Mord(s)nacht

 

Marc Bargmann

 

 

Kapitel 1

 

Die Dämmerung ließ die Tankstelle mit ihren gerade aufgehenden Lichtern gespenstisch erscheinen. Doch das schreckte Norbert Windler nicht ab. Was sollte er auch machen. Er konnte niemals in 24 Stunden so viel Geld auftreiben, um seine Spielschulden zu begleichen. Er hatte keine Wahl, er musste verschwinden. Er konnte nicht in seinem Dorf bleiben. Die Leute, denen er das Geld schuldete, gehörten auch nicht zu der sanften Sorte. Wenn sie ihn fänden - und das würden sie sicher, wenn er bliebe - würden sie kurzen Prozess mit ihm machen. Es gab nur ein Problem: Er war gerade mal wieder pleite, so sehr, dass er sich nicht einmal ein Bahnticket kaufen konnte. Bei der Bank brauchte er nicht um einen Kredit zu fragen. Der Banker hatte ihm beim letzten Mal unmissverständlich erklärt, dass er nicht mehr kreditwürdig sei. Als er am Morgen seine Beretta einsteckte, stand sein Plan fest, und jetzt war er im Begriff, ihn in die Tat umzusetzen.

Der Mann mit der Nickelbrille und dem Aktenkoffer auf dem Gepäckträger seines Fahrrades erschien ihm als das perfekte Opfer. Er sah zwar nicht gerade wohlhabend aus, aber er würde genug Geld in der Tasche haben, um das Bahnticket zu bezahlen, das er brauchen würde, wenn er sich aus dem Staub machte. Aus dem Gebüsch, in dem sich Norbert versteckte, hatte er eine optimale Sicht auf die Tankstelle und die lag so abgelegen, dass kaum jemand zufällig vorbeikam und ihn hätte beobachten können. Der Mann mit der Nickelbrille stellte sein Fahrrad neben der Luftfüllstation ab. Norbert hatte Glück, die Station war vom Verkaufshäuschen aus nicht zu sehen und dass es dort keine Kameras gab, wusste er von seinem scheinbar flüchtigen Besuch in der Tankstelle, um ein Paket Kaugummis zu kaufen. Er zog sich die Mütze übers Gesicht, während er die Straße überquerte. Er wusste, dass nicht viel Zeit bleiben würde, bis der Mann anfing, um Hilfe zu schreien. Deshalb musste er schnell sein und dem Kerl so große Angst einjagen, dass er, nachdem Norbert ihn beraubt hatte, einfach nur daran dachte, zu fliehen, und nicht sofort die Polizei zu alarmieren. Tatsächlich hatte der Mann ihn kommen hören und sich genau in dem Moment umgedreht, als Norbert ihm seine Beretta direkt vor´s Gesicht hielt.

„Los du Arsch! Rück die Kohle raus, sonst knall ich dich ab“, fauchte Norbert ihn an.

„Wow, hey!“ Erschrocken wich der Mann zurück. „Immer langsam.“

Halt´s Maul und rück die Kohle raus, ehe ich abdrücke, Nickelbrille!“

„Okay...okay, okay“, war der Mann um Ruhe bemüht. „Das Geld ist in meiner Jackentasche.“

„Mach schon, du Penner!“