musste wieder mal gemäht werden. Eigentlich war es die Aufgabe des Mesners, sich darum zu kümmern, aber der Geistliche arbeitete gerne im Garten, und so gab es eine stumme Übereinkunft zwischen ihm und Alois Kammeier.

Vom Pfarrgarten aus schaute Sebastian auf den angrenzenden Friedhof hinüber. An einem der Gräber stand ein Mann, offenbar ein Gebet sprechend. Er hatte die Hände gefaltet und bewegte die Lippe.

Der Mann war dem Geistlichen gänzlich unbekannt und erweckte seine Neugier. Groß und stattlich sah er aus, war etwa Mitte der

Fünfzig und trug einen hellgrauen Anzug. Da das Grab nur wenige Schritte vom Zaun entfernt lag, hatte Sebastian ausreichend Gelegenheit, den Mann zu betrachten. Dabei überlegte er, wer der Friedhofsbesucher wohl sein könne. Aus dem Dorf stammte er jedenfalls nicht, soviel stand fest.

Als der Fremde sich umdrehte, nickte der Bergpfarrer ihm zu, und der Mann antwortete ebenfalls mit einem Kopfnicken. Dann wandte er sich um und ging langsam davon.

Der gute Hirte von St. Johann maß dieser kurzen Begegnung schon eine Bedeutung zu. Das Grab, das der Mann besucht hatte, gehörte der Familie Anhäuser, die, soweit er wusste, hier im Wachnertal, keine lebenden Mitglieder mehr besaß. Vor langer Zeit war ein Thomas Anhäuser fort gegangen, aber das musste mindestens schon an die siebzig Jahre her sein, zu einer Zeit also, in der Sebastian noch nicht geboren war. Freilich gab es weitere Familien dieses Namens, doch die hatten mit den Anhäusers, hier auf dem Friedhof, nichts zu tun. Deshalb wunderte sich der Geistliche, warum nun jemand hier auftauchte und gerade dieser Grabstelle einen Besuch abstattete.

Beim Nachmittagskaffee sprach er mit seiner Haushälterin darüber. Sophie Tappert stammte aus St. Johann und kannte viele der alt eingesessenen Familien. Sie erinnerte sich, gehört zu haben, dass irgendwann eine Nachkommin des Thomas Anhäuser einen Adligen geheiratet habe. Aber einen sicheren Beleg dafür gäbe es nicht. Manch einer behauptete damals, es sei nur ein Gerücht, das in die Welt gesetzt worden sei. Jedenfalls habe zwischen der hiesigen Familie und jenen Anhäusers, die fort gegangen waren, nie ein wirklicher Kontakt bestanden.

Inzwischen war der Bauernhof an einen anderen verkauft worden. Die Erbengemeinschaft, zwei Töchter des letzten Bauern, lebten im Ausland und hatten kein Interesse gehabt, den Hof zu bewirtschaften. Sebastian bedauerte, dass er nun wohl keine Gelegenheit mehr haben würde, das Geheimnis aufzudecken.

Doch möglicherweise würde er dem Fremden noch einmal begegnen und dann wollte er ihn auf jeden Fall ansprechen.

*

Toni stand in der Tür und schaute Lisa zu, die am Melkstand damit beschäftigt war, eine Kuh an die Schläuche der Melkmaschine anzuschließen.

»Soll ich dir helfen?«

Die Bauerntochter schaute auf. Ein Lächeln glitt über ihr Gesicht. Sie wischte sich eine Strähne aus dem Gesicht.

»Geht schon«, antwortete sie. »Ich bin gleich fertig.«

»Ich hätt’ dir gern’ schon vorher geholfen, aber ich bin auch grad erst vom Feld zurück.«

»Macht nix.«

Nachdem die letzte Kuh gemolken war, brachten sie die vollen Milchbehälter an die Straße. Der Tankwagen der Molkereigenossenschaft musste jeden Moment kommen und sie leeren. Derweil ging Lisa in die Küche, um zusammen mit der Mutter das Abendessen vorzubereiten. Franz Gruber, der Bauer, und Florian, der jüngere Sohn, schafften unterdessen hinten im Garten, wo ein großes Stück umgegraben werden musste. Toni ging zum Gesindehaus. Früher, zu den besten Zeiten, hatten dort einmal drei Knechte und zwei Mägde gewohnt, aber das war schon eine Ewigkeit her. Heute war der Gruberbauer froh, dass sein Hof außer der eigenen Familie auch noch einen Knecht ernähren konnte.

Toni wusch sich und zog sich zum Abendessen um. Er gähnte verhalten. Das frühe Aufstehen jeden Morgen ließ einen regelmäßig müde werden, noch bevor die Sonne untergegangen war. Indes hatte sich der Knecht daran gewöhnt und er war immer schon ein paar Minuten wach, bevor der Wecker klingelte.

Beim Abendessen unterhielt man sich über den Tagesablauf, erzählte, was einem vielleicht schief gegangen war oder was man sonst so erlebt hatte. Da am Mittag kalt gegessen worden war, hatten die Bäuerin und ihre Tochter ein warmes Abendessen zubereitet. Inzwischen war es auch nicht mehr so heiß. Während des Essens schaute Lisa immer wieder verstohlen zu Toni hinüber, der auf der anderen Seite des Tisches, neben Florian, saß. Natürlich entging es dem Knecht nicht. Er hatte es auch schon früher bemerkt, aber heute lag etwas anderes in dem Blick der Bauerntochter.

Eine Frage…

Ob es mit ihrer Bemerkung vom Mittag zusammenhing, dass sie ihn so rätselnd anschaute?

Nach dem Abendessen verabschiedete sich Florian und fuhr ins Dorf hinunter. Lisas Eltern setzten sich ins Wohnzimmer, um fernzusehen, und Toni verschwand in seine Kammer, im Gesindehaus. Lisa hatte den Abwasch gemacht und trat vors Haus. Bis zur Unterkunft des Knechts waren es nur ein paar Schritte. Ihr Herz klopfte schneller, als sie seinen Schatten hinter der Gardine sah. Dann wurde die Tür geöffnet, und Toni trat über die Schwelle.

»Hallo«, nickte er ihr zu und schlenderte zu Lisa hinüber. »Sag’ mal, was ich dich fragen wollte…?«

Sie erwiderte seinen Blick, und das Herz schlug noch schneller.

Würde er sie jetzt wegen Samstag fragen?

»Was denn?«, fragte sie mit belegter Stimme.

»Ja, also…, heute Mittag, da hast du was gesagt…«

Also doch net!

Lisa versuchte ihre Enttäuschung zu verbergen.

»Was meinst’ denn?«

»Du sagtest, dass du den Eindruck hättest, ich würd’ mich hier auf dem Hof verstecken…«

Die ganzen Tag war ihm diese Bemerkung nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Im letzten Augenblick war es ihm gelungen, sein Erschrecken zu verbergen, als sie ihm die Worte an den Kopf warf.

»Ach das.«

Lisa machte eine wegwerfende Handbewegung.

»Das hab’ ich nur so gesagt.«

Doch dann sah sie ihn prüfend an.

»Oder hab’ ich etwa Recht?«, hakte sie nach.

Toni sah sich um. Aber der Bauer und seine Frau waren ja drinnen im Haus, es drohte also keine Gefahr.

»Wollen wir ein Stückl geh’n?«, fragte er.

Lisa nickte rasch, als habe sie Angst, er könne es sich gleich wieder anders überlegen. Sie spazierten um die Scheune herum, an der Weide vorbei, auf der tagsüber die Kühe standen, und gingen ein Stück die Wiese hinauf. Dort setzten sie sich ins Gras – und schwiegen.

Es dauerte eine ganze Weile, ehe der Knecht den Mund öffnete.