Cover

Über dieses Buch

Vorhang auf für Kolibri – das männliche Prachtstück eines fellinesken Dschungelbordells irgendwo in Mittelamerika. Hier stranden Haie und Wale, Delfine und Piranhas – die ganze abenteuerliche Männerfauna eines Tropendeltas mit ihren Gelüsten und Zwisten, zärtlich umsorgt oder tyrannisch herumkommandiert von der Regentin und ihren schlagkräftigen und verwandlungsfähigen Trabanten. Wüst und brünstig geht es zu, für alle ist die Welt in Ordnung, bis Kolibri und der japanische Sumoringer, sein Showkollege, die Flucht ergreifen. Eine groteske Kamarilla nimmt die Verfolgung auf …

Severo Sarduy erzählt einen prallbunten, erotischen, fantastischen Bilderbogen, fesselnd, verführerisch, augenzwinkernd, »aufs Glanzvollste von Thomas Brovot übersetzt« (Süddeutsche Zeitung).

»Sarduy mokiert sich über die Exotik-Erwartungen der Leserschaft, schiebt Bilder, ganze Horizonte wie Kulissen beiseite, bricht scheinbar gesicherte Erkenntnisse. Ein faszinierender Text aus den schillernden Worttropen Sarduys.« (Nürnberger Zeitung)

»Wenn es Sarduy nicht gäbe, müsste man ihn erfinden!« (Juan Goytisolo)

Der Autor

Severo Sarduy, 1937 auf Kuba geboren, lebte von 1960 an als Maler, Romancier, Dichter, Essayist, Hörspielautor, Dramatiker, Wissenschaftsjournalist, Lektor und Herausgeber in Paris. Er starb 1993 an den Folgen von Aids.

Sarduy, Enfant terrible unter den lateinamerikanischen Schriftstellern, zählt zu den bedeutendsten kubanischen Autoren des 20. Jahrhunderts. Auf Deutsch erschienen bisher, neben einigen Hörspielen, die Romane »Bewegungen« (1968), »Kolibri« (1991) und »Woher die Sänger sind« (1993).

Mehr zum Autor unter: www.severo-sarduy-foundation.com

Der Übersetzer

Thomas Brovot, geb. 1958, lebt als Übersetzer (u. a. Juan Goytisolo, Federico García Lorca) in Berlin. Für seine Neuübersetzung von Mario Vargas Llosas »Tante Julia und der Schreibkünstler« erhielt er 2012 den Helmut-M.-Braem-Übersetzerpreis.

Severo Sarduy
Kolibri

Roman

Aus dem kubanischen Spanisch von Thomas Brovot
Mit einem Nachwort von Frank Heibert

Edition diá

Inhalt

I
Olmekischer Kolossalkopf
Der Tod in Jadegrün
Krieg der Schriften
Gott ist Simulation
Guavensorbet

II
Der Raub der Erzählung
Rückkehr in die Heimat
Fiesta

III
Aber auf einem anderen Weg
Die Weiße Äffin
Schlusstanz

Metamorphose, Travestie und Sehnsucht

Impressum

Der Kolibri, Herr des Zuckers,

geht aus der Ekstase in den Tod.

José Lezama Lima, Paradiso

Für meinen Vater, der mir einen Kolibri schenkte; allerdings mussten wir ihn wieder freilassen – in Gefangenschaft verweigern sie die Nahrungsaufnahme.

Für Roberto González Echevarría, der über meine Bücher ein eigenes geschrieben hat.

I

Olmekischer Kolossalkopf

Er tanzte zwischen zwei Spiegeln, nackt, hinter der Bar. Die »Wale« – lüsterne und zahlungskräftige alte Böcke, die nach Einbruch der Nacht, in sich versunken oder brünstig, gekielholt im Lokal lungerten – schoben ihm grüne Dollarscheine in die feuchten Hände oder, bevor er ihn mit einem Ruck auszog, unter den Lederriemen, der ihm als Slip diente.

In glühender Mittagshitze war er auf dem Bug eines flachen grauen, bullaugenlosen und ungeflaggten Kohlenkahns von den sumpfigen Dörfern des Flussdeltas heraufgekommen, um seine Haut mit bunter Tinte zu verzieren und an den Ringkämpfen teilzunehmen; in den Hosentaschen trug er einen kleinen Jadestein und verschiedene nicht mehr gebräuchliche oder schartige Münzen. Den ganzen Tag über hatte er Maracujasaft mit Rum getrunken und in einem vokalreichen, dröhnenden Wäldlerdialekt gesungen.

Statt das Tor am Eingang aufzustoßen, erhob er sich, auf die rechte Hand gestützt, in die Luft, verharrte einen zenitalen Augenblick lang schwerelos – und fiel dann, wie einer, der vom fahrenden Zug springt, auf die andere Seite: Trotz seiner Größe und seiner wuchtigen Statur tauften sie ihn Kolibri.

Er war natürlich blond. Aber wenn ich sage: blond, musst du dir einen mächtigen, struppigen Schopf ausmalen, glänzend, eher albinoweiß als blond, der sich in Zeitlupe und verschlungenen Voluten auffaltete, Sauerstoff, Regen-Ozon, Glasfaser, allerfeinste Tropfen versprühendes Maisstroh, das Haar eines siegreichen Athleten, wenn er nach dem Kopfsprung wieder auftaucht.

Diesem überbordenden Gold widersprachen die Augenbrauen: ebenmäßige symmetrische Bögen, in der Mitte zusammengewachsen, intarsiengleich; sie waren pechschwarz, als gehörten sie zu einem anderen Körper.

Wenn er sich bewegte, schüttelte er die goldenen Zotteln und bespritzte die Dürstenden mit seinem Schweiß. Die riesigen sehnigen Füße stampften voller Zorn; unter zartem Geklirre, genieselte Marimbaklänge, erzitterten die Biergläser, schwappten über und wurden von einer eilfertigen pferdezahnigen Kellnerin, die an ihrem Groll keinen Zweifel ließ, wieder vollgeschenkt.

Das Licht zellophanverhüllter Laternen umgab ihn mit einer orangefarbenen Aureole; die symmetrischen Spiegel vervielfachten, östlich wie westlich, getreulich und glaubwürdig, den sich windenden Körper in der Mitte.

Um die Wale herum scharwenzelte, geneigt, die Alten je nach deren Bedürfnis und Barschaft mit Hätscheleien oder Grobheiten zu verwöhnen – da nur spärlich und nach eigenem Belieben gewährt, waren Letztere kostspieliger –, ein hitziger Hofstaat von »Jägern«: ehrgeizige, gleichwohl beschäftigungslose Grünschnäbel, die der sommerliche Seegang mit knospendem Bart und Stimmbruch aus den entlegenen Dörfern der Flussmündung in den »Palast« gespült hatte, mit ungeschliffenen Manieren, die Hände noch befleckt vom ersten Samen.

Im Morast stecken gebliebene Lastwagenfahrer, Süchtige ohne Stoff, Schwarzhändler vom Fluss und junge Kautschukzapfer, vom dürftigen Repertoire ländlicher Tätowierung eilig geprägt – bläuliche Anker und Herzen, Kreuze und Kobras –, allesamt stämmig und verschwitzt, mit aufgeschnürten Stiefeln und breiten Händen, tanzten auf dem Tresen, zwischen den Tischen, hinter den undurchsichtigen Paravents des Salons oder, wenn sich die Perlenvorhänge auftaten, in buntem Durcheinander auf dem improvisierten Podium am Ende eines schummrig-intimen Anbaus.

In anmaßendem Verismus auf die Wand gemalt, diente eine Winterlandschaft – billiges Oxymoron zusammen mit den tropischen Dekorationen – dem Etablissement und seiner wüsten Szenerie als Kulisse.

Das Spektakel begann nie zu fester Uhrzeit. Es genügte, dass ein ausgelassenes Waltier, magnetisiert von der eingelegten Harpune irgendeines abgedrifteten Nachtjägers – barsche Handbewegung, hochmütiger Blick, gespanntes Gesicht: deutliche Vorboten seiner Attacke, Zeichen unleugbarer Autorität –, mit überkippender Stimme angesichts seiner nahenden wollüstigen Unterwerfung die Eröffnung der Wettkämpfe verfügte, schon eilten die Widersacher in gespieltem Taumel paarweise zum Podium, in herausfordernder Bereitschaft, die Riesenhände geöffnet, Jaguarmaskenmund, vor geheuchelter Raserei bebend, ungeduldig darauf brennend, unter den Augen der ehrwürdigen Zuckersüßen das Arsenal ihrer pyrrhischen Potenz oder ihre ungeniert geriebene Geschicklichkeit in der Kunst der Demütigung zu entfalten.

Die Regentin, ein üppiger Wal, Opfer eines atavistischen Rückschlags oder jener widrigen Vorzeit, die kosmetische Ausflüchte nicht mehr verbrämen, war über Nacht für immer ergraut und organisierte nun als Dekanin von Katechumenen und Erfinderin jener Schwindelshow die Knabenkämpfe.

Damit lockte sie, im Schlepptau der derben Milchbärte, die lasziven und vermögenden, stets nach jungen Burschen gierenden Besucher der Gegend an und rekrutierte so, gemäß dem Gebot der Knausrigkeit das Nützliche mit dem Angenehmen verbindend, allwöchentlich aus der Sippe der Siegreichen ihr persönliches schneidiges Gestüt.

Bei ihrer Katalogisierung, je nach Verdienst in dem doppelten Geflecht aus Drogen und Adonissen, sekundierten weitere Seeungeheuer – Dealerdelfine, Händlerhaie, allgegenwärtige zapplige Thunfische – der weißhaarigen Regentin und ihrer kugeligen Zwergin; außerdem waren sie ihnen bei der kniffligen Gestaltung des Wettstreits behilflich. Aus lauter Malice spielten manche das abgekartete Spiel mit einem blitzschnellen Voltenschlag auf beiden Seiten mit.

Die Kämpfe waren wilde Fiestas, ohne Rückzieher, Revanche oder Ringrichter, um das Ausmaß der Raserei zu dämpfen; niemand lieh auch nur die geringste Aufmerksamkeit den verstimmt genäselten Verwünschungen eines pummeligen Spaßvogels, der Zwergin, die beim Einläuten der Rauferei mit geschlossenen Beinen zum Podium hoppelte – zur Feier des Tages im Bikini –, um dort schnaufend, mit rechtwinkligen Gebärden und dem Fin-de-Siècle-Pathos einer argentinischen Rezitatorin zu deklamieren:

Will mit dem Ellenbogen keinen Knuff

und mit dem Kopf keinen Puff.

Was ich will

– zwo, drei –,

ist ein Kampf

– cha cha chá –,

knallhart wie kein zweiter …

Ein großköpfiger Riesenschlaks, Doppelgänger und Zerrbild der Zwergin, half mit feuchten Schwämmen und amphetaminversetzten Cocktails aus, sogar mit der einen oder anderen äußerst wirksamen – er folgte den Weisungen der Homöopathie – Extraohrfeige für die Besiegten, deren endgültige Schmach den Stiftsgreisen das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ.

Ja, denn was die Katechumenen in jenem Scheingefecht am meisten genossen, war die gewundene Wollust zu gehorchen, letzte freudige Zuflucht für cartierverdrossene, smaragdbehängte Petroleros, einstmals lebemännische Notare und Kommandanten, die mit ihren verbeulten Baretten und Litzen aus verblichenem Gold für eine Nacht verstohlen die blechbehängten Röcke lüpften, bei jeder Bewegung ein Schrottgebimmel rostiger Glöckchen; eine stattliche dreigespitzte Mitra zierte die Glatze eines falschen Bischofs.

So machten sich also die Maulhelden über die Schwächeren her. Wenn ein meisterlicher Armhebel einen schmächtigen Körper vornüberbeugte und ihn unter dem gebieterischen Gewicht des Rivalen – den ein anerkennender Blick nun zum Herrn erkor – aus dem Lot auf die Nase warf, stürzte der Sieger ebenfalls mit den Knien auf den Boden und schloss seine Krallen um die eingekeilten Fäuste und den Hals des Unterworfenen. Den Mund am Ohr, drosch er dann mit – immergleichen – Beleidigungen eigener Schöpfung auf ihn ein.

Der Kodex der Verhöhnungen war verbindlich: Gelächter, gespötteltes Lob, wohldosierte Abfälligkeiten und lockere Aphorismen für den Besiegten; unverdiente Hyperbeln für den Maître:

Phänomenales Stehvermögen!

Diese stille Kraft!

Wahrhaftig, ein schwereloser Kampf!

Und das Spiel mit den Knien … einfach zauberhaft!

Nach ein paar Minuten der Stille, unterbrochen vom Keuchen und Jammern – zuweilen von den Sirenen irgendeiner fernen, im Delta verirrten Barkasse, stets vom schrägen Regen auf dem Palmdach –, besiegelte eine rüde Zeremonie den Triumph: Der Sieger drehte mit Gewalt das Gesicht des jeder Hoffnung Beraubten um; öffnete ihm den Mund, aus dem Minze – die Rivalen kauten sie, um sich während des Kampfes aufzuputschen – über die zusammengepressten Lippen quoll, und ein fluoreszierender, schleimiger Ausfluss, nächtliche Flut aus Algen und Austern, überschwemmte das widerstrebende Gesicht des Unterworfenen. Wenn die schneeweiße Regentin, Sprecherin des Waltierwillens, es verlangte – das heißt: immer –, wurde die gespritzte Liebkosung wiederholt, in den Arsch.

Um den kräftigen Neuankömmling Kolibri herauszufordern, hatten die übermütigen Waltiere, zu dieser Zeit bereits voll finsterer Vorfreude, unter genüsslichem Frotzeln den wildesten und heimtückischsten der Angriffslustigen ausgewählt: ein Prachtexemplar von einem Japaner, drall wie von Botero gemalt, mit einer glatt gespannten Haut und einem Umfang, als hätte man ihn aufgeblasen.

Wenn nicht einem Rubens’schen Bordell aus dem Kolumbien der späten vierziger Jahre, so entstammte er der Schule des rituellen Ringkampfs zur moralischen Erbauung, welcher den sportlichen Dynasten zur Zeit des Niedergangs des Nipponreiches die vernieselten Mittage mit Titanenprahlereien vertrieb. Er hatte sich sorgfältig die Haut eingeölt und das Haar, lackschwarz, zu einem gebieterischen, pyramidalen Knoten hochgebunden, drei Kugeln übereinander, wie ein Berg Meru.

Nach einem rhetorischen Aufgebot gunstheischender Schmähungen, die in einem fort den Widersacher auf den Platz des Hasen verwiesen, während er sich selbst die Klasse und Gewandtheit des Keilers beimaß, ging er zu säbelrasselndem Geplänkel über; mit echten Tigerzähnen hatte er eine Halskette aufgerüstet, an der als Anhänger der Kopf eines ehedem von den Wilden geschrumpften blonden Missionars baumelte, der trotz des unvermeidlich gekünstelten Aussehens und der von den Reduziersäften eingefurchten Züge dem christusgleichen Abbild Kolibris ähnelte.

Wie im Fieberwahn durch diese Kriegslist oder durch den Einfluss, den jeder Fetisch auf die Wirklichkeit ausübt, trat er mit plattfüßigen, elefantiasischen Schritten, die das Parkett aufkrachen ließen, vor bis zum Proszenium; und die Hände in die Hüften gestemmt, sich mit Luft aufpumpend wie ein stachelgespickter Kofferfisch, stieß er ein pentatonisches Gebrüll hervor, das ein offener Vokal einleitete und ein bedrohliches Heulen beschloss, gleich dem eines tibetanischen Hundes beim Anblick einer unvorsichtigen getigerten Katze, die ihm an der Nase schnuppert.

Eine abschreckende Grimasse, halb angewidert, halb schielend, unterstrich den aufgeplusterten Übertölpelungsversuch: Das talkgepuderte elastische Mondgesicht, mit herausfordernder Beharrlichkeit Kolibri zugewandt, spaltete sich in ein vollkommen horizontales Riesenmaul, mit parallelen, vorspringenden Rändern, ein roter Schlitz, als zerrte ein unsichtbarer, hinter dem Ringkämpfer in Stellung gegangener Komplize mit Daumen und Zeigefinger an seinen Mundwinkeln.

Ich sagte, er war beleibt und glatt, das stimmt, doch jetzt, wo wir ihn in Höhe der Taille und in Großaufnahme sehen – noch ein Schritt, und er verpasst uns mit seinem ausgebeulten feuchten Tanga einen Stoß –, drängt sich einem als Attribut ein Wasserbad auf, denn vom vorgewölbten weißen Bauch bis zum kaum beschatteten Dreieck – er hat kein einziges Haar auf dem Körper –, das den Leckerbissen umschließt – nebenbei gesagt, ziemlich winzig im Verhältnis –, hängen vier gleichmäßig abnehmende, überlappende Terrassen herab, aus einer Art feinem Fettgewebe, wie eine Grottendecke, geschichtete Lava oder das Stuckrelief einer neapolitanischen Grabkapelle des Rokoko.

Nach diesen furchteinflößenden Faxen, mit den einschlägigen Superlativen ausgiebig gefeiert, einem kurzen Aufjammern und selbst ein paar gymnastischen Seufzern im Hinterzimmer wandte sich der geschwellte Nippone wieder seinem vermeintlichen Opfer zu, um es abermals herabzuwürdigen und zu demütigen, diesmal in einem vom Nara-Dialekt schwerfälligen Spanisch und nach den Geboten einer uralten, undurchdringlichen Rhetorik, versetzt mit unförmigen Figuren, unheilvollen Tieren, unwiderruflichen Beschwörungen, Unflat und Magie.

Kolibri rückte in die Mitte des Podiums vor, nackt, im Rausch; ein verwegenes Lachen und ein Mamboschritt bekundeten seine Verachtung.

Ein paar Karatelehrlinge, verdutzt angesichts des gutturalen Gezeters und gellenden Inventariums des Obernipponen, verfolgten seine gewundenen Paraden von der Küche aus dank mündlicher Übermittlung; ein Sprecher in Schürze und mit fettiger zylindrischer Mütze beschrieb – übertrieben-gönnerhaft, sportlich knapp und mit einem Anflug von Schwulst zugleich – die Heldentaten des Orientalen.

Der Niedergang der Ringkampfkunst, Spiegelbild der allgemeinen Wirtschaftskrise, hatte die ungeduldigen milchbärtigen Athleten in den Parameter [1] des ersatzweisen Geschirrspülens verbannt; diese Abwaschklausur durften sie erst verlassen, wenn die schon eingefetteten, notdürftig aufgerichteten Waffen der letzten Jäger – der am wenigsten kriegstüchtigen, versteht sich – auch die widerspenstigsten, am meisten ihren Petrodollars und dem Kampf zugeneigten Wale erlegt hatten.

So kamen die Fans des Ungezähmten, runzlig von der Waschlauge, skorbutisch und bleich, erst hervor, als die Nacht bereits ihre Farbe wechselte.

Geblendet von seinem eigenen Gegaukel oder von dieser schmähenden Kakofonie, die er mit uraltem Kriegerverstand für unangreifbaren Zauber oder giftige Mantras hielt, stürzte sich der Herr aller Hebel, kaum hatte er ihn vor sich, auf seinen flachsblonden Feind.

Er attackierte von vorn, blindwütig trampelnd, Beine und Arme gespreizt; die ungeduldigen, geschmeidigen Finger, Krebsscheren, knautschten einen imaginären Gummiball oder probten frohlockend eine meuchlerische und wohlbemessene Erdrosselung, wie jemand, der ein Ringeltäubchen würgt, bis es knackt.

Um das schutzgewährende Schillern der Tiefseefische zu erzielen, die ihre Feinde mit dem Glitzern ihres Körpers blenden – und, unter uns gesagt, auch, um mit einem changierenden Lack aus pulverisiertem Perlmutt und Metall die verzärtelten Zimperlappen aus der Küche zu betören –, hatte er sich seine aufgeschwemmte Schwarte mit einem dickflüssigen Öl eingeschmiert, blau geädert, ein harziger Schmelz und zwei abstoßende, widerstreitende Gerüche: Kampfersalbe und Dior-Extrakt.

Mit dem ersten Armhebel versuchte der Große Schimmerling das Vögelchen zu lähmen.

Die verzückten Topfgucker kommentierten, in einem kollabierenden Schwafelschwall nach Art der Sportreporter, ohne Atemholen noch Zäsur, den Schwitzkasten und seine Auflösung: »Die wackeren Ringer geben eine feurige Probe ihres Muskelspiels, gehen in den Clinch, verkeilen sich, versuchen aus der Umklammerung heraus den anderen niederzuzwingen, stürzen zu Boden; ein Hebel verdreht dem Hans-schwirr-in-der-Luft den rechten Arm, doch der befreit sich mit einem Sprung, läuft zur Wand, attackiert mit geschlossenen Beinen den prallen Bauch seines Rivalen; wieder stürzen sie, schrauben sich ineinander.«

In der Übertreibung seiner Schutzmaßnahmen lauerte die Niederlage des Fudschijama. Als der perlenglatte Plumpsack ihn gerade umschließen wollte wie eine gewaltige, erstickende Muschelklappe, gelang es Kolibri dank ebenjener glänzenden Vaseline, die seine Sinne umnebeln sollte, den erdrückenden Stempeln zu entschlüpfen wie eine verschreckte Antilope den sich zusammenziehenden Muskeln einer Boa constrictor.

Als er sah, dass der Vogel ihm aus den Händen glitt und sein wortgewandter Firlefanz ihn keineswegs einzuschüchtern vermochte, beschloss der Weiße Riese, fest davon überzeugt, dass er ihn nicht direkt zu packen bekäme – ebenso wenig wie den Kranich beim Reisfest oder die Erleuchtung –, die Strategie der Kettenwidersprüche anzuwenden: die Versöhnung der Gegensätze, von den mythischen Urstreitern für unfehlbar erklärt, um jedem Kampf, der sich zu Unrecht gegen den Besseren zu entscheiden droht, eine plötzliche Wende zu geben.

Hokkaido zeigte dem Feind die Schulter. Kolibri rieb sich den rechten Arm und schnupperte mit angeekelter Grimasse an seiner geschmierten, phosphoreszierenden Hand; die morbiden Moby Dicks, der ganzen abgeschmackten Spiegelfechterei schon überdrüssig, schüttelten sich unter fröhlichem Gelächter, als hopsten sie auf einer riesigen, erfrischenden Welle.

Ein paar von ihnen, putzmunter und stolzgeschwellt, fauchten in einem schäumenden vertikalen Strahl ihr Getränk in die Luft; vergeblich versuchten sie es mit dem Glas wieder einzufangen, patschnass unter einem Geysir von Gin frappé.

Mit offenen Händen fasste Kolibri nun an ein Zepter – eine zwar königliche, aber unzulängliche Metapher –, das die Heftigkeit der Übung oder der verborgene Furor genetzt hatte; mit diesem flüssigen Kristall cremte er sich das Gesicht ein; dann strich er sich auch das Haar glatt. Und bestellte noch einen Bacardi.

Währenddessen rückte der Weiße Bomber wie unbeteiligt an die Rampe vor, wo er dreist einen leichten Schwindel vortäuschte, dumpfe Muskelschmerzen oder den Kater nach einer fröhlichen Sause.

Bevor er wie der Blitz auf das kleinteilige Winterfresko zuschoss, vor dem Kolibri – von jenem »raffinierten Spiel der Weißtöne« in eisigen Dunst gehüllt – unverfroren einen Mambo tanzte.

Von Amphibiengeistern angetrieben oder von der Kraft, die der Hass verleiht, setzte der Orientale, als er die verschneiten Tannen sah und vor ihnen den tanzenden Kolibri, zu einem verheerenden doppelten Salto mit eingedrehtem Doppelaxel an, dessen bogenförmiger Anflug das versonnene Inselvögelchen unter den kapitalen Säulen seiner Schenkel zermalmen oder am unteren, dem penibelsten Teil des Freskos zerquetschen sollte.

Im Folgenden nun, aus der Küche beobachtet und mit mühsam unterdrücktem Tremolo kommentiert, das Geschehen des vorangegangenen Absatzes – während gleichzeitig die Soße der Calamares in ihrer Tinte, gierig verquirlt, alles bespritzte und der Bohnenreis in der Kasserolle anbrannte:

»Ein Schritt zurück, majestätisch, energisch, um Anlauf zu nehmen. Vier ausladende, überzeugende Schritte: ein assyrischer Bodenakrobat. Ein Brüllen, und die Erde bebt. Der Glitzergigant schraubt sich in die Luft …«

Den Walen verschlug es die Sprache; die Luft abgeschnürt, stocksteif. Die Zeit blieb stehen. Ein Glas zersprang.

Als er in die Umlaufbahn geschossen war und seine Reisegeschwindigkeit erreicht hatte, nunmehr bereit, die Kapriole im Quadrat zu schlagen, schielte der Akrobat nach seinem Ziel.

Was ist denn jetzt los? Wo ist Kolibri? Siehst du ihn? Ich nicht. Ist er durch eine Geheimtür verschwunden, eingelassen in die Wand, verborgen und verfugt durch die nasführende Winterlandschaft? Ist er geflüchtet? Davongeflogen? Hat er sich in Luft aufgelöst? Hat der auf die pralle Haut des Boliden aufgetragene diabolische Balsam – mittlerweile zu einem klumpigen Kleister mit sprühenden Phosphorfunken verkommen, Augen eines erstickten Seehechts – seine transparente Patina und höhnische Unsichtbarkeit auf den schwerelosen Schwirrmatz übertragen? Vielleicht haben aber auch – letztmögliche Hypothese, die Zeit drängt – die pummelige Albinozwergin und die großköpfige Riesenschlakse, diese ausgekochten Zotteljulen, mit ihrem sprichwörtlichen Geschick für alles Figurative, das sie, nebenbei gesagt, nur im Dienste des Betrugs und der Simulation einsetzen, mit blitzendem Pinselstrich, deckungsgleich mit dem Wandgemälde, auf die Füße Kolibris das unbewegte Ufer eines Wintersees gemalt, auf die Beine, hoch bis zur Taille, das grau schimmernde Wasser, auf die Brust einen fernen Horizont und das im Nebel versinkende Gebirge, auf sein Gesicht den weißen Himmel, gleichförmig, konturenlos, ohne Mitte. Im Vordergrund spannt sich ein reifbedeckter Kirschzweig über seine Stirn. Und darauf hockt bibbernd – Vogel auf Vogel – eine Wachtel.

Was ist aus Kolibri geworden? Ich weiß es nicht. Keiner hat ihn gesehen. Wen wir aber alle gesehen haben – und zwar zur Genüge, schließlich ist er allgegenwärtiger als weißer Reis –, ist unser schlitzohriger Henry Moore, der langsam seinen Zenit erreichte und dort – plumpes Sinnbild seines Schicksals – gleichzeitig über und hinter sich schaute. Solchermaßen die Welt im Silberblick, begann er seinen Landeanflug, Hals über Kopf, ohne Hand und Fuß, der sich nach den Gesetzen, die seine Masse auf der elliptischen Umlaufbahn steuerten, immer mehr beschleunigte, je näher er dem Panorama kam.

Gegen dessen Gletscher er, nach einem kurzen Blackout, schmetterte.

Selbstverständlich hat die Wand nicht die kleinste Tür, es ist weder ein Guckloch noch ein Riss im Fresko, noch irgendetwas sonst, das uns erlaubte, hinter die Abbildung zu gelangen; weshalb ich auch nicht die geringste Ahnung habe, wie der Himmelsstürmer genau stürzte, gegen welches Eisrelief, welchen Stamm, welchen stilisierten Schlitten, welches verspielte Eichhörnchen mit seinen Nüssen, gegen welche Tanne oder Troddel sein gewölbtes Rückenpolster prallte.

Aus der Perspektive des Publikums – zunächst angstschlotternd, beim Missgeschick dann jubelnd und nun, wie immer den Gestrauchelten gegenüber, verächtlich und bissig – sieht man, wie er sich mühsam aufrichtet, als hätte man ihm Glassplitter und Zitrone auf die Knie gerieben.

Unter reglosen weißen Holzmasken fordern uns die Akteure im antiken kaiserlichen Theater mit beredten Bewegungen und rauen Modulationen auf, das Gefühl kosmischer Harmonie zu entschlüsseln, das Entsetzen und die Wollust, die Ungeduld oder den Hass; und so ist es die verklingende Langsamkeit, mit der er sich erhebt, das unrhythmische Schnauben des Ikarus – ein Kind, das eben noch geweint hat –, was uns dazu bringt, einen Schmerz auf sein Gesicht zu projizieren, der es zu verzerren scheint, obwohl es eigentlich in pompöser Starre verbleibt.

Schon ist er wieder auf den Beinen, der Blick gesenkt. Heil. Marmorstatue. Unverletzt. Nein, schau genau hin! Von seiner rechten Augenbraue – ein geschwungener breiter Kohlestrich, Kometenschweif oder Initiale eines Kalligrafen – kullert ein Blutstropfen auf das geschlossene Kreidelid, ein Rinnsal, gespeist aus der winzigen purpurroten Quelle, immer schneller, über die Wange, den breiten Hals entlang, windet sich den Rumpf hinab, liniert die Hüfte und den Oberschenkel und zerteilt so, eine Anschauungstafel der Akupunktur, das blessierte Abbild des Champions in asymmetrische Flächen.

Mit einer halbrunden Nadel, ausgekocht in einem Sud von Eukalyptus und Zimt, nach einem Blick in das verblasste Brevier eines Schamanen und einem Wischer mit dem essiggetränkten Scheuerlappen zur Desinfektion, nähten die – nunmehr etwas erlahmten – Verehrer, nachdem sie in der Küche eine passende Hängematte gespannt hatten, die Wunde mit drei parallelen, sich verjüngenden Stichen, welche die Braueninitiale in die versengte Hieroglyphe einer gescheiterten Revolte verwandelten.

Sie legten Mützen und Schürzen ab. Kämmten sich rasch, ohne Spiegel. Dann löschten sie das Licht. Sie vergaßen die Deckel neben den Töpfen, an denen sich die Katzen gütlich taten. Und ließen ihn allein, sich wiegend, bis er eingeschlafen war.