Maluna Mondschein

 

 

 

Für Rosalie

Meine so wunderbar gefühlvolle und magische kleine Tochter.

A.S.

Guten Abend, kleiner Schatz

Weit, weit weg im Zauberwald wohnt die kleine Gutenacht-Fee Maluna Mondschein. Und weil JEDES Kind auf der Welt weiß, wo der Zauberwald ist und was es mit Maluna Mondschein auf sich hat, können wir ebenso gut gleich mit der Geschichte anfangen.

Also, los geht’s. Eines Tages …

Was sagst du? Das ist zu schnell? Man muss es sich doch erst mal so richtig schön gemütlich machen? In die Bettdecke einmummeln? Mindestens ein Kuscheltier in den Arm nehmen? Die Äuglein schließen und sich in den Zauberwald träumen?

Ups, du hast natürlich recht. Total und absolut extrarecht.

Deswegen noch mal von vorne:

Also pass auf, die Geschichte geht so.

Der Zauberwald ist so weit dahinten, dass er noch hinter dem Hinten liegt. Zwei Wolkenreisen und achtzehn Träume entfernt. Doch wenn man endlich da ist, kommt er einem zunächst gar nicht sooo außergewöhnlich zauberhaft vor. Fast erinnert er dich ein bisschen an all die Wälder, in denen du schon mal spazieren gegangen bist. Doch wenn du genau hinsiehst, wirst du ihn bemerken, den ganz besonderen Zauber im Zauberwald. Guck mal dort, all die seltsamen Kugelpflanzen, die aussehen wie Leuchtlutscher. Oder die Zaunkönigfamilie, sie tragen tatsächlich alle ein Krönchen auf ihren gefiederten Köpfen. Und dort? Ist das etwa der wasserballgroße Haarschopf der kleinen Hexe Ranunkel Krakelei? Ich sehe auch den kleinen Zauberer mit seinen beiden Freunden, dem kleinen Bären und dem kleinen Drachen. Ach, schau mal, wie groß die Drachenbabyschwester schon geworden ist!

Doch bei all dem Staunen und Beobachten wirst du eines nicht entdecken. Und das ist die Höhle der kleinen Gutenacht-Fee. Die ist nämlich gut versteckt hoch oben im Stamm des mächtigen Nussbaums auf dem Feenhügel. Es wird Zeit, dass wir Maluna mal wieder besuchen, findest du nicht auch?

1: Maluna bekommt wichtige Post und ist darüber nicht sonderlich begeistert

Was für ein herrlicher Tag. Schnupper mal, es ist zwar noch Spätsommer, aber man kann den Herbst schon riechen. Und sehen! Du meine Güte, Ranunkel Krakeleis Kürbisse werden aber auch jedes Jahr größer. Wenn man sie aushöhlen würde, könnte man glatt darin wohnen. Bestimmt gewinnt sie auch dieses Jahr den Preis für den sensationellsten Kürbis im Zauberwald. Hm, das gibt hunderttausend Liter leckere Kürbissuppe den ganzen Herbst und bis in den Winter hinein.

So, da sind wir auch schon.

Klopf, klopf.

»Hallöchen, liebste Gutenacht-Fee der Welt! Du, wir sind gerade ganz zuuufällig hier vorbeigekommen und dachten, gucken wir doch mal spontan und ohne Plan einfach so juchhuu und hopplahopp bei dir rein.«

»Ist ja schon gut. Ein einfaches Hi würde auch reichen«, stöhnt Maluna, als sie uns die Tür öffnet. »Aber wo du schon mal da bist, hätte ich doch glatt eine regenrauschextremgewitterwichtige Frage.«

»Oh, das ist ja mal was ganz Neues! Du hast eine Frage an uns! Schön, schieß los, ich höre, ich warte. Mit welcher Menschenproblemlösestrategie können wir dir helfen?!«

»Problemlöse-was?«, fragt Maluna. Dann winkt sie ab. »Du kannst nicht mal auf die Frage warten, ohne dass du dafür achthundertzweiundsiebzig komische Wörter benutzt.«

»Achthundertzweiundsiebzig? Wow, Malunalein, das war ja eine völlig korrekte Zahl. Auch wenn meine Frage in Wirklichkeit nur exakt achtundzwanzig Wörter hatte, finde ich …«

»WIE lautet die Regel?«, raunzt Maluna und funkelt uns an.

»Äh, welche Regel?«

»Ich frage, du antwortest. Du fragst, ich antworte … vielleicht«, erklärt Maluna. »Sonst: Voilà, da ist die Tür. Goldene Gutenacht-Feen-Regel.«

»Oh, là, là, Mademoiselle, war das etwa fronsösisch gerade?«

Die kleine Gutenacht-Fee schüttelt den Kopf. »Du versuchst, mich abzulenken. Also, ja oder nein?«

»Ja. Also nein. Ja und nein. Puh, ich weiß deine Frage gar nicht mehr. Oder warte mal, hast du überhaupt schon was gefragt?«

Maluna seufzt. »Okay, das wird heute nichts mehr. Können wir vielleicht einfach noch mal von vorne anfangen? Also, du klopfst, kommst rein und so weiter?«

»Oh, klar, gerne, kein Problem.«

Gut, gehen wir einfach noch mal raus. Und wir klopfen. »Klopf, klopf, Malunalein, schönste und feinste Fee des Zauberwaldes und aller anderen Welten, wir sind rein zuuufällig in der Nähe gewesen und dachten uns … Oh, nein, das war ja falsch. Viel zu ausführlich. Noch mal: Klopf, klopf!«

So, und jetzt warten. Bloß kein Wort zu viel. Aha, da geht die Tür auf.

»Hi, Maluna.«

»Hi, Mensch. Komm rein, ich hab ’ne Frage.«

Wir schweigen.

»Äh, Mensch, ich hatte gesagt, dass ich eine Frage habe. Eine regenrauschextremgewitterwichtige sogar.« Maluna wartet.

Wir schweigen weiter.

»Hallo? Willst du mich ärgern?«, fragt sie und runzelt die Stirn.

Komm, wir schütteln den Kopf und klären unser Schweigen auf.

»Maluna«, flüstere ich, »du hast doch gesagt, ich soll still sein und nichts reden, während ich auf deine Frage warte.«

»Ach so!« Maluna kriegt einen Lachanfall. »Stimmt. Aber irgendwie ist das ja total blöd. Ich dachte schon, du willst die Frage gar nicht hören! Also neue Regel: Du darfst ruhig betteln.«

»Ah, gut, also, bitte, bitte, spuck’s schon aus, was gibt’s denn so Wichtiges, womit kann ich dir helfen, beistehen, dich beraten, unterstützen oder sonst wie helfen?«

Maluna wendet sich an ihren Kleiderschrank. »Schon besser«, sagt sie grinsend. »Also, die Frage lautet: Was soll ich bloß anziehen?«

Wir sagen immer noch nichts. Denn was soll das denn jetzt?

»Mensch? Die Frage ist: Was soll ich bloß anziehen? Hast du verstanden? Jetzt wäre die Zeit für deine Antwort.«

»Äh, ja, schon klar, aber ich dachte eigentlich, es käme irgendwas … Bedeutungsvolleres, Wichtigeres.«

Maluna dreht sich empört zu uns um.

»Irgendwas Bedeutungsvolleres, als was ich am allerersten Schultag von Minimee Windhauch anziehen soll? Geht’s noch, Mensch?«

»Ahhh, erster Schultag … die kleine Luftfee … daher weht der Wind. Also sozusagen. Das klingt ja doch höchst interessant. Ich wusste ja gar nicht, dass Feen auch …«

»Also was?«, fragt Maluna und schiebt einen Kleiderbügel nach dem nächsten zur Seite.

»Äh, stopp, das da.«

»Aha.« Maluna nimmt unsere Auswahl streng unter die Lupe. »Und warum genau?«

»Es ist ganz besonders … öhm, mondsilberweiß. Und glitzert und hat Federn.«

»Hm.« Maluna holt ein anderes Kleidchen aus dem Schrank. »Und warum nicht das?«

»Weil, ganz eindeutig, es ist nicht ganz sooo mondsilberweiß wie das davor, und es glitzert viel weniger, und Federn sind auch keine … ach, doch, sind ja wohl welche dran. Hm. Um ehrlich zu sein, sieht es ja irgendwie doch genauso aus wie das andere … Gut, also, dieses Kleid ist auch supertoll.«

»Na prima.« Maluna lässt sich missmutig in ihren Sessel plumpsen. »Eigentlich geht es ja auch gar nicht um mich.« Sie springt wieder auf und holt einen Brief unter ihrem Kopfkissen hervor.

»Da. Von der Schule. War bei mir früher irgendwie alles anders. Lies mal.«

Langsam falte ich den Brief auseinander. Ganz vorsichtig und behutsam. Denn ich habe noch nie einen echten Zauberwaldbrief …

»Nun mach schon, ist doch nur von der Schule.« Nervös zwirbelt Maluna ihre Stimmungssträhne um den Finger. Sie leuchtet knallrot.

»Nur von der Schule, du bist ja witzig. Also, nicht witzig, das Gegenteil, verstehst du? Briefe von der Schule sind die wichtigsten überhaupt. Direkt nach Liebesbriefen. Und später, wenn die Schule angefangen hat, bekommst du auch noch jede Menge Elternzettel, Sonderinfos, Einladungen zu Elternabenden, Klassenfesten, Ankündigungen von Sportfesten, Läusekontrollen, Wanderausflügen, Lesenächten, Zahnarztkontrollen, Schulfotografenterminen, Landschulheim-Aufenthalten, Infos zu Klassenfahrten, Kuchenverkaufsaktionen, Theaterprojekten …«

Bei jedem Wort sinkt Maluna tiefer in ihren Sessel. Irgendwann zieht sie sich die Decke über den Kopf. »Ech ben goa nech mehr do«, murmelt sie.

»Oh, arme Maluna. Alles halb so schlimm. Man gewöhnt sich daran. Du brauchst nur einen großen Kalender oder eine Pinnwand. Damit du ja keinen Termin vergisst und immer …«

»Heul«, murmelt Maluna dumpf.

»He.« Komm, wir heben mal ein winziges Stückchen der Decke an. »He, jetzt lese ich doch lieber erst mal in Ruhe, bevor ich so viel unnötiges Zeug rede, hm? Feechen, komm schon, das schaffen wir gemeinsam. Gut, was steht denn hier …«

Liebes Zauberwaldkind,

hurra, endlich ist es so weit, du kommst in die Schule!

Ich freue mich schon darauf, dich kennenzulernen.

Auf der Materialliste steht, was du alles mitbringen musst. Viel Spaß und bis bald.

Dein Lehrer

Monsieur Scham-Ping-Jong

»Scham-Ping-Jong! Monsieur! Also ist er jetzt Japaner oder Franzose?«

»Hä?«, fragt Maluna. »Er ist einfach nur ein Stinktier.«

»Wunderbar. Prima.« Es ist nicht höflich, aber ich muss trotzdem lachen. »Also weiter.«

Materialliste:

ein roter Stift ein blauer Stift ein grüner Stift ein gelber Stift ein oranger Stift ein …

»Ts, also, ›eine Packung Buntstifte‹ wäre kürzer gewesen. Weiter …«

… ein Bleistift, ein Radiergummi, ein Lineal, zwölf Hefte mit Rand, neun Hefte ohne Rand, davon sechs mit Lineatur für die 1. Klasse, der Rest mit Kästchen, ein Bastelkittel, ein alter Lumpen, ein Schuhkarton, ein Hausaufgabenheft, ein Elternzettelordner, sieben Klarsichthüllen und ein Schulranzen.

»Klacks! Maluna, ein Klacks!, sage ich dir. Da solltest du mal die Materiallisten in der Menschenwelt lesen. Man muss einen halben Schreibwarenladen leer kaufen. Guck mal, nicht mal ein Zeichenblock steht drauf. Keine Knete. Keine Wachsmalstifte, keine Ringordner, Scheren, Spitzer, Sammelmappen oder Borstenpinsel. Und auch nichts über Bastelkleber. Du kannst dir nicht vorstellen, wie viel es bei Kleber zu beachten gibt.«

»Na toll«, murmelt Maluna.

»Aber jetzt mal im Ernst, warum bekommst du denn einen solchen Brief? Er ist doch für Minimee.«