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Westend Verlag

Ebook Edition

Jochen Dieckmann

Ferner Osten auf der Überholspur

Ich, der Camper und meine Abenteuer auf der neuen Seidenstraße

Westend Verlag

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Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN 978-3-86489-775-7

© Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2020

Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin

Satz und Datenkonvertierung: Publikations Atelier, Dreieich

Inhalt

Einleitung
Planung
Fahrzeug und Ausrüstung
Route und Visa
China
Reise
Ukraine
Georgien
Aserbaidschan
Kasachstan
Usbekistan
Kasachstan
Kirgistan
Usbekistan
Kasachstan
Kirgistan
China
Danksagungen

Jochen: »Sollen wir dem Auto einen Namen geben oder machen so was nur Frauen?«

Pablo: »Emma.«

Jochen: »Wieso Emma?«

Pablo: »Ist doch logisch: Ich bin Jim Knopf und wohne auf der Insel, Du bist Lukas und wir fahren mit Emma nach China.«

Planung

Fahrzeug und Ausrüstung

Zum Jahresanfang begebe ich mich auf die Suche nach einem geeigneten Fahrzeug.

Deutschland ist eigentlich das Schnäppchenland für Gebrauchtwagen. Das gilt aber offensichtlich nicht für Wohnmobile, die sind selbst dann noch gebraucht sehr teuer, wenn sie modrig und reparaturbedürftig sind. Ich hatte gedacht, in der Nebensaison bekomme ich günstigere Preise. Aber in der Nebensaison werden kaum Wohnmobile angeboten.

Ich suche kein Allradfahrzeug, die erscheinen mir alle zu teuer. Das Fahrzeug soll folgende Bedingungen erfüllen: zwei große voneinander unabhängige Betten, vier Sitzplätze, Diesel und eher alt. Alt, weil es dann nicht so leicht geklaut wird und leichter zu reparieren ist beziehungsweise gute Autoschrauber noch mehr reparieren können. Nach wochenlanger Suche habe ich einen 28 Jahre alten Ford Transit in Bonn gefunden. Im Nachhinein muss ich sagen, dass uns der Verkäufer nach Strich und Faden ausgetrickst hat. Ein seriös wirkender Rentner, der eine akribisch geführte Liste vorzeigte, in die jedes ausgewechselte Birnchen eingetragen war. Da kommt man nicht so leicht drauf, dass das alles Schwindel ist. Der laut dieser Liste vor einigen Monaten ausgetauschte Luftfilter sah aus, als stamme er aus einer Epoche kurz vor dem Paläolithikum. Zwei Dinge hätten mich stutzig machen müssen: Erstens, dass der Wagen unter einer Brücke geparkt war. Und zweitens, dass der Verkäufer sofort und ohne jedes Handeln beim Preis von 7 500 auf 5 000 Euro runterging.

Später fanden wir heraus: Er hatte sich mal in der Höhe verschätzt und ist mit der oberen Ecke des Fahrzeugs irgendwo gegen gefahren. Das wurde notdürftig repariert, aber seitdem ist dort eine undichte Stelle gewesen, sodass Wasser hereingelaufen war und Teile des Holzbodens vergammelt waren. Damit man das nicht sieht, hat er Bleche drunter schweißen lassen an den entsprechenden Stellen. Als wir das rausfanden, hatten wir aber schon zu viel Geld und Arbeit in das WoMo gesteckt, also Flucht nach vorn. Wir, das sind in dem Fall mein Kumpel Ülle und ich. Wobei die Aufteilung meistens die ist, dass er die Arbeit und ich das Geld in die Karre reinstecken. Also reisefertig machen: alle Flüssigkeiten austauschen, Motoraufhängung erneuern, Zahnriemen wechseln, neue Batterien, zwei Reifen als Ersatz. Ersatzteile besorgen, die wir nie brauchen werden: Lichtmaschine, Dieselfilter, Thermostat, Zylinderkopfdichtung.

Es ist nicht weiter verwunderlich, dass wir diese Ersatzteile alle nicht brauchen werden. Das Geheimnis liegt darin: Diese Fahrzeugteile werden nicht kaputt gehen, weil wir die Ersatzteile dabei­haben, ich möchte gar nicht genauer wissen, wie es andernfalls laufen würde.

Leider stellt sich heraus, dass die Ersatzteilversorgung für alte Ford Transits in Deutschland von Seiten der Firma Ford grottenschlecht ist. Da habe ich bei anderen Marken wesentlich bessere Erfahrungen gemacht. Auf der Reise wird es allerdings anders herum sein: »Unseren« Transit gibt es in überraschend vielen Ländern und dementsprechend auch überall die nötigen Ersatzteile. Als alles fertig zu sein scheint, melden sich die Radlager. Einerseits ärgerlich, andererseits gut, dass das schon vor dem Losfahren passiert.

So kommt es, dass wir das Auto erst 48 Stunden vor der Abfahrt aus der Werkstatt holen können. In der Zwischenzeit entsteht in der Wohnung ein großer Stapel mit Sachen, die mitsollen. Kanister, weil es in Usbekistan keinen Diesel zu tanken gibt, Werkzeug, Wagenheber, rudimentäre Ausstattung für »Küche« und »Bad«, Bettzeug, Kissen, Lampen, eine gut sortierte Reiseapotheke (Achtung, Monate vorher muss man mit den Impfungen anfangen!), Micropur zum Desinfizieren für den Frischwassertank und Sonnenschutz. Bei den Geräten, die irgendwie Strom brauchen, von der Taschenlampe bis zum Fotoapparat, achten wir darauf, dass sie mit einem USB-Stecker aufgeladen werden können, also während der Fahrt auch im Zigarettenanzünder zu laden sind. Mit Ausnahme des Laptops und der elektrischen Zahnbürste trifft das letztlich auf alles zu.

Ich habe auch noch Adapter besorgt für die chinesischen Steckdosen, aber das wird in den Hotels letztlich gar nicht erforderlich sein.

Ich kaufe für 60 Euro möglichst viel Spielzeug, darunter Knicklichter, Seifenblasen, Luftballons, Murmeln und Flummis. Ursprünglich habe ich das als Schmiermittel bei Kontrollen gedacht. Damit habe ich als LKW-Fahrer früher gute Erfahrungen gemacht: Man fragt den Kontrolletti, ob er Kinder hat, und er sagt, wie viele und wie alt, und man zieht Spielzeug für sie hervor.

Straßenkarten bekommt man nirgendwo so gut wie in Deutschland. Und in Wuppertal bekommt man sie doppelt gut, denn es gibt die Buchhandlung Baedeker. Hat zwar nichts mit den Reiseführern zu tun, wurde aber vor fast 200 Jahren von dem Autor und Verleger Karl Baedeker gegründet, der später durch seine zahlreichen Reiseführer berühmt wurde. Dieser Buchladen ist spezialisiert auf Reiseliteratur und Landkarten und genau die besorge ich mir über all die Länder, durch oder in die wir fahren wollen.

Route und Visa

Im letzten halben Jahr vor der Abfahrt gibt es so gut wie keinen Tag, an dem ich nicht irgendwann in Google Maps reingucke. Die geplante Reiseroute ändert sich ständig, zum letzten Mal ein oder zwei Wochen vor der Abfahrt.

Schnell ist klar, was ich nicht will. Ich will nicht nur durch Russland und dann nach China, um möglichst wenig Grenzen zu haben, im Gegenteil. Ich will möglichst viele verschiedene Länder sehen und entscheide mich daher für die Südroute.

Außerdem will ich nicht durch die Erdogan-Türkei. Ich war oft mit dem LKW dort, aber eben auch zwei Mal mit Menschenrechtsdelegationen, die sich kritisch zur Politik der Regierung geäußert haben. Das ist zwar schon viele Jahre her, aber so wie der Pascha vom Bosporus da rumtrollt, trau ich dem alles Mögliche zu. Er möchte nicht so viele Zeugen bei seinem Krieg gegen Kurden und Oppositionelle im Osten des Landes haben. Das ist noch mal etwas anderes als eine Stadtrundfahrt durch Istanbul. Immerhin sitzt der Gießener Tourist Patrick Kraicker bereits seit zwei Jahren im Knast. Und das nur, weil er in der Osttürkei wandern wollte. Ihm werden nicht einmal konkrete Taten vorgeworfen, sondern lediglich das Sympathisieren mit kurdischen Gruppen, was er jedoch bestreitet.

Als Nächstes gilt es zu klären, für welche Länder wir ein Visum oder weitere Papiere brauchen, um mit dem eigenen Auto einzureisen. Gibt es Fähren über das Schwarze und über das Kaspische Meer? Kann man mit einem Ford in den Iran einreisen? (Antwort: ja, ist zwar eine amerikanische Marke, wurde aber in Deutschland produziert). Wie versichert man das Auto außerhalb von Europa? Welche Grenzen sind passierbar, Ukraine-Russland, Georgien-Russland, innerhalb der Stan-Länder, Vietnam? Was kostet ein Rücktransport des Fahrzeugs ab Fernost? Alles hängt irgendwie mit allem zusammen, das macht es nicht einfacher.

Kasachstan und Kirgistan sind seit knapp zwei Jahren visa­frei und Usbekistan seit Kurzem ebenfalls. Iran streiche ich, weil es das einzige Land wäre, in dem man ein Avis de Passage für das eigene Fahrzeug bräuchte. Das ist ein offizielles Dokument, das bescheinigt, dass man eine Bürgschaft hinterlegt hat, die fällig wird, wenn man sein Fahrzeug aus einem Land nicht wieder ordnungsgemäß ausführt oder stattdessen den dortigen Importzoll bezahlt. Viele Länder verlangen diese Bürgschaft, darunter Indien, Pakistan, Myanmar, die Länder auf der arabischen Halbinsel sowie der Irak und Iran. Man muss nicht nur die Bürgschaft, sondern obendrein eine Gebühr bezahlen, beim Iran kämen dann auch noch die Visakosten hinzu. Neben den Kosten haben die Visa noch einen anderen Nachteil: Sie machen einen unflexibel, wenn man zu bestimmten Daten einreisen muss.

Außerdem gibt es in vielen Ländern die beknackte Regel, dass der Pass noch mindestens ein halbes Jahr gültig sein muss, deswegen muss Pablo einen neuen beantragen beim für ihn zuständigen Konsulat in Las Palmas. Diesen neuen Pass schickt er mir mitsamt einer Vollmacht nach Deutschland, damit ich für uns beide zusammen die Visa beantragen kann. Weil er aber einen Pass braucht, um dann einige Wochen später selbst nach Deutschland zu fliegen, vereinbart er mit dem Beamten im Konsulat, dass er seinen alten Pass noch behalten darf und diesen dann von Deutschland aus per Post nach Las Palmas an das deutsche Konsulat zurückschickt, damit die ihn einziehen. Das klappt auch alles ganz prima, Pablo ruft sogar von Wuppertal aus noch bei der Botschaft an, ob der Pass auch angekommen sei, und das wird bestätigt. Diese Episode wird Monate später noch mal eine Rolle spielen.

Nachdem die Eckdaten klar sind, gehe ich mitsamt Pässen, Passfotos und Vollmacht zu einer Visa-Agentur. Mir wurde eine in Brühl empfohlen, aber genau wie bei dem Auto habe ich bei dieser Wahl großes Pech, denn die Agentur verbaselt so ziemlich alles, was man nur verbaseln kann.

Ich berichte von meinem Plan, die Länder, für die ich ein Visum beantrage, mit dem Auto zu bereisen, und fahre für ein Beratungsgespräch nach Brühl. Es sind jetzt noch gute sieben Wochen bis zur geplanten Abreise. Ich brauche Visa für Aserbaidschan, Turkmenistan, China und Vietnam einschließlich Formularen, Gebühren und so weiter (einmal Pizza mit allem) für zwei Personen und zahle dafür gleich fast tausend Euro. Hätte ich mir mit diesem Geld eine Zigarre angezündet, dann hätte ich mehr davon gehabt.

Das Aserbaidschan-Visum kann man elektronisch bestellen, das hätte ich selbst zuhause am Computer erledigen können. Das wusste ich nicht und natürlich haben sie mir das auch nicht gesagt. Schön blöd, selbst schuld – Lehrgeld bezahlt. Zwei Tage nach dem Besuch bei dem Reisebüro in Brühl telefoniere ich mit Hendrik von der Agentur Tibetmoto, die mir bei der Einreise nach China mit dem Auto hilft. Er sagt mir, dass es noch schwerer sei, nach Viet­nam mit dem eigenen Auto einzureisen als nach China, eigentlich eher unmöglich. Außerdem weist er mich darauf hin, dass man ein Touristenvisum für China frühestens drei Monate vor der Einreise beantragen kann. All das wusste die Brühler Agentur nicht, aber den Auftrag für das Vietnam-Visum wollen sie nicht mehr stornieren, das sei beantragt. Das Geld für das China-Visum würden sie zurückbezahlen. Unsere Pässe lassen sie wochenlang rumliegen, ohne dass irgendetwas geschieht. Als das Transit-Visum für Turkmenistan beantragt werden soll, ist es zu spät, denn die Botschaft hat wegen hoher Feiertage ein oder zwei Wochen geschlossen. Als die Agentur per Mail mitteilt, dass wir unsere Pässe mit den Turkmenistan-Visa irgendwann Mitte Mai bekämen, kann ich alle westfälischen Volkstänze gleichzeitig. Das Geld für das nutzlose Vietnam-Visum und das verbaselte Turkmenistan-Visum hat die Agentur bis heute nicht zurückbezahlt. Aber wenigstens bekommen wir unsere Pässe irgendwann zurück. Das war knapp, denn in gut einer Woche wollen wir abreisen.

Zwischenzeitlich habe ich rausgefunden, dass es von Baku aus auch eine Fähre gibt, die einen Hafen weiter nördlich in Kasachstan anläuft.

Das China-Visum werden wir irgendwie von unterwegs aus beantragen müssen. Leider ist es nun zu spät, zweite Pässe für uns beide zu beantragen, für Pablo in Deutschland mit Wohnsitz in Spanien erst recht. Ich plane unterwegs bei einer deutschen Botschaft vorübergehende deutsche Ausweise zu holen, um sie für die Beantragung des chinesischen Visums weggeben zu können. Denn obendrein möchte China, dass Deutsche das Visum in Deutschland beantragen und nicht in einem anderen Land. Warum müssen die das alle nur immer so kompliziert machen?

Turkmenistan machen wir ein anderes Mal und Tadschikistan wahrscheinlich auch, aber das wäre für unser altes Murkelauto eh nicht gut gewesen.

Aber wo verläuft sie denn nun eigentlich genau, die Seidenstraße? Antwort: Überall. Der Begriff Seidenstraße meint keine ganz bestimmte Strecke, sondern ein weit verzweigtes Netz von Handelswegen zwischen China und Europa. Wenn man von China aus startete, war es sozusagen egal, ob man den Weg über die Mongolei oder über Samarkand wählte, es führen bekanntlich alle Wege nach Rom. Bei der sogenannten neuen Seidenstraße ist der geographische Begriff noch weiter gefasst, denn China lässt auch seine Investitionen in die Infrastruktur in Afghanistan, Laos und Kenia unter der Rubrik neue Seidenstraße laufen.

Die ersten Straßen, die heute zur alten Seidenstraße gerechnet werden, entstanden schon um 500 vor unserer Zeitrechnung. Dabei ging und geht es sowohl bei der alten als auch bei der neuen Seidenstraße nicht um eine Tour von A nach B, sondern in erster Linie um viele Teilstrecken. Die wenigsten Karawanen gingen damals von China nach Rom, viele hingegen zum Beispiel von Samarkand ans Schwarze Meer oder von der kasachischen Steppe bis in den Kaukasus.

Über die alte Seidenstraße wurden aber nicht nur Waren in beide Richtungen transportiert, sondern auch Ideen, Erfindungen, Philosophien, Religionen und Revolutionen. Auf der neuen Seidenstraße hingegen werden nur noch Waren transportiert und das meistens auch nur in eine Richtung, nämlich von Ost nach West.

Doch wir drehen den Spieß nun um und fahren von West nach Ost. Unser Weg führt über folgende Stationen: Deutschland, Österreich, Ungarn, Ukraine, Schwarzes Meer, Georgien, Aserbaidschan, Kaspisches Meer, Kasachstan, Usbekistan, Kirgistan, China, Laos.

China

Die Mehrheit der Deutschen weiß sehr wenig über China, und wenn ich ehrlich bin, gehöre ich dazu. Und das Wenige, was sie wissen, ist meistens noch falsch, veraltet oder mit Japan verwechselt – da gehöre ich dann eher nicht mehr dazu. Die Medien zeichnen leider ein äußerst einseitiges Bild: China wird reduziert auf die Menschenrechtsfrage. Das fällt vor allem deswegen auf, weil das bei vielen anderen Ländern so gut wie gar nicht thematisiert wird. Wieso sind Polizeiübergriffe in Hongkong hierzulande berichtenswerter als in Saudi-Arabien, Ecuador und Chile oder in unserem Nachbarland Frankreich?

Aber die Saat geht auf: In Deutschland fühlen sich Menschen sogar von China bedroht. Warum eigentlich? Sicherlich weniger wegen der Menschenrechtslage in Hongkong, sondern wegen der boomenden Wirtschaft in einem Land, was in den letzten 20 Jahren so frech war, nicht Entwicklungsland zu bleiben, sondern sich zu entwickeln. Chinesen machen Geschäfte auf die Art, wie Amerika das seit 100 Jahren macht und Europa sogar seit mehreren hundert Jahren. Deutsche und Europäer verdienen in oder mit China schon wesentlich länger Geld als umgekehrt. Jetzt, wo das auch umgekehrt läuft, werden plötzlich Menschenrechte interessant und Schaumschläger wie Ai Weiwei hofiert, ein Polit-Clown, der regelmäßig nach China fährt, um seiner dort lebenden Frau beim Zählen des Geldes zu helfen, das seine chinesischen Immobilien abwerfen.

Als Zeitungsleser in Deutschland bekommt man den Eindruck, unsere Regierung möchte gegen China einen Kalten Krieg beginnen, nur weil China in der Businesswelt mittlerweile auf gleicher Augenhöhe angelangt ist. Die Verteidigungsministerin forderte im November 2019 in einer Grundsatzrede an der Universität der Bundeswehr in München, Chinas »Machtanspruch« einzudämmen, und möchte am liebsten Militär nach Fernost schicken und dass sich Deutschland als Gegenmacht zu China im Einflussgebiet dieses Landes an der Durchsetzung internationaler Regeln beteiligt. Mit Militär? Wieso das denn? China war in den letzten 40 Jahren nicht in einen einzigen Krieg involviert. Also in meinem Namen hat die Bundesverteidigungsministerin da jedenfalls nicht gesprochen.

Es ist überraschend, dass genau die politischen Kräfte, denen normalerweise die Freiheit der Märkte fremder Länder wichtiger ist als die Freiheit der Menschen dort, in China am liebsten wieder die Marktwirtschaft abschaffen würden, wenn sie das könnten. Säbelrasseln, anstatt selbst am Geschäft teilzunehmen, das hört sich nach doppelt schlechten Verlierern an.

Ich weiß nicht, wieso es Deutsche stört, wenn Chinesen hierzulande Geschäfte machen, umgekehrt gibt es das doch bereits seit Jahrzehnten. Und es gibt auch einen Austausch. Seit zehn Jahren gibt es regelmäßige Zugverbindungen von chinesischen Städten nach Duisburg, Hamburg, München und Leipzig. Von Leipzig rollt alleine schon im Auftrag von BMW täglich ein Containerzug ins dortige Werk Shenyang.

Im Bereich des Straßengüterverkehrs hat die europäische Politik allerdings völlig versagt und den Markt bisher ausnahmslos den Chinesen überlassen. Seit Jahren fahren chinesische LKW regelmäßig nach Italien, erste Fotos gibt es sogar schon von 1915.

Letztes Jahr war in der EU-Politik die sogenannte EU-Asien-Konnektivitätsstrategie im Gespräch. Die EU-Kommission wollte in einem ganz großen Wurf Europa und Asien miteinander verbinden: »Verkehrsnetze, Energienetze und digitale Netze, aber auch die Beziehungen zwischen den Menschen.« Haben sie jedenfalls gesagt und geschrieben, aber es war nur ein Papiertiger, heute hört man davon nichts mehr. Stattdessen gibt es auch in diesem Bereich eine einseitige verbale Aufrüstung des Westens. Europa möchte der neuen Seidenstraße »etwas entgegensetzen«. Schon im Sommer 2017 verdächtigte der damalige Außenminister Sigmar Gabriel China, mit der neuen Seidenstraße militärische Interessen zu verfolgen, denen Europa etwas entgegensetzen müsse (Handelsblatt, 30. August 2017). Viele haben sich seitdem dieser Forderung angeschlossen. Zum Beispiel im Jahr 2019 der damalige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und seine »Außenbeauftragte« Federica Mogherini.

Einer der letzten deutschen Transportunternehmer, der noch große Entfernungen bedient und dennoch nicht ausgeflaggt hat, berichtet, er könne sofort Aufträge für mehrere hundert LKW-Ladungen nach China an Land ziehen, wenn er nur wüsste, wie er mit seinen LKW nach China reinfahren könne. Auch ein österreichischer Transportunternehmer aus Wels versucht seit Jahren das Unmögliche.

Anfang 2019 meldete die Fachpresse (zum Beispiel Deutsche Verkehrszeitung, Verkehrsrundschau, Eurotransport, trans.info) von dem ersten LKW-Linienverkehr von Europa nach China, beteiligt seien die Logistikunternehmen CEVA und Alblass. Die Verkehrsrundschau berichtete, nun seien die ersten LKW in der chinesischen Hafenstadt Korgas eingetroffen. Das Ganze war eine große Zeitungsente und niemand hat es bemerkt. Denn Korgas ist lediglich der kasachisch-chinesische Grenzort, der von den Chinesen in jüngster Zeit groß ausgebaut wurde. Es gibt kaum einen Ort auf der Welt, der weiter von allen Meeren und Häfen entfernt ist als Korgas. Diese LKW sind also nur bis Kasachstan an die chinesische Grenze gefahren, doch das geht seit vielen Jahrzehnten und ist absolut und überhaupt nichts Neues. Der Neuigkeitswert dieser Falschmeldung schrumpfte schließlich darauf, dass die an der Grenze von europäischen auf chinesische LKW umgesetzten Container erstmals nach dem TIR-Verfahren verzollt wurden. Das ist ein internationales Abkommen, bei dem eine Bürgschaft für die Ladung hinterlegt wird, ähnlich wie die schon erwähnte Bürgschaft für das Fahrzeug beim Avis de Passage. Das Abkommen existiert seit vielen Jahrzehnten, neu ist lediglich, dass China da jetzt ebenfalls daran teilnimmt

Es ist also nach wie vor so, dass kein einziger LKW von Europa nach China fahren darf, umgekehrt ist das ganz einfach möglich und diese Möglichkeit wird auch wahrgenommen.

Auch mit dem PKW können Chinesen spielend leicht nach Europa reisen. Im Jahr 2017 lernte ich über meinen Facebook Freund Riccardo den Chinesen Wenfeng Ni kennen. Die beiden hatten sich auf der Autobahnraststätte Holmmoor nördlich von Hamburg getroffen. Wenfeng Ni wohnt in Shanghai und war unterwegs von dort nach Gibraltar, allerdings mit dem Umweg über das Nordkap.

Ich habe ihn gefragt, was er braucht, um nach Europa einreisen zu können. Er braucht einen internationalen Führerschein und für das Fahrzeug ein Carnet ATA. Das ist ein Zolldokument ähnlich dem Avis de Passage. Kostet letztlich unterm Strich nur eine Gebühr und das war’s.

Leider konnte ich Wenfeng Ni in China nicht treffen, da er zeitgleich mit dem Motorrad die Panamericana von Alaska bis Feuerland gefahren ist.

Üblicherweise werden Bedingungen zum Befahren fremder Länder auf Gegenseitigkeit geregelt. Man hat das bei den Visa gesehen: sobald die Deutschen irgendeine neue Hürde für die Chinesen eingebaut haben, gab es gleich eine Retourkutsche. Wenn es also heute umständlich ist, ein chinesisches Visum zu beantragen, dann haben wir das nur zur Hälfte den Chinesen zu verdanken und zur anderen Hälfte »unseren« Leute. Und was die Genehmigungslage betrifft, über die Straße einzureisen, hat die EU bisher tief und fest geschlafen. Daher ist es für europäische Transportfahrzeuge unmöglich und für PKW äußerst schwierig und extrem teuer, nach China einzureisen. Das kann man nicht einmal der Bräsigkeit autoritärer chinesischer Behörden anlasten, nein, Brüssel hat bisher nicht einmal angefragt. Die bräuchten doch nur einmal anzumelden, dass die Chinesen selbstverständlich gerne weiterhin unsere Straßen befahren dürfen, wir im Gegenzug aber gerne genauso selbstverständlich auch auf ihren Straßen fahren möchten.

Denn umgekehrt erkennt China unsere Führerscheine genauso wenig an wie unsere Fahrzeugzulassungen und Autonummernschilder. Mittlerweile gibt es einen vorübergehenden chinesischen Führerschein für die Zeit von maximal drei Monaten. Man muss aber während der gesamten Zeit einen Guide dabeihaben, den man natürlich obendrein noch bezahlen muss. Für das Fahrzeug muss eine Kaution hinterlegt werden und überhaupt ist das Ganze so kompliziert, dass man es ohne Zuhilfenahme einer Agentur überhaupt nicht schaffen kann.

Es gibt etwa ein Dutzend Agenturen, die einem Hilfe anbieten. Ich habe mich für Tibetmoto entschieden, weil ich mit Hendrik Heyne am anderen Ende auf Deutsch schreiben und telefonieren konnte. Sie sind nicht die Günstigsten, ich war mit ihrer Arbeit aber sehr zufrieden. Für die Durchquerung Chinas innerhalb von 20 Tagen hätte es 5 500 Euro gekostet. Das sind 7 000 Kilometer und in dem Preis sind auch der Führerschein, das Kennzeichen und alles Weitere enthalten. Ich entscheide mich für 30 Tage und bin mit 6 700 Euronen dabei. Der Guide muss die gesamte Zeit gebucht werden, obwohl ich in Chengdu fünf Tage Pause machen will. Ich muss dieses Geld bezahlen, weil ich nun mal die fixe Idee habe, mit dem Auto nach China zu fahren. Den allermeisten Overlandern ist das zu teuer, sie biegen vorher links ab und fahren in die Mongolei oder bis nach Wladiwostok, aber nach China fährt kaum jemand. Den Vorwurf muss man dabei weniger an die chinesische Regierung richten als an die EU und die einzelnen EU-Länder. Dass chinesische Wirtschaftsbetriebe sich hier zu 100 Prozent einkaufen dürfen und deutsche umgekehrt nur zu 49 Prozent, mag ungerecht sein, aber ich kann es mir immerhin noch gut erklären mit der unterschiedlichen Wirtschaftsmacht. Europäische Länder haben das im Rest der Welt jahrzehntelang vorgeführt. Aber warum die EU in Bezug auf diese Genehmigungslage nicht auf Gegenseitigkeit besteht, kapiere ich nicht. Italien geht jetzt eigene Wege und beginnt bilaterale Verhandlungen, ähnliche Überlegungen gibt es in Österreich.

Aber warum verpennt die EU das? In wessen Interesse ist das? Ich bin skeptisch, wenn Politikern Unfähigkeit vorgeworfen wird, wie es derzeit populär und populistisch ist. Normalerweise ist es so, dass sie einfach nur andere Interessen vertreten, wenn sie diesen Vorwurf ernten. Doch in diesem Fall verstehe ich es nicht. In wessen Interesse ist es, China die Straße – die buchstäbliche Seidenstraße – alleine zu überlassen?

»Herausforderungen begegnen, Chancen nutzen – freidemokratische Leitlinien für den Umgang mit China« ist das Motto des FDP-Bundesparteitages genau an dem Wochenende, bevor wir losfahren. Christian Lindner beginnt seine Parteitagsrede doch tatsächlich auf Chinesisch. Hört sich zwar nicht sehr chinesisch an, aber was es heißen soll, schiebt er gleich hinterher: »Die Gesellschaft und die Wirtschaft ändern sich beständig, wir müssen mit den Zeiten Schritt halten.« Daraufhin schreibe ich ihn an – immerhin kenne ich ihn aus alten Zeiten. Ich spreche ihn auf diese 6 700 Euro an, die ich zahlen muss, um nach China fahren zu dürfen. Ich finde, das ist prima Munition für seine nächsten Reden, aber er lässt mich total abblitzen.

Dann wende ich mich über einen Mittelsmann aus Bielefeld an den scheidenden Europaabgeordneten Elmar Brok, CDU, und an einen SPD-Bundestagsabgeordneten. Die Europawahlen rücken näher und ich fürchte, dass man sie nach den Wahlen nicht mehr gut für neue Themen interessieren kann.

Von CDU und SPD höre ich nie wieder etwas dazu. Und von dem angeblich so chinafreundlichen Christian Lindner kommt nach zweimaligem Nachfragen eine geschmeidige Abfuhr: »Für die Informationen zu den Bürokratiehürden beim Waren- und Personenverkehr bedanke ich mich. Ich leite sie gerne an die Fachebene weiter. Diese wird sich gegebenenfalls noch mal bei dir melden, wenn es zu Nachfragen kommen sollte, ich hoffe, das ist in deinem Sinne.« Ja, das wäre in meinem Sinne gewesen, aber natürlich habe ich nie wieder was davon gehört.

Also bleibt meine Frage unbeantwortet: Wieso wollen Politiker von CDU-SPD-FDP sich nicht dafür einsetzen, dass europäische LKW genauso nach China fahren dürfen, wie das umgekehrt seit Jahren funktioniert? Wieso soll die neue Seidenstraße eine Einbahnstraße bleiben? Wessen Interessen vertreten sie da?

Noch eine Bemerkung, bevor wir dann endlich losfahren können:

Ich schrieb vorhin, dass ich den Eindruck habe, dass hierzulande zwar nicht das Kriegsbeil, aber immerhin das Kalter-Krieg-Beil ausgegraben werden soll. Egal, was China macht, es wird in Westeuropa anders bewertet, als wenn andere das Gleiche machen. »China missbraucht Hochgeschwindigkeitszüge für Strukturpolitik« heißt es zum Beispiel in einer Zeitungsüberschrift der Neuen Zürcher Zeitung vom 3. Januar 2020. In dem Artikel geht es darum, dass China in kürzester Zeit das dichteste Netz an Hochgeschwindigkeitszugstrecken weltweit errichtet hat und ständig weiterbaut. Ich fände es sehr genial, wenn auch die deutsche Regierung den Bau von Bahnstrecken für Strukturpolitik »missbrauchen« würde.

In vielen Artikeln wird China als Umweltverschmutzer dargestellt. Zum einen wird dieses Attribut nur an Länder vergeben, die man schlecht dastehen lassen möchte, oder hat man jemals Artikel darüber gelesen, wie viel Umweltschäden beispielsweise Japan oder die Niederlande in dem letzten halben Jahrhundert durch ihre Massenmobilisierung erzeugt haben, wie viel Atommüll Jahr für Jahr in Frankreich oder den USA produziert wird oder wie umweltschädlich die Ölförderung in Saudi-Arabien ist? Zum anderen gibt es weltweit kein Land, das sowohl in absoluten Zahlen als auch im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt so viel Geld in Umweltschutz und neue Technologien investiert wie China.

Die Berichterstattung in Deutschland über das Corona-Virus erweckt den Eindruck, dass die Seuche benutzt wird, um Stimmung gegen China zu machen. Haben wir es nicht schon immer gesagt: Die gelbe Gefahr! Der Spiegel hatte in seiner Ausgabe 6/2020 ein so reißerisches Titelfoto mit der Aufschrift »Made in China«, dass laut einem Artikel der halbamtlichen Beijing-Rundschau vom 2. Februar 2020 sogar die chinesische Botschaft in Berlin offiziell dagegen protestierte: »Panikmache, Schuldzuweisungen und sogar Rassendiskriminierung nützen niemandem. Wir verachten solche Aktionen.« In Düsseldorf demonstrierten chinesische Wissenschaftler und Studierende gegen die Diskriminierung mit Transparenten: »Fight against the Virus not against the Chinese« und »Wir sind Chinesen – kein Virus«.

Besonders auffallend ist auch die Berichterstattung über den Tod des Arztes Li Wenliang, der als Erster vor dem Virus gewarnt hatte. Ich habe den Eindruck, hierzulande wird sein Tod ausschließlich dazu missbraucht, die chinesische Regierung in Misskredit zu bringen, das erste Gefühl aller Chinesen, die ich kenne, war hingegen Trauer und Anteilnahme.

Die chinesischen Offiziellen vor Ort hatten anfangs einige Tage versucht, die Seuche zu verharmlosen und zu vertuschen. Ich bin nicht mal sicher, ob das hierzulande nicht auch so wäre. Danach hat die Regierung aber diesen Fehler eingestanden und um Entschuldigung gebeten. Seitdem arbeiten sie mit aller Kraft daran, die Seuche einzudämmen, koste es die Volkswirtschaft, was es wolle. Eine Region, in der 59 Millionen Menschen leben, wurde isoliert und über eine Milliarde Menschen auf konsequente Seuchenabwehr eingeschworen. Anstatt das anzuerkennen, produzieren unsere Zeitungen reißerische Titel und China-Restaurants müssen dichtmachen, weil die China-Phobie zum Massenphänomen wird.

Dagegen verhalten sich die Menschen in China äußerst diszipliniert. Die allermeisten halten sich an die Auflagen und versuchen aktiv, sich und andere zu schützen. Kaum jemand neigt zu Hysterie oder übertriebenen Hamsterkäufen. Auch wenn das Wirtschaftsleben ansonsten fast völlig brachliegt, funktioniert die gesamte Versorgung und die Regale in den Supermärkten werden täglich neu gefüllt.

Leider bekommt man in Deutschland im Mainstream sehr selten Berichte aus China, die ein positives Licht auf dieses Land werfen oder zumindest neutral berichten, ohne gleich zu (ver)urteilen und abzuwerten. Bis heute wird beispielsweise von dem Massaker auf dem Tiananmen-Platz gesprochen, obwohl seit Jahren bekannt und erwiesen ist, dass es auf diesem Platz bei der Niederschlagung des Aufstandes nicht einen einzigen Toten gab. Das kann man sogar in Wikipedia nachlesen und mehrere Quellen dafür finden.

Auf diesen Einwurf wird gelegentlich erwidert, dass die Niederschlagung des Aufstandes ja andernorts zu Toten und Verletzten führte. Aber das rechtfertigt doch keine Fakenews! Sie führen doch nur dazu, dass diejenigen Journalisten, die von besagtem »Massaker« sprechen, jegliche Glaubwürdigkeit verlieren.

Diese Pseudodebatten erinnern mich an DDR-Besuche durch Reisegruppen aus dem Westen. Damals wurde jede Polizeikontrolle als Beleg für die unmenschliche Diktatur des Sozialismus wahrgenommen und jede Mülltonne am Straßenrand als Beleg für sein Versagen.

Angesichts einer China-Debatte, deren Teilnehmer alle viel Meinung und wenig Ahnung vom Thema haben, möchte ich mich bei meiner Beschreibung von China und der neuen Seidenstraße mit Urteilen zurückhalten. Ich schildere ehrlich das, was ich erlebe, natürlich ein wenig gefiltert durch meine subjektive Brille, aber ich möchte das Einordnen und Urteilen der geneigten Leserschaft größtenteils selbst überlassen.

Neulich in Kirgistan …

Einleitung

Mit dem Auto nach China! Diese fixe Idee hat sich bei früheren China-Besuchen in meinem Kopf festgesetzt. Das sind zwei Abenteuer in einem: der Weg dorthin als das erste Abenteuer und dort mit dem Auto unterwegs zu sein als das zweite. All die Jahre habe ich mal ein wenig recherchiert und die Ohren gespitzt, wenn es um das Thema ging. Eines Tages, als ich beruflich, gesundheitlich und menschlich einen Durchhänger hatte, fiel mir auf, dass es weder mir noch irgendjemand anderem etwas bringt, mit der Realisierung dieses Plans noch weiter zu warten. In diesem Moment war der Durchhänger vorbei.

Die Planung einer solchen Reise stellt sich als das dritte Abenteuer heraus, für mich ist sie völliges Neuland. Die grobe Planung vorab: Reisepartner finden, Zeitrahmen abstecken, sich diese Zeit zu Hause freischaufeln und die Finanzierung sichern; dann kann die Feinplanung beginnen. Ich habe gelernt, dass man für die Feinplanung einer solchen Reise mindestens genauso viel Zeit einplanen sollte, wie die Reise selbst dauert – man wird sie brauchen. Es ist überraschend, an welchen Stellen Probleme aufploppen. Ich rate, noch nicht allzu vielen Leuten von den Plänen zu erzählen, denn die Rückfragen mögen lieb gemeint sein, aber sie sind auf Dauer anstrengend.

Und noch eine Bemerkung vorab: In einem Punkt bin ich kein besonders typischer Deutscher: Ich rede recht offen über Geld. Ich wüsste nicht, wieso ich daraus ein Geheimnis machen sollte, zumal es inzwischen ja längst ausgegeben ist.

Die Vorfreude auf die Reise ist die beste Motivation, um die lästigen Vorarbeiten durchzuführen. Aus dem gleichen Grund möchte ich hier die geneigte Leserschaft nicht allzu lang auf die Probe stellen und möglichst bald losfahren.

Einige Vorbereitungen seien hier aufgeführt, weil sie wichtig für den weiteren Verlauf sind. Die Eckpunkte sind schnell geklärt: Ich möchte nicht alleine fahren, es ist schöner, Erlebnisse und Abenteuer mit jemandem zu teilen, mit dem oder der man sich gut versteht. Als Mitfahrer steht schnell Pablo, mein 29-jähriger auf der Kanarischen Insel La Palma lebender Neffe, fest.

Als Zeitfenster haben wir ein halbes Jahr festgelegt und das soll sich als der größte Reichtum herausstellen. Man braucht für eine solche Reise eben nicht nur Geld und Willen, sondern vor allem genügend Zeit. Mit dem LKW war ich oft an Plätzen, die mir gefielen, oder traf Leute, die ich mochte, dennoch musste ich spätestens am nächsten Morgen weiterfahren. Es ist ein Geschenk, diesen Zeitdruck einmal nicht zu haben.

Die Abfahrt planen wir für die zweite Aprilhälfte.

Es muss organisiert werden, dass jemand nach der Post schaut, es braucht eine Krankenversicherung für die Zeit, eine Ersatzbrille und vor dem Losfahren einen Kontrollbesuch beim Zahnarzt, Dollar wechseln, zweite Gasflasche besorgen – tausend kleinere und größere Hürden. Meine Wohnung kann ich leider nicht untervermieten für diese Zeit, da die Vermieter wegen Renovierungsarbeiten zwischenzeitlich in die Wohnung müssen. Schade, das hätte meiner Reisekasse gutgetan. Wenigstens gibt es dort keine zu versorgenden Pflanzen.

Eine solche Reise ist übrigens kein Hexenwerk. Jeder kann beziehungsweise könnte sich einfach ins Auto setzen und losfahren. Schon 1907 gab es die erste Rallye von Peking nach Paris.

Ich lerne in diesem Zusammenhang ein neues Wort: Menschen, die längere Reisen mit Auto, Motorrad oder Fahrrad antreten, nennt man »Overlander«. Sie schildern ihre Erlebnisse in zahlreichen Blogs, YouTube-Kanälen und in den sozialen Medien. Das ist für mich eine große Hilfe in der Vorbereitung. Die interaktive App IOverlander wird uns zahlreiche gute Standplätze zeigen und andere wertvolle Tipps geben.

Obwohl das alles zeitgleich verläuft, gliedere ich die Planung mal in drei Teile ein. Erstens Fahrzeug und Ausstattung, zweitens Route und Visa und drittens China. Weil es bei China nicht nur um die Route geht, wird der Abschnitt etwas länger, aber danach fahren wir los, versprochen ist versprochen.

Kasachstan

Hauptstadt: Astana

Bevölkerungszahl: 12 276 000

Fläche: 2 699 700 km²

Amtssprache: Kasachisch, Russisch

Religionen: Sunnitisch muslimisch, russisch-orthodox

Währung: Tenge

BIP (insg.): 171 Mrd. US-Dollar

Wichtigster Exportpartner: Italien

Wichtigster Importpartner: Russland

Warenimporte aus China: 16,5 Prozent

Unnützes Wissen: Ursprünglich stammt Cannabis aus Kasachstan.

3. Juni: Auf See, von Kuryk nach Aqtau

Das Schiff ist vergammelt und ranzig. Das Essen ist schlecht, davor und danach gibt es auch nichts anderes irgendwo zu kaufen. Es gibt lediglich einen Raum, in dem ein Teebehälter steht, aus dem man sich bedienen kann.

Die Fähre kostet für uns beide und das Auto genauso viel wie die Fähre über das Schwarze Meer, aber statt zweieinhalb Tagen sind es hier nur 18 Stunden Überfahrt und noch schlechterer Service. Die Zeit kann sich manchmal um Stunden und Tage verlängern, wenn andere Fähren am Pier liegen, das sind bisher anscheinend die Grenzen des Wachstums. Die Leute, die von dieser Fähre runterkamen, hatten erzählt, dass sie 18 Stunden auf Rede lagen, weil kein Anlegeplatz frei war. Immerhin gibt es von diesen drei Anlegestellen ja das gesamte kaspische Meer zu bedienen, ich glaube, das ist ein Hafen in Kasachstan und einer in Turkmenistan.

Turkmenistan hatte bei uns ja nicht geklappt, weil das die Agentur aus Brühl verbaselt hatte, wir fahren nach Aqtau, das liegt weiter nördlich in Kasachstan. Aber genauso wenig, wie wir aus Baku abfuhren, wird Aqtau der Ankunftshafen sein. Der Ankunftshafen liegt wieder am Ärmel der Welt, heißt Kuryk, da ist sonst einfach mal gar- und überhaupt nichts. Dieser Nicht-Ort liegt etwa 80 Kilometer südlich von Aqtau. Außer einer großflächig umzäunten Anlage und ein paar überdachten Kontrollspuren gibt es noch ein riesiges Zollgebäude.

Die Passkontrolle findet wieder auf dem Schiff statt. Wir bekommen dabei den an vielen Grenzen üblichen Laufzettel, auf dem man dann die Stempel aller weiteren Kontrollinstanzen sammeln muss. Am Ausgang der Grenzstation gibt es die letzte Kontrollstelle, da gibt man diesen Laufzettel wieder ab. Dort wird nur noch kontrolliert, ob auch alle Stempel drauf sind, dann darf man fahren.

Da wir als Letzte auf das Schiff gefahren sind, dürfen wir uns auch als Erste kontrollieren lassen und als Erste das Schiff verlassen. Ein Uniformierter bittet uns, ob er die paar hundert Meter bis zum ersten Abfertigungsgelände mitfahren kann. Unsere Freundlichkeit zahlt sich nicht aus, denn als er danach das Fahrzeug kontrolliert, will er 20 Euro Bestechungsgeld haben, sonst würde er das Auto jetzt auf den Kopf stellen. Na, das fängt ja gut an! In der Ukraine würde ich jetzt wenigstens den Preis runterhandeln auf zehn oder fünf Euro. Ich unternehme auch hier einen schwachen Versuch, aber er lässt sich nicht drauf ein. Ich kenne mich hier nicht aus, muss daher also die 20 Euro bezahlen.

Nun müssen wir in das große Zollgebäude. Hier gibt es sogar einen Geldautomaten. Das ist selten in Zollgebäuden und ungemein praktisch. Dann kommt eine völlig absurde Röntgenkontrolle. Denn wir können selbst aussuchen, was aus unserem Auto wir als Gepäck deklarieren und durch diesen Scanner schieben. Aber wir brauchen die Prozedur, um den Stempel auf dem Laufzettel einzusammeln. Dann müssen wir Straßensteuer beantragen, an einem anderen Schalter bezahlen und einen weiteren Stempel sammeln, damit wieder zurück zum vorigen Schalter.

Alles in allem dauert die Grenzabfertigung eine Stunde, dann verlassen wir das umzäunte Gelände. Aber direkt danach halten wir schon wieder an. Denn wir laden nun Jörgs Fahrrad ein, er fährt mit uns bis Aqtau. Jemand kommt aus einem geparkten PKW auf uns zu und spricht uns an. Hätte ich nicht vorher gewusst, was der will, hätte ich den vermutlich gleich wieder weggeschickt, aber das ist der Verkäufer der Haftpflichtversicherung für das Auto. Das ist nun ziemliche Vertrauenssache, denn die Bestätigung für die Versicherungspolice wird einem auf das Handy gemailt, aber man kann das nicht überprüfen, denn hier ist kein Internetempfang. Aber mein Bauchgefühl war richtig, 15 Kilometer später erreicht uns diese SMS.

Wir treffen deutsche Touristen, die die Fähre in die Gegenrichtung nehmen wollen, und tauschen unsere SIM-Karten aus. Außerdem ist da ein britisches Pärchen mit Fahrrädern. Sie sind auf dem Rückweg von Malaysia, wo sie länger gelebt haben.

Der Fähranleger ist etwa acht Kilometer von Kuryk entfernt mitten in der Wüste. Kuryk lassen wir aber rechts liegen und fahren gleich weiter Richtung Aqtau. Auf der Strecke sehen wir die ersten Kamele und davon gleich ziemlich viele. Diese Tiere sind Meister der Anpassung an ihre Umwelt. Sie können innerhalb von 15 Minuten bis zu 200 Liter Wasser trinken und dieses bis zu vier Wochen lang speichern. Sie gehören auch zu den wenigen Tieren, die sogar Salzwasser trinken können, da ihre Nieren das Salz abscheiden können. Ihre Höcker sind aber entgegen der landläufigen Meinung keine Wasserspeicher, sondern Fettpolster, die in Notzeiten die Ernährung sichern. Bei großer Hitze können Kamele absichtlich Fieber bekommen und ihre Körpertemperatur auf 42 Grad anheben, um weniger zu schwitzen.

Die Straße ist sehr gut und es gibt wenig Verkehr. Wir kommen nachmittags in Aqtau an und suchen uns ein Hotel. Mich plagt der Hexenschuss immer mehr und deswegen mache ich mich jetzt auf den Weg, einen Arzt zu finden. Dorthin fahre ich mit einem Uber-Taxi, das ist nicht nur preiswert, sondern bei der Sprachbarriere auch sehr praktisch. Denn wenn man jemand bittet, ein Uber-Taxi zu rufen, gibt der gleich ein, woher und wohin das Taxi fährt. Das bedeutet, man weiß gleich den Preis und der Taxifahrer weiß gleich, wohin man möchte.

4. bis 6. Juni: Aqtau

Wir bleiben drei Nächte, so kann ich viermal zum Arzt gehen. Dort bekomme ich eine Massage, die aber nur ein wenig Linderung verschafft sowie eine Schmerzspritze.

Wir gehen in dem Ort spazieren, der aber nicht besonders romantisch ist. Pablo möchte gerne schwimmen in dem Meer, welches ja eigentlich keines ist. Aber von dem Plan nimmt er schnell wieder Abstand, als wir sehen, dass es hier nur so von Schlangen wimmelt. Die Kasachen sagen zwar, sie seien harmlos, aber irgendwie ist die Lust am Badengehen in der Schlangengrube etwas abgekühlt.

Ich lerne Aliye Saygı kennen, eine Motorradfahrerin und Bloggerin, die mit dem Motorrad unterwegs Richtung Tadschikistan ist. An der Uferpromenade ist abends ziemlich viel los. Private Händler vermieten hier unterschiedlichste Fahrzeuge mit zwei und vier Rädern für den Feierabendspaß. Fahrräder, Tandems, chinesische Fahrräder, auf denen man zu viert auf zwei Bänken hintereinander sitzt, Mini-Elektro-Autos für die Kinder, Segways und Hoverboards. Ein solches Angebot finden wir ab jetzt in jeder größeren Stadt in Kasachstan und Usbekistan.

Man sieht hier deutlich weniger Polizei als in Georgien und sogar weniger als in Aserbaidschan. Dennoch fahren die Autofahrer alle äußerst brav. Daraus schließe ich, dass die Strafen sehr hoch sind, wenn man bei einem Verstoß erwischt wird. Das Linksabbiegen zum Beispiel ist an vielen Stellen verboten und es halten sich auch alle dran, selbst spät abends, wenn die Straßen leer sind. Und der Taxifahrer, der mich gegenüber vom Hotel rauslässt, weist mich darauf hin, dass ich die Fußgängerampel an der nächsten Kreuzung 100 Meter weiter zum Überqueren der Straße nutzen sollte. Und noch etwas: Deutschland ist nicht das einzige Land, in dem Zebrastreifen respektiert werden. Hier hält dort auch jeder brav an, sobald Fußgänger auch nur irgendwo in Sicht sind.

Diesel ist mit 60 Cent fast doppelt so teuer wie in Aserbaidschan, aber alles andere ist hier noch etwas günstiger, zum Beispiel das Essengehen.

Wo wir gerade beim Geld sind, sollten wir auch mal über Währungen reden:

In Ungarn gibt es keine Euro, sondern Forint, die Preise sind aber leider mittlerweile ungefähr die gleichen wie in Deutschland. In der Ukraine gibt es Hrywnja, ausgesprochen heißen die Rivni. Ein Hrywnja hat 100 Tenge, aber das interessiert kaum, weil die praktisch gar nichts wert sind. In Georgien gibt es Lari und Tetri, aber auch die Tetri sind eher larifari, denn drei Lari sind Pi mal Daumen ein Euro, ein Tetri ist also 0,3 Cent. In Aserbaidschan gibt es Manat und Qəpik, aber die Qəpik sind auch larifari. Zwei Manat sind etwa ein Euro.

Hier in Kasachstan gibt es kasachische Manat und auch Qəpik. Die Qəpik hier sind ganz besonders larifari, denn 427 aserbaidschanische Manat sind ein Euro. Eine buchstäbliche Handvoll Münzen (bekam ich beim Zahlen der Straßensteuer als Wechselgeld) sind 30 Cent wert.

Ein Essen für mehrere Personen kostet hier tausende Manat. Bei dem Namen der Währung hier muss ich immer an diesen Song denken mit dem Nonsenstext: Mah Nà Mah Nà, tü tütüdü.

Beim Einparken vor einem Geschäft mit Autozubehör streife ich mit dem Autodach eine LED-Lampe der Parkplatzbeleuchtung, die scheppernd zu Boden fällt. Ein Mitarbeiter des Geschäfts, der grad draußen eine Zigarettenpause macht, sieht das und meint, das macht nichts. Das finde ich überraschend, aber mir soll es recht sein, vielleicht war die ja vorher schon kaputt.

6. Juni: von Aqtau in die kasachische Steppe

Straße nach Nirgendwo

Nach einem weiteren Arztbesuch (hat nicht viel genutzt) fahren wir mittags los in die kasachische Steppe. Am Stadtrand wächst die Stadt und sieht man die großen Baustellen. Dann kommt der Flughafen und ganz weit draußen die Friedhöfe der Muslime. Der Islam ist übrigens mit einem Anteil von 70 Prozent der Gesamtbevölkerung die am meisten verbreitete Religion in Kasachstan. Nach den Friedhöfen kommt nur noch Steppe. Aber die ist gar nicht so langweilig, wie die alten Fernfahrer, die vor Jahrzehnten öfter nach Kasachstan gefahren sind, immer wieder erzählen. Dauernd ändert sich die Landschaft, die Farbe der Steine, die Form der Hügel und Täler. Man sieht Greifvögel, Kamele, Pferde und, wenn man anhält große Käfer und dicke Eidechsen, die ihre Farbe ändern können. Schlangen, Skorpione und fiese Spinnen soll es hier ebenfalls geben, aber die sehen wir nicht. Am Straßenrand sehen wir die ersten zwei Jurten.

Eine lustige Begebenheit haben wir an einer Tankstelle, die an einer Kreuzung im Nirgendwo liegt. Wir fragen nach dem Weg nach Beineu, das ist der letzte Ort kurz vor der usbekischen Grenze. Wir fahren aber in eine andere Richtung weiter, weil wir uns dort noch ein Feld ansehen möchten, auf dem viele runde Steine rumliegen. Nach etwa zwei Kilometer überholt uns ein alter Lada, der Fahrer ist am Hupen und Gestikulieren. Es stellt sich heraus, dass das der Mann von der Tankstelle ist, der uns den Weg nach Beineu erklärt hatte. Er vermutet, dass wir ihn falsch verstanden haben und nun deswegen in die falsche Richtung fahren. Die Leute sind wirklich sehr gastfreundlich hier!

Dann treffen wir Sue und Marc aus Devon, England, unterwegs mit einem knallroten Land Rover Defender. Das ehemalige Sanitätsfahrzeug des Militärs haben sie auf einer Auktion gekauft, es tiptop hergerichtet und zum Wohnmobil ausgebaut. Ihr Ziel: die Rugby-Weltmeisterschaft im September in Japan. Marc war bis zur Pensionierung Fernfahrer, manchmal jobbt er auch heute noch in diesem Beruf. In jungen Jahren fuhr er einen der legendären Ford Transcontinental. Fotos von der Reise der beiden und natürlich von der Rugby-WM gibt es auf ihrem Blog: swinglowsweetchariot.blog.

Wir fahren, bis es dunkel wird. Dann biegen wir in einen Weg ein, der von der (ohnehin wenig befahrenen) Straße wegführt, und halten ein paar hundert Meter abseits der Straße. Wir fühlen uns absolut sicher, haben nicht die Befürchtung, dass uns irgendwer hier etwas Böses will. Für ausländische Gäste sind repressive Diktaturen manchmal sehr praktisch, jedenfalls solange man sich da nicht einmischt. Die Nacht in der Steppe ist wunderbar ruhig und es gibt einen traumhaft schönen Sternenhimmel, dessen Anblick durch keinerlei Restlicht getrübt wird.

7. Juni: Shetpe

Der Weg führt anscheinend zu einem Anwesen, denn während ich mit dem ersten Kaffee im Eingang zum Mobil in der Morgensonne sitze, fahren nach und nach drei Autos vorbei. Das zweite Auto hält an, darin ein älteres Ehepaar und hinten ihr Enkelkind. Eigentlich haben sie nur angehalten, weil sie uns einen Guten Morgen wünschen möchten. Sie nehmen aber gerne das Angebot an, mal kurz ins Mobil reinzukommen, um sich die Einrichtung anzusehen. Das wollen eigentlich immer alle hier. Wir bewundern ihren erstaunlich neuen Lada, auf den sie sehr stolz sind. Wir schenken dem Kind ein paar Luftballons und man wünscht sich gegenseitig gute Fahrt.