Über dieses Buch

Die Satire auf Willkür, verdrehtes Recht, Heuchelei und egoistische Gier berichtet vom Hoftag des Königs Nobel, den Klagen verschiedener Tiere gegen den listigen Fuchs Reineke, dessen Schandtaten, seiner Ladung durch drei Boten, der Gerichtsverhandlung, dem Zweikampf zwischen Fuchs und Wolf, den der Fuchs unfair gewinnt, von den phantasievollen Lügen des listigen Reineke, die ihm Strafaufschub, die Gunst des Königs und am Ende das Kanzleramt bescheren.

Der Autor

Johann Wolfgang von Goethe, geboren am 28. August 1749 in Frankfurt am Main, gestorben am 22. März 1832 in Weimar. Den deutschen Dichterfürsten kennt jedes Kind. Sein Name ist untrennbar verknüpft mit Idealismus, Sturm und Drang, Weimarer Klassik. Über ihn allzu viele Worte zu machen, hieße Eulen nach Athen tragen. Der Frankfurter Hautevolee entstammend, sein Vater Kaiserlicher Rat ohne Amtsausübung, die Mutter Tochter des Stadtschultheißen, studiert er in Leipzig und Straßburg Rechtswissenschaft, arbeitet als Jurist in Wetzlar und Frankfurt. Nach einem nationalen Erfolg mit dem Drama Götz von Berlichingen, 1773, gelingt ihm 1774 mit dem Briefroman Die Leiden des jungen Werthers, Schlüsselroman des Sturm und Drang, ein europäischer Erfolg, erster Bestseller deutscher Literatur, Mitauslöser von "Lesewut" und "Nachahmungsselbstmord-Epidemie". 1775 kommt er als Freund und Minister des Herzogs Carl August nach Weimar. Neben politischen und administrativen Aufgaben leitet er das Hoftheater. Umfang und Vielfalt all der Tätigkeiten bedingen eine Vernachlässigung seiner schöpferischen Fähigkeiten und führen nach einem Weimarer Jahrzehnt in die Krise. Er flieht nach Italien, wo er seine Wiedergeburt erlebt, Tasso, Iphigenie und Egmont vollendet. Nach seiner Rückkehr, von Amtspflichten weitgehend befreit, hat er nur noch repräsentativen Aufgaben nachzukommen. Goethe erschafft Lyrik, Dramen, Epik, autobiografische, kunst- und literaturtheoretische Schriften, naturwissenschaftliche Arbeiten sowie Briefe und Gespräche von literarischer Bedeutung. Wilhelm Meister begründet den deutschen Künstler- und Bildungsroman, und Faust bleibt für immer eine der größten Schöpfungen der Weltliteratur.

Der Herausgeber

Joerg K. Sommermeyer (JS), * 14.10.1947 in Brackenheim, Sohn des Physikers Prof. Dr. Kurt Hans Sommermeyer (* 23. März 1906, Schleusingen/Thüringen - † 13. Februar 1969, Freiburg i. Brsg./Bd.-Wrtt.). Kindheit in Freiburg. Studierte Jura, Philosophie, Germanistik, Geschichte und Musikwissenschaft. Klassische Gitarre bei Viktor v. Hasselmann und Anton Stingl. Unterrichtete in den späten Sechzigern Gitarre am Kindergärtnerinnen-/Jugendleiterinnenseminar und in den Achtzigern Rechtsanwaltsgehilfinnen in spe an der Max-Weber-Schule in Freiburg. 1976 bis 2004 Rechtsanwalt in Freiburg. Setzte sich für eine Verstärkung des Rechtsschutzes bei Grundrechtseingriffen ein (Unterbringungsrecht, Untersuchungshaft, Durchsuchungsrecht). Zahlreiche Veröffentlichungen in juristischen Fachzeitschriften sowie Artikel in Musikblättern. Gründer und Vorsitzender der Internationalen Gitarristischen Vereinigung, Organisator und Künstlerischer Leiter der Freiburger Gitarren- und Lautentage, Herausgeber und Redakteur der Zeitschrift Nova Giulianiad: Saitenblätter für die Gitarre und Laute. Juror beim Schlesischen Gitarrenherbst in Tychy und Internationalen Gitarrenkongress Freiburg/Basel/Straßburg. Komponierte Songs, schrieb Liedtexte, Arrangements, Instrumentalmusik. 7 CDs, u. a.: Total Overdrive, Those Rocks & Lieders, Nel Cuore Romanzo Rock, Ergo, 7 Celebrities. Prosa: Anton Unbekannt, Pathoaphysischer Antiroman, Tragigroteskenfragment, 2008/2009; Vernimm mein Schreien, 2017/2018. Lieblingsmärchen, 2017/2018. Edition von Werken Josefa Gerhäusers, Franz Trellers, Oskar Panizzas, Fritz von Ostinis, Hugo Balls, Carl Einsteins, Ludwig Rubiners, Franz Kafkas, Heinrich von Kleists, Christian Morgensterns, Robert Müllers, Joseph von Eichendorffs, Adelbert von Chamissos, Georg Büchners, Denis Diderots, Wilhelm Heinrich Wackenroders, E. T. A. Hoffmanns, Rainer Maria Rilkes, Annette von Droste-Hülshoffs, Jeremias Gotthelfs und Marie von Ebner-Eschenbachs. Joerg K. Sommermeyer (JS) lebt in Berlin.

Orlando Syrg, Berlin, 14. August 2018

MMXVIII

1. Auflage 2018

Orlando Syrg, Berlin (vormals Freiburg i. Brsg.)

Orlando Syrg Taschenbuch

ORSYTA 142018

Reihe Alte Tradition Azurcelesteblueoscuro

RAT ACBO 10

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Revision, Herausgabe und Nachwort:

Joerg K. Sommermeyer

Umschlaggestaltung (unter Verwendung des Gemäldes von Franz Marc, "Füchse", 1913, auf der Vorderseite): JS

Lektorat, Satz und Layout: Rolf Rachfransky, JS, Maria Messall, Ton

Unbe, Kurt Marie, Christa Seehak, Hans Ohnson, Lars Penath

Herstellung, Verlag BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt

Made in Germany

ISBN 9783752846041

Inhalt

Reineke Fuchs

In zwölf Gesängen

Erstdruck in »Neue Schriften« bei Johann Friedrich Unger, Berlin 1794.

Erster Gesang

Pfingsten, das liebliche Fest, war gekommen; es grünten und blühten

Feld und Wald; auf Hügeln und Höhn, in Büschen und Hecken

Übten ein fröhliches Lied die neuermunterten Vögel;

Jede Wiese sprosste von Blumen in duftenden Gründen,

Festlich heiter glänzte der Himmel und farbig die Erde.

Nobel, der König, versammelt den Hof; und seine Vasallen

Eilen gerufen herbei mit großem Gepränge; da kommen

Viele stolze Gesellen von allen Seiten und Enden,

Lütke, der Kranich, und Markart, der Häher, und alle die Besten.

Denn der König gedenkt mit allen seinen Baronen

Hof zu halten in Feier und Pracht; er lässt sie berufen

Alle miteinander, so gut die Großen als Kleinen.

Niemand sollte fehlen! und dennoch fehlte der eine,

Reineke Fuchs, der Schelm! der viel begangenen Frevels

Halben des Hofs sich enthielt. So scheuet das böse Gewissen

Licht und Tag, es scheute der Fuchs die versammelten Herren.

Alle hatten zu klagen, er hatte sie alle beleidigt,

Und nur Grimbart, den Dachs, den Sohn des Bruders, verschont' er.

Isegrim aber, der Wolf, begann die Klage; von allen

Seinen Vettern und Gönnern, von allen Freunden begleitet,

Trat er vor den König und sprach die gerichtlichen Worte:

»Gnädigster König und Herr! vernehmet meine Beschwerden.

Edel seid Ihr und groß und ehrenvoll, jedem erzeigt Ihr

Recht und Gnade: so lasst Euch denn auch des Schadens erbarmen,

Den ich von Reineke Fuchs mit großer Schande gelitten.

Aber vor allen Dingen erbarmt Euch, dass er mein Weib so

Freventlich öfters verhöhnt und meine Kinder verletzt hat.

Ach! er hat sie mit Unrat besudelt, mit ätzendem Unflat,

Dass mir zu Hause noch drei in bittrer Blindheit sich quälen.

Zwar ist alle der Frevel schon lange zur Sprache gekommen,

Ja, ein Tag war gesetzt, zu schlichten solche Beschwerden;

Er erbot sich zum Eide, doch bald besann er sich anders

Und entwischte behänd nach seiner Feste. Das wissen

Alle Männer zu wohl, die hier und neben mir stehen.

Herr! ich könnte die Drangsal, die mir der Bube bereitet,

Nicht mit eilenden Worten in vielen Wochen erzählen.

Würde die Leinwand von Gent, so viel auch ihrer gemacht wird,

Alle zu Pergament, sie fasste die Streiche nicht alle,

Und ich schweige davon. Doch meines Weibes Entehrung

Frisst mir das Herz; ich räche sie auch, es werde, was wolle.«

Als nun Isegrim so mit traurigem Mute gesprochen,

Trat ein Hündchen hervor, hieß Wackerlos, redete französisch

Vor dem König: wie arm es gewesen und nichts ihm geblieben

Als ein Stückchen Wurst in einem Wintergebüsche;

Reineke hab auch das ihm genommen! Jetzt sprang auch der Kater

Hinze zornig hervor und sprach: »Erhabner Gebieter,

Niemand beschwere sich mehr, dass ihm der Bösewicht schade,

Denn der König allein! Ich sag Euch, in dieser Gesellschaft

Ist hier niemand, jung oder alt, er fürchtet den Frevler

Mehr als Euch! Doch Wackerlos' Klage will wenig bedeuten,

Schon sind Jahre vorbei, seit diese Händel geschehen;

Mir gehörte die Wurst! ich sollte mich damals beschweren.

Jagen war ich gegangen: auf meinem Wege durchsucht ich

Eine Mühle zu Nacht; es schlief die Müllerin; sachte

Nahm ich ein Würstchen, ich will es gestehn; doch hatte zu dieser

Wackerlos irgend ein Recht, so dankt' er's meiner Bemühung.«

Und der Panther begann: »Was helfen Klagen und Worte!

Wenig richten sie aus, genug, das Übel ist ruchtbar.

Er ist ein Dieb, ein Mörder! Ich darf es kühnlich behaupten,

Ja, es wissen's die Herren, er übet jeglichen Frevel.

Möchten doch alle die Edlen, ja selbst der erhabene König

Gut und Ehre verlieren; er lachte, gewänn er nur etwa

Einen Bissen dabei von einem fetten Kapaune.

Lasst Euch erzählen, wie er so übel an Lampen, dem Hasen,

Gestern tat; hier steht er! der Mann, der keinen verletzte.

Reineke stellte sich fromm und wollt ihn allerlei Weisen

Kürzlich lehren und was zum Kaplan noch weiter gehöret,

Und sie setzten sich gegeneinander, begannen das Credo.

Aber Reineke konnte die alten Tücken nicht lassen;

Innerhalb unsers Königes Fried' und freiem Geleite

Hielt er Lampen gefasst mit seinen Klauen und zerrte

Tückisch den redlichen Mann. Ich kam die Straße gegangen,

Hörte beider Gesang, der, kaum begonnen, schon wieder

Endete. Horchend wundert ich mich, doch als ich hinzukam,

Kannt ich Reineken stracks, er hatte Lampen beim Kragen;

Ja, er hätt ihm gewiss das Leben genommen, wofern ich

Nicht zum Glücke des Wegs gekommen wäre. Da steht er!

Seht die Wunden an ihm, dem frommen Manne, den keiner

Zu beleidigen denkt. Und will es unser Gebieter,

Wollt ihr Herren es leiden, dass so des Königes Friede,

Sein Geleit und Brief von einem Diebe verhöhnt wird,

Oh, so wird der König und seine Kinder noch späten

Vorwurf hören von Leuten, die Recht und Gerechtigkeit lieben.«

Isegrim sagte darauf: »So wird es bleiben, und leider

Wird uns Reineke nie was Gutes erzeigen. Oh! läg er

Lange tot; das wäre das beste für friedliche Leute;

Aber wird ihm diesmal verziehn, so wird er in kurzem

Etliche kühnlich berücken, die nun es am wenigsten glauben.«

Reinekens Neffe, der Dachs, nahm jetzt die Rede, und mutig

Sprach er zu Reinekens Bestem, so falsch auch dieser bekannt war.

»Alt und wahr, Herr Isegrim!« sagt' er, »beweist sich das Sprichwort:

Feindes Mund frommt selten. So hat auch wahrlich mein Oheim

Eurer Worte sich nicht zu getrösten. Doch ist es ein leichtes.

Wär er hier am Hofe so gut als Ihr und erfreut' er

Sich des Königes Gnade, so möcht es Euch sicher gereuen,

Dass Ihr so hämisch gesprochen und alte Geschichten erneuert.

Aber was Ihr Übels an Reineken selber verübet,

Übergeht Ihr; und doch, es wissen es manche der Herren,

Wie ihr zusammen ein Bündnis geschlossen und beide versprochen,

Als zwei gleiche Gesellen zu leben. Das muss ich erzählen;

Denn im Winter einmal erduldet' er große Gefahren

Euretwegen. Ein Fuhrmann, er hatte Fische geladen,

Fuhr die Straße; Ihr spürtet ihn aus und hättet um alles

Gern von der Ware gegessen; doch fehlt' es Euch leider am Gelde.

Da beredetet Ihr den Oheim, er legte sich listig

Grade für tot in den Weg. Es war, beim Himmel, ein kühnes

Abenteuer! Doch merket, was ihm für Fische geworden.

Und der Fuhrmann kam und sah im Gleise den Oheim,

Hastig zog er sein Schwert, ihm eins zu versetzen; der Kluge

Rührt' und regte sich nicht, als wär er gestorben; der Fuhrmann

Wirft ihn auf seinen Karrn und freut sich des Balges im voraus.

Ja, das wagte mein Oheim für Isegrim; aber der Fuhrmann

Fuhr dahin, und Reineke warf von den Fischen herunter.

Isegrim kam von ferne geschlichen, verzehrte die Fische.

Reineken mochte nicht länger zu fahren belieben; er hub sich,

Sprang vom Karren und wünschte nun auch von der Beute zu speisen.

Aber Isegrim hatte sie alle verschlungen; er hatte

Über Not sich beladen, er wollte bersten. Die Gräten

Ließ er allein zurück und bot dem Freunde den Rest an.

Noch ein anderes Stückchen! auch dies erzähl ich Euch wahrhaft.

Reineken war es bewusst, bei einem Bauer am Nagel

Hing ein gemästetes Schwein, erst heute geschlachtet; das sagt'er

Treu dem Wolfe: sie gingen dahin, Gewinn und Gefahren

Redlich zu teilen. Doch Müh und Gefahr trug jener alleine.

Denn er kroch zum Fenster hinein und warf mit Bemühen

Die gemeinsame Beute dem Wolf herunter; zum Unglück

Waren Hunde nicht fern, die ihn im Hause verspürten

Und ihm wacker das Fell zerzausten. Verwundet entkam er;

Eilig sucht' er Isegrim auf und klagt' ihm sein Leiden

Und verlangte sein Teil. Da sagte jener: ›Ich habe

Dir ein köstliches Stück verwahrt; nun mache dich drüber

Und benage mir's wohl; wie wird das Fette dir schmecken!‹

Und er brachte das Stück; das Krummholz war es, der Schlächter

Hatte daran das Schwein gehängt; der köstliche Braten

War vom gierigen Wolfe, dem Ungerechten, verschlungen.

Reineke konnte vor Zorn nicht reden, doch was er sich dachte,

Denket Euch selbst. Herr König, gewiss, dass hundert und drüber

Solcher Stückchen der Wolf an meinem Oheim verschuldet!

Aber ich schweige davon. Wird Reineke selber gefordert,

Wird er sich besser verteid'gen. Indessen, gnädigster König,

Edler Gebieter, ich darf es bemerken: Ihr habet, es haben

Diese Herren gehört, wie töricht Isegrims Rede

Seinem eignen Weibe und ihrer Ehre zu nah tritt,

Die er mit Leib und Leben beschützen sollte. Denn freilich

Sieben Jahre sind's her und drüber, da schenkte mein Oheim

Seine Lieb und Treue zum guten Teile der schönen

Frauen Gieremund; solches geschah beim nächtlichen Tanze;

Isegrim war verreist, ich sag es, wie mir's bekannt ist.

Freundlich und höflich ist sie ihm oft zu Willen geworden,

Und was ist es denn mehr? Sie bracht es niemals zur Klage,

Ja, sie lebt und befindet sich wohl, was macht er für Wesen?

Wär er klug, so schwieg' er davon; es bringt ihm nur Schande.«

Weiter sagte der Dachs: »Nun kommt das Märchen vom Hasen!

Eitel leeres Gewäsche! Den Schüler sollte der Meister

Etwa nicht züchtigen, wenn er nicht merkt und übel bestehet?

Sollte man nicht die Knaben bestrafen, und ginge der Leichtsinn,

Ginge die Unart so hin, wie sollte die Jugend erwachsen?

Nun klagt Wackerlos, wie er ein Würstchen im Winter verloren

Hinter der Hecke; das sollt er nun lieber im Stillen verschmerzen;

Denn wir hören es ja, sie war gestohlen; zerronnen

Wie gewonnen; und wer kann meinem Oheim verargen,

Dass er gestohlenes Gut dem Diebe genommen? Es sollen

Edle Männer von hoher Geburt sich gehässig den Dieben

Und gefährlich erzeigen. Ja, hätt er ihn damals gehangen,

War es verzeihlich. Doch ließ er ihn los, den König zu ehren;

Denn am Leben zu strafen gehört dem König alleine.

Aber wenigen Danks kann sich mein Oheim getrösten,

So gerecht er auch sei und Übeltaten verwehret.

Denn seitdem des Königs Friede verkündiget worden,

Hält sich niemand wie er. Er hat sein Leben verändert,

Speiset nur einmal des Tags, lebt wie ein Klausner, kasteit sich,

Trägt ein härenes Kleid auf bloßem Leibe und hat schon

Lange von Wildbret und zahmem Fleische sich gänzlich enthalten,

Wie mir noch gestern einer erzählte, der bei ihm gewesen.

Malepartus, sein Schloss, hat er verlassen und baut sich

Eine Klause zur Wohnung. Wie er so mager geworden,

Bleich von Hunger und Durst und andern strengeren Bußen,

Die er reuig erträgt, das werdet Ihr selber erfahren.

Denn was kann es ihm schaden, dass hier ihn jeder verklaget?

Kommt er hieher, so führt er sein Recht aus und macht sie zuschanden.«

Als nun Grimbart geendigt, erschien zu großem Erstaunen

Henning, der Hahn, mit seinem Geschlecht. Auf trauriger Bahre,

Ohne Hals und Kopf, ward eine Henne getragen,

Kratzfuß war es, die beste der eierlegenden Hennen.

Ach, es floss ihr Blut, und Reineke hatt es vergossen!

Jetzo sollt es der König erfahren. Als Henning, der wackre,

Vor dem König erschien, mit höchstbetrübter Gebärde,

Kamen mit ihm zwei Hähne, die gleichfalls trauerten. Kreyant

Hieß der eine, kein besserer Hahn war irgend zu finden

Zwischen Holland und Frankreich; der andere durft ihm zur Seite

Stehen, Kantart genannt, ein stracker, kühner Geselle;

Beide trugen ein brennendes Licht: sie waren die Brüder

Der ermordeten Frau. Sie riefen über den Mörder

Ach und Weh! Es trugen die Bahr zwei jüngere Hähne,

Und man konnte von fern die Jammerklage vernehmen.

Henning sprach: »Wir klagen den unersetzlichen Schaden,

Gnädigster Herr und König! Erbarmt Euch, wie ich verletzt bin,

Meine Kinder und ich. Hier seht Ihr Reinekens Werke!

Als der Winter vorbei und Laub und Blumen und Blüten

Uns zur Fröhlichkeit riefen, erfreut ich mich meines Geschlechtes,

Das so munter mit mir die schönen Tage verlebte!

Zehen junge Söhne, mit vierzehn Töchtern, sie waren

Voller Lust zu leben; mein Weib, die treffliche Henne,

Hatte sie alle zusammen in einem Sommer erzogen.

Alle waren so stark und wohl zufrieden, sie fanden

Ihre tägliche Nahrung an wohlgesicherter Stätte.

Reichen Mönchen gehörte der Hof, uns schirmte die Mauer,

Und sechs große Hunde, die wackern Genossen des Hauses,

Liebten meine Kinder und wachten über ihr Leben;

Reineken aber, den Dieb, verdross es, dass wir in Frieden

Glückliche Tage verlebten und seine Ränke vermieden.

Immer schlich er bei Nacht um die Mauer und lauschte beim Tore;

Aber die Hunde bemerkten's; da mocht er laufen! Sie fassten

Wacker ihn endlich einmal und ruckten das Fell ihm zusammen;

Doch er rettete sich und ließ uns ein Weilchen in Ruhe.

Aber nun höret mich an! Es währte nicht lange, so kam er

Als ein Klausner und brachte mir Brief und Siegel. Ich kannt es:

Euer Siegel sah ich am Briefe; da fand ich geschrieben,

Dass Ihr festen Frieden so Tieren als Vögeln verkündigt.

Und er zeigte mir an: er sei ein Klausner geworden,

Habe strenge Gelübde getan, die Sünden zu büßen,

Deren Schuld er leider bekenne. Da habe nun keiner

Mehr vor ihm sich zu fürchten. Er habe heilig gelobet,

Nimmermehr Fleisch zu genießen. Er ließ mich die Kutte beschauen,

Zeigte sein Skapulier. Daneben wies er ein Zeugnis,

Das ihm der Prior gestellt, und, um mich sicher zu machen,

Unter der Kutte ein härenes Kleid. Dann ging er und sagte:

›Gott dem Herren seid mir befohlen! ich habe noch vieles

Heute zu tun! ich habe die Sext und die None zu lesen

Und die Vesper dazu.‹ Er las im Gehen und dachte

Vieles Böse sich aus, er sann auf unser Verderben.

Ich mit erheitertem Herzen erzählte geschwinde den Kindern

Eures Briefes fröhliche Botschaft, es freuten sich alle.

Da nun Reineke Klausner geworden, so hatten wir weiter

Keine Sorge noch Furcht. Ich ging mit ihnen zusammen

Vor die Mauer hinaus, wir freuten uns alle der Freiheit.

Aber leider bekam es uns übel. Er lag im Gebüsche.

Hinterlistig; da sprang er hervor und verrannt uns die Pforte;

Meiner Söhne schönsten ergriff er und schleppt' ihn von dannen,

Und nun war kein Rat, nachdem er sie einmal gekostet;

Immer versucht' er es wieder; und weder Jäger noch Hunde

Konnten vor seinen Ränken bei Tag und Nacht uns bewahren.

So entriss er mir nun fast alle Kinder; von zwanzig

Bin ich auf fünfe gebracht, die andern raubt' er mir alle.

Oh, erbarmt Euch des bittern Schmerzes! Er tötete gestern

Meine Tochter, es haben die Hunde den Leichnam gerettet.

Seht, hier liegt sie! Er hat es getan, oh! nehmt es zu Herzen!«

Und der König begann: »Kommt näher, Grimbart, und sehet,

Also fastet der Klausner, und so beweist er die Buße!

Leb ich noch aber ein Jahr, so soll es ihn wahrlich gereuen!

Doch was helfen die Worte! Vernehmet, trauriger Henning:

Eurer Tochter ermangl' es an nichts, was irgend den Toten

Nur zu Rechte geschieht. Ich lass ihr Vigilie singen,

Sie mit großer Ehre zur Erde bestatten; dann wollen

Wir mit diesen Herren des Mordes Strafe bedenken.«

Da gebot der König, man solle Vigilie singen.

Domino placebo begann die Gemeine, sie sangen

Alle Verse davon. Ich könnte ferner erzählen,

Wer die Lektion gesungen und wer die Responsen;

Aber es währte zu lang, ich lass es lieber bewenden.

In ein Grab ward die Leiche gelegt und drüber ein schöner

Marmorstein, poliert wie ein Glas, gehauen im Viereck,

Groß und dick, und oben darauf war deutlich zu lesen:

»Kratzefuß, Tochter Hennings des Hahns, die beste der Hennen,

Legte viel Eier ins Nest und wusste klüglich zu scharren.

Ach, hier liegt sie! durch Reinekens Mord den Ihren genommen.

Alle Welt soll erfahren, wie bös und falsch er gehandelt,

Und die Tote beklagen.« So lautete, was man geschrieben.

Und es ließ der König darauf die Klügsten berufen,

Rat mit ihnen zu halten, wie er den Frevel bestrafte,

Der so klärlich vor ihn und seine Herren gebracht war.

Und sie rieten zuletzt: man habe dem listigen Frevler

Einen Boten zu senden, dass er um Liebes und Leides

Nicht sich entzöge, er solle sich stellen am Hofe des Königs

An dem Tage der Herrn, wenn sie zunächst sich versammeln;

Braun, den Bären, ernannte man aber zum Boten. Der König

Sprach zu Braun, dem Bären: »Ich sag es, Euer Gebieter,

Dass Ihr mit Fleiß die Botschaft verrichtet! Doch rat ich zur Vorsicht:

Denn es ist Reineke falsch und boshaft, allerlei Listen

Wird er gebrauchen, er wird Euch schmeicheln, er wird Euch belügen,

Hintergehen, wie er nur kann.« – »Mitnichten«, versetzte

Zuversichtlich der Bär, »bleibt ruhig! Sollt er sich irgend

Nur vermessen und mir zum Hohne das mindeste wagen,

Seht, ich schwör es bei Gott! der möge mich strafen, wofern ich

Ihm nicht grimmig vergölte, dass er zu bleiben nicht wüsste.«

Zweiter Gesang

Also wandelte Braun auf seinem Weg zum Gebirge

Stolzen Mutes dahin, durch eine Wüste, die groß war,

Lang und sandig und breit; und als er sie endlich durchzogen,

Kam er gegen die Berge, wo Reineke pflegte zu jagen;

Selbst noch Tages zuvor hatt er sich dorten erlustigt.

Aber der Bär ging weiter nach Malepartus; da hatte

Reineke schöne Gebäude. Von allen Schlössern und Burgen,

Deren ihm viele gehörten, war Malepartus die beste.

Reineke wohnte daselbst, sobald er Übels besorgte.

Braun erreichte das Schloss und fand die gewöhnliche Pforte

Fest verschlossen. Da trat er davor und besann sich ein wenig;

Endlich rief er und sprach: »Herr Oheim, seid Ihr zu Hause?

Braun, der Bär, ist gekommen, des Königs gerichtlicher Bote.

Denn es hat der König geschworen, Ihr sollet bei Hofe

Vor Gericht Euch stellen, ich soll Euch holen, damit Ihr

Recht zu nehmen und Recht zu geben keinem verweigert,

Oder es soll Euch das Leben kosten; denn bleibt Ihr dahinten,

Ist mit Galgen und Rad Euch gedroht. Drum wählet das Beste,

Kommt und folget mir nach, sonst möcht es Euch übel bekommen.«

Reineke hörte genau vom Anfang zum Ende die Rede,

Lag und lauerte still und dachte: Wenn es gelänge,

Dass ich dem plumpen Kumpan die stolzen Worte bezahlte?

Lasst uns die Sache bedenken. Er ging in die Tiefe der Wohnung

In die Winkel des Schlosses, denn künstlich war es gebauet:

Löcher fanden sich hier und Höhlen mit vielerlei Gängen,

Eng und lang, und mancherlei Türen zum Öffnen und Schließen,

Wie es Zeit war und Not. Erfuhr er, dass man ihn suchte

Wegen schelmischer Tat, da fand er die beste Beschirmung.

Auch aus Einfalt hatten sich oft in diesen Mäandern

Arme Tiere gefangen, willkommene Beute dem Räuber.

Reineke hatte die Worte gehört, doch fürchtet' er klüglich,

Andre möchten noch neben dem Boten im Hinterhalt liegen.

Als er sich aber versichert, der Bär sei einzeln gekommen,

Ging er listig hinaus und sagte: »Wertester Oheim,

Seid willkommen! Verzeiht mir! ich habe Vesper gelesen,

Darum ließ ich Euch warten. Ich dank Euch, dass Ihr gekommen,

Denn es nutzt mir gewiss bei Hofe, so darf ich es hoffen.

Seid zu jeglicher Stunde, mein Oheim, willkommen! Indessen

Bleibt der Tadel für den, der Euch die Reise befohlen,

Denn sie ist weit und beschwerlich. O Himmel! wie Ihr erhitzt seid!

Eure Haare sind nass und Euer Odem beklommen.

Hatte der mächtige König sonst keinen Boten zu senden

Als den edelsten Mann, den er am meisten erhöhet?

Aber so sollt es wohl sein zu meinem Vorteil; ich bitte,

Helft mir am Hofe des Königs, allwo man mich übel verleumdet.

Morgen, setzt ich mir vor, trotz meiner misslichen Lage,

Frei nach Hofe zu gehen, und so gedenk ich noch immer;

Nur für heute bin ich zu schwer, die Reise zu machen.

Leider hab ich zuviel von einer Speise gegessen,

Die mir übel bekommt; sie schmerzt mich gewaltig im Leibe.«

Braun versetzte darauf: »Was war es, Oheim?« Der andre

Sagte dagegen: »Was könnt es Euch helfen, und wenn ich's erzählte.

Kümmerlich frist ich mein Leben; ich leid es aber geduldig,

Ist ein armer Mann doch kein Graf! und findet zuweilen

Sich für uns und die Unsern nichts Besseres, müssen wir freilich

Honigscheiben verzehren, die sind wohl immer zu haben.

Doch ich esse sie nur aus Not; nun bin ich geschwollen.

Wider Willen schluckt ich das Zeug, wie sollt es gedeihen?

Kann ich es immer vermeiden, so bleibt mir's ferne vom Gaumen.«