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Günther Mohr

Selbstfindung

Die Alternative zur Menschine I

© 2018 Günther Mohr

Verlag und Druck: tredition GmbH

Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN

978-3-7469-1297-4 (Paperback)

978-3-7469-1298-1 (Hardcover)

978-3-7469-1299-8 (e-Book)

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.


Inhalt

Vorwort

Die anstehende Veränderung im 21. Jahrhundert

Die geschafften Aufgaben: Hunger und Seuchen

Die neuen Aufgaben: Den Tod besiegen und Glück schaffen

Das Geistige und das Bewusstsein

Was macht die Überlegenheit des Menschen aus?

Der freie Wille

Das erlebende und das erinnernde Selbst

Algorithmen und Datenreligion

Alternative zur Menschine

Der erste Zugang: Im Alltag sein Selbst finden

Alltag, Zazen und bewusst werden

Zen-Übung und Alltag

Reduzieren und Abstand gewinnen

Aufwachen

Die unmittelbare Wahrnehmung

Die Zeit der Entwicklung

Verschiedenes Erleben im Aufwachen

Übungen, Koans und Geschichten

Ich, Du und Bewusstsein

Anders arbeiten und Reduzierung im Leben

Der zweite Zugang: Fühlen lernen

Der Kernpunkt der Reise: „Alles fühlen“

Wie können wir die Initiative wiedergewinnen?

Was aber ist mit den Gefühlen im Alltag?

Der Körper spürt, die Seele fühlt

Die Reise in die Tiefe

Der Weg zu sich selbst

Akzeptanz und Hingabe

Körper

Die tieferen Erfahrungen

Loslassen

Der dritte Zugang: Das Leben annehmen

Das Leben annehmen

Unter die Bedürfnisse kommen

Ziele setzen

Der Weg

Der vierte Zugang: Ent-täuschung

Das gedachte Ich

Das innere Gedankenfeuerwerk, der Film und die Angst

Wir sind Angst

Wie man aus dem Nichts doch ein Etwa macht

Zufriedenheit im Leben

Ziele setzen

Zen-Übung

Würdigung des Ich-Konzeptes

Das Gute und Richtige

Fühlen

Zur Entstehung der Nicht-Zen-Haltung

Die Angst

Resümee: Als Individuum im 21. Jahrhundert

Ausblick

Literatur

Vorwort

Wie lernt der Mensch, mit der heutigen Welt zurecht zu kommen? Wie schafft er Zufriedenheit mit sich selbst? Die „Alternative“ setzt der pessimistischen Vorstellung für die Zukunft des Menschen als „Menschine“, einer schlimmen Vision, ein konstruktives Lebensgestaltungsprinzip entgegen. „Menschine“ bedeutet eine aus technischen Einbauten in den Körper sowie chemischen Glücksbringern und Altersverlängerern bestehendes Leben, wie es von interessierten Wirtschaftsbereichen nahegelegt wird.

Aber ist der Mensch dann noch derselbe? Dies ist zu bezweifeln. Der Mensch sollte Mensch bleiben. Aber dafür muss er ganz andere Erkenntnisse nützen als die, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten im Mainstream von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft standen. „Die Alternative" heißt also auch: Wir sollten uns nicht selber abschaffen. Wir sollten Erkenntnisse nützen, die das Menschsein in der Tiefe berühren.

Dieses Buch ist der erste Teil einer Trilogie: dieses erste hier zum Individuum, ein zweites zur Beziehung zwischen Menschen („Dialog und Resonanz“), dem Zwischen-menschlichen und das dritte zum Menschen in Organisationen („Lebendige Organisation“).

Der vorliegenden Band „Meditation statt Menschine“ startet mit der allgemeinen Ausgangsfrage „Wo steht der Mensch gerade und vor welchen Herausforderungen?“ Zur Betrachtung dieser Fragen habe ich mich zunächst an den Kernpunkten der Analyse des Historikers Yuval Harari orientiert, der den heutigen Stand der sich andeutenden Zukunft sehr gut zusammenfasst, aber auch eine kritische Würdigung verdient. Dann werden Haltungen und Vorgehen vorgestellt, die das durchaus pessimistische Zukunftsbild, das Harari von den Menschen zeichnet, eine praktische Alternative gegenüberstellt: den Weg des Erkennen der eigenen Natur des Menschen und seiner Möglichkeiten. Die Frage des „Wer bin ich?“ und auch im Zusammenwirken des „Wer sind wir?“, die mithin als die zentrale Fragen des Lebens bezeichnet werden, stehen dann im Vordergrund. Dennoch ist schon manches von anderen vorher ähnlich erlebt worden und sie haben es auch prima dargestellt. Deshalb beziehe ich mich deutlich auf die Konzepte des Zentrums für Achtsamkeit und Meditation, die im „Benediktushof“ in Holzkirchen gelehrt werden. Die diskutierten vier Konzeptbausteine geben eine hervorragende Lebensanleitung für das, was im 21. Jahrhundert den Menschen unterstützen kann.

zur Praxis der Achtsamkeit im Alltag,

zum Umgang mit „dem“ Charakteristischen des Menschen: den Gefühlen,

zur Annahme der Lebensaufgabe, des Lebensschicksals,

und zur realistischen Haltung zum eigenen Ich

Die anstehende Veränderung im 21. Jahrhundert

Im Folgenden zeige ich in kompakter Darstellung entlang der Argumentationsschritte von Hararis Analyse „Homo Deus“ die voraussichtlichen Entwicklung im 21. Jahrhundert auf und ordne seine Befunde kritisch ein.

Die geschafften Aufgaben: Hunger und Seuchen

Die alten Geißeln der Menschheit, wie Hunger und Seuchen, sind besiegt. Mit diesem Paukenschlag beginnt der Historiker Yuval Harari seine Betrachtung der Zukunft. Aber stimmt das wirklich? Hungersnöte würden nicht mehr aufgrund mangelnder Möglichkeiten der Ernährung der Menschen entstehen, sondern die, die unglücklicherweise noch aufträten, sind von Menschen gemacht und politisch hergestellt. Die Menschheit produziere genügend Nahrungsmittel für alle. Im Gegenteil: Heute seien 2,1 Milliarden Menschen übergewichtig, nur 800.000 sind zeitweise vom Hunger bedroht. Das Besiegen des Hungers, vor allem durch die beiden großen Länder, China und Indien, ist ein großer Erfolg, genauso wie die Tatsache, dass neuere Seuchen wie Ebola, Vogelgrippe oder AIDS im Vergleich zu früheren Seuchen nur noch begrenzte Opferzahlen erzeugen. Zwar ist Hararis statistische Betrachtungsweise von Themen wie Hunger und Seuchen nicht falsch, aber eben eine statistische Durchschnittsbetrachtung und sie hilft denen, die immer noch akut von Hunger betroffen sind, wenig. Andererseits zeugen solche Ergebnisse tatsächlich davon, wie Ressourcen in der Welt eingesetzt werden können und sind daher von Relevanz. Sie werfen die Frage auf: Worauf richten sich die Anstrengungen von Gesellschaft und Wissenschaft?

Die neuen Aufgaben: Den Tod besiegen – Glück schaffen

Die noch anstehenden Ziele der Menschheit sind hingegen: Das Besiegen des Todes und das Schaffen von Glück. Der Tod verstößt eindeutig gegen „den Wert des menschlichen Lebens“. Deshalb könnten bald die, die sehr viel Geld haben, es sich leisten, durch die moderne Medizin ihr Leben verlängern zu lassen. Für das Ziel des Glücks, das interessanterweise schon und gerade in der amerikanischen Verfassung auftaucht und laut Harari ein zweites großes Ziel im 21. Jahrhundert ist, sammelt er interessante Befunde. Soziologisch gibt es eine Art gläserne Decke des Glücks. In Singapur liegt das durchschnittliche Jahreseinkommen bei 56.000 Dollar, in Costa Rica nur bei 14.000 Dollar. Trotzdem sind die Costaricaner, wenn man sie fragt, glücklicher als die Menschen in Singapur. „In Peru, Guatemala, den Philippinen und Albanien – Entwicklungsländern mit Armut und politischer Instabilität – nimmt sich etwa einer von 100.000 Menschen jedes Jahr das Leben. In reichen und friedlicheren Ländern wie der Schweiz, Frankreich, Japan oder Neuseeland begehen hingegen 25 von 100.000 Menschen Jahr für Jahr Selbstmord“ (Harari, 2016, S. 50). Und während in Korea die Rate der Lebensmüden in 30 Jahren von neun auf 30 gestiegen ist, hat es in den USA und Japan zwischen den 1950er und den 1990er Jahren kaum eine Veränderung ergeben. „Unser biochemisches System ist darauf gerichtet, dass es unsere Chancen auf Überleben und Reproduktion steigert, nicht aber unser Glück“ (ebenda, S. 56).

Ich selbst schließe daraus: Also scheint nicht die nach oben offenen Summe von zu kaufenden Events Glück auszumachen, sondern etwas anderes, eher eine Art Haltung, etwa wenn man ein Auskommen hat und damit wertschätzend und zufrieden umgeht.

Harari, der, wenn er nicht forscht, interessanterweise regelmäßig Vipassana-Meditation, eine indische Form stillen Sitzens, praktiziert, fragt sich dann: Was hatten die Menschen dazu an Lösungen parat? Schon der griechische Philosoph Epikur warnte seine Schüler vor Maßlosigkeit. Buddha ging sogar noch weiter und deutete an, dass das Streben nach angenehmen Erfahrungen die Wurzel allen Übels ist. Ab einer bestimmten materiellen Stufe entsteht Glück nicht mehr durch Externes, sondern im einzelnen Menschen. Harari ist allerdings der Auffassung, man werde an diese Themen mit der Biochemie herangehen, weil dies bequemer ist. Und dieser Weg habe lange begonnen mit der stetig steigenden Vergabe von Psychopharmaka. Durch diese chemischen Eingriffe würde der Mensch mittelfristig in seinem Wesen wirklich verändert.

Das Geistige und das Bewusstsein

Im nächsten Schritt werden als typisch für den Menschen angesehene Charakteristika betrachtet. Was ist eigentlich der Mensch? Auf dem Wege der Erforschung, was den Menschen auszeichnet, geht es deshalb auch um die Frage Was ist das rein Geistige? Gibt es sowas überhaupt? Gibt es etwas, was nicht mehr durch biologische Abläufe erklärbar ist? Ist der Mensch eigentlich ein geistiges Wesen oder ist alles nur ein chemischer und elektrischer Ablauf? Die Hirnforschung ist ja sehr rege. Harari macht hier den Hype der biologischen Hirnforschung nicht mit. Es ist trotz vieler Hypothesen nicht wirklich bekannt, was ein Gedanke biologisch ist. Keiner hat ihn bisher biologisch identifizieren können. Ein schönes Beispiel dazu ist eine zirkuläre Frage. Was passiert im Gehirn, wenn auf einmal mehrere Aspekte zusammengeführt werden müssen? Harari wählt dazu ein etwas skurriles Beispiel und stellt dazu die Frage an den Leser: Was denkt wohl Homer Simpson zur Affäre von Bill Clinton und Monica Lewinsky? Darüber habe der Leser noch nie nachgedacht, also muss sein Geist bisher nicht miteinander verbundenen Erinnerungen zusammenführen. Es gebe hier Thesen, wie das passieren kann, wie etwa die des „globalen Verarbeitungsraums“ („global workspace“) im Gehirn. Dies ist aber nur eine Metapher. Aber wie sieht es bei diesen Prozessen wirklich aus? Spätestens bei solchen zirkulären Prozessen wie in der Beispielfrage ist Hirnforschung blank. Festzuhalten ist: Davon wissen wir trotz aller Fortschritte der Neurowissenschaften im Grunde noch nicht viel. Der Hype der Neurowissenschaften hat Einiges bestätigt, was die Psychologie schon lange wusste, etwa, dass das Unbewusste bei Entscheidungen viel entscheidender ist als das Bewusste. Aber einen differenzierten Gedanken konnte man hirnphysiologisch noch nicht bildgebend beobachten.

So habe ich den Frankfurter Neurowissenschaftler Wolf Singer kürzlich auf einem Symposium die These vertreten hören, dass alles im Gehirn stattfinde, „wo denn sonst?“ (Singer, 2017). Klingt plausibel, dennoch wissen wir durch die Neurowissenschaft – trotz vieler schöner Bilder zu manchen groben emotionalen Prozessen über das differenzierte kognitive Funktionieren und das Denken – noch relativ wenig.

Die nächste Frage, die eng mit dem Geistigen verbunden ist, bezieht sich auf das Bewusstsein. Wieso brauchen wir überhaupt Bewusstheit bei manchen Dingen, die wir tun? Denn 99 Prozent aller Vorgänge im Menschen passieren ohne Bewusstsein. Wofür ist das Bewusstsein wichtig? Wir wissen es im Grunde nicht. Ebenso wenig hat man aber bisher eine Instanz für das Ich entdeckt. Auch hier bestehen viele Hypothesen und Plausibilitäten, aber kein Wissen. Es wurde bislang keine Steuerungsinstanz für das Bewusstsein im Gehirn gefunden. Da ist keine Instanz, der ein Vorschlag eingereicht wird und die dann entscheidet, analog wie man heute Firmen, Behörden und andere Organisationen gestaltet. Aber selbst dort hier rückt man langsam davon ab, wie die neueren Organisationskonzepte von Laloux (2016) oder Robertson (2016) aufzeigen, die den Abschied der noch aus der militärischen Tradition resultierenden Führungskonzepte in Organisationen propagieren und praktische Alternativen aufzeigen (siehe Trilogie – Teil III).