Exemplarische Werke der Weltliteratur

herausgegeben von

Joerg K. Sommermeyer

Über dieses Buch und den Autor

Er persifliert Faust (Kakerlak), greift fast jeden und alles an: die Obrigkeit, akademische Weisheit, intellektuelle Borniertheit, Welterklärungen, Systembildungen, Lehrgebäude, ihre Exponenten, Lebenshaltungen, pädagogische Modelle, Erziehungspraxis, naiven Optimismus, zweifelhafte Empfindsamkeit (»Nationalkrankheit«), zwanghafte Kategorisierung. Er kämpft gegen Vorurteile, übertreibt Zustände, Gründe und Konsequenzen ins Groteske, nimmt aufs haargenaue satirische Korn, setzt sich dabei immer bei aller Kritik und Skepsis leidenschaftlich, witzig, pointiert und kompromisslos für Wahrheit und Freiheit ein. Der Falschheit, Lüge, Attitüde und Opportunismus karikierende und geißelnde pessimistische »Wahrheitssager« kommt freilich nicht gut an. Was Wunder, dass der »Sonderling von Sondershausen« (Hermann Marggraff, 1837) sich bald zwischen allen Stühlen sitzend wiederfindet, von nahezu allen Seiten angefeindet; ausgeschlossen, verboten, isoliert. Erst nach über 150 Jahren Vergessenheit bricht Arno Schmidt 1959 mit seinem Funkessay »Belphegor oder Wie ich euch hasse« eine Lanze für ihn.

Vieles vom Leben »eines der vorzüglichsten Schriftsteller Deutschlands« (Kirchensterberegister) scheint umschattet, zweifelhaft, mutmaßlich. Johann Karl Wezel erblickt, (nach kirchlichen Aufzeichnungen) als Sohn des fürstlichen Reisemundkochs Johann Christoph Wezel und seiner Frau Juliane, geb. Blättermann, am 31. Oktober 1747 im thüringischen Sondershausen das Licht der Welt. Er meint, ein illegitimer Spross des Fürsten Heinrich I. von Schwarzburg-Sondershausen zu sein. Sein Elternhaus ist ärmlich, er lebt bei seinen Großeltern. 1758 stirbt sein Vater, und Wezel kommt aufs Gymnasium. Er geigt virtuos. 1765-1769 Studium der Theologie, Rechtswissenschaft, Philosophie und Philologie (ohne Abschluss) in Leipzig, wo er auf Vermittlung seines Lehrers Nikolaus Dietrich Giseke (1724-1765; Schriftsteller, seit 1760 Superintendent und Konsistorialassessor in Sondershausen) bei Christian Fürchtegott Geliert (1715-1769; Moralphilosoph der Aufklärung, zu Lebzeiten neben Christian Felix Weiße meistgelesener deutscher Schriftsteller) wohnt. Wezel beschäftigt sich mit französischem Materialismus (Holbach, Helvétius) und englischem Empirismus (Locke), wird beeinflusst von Julien Offray de La Mettrie (L'Homme Machine, 1748), Voltaire, Rousseau und Pierre Carlet de Marivaux (1688-1763). Die Werke von Henry Fielding (1707-1754), Tobias Smollett (1721-1771), Laurence Sterne (1713-1768; Tristram Shandy, 1759 ff), Jonathan Swift (1667-1745; Gulliver's Travels, 1726; A Modest Proposal for Preventing the Children of Poor People from Being a Burthen, 1729) wirken stark auf ihn. Die »Schulgelehrsamkeit« beurteilt er zunehmend negativ. Hauslehrer in Bautzen und Berlin. 1775 Reise nach Wiemar (Kontakt zu Wieland; Zerwürfnis nach Veröffentlichung des Belphegor). Seit 1777 freier Schriftsteller in Leipzig. Von 1772-1787 verfasst Wezel den Hauptteil seines Werks; neben den im vorliegenden Band versammelten Satiren sind zu erwähnen: Lebensgeschichte Tobias Knauts des Weisen, 1773 ff; Belphegor, 1776; Hermann und Ulrike, 1780; Wilhelmine Arend oder die Gefahren der Empfindsamkeit, 1782; Versuch über die Kenntnis des Menschen, 1784 ff. (5 Bände geplant). Reisen nach Sankt Petersburg, Paris, London. 1781 Wellen schlagender polemischer Streit mit dem Leipziger Universitätsprofessor Ernst Platner (1744-1818), der Wezel überaus schadet. 1782 Reise nach Wien; mit seinem die Theaterverhältnisse karikierenden Lustspiel Die Komödianten stößt er die Spitzen des Nationaltheaters vor den Kopf. 1783 wieder in Leipzig, und 1788 (wegen seiner Isolierung, Armut, Zensur?) erkrankt er physisch und psychisch (Depression), kehrt in der Folgezeit nach Sondershausen zurück, stirbt am 28. Januar 1819. August Blumröder (1776-1860), unter dessen Kuratel er gestellt, verunglimpft ihn postum, webt maßgeblich an der Legende seines »Wahnsinns« (Johann Karl Wezel, Fragmente über sein Leben und seinen Wahnsinn, 1833).

Der Herausgeber

Joerg K. Sommermeyer (JS), * 14.10.1947 in Brackenheim, Sohn des Physikers Prof. Dr. Kurt Hans Sommermeyer. Kindheit in Freiburg. Studierte Jura, Philosophie, Germanistik, Geschichte und Musikwissenschaft. Klassische Gitarre bei Viktor v. Hasselmann und Anton Stingl. Unterrichtete in den späten Sechzigern Gitarre am Kindergärtnerinnen-/Jugendleiterinnenseminar und in den Achtzigern Rechtsanwaltsgehilfinnen in spe an der Max-Weber-Schule in Freiburg. 1976 bis 2004 Rechtsanwalt in Freiburg. Zahlreiche Veröffentlichungen.

Orlando Syrg, Berlin, 22. April 2019

MMXIX

1. Auflage 2019

Orlando Syrg, Berlin (vormals Freiburg i. Brsg.)

Orlando Syrg Taschenbuch

ORSYTA92019

Reihe Alte Tradition Azurcelesteblueoscuro

RAT ACBO 21

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm
oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter
Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Durchsicht, Revision und Herausgabe:

Joerg K. Sommermeyer

Umschlaggestaltung (unter Verwendung eines Gemäldes von

Liliane Doms, Schalk, 2015, auf der Vorderseite): JS

Lektorat, Satz und Layout: Roland König, JS, Ton Unbe, Waltraut
Schmidt, Arno Schwabe, Paul Deros, Marga Sadau, Lars Penath

Herstellung, Vertrieb, Verlag BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt

Made in Germany

ISBN 9783749472406

Inhalt
Kakerlak
oder
die Geschichte eines Rosenkreuzers

[Johann Gottfried Dyck, Frankfurt / Leipzig 1784]

Die Rosenkreuzer waren eine Gesellschaft, von welcher man seit dem Jahre 1610 sehr viel sprach, ohne dass man jemals die mindeste Spur von ihrem Dasein entdecken konnte. Das Lustigste war, dass damals alle Paracelsisten, Alchimisten und andere Weisen von dieser Art dazugehören wollten, und jeder von ihnen schrieb seine eigenen Meinungen den Brüdern des Rosenkreuzes zu. Die Lobsprüche, womit die Bruderschaft öffentlich überhäuft wurde, brachten einige fromme Leute auf, die nicht ermangelten, ihr an allem möglichen Bösen Schuld zu geben, und keinem fiel die Frage ein, ob es wirklich Rosenkreuzer gäbe.

Unterdessen sagte man sich öffentlich, dass jetzt eine sehr merkwürdige, bisher verborgene Gesellschaft zum Vorschein käme, die ihren Ursprung Christian Rosenkreuzen verdankte. Man setzte hinzu, dass dieser Mann, der 1387 geboren wäre, eine Reise ins Gelobte Land zum Heiligen Grabe getan und zu Damasco Unterredungen mit chaldäischen Weisen gehabt hätte. Von diesen sollte er geheime Wissenschaften, besonders die Magie und Kabbala, erlernt und sie auf seinen Reisen in Ägypten und Libyen bis zur Vollkommenheit studiert haben. Nach seiner Zurückkunft in sein Vaterland, erzählte man weiter, fasste er den edelmütigen Entschluss, die Wissenschaften zu verbessern, und stiftete zu diesem Endzweck eine geheime Gesellschaft, die aus einer kleinen Anzahl von Mitgliedern bestand. Er entdeckte seinen Auserwählten die tiefen Geheimnisse, die er besaß, nachdem sie ihm vorher einen Eid geschworen hatten, dass sie nichts davon bekanntmachen und sie auf ebendieselbe Art der Nachkommenschaft überliefern wollten.

Um dieser Erzählung mehr Gewicht zu geben, erschienen zwei Schriften, worin die Geheimnisse der Bruderschaft offenbart wurden; eine hat den Titel »Fama fraternitatis, id est, detectio fraternitatis laudabilis ordinis roseae-crucis«, die andere »Confessio fraternitatis« erschien lateinisch und deutsch.

In diesen beiden Werken schreibt man der Gesellschaft außer einer besondern Offenbarung, die ein jeder Bruder für sich erhalten haben sollte, und außer dem Vorsatze, alle Wissenschaften, besonders die Arzneikunst und Philosophie, zu reformieren, auch vorzüglich den Stein der Weisen zu; durch diesen sollten sie eine Universalarznei, die Veredlung der Metalle und Mittel, das Leben zu verlängern, gefunden haben; zuletzt wird ein goldnes Jahrhundert angekündigt, wo alle Arten der Glückseligkeit auf unserem Planeten herrschen werden.

Da diese beiden Schriften viel Aufsehn machten, so urteilte ein jeder nach seinen Vorurteilen über die löbliche Bruderschaft, jeder wollte das Rätsel aufgelöst haben. Viele Theologen argwöhnten sogleich, dass es eine Verschwörung wider den christlichen Glauben wäre; ein Herr Christophorus Nigrinus bewies, dass es Calvinisten sein müssten, aber zum Unglück für alle diese Mutmaßungen der Rechtgläubigen fand sich eine Stelle in den angeführten Schriften, woraus erhellte, dass die Brüder eifrige Lutheraner wären; nun zweifelte niemand mehr an ihrer Orthodoxie, niemand hielt sie mehr für Feinde des Glaubens, und einige lutherische Theologen nahmen öffentlich und eifrig ihre Partei.

Der aufgeklärte Teil vermutete, dass alles nur eine Erdichtung von Chymikern wäre, wie die chymischen Kenntnisse bewiesen, deren sich die Gesellschaft rühmte; sie setzten als einen neuen Beweis hinzu, dass der Name Rosenkreuz chymisches Latein wäre und einen Philosophen bedeutet, der Gold machen könnte; denn ros (der Tau) soll in der alchymistischen Sprache das Gold genannt werden.

Viele waren einfältiglich überzeugt, dass Gott aus besonderer Gnade sich einigen Frommen und Auserwählten geoffenbart und sie ausgerüstet hätte, die Wissenschaften zu reformieren und dem menschlichen Geschlecht unbekannte Geheimnisse zu entdecken.

An keinem Orte konnte man diese Gesellschaft noch ein Mitglied davon entdecken; verständige Leute bestärkten sich daher in ihrer Meinung, dass es gar keine solche Bruderschaft gäbe noch jemals gegeben hätte und dass alles, was man von ihr und ihrem Stifter erzählte, nur ein Märchen wäre, das man erfunden hätte, um sich auf Unkosten der Leichtgläubigen zu belustigen oder um die Meinung des Publikums von der Lehre des Paracelsus und der Alchymisten zu erfahren.

Das Ende war, dass niemand mehr von dieser Bruderschaft sprach, seitdem die Erfinder nicht mehr davon schrieben. Man warf einen starken Verdacht auf Valentin Andreae, einen württembergischen Theologen, dass er vielleicht nicht der erste Erfinder dieses Possenspiels wäre, aber doch die erste Rolle dabei gespielt hätte.

Gegenwärtige Geschichte beweist auf eine unumstößliche Art, dass alle diese Herren in ihren vernünftigen und in ihren einfältigen Mutmaßungen sich betrogen; sie beweist nicht allein, dass die Gesellschaft der Rosenkreuzer einmal existierte, weil ich sonst die Geschichte eines Rosenkreuzers nicht erzählen könnte, sondern auch dass die Rosenkreuzer ganz etwas anderes waren, als man glaubte.

Gelehrte, die mit der Naturgeschichte des Menschen sehr bekannt sind, werden bei dem Namen des Mannes, dessen Geschichte hier erzählt wird, zuerst an das unglückliche Geschlecht der schneeweißen Menschen mit rosenfarbnen Augen denken, die man in Asien Kakerlaken, in Afrika Albinos und im Französischen Nègresblancs nennt. Allein hier geht es ihnen wie oft bei andern Gelegenheiten: Sie vermuten alles, nur nicht was sie vermuten sollen. Der Name Kakerlak ist ganz natürlich aus Kak und Lak zusammengesetzt und hat mit den weißen Negern nicht das Geringste gemein; wem daran liegt zu wissen, was diese beiden Wörter in der alchymistischen Sprache bedeuten, dem rate ich, ein Wörterbuch der edlen Goldmacherkunst nachzuschlagen.

Kakerlak war ein Philosoph, der den moralischen Stein der Weisen, die Glückseligkeit, suchte; nach dem Willen der Natur sollte er sie vorzüglich in sich, in seinem Verstand und seinem Herz finden, allein der gute Mann wurde seiner Bestimmung überdrüssig und glaubte daher, dass er auf dem unrechten Wege zur Glückseligkeit wäre. Er vermutete, dass ein glänzender Stand viel eher dazu führen müsste und dass die Sinne viel leichter dazu verhülfen als der Geist, mit dem sein Versuch nicht gut abgelaufen war; da es aber menschlicherweise nicht wohl möglich ist, sich so oft in einen andern Zustand zu versetzen, als man wünscht, und seine Vergnügungen so oft abzuändern, als der Überdruss sie uns langweilig macht, so ergriff er das natürlichste Mittel von der Welt und wandte sich an die Hexen. Eine, die eben damals aus dem Hexenstaate verbannt war, gewährte ihm seinen Wunsch, führte ihn von Vergnügen zu Vergnügen, und da er sie alle genossen hatte, verlangte er ... Doch nein! so treuherzig bin ich nicht, dass ich das Ende meines Märchens voraussage; wer es erfahren will, wende das Blatt um und lese, bis das Buch aus ist.

Wzl.

Erstes Buch

Hinweg mit euch, ihr sogenannten Weisen!

Ihr wollt mit dreistem Flug der Spekulation

Von Welt zu Welt bis zu des Chaos Thron,

Bis ins Gebiet des Nichts und wohl noch weiter reisen,

Mit euerm Maulwurfsblick das Rädchen auszuspähn,

Durch dessen Trieb sich unsre Sterne drehn.

Ihr wollt bis in die Werkstatt dringen,

Wo die Natur mit nie erschöpfter Kraft

Den Dingen Form, den Geistern Leiber schafft.

Ihr wollt mit schweren Gänseschwingen

Bis über Sonn und Mond ins Reich der Wahrheit dringen,

Und fragt man euch: »Was habt ihr dort gesehn?«,

Dann wisst ihr ebendas zu sagen,

Als die der Dummheit Los ganz philosophisch tragen

Und keinen Schritt nach eurer Wahrheit gehn.

So rief, voll Unwillen, der große Kakerlak, der berühmteste Rosenkreuzer zu der Zeit, da Rosenkreuzer noch berühmt waren; er schleuderte alle Weisen in Folio und Quart, die seinen Hofstaat ausmachten, in die vier Winkel seiner Stube. Sein Bruch mit der menschlichen Weisheit war so ernstlich gemeint, dass er sogar die Geheimnisse nicht verschonte, die ihm den Stein der Weisen hatten verschaffen sollen; er trat seine Spekulationen mit Füßen und schwur, nicht länger etwas zu suchen, das sich nicht finden lassen wollte. Die Galle war über seine Philosophie Herr geworden, und es ließ sich nichts Besseres tun, als dass er geduldig stillhielt, bis die Philosophie wieder Herr über die Galle wurde; er ging in den Garten, setzte sich unter einen alten Apfelbaum und rief mit erhabnen Händen:

Ach, welche Gottheit nimmt den traur'gen Überdruss

Aus diesem Leben weg! Man seufzet nach Genuss,

Solang man ihn entbehrt; man wünscht, ihn zu entbehren,

Wenn man gekostet hat. Die Sättigung

Schwebt über jeder Lust und schießt mit schnellem Schwung,

Dem Geier gleich, herab, das Täubchen zu verzehren.

Nur der genießt, wer bloß den Sinnen lebt,

Vergnügen sucht und nie nach leerer Weisheit strebt;

Ein stetes Gastmahl ist für ihn das Leben;

Er eilt von Lust zu Lust, fühlt nie das Einerlei.

Ihr Mächte dieser Lust, steht meinen Wünschen bei!

Auf Zauberflügeln lasst in eine Welt mich schweben,

Wo ins Vergnügen nicht, sobald sein Keim sich hebt,

Der Überdruss den gift'gen Stachel gräbt.

Kaum hatte er seine Ausrufung geschlossen, so hüpfte ein Vögelchen, klein und schönfarbig wie ein Kolibri, im Grase daher, hub die kleine rote Brust und rief mit sanftem gutherzigen Tone: »Kakerlak!«

Ich bin die Hexe Tausendschön

Und ließ vom hohen Brocken1

Mich durch dein philosoph'sches Flehn

Zu dir herniederlocken.

Mich plagt die Neigung, wohlzutun

Zu allen Tagesstunden,

Und lässt mein Herz nicht eher ruhn,

Als ich den Mann gefunden,

Den nie der Überdruss beschwert,

Der niemals im Vergnügen

Nach Wechsel gähnt, solang es währt.

In einem von den Kriegen,

Die ewig unsern Staat entzwein,

Wo nur Kabalen siegen,

Ward ich verdammt, dass mir zur Pein

Das Wohltun werden sollte.

Du fragst, für welch Vergehn man mich

So hart bestrafen wollte?

Nein, frage lieber, wie man sich

So leicht begnügen wollte.

Ich hab ein weiches Herz, gemacht

Aus Mitleid, Lieb und Tränen:

Nur wohlzutun war Tag und Nacht

Von Jugend auf mein Sehnen.

Aus Tigerblut und Eisen sind

Die Herzen meiner Schwestern:

Zum Guten tölpisch wie ein Kind

Und voller Witz zum Lästern,

Lässt keine sich Gelegenheit

Zu schaden leicht entgehen.

Nun hörten wir vor kurzer Zeit

Den Fürst Omega flehen.

Er wurde der Mätressen sehr

Auf einmal überdrüssig;

Für ihn war keine Freude mehr,

Sein armes Herzchen müßig.

Mein Mitleid ward von ihm erweicht:

Ich riet, ihn zu verjüngen;

Doch meine Schwestern sind nicht leicht

Durch Mitleid zu bezwingen.

Ihr schadenfroher Rat beschloss,

Des Fürsten Qual zu mehren;

Durch ihre List kam in sein Schloss

Ein Mädchen, warf mit Zähren

Sich auf die Knie hin und bat

Um Gnade für den Bruder:

Er war für eine Freveltat

Verdammt zum schweren Ruder.

Sie gossen in des Fürsten Blut

Schnell jugendliche Flammen,

Und lodernd schlug der Liebe Glut

Ihm überm grauen Haupt zusammen.

Er liebt seitdem das Mädchen – ach!

Was soll ich dir's erzählen?

Mich rührt sein hartes Ungemach:

Sein Herzchen brennt, die Kräfte fehlen.

Durch einen Zaubertrunk gelang

Es mir, die Qual zu lindern;

Doch meiner Schwestern Bosheit drang

Hindurch, die Bosheit zu verhindern.

Wie stürmte dann auf mich ihr Grimm!

Ich floh voll Angst und Schrecken,

Um mich vor ihrem Ungestüm

In diesen Vogel zu verstecken.

Sie sprachen drauf das Urteil aus,

Das meine Flucht verbittert:

»Wir stoßen sie zu unserm Reich hinaus,

Sie hat des Schicksals Schluss erschüttert,

Das zum Gefährten jeder Lust

Dem Sterblichen den Überdruss bestimmte,

Damit in seiner kühnen Brust

Die stolze Meinung nie entglimmte,

Er sei der Herrscher seines Glücks,

Zu träger Sinnlichkeit geboren,

Zum einz'gen Liebling des Geschicks

Vor allen andern auserkoren.

Drum irre sie, die dies Gesetz

Aus schwachem Mitleid störte,

In steter Furcht vor Flint und Netz;

Sie, die ihr weiches Herz betörte,

Sie hab ein weiches Herz zur Pein.

Sie soll zu den Betrübten eilen,

Die nur mit sich den stillen Kummer teilen

Und die mit lautem Schmerz um Hilfe schrein,

Soll immer vor Begier zu helfen brennen,

Stets helfen wollen und nicht können.

Bis sie den Mann, den nie der Überdruss beschwert,

Gefunden hat, den Mann, der niemals im Vergnügen

Nach Wechsel gähnt, solang es währt,

Bis dahin soll auf ihr dies unser Urteil liegen.«

Ich komme dann nach diesem Schluss,

Mit Trost dir beizustehen.

Dich quält der Weisheit Überdruss;

Doch hab ich dich ersehen,

Mich von der Strafe zu befrein.

Dir schenkt von nun an das Vergnügen

Stets Becher über Becher ein;

Bist du nach wenig Zügen

Des einen satt, so rufe »Kak«;

Gleich lad ich dich auf meine Flügel

Und trage dich, Freund Kakerlak,

Weit über Tal und Hügel

Zu einer neuen Wonne hin,

Bis ich erlöset bin.

»Du armseliges Vögelchen!« antwortete der Schwermütige. »Du willst mich auf den kleinen Schwingen, wo eine Milbe eben Platz hätte, zur Freude tragen? – Geh! Mich betrügst du nicht; meine Lippen sprechen nie dein elendes »Kak«.«

Kaum hatte er's gesprochen, so schwebte er schon auf dem Rücken des Vögelchens in den Lüften; dort flog es hin mit dem ganzen Philosophen und schüttelte ihn auf einen samtnen Stuhl im Vorgemache der Königin Ypsilon. Die schnelle Fahrt durch die Luft hatte ihm den Kopf schwindlich gemacht: Er schlief ein.

Auf der Ottomane saß die Königin Ypsilon und gähnte; am Fenster saß Prinzessin Friss-mich-nicht und brummte; auf dem Taburett saß Prinz Lamdaminiro und lachte, alle drei aus gutem Grund: Die erste hatte Langeweile; die zweite war böse; der dritte spielte mit einem Gaukelmanne.

Das Vögelchen, in welchem die Hexe Tausendschön wohnte, hüpfte auf das Fensterbrett und pickte ein Stückchen Biskuit auf. »Ein schönes Vögelchen!« rief die Königin. »Der abscheuliche Mistfink!« sprach die Prinzessin. »Das allerliebste Tierchen!« schrie der Prinz und ließ vor Entzücken den Gaukelmann fallen.

»Du hast Langeweile, große Königin?« fing das Vögelchen an. »Ich schaffe dir Zeitvertreib.«

»Du mir?« antwortete die Königin. »Närrchen, wie machtest du das?«

Das Vögelchen: »Ich schaffte dir einen Gemahl.«

Die Königin: »Schlecht getroffen! Ich hatte einen und ward des Lebens nicht froh.«

Das Vögelchen: »Du hattest keinen; denn dein Gemahl liebte dich nicht.«

Die Königin: »Wird mich ein andrer mehr lieben? Männer sind langweilig. – Kannst du nicht singen?«

Das Vögelchen sang:

Ohne Liebe sucht vergebens

Auf dem düstern Pfad des Lebens

Der verlassne Wandrer Licht;

Zwischen Alpen muss er schmachten,

Wo des Eises tiefe Schachten

Nie ein Frühlingslüftchen bricht.

Die Königin befahl, einen goldnen Käfig herbeizubringen; der Prinz holte ihn, und das Vögelchen hüpfte munter durch die enge Türe hinein. Beide waren vergnügt, gaben dem sanften Geschöpf Zuckerkörner und Zwieback und forderten jede Minute ein Liedchen, der Prinz ein lustiges und die Königin ein verliebtes. Je mehr ihm geschmeichelt wurde und je mehr es sang, desto erbitterter wurde die Prinzessin; wer ihr nicht schmeichelte, war ihr verhasst, und sie schwur bei sich dem Vögelchen den Tod, weil es andern Freude machte. Man merkt wohl, dass ihre Gesellschaft nicht die beste sein konnte, und es ist daher sehr gut, dass sie vor Ärger zum Zimmer hinausging, damit wir nicht weiter von ihr sprechen dürfen.

Kaum näherte sich die Nacht, so schlüpfte das Vögelchen durch die goldnen Stäbe des Käfigs, setzte sich dem schnarchenden Kakerlak auf die Stirn und pickte ihn mit dem kleinen Schnabel dreimal in die Nase, um ihn zu wecken. – »Kak, kak, kak«, rief er träumend, fuhr in die Höhe und wollte sich die Augen reiben, aber er hatte nicht Zeit dazu; denn das erste »Kak« war eben über die Lippen, als er schon dem Vögelchen auf dem Rücken saß; dort flog es mit ihm hin in die schöne Garderobe des Fürsten Omega.

»Suche dir zwölf der schönsten Kleider aus«, sprach zu ihm das Vögelchen, »dass du jede Stunde des Tages ein andres tragen kannst. Morgen Abend bist du König in Butam.« – Er suchte sie aus. Darauf zog die Hexe dem jüngsten Bruder des Fürsten im Schlafe sehr sanft die Physiognomie vom Kopfe und befestigte sie sauber auf dem Gesicht des künftigen Königs; dieser steckte kaum einen Augenblick unter der neuen Larve, so fing er an, gewaltig zu kommandieren, zu lärmen, zu fluchen und zu prügeln. Die goldne Staatskutsche des Fürsten musste sogleich mit acht porzellanfarbnen Rossen bespannt werden, Stallmeister und Jägermeister sich zu Pferde setzen, die Läufer voranrennen und die Bedienten nachfahren; der Zug ging so schnell, dass bei Tagesanbruche die erste Kutsche schon auf dem Schlosshofe der Königin Ypsilon war, und die Sonne stand noch nicht über dem Horizont, als sich schon die Kammerjunker pudern ließen.

Kakerlak mit seiner gestohlenen Physiognomie wurde überaus gnädig empfangen und eroberte das Herz der Königin mit dem ersten Kompliment, als er ins Zimmer trat; so geschwind ging es vermutlich nicht zu, wenn nicht eine Hexe die Hand im Spiele hatte. Die Königin wurde bei jedem Worte verliebter und fiel schon bei dem Handkuss ihres Gastes in Ohnmacht; nach der Tafel warb er um sie, wurde noch vor Einbruch der Nacht ihr Gemahl und des Morgens darauf zum König in Butam ausgerufen. Jedermann glaubte, es wäre der Prinz Alfabeta, da es doch eigentlich nur seine Physiognomie war.

Als der neue König am zweiten Morgen auf der Bergere lag und über den Plan seiner Regierung nachdachte, setzte sich ihm das Vögelchen auf die Schulter und flüsterte ihm in die Ohren: »Hast du noch Langeweile wie bei deinen großen Büchern, als du den Stein der Weisen suchtest?« – »Nein«, antwortete der König, »aber Sorgen. Ich möchte nicht gern bloß ein König sein; ich wünschte, ein großer König zu werden, und habe die ganze Nacht gesonnen, wie ich's werden soll.« – Das Vögelchen unterbrach ihn: »Geruhen Ihre Majestät, sich ins Nebenzimmer zu begeben und dreimal die letzte Silbe Ihres vorigen Namens auszusprechen, und Sie können ein großer König werden.«

Der König stand auf, ging ins Nebenzimmer und rief dreimal »Lak«, und plötzlich lag vor seinen Füßen ein grünes Säckchen, eine goldene Büchse und ein roter Nachtstuhl. »Was soll mir dieser Plunder?« fuhr der König unwillig auf, der seinen neuen Stand schon ein wenig fühlte. »Verzeihn Sie in Gnaden«, erwiderte das Vögelchen, »mit diesen drei Möbeln sollen Sie ein großer König werden. Sobald Sie eine Anstalt machen wollen, die Geld erfordert, es sei, soviel es will, so greifen Sie in diesen grünen Sack: Je tiefer Sie greifen, desto größer wird er; je mehr Sie Gold herausnehmen, desto mehr wird darin sein. Sobald ein neidischer Nachbar Ihnen den Krieg ankündigt, so öffnen Sie Ihre goldene Büchse: Wo Ihre Majestät die goldenen Körner darin hinstreuen, werden Soldaten aus der Erde hervorwachsen, Reiter und Fußvolk, völlig bewaffnet, montiert und equipiert, ohne dass Sie ihnen einen Knopf auf den Rock oder ein Hufeisen ans Pferd zu kaufen brauchen. – Aber«, setzte das Vögelchen warnend hinzu, »gebrauche beides mit Überlegung; trage beides beständig bei dir, und lass keine Hand außer deiner in den Sack greifen oder die Büchse öffnen, denn – «

»Glaubst du, dass ich so schwer begreife?« unterbrach sie der König mit Empfindlichkeit. »Fast sollte man glauben, dass du der Philosoph gewesen wärst und nicht ich; denn du willst beweisen, dass am Mittag Tag ist. Ich verstehe deine Warnung und werd ihr folgen. Ich danke dir für beide Geschenke; aber hier diesen roten Nachtstuhl schaff mir augenblicklich aus den Augen; es ist ja ganz wider den guten Geschmack, so ein Möbel im Zimmer zu haben.«

Das Vögelchen: »Hier irren sich Ihre Majestät während Ihrer zweitägigen Regierung zum ersten Male!«

Der König: »Unverschämte! Wofür wär ich denn König, wenn ich mich irrte?«

Das Vögelchen: »Dies verächtlichste Bedürfnis unter allen menschlichen Bedürfnissen soll die Grundfeste deines Throns werden. Sooft du jemand einen Dienst anvertrauen willst, so lass ihn vor allen Dingen zur Probe auf diesem Stuhle sitzen; bleibt er ohne Schmerzen, so ist er ein ehrlicher Mann; krümmt und windet er sich, als wenn ihn die Kolik plagte, so ist er ein Schurke, und du kannst ihn auf der Stelle hängen lassen. Ich verlasse dich, und wenn ich zu dir zurückkomme, so ist es ein Zeichen, dass du einen Fehler machtest.«

Der König wollte seiner Beschützerin danken, aber sie war verschwunden, eh er die Lippen öffnete. »Gut«, sagte er zu sich, »mit dem Stuhle musst du die erste Probe machen.«

Er ließ augenblicklich alle seine Räte und Beamten an den Hof berufen, und jeder musste in seiner Gegenwart Probe sitzen. Sein Schatzmeister hatte kaum den Stuhl berührt, so schrie er wie ein Besessner; sein Justizaufseher sank vor Schmerzen mit dem Kopf in den Schoß, und die Kammerbedienten bekamen Konvulsionen; allen ohne Ausnahme machte der verdammte rote Stuhl eine Kolik.

»Soll ich denn die Leute alle hängen lassen?« sagte der König betrübt zu sich. »So muss die eine Hälfte meines Reichs zu Scharfrichtern und Seilern werden, damit es der andern nicht an Stricken und Henkern fehlt.«

Indem er traurig so klagte, saß ihm unbemerkt das Vögelchen auf der linken Schulter und flüsterte ihm ins Ohr: »Ihre Majestät haben während Ihrer dreitägigen Regierung den ersten Fehler gemacht.«

»Was?« rief der König erzürnt. »Du willst mich eines Fehlers beschuldigen, nachdem du mich mit deinem verwünschten roten Stuhl unglücklich machtest? - Er hat mir die traurige Überzeugung verschafft, dass mich lauter Schurken umgeben; möchten sie es doch sein, wenn ich's nur nicht glauben müsste! Ich bin ein unglücklicher König, denn ich muss misstrauisch sein. Schaff mir den roten Stuhl aus den Augen, damit ich nicht versucht werde, ihn noch einmal zu brauchen.«

»Nein«, sprach das Vögelchen, »du sollst ihn brauchen, aber mit mehr Klugheit. Sagt ich dir, dass du Leute darauf sitzen lassen solltest, die schon in deinem Dienste sind! Sagt ich nicht ausdrücklich: Lass jeden, dem du einen Dienst anvertrauen willst, zur Probe auf diesem Stuhle sitzen? Niemand kann dir nur fünf Jahre dienen, ohne wider sein Wissen und Wollen seine Pflicht zu verletzen; der ehrlichste Mann muss oft wider seine Neigung dir schaden, um sich nicht von einem Mächtigern schaden zu lassen; er muss die Pflicht seinem Wohlsein aufopfern, wenn er nicht verhasst und unglücklich werden will. Drum befreie dich nur von den wenigen, denen der Stuhl die größten Schmerzen verursachte; die übrigen halte für ehrliche Leute und traue jedem so lange, bis du ihn ertappst; aber nimm keinen an, der nicht ohne Kolik vom roten Stuhl aufsteht.«

»Dein Rat ist nicht übel«, antwortete der König. »Das Misstrauen machte mich so unglücklich, als ich in meinem Leben noch nicht war. In Zukunft will ich's schon besser machen.«

»Ich verlasse dich«, sprach das Vögelchen, »und komme nicht eher zurück, als bis du den zweiten Fehler gemacht hast«, und sogleich verschwand es.

Der König entfernte alle, denen der Stuhl die größten Konvulsionen machte, und fand ohne Schwierigkeit so viel andre, die ohne Schmerzen vom Probesitz aufstanden. »Das Vögelchen ist wahrhaftig nicht dumm«, sprach er voll Freuden, da die Proben so gut abliefen. »Die Menschen sind herzlich gern ehrliche Leute, aber Not, Gelegenheit und Interesse erlaubt den meisten nicht, es zu bleiben. Wie gut, wenn man ein wenig Philosoph ist und schließen gelernt hat!«

Er verwandelte seitdem sein Misstraun so sehr in unbeschränktes Vertraun, dass er niemand für keinen ehrlichen Mann hielt, wenn man ihm gleich bewies, dass er's nicht war, und um sein Vertrauen und seine milden Gesinnungen recht durch die Tat zu zeigen, steckte er seine gnädige Hand in den grünen Sack und beschenkte jeden, der beschenkt sein wollte. Die Zahl der Liebhaber wuchs mit jeder Stunde: Sie krochen, schmeichelten, bettelten, rühmten ihre Verdienste, ihre Treue, ihren alleruntertänigsten Gehorsam, keiner ging mit leerer Hand hinweg.

Der König wollte sich eben über seine Milde und seinen unerschöpflichen Sack freuen, als er das Vögelchen auf der Schulter erblickte; er erschrak, dass er den grünen Sack aus der Hand fallen ließ. »Du Freudenstörerin!« rief er, »willst du mir nicht schon wieder einen Fehler aufbürden? Komm und tadle mich! Hab ich nicht mit wahrer königlicher Freigebigkeit gehandelt?«

Das Vögelchen: »Ihre Majestät haben während Ihrer viertägigen Regierung den zweiten Fehler begangen.«

Der König: »Sage mir, welchen! Ich fordre dich auf.«

Das Vögelchen: »Sieh nur, wen du beschenkt hast, und dann wird dir dein erleuchteter Verstand statt meiner antworten. Die Elendesten, Verächtlichsten, Verdienstlosesten im ganzen Reiche genossen deine Freigebigkeit, kriechende Bettler, niederträchtige Schmeichler. Das wahre Verdienst fühlt zu sehr seinen Wert, um dir deine Gnade abzuschmeicheln oder abzubetteln; du bist sie ihm als einen Tribut schuldig, und es mahnt dich nicht, wenn du ihn nicht freiwillig entrichtest.«

Der König: »Du magst wohl recht haben, aber du machst mir's wahrhaftig ein wenig zu sauer, Regent zu sein. Du musst in der Geschichte so unwissend sein wie ein neugebornes Kind, wenn du verlangst, dass man alles so genau nehmen soll.«

Das Vögelchen: »Ich verlasse dich und komme nicht eher wieder, als bis du das erste Lob verdient hast.«

»Ich wollte, dass du nie wiederkämst«, rief ihm der König nach, als es verschwunden war. »Man wird eines solchen Hofmeisters überdrüssig, der den ganzen Tag moralisiert und dem man keinen Schritt nach seinem wunderlichen Kopfe recht machen kann. Ich will einen andern Weg einschlagen, um groß zu werden; ewig still zu Hause zu sitzen und in der besten Absicht die größten Fehler zu begehn, das führt zu nichts. Du sollst mich schon loben müssen, wenn ich den halben Erdboden erobert habe; wag es alsdann jemand, mir einen einzigen Fehler vorzuhalten! Ich will Krieg anfangen und die eine Hälfte der Erde zur Wüste machen, damit die andre vor mir zittert.«

Sogleich ließ der König alle Bauern mit Pflügen aufbieten und alle Felder seines Reiches umackern; er reiste in eigener Person herum und streute aus der goldnen Büchse den goldnen Samen aus; wohin ein Korn fiel, da wuchs ein bewaffneter Krieger hervor. Das Schauspiel war ungemein belustigend, als ganze Regimenter mit klingendem Spiel und unter Abfeurung des groben Geschützes hervorsprangen. »Halt, richtet euch!« – »Rechts um schwenkt euch!« – »Das Gewehr auf die Schulter! Marsch!« – so brüllten auf allen Seiten die fürchterlichsten Stimmen durchs ganze Land; die halbe Erde hätte schon vor dem bloßen Geschrei zittern mögen.

Mit rotem Federhut und aufgeblasnen Backen

Hebt ein Trompeter hier Trompet und Nacken,

Lautschnatternd »Treng, Treng, Treng« aus einer Furch empor;

Dort fahren hoch in die Luft zwei Paukenklöppel hervor

Und schlagen den klanglosen Acker mit ungeduldiger Hitze,

Bis dass der schwere Gaul mit der tönenden Pauke sich hebt.

Durch aufgeworfnes Erdreich gräbt

Sich hier des Grenadiers getürmte Mütze;

Er steigt, und steigend streicht er sich den schwarzen Bart.

»Blitz-Höllen-Sapperment«, flucht einer in der Erde,

Und auf den Fluch erscheint ein Kinn, sehr schwach behaart.

Mit Brausen drängen sich bäumende Pferde

Und blinkende Reiter durch staubende Wolken herauf;

Sie fliehn in fest geschlossnen Gliedern

Durch Stoppeln und Graben und Sumpf mit geflügeltem Lauf.

Gehorsam ihres Führers Rufe,

Stehn alle, stampfen, und unter jedem Hufe

Erhebt sich ein Zelt. Kein Brot noch Fleisch wird zugeführt;

Es flucht kein Koch, es knarrt kein Bratenwender.

Kein Topf wird angesetzt, kein Feuer angeschürt,

Gefälschten Wein verkauft kein Marketender.

Die Krippe füllt sich selbst, der Tisch ist stets besetzt

Und jede Zunge stets mit Zyperwein genetzt.

Das Schauspiel war so unterhaltend für den König, dass er ganze Tage säete und Essen und Trinken darüber vergaß; er hörte nicht eher auf, als bis ihm der Raum fehlte. Einer seiner Mandarine arbeitete indessen an einer Deduktion, worin sonnenklar bewiesen wurde, dass vor zwölf Jahrhunderten der Marktflecken Quinquina zum Königreich Butam gehört habe, und sobald der Beweis fertig war, zog der König mit seinem Heer aus, dem Könige der kalten Inseln die unrechtmäßige Besitzung abzunehmen. Die Märsche gingen übermäßig schnell; da Menschen und Pferde aus ganz anderm Stoffe gemacht waren als sterbliche Soldaten, so marschierten sie Tag und Nacht in vollem Galopp und liefen gewiss über den Nordpol hinaus, wenn die Offiziere nicht »halt« schrien. Der König ritt jede Viertelstunde ein Pferd tot und konnte doch nicht nachkommen; man merkte wohl, dass ihr Laufen nicht mit rechten Dingen zuging. Sobald er sie eingeholt hatte, gab er Befehl zur Schlacht; der König der kalten Inseln führte wohl seine Truppen auch ins Feld; aber was für eine Armee war das! als wenn ein Häufchen Maikäfer sich gegen einen Schwarm Kraniche wehren wollte, der die Sonne verfinsterte! Ihre Pferde sahen klein aus wie Katzen und die Reiter, als wenn sie aus Kartenblättern geschnitten wären; einer von den Riesen aus der goldenen Büchse konnte ein halbes Dutzend davon auf der flachen Hand halten, und wenn eins von den Pferden aus der goldnen Büchse wieherte, fiel ein ganzes Glied im feindlichen Heere zu Boden. Der König war in Gedanken schon Herr von den sämtlichen kalten Inseln und ließ das Zeichen zum Angriff geben; plötzlich erhub sich ein Nordwind, so scharf und schneidend, als wenn er mit allem Eise des Nordpols geschwängert wäre; die Riesen froren steif, konnten kein Glied rühren, und die Pferde erfroren ihnen unter dem Leibe, weil sie in einem warmen Lande gewachsen waren, wo man von dergleichen naseweisen Winden nichts wusste. Die kleinen Zwerge hingegen, die ein solches unfreundliches Lüftchen nicht übelnahmen, weil sie in ihrem Lande keinen bessern Wind hatten, hieben mit Löwenstärke in die erfrornen Riesen hinein und brachten sie doch wahrhaftig alle um; wer kein Blut sehn konnte, war nichts dabei nütze; wenn es nicht gleich gefroren wäre, so ertranken die Zwerge mit ihren Katzenpferden insgesamt darin. Glücklicherweise versteckte sich der Eroberer in einen hohlen Baum, als der Wind so unverschämt zu blasen anfing, und rettete sich dadurch vom Frost und vom Schwert der Feinde. Es war kein Spaß, so weit von seiner Heimat, ganz allein in einem hohlen Baum zu stecken; wenn es nur wenigstens ein schönes warmes Land gewesen wäre! Aber bei so einer barbarischen Luft konnte er den Kopf nicht sicher aus dem Loch herauswagen, ohne dass ihm nicht die Nase erfror. Er vertröstete sich auf die Nacht, wo er aus dem Baume steigen und den Feinden ungesehn entlaufen wollte, solange seine Beine hielten; ja, gut getroffen! In solchen verkehrten Ländern gibt's wohl Nacht; er wartete ewig, und es kam keine.2 Du guter Kakerlak! Wenn du ein halbes Jahr warten willst, so wird Nacht genug kommen; hier ist's nicht so wie bei dir zu Hause, wo man Licht ansteckt, wenn die Sonne zwölf oder sechzehn Stunden geschienen hat.

»Weh mir!« seufzte der unglückliche Eroberer im hohlen Baum, da die Nacht nimmermehr kommen wollte. »Wie wohl war mir auf meiner Ottomane! Wie schmeckte mir der persische Wein aus dem goldnen Becher und das Vogelnest aus der silbernen Schüssel so wohl! Wie wickelte ich mich so warm ins seidne Bettchen und drückte mich an meine Gemahlin Ypsilon! Ach, säß ich noch in meiner philosophischen Zelle und suchte mit dem Eifer eines echten Rosenkreuzers den Stein der Weisen! Fänd ich ihn auch nicht, so wär ich doch in der warmen Stube. Du Tor! Was tatest du, als du dich mit Hexen einließest und durch sie ein großer Mann werden wolltest? Ach, Kak ... «

Die erste Silbe seines vorigen Namens war noch nicht völlig über die Lippen, so schwebte er schon auf dem Rücken des Vögelchens in der Luft; da es sich bei so schneller Fahrt und so scharfer Luft nicht gut sprechen lässt, so blieb die übrige Hälfte des Namens im Schlunde zurück. Das Vögelchen trug ihn soviel tausend Meilen weit nach Hause und setzte ihn ohne Schnupfen und Katarrh auf seine weiche Ottomane; er wollte ihm danken und Abbitte tun, aber es verschwand, eh er den Mund öffnete.

»Ich komm euch gewiss nicht wieder in euer Land ohne Nacht«, fing er an, als er sich ein wenig aufgewärmt hatte, »und wenn auf den kalten Inseln alles Eis zu Diamanten würde, so mag ich sie nicht erobern. Hätte ich doch bei der Eroberung meine gesunden Gliedmaßen einbüßen können; nein, besser ist's, ich bleibe zu Hause und beschenke aus meinem grünen Sacke jeden, der etwas braucht.«

Diesem Entschlusse gemäß wollte er künftig seine Größe auf einem andern Wege suchen, und um die Erinnerungen seiner Beschützerin zu nützen, nahm er sich vor, nur das Verdienst seine Freigebigkeit empfinden zu lassen. Er gab also allen seinen Räten und Beamten Befehl, auf Personen achtzuhaben, die durch ihr Talent oder ihren Fleiß dem Reiche Nutzen oder Ehre schaffen könnten und ohne Unterstützung keins von beiden zu tun vermöchten; sein Befehl wurde treulich erfüllt, und kein Tag verging, wo er nicht in den grünen Sack griff und ein gut angewandtes Geschenk machte.

Ein Landmann kam, der Vorschuss brauchte, weil ihm Überschwemmung und Hagelwetter Ernte und Winterfutter geraubt hatte, ein andrer, der sich in einer Heide anbaun und aus unfruchtbarem Sande fruchtbare Felder machen wollte; der König griff in seinen grünen Sack und gab ihnen.

Ein Fabrikant kam, der im Lande eine Ware verfertigen wollte, die man wegen ihrer Unentbehrlichkeit dem Fremden abkaufen musste und dem die erste Auslage fehlte; ein Künstler kam, der aus Mangel, um das Brot zu gewinnen, seine Kunst an schlechte Arbeiten verschwenden und sein großes Talent vernachlässigen musste; der König griff in seinen grünen Sack und gab ihnen.

Ein junger Mann, dessen Talente viel versprachen, wurde dem Könige bekannt gemacht; er musste sich um des Unterhalts willen zu Beschäftigungen herablassen, die weit unter seinen Fähigkeiten waren und ihn an wichtigern Arbeiten hinderten, wodurch er sich und dem Reiche mehr Nutzen und Ehre hätte schaffen können; der König griff in seinen grünen Sack und gab ihm, dass er in Zukunft bloß für die Wissenschaften, für sein Talent und die Ehre der Nation leben konnte.

Tat jemand einen Vorschlag zur Verbesserung des Nahrungsstandes, zur Vergrößerung des Handels, zur Ausbreitung der guten Erziehung oder der Wissenschaften, zur Aufnahme der Künste, er mochte den Nutzen, die Verschönerung oder die Ehre des Reichs betreffen, der König griff in seinen grünen Sack, und wenngleich die Ausführung nicht allemal den gehofften Vorteil verschaffte, so gewährten sie doch wenigstens den Nutzen, dass man nun wusste, von welchen Unternehmungen man sich nichts zu versprechen hatte.

Der König hoffte täglich, dass sein Vögelchen wiederkommen und ihn loben sollte; aber es ließ ihn ein ganzes halbes Jahr in der Ungewissheit. Endlich kam es, hüpfte ihm flatternd auf die Schulter und rief: »Großer König, ich lobe dich: Jetzt bist du auf dem wahren Wege zur Größe. Du unterstützest das wachsende Verdienst; du flickst nicht am Alten, du schaffst etwas Neues. Aufhelfen ist das erste Geschäft des Regenten: Durch Unterstützung nützt er mehr als durch Belohnung. Großer König, ich lobe dich. Bist du bald deines Glücks überdrüssig?«

»Überdrüssig?« antwortete der König voll Verwunderung. »Da ich erst anfange, mein Glück zu genießen? – Nein, meines gegenwärtigen Vergnügens werd ich nicht überdrüssig, und wenn ich Jahrhunderte lebte. Härt ich mir doch nicht eingebildet, dass es so schön wäre, König zu sein.«

»Möge doch Ihrer Majestät keine Bitterkeit diesen königlichen Geschmack verderben!« sprach das Vögelchen. »Wenn Allerhöchstdieselben ihn in einem Jahre nicht zu verändern geruhen, so bin ich von meiner Strafe befreit; ich kehre dann in meiner vorigen Gestalt zum erhabenen Brocken in die Versammlung meiner Schwestern zurück. Heil dem großen König, der des Vergnügens an guten Handlungen nicht satt wird! – Ich verlasse dich und erscheine dir nicht eher wieder, als bis du mich von meiner Strafe befreit hast.«

Der König tat täglich mehr Gutes und Großes und ward täglich vergnügter; sein Reich blühte, seine Untertanen liebten ihn, und alle Zeitungsschreiber in Butam nannten ihn den großen König. Wenn er nicht die Physiognomie des Prinzen Alfabeta hatte, so blieb er bis an sein Ende im ruhigen Genusse seiner Größe. Der Bestohlne wurde zwar gleich den Morgen darauf, als er in den Spiegel sah, eines Mangels an sich gewahr und versprach Belohnungen über Belohnungen, wenn ihm jemand seine Physiognomie wieder schaffte oder den Dieb anzeigte, der sich so gottloserweise an ihm vergriffen hatte; allein niemand konnte das Verlorene wiederfinden, niemand den Dieb entdecken. Noch mehr ergrimmte der Fürst Omega, sein Bruder, als er merkte, dass ihm sein ganzer Hofstaat gestohlen war, nicht einmal einen Bedienten hatte er übrigbehalten, der ihm den Tee auftragen konnte. Beide Brüder urteilten mit vieler Einsicht, dass es nicht mit rechten Dingen zuging. Omega starb, und sein Bruder musste sich immer noch ohne Physiognomie behelfen.

Ein Page, der zu dem gestohlenen Hofstaat gehörte, bekam einmal den saueren Dienst, der Prinzessin Friss-mich-nicht die Schleppe zu tragen; sauer war der Dienst gewiss, so wenig Talent außerdem dazu gehören mag, eine Schleppe zu tragen, denn sie hatte die Gewohnheit, im Gehen beständig zu taumeln, wie die hamburgischen Leichenträger, und sich oft so schnell herumzudrehn, dass der arme Schleppenträger sehr fest auf seinen Füßen sein musste, wenn er nicht an die Wand geschleudert sein wollte. Alle hatten den Dienst, seiner großen Schwierigkeiten ungeachtet, mit vielem Verstand und Klugheit ohne Leibesschaden verrichtet; nur dieser einzige, der von etwas melancholischem Temperament war, wollte Gewalt brauchen, wo andre kaum mit Klugheit auskamen. Er hatte die Verwegenheit, dass er die Prinzessin mit der Schleppe (in allen Ehren gesprochen) wie ein Pferd mit dem Zügel lenkte; sooft sie von der geraden Linie abweichen wollte, zog er sie so unsanft von der Abweichung zurück, dass es keine Naht am Kleide bei ihm aushalten konnte. Wegen ihrer ungemeinen Lebhaftigkeit bemerkte die Prinzessin die Bosheit nicht eher als eines Nachmittags, da sie von der Tafel ging; sie wollte plötzlich eine von ihren Pirouetten machen; krack! schleuderte sie der misanthropische Schleppenträger in einem Wirbel herum, dass sie gerade wieder auf den Fleck sah, wohin sie vorher gesehn hatte. Die Dame war eben nicht in ihrer Festtagslaune und überhaupt ein wenig griesgrämig, wie schon ihr Name beweist; sie versetzte also dem Verwegnen rückwärts mit dem spitzen Absatz ihrer gestickten Schuhe einen Stoß, dass er zu Boden stürzte und vor Schrecken nicht einmal ach und weh schreien konnte; sie hatte den empfindlichsten Teil seines Leibes und seiner Ehre getroffen, und er musste also aus einem doppelten Grunde beleidigt sein. Er verließ den Hof und schwur, die Beleidigung nicht anders als mit Blute zu rächen; indem er an der Grenze des Reichs überlegte, wie er das machen sollte, hörte er von dem Verlust des Prinzen Alfabeta. »Was?« sagte der Rachsüchtige. »Wäre der Prinz Alfabeta nicht König von Butam? Hätte er sich nicht vor drei Vierteljahren mit der Königin Ypsilon vermählt?« – Man lachte ihm ins Gesicht über seine Fragen und hielt ihn für einen Verrückten, der dem Tollhause entlaufen wäre; der Page versicherte sie mit vieler Hitze, dass er selbst bei der Vermählung gewesen wäre; nun ging erst das Gelächter recht an; da er aber hartnäckig auf seiner Meinung bestand, so ließ man ihn gehn und bedauerte, dass ein so hübscher Mensch so frühzeitig um seinen Menschenverstand gekommen wäre.

Dem Pagen schien gleichwohl die Sache verdächtig, und er ging daher an den Hof des Prinzen, um sich genauer zu unterrichten; hatte er sich jemals gewundert, so tat er's jetzt, da er den Prinzen Alfabeta hier erblickte, den er bisher alle Tage als König von Butam gesehn zu haben glaubte. Er entdeckte den Diebstahl umso viel lieber, weil es ihm eine Gelegenheit zur Befriedigung seiner Rachbegierde zu sein schien. Der Prinz war von sanftem Gemüt und wollte erst die Güte versuchen; er schickte zwei Gesandte zum Könige von Butam, ließ ihn manierlich grüßen und geziemend um die Auslieferung seiner Physiognomie ersuchen. »Was?« fuhr der König von Butam bei der Audienz der Gesandten zornig auf. »Ich hätte des Prinzen Alfabeta Physiognomie entwendet? – Himmel und Erde! Als wenn wir hierzulande nicht selbst Physiognomien hätten, dass wir erst dem Herrn Prinzen seine stehlen müssten, um wie rechtschaffene Menschen auszusehn.«

Die Gesandten, da sie durch Güte nichts ausrichteten, entschuldigten sich sehr höflich, dass sie also dem Befehl ihres Herrn nachleben und den Krieg ankündigen müssten. »Mir, dem König von Butam, mir kündigt der Prinz Alfabeta den Krieg an?« rief der König, zog aus der Tasche seine goldne Dose und schlug darauf. »Er komme, der Herr Prinz! er komme! Es wird mir viel Ehre sein, ihm und seinen Soldaten die Kehlen abschneiden zu lassen.« Um die Gesandten, die er für nichts Besseres als Betrüger hielt, wegen ihrer Dreistigkeit zu bestrafen, ließ er sie bis an die Grenze führen und ihnen bei jedem Dorfe, durch welches sie gingen, fünfundzwanzig Rutenhiebe auf das bloße Hintergebäude ihres Leibes geben; beide litten Schmerz und Beschimpfung mit der wahren Standhaftigkeit eines Weisen und machten bei den Hieben eine Miene, als wenn sie Konfekt äßen.

Der Prinz erzürnte sich gewaltig über eine so offenbare Verletzung des Völkerrechts, die allein schon einen Krieg wert gewesen wäre, und machte sogleich Anstalt, seine Physiognomie mit Feuer und Schwert wiederzuerobern, und dreist durch die Gerechtigkeit seiner Sache, zog er mit seinem Heer aus.

Der König von Butam besäete indessen alle Äcker seines Reichs aus der goldnen Büchse; die Saat ging gut auf und trug recht brave Riesen. Als der Prinz Alfabeta die unmenschlichen Kerle und die ungeheure Menge Truppen erblickte, sank ihm der Mut, und er wurde gewiss vor Schrecken blass, wenn er seine Physiognomie schon wieder hatte. Was wollt er gleichwohl tun? Er nahm seinen ganzen Rest von Mut zusammen, hielt eine wohlgesetzte Rede an seine Soldaten, denen vor Angst die Zähne klapperten, dass sie wegen des Geräusches kein Wort von der Rede hören konnten, und ob sie gleich nichts verstanden hatten, so fand er doch zu seiner Beruhigung, dass ihre Tapferkeit und Streitbegierde auf seine Ermunterung sichtbar zunahm. Die Schlacht ging an; ach, ihr armen Soldaten des Prinzen Alfabeta, wie erging es euch! Die Riesen zogen nicht einmal die Säbel, taten nicht einmal einen Schuss, sondern fingen die Feinde mit den Zähnen, wie die Katze die Mäuse, zerbrachen ihnen das Genick und speisten sie lebendig auf, wie ein Hecht einen Weißfisch verschluckt. Der Prinz merkte bei guter Zeit, dass man bei solchen Leuten seines Lebens nicht sicher war, machte rechtsum und entkam den Barbaren, die sich kein Gewissen machten, ihre Nebenmenschen lebendig zu verschlingen; er kam zwar ziemlich erschrocken und abgemattet, aber doch glücklich mit allen seinen gesunden Gliedmaßen im Schlosse an und ließ gern seine Physiognomie unerobert.