Cover

Hinweise zur E-Book-Ausgabe

Die E-Books des Reclam Verlags verwenden entsprechend der jeweiligen Buchausgabe Sperrungen zur Hervorhebung von Textpassagen. Diese Textauszeichnung wird nicht von allen Readern unterstützt.

Enthält das E-Book in eckigen Klammern beigefügte Seitenzählungen, so verweisen diese auf die Printausgabe des Werkes.

Juli 1982, der Sommer war auch in Minden (Westfalen) ganz ordentlich, obwohl nicht, wie der des darauffolgenden Jahres, von geradezu tropischer Qualität. Fußball-Weltmeisterschaft in Spanien, Torwart Toni Schumacher schlug Patrick Battiston im Halbfinale gegen Frankreich ein paar Zähne aus, doch letztlich holte Italien den Cup. Die Neue Deutsche Welle wurde noch nicht zur Gänze vom Kommerz zugrunde gerichtet, beherrschte aber die Radioprogramme beinahe vollständig; Bilder im Kopf für diese Zeit werden sich mühelos einstellen, wenn ich drei Songs erwähne: SPLIFF, »Carbonara«, SPIDER MURPHY GANG, »Skandal im Sperrbezirk«, und natürlich TRIOs Geniestreich »Da da da«.

Was tat man in der ostwestfälischen Provinz als Teenie mit 13 Jahren? Nicht viel anderes, als hätte man sich in der Metropole befunden: Man lernte heimlich das Rauchen, die sieben Mark für einen »Konti«, zehn kleine Flaschen Herforder Pils im orangen Pappkarton, ließen sich immer auftreiben – und vielleicht kam man auch jetzt schon dahinter, wie sich das andere Geschlecht anfühlt. In dieser Reihenfolge. Wem das nicht reichte, blieb nichts anderes übrig, als sich auf die Kultur zu stürzen, in meinem Fall auf Musik und Literatur (die Kunst

Zappa? Der Name wie ein Blitzschlag – und doch mit Obertönen von Unsinn, man wusste wohl, ein Spinner, »Bobby Brown« schien mir mäßig komisch, eher etwas zum Schunkeln; in der Bravo wurden höchstens Tour-Daten vermeldet (Zappa war gerade, oftmals seltsam schlecht gelaunt, aber mit exzellenter Band, auf Europa-Tournee), im Musikexpress gelegentlich eine Besprechung, selten ein Interview.

Also los. »No Not Now«, okay, eine Disco-Parodie mit gepitchten Stimmen, das ging wohl gegen die BEE GEES und Konsorten, aber warum fast sechs Minuten lang, immer und immer wieder? »Valley Girl«, mit dem berühmten Monolog von Moon, Zappas älterer Tochter, der den amerikanischen Wortschatz dauerhaft um einige Phrasen wie »gag me with a spoon« oder »grody to the max!« bereichert hat, zugleich sein größter Hit in den USA. Was ich damals für einen ungemein breiten, vulgären Dialekt hielt, war, so weiß ich heute, derjenige verzogener Töchter aus der Upperclass des San Fernando Valley. »I Come from Nowhere«, eine harte Rocknummer mit befremdlich schrägem, zwar rhythmisch, doch nicht melodisch treffendem Gesang und irrwitzigen Breaks, bis nach

Das Titelstück von über zwölf Minuten wiegte mich zunächst in sanften Groove, es setzt jedoch sehr bald zu bizarren Exkursionen an, mit denen man jede Party sprengen kann. Darin gleich zwei ausufernde Turnübungen auf der Gitarre, aber seltsam zwingend, zum Ende sogar swingend, es wird ohne Pause zu »Envelopes« übergeleitet, einem Stück buchstäblich zum Davonlaufen, weil es, wie ich sehr viel später lernte, in seiner vagierenden Harmonik alle abendländischen Hörgewohnheiten torpediert. Zum Schluss noch »Teen-Age Prostitute«, in der eine Opernsängerin darüber klagt, wie schlecht sie doch ihr Zuhälter behandele. Verhaltener Applaus im Abspann – war das etwa ein Live-Album? Ende.

Ich stand wie versteinert, bis meine Mutter mit dem Kommentar »Junge, was hörst du für Musik?« zum Abendessen rief. An CREAM, DEEP PURPLE und AC/DC hatte sie sich gerade gewöhnt, aber das hier war noch mal etwas deutlich anderes. Heute kann man mit ihr, hochbetagt, die Sheik Yerbouti oder Apostrophe (’) auflegen, denn gegen lange Gitarren-Soli (»Yo’ Mama«) oder Napoleon Murphy Brocks Kaspereien hat sie nichts einzuwenden.

In Momenten besonderer Verwerflichkeit musste ich mir dann immer wieder diese Gitarren-Soli geben, bis ich es im Frühjahr 1986 genauer wissen wollte. Die Kommentare meiner – jetzt – Kifferkumpel schwankten zwischen ›abgefuckter, geldgeiler Typ‹, ›Freak‹ und ›Hexenmeister‹, aber in den Plattensammlungen ihrer Mentoren, allesamt gut zehn Jahre älter

In den späten Achtzigern hatte ich sie bald komplett, aber von den damals in kurzer Folge erscheinenden Doppel-CDs mit Live-Aufnahmen aus zwanzig Jahren Bühnenkarriere dauerhaft auf Trab gehalten, versuchte ich, meine Mitschüler zu missionieren, mit bescheidenem Erfolg. Leider habe ich nur ein einziges Zappa-Konzert besucht, am 5. Mai 1988 mit seiner Bigband in Dortmund, wohl nicht das beste der Tour, aber doch beeindruckend. Im Nachklapp handelte ich mir meinen ersten und bisher letzten Tripper ein, eine Anekdote, die dem Meister gefallen hätte (»Why Does It Hurt When I Pee?«, Joe’s Garage, Act I).

Entgegen einem zählebigen Mythos hat Zappa niemals auf die Bühne defäziert, weder allein noch gemeinsam mit Captain Beefheart, und erst recht nicht anschließend eine Geschmacksprobe genommen. Wohl aber habe er einmal hinter der Bühne »Scheiße gegessen«, und zwar »am Buffett des Holiday Inn in Fayetteville, North Carolina, im Jahr 1973«.

»Beschäftigte ich mich nicht selbst, hätte ich keinen Job.«

Zappa im Interview mit Don Menn, 1992

Francis Vincent Zappa II. wurde in Baltimore am 21. Dezember 1940 in eine Einwandererfamilie griechisch-arabisch-sizilianisch-französischer Herkunft geboren. Das kränkliche Kind litt unter den vielen berufsbedingten Umzügen, die die Tätigkeit seines Vaters in der Rüstungsindustrie mit sich brachte; die zahlreichen Ortswechsel führten dazu, dass sich Zappa bald als Außenseiter ohne stabile Freundschaften fühlte. Früh entwickelte er Interesse am Zeichnen, Basteln und an Musik, besonders SPIKE JONES AND HIS CITY SLICKERS, virtuose Comedy-Musiker, die auch große Mengen an Alltagsgeräten als Geräuscherzeuger zum Einsatz brachten, faszinierten ihn schon seit der Kindheit. Während der Highschool spielte er zunächst Schlagzeug in den üblichen Tanzmusikkapellen, vermochte aber nie, seine Extremitäten zu verschiedenen Rhythmen hinreichend zu koordinieren. Ein Drummer, so viel war klar, wurde er nicht. Der Horizont weitete sich, neben dem angesagten Doo Wop liebte Zappa den ungeschliffeneren Rhythm ’n’ Blues, etwa von Eddie ›Guitar

Die Familie Zappa verschlug es nach Lancaster, nördlich von Los Angeles, im letzten Highschool-Jahr lernte Zappa Don van Vliet, den späteren Captain Beefheart, über beider Liebe zum Rhythm ’n’ Blues kennen. Beefheart hatte ein Auto, also frönten sie abends einem uramerikanischen Ritual der Adoleszenz, »Cruising for Burgers«, wie es auf Uncle Meat heißt, natürlich auch auf der Suche nach Mädchen. George Lucas’ zweiter Spielfilm American Graffiti von 1973 vermittelt einen guten Eindruck von dieser Tradition.

Der Mythos will es, dass Zappa am Muttertag 1964 mit »Project/Object« die Grundzüge seines Konzepts von Band, Werkverständnis und Karriere beisammen hatte: die berüchtigte »Conceptual Continuity« (worüber noch zu reden sein wird). Fakt ist, dass ihm die Gunst von Ort und Stunde zuteilwurde; die Musikindustrie, zunächst eher überrascht von der Einsicht, dass sich mit Pop viele Millionen verdienen ließen, war einen kurzen, historischen Moment bereit, auch in abseitigere Erscheinungen zu investieren. Herb Cohen, Zappas erster Manager, verschaffte ihm und seiner mittlerweile konstituierten, buntscheckigen Truppe MOTHERS OF INVENTION die ersten Gigs, nicht selten zur heftigen Irritation des Publikums.

Die Mothers of Invention in London, 1967

Der Zeit mit der Ursprungsbesetzung der MOTHERS OF INVENTION verdankt Zappa seinen Ruhm bis heute, manche

Zappa verlieh nach einem Konzert im Berliner Sportpalast, das durch eine von der APO provozierte Randale endete (»Ihr benehmt euch wie Amerikaner!«), an seine Mothers den Orden »Berlin Survival Award, 1968«.

1968LPCruising with Ruben & the Jets