Herausgeber:
GEO
Die Welt mit anderen Augen sehen
Gruner + Jahr GmbH & Co KG,
Am Baumwall 11, 20459 Hamburg
www.geo.de/ebooks
eISBN: 978-3-65200-812-9
Das Schädelrätsel aus Marokko
Zusatzinfos
Der Erste!
Anatomie: Der feine Unterschied
Datierung: Wenn Licht das Alter verrät
GEO-Autor Martin Meister war als einziger Journalist bei den Ausgrabungen in Marokko dabei. Seine Reportage erzählt eindrücklich, warum es danach zehn Jahre dauerte, bis sich die Anthropologen sicher waren: Sie halten mit dem Schädel von Jebel Irhoud eine Sensation in den Händen
Von Martin Meister
Es ist der Anruf, der alles ins Rollen bringt. Im März 2007 klingelt in der GEO-Redaktion das Telefon, Jean-Jacques Hublin meldet sich vom Flughafen. Er ist Direktor am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, Experte für Frühmenschen. „Ich habe in Leipzig alles stehen und liegen lassen“, berichtet er. Er sei nun auf dem Weg nach Marokko. 85 Kilometer nordwestlich von Marrakesch hätten Mitarbeiter seines Grabungsteams Teile eines Schädels gefunden. Das vordere Ende der Schädeldecke mit den Überaugenbögen stecke noch im Sediment, aber er habe schon ein paar Fotos gesehen. „Das sind Gesichtsknochen vom anatomisch modernen Homo sapiens!“ Bedeutet: eines Menschen wie wir. „Nur dass dieser Mensch vor mehr als 200.000 Jahren gelebt haben könnte!“
In Nordwestafrika? Vor mehr als 200.000 Jahren? So alte Funde kennt man bisher nur aus dem Osten des Kontinents. Viele Wissenschaftler vermuten dort die Wiege der Menschheit. Gäbe es aber nun einen neuen Altersrekord aus Marokko, dann müsste die Geschichte von der Entstehung des Menschen umgeschrieben werden. Und zwar auch von GEO, das exklusiv bei der Ausgrabung dabei sein kann. Aufbruch sofort!
Was die Redaktion damals nicht ahnt: Wie lange es dauern wird, bis die Forscher Gewissheit erlangt haben über die Natur ihres Fundes. Bis die Fossilien präpariert, Vergleiche mit anderen menschlichen Relikten angestellt sind, bis das Alter exakt bestimmt ist und die Publikationsrechte geklärt sind. Zehn Jahre werden vergehen, bis die Anthropologen in mühsamer Detailarbeit und mit großem Aufwand sämtliche Puzzlestücke zusammengetragen haben, zehn Jahre, bis wir diese Geschichte drucken können. Es ist ein Lehrstück über wissenschaftliche Akribie und Ausdauer.
Jebel Irhoud, März 2007, vier Tage nach dem Anruf. „Hügel“ bedeutet das arabische Wort Jebel. Ein leichter Wind verweht hier oben, am Rand der Hochebene, die Staubfahne des Autos, das Jean-Jacques Hublin bei dem aufgelassenen Steinbruch geparkt hat. Die Ebene zu unseren Füßen trägt grünen Flor, getupft mit Schafen. In einem der Lehmdörfer schreit ein Esel, Kinderstimmen klingen herauf.