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Ungekürzte, leicht überarbeitete E-Book-Ausgabe der bei arsEdition GmbH erschienenen Buchausgabe

© 2017 KIDDINX Media GmbH, Berlin
Lahnstraße 21, 12055 Berlin
Redaktion: Anja Wienbeck
ISBN der E-Book-Ausgabe: 978-3-95918-753-4

E-Book-Produktion: rombach digitale manufaktur, Freiburg

Print-Ausgabe:
© 2018 arsEdition GmbH, Friedrichstraße 9, 80801 München
Alle Rechte vorbehalten
Text: Matthias von Bornstädt
Cover und Innenillustrationen: Rolf Vogt
Konzeptionelle Mitarbeit: Bastian Herfurth
Lektorat: Ulrike Hübner

© 2018 Schmidt Spiele GmbH, Berlin, und Rolf Vogt
Lizenz vermittelt durch KIDDINX Media GmbH,
Lahnstraße 21, 12055 Berlin, Deutschland

ISBN 978-3-8458-1675-3

www.diedreimagier.de

www.arsedition.de

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Kapitel 1     Eine Nummer zu groß?

Kapitel 2     Schnee im Oktober

Kapitel 3     Vicky in der Falle

Kapitel 4     Hals über Kopf

Kapitel 5     Knacks!

Kapitel 6     Nicht ganz stubenrein

Kapitel 7     Zaubern, zaubern, zaubern!

Kapitel 8     Überraschung bei Nacht

Kapitel 9     Von Baum zu Baum

Kapitel 10   Hereinspaziert!

Kapitel 11   Eins, zwei, drei …

Kapitel 12   Morgenstund hat Schreck im Mund

Kapitel 13   Die drei Nullen

Kapitel 14   Ungebetene Gäste

Kapitel 15   Vor der Nasenspitze

Kapitel 16   Kampf an der Mühle

Kapitel 17   Ganz besondere Gaben

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Es war eine ziemlich große Beute für einen ziemlich kleinen Jäger. Daher musste der Jäger zu einer List greifen. Trotzdem blieb sein Vorhaben brandgefährlich.

Rabenhorst schwitzte unter seinem hohen Magierhut. Selbst mit der Kopfbedeckung war er nicht einmal halb so hoch wie das gewaltige Ungetüm, das wenige Schritte vor ihm auf dem Waldboden lag. Dessen Flanken hoben und senkten sich regelmäßig.

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»Ah, sie schläft«, flüsterte Rabenhorst.

»Schläft! Schläft!«, krächzte der Rabe auf seiner Schulter.

Eilig drückte Rabenhorst ihm den Schnabel zu. Wollte das blöde Federvieh, dass sie beide als Drachenfrühstück endeten? »Keinen Krächz mehr, hast du verstanden, Findichgut?«

»Findichgut«, gab der Rabe so leise er konnte zurück.

Rabenhorst nickte. Dann tappte er näher an das Ungetüm heran. Dabei tastete er prüfend nach der Geheimwaffe, die er unter seinem Umhang verbarg. Um sie zum Einsatz zu bringen, musste Rabenhorst noch ein Stückchen näher heran …

Das Morgenlicht fiel in feinen Strahlen durch die Baumkronen und ließ die violetten Schuppen des schlafenden Biests aufblitzen.

Mit jedem Schritt wurde es Rabenhorst wärmer. Der Drache verströmte Hitze wie ein bollernder Ofen. Und dabei schläft sie noch, dachte Rabenhorst. Wie warm mochte es erst werden, wenn sie …

Knacks. Rabenhorst war auf einen Zweig getreten. Das Geräusch hallte wie ein Schuss durch den stillen Wald. Der Atem des Drachen stockte. Obwohl Rabenhorst schwitzte, fühlte er sich, als würde ihm jemand Eiswürfel in den Kragen kippen.

Erwachte das Monster? Sekunden verstrichen, in denen Rabenhorst sich nicht zu rühren wagte.

Plötzlich schwang der lange, mit Dornen gespickte Drachenschwanz durch die Luft.

ZWUSCH!, peitschte der Schwanz über den Boden, als wollte er eine Fliege erschlagen. ZWUSCH! ZWUSCH! ZWUSCH!

Rabenhorst hechtete zur Seite, doch der Drachenschwanz streifte sein Gesicht. Der Magier spürte einen brennenden Schmerz. Hatte das Biest ihm die Nasenspitze abgesäbelt?

Endlich atmete der Drache wieder ruhiger. Rabenhorst schnaufte durch. Uff … Er tastete nach seiner Nasenspitze. Alles noch dran.

Zum ersten Mal, seit Rabenhorst sich seinen Plan ausgedacht hatte, überkamen ihn Zweifel. War das hier vielleicht doch eine Nummer zu groß für ihn?

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»Zu groß! Zu groß!«, krächzte Findichgut. Manchmal las der Vogel sogar die Gedanken seines Herrn.

»Pah! Von wegen zu groß«, knurrte Rabenhorst ungehalten. Für den größten Magier von Algravia war nichts und niemand zu groß! »Ich brauche diese Kreatur – um jeden Preis!« Er nahm allen Mut zusammen und tappte noch zwei, drei Schritte dichter an das Ungeheuer heran.

Dann zückte er seine Waffe.

Ein paar Minuten später war Rabenhorst mit seiner Beute über alle Berge. Doch im verlassenen Drachennest blieb etwas zurück: etwas, das wie ein eierförmiger Felsen aussah.

Der merkwürdige Stein war so groß, dass man ihn gerade so mit zwei Händen umfassen konnte. Und unter seiner Oberfläche ertönte ein hilfloses Kratzen …

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»Mann, ist das öde!«, maulte Vicky.

»Das kann auch nur jemand sagen, der keine Ahnung hat«, gab Mila lächelnd zurück. »Hier wimmelt es in Wirklichkeit vor Leben!«

»Hm«, brummte Vicky und fuhr sich durch ihre blonde Mähne. »Dann bist du wohl in ’nem anderen Wald unterwegs als ich.«

Auf den ersten Blick hatte Vicky recht: Eine frische weiße Schneedecke hüllte die Bäume ein. Nichts schien sich zu regen – außer Mila, ihrer Freundin Vicky und ihrem Bruder Conrad, der ein paar Schritte hinter den Mädchen herbummelte. Und den Schneeflocken, die durch die Luft tanzten und die weiße Decke immer weiter wachsen ließen.

Drei Kinder unterwegs im verschneiten Winterwald: ein ganz normales Bild, wenn es Dezember oder Januar gewesen wäre. Dabei war gerade erst Mitte Oktober! So früh wie in diesem Jahr war der Winter noch nie nach Mühlfeld gekommen.

»Es ist wirklich wie verhext!«, hatte Tante Antonia gemeint, als Mila und Conrad sie gestern Nachmittag besucht hatten. »Vor allem ist es eine Katastrophe für die armen Igel!«

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Tante Antonia betrieb zu Hause eine kleine Igelstation, in der sie ausgehungerte oder kranke Igel liebevoll aufpäppelte. Bei einem so frühen Wintereinbruch hatte sie alle Hände voll zu tun, denn viele Jungtiere hatten gerade erst begonnen, sich ein Polster für den Winterschlaf anzufressen. Der Schneefall im Herbst erwischte die Tiere tatsächlich eiskalt.

»Ah! Da hinten läuft einer!«, rief Mila plötzlich.

»Was? Wer? Wo?« Vicky drehte sich in alle Richtungen.

Mila schüttelte den Kopf. Vicky würde einen Igel in freier Natur wahrscheinlich nicht mal sehen, wenn man ihn ihr auf die Nase band.

Das Tier kletterte unbeholfen über eine Wurzel und machte sich daran, in ein Gebüsch zu verschwinden. Rasch verließ Mila den Waldweg und stapfte auf den Igel zu. Sie bekam ihn gerade noch mit ihren Handschuhen zu fassen, bevor er ins Unterholz abtauchen konnte.

Als er ihre Berührung spürte, rollte sich der kleine Kerl zu einer stacheligen Kugel zusammen.

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Nur sein Gesicht schaute noch heraus, wie aus einer Kapuzenjacke.

»He, ich will dir ja nix Böses«, flüsterte Mila. »Nur mal sehen, ob es dir gut geht.«

Die Igelschnauze zuckte. Dann schnellte eine lange Zunge hervor.

Mila musste lächeln. »Du hast Hunger, stimmt’s?« Dank Tante Antonia hatte Mila einige Erfahrung mit Igeln. Dieser hier fühlte sich verdächtig leicht an. Und seine Knopfaugen waren ganz eingesunken, wie Rosinen, die man zu tief in den Teig gedrückt hatte.

»Ich glaube, du bist viel zu mager, um den Winter zu überstehen. Darum bist du auch tagsüber unterwegs, hm? Du suchst …«

Vicky tauchte hinter Milas Schulter auf und trompetete: »Ha! Der sieht ja aus wie eine stachelige Riesenkastanie!« Sie stupste den Igel mit dem Zeigefinger an. Erschrocken zurrte sich die kleine Kugel noch fester zusammen.

»Du machst ihm Angst!«, mahnte Mila. »Außerdem sind Kastanien außen grün und nicht braun.«

»Denkst du, ich bin blöd?«, fragte Vicky. Bevor Mila antworten konnte, rief sie: »Okay, packen wir ihn ein! Und dann nichts wie ab in die Kletterhalle.«

»Wie bitte? Wir haben doch gerade erst angefangen … Bestimmt sind hier noch viel mehr Igel unterwegs, denen wir helfen können. Und danach müssen wir ja auch noch die Meisenknödel für die Waldvögel aufhängen.«

Vicky starrte Mila von der Seite an, als hätte diese selbst eine Meise. Mila schaute unbeeindruckt zurück.

»Die Natur hilft sich selbst, die braucht uns nicht«, probierte Vicky es anders. »Sagst du das nicht selber immer?«

»Das stimmt ja normalerweise auch«, gab Mila zu. »Aber Schnee im Oktober ist eben nicht normal. Darum müssen wir der Natur unter die Arme greifen.«

Eine Schneeflocke landete auf der Schnauze des Igels. Schlurps!, kam wieder seine Zunge zum Vorschein.

»Au Backe, der hat ja echt Hunger«, begriff Vicky. »Hat die Schneeflocke mit ’ner Fliege verwechselt, was? Ganz schön beschränkt. Na, wahrscheinlich passt in so einen kleinen Kopf nicht viel Grips rein.«

»Wenn das dein erster Winter wäre, wüsstest du’s auch nicht besser«, gab Mila zurück. »Stell dir mal vor: Der Kleine sieht zum allerersten Mal Schnee! Und …«

»Jetzt bellt er auch noch!«, unterbrach Vicky sie. »Krass!«

Tatsächlich gab der Igel ein Geräusch von sich, das fast wie ein Hundebellen klang. Mila wusste es besser: »Er hustet!«

Der ganze Igelkörper erzitterte in ihrer Hand. Mila streichelte das Tier zärtlich am Kopf. Es hustete noch ein paar Mal, dann entspannte sich der Igel langsam. Er öffnete das Maul und gähnte tief, als wollte er seinen Winterschlaf gleich hier in Milas Handschuhen abhalten.

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Aus dem Augenwinkel bemerkte Mila, wie sich ein Lächeln auf Vickys Lippen stahl.

»Naaa gut«, brummte Vicky. »Suchen wir noch ein paar Brüder und Schwestern von Mister Stachelmann. Die Kletterhalle läuft ja nicht weg.«

»Jetzt bist du wie eine Kastanie«, meinte Mila grinsend. Vicky legte fragend den Kopf schräg und Mila sagte: »Stachelige Schale, glatter Kern!«

Mila rief nach ihrem Bruder Conrad. Er trug den Pappkarton, in dem sie die Igel zu Tante Antonia transportieren wollten. Doch Conrad antwortete nicht. Als die Mädchen hinter sich schauten, war er nirgends zu sehen.

»Hat er Wurzeln geschlagen?«, fragte Vicky. »Oder ist er mit einem Baum ins Plaudern gekommen und hat sich festgequatscht?«

Mila zuckte zusammen. Vicky hatte sie auf einen Gedanken gebracht. »Meinst du etwa, er ist vielleicht …«

»… nach Algravia?« Vicky zog die Augenbrauen hoch. »Ohne uns? Geht doch gar nicht.«

»Bisher jedenfalls nicht«, sagte Mila.

»Wäre ja echt cool, wenn wir mal wieder zu einer richtigen Drei-Magier-Mission geholt würden!«, rief Vicky.

»Pst«, machte Mila. »Nicht, dass uns noch wer hört …«

»Wer soll uns hier draußen denn hören? Ein Felsbrocken vielleicht?«

»In Algravia haben die Felsen manchmal wirklich Ohren, weißt du nicht mehr?«, erinnerte Mila ihre Freundin. In der geheimnisvollen magischen Welt, in der Mila, Conrad und Vicky als die drei Magier immer mal wieder für Ordnung sorgten, war einiges anders als in Mühlfeld. Nicht nur Bäume und Felsen, sondern auch Katzen, Büsche und Mauern konnten dort hören und sogar reden – jedenfalls wenn sie Lust dazu hatten.

»Mila! Vicky!«, durchschnitt Conrads Stimme die Stille. »Kommt mal her!«

»Er hat wirklich was entdeckt!«, freute sich Vicky. Wie ein Reh sprang sie durchs Unterholz in die Richtung, aus der Conrad gerufen hatte.

Mila umfasste den Igel mit ihren Handschuhen. Dann folgte sie ihrer Freundin. Auch sie war gespannt.