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Any Cherubim

YOU & ME - Zwei Leben mit dir

Liebesroman


Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen, Orten und sonstigen Begebenheiten sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.


BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

YOU & ME

 

 

 

 

 

 

 

 

Zwei Leben mit dir

 

 

 

Von Any Cherubim

 

 

 

 

 

 

 

Inhaltsangabe:

 

Er hat das Herz eines Heiligen, den Geist eines Philosophen und das Geschick des Teufels

– Jake Bennet – alias Roger Roon.

 

 

Er stürzt meine Gefühle in ein Chaos, er erlaubt mir, so zu sein, wie es mir all die Jahre zuvor verboten war.

Durch ihn habe ich die Chance, einmal das Abenteuer zu spüren – etwas Unvernünftiges zu tun.

Dennoch werde ich Matt heiraten und in mein vorbestimmtes Leben eintreten, er gibt mir Halt – ihn liebe ich!

 

 

 

 

*** Der neue Liebesroman von Any Cherubim ***

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Gedicht

 

 

„Was ihn aber mit voller Macht anzog, war eine hohe lichtblaue Blume, die zunächst an der Quelle stand, und ihn mit ihren breiten, glänzenden Blättern berührte. Rund um sie her standen unzählige Blumen von allen Farben und der köstlichste Geruch erfüllte die Luft. Er sah nichts als die blaue Blume und betrachtete sie lange mit unnennbarer Zärtlichkeit. Endlich wollte er sich ihr nähern, als sie auf einmal sich zu bewegen und zu verändern anfing; die Blätter wurden glänzender und schmiegten sich an den wachsenden Stengel, die Blume neigte sich nach ihm zu, und die Blütenblätter zeigten einen blauen ausgebreiteten Kragen, in welchem ein zartes Gesicht schwebte. Sein süßes Staunen wuchs mit der sonderbaren Verwandlung.ˮ

Novalis: Heinrich von Ofterdingen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 1 Hannah

The One

 

 

 

Eine New Yorker Vernissage hatte ich mir wirklich anders vorgestellt – Gäste, die in kleinen Grüppchen ihr Sektglas festhielten und mit fragenden Gesichtern die ausgestellten Bilder bestaunten. Ruhiges Gemurmel, vielleicht leise Musik. Zumindest hatte ich es so im Kopf, dicht gefolgt von der Vorstellung, dass dies ein Ort wäre, an dem man den künstlerischen Gedanken auf sich wirken lassen könnte.

Aber das hier hatte ich nicht erwartet! Dies war keine gewöhnliche Vernissage, sondern vielmehr eine Party. Laute Musik beschallte das Kunsthaus, Kellner mit freiem Oberkörper, nur bekleidet mit schwarzen langen Hosen, einer Fliege und weißen Handmanschetten, versorgten die Gäste mit Getränken und kleinen Häppchen. Die Damen trugen die tollsten Cocktail- und Abendkleider. Die Stimmung schien ausgesprochen gut. Für Lisa hatte ich mich in mein enges schwarzes Etuikleid und High Heels gezwängt und meine Haare auf große Lockenwickler aufgedreht. Ein wenig unwohl fühlte ich mich schon, so aufgebrezelt. Durch meine hohen Absätze brannten mir die Füße.

»Bist du sicher, dass wir hier richtig sind?«, fragte ich Lisa, meine beste Freundin, verwundert. Ihr hatte ich es zu verdanken, heute Abend nicht gemütlich mit einer DVD und einem Becher Eiscreme auf dem Sofa zu liegen.

»Jetzt stell dich nicht so an! Ist doch eine nette Party. Tante Nancy weiß eben, wie sie ihre Gäste überrascht. Ihre Vernissagen sind nie langweilig.«

Noch bevor ich etwas erwidern konnte, zog sie mich in das Getümmel. Bestimmt hatten die Gäste den Anlass des heutigen Abends schon längst vergessen. Die Bilder wurden zwar von mehreren Spots angestrahlt, doch niemand schien sie zu beachten, obwohl die Creme de la creme der New Yorker Kunstszene zugegen war. Lisas Tante Nancy war Kunstliebhaberin, Galeristin und bot jungen Talenten eine Chance.

Heute feierte sie ihr Geschäftsjubiläum. Seit zwanzig Jahren war Nancy Hollister im Kunstgeschäft eine feste Größe und hatte sich im Laufe der Zeit einen Namen gemacht.

Einer der Oben-ohne-Kellner lief gerade an uns vorbei. Sofort nutzte Lisa die Gelegenheit und schnappte sich zwei Sektgläser. Und weil sie es gern übertrieb, fing sie an, einen ganzen Stapel der liebevoll angerichteten Snacks vom Tablett zu stibitzen. Erstaunt beobachtete der Kellner, wie sein Tablett immer leerer wurde und als Lisa bemerkte, wie unverschämt er dies fand, nahm sie ihm gleich das ganze Tablett ab. Sein Mund klappte auf, er wollte etwas sagen, doch man sah ihm deutlich an, wie er sich auf die Zunge biss und seinen Kommentar herunterschluckte.

Ich dagegen starrte sie vorwurfsvoll an ‒ wie konnte man so gierig sein?

»Was?«, versuchte sie sich zu verteidigen, als sie meinen tadelnden Blick bemerkte. »Ich habe den ganzen Tag noch nichts gegessen.«

Typisch Lisa! Wenn ihr Magen sie nicht mit lautem Knurren daran erinnern würde, dass er gefüllt werden wollte, dann würde sie ihn komplett vergessen.

Genüsslich stopfte sie sich den ersten Happen in den Mund und spülte ihn mit einem Schluck Sekt hinunter.

»Wo Tante Nancy wohl steckt?«, fragte sie mit vollem Mund. Unsere Blicke wanderten durch die Menge.

»Sie wird sich schon noch zeigen. Bestimmt hat sie alle Hände voll zu tun.«

Wir schoben uns durch die Menge zu einem kleinen Bistrotisch am Rande der Party. Von dort aus hatten wir eine bessere Sicht. Lisa verputzte ihre Häppchenration und kippte den Sekt in einem Zug hinunter. Zufrieden mit ihrer Mahlzeit, lächelte sie mich an. In ihrem aprikotfarbenen, kurzen Kleid leuchtete ihre gebräunte Haut golden. Ihre blauen Augen waren heute etwas kräftiger geschminkt als sonst, ihr Haar trug sie wie immer offen. Sie hatte von Natur aus wunderschöne Wellen und sah meist aus, als käme sie gerade vom Friseur. Ihre Wirkung auf Männer war ihr durchaus bewusst. Trotzdem war sie überzeugter Single. Bisher hatte sie mir nicht verraten, warum sie sich niemals auf einen Mann einließ.

»Da ist sie ja«, rief Lisa und winkte hektisch ihre Tante zu uns.

Nancy Hollister war eine sehr attraktive Frau und ihr tolles, rotes Kleid passte ausgezeichnet zu ihrem Typ. Sie wirkte wie Jane Fonda ‒ frisch, modern und sexy. Kaum hatte sie Lisa entdeckt, breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus.

»Na endlich! Wo habt ihr euch den ganzen Abend versteckt?« Sie begrüßte uns mit Küsschen.

»Schön, dass ihr endlich da seid. Mischt euch ein wenig unter die Leute und habt Spaß. Heute sind attraktive Männer da.« Sie zwinkerte Lisa zu, die jedoch genervt von dem Thema ihre Augen verdrehte.

»Tante Nancy, bitte«, stöhnte sie. »Du weißt genau, dass ich nicht deswegen hier bin. Mit meinem Studium und meinem Job habe ich schon genug zu tun. Und Hannah wird sehr bald heiraten, wie du weißt.«

»Na und! Was hast du gegen ein wenig Spaß? Außerdem ist Hannah noch nicht unter der Haube!« Sie lachte und zwinkerte mir vielsagend zu.

Eigentlich mochte ich Lisas Tante sehr, trotz ihrer eigenwilligen Ansichten über die Ehe. Sie selbst war bisher vier mal verheiratet. Keine der Ehen hatte länger als drei Jahre gehalten. Seit fünf Jahren war sie nun Single und Lisa der Meinung, dass dies für Tante Nancy und die Männer am besten war.

»Tanzt, Mädchen, und habt Spaß. Kein Mann ist es wert, auf alles zu verzichten. Das Leben ist zu kurz, um sich für jemanden aufzusparen.« Sie tätschelte Lisa, nahm sich gut gelaunt ein Glas Martini von einem Tablett und ging.

Kopfschüttelnd sah Lisa ihr hinterher.

»Meine Tante! Es ist mir ein Rätsel, wie sie und meine Mutter Geschwister sein konnten. Sie sehen sich weder ähnlich, noch haben sie irgendetwas gemeinsam. Manchmal frage ich mich, ob Tante Nancy als Baby vertauscht wurde.«

Kichernd trank ich noch einen Schluck und spürte, wie der Alkohol meinen Körper langsam wärmte.

Ich wusste, was Lisa damit meinte. Nancy genoss ihr Leben in vollen Zügen. Sie verzichtete auf nichts, ging offen mit ihren Bedürfnissen und Plänen um. Sie war selbstständig und unabhängig. Sie scherte sich einen Dreck darum, was andere von ihr hielten, und sie ließ sich niemals vorschreiben, was sie zu tun hatte. Sie musste keine Erwartungen erfüllen. Insgeheim bewunderte ich sie, aber das konnte ich niemals zugeben.

Durch meine Verlobung mit Matt war mein Schicksal klar vorgegeben. Bald würde ich die Frau von Matt Baldwin sein. Er war der Sohn von John Baldwin, dem Firmeninhaber von Baldwin Industries. Nach unserer Hochzeit sollte er die Firma übernehmen, weil sein Vater sich aus dem Geschäft zurückziehen wollte.

»Wie schafft es deine Tante, dass sie sämtliche Aufmerksamkeit auf sich zieht? Sieh dir das an!«

Alle Augen waren auf Nancy gerichtet und man merkte, wie sehr sie es genoss. Sie blieb bei einer Herrenrunde stehen und war sofort in eine Unterhaltung vertieft.

»Tja, ich würde sagen, meine Tante ist noch dick im Geschäft!«, meinte Lisa grinsend.

Eine Weile betrachtete ich die Männer und mir fiel auf, wie sie ihr an den Lippen hingen. Es waren bewundernde Blicke, aber auch solche voller Erwartungen und Hoffnungen. Natürlich spürte Nancy dies und genoss es, wie die Männer um ihre Gunst buhlten.

»Oh, da ist Mrs. Mundist. Ich begrüße sie eben, bin gleich wieder da«, sagte Lisa und schon rauschte sie davon und ließ mich allein an dem Bistrotisch stehen.

Ich nutzte die Gelegenheit, um meinen Sekt gegen Wasser einzutauschen. Die zwei winzigen Schlucke, die ich davon getrunken hatte, bereiteten mir Unbehagen. Ich trank wenig Alkohol, weil ich ihn einfach nicht vertrug. Er brachte eine Seite von mir zum Vorschein, die mich Dinge sagen oder tun ließ, für die ich mich hinterher meistens schämte. Also hatte ich schon vor langer Zeit beschlossen, so wenig wie möglich von dem Zeugs zu mir zu nehmen.

Ich leerte das halbe Glas Wasser in einem Zug und hoffte, damit den Sekt in mir verdünnen zu können. Jetzt fühlte ich mich schon viel besser. Trotzdem blieb eine gewisse Unbehaglichkeit, ich hatte das Gefühl, dass mich jemand beobachtete. Mein Blick wanderte durch die Menge, bis ich schließlich auf das Augenpaar traf, welches mich ungeniert musterte.

Es waren braune, warme Augen, die mich für einen Moment gefangen hielten. Der Typ stand bei Nancy und hatte seine Aufmerksamkeit auf mich gerichtet. Wie die meisten trug er einen schwarzen Anzug. Sein Haar war dunkel und kurz. Nur einzelne Strähnen hingen ihm lässig ins Gesicht. Breite Schultern und ein leicht gebräunter Teint ließen ihn wie einem Magazin entsprungen erscheinen.

Als sich unsere Blicke trafen, zuckte ein Grinsen um seine vollen Lippen. Sein Blick war intensiv und irgendwie hatte ich den Eindruck, ihn schon einmal gesehen zu haben. Ungeniert wanderten seine Augen frech über meinen Körper. Wie unverschämt! Empört, über seine aufdringlichen Blicke, wandte ich mich ab und war froh, als Lisa wieder zurückkam. Sie nahm sich ein weiteres Sektglas und sah zu ihrer Tante.

»Deine Tante ist schon eine sehr ungewöhnliche Frau.«

»Weißt du, Hannah, sie war noch nie anders. Sie hat schon immer das getan, worauf sie Lust hatte, und hielt nicht viel von den gesellschaftlichen Regeln.«

»Also, ich mag sie. Sie hat zwar ihre Eigenarten, ist aber trotzdem erfolgreich in ihrem Job. Und sie ist frei ‒ ihr eigener Chef. ... Sieh sie dir an, sie ist immer noch sehr begehrt.«

Der Typ mit den braunen Augen legte gerade seinen Arm um ihre Schultern, als wären sie ein Paar.

»Und wie man sieht, hat sie sich für diesen Abend schon entschieden«, sagte ich in einem abfälligen Ton. Solche Typen konnte ich ja überhaupt nicht ausstehen – machten sich erst an die Gastgeberin ran, und falls diese nicht einwilligen würde, suchten sie im Saal eben schon mal ein neues Opfer – nur so für den Fall, damit man nicht allein nach Hause gehen musste.

»Oh, das ist ja ... Tja, meine Liebe, mit Geld kann man einiges kaufen.«

Verdutzt sah ich zu Lisa. »Kaufen? Wie meinst du das?«

Um Lisas Mundwinkel huschte ein wissendes Lächeln. »Na, du weißt schon. Nancy bucht sich Männer für besondere Anlässe und gewisse Stunden ‒ wenn du verstehst, was ich meine.«

Was? Schockiert sah ich zu Nancy und hielt die Luft an. »Sie kauft sich die Männer? Aber ... das hat sie doch gar nicht nötig! Sie könnte doch jeden haben!«

»Natürlich hat sie das nicht nötig. Aber so hat sie alles unter Kontrolle und muss niemandem Rechenschaft ablegen.«

Mein Mund klappte auf und mir wurde bei diesem Geständnis ganz heiß. Deutlich spürte ich, wie sich meine Wangen färbten. Oh mein Gott! Wie bekam ich jetzt dieses Bild wieder aus meinem Kopf? Das war ... eklig. Fassungslos huschte mein Blick wieder zu Nancy und ihrem gebuchten und bezahlten … Mann.

»Sag bloß, du wusstest nicht, dass Nancy sich Männer bucht!«

»Woher sollte ich das wissen, Lisa? Ich bin verlobt und organisiere gerade meine Hochzeit, wie du weißt. Hallo? Du bist meine Trauzeugin, schon vergessen? Ich kümmere mich nicht um, …«

»Ja ja, ist ja schon gut. Hier in New York ist vieles anders als im prüden Richland. Du solltest dich endlich daran gewöhnen! Aber nicht dass du jetzt denkst, Tante Nancy bucht die alle. Sie ist Stammkundin bei „The One“.«

»Bei wem?«

»Jetzt sag bloß, du hast auch noch nie etwas von dem Mann gehört, der den Escort neu erfunden hat?«

»Nein! Woher auch? Ich habe noch nie einen Mann … stundenweise gekauft.«

Lisa lachte und rückte näher zu mir. »Der Typ, der aussieht wie ein junger Gott, das ist der König des Escort-Services mit dem gewissen Extra«, flüsterte sie mir zu. »Roger Roon hat den besten Ruf in der Damenwelt. In den Kreisen meiner Tante nennt man ihn „The One“.«

Ich konnte nicht anders, ich musste ihn einfach anstarren. Ein Schauer lief mir den Rücken hinunter, wenn ich an seinen Blick von vorhin dachte. Die Vorstellung, dass er sich bezahlen ließ, stieß mich ab, dennoch strahlte er eine gewisse Anziehungskraft aus. Es war nicht nur sein außergewöhnlich gutes Aussehen, sondern auch sein herausfordernder Blick, der mich verunsicherte. Und dieser merkwürdige Name passte überhaupt nicht zu ihm.

»Hey, starr ihn nicht so an. Er sieht schon eine Weile zu uns.« Lisa stupste mich warnend an. Mist! Schnell trank ich einen Schluck Wasser, um die Bilder von Nancy und Roger in meinem Kopf wieder loszuwerden.

»Jetzt schau nicht so betroffen. Viele Frauen buchen Escorts und ich habe gehört, der Sex soll fantastisch sein.« Den letzten Teil flüsterte Lisa mir ins Ohr. Ich schloss meine Augen und versuchte krampfhaft, das Kopfkino wieder auszuschalten.

»Jetzt krieg dich wieder ein. Du kannst mir glauben, Nancy ist bei „The One“ in den allerbesten Händen.«

Sie grinste mich frech an und rückte nochmals näher. »Du solltest es vielleicht auch mal ausprobieren, Hannah. Für ein New Yorker Mädchen, bist du einfach viel zu prüde und irgendwie passt das so gar nicht zu dir.«

»Spinnst du? … Ich werde bald heiraten und außerdem bin ich mit Matt glücklich.« Was glaubte sie eigentlich, was sie mir da vorschlug? Ich würde Matt niemals betrügen, und warum sollte ich das tun?

»Er wäre schon eine Sünde wert!« Ihr verträumter Blick ließ mich fassungslos mit dem Kopf schütteln.

»Können wir bitte das Thema wechseln?«

»Wieso ist dir das unangenehm? Genau das ist es, was Tante Nancy vorhin gemeint hat. Du solltest Spaß haben, bevor du dich für immer an Matt bindest. Vielleicht würde dir ein Seitensprung ganz gut tun!«

»Jetzt reicht es aber! Du bist meine Freundin und solltest so etwas nicht sagen.« Mir wurde ganz übel bei dem Gedanken. Ich und ein Seitensprung? Gott bewahre! Ich liebte Matt. Ich war glücklich mit ihm. Warum sollte ich das alles aufs Spiel setzen?

»Ich glaube, du hast zu viel getrunken. Du redest wirklich Blödsinn.« Das war die einzige Erklärung, die ich für Lisas Vorschlag hatte.

»Ach, komm schon! Sei kein Spielverderber. Hast du noch niemals daran gedacht, Sex mit einem anderen Mann zu haben?«

Meine Güte, was war nur in sie gefahren. Sie kannte Matt doch auch. Sie war genauso mit ihm befreundet wie mit mir. Was würde er wohl denken, wenn er wüsste, was sie mir gerade vorschlug?

»Lisa, bitte! Hör auf damit! Du weißt genauso gut wie ich, dass ich so etwas nie machen würde.«

»Was würdest du nicht machen, Hannah?«, hörte ich Nancys Stimme hinter mir.

Ertappt! Erschrocken wandte ich mich um. Meine Wangen färbten sich verräterisch und ein dicker Kloß setzte sich in meinem Hals fest. Ich brauchte gar nicht erst aufzusehen, ich wusste, dass Nancy und dieser „The One“ mich fixierten. Oh mein Gott, wie peinlich! Das hatte mir gerade noch gefehlt. Die angespannte Stille war unerträglich.

»Oh, ähhh ... ich ... nichts!«, stotterte ich und hoffte inständig, der Erdboden würde sich auftun.

»Hannah meinte, dass sie niemals so kreativ sein könnte wie die Künstler hier«, rettete mich Lisa und zeigte auf ein Bild, das in unserer Nähe an der Wand hing. Obwohl es ein schlechter Versuch war, schien Nancy mit der Antwort zufrieden und begann, über den Maler zu erzählen. Angestrengt versuchte ich, mich auf ihren Mund zu konzentrieren, versuchte, seinen Blick, der immer noch ungeniert auf mir ruhte, zu ignorieren. Ich traute mir selbst nicht über den Weg. Es kostete mich viel Kraft, ihn nicht anzusehen. Er würde sofort wissen, dass er unser Thema gewesen war.

»Entschuldigt mich bitte!«, brachte ich gerade noch rechtzeitig hervor, schaffte es, mich aus der peinlichen Situation zu stehlen, und lief schnell zur Damentoilette. Verdammt! Wenn Matt hier wäre, wäre mir das bestimmt nicht passiert. Am Waschbecken kramte ich mein Handy aus der Handtasche und sah nach, ob mein Verlobter mir eine Nachricht hinterlassen hatte. Er war erst seit zwei Tagen auf dieser überaus wichtigen Geschäftsreise, die mehrere Wochen dauern würde. Eigentlich war ich gewohnt allein zu sein, schließlich war er sehr viel unterwegs. Aber ausgerechnet jetzt wünschte ich mir, er würde anrufen. Ich brauchte das Gefühl von Beständigkeit, welches nur er mir geben konnte.

Keine Anrufe in Abwesenheit und auch keine SMS. Ich hielt meine Hände unter den kalten Wasserstrahl und legte sie zur Abkühlung auf mein Genick. Meine innere Hitze verschwand und langsam beruhigte ich mich wieder.

Erst jetzt bemerkte ich, dass ich nicht allein auf der Damentoilette war. Als ich das Handy wieder zurück in die Tasche steckte, wurde ich unfreiwillig Zeugin eines intimen Gesprächs. Zwei Damen unterhielten sich über ihre Kabinen hinweg.

»Ich frage mich wirklich, wie Nancy an Rogers Nummer gekommen ist. Wie man hört, bekommt die nicht jede. Dabei habe ich schon alles versucht.«

»Du bist nicht die Einzige, Carla. Aber soweit ich weiß, sucht er sich seine Kundinnen aus, und ist dabei sehr wählerisch.«

»Eben! Ich frage mich, was Nancy hat, was ich nicht zu bieten hätte. Ich bin viel jünger und mein Körper ist um einiges knackiger, als ihrer.«

»Vielleicht zahlt sie besser?«

»Dass ich nicht lache! Ich würde Roger das Doppelte zahlen.«

»Tja, meine Liebe, auch wenn es dir nicht passt, aber Nancy muss etwas an sich haben, was ihm gefällt. Außerdem kann er es sich leisten. Niemand in seiner Branche kann mit dem Service mithalten, den er bietet. Er macht seinem Spitznamen alle Ehre. Er ist eben „The One“.«

»Ach, was weißt du schon, Bea? Ich werde ihn schon noch bekommen. Darauf kannst du wetten.«

Ich stöhnte leise und schloss genervt meine Augen. Mein Magen rebellierte. Gab es denn heute Abend kein anderes Thema mehr? Ich trocknete meine Hände ab und sah zu, dass ich schnell die Damentoilette wieder verließ. Ein Gigolo eroberte sämtliche Frauenherzen – wie romantisch!

Immer noch stand er mit Nancy bei Lisa. Angeregt unterhielten sie sich. Na super! Ich wollte nach Hause. Noch mal würde ich diese Situation nicht ertragen.

Ich verlangsamte meine Schritte, als ich in die Kunsthalle zurückkehrte.

»Da bist du ja. Alles in Ordnung?« Lisa kam auf mich zu und sah mich besorgt an. Nancy und ihr Begleiter mischten sich unter die anderen Gäste, was mich erleichtert aufatmen ließ.

»Ja, mach dir keine Gedanken.«

»Er hat mitbekommen, dass du über ihn gesprochen hast«, flüsterte sie. »Aber keine Sorge, ich habe etwas passendes als Ausrede gesagt.«

Lisa wusste, wie peinlich mir das alles war. Lächelnd hakte sie sich bei mir unter und führte mich zu unserem Tisch zurück. Dabei kam mir der Gedanke, dass ich lieber nicht wissen wollte, was sie sich ausgedacht hatte.

»Komm, lass uns noch einen Drink nehmen, und dann führe ich dich zu dem Highlight des Abends. Es soll wirklich großartig sein«, sagte Lisa, weil sie genau wusste, dass das Thema „The One“ für mich endgültig erledigt war.

»Ich würde jetzt lieber nach Hause gehen!«

»Och, komm schon, Hannah. Dich und mich erwartet doch zu Hause nichts. Wir sind noch jung, beide heute Nacht allein und sollten dies ausnutzen und Spaß haben«, bettelte sie und sah mich mit ihren blauen Augen wie ein kleines Hündchen an. Sie wusste genau, dass sie mich so überreden konnte, und schob zur Verstärkung ihre Unterlippe schmollend hervor. Damit hatte sie es schon immer geschafft, mich zum Lachen zu bringen. Ich seufzte und erklärte mich einverstanden, noch zu bleiben.

»Ich hole uns noch schnell etwas zu trinken«, sagte sie freudestrahlend und machte sich auf den Weg zur Bar.

 

 

 

 

Kapitel 2 Hannah

Das beste Stück

 

 

 

Bisher war alles in meinem Leben nach Plan verlaufen. Ich lief, wie man so schön sagte, immer in der Spur. Die rebellische Pubertät, von der viele Eltern erzählten, blieb bei mir aus. Zumindest hatte ich mit meiner Mutter wenig Streit wegen der Uhrzeiten, zu denen ich abends zu Hause sein musste, oder wegen der Erlaubnis, auf eine Party zu gehen gehabt. Damals war ich eher das schüchterne Mädchen gewesen, das gern im Haushalt half und sich aus Jungs und Partys nichts machte. Das änderte sich auch nicht, als ich weit weg von zu Hause auf dem College war. Ich lernte zwar Matt kennen, doch unsere Liebe wuchs ganz langsam. Wie oft hatte meine Mutter mir haarsträubende Geschichten von Nachbarskindern erzählt, die völlig betrunken von der Polizei aufgegriffen worden waren. Sie war froh, dass ich nicht so war. Nur manchmal, wenn ich abends in meinem Bett lag, wünschte ich mir insgeheim, dabei gewesen zu sein. Doch niemals durften diese Gedanken einen Weg aus meinem Kopf finden.

»Entschuldigen Sie, Nancy hat uns gar nicht vorgestellt.« Eine tiefe, dunkle Stimme ließ meine Gedanken verstummen. Ich sah auf und blickte in lebendige, braune Augen, die von vielen schwarzen, dichten Wimpern umrahmt wurden. Sie gehörten Roger Roon. Er überragte mich, um mehr als einen Kopf. Aus der Nähe sah er noch attraktiver aus und mein Kopf war plötzlich wie leergefegt. Oh Gott!

Was sollte das jetzt werden? Erwartete er jetzt etwa eine Entschuldigung? Auf die konnte er lange warten, denn schließlich konnte er nicht sicher sein, dass ich vorher von ihm gesprochen hatte. Stolz reckte ich ihm mein Kinn entgegen.

»Ich weiß, wer Sie sind«, gab ich ihm in einem abfälligen Ton zur Antwort.

Er ignorierte meine Bemerkung und streckte mir lächelnd seine Hand entgegen. Zögernd ergriff ich sie, weil ich gut erzogen war.

»Hannah, Hannah Parker«, sagte ich kühl und war überrascht, wie weich und gleichzeitig kräftig sich seine Hand anfühlte.

»Mein Name ist Roger Roon.«

Meine Güte, er sah unglaublich gut aus. Markante Wangen, volle Lippen und diese Augen … »Sie heißen doch nicht wirklich so, oder?«

Sein Lächeln wurde breiter und makellose weiße Zähne kamen zum Vorschein.

»Jeder hat sein Geheimnis, oder? Welches ist Ihres, Mrs. Parker?«

Was dachte sich dieser Kerl eigentlich? Und was sollte das hier werden? Eine plumpe Anmache?

»Sollten Sie sich nicht um ... Nancy kümmern?«, gab ich zickig von mir.

Er sah sich nach ihr um. Sie stand ein paar Meter von uns entfernt und bemerkte noch nicht mal, dass ihr gekaufter Freund sich gerade eine neue Buchung zu besorgen versuchte. Als könnte er meine Gedanken erraten, wurde sein Grinsen anzüglicher.

»Auch ich habe hin und wieder mal eine Pause. Darf ich Sie etwas fragen?«

Wenn er mich jetzt um ein Date bat, bekäme ich bestimmt einen Lachanfall. »Was möchten Sie denn wissen?«

Wieder fixierten mich seine Augen und er wartete einen Moment, bevor er mit seiner Frage herausrückte.

»Was ist eigentlich Ihr Problem?«

Gelassen sah ich ihn an, aber innerlich begann ich zu kochen und wusste gar nicht so recht, warum.

»Ich habe ein Problem? Wie kommen Sie denn darauf?« Nervös strich ich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht, weil ich nicht wusste, was ich mit meinen Händen tun sollte. Er schien meine Unsicherheit zu bemerken, was mich nur noch mehr verärgerte.

»Ich sehe es Ihnen an und ... ich konnte hören, was Sie eben zu Nancys Nichte sagten.«

Hitze stieg in meine Wangen. Seine Augen hielten mich gefangen, meine Stimme verabschiedete sich und der Kloß in meinem Hals wurde wieder dicker. Ich fühlte mich ertappt. Würde er mir jetzt eine Szene machen?

Doch stattdessen lächelte er und griff in seine Hosentasche.

Irritiert starrte ich auf seine Hand, die mir ein kleines Kärtchen entgegenstreckte.

»Hier, meine Karte. Sie sehen aus, als könnten Sie hin und wieder etwas Spaß gebrauchen, Hannah. Sie sind viel zu steif. Ich kann dafür sorgen, dass Sie sich entspannen, und stehe Ihnen jederzeit zur Verfügung. Ein Anruf genügt!«

Sein überhebliches Grinsen brachte mich so in Rage, dass mein Herz wild gegen meine Brust hämmerte. Am liebsten hätte ich ihn geohrfeigt. Der Typ hatte vielleicht Nerven! Fassungslos starrte ich ihn an, und bevor ich etwas erwidern konnte, machte er auf dem Absatz kehrt und verschwand in der Menge.

Mit seiner Karte in der Hand stand ich da und bekam meinen Mund nicht wieder zu. Was für eine Unverschämtheit! Was glaubte er eigentlich, wer er war? Wo war mir das letzte Mal so viel Arroganz begegnet?

Ich stand kurz davor wütend zu ihm zu gehen und ihm meine Meinung zu sagen, doch der Gedanke, Nancy die Party zu ruinieren, hielt mich zurück. Ich presste meine Lippen aufeinander, um das Beben in mir einzudämmen.

»Hier, dein Drink!« Lisa drückte mir ein Martiniglas in die Hand und entdeckte dabei die Karte, die ich verkrampft zwischen meinen Fingern hielt.

»Was ist das?«

Damit ich ihr diese Peinlichkeit nicht erklären musste, stopfte ich die Karte schnell in meine Handtasche. Damit war das dämliche Ding verschwunden.

»Äh, ... nichts! … Hat Nancy für heute Abend ein Programm oder so etwas Ähnliches?«, fragte ich, um sie abzulenken.

»Oh ja! Soweit ich weiß, soll um Mitternacht ein ganz besonderer Künstler kommen. Leider hat sie mir nicht verraten, wer es ist, aber seine Skulptur soll noch heute Abend für einen guten Zweck versteigert werden. Nancy unterstützt heute Abend ein Waisenhaus in Kambodscha. Willst du das geheimnisvolle Kunstobjekt mal sehen?«

Mir war alles recht, was mich auf andere Gedanken brachte, und so ließ ich mich von ihr durch die Menge schieben.

 

***

 

Lisa sah sich kurz um, öffnete eine Tür und wir huschten hindurch. In dem Raum war es dunkel, nur in der Mitte war ein großer, abgedeckter Gegenstand schemenhaft zu erkennen. Lisa knipste das Licht an. Verpackte Bilder und gut gefüllte Weinregale standen an der Wand. Durch die Besen und Putzmittel, die ebenfalls in einem Regal untergebracht waren, wirkte der Raum eher wie eine Abstellkammer. Jetzt konnte ich auch erkennen, was sich in der Mitte des Raumes befand – eine verhüllte Skulptur.

Lisa nahm eine Sektflasche aus dem Weinregal und öffnete diese.

»Trifft sich gut, meinen Martini hab ich leider schon ausgetrunken.« Der Korken knallte gegen die Decke und schäumend sprudelte der Inhalt zu Boden.

»Huch! Der Sekt hat es aber eilig«, kicherte sie.

»Pass auf, dass du das Kunstwerk nicht besudelst. Dürfen wir eigentlich hier rein?«, fragte ich ein wenig nervös. Gedämpft hörte ich die Musik von draußen und rechnete schon damit, dass die Tür aufgehen und man uns erwischen würde.

Lisa nahm einen Schluck aus der Flasche und hielt sie mir hin. »Natürlich dürfen wir nicht hier rein. Nancy wäre bestimmt sauer, wenn sie wüsste, dass ich dir ihre Überraschung schon vorab zeige. Aber was sie nicht weiß, macht sie nicht heiß, oder?«, gluckste sie.

Sie hatte eindeutig schon zu viel. So langsam machte sich ein Schwips bei ihr bemerkbar. Kopfschüttelnd nahm ich ihr die Flasche ab.

»Ich bin wirklich gespannt. Nancy hofft, mit der Skulptur eine Rekordsumme zu erzielen. Der Name des Künstlers soll den Preis in die Höhe jagen. Und es ist für einen guten Zweck. Die Presse wird morgen in allen Zeitungen davon berichten.« Sie trat zu dem Kunstwerk und zog vorsichtig an dem Tuch, sodass die Statue enthüllt wurde. Gespannt, was sich Besonderes darunter verbergen würde, hielt ich für einen Moment die Luft an.

Mit dem Tuch in der Hand betrachteten wir die Figur. Ein Mann, nackt, wie Gott ihn geschaffen hatte, stand auf einem kleinen Podest. Die Skulptur bestand aus einem glatten, weißen Material, welches an weißen Kalkstein erinnerte. Die Muskeln und Sehnen hatte der Künstler gut herausgearbeitet. Kräftig, stark und doch sehr fein. Den rechten Arm streckte er von sich und zeigte das Peace-Zeichen. Es erinnerte mich an Michelangelos David, wobei das Original noch viel genauer und detailreicher war.

Lisa nahm mir die Flasche aus der Hand und trank einen großen Schluck. So langsam hatte ich den Eindruck, wir sollten das Ding wieder abdecken und verschwinden.

»Komm, lass uns gehen.«

»Warte noch, ... hicks, ich will mir noch seinen Hintern ansehen«, sagte sie. Gerade, als sie um die Sektpfütze einen großen Ausfallschritt machen wollte, rutschte sie aus. Ich sah sie schon im Geiste auf die Skulptur fallen, hielt sie am Ellenbogen fest, was zur Folge hatte, dass ich selbst ins Straucheln geriet. Um mich noch irgendwie abzufangen, hielt ich mich reflexartig am Nächstbesten fest, was ich zu fassen bekam. Es knackte. Ehe ich begriff, was genau geschah, fielen Lisa und ich zu Boden. Die Statue wackelte gefährlich und ich hielt den Atem an. Tausend Stoßgebete schickte ich zum Himmel, in der Hoffnung, dass das Schlimmste nicht eintreffen würde. Wir hatten Glück im Unglück – das Kunstwerk blieb stehen. Doch als Lisa zu mir schaute und sah, was in meiner Hand lag, prustete sie lauthals los.

Verdammter Mist! Da lag der Penis der Statue in meiner Hand.

»Ich finde das nicht witzig. Was machen wir jetzt? Lisa!« Ich stand auf und suchte fieberhaft nach einer Lösung. Eine Panikattacke bahnte sich an. Mir wurde heiß und kalt, wenn ich daran dachte, dass jetzt gleich die Tür aufgehen würde und Nancy ihr Highlight des Abends präsentieren wollte.

»Hilf mir doch! Wie soll ich das wieder hinbekommen? Gibt es hier so was wie einen Alleskleber?«, fuhr ich sie an und sah mich auf den Regalen um. Doch ich fand nichts, womit ich das Ding wieder ankleben konnte.

Plötzlich verstummte auch noch die Musik draußen und wir hörten Nancy durch ein Mikrofon zu ihren Gästen sprechen. Es war so weit – sie wollte das Kunstwerk präsentieren.

»Oh Gott! Lisa! Was sollen wir tun?«

Mein Herz klopfte und mein Blut geriet in Wallung. Das Ding in meiner Hand fühlte sich plötzlich wie eine tickende Zeitbombe an, die ich unbedingt loswerden sollte. Mit Lisa konnte ich nicht weiter rechnen, je mehr ich in Panik geriet, desto belustigter lachte sie. Mittlerweile war schon ihr Mascara verschmiert und Tränen vermischten sich mit ihrem Make-up. Die Tür öffnete sich, jemand kam herein. Ich blieb wie angewurzelt stehen und versteckte den abgebrochenen Penis hinter meinem Rücken. Ich hatte schon passende Worte im Kopf, die mir aber im Hals stecken blieben, als ich erkannte, wer den Raum betrat.

»Was macht ihr denn hier drin?« Seine tiefe Stimme ging mir durch und durch und ich kam mir wie ein kleines Schulmädchen vor, das beim Schwänzen erwischt wurde. Verräterisch reagierte mein Blut und schoss sogleich in mein Gesicht. Peinlicher konnte es jetzt nicht mehr werden. Selbst Lisa schien sich jetzt zusammenreißen zu können und augenblicklich verstummte auch ihr Lachen.

»Es war nicht ihre Schuld«, begann sie zu stammeln. »Ich bin ausgerutscht und Hannah wollte mir helfen, dabei ist sie ...«

Seine Augen blieben erst an Lisa hängen, dann sah er zu mir, und als er auf die abgebrochene Stelle an der Statue schaute, zog er erstaunt seine Stirn kraus.

»Nancy hat mich geschickt, ich soll die Statue rausschieben«, grinste er dämlich.

Endlich fand ich meine Stimme wieder »Ich hab nach etwas gesucht, womit ich ihn wieder ankleben kann, aber nichts gefunden.« Zumindest sollte er nicht denken, dass es mir egal wäre.

»Entweder ich bringe den Kerl ohne sein bestes Stück hinaus oder uns fällt auf die Schnelle noch etwas ein.« Roger trat zu dem Kunstwerk und nahm die Stelle näher in Augenschein. Lisa begann die Regale zu durchsuchen, in der Hoffnung, etwas zu finden, womit wir kleben konnten.

Roger starrte nachdenklich auf das Ding in meiner Hand, welches ich ihm entgegenstreckte. »Gehen Sie mit allen Männern so grob um?« Ein Schmunzeln huschte über seine Lippen und am liebsten hätte ich ihm Gift ins Gesicht gespritzt. Jetzt bereute ich es, nicht aus der Sektflasche getrunken zu haben. Ich wäre mutiger und hätte mich wahrscheinlich getraut, ihm eine patzige Antwort um die Ohren zu schmettern. Doch so schluckte ich meinen Ärger hinunter.

Er wartete auf eine Antwort von mir, und als diese nicht kam, schüttelte er grinsend den Kopf und griff in seine Hosentasche. »Sie sollten sagen, was Sie denken, Hannah.«

Er zog ein kleines Päckchen Kaugummi heraus. Er gab Lisa und mir einen. »Kauen!«, wies er uns an.

Was sollte das? Wir brauchten eine Lösung und keinen Kaugummi. Er schob sich gleich zwei Streifen in den Mund. Ich zögerte und versuchte, aus seinen Worten schlau zu werden. War ich so leicht zu durchschauen? Mit einer Handbewegung forderte er mich auf, schneller zu kauen.

Von draußen hörten wir Nancys Stimme, wie sie über den Künstler sprach und sein Projekt beschrieb, welches er mit dem Erlös unterstützen wollte.

Wir kauten alle andächtig und langsam dämmerte mir, was er vorhatte. Nein! Das würde nie und nimmer funktionieren. Zumindest würde es nicht lange halten.

Er hob seine Hand vor Lisas Mund und wartete, bis sie ihren Kaugummi direkt auf seine Handfläche spuckte. Ich zögerte, als er seine Hand vor meinen Mund hielt. Dabei sah er mir direkt in die Augen.

Eigentlich sollte ich ihm dankbar für seine Hilfe sein, doch mein Stolz hinderte mich daran. Gleichzeitig hielten mich seine Augen gefangen. Mir gefiel das warme Braun, es streichelte meine Haut und dennoch sorgte es dafür, dass ich mich unter seinem Blick klein fühlte.

Kaum sichtbar zog er seine Augenbrauen in die Höhe. Stumm forderte er mich damit auf, es meiner Freundin gleichzutun. Dabei widerstrebte es mir, überhaupt zu spucken.

Sein Grinsen wurde breiter, als ich meinen Kaugummi aus dem Mund nahm und auf seine Hand legte.

Jetzt ging alles sehr schnell und wir hörten, wie Nancy draußen schon nach dem Kunstwerk rief.

»Oh Gott! Schnell!«

Roger knetete die vier Kaugummis zusammen und nahm mir den Penis aus der Hand. Die klebrige Masse presste er auf das abgebrochene Ende.

»Los! Deckt die Statue wieder ab«, rief er uns zu. Lisa und ich hoben das Tuch auf und warfen es etwas ungeschickt darüber. Genau in dem Moment, als der Stoff die Skulptur wieder verhüllte, ging die Tür auf und zwei Kellner betraten den Raum.

Roger nestelte immer noch unter dem Tuch, ohne zu sehen, was er genau tat. Mit festem Druck presste er den Penis wieder an den Körper, in der Hoffnung, dass der Kaugummi das abgebrochene Stück halten würde. Die beiden Kellner traten näher und sahen uns verwundert an.

»Ihr könnt sie jetzt hinausbringen«, sagte Roger, bevor einer der beiden uns fragen konnte, was wir hier zu suchen hatten. Er löste die Rollen und mit klopfendem Herzen sah ich zu, wie die perplexen Kellner das Kunstwerk aus dem Raum schoben.

»Ich weiß zwar nicht, ob es funktionieren wird, aber einen Versuch war es wert.«

»Danke, Roger. Das war knapp! Und Sie meinen das hält?« Lisa lächelte ihn honigsüß an. Sie war nervös, das sah ihr gar nicht ähnlich. Seit wann löste ein Mann Nervosität bei ihr aus?

»Keine Ahnung, vielleicht für ein paar Minuten. Wir können nur hoffen, dass das gute Stück die Versteigerung übersteht«, meinte er und bedeutete uns mit einem Wink, den Raum zu verlassen.

Unter tosendem Applaus wurde das Objekt in die Mitte der Halle gebracht. Die Gäste bildeten um Nancy und das Kunstwerk einen Kreis.

Mein Magen zuckte nervös und ich hatte Mühe, das Zittern meiner Hände zu unterdrücken.

»Es wird schon schiefgehen«, kicherte Lisa neben mir leise. Sie fand es immer noch total lustig und hatte nicht die geringste Angst, dass wir dafür verantwortlich gemacht werden könnten. Ich durfte gar nicht darüber nachdenken, was Matt dazu sagen würde, wenn er es erfuhr. Da bin ich einmal ohne ihn unterwegs und dann passierte gleich solch eine Katastrophe.