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Dieses Buch ist ein Transkript aus einer Original-Vortragsserie auf Hindi, die Osho vor einer internationalen Zuhörerschaft gehalten hat. Alle Diskurse Oshos sind als vollständige Bücher publiziert worden und auch als Audios und / oder Videos erhältlich. Audios und das vollständige Text-Archiv finden Sie unter der Online-Bibliothek „Osho Library“ bei: www.osho.com

Titel der Hindi Original Ausgabe: Chit Chakmak Lage Nahin

Ebookausgabe 2018

eISBN 978-3-947508-01-3

The
Independent
Mind

OSHO

Wenn der Geist ruhig wird,
zeigt sich das Leben

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Inhalt

Vorwort

1. Das Leben entdecken

2. Schluss mit geborgten Gedanken!

3. Freiheit heißt, Glauben und Überzeugungen loszulassen

4. Nur das Bewusstsein liefert Antworten

5. Der denkende Zustand – dein Zentrum, dein Sein, deine Seele

6. Religiosität heißt, das Leben zu verstehen

Vorwort

Eure Gedanken gehören nicht euch – ihr habt sie eingesammelt. Manchmal fällt in einem dunklen Zimmer ein Lichtstrahl durchs Dach und in ihm schweben Millionen von winzigen Staubteilchen. Wenn ich in euer Inneres sehe, sehe ich genau dasselbe: Millionen winziger Staubteilchen. Ihr nennt sie Gedanken. Sie kommen herein und gehen wieder hinaus. Sie ziehen von einem Kopf zum andern; sie führen ihr eigenes Leben.

Ein Gedanke ist ein Ding, das für sich existiert. Wenn jemand stirbt, werden im selben Augenblick all seine Wahnsinnsgedanken freigesetzt und dann müssen sie irgendwo anders unterschlüpfen. Sie sind wie Keime, sie führen ihr eigenes Leben. Sogar wenn ihr noch lebt, verstreut ihr ständig rings um euch her Gedanken. Wenn ihr spazieren geht, werft ihr selbstverständlich eure Gedanken in andere. Sogar wenn ihr still seid, verstreut ihr ringsum Gedanken. Sie gehören nicht euch – das ist das Erste.

Ein vernünftiger Mensch wird auf alle fremden Gedanken verzichten: Sie sind nicht authentisch, sie beruhen nicht auf seiner eigenen Erfahrung. Er hat sie von anderen übernommen – sie sind geborgt. Sie sind beschmutzt von vielen Händen und vielen Köpfen. Wer selber denkt, borgt nicht; er zieht frische, eigene Gedanken vor. Wenn ihr positiv seid und euch an Schönheit, Wahrheit, Güte, Blumen erfreut; wenn ihr fähig werdet, selbst in dunkelster Nacht zu erkennen, dass der Morgen naht – werdet ihr fähig werden selber zu denken.

Dann könnt ihr eigene Gedanken hervorbringen. Ein Gedanke, der von euch selber stammt, hat tatsächlich enorm viel Potenzial; er entfaltet seine eigene Energie.

Osho, aus Yoga: The Science of the Soul, Vol 2

1.

Das Leben entdecken

Meine Freunde,

in den nächsten drei Tagen werde ich zu euch über die Suche nach dem Leben sprechen. Ehe ich beginne über diese Suche zu sprechen – von morgen früh an –, muss ich zunächst darauf hinweisen, dass das Leben nicht das ist, was wir darunter verstehen. Erst wenn uns dies klar ist, und unser Herz erkannt hat, dass das, was wir Leben nennen, gar kein Leben ist, kann die Suche nach dem wahren Leben beginnen.

Wer die Finsternis für das Licht hält, wird nicht nach dem Licht suchen. Wer den Tod für das Leben hält, wird um das Leben betrogen werden. Wenn das, was wir denken und verstehen, falsch ist, wird das Endergebnis unseres Leben zwangsläufig falsch sein. Was wir suchen, beruht auf dem, was wir verstehen. Also möchte ich als Erstes sagen, dass nur ganz wenigen Menschen die Wahrheit zuteil wird. Jedem wird die Geburt zuteil, und die meisten von ihnen missverstehen ihre Geburt als Leben. Das, was wir Leben nennen, ist nur eine Gelegenheit, das Leben zu entdecken, das Leben zu finden – oder auch nicht. Aufgrund dieser Gelegenheit können wir das Leben sowohl finden als auch verfehlen.

Das, was wir Leben nennen, ist nur eine Gelegenheit, ist nur eine Möglichkeit. Es ist ein Saatkorn, aus dem etwas aufblühen kann oder nicht. Durchaus möglich, dass das Saatkorn keine Frucht bringt, nicht aufgeht, keine Blumen, keinen Ertrag hervorbringt. Beides ist möglich. Bisher bleibt das Saatkorn der meisten Menschen jedenfalls unfruchtbar. Nur in ganz wenigen Fällen sprießt das Leben eines Menschen, blühen Blumen, beginnt er zu duften. Das sind die wenigen Menschen, die wir anbeten und nicht vergessen. Nur eines vergessen wir immer – nämlich dass dasselbe Saatkorn auch in uns selber steckt, dass wir genau denselben Duft entfalten könnten.

Und all unsere Anbetung und Gebete sind vergeblich, sind bloße Vortäuschung, Heuchelei – es sei denn, jemand erträgt es angesichts von Leuten wie Mahavira, Buddha, Krishna und Christus nicht länger, dass auch er dasselbe Saatkorn enthält und dasselbe ewige Leben erreichen kann wie sie.

Um dieses Leid, um diesen Schmerz zu vermeiden, haben wir Krishna, Buddha und Mahavira zu Göttern erklärt. Wären sie so gewöhnliche Menschen wie wir, würden wir vor Scham darüber, Menschen zu sein, versinken. Wären sie genauso wie wir, hätten wir keine Chance zu fliehen, gäbe es keinen Ort, wo wir uns verkriechen könnten. Nur um diese Demütigung, diese Qualen und Schmerzen zu umgehen, sind wir darauf verfallen, sie Gott, Sohn Gottes, Teerthankaras und wer weiß was zu nennen. Indem wir sie Gott, Sohn Gottes, Teerthankara nannten, haben wir ihnen törichte Dinge angedichtet. All diese Leute waren genau wie wir, waren gewöhnliche Irdische. Doch die meisten menschlichen Saatkörner sind unfähig aufzublühen. Nur ganz wenige Saatkörner des Lebens blühen so vollkommen auf, dass ein göttliches Licht durch sie zum Ausdruck kommt.

Wenn die Religion überhaupt einen Zweck hat, dann diesen: Alle Saatkörner sollten das werden, wozu sie bestimmt sind; was in ihnen verborgen ist, sollte zum Ausdruck kommen. Solange wir nicht erkennen, dass das, was wir tun, und die Richtung, die wir eingeschlagen haben, völlig verkehrt ist, wird keine Revolution, keine Transformation, keine Umkehr möglich sein. Dies ist das Erste, was ich euch heute sagen möchte.

Was wir Leben nennen, ist nicht mehr als ein langsames und allmähliches Sterben von Tag zu Tag. Wie kann man ein so endloses Sterben Leben nennen? Wenn ein Mensch nach siebzig Jahren stirbt, ist er siebzig Jahre lang nur gestorben. Der eine mag nach hundert Jahren sterben, ein anderer nach fünfzig Jahren – wir machen einfach schweigend weiter und halten dieses nicht enden wollende Sterben für Leben. Heute ist deine Lebensspanne einen Tag kürzer als sie gestern war, und morgen wird sie noch einen Tag kürzer sein. Was ihr für ein zunehmendes Alter haltet, ist tatsächlich ein abnehmendes Alter. Die Tage, die ihr als Geburtstage feiert, sind nichts als Meilensteine, die den nahenden Tod ankündigen. Und nachdem wir in alle Richtungen gerannt sind, kommen wir am Ende beim Tod an.

Wir rennen kopflos durch die Gegend, wir sichern uns auf jede erdenkliche Weise ab, wir machen alles und jedes, aber all unser Herumgerenne ist nichts weiter als ein Versuch, den Tod zu vermeiden. Der eine mag Reichtum anhäufen, der andere mag den Hals nicht von Ruhm vollkriegen, der dritte mag Statussymbole sammeln, und wieder ein anderer mag unersättlich nach Macht gieren. All diese Bemühungen drehen sich nur nur um das Eine. Damit wir uns, wenn der Tod kommt, verteidigen, vor ihm schützen können. Aber all diese Maßnahmen scheitern. Der Tod kommt trotzdem.

Dazu fällt mir eine kleine Geschichte ein … Ein Kaiser aus Damaskus sah sich eines Nachts im Traum neben seinem Pferd unter einem Baum stehen. Von hinten kam ein dunkler Schatten und legte ihm seine Hand auf die Schulter. Als er sich umdrehte, erschrak er. Der Schatten sagte: „Ich bin der Tod, und morgen werde ich kommen und dich holen, mach dich also bereit und sei pünktlich am vorbestimmten Ort.“

Er wachte auf, der Traum verschwand, aber er hatte Angst. Am Morgen rief er alle großen und berühmten Astrologen seines Reiches herbei, darunter auch angesehene, in der Traumdeutung bewanderte Gelehrte, und wollte wissen: „Was hat folgender Traum zu bedeuten, was will er mir sagen? Gestern Nacht sah ich im Traum einen dunklen Schatten, der mir seine Hand auf die Schulter legte mit den Worten: ‚Ich bin der Tod, und morgen werde ich kommen und dich holen, mach dich also bereit und sei pünktlich am vorbestimmten Ort.‘“

Die Zeit drängte. Ihm blieb nur dieser eine Tag, denn am Abend wollte der Tod bei Sonnenuntergang kommen. Die Astrologen sagten: „Wir können nicht lange überlegen: Nimm einfach dein schnellstes Pferd und reite so weit wie möglich davon. Je weiter weg du gehst, desto besser.“

Eine andere Wahl schien es nicht zu geben. Was hätte einem auch sonst einfallen können? Nur dies war die Lösung: Er musste sich so weit wie möglich von seinem Palast, von seinem Reich entfernen. Wie sonst könnte er sich retten? Wenn euch einer gefragt hätte, was hättet ihr vorgeschlagen? Oder wenn man mich gefragt hätte, was sonst hätte ich sagen können? Der Rat dieser Astrologen war richtig. Der Mensch ist geistig zu beschränkt, um eine bessere Lösung zu finden.

Es war kristallklar: Er musste aus dem Palast weg, um sich vor dem Tod zu retten. Der Kaiser hatte mehr als genug Rennpferde. Er besaß die schnellsten und besten und ließ eines dieser Pferde kommen, bestieg es, und schon schoss es los. Es rannte schneller als ein Pfeil, und angesichts dieses Tempos wurde der Kaiser immer entspannter. Also gewann er mehr und mehr Zuversicht: Bei diesem Tempo konnte ihn niemand mehr einholen, jetzt war Rettung in Sicht!

Längst lag die Hauptstadt, sein Reich mit all seinen Städten und Dörfern hinter ihm. Sein Pferd galoppierte munter im gleichen Tempo weiter. Der Kaiser legte keine Pause ein; er aß weder etwas, noch trank er genug Wasser. Wer würde auch anhalten? Wer hätte auch Zeit für Speis und Trank, wenn ihm der Tod auf den Fersen war? Und auch dem Pferd gönnte er keine Pause, er besorgte ihm nicht einmal Wasser. Für ihn gab es nur dies: Heute so weit wie möglich wegzureiten.

Es wurde Nachmittag. In dieser Entfernung von seinem Palast war der König überglücklich. Bislang war er betrübt gewesen, jetzt aber, am Spätnachmittag, begann er Lieder zu summen. Er fühlt sich in Sicherheit. Als die Nacht hereinbrach, war er Hunderte von Meilen weit weg. Als die Sonne unterging, betrat er einen Mangohain, band sein Pferd an und stellte sich unter einen Baum. Er war äußerst entspannt und wollte gerade Gott seine Dankbarkeit zum Ausdruck bringen, dass er es so weit geschafft hatte, als er dieselbe Hand auf seiner Schulter spürte, die er nachts zuvor in seinem Traum gesehen hatte. Entsetzt dreht er sich vorsichtig um – und vor ihm stand der nämliche dunkle Schatten!

Dieser sprach ihn an: „Ich machte mir schon große Sorgen, ob du es überhaupt so weit schaffen könntest, denn dies ist der Ort, wo es dir bestimmt ist zu sterben. Wie solltest du auch eine solche Entfernung überwinden können … Doch du hattest ein schnelles Pferd, und du bist ein ausgezeichneter Reiter. Du bist pünktlich zur Stelle.“

Wir mögen noch so weit weglaufen, es ist nicht aufzuhalten – ganz egal ob man es vorher geträumt hat oder nicht. Es kann nicht ausbleiben: Eines Tages werdet ihr dem Tod begegnen – und zwar genau am vorgesehenen Ort.

Die Richtungen, in die wir rennen, mögen sich unterscheiden, unsere Routen mögen sich unterscheiden, ebenso wie das Tempo unserer Pferde – das ist möglich. Aber letztlich macht es nicht viel Unterschied. Irgendwann, unter irgendeinem Baum, wird sich eine Hand auf eure Schulter legen. Dann werdet ihr dem ins Auge sehen, vor dem ihr davongerannt seid. An dem Tag werdet ihr Angst empfinden. Tatsächlich seid ihr auf das zugerannt, wovor ihr wegrennen wolltet.

Vor dem Tod gibt es kein Entrinnen. Ganz egal wohin wir rennen mögen, wir rennen dem Tod in die Arme. Unser Rennen selber führt uns zum Tod. Jeder, der rennt, wird beim Tod ankommen. Ein Armer mag vielleicht nur sehr langsam rennen. Er hat kein Pferd, also muss er ohne Pferd rennen. Ein Reicher mag mit einem stattlichen Pferd rennen, und Kaiser mögen mit einem richtigen Rennpferd rennen. Aber letzten Endes werden die Leute ohne Pferd genau am selben Ort ankommen, wie die Leute mit Pferd – beim Tod. Was ist also die Lösung? Welchen Weg wählen? Was kannst du machen?

Zunächst möchte ich euch darauf aufmerksam machen, dass alles, was ihr macht, egal was, zum Tod führen wird. Das braucht euch nicht zu überraschen. Schon in der Vergangenheit hat alles, was die Leute gemacht haben, sie zum Tod geführt. Nur ganz Wenige sind dem Tod entronnen. Nur macht ihr keineswegs das, was sie gemacht haben, um den Tod zu überwinden. Alle Vorbereitungen, die ihr trefft, sind einfach Vorbereitungen für den Tod. Ob es euch nun gefällt oder nicht, aber die Wahrheit ist: All unsere Vorbereitungen sind nichts als Vorbereitungen auf den Tod. An diesen drei Tagen möchte ich euch sagen, woran ihr erkennen könnt, dass ihr euch auf den Tod vorbereitet, und was für Vorbereitungen für das Leben man treffen kann.

Durchaus möglich, dass ihr zutiefst den Wunsch habt, das Leben kennenzulernen und zu entdecken. Tatsächlich gibt es keinen einzigen Menschen, der nicht den Wunsch hat, das Leben zu finden. Und doch existiert eine Art Wahnsinn, ein tiefer Wahnsinn, der die gesamte Menschheit befallen hat. Sobald ein Säugling auf die Welt kommt, wird er in ebendiesen Wahnsinn eingeweiht. Vielleicht ist das natürlich. Würde das Kind nicht eingeweiht, würden wir es für wahnsinnig halten. Als Mahavira von zu Hause wegging, hielten ihn alle für wahnsinnig. Als Buddha von zu Hause wegrannte, hielt man auch ihn für wahnsinnig, und Christus wurde ebenfalls für irre gehalten. Die gesamte Menschheit ist irre, also hält man, wenn ein vernünftiger Mensch geboren wird, ihn für irre. Vielleicht versteht ihr besser, was ich sagen will, wenn ich euch eine kurze Geschichte erzähle …

Eines Tages ging ein alte Frau bei Tagesanbruch zum Dorfbrunnen, warf etwas hinein und verkündete, jeder, der das Wasser des Brunnens trinke, werde wahnsinnig. Es gab nur zwei Brunnen in diesem Dorf. Einer befand sich im Dorf, und der andere im Palast des Königs. Bis zum Abend waren alle im Dorf bereits wahnsinnig, da sie notgedrungen das Wasser aus ihrem Brunnen trinken mussten. Nur drei Personen – der König, die Königin und sein Großwesir brauchten das Wasser des Dorfbrunnens nicht trinken und waren daher als Einzige nicht wahnsinnig geworden. Im Dorf ging das Gerücht um, der König sei offenbar verrückt geworden. Was ja nicht weiter verwunderlich ist: Wenn das ganze Dorf verrückt geworden ist, kommt jeder, der es nicht ist, allen anderen eindeutig verrückt vor. Das kann man an seinen Fingern abzählen. Folglich waren die Leuten im Dorf tief bestürzt und verstört, darunter auch einige große Denker …

Verrückte sind normalerweise große Denker. Damit schrumpft der Unterschied zwischen einem Wahnsinnigen und einem Denker: Denker werden oft wahnsinnig, und Wahnsinnige fangen oft an zu denken.

Also gab es unter diesen Verrückten auch einige Denker und Politiker. Sie alle steckten die Köpfe zusammen und überlegten, was zu tun sei. Um das Schlimmste zu vermeiden, hielten sie es für das Beste, den König zu beseitigen. „Wenn der König wahnsinnig ist, wer soll dann das Reich regieren?“ Am Abend versammelten sie sich vor dem Palast und skandierten laut Slogans des Inhalts, der König und der Großwesir seien wahnsinnig, die Königin ebenfalls, jetzt wären sie gezwungen, den König zu beseitigen.

Der König stand mit seiner Königin und dem Großwesir auf der Dachterrasse des Palastes und sie berieten, was zu tun sei. All ihre Diener und Soldaten waren wahnsinnig geworden, so wie alle anderen auch, also musste etwas geschehen … Der König sagte zum Großwesir: „Mach schon, lass dir was einfallen!“ Dieser erwiderte: „Uns bleibt nichts anderes übrig, als unverzüglich Wasser aus dem Dorfbrunnen zu holen und zu trinken.“ Alle drei versprachen den Leuten: „Wartet! Lasst uns erst unsern Wahnsinn kurieren!“

Sie gingen hinunter und tranken das Wasser. Am Abend feierte das Dorf ein Freudenfest. Die Leute tanzten und sangen – der König war wieder zur Vernunft gekommen!

Die Menschheit ist in den Klauen eines tiefen und unausrottbaren Wahnsinns – und wir übertragen diesen Wahn auf jede neue Generation. Und alle Kinder, die sich dagegen sträuben, werden für Rebellen gehalten. Die Kinder, die diesen Wahn nicht übernehmen wollen, halten wir für wahnsinnig; und um sicherzustellen, dass auch sie wahnsinnig werden, zwingen wir ihnen unsere Lebensweise auf.

Auf dieser Welt vernünftig zu sein, ist äußerst gefährlich; ein vernünftiger Mensch muss für seine Vernunft einen hohen Preis zahlen. Dem einen droht eine Kugel, der andere muss Gift trinken, der dritte gehört gekreuzigt. Vernünftige Leute haben in einer Welt voller Verrückter nichts zu suchen. Je verrückter einer in dieser Welt ist, desto sympathischer wirkt er, da er einer von uns zu sein scheint. Er scheint demselben Weg zu folgen wie wir auch.

Also werde ich darüber zu euch sprechen, wie man diesen Zustand tiefen Wahnsinns loswerden kann, der die Menschheit im Griff hat. Wenn ihr keinen Ausweg zu finden versucht, kommt unweigerlich der Tod. Ihr könnt euch noch sosehr auf den Kopf stellen, am Ende wird der Tod euch ereilen – nicht unbedingt in ferner Zukunft. Es kann euch schon morgen erwischen, er kann euch heute erwischen. Es kann euch auf der Stelle erwischen.

Heut Abend also bedenkt und erwägt Folgendes: Wenn alles, was ihr tut, euch nur zum Tod führt, was für einen Sinn hat es dann, es zu tun? Wenn alles, was ihr tut, eure Füße nicht zur Unsterblichkeit lenkt, wenn eure Augen nicht auf die Unsterblichkeit gerichtet sind, und wenn euer Leben nicht dorthin geht, wo kein Tod vorkommt, was für einen Zweck hat es dann? Warum dann überhaupt?

Das Leben ist eine Chance. Alle Zeit, die wir verloren haben, ist einfach unwiederbringlich. Die Chance, die das Leben bietet, kann man auf vielerlei Art und Weise nutzen. Was immer wir auch damit anfangen, verändert unser Leben entsprechend. Die einen nutzen sie, um Geld zu machen. Ihr ganzes Leben lang nutzen sie jede Gelegenheit, die sich ihnen bietet, wenden sie all ihre Energie daran, Reichtum anzuhäufen. Doch wenn sie dem Tod ins Auge sehen, wird all ihr Reichtum nutzlos. Manche rackern sich ihr Leben lang damit ab, diese Chance zu nutzen, um berühmt und angesehen zu werden und ihr Ego zu befriedigen. Doch wenn der Tod kommt, nützt ihnen all ihr Ego, Ruhm und Ansehen nichts.

Woran also erkennt ihr, dass ihr nicht umsonst gelebt habt? Nur daran, dass alles, was ihr im Leben verdient habt, nicht umsonst gewesen sein darf, wenn der Tod vor eurer Tür steht. Aug in Auge mit dem Tod, muss all das, wofür ihr die Chance des Lebens genutzt habt, wofür ihr euer Leben aufs Spiel gesetzt habt, seine Gültigkeit behalten. Nur das hat angesichts des Todes Bedeutung, was wahrhaft bedeutend ist; alles andere ist wertlos. Ich wiederhole: Einzig und allein das ist bedeutend, was auch angesichts des Todes bedeutend bleibt, und alles andere ist wertlos.

Nur ganz wenige bedenken dies; nur ganz wenige nehmen hierauf, auf diese Perspektive Rücksicht. Ich möchte euch bitten zu überprüfen, ob ihr es tut. Fragt euch: „Alles, was ich dadurch angehäuft habe, mein Leben lang gerannt zu sein – sei es Gelehrtheit oder Reichtum, ob ich gefastet habe, um mich abzuhärten oder berühmt zu werden, oder Romane geschrieben, Bilder gemalt, Lieder gesungen habe … – werden diese Dinge am Ende, angesichts des Todes, wenn mein ganzes Leben auf dem Prüfstand steht, noch irgendeine Bedeutung haben oder nicht?“

Wenn nicht, macht euch das besser heute schon klar. Und geht besser gleich in die Richtung, wo ihr die Art von Reichtum, von Macht, von Energie in eurem Dasein erwerben könnt – die euch, wenn der Tod vor euch steht, in die Lage versetzen wird, etwas Inneres vorzuweisen, dem der Tod nichts anhaben kann, das selbst der Tod euch nicht nehmen kann.

Das ist möglich. Wäre es nämlich nicht möglich, wären alle Religionen einfach Unfug und nichtig. Das ist schon früher geschehen, das kann sogar heute geschehen. Das kann im Leben eines Jeden geschehen. Aber es fällt weder vom Himmel noch erhält man es als Almosen oder kann man es stehlen. Und man bekommt es auch nicht umsonst … einfach indem man sich einem erleuchteten Meister zu Füßen setzt. Niemand kann es dir überreichen; du kannst es nur selber gebären. Es kommt nur durch deine eigenen Bemühungen zustande, durch dein eigenes Leben und die Entschlossenheit, all deine Energie dafür aufzubringen.

Aber solange wir meinen, alles vollkommen richtig zu machen, solange wir an unserem Lebenswandel nichts auszusetzen haben, tun wir keinen Schritt in jene Richtung. Irgendwo ist unser Leben im Irrtum, irgendwo stimmt etwas nicht. Wir müssen uns klarmachen, dass die Richtung, die wir in unserm Leben eingeschlagen haben, uns auf Wege bringt, die nirgends hinführen.

Die Art und Weise, wie diese Bewusstheit zustande kommt, besteht darin, euer Leben so zu prüfen, als müsstet ihr gleich sterben. Eines Tages werdet ihr es ohnehin angesichts des Todes prüfen müssen, aber dann könnt ihr es nicht mehr ändern. Wer es jedoch schon vorher prüft, kann an ihm noch etwas ändern. Dann wird sich bestimmt etwas in seinem Leben ändern … wird sich eine gewisse Revolution in seinem Leben intensivieren. Also kommt es darauf an, sein Leben von heute an einzuschätzen, es jeden Tag einzuschätzen. Bernard Shaw hat einmal gesagt, es müsse Gerichte auf der Welt geben, vor denen jeder alle drei Jahre erscheinen müsse, um nachzuweisen, dass er in diesen drei Jahren sinnvoll gelebt habe. Das war als Scherz gemeint.

Wären solche Gerichte irgendwo möglich? Selbst wenn dem so wäre, gäbe es Probleme. Wie wollt ihr beweisen, sinnvoll gelebt zu haben? Welche Beweise könnten den Sinn eures Lebens belegen: „Hier haben Sie summa summarum, wie ich gelebt habe – alles, was sinnvoll und wichtig war“?

Vergesst es; solche Gerichte gibt es nicht. Aber vorm geistigen Auge hat jeder so ein Gericht der eigenen Weisheit nötig, dem er jederzeit Rechenschaft schuldet. Tag für Tag sollte er vor ihm erscheinen und sich fragen: „Wie lebe ich? Kommt etwas Handfestes dabei zustande? Was gewinne ich dabei? Wo führt es mich hin? Wird es mein Gerenne beenden? Wird es mein Leiden beseitigen? Wird es das Dunkel vertreiben? Wird es den Tod zerstören?“

Wer sich all diese Fragen mit aller Dringlichkeit zu stellen vermag, in dessen Leben wird Religiosität geboren. Das geschieht aber nicht, indem man lediglich die heiligen Schriften liest, sondern indem man ständig sein Leben wertet. Man muss es jeden Tag werten; man muss es ununterbrochen werten.

Daher möchte ich euch zunächst bitten, hierüber nachzudenken. Das ist die Grundlage für die nächsten drei Tage, an denen ich zu euch über den Weg sprechen werde, auf dem wir von der Richtung zum Tod abbiegen können, und die Richtung zur Unsterblichkeit einschlagen können. Auch euch wird es nicht gleichgültig sein, wenn euer Leben unsterblich wäre. Euch dürfte der Wunsch nicht fremd sein, dass es gut wäre, wenn ihr den Tod vermeiden könntet. Im Innersten dürftet ihr euch fragen, wie ihr die Unsterblichkeit erlangen könnt.

Erst wenn uns die völlige Vergeblichkeit unseres jetzigen Lebens klar wird, erst wenn die Wertlosigkeit all unserer jetzigen Lebensweisen, unserer Gewohnheitsmuster, unserer Gedankengänge und Bewegungen in unserem Leben erkannt wurde – und uns bewusst wird, dass alles, was wir tun, absolut wertlos ist –, erst dann kann ein authentischer Wunsch nach Unsterblichkeit in uns geboren werden. Solange wir keine Unruhe, keine Nervosität, keine Angst wegen der Bedeutungslosigkeit dessen verspüren, was wir tun, wie kann die Idee, der Gedanke in uns aufsteigen, dem Bedeutenden zuzustreben?

Daher möchte ich euch heute auffordern, euch dem Tod Auge in Auge zu stellen. Wir alle verleugnen den Tod. Wir wenden ihm den Rücken zu, aber jeder, der dem Tod seinen Rücken zukehrt, macht sich ständig was vor.

Einmal war ich während des Monsuns unterwegs, als ich an der Seite eines Gebirgsflusses anhalten musste. Mein Auto musste dort anhalten, weil der Fluss mit aller Macht über seine Ufer stieg. Hinter meinem Auto mussten auch ein oder zwei andere Autos anhalten. Ich kannte den Mann in dem Auto hinter mir nicht, doch als er sah, dass ich allein im Auto saß, kam er und begann eine Unterhaltung mit mir. Ich unterhielt mich unverbindlich mit ihm, als er mich plötzlich fragte: „Wofür im Leben lohnt es sich am meisten, nachzudenken?“

Ich erwiderte ihm: „Das Einzige, worüber es sich lohnt nachzudenken, ist der Tod.“

Wir unterhielten uns weiter, über viele Themen. Er versicherte mir, er werde mich auf seinem Rückweg bestimmt wieder treffen. Ich antwortete ihm: „Es gibt keine Garantie, dass wir uns treffen werden, wenn Sie zurückfahren. Wer weiß: Ich mag nicht mehr leben oder Sie mögen nicht mehr leben, oder wir mögen alle beide noch leben, auch wenn sich unsere Wege nicht kreuzen mögen.“

Ich erzählte ihm eine kurze Geschichte. Ich hätte mir nie vorstellen können, wozu das führen würde. Als die Flut nachließ, wollte er weiterfahren … mir fiel folgende Geschichte ein:

Ein chinesischer Kaiser zürnte seinem Großwesir. Obwohl der Kaiser ihn ungeheuer liebte, steckte er ihn ins Gefängnis und verurteilte ihn zum Tode. Es war in seinem Land üblich, dass der Kaiser zu jedem, der gehenkt werden sollte, am Morgen der Hinrichtung persönlich hinging und ihm einen letzten Wunsch erfüllte – falls er einen hatte.

Dies traf auf den Großwesir zu, den sein Herr so sehr liebte. Aber er hatte einen unerhörten Fehler begangen, der den Kaiser so erzürnte, dass er ihn mit einem Todesurteil bestrafte. Am Tag der Hinrichtung suchte der Kaiser ihn früh am Morgen auf, stieg von seinem Pferd und eröffnete ihm: „Wenn du einen letzten Wunsch hast, werde ich ihn dir erfüllen.“

Kaum hatte der Kaiser dies gesagt, hatte der Großwesir Tränen in den Augen. Der König war erstaunt. Der Großwesir war ein ausgesprochen tapferer Mann und hatte in seinem Leben noch nie geweint. Undenkbar, dass er vor Todesangst weinte – das war völlig ausgeschlossen. Der König war wirklich überrascht. Er sagte: „Ich bin erstaunt, Tränen in deinen Augen zu sehen.“

Der Großwesir sagte: „Ich weine nicht, weil ich bald sterben muss. Ich weine aus einem anderen Grund. Meine Tränen gelten deinem Pferd.“

Der Kaiser fragte: „Was gibt es an meinem Pferd zu beweinen?“

Der Großwesir erwiderte: „Mit jahrelanger Schwerstarbeit habe ich eine Kunst erworben, die Kunst, einem Pferd das Fliegen beizubringen. Niemals in meinem Leben ist mir eine Pferderasse begegnet, die lernen konnte zu fliegen. Aber dein Pferd gehört zu dieser Rasse. Darum weine ich: Ich habe mein ganzes Leben damit verplempert, jene Kunst zu lernen, da sie heute mit mir einfach sterben wird.“